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2019 | Buch

Handbuch Frieden

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Über dieses Buch

Die aktualisierte und erweiterte Auflage dieses Handbuches beinhaltet das aktuelle Wissen zu Frieden, Friedenspolitik und zur Friedens- und Konfliktforschung. Die Beiträge behandeln den Friedensbegriff systematisch aus wissenschaftlicher und politischer Perspektive. Dabei werden die vielfältigen inhaltlichen Dimensionen und Bezüge des Begriffsfeldes Frieden verdeutlicht. Die Befunde der insgesamt 65 Autorinnen und Autoren bieten ein umfassendes Bild der aktuellen und künftigen Herausforderungen von Friedensforschung und Friedenspolitik und beziehen die Praxis der Friedensarbeit ein.


​Der Inhalt​Der Friedensbegriff in wissenschaftlicher und politischer PerspektiveBegriffsfeld FriedenFriedenskontexteDie ZielgruppenWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Dozierende und Studierende der Politik- und Sozialwissenschaften sowie der Philosophie, Theologie und RechtswissenschaftStudierende und Lehrende der Friedens- und KonfliktforschungPolitische Akteurinnen und Akteure sowie in der Friedenspraxis TätigeDie allgemein an friedenspolitischen Themen interessierte Öffentlichkeit
Die Herausgeber
Prof. Dr. Hans J. Gießmann ist Direktor der Berghof Foundation in Berlin.Dr. Bernhard Rinke ist Professor für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, Abteilung Duisburg.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Krieg und Frieden

Wenn man die Nennungen der Begriffe von Krieg und Frieden im Internet oder in einschlägigen politikwissenschaftlichen und ideengeschichtlichen Handbüchern und Lexika verfolgt, genießt der Krieg im Gegensatz zum Frieden deutlich mehr Aufmerksamkeit als sein Gegenpart – 2.230 Mio. Einträge bei Google (30.06.2018, 01.15) für „war“ gegen 890 Mio. für „peace“ bzw. 62 Mio. für „Krieg“ gegen 37,4 Mio. für „Frieden“; 32 Ausdruckseiten für „war“ gegen 3,5 für „peace“ (die zudem nicht unter einem selbständigen Eintrag, sondern unter „pacifism“ auftauchen) in der Internet-Ausgabe der Stanford Encyclopedia of Philosophy (Stand 2018); nur 9 Artikel zum Begriffsfeld „peace“ gegen 32 zum Begriffsfeld „war“ in der immerhin von der ISA verantworteten International Studies Encyclopedia Online (2018); 25 Registereintragungen für „war“ gegen eine für „peace“ im Oxford Handbook of International Relations (2010); 64 Spalten für das Begriffsfeld „Krieg“ gegen 48 Spalten für das Begriffsfeld „Friede“ in den einschlägigen Bänden von Friedrich Jaegers Enzyklopädie der Neuzeit (2006 bzw. 2008) – das zeigt schon deutliche Tendenzen! Und: Kriege und kriegerische Konflikte stellen nach den Untersuchungen der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Kriegsursachenforschung nicht nur im letzten Jahrzehnt (AKUF 2008ff) gleichsam eine kontinuierliche Grund(be)last(ung) des internationalen Systems dar, die zwischen 30 und 35 oder 36 Fällen pro Jahr schwankt.

Reinhard Meyers

Der Friedensbegriff in wissenschaftlicher und politischer Perspektive

Frontmatter
Friedens- und Konfliktforschung

Steven Pinkers (2011) optimistische Annahme Anfang des Jahrzehnts, wonach der ewige Friede nicht nur romantische Theorie sei, sondern in der makrohistorischen Betrachtung gar ein realistisches Szenario darstelle, wurde in den letzten Jahren harten Prüfungen ausgesetzt. Die Zunahme von Gewaltkonflikten in vielen Teilen der Welt führt uns vor Augen, dass Anstrengungen für einen dauerhaften Frieden keinesfalls obsolet, sondern notwendiger denn je geworden sind. Einen Teil dazu kann auch die Friedens- und Konfliktforschung beisteuern, die mit faktenbasierten Argumenten einen Beitrag zur Früherkennung, Prävention und besseren Mediation von gewaltträchtigen Konflikten leisten und so gewaltfreie Konfliktbewältigung wahrscheinlicher machen kann.

Andreas Schädel
Frieden in den Theorien der Internationalen Beziehungen

Viele Wissenschaftler*innen haben sich in den letzten Jahren intensiv bemüht, die in den Großtheorien der Internationalen Beziehungen bisweilen nur implizit enthaltenen Aussagen zu den Voraussetzungen für Frieden expliziter herauszuarbeiten. Insbesondere das „Aufblühen“ der liberalen Theorieschule hat diesen Trend verstärkt, da die von ihr vertretenen Thesen zu friedensfördernden Bedingungen eine Herausforderung für die anderen Theorieschulen darstellten.

Martin Kahl, Bernhard Rinke
Frieden als Zivilisierungsprojekt

Wenn vom Frieden als einem Zivilisierungsprojekt die Rede ist, dann schwingt in der Regel ein Verweis auf das von Dieter Senghaas seit Ende der 1980er Jahre entwickelte zivilisatorische Hexagon mit (vgl. u. a. Senghaas 1988, 1995, 2004). Dieses war nicht als originärer Beitrag zur Zivilisations- bzw. Zivilisierungstheorie, sondern zur Friedenstheorie gedacht. Denn Senghaas geht es weniger um die Frage nach der guten (nationalen wie internationalen) Gesellschaft, sondern vornehmlich um jene nach den Konstitutionsbedingungen des Friedens in und zwischen modernen bzw. sich modernisierenden Gesellschaften.

Sabine Jaberg
Interventionen für den Frieden

Interventionen wurden und werden immer wieder als Einsätze für den Frieden gerechtfertigt und dargestellt. Nichtsdestoweniger sind politische und militärische Interventionen Eingriffe in die Souveränität eines Staates und deshalb höchst umstritten. Der Irakkrieg der USA 2003 und ihr offener und verdeckter „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan und anderen Ländern seit 2001, die Libyen-Intervention einiger NATO-Staaten 2011, die mehr oder weniger offene Intervention russischer Kräfte in der Ukraine, die aktuellen Interventionen verschiedener Mächte in Syrien und Jemen sind jüngere Beispiele, wo Interventionen Frieden brachen und Chaos schufen. Sie standen alle im diametralen Gegensatz zur Charta der Vereinten Nationen (VN) mit ihrem Friedensgebot und Einmischungsverbot (Art. 2, Abs. 3 und Art. 2, Abs. 7 VN-Charta).

Winfried Nachtwei

Begriffsfeld Frieden

Frontmatter
Gerechter Friede

Der Begriff „gerechter Friede“ bestimmt im deutschsprachigen Raum seit gut 30 Jahren die friedensethische Diskussion und hat zu einer bis heute engagiert geführten Debatte Anlass gegeben. Die Rezeption des Konzepts gerechter Frieden blieb jedoch in dieser ganzen Zeit weitestgehend auf das Gebiet der christlichen Friedensethik im deutschsprachigen, teilweise angelsächsischen Raum und den internationalen ökumenischen Kontext begrenzt. Damit unterscheidet sich die Rede vom gerechten Frieden massgeblich von der auch in Philosophie, Politikwissenschaft und politischer Rhetorik oft anzutreffenden Theorie des gerechten Krieges (vgl. dazu bspw. Walzer 1977, Orend 2006, Haspel 2017, aber auch ICISS 2001), von der sie sich begrifflich abzugrenzen versucht. Dass das Konzept gerechter Friede dennoch gerade in Deutschland Strahlkraft entwickeln konnte, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass es seitens der christlichen Kirchen als friedensethischer Orientierungsrahmen propagiert und in zahlreichen Stellungnahmen und politisch breit beachteten Positionsbezügen in die öffentliche Debatte eingebracht wird.

Jean-Daniel Strub
Friedensbewegung

Die Sehnsucht nach Frieden und das Bemühen darum, ihn zu erhalten oder wieder herzustellen, sind so alt wie der Krieg selbst. So gab es bereits in der Antike Friedensstifter*innen (lat.: pacifici) und Gruppen oder Einzelne, die die Vision einer Welt ohne Krieg formulierten oder die es ablehnten, als Soldaten in den Krieg zu ziehen und den Herrschenden die Drohung mit Krieg zu ermöglichen. In der frühen Neuzeit gab es eine Reihe herausragender Denker, die als Einzelpersonen ihre Friedensappelle und Vorschläge für eine Friedensordnung an die Herrschenden richteten. Dazu gehörten etwa Erasmus von Rotterdam, William Penn, der Abbé von Saint-Pierres und Immanuel Kant (Holl 1988: 7f.).

Ute Finckh-Krämer
Friedenspädagogik

Amman, März 2018: Vertreter*innen von 20 öffentlichen und privaten Schulen aus allen Regionen Jordaniens treffen sich zum Startschuss für das Modellprojekt „Schulen gegen Gewalt“ der Berghof Foundation. Die Bereitschaft zur Teilnahme ist groß, denn an jordanischen Schulen ist ein hohes Gewaltpotenzial vorhanden. Gleichzeitig ist die Skepsis der Teilnehmenden unverkennbar, ob und wie unter anhaltend ungünstigen Rahmenbedingungen eine Transformation hin zu einem friedlichen Zusammenleben im gesellschaftlichen „Mikrokosmos Schule“ gelingen kann.

Uli Jäger
Friedensethik

Der Ausdruck „Friedensethik“ irritiert. Denn im Unterschied zu Bereichsethiken wie Medizinethik, Medienethik, Militärethik u. a. wird hier nicht ein soziales Feld ausgesondert, für das spezifische ethische Überlegungen angestellt werden sollen, sondern die differentia specifica ist ‚Frieden‘, also eher ein Ziel, auf das hin ethisches Erwägen gerichtet ist. Frieden ist ein Gegenstand politischer Philosophie; Frieden ist zudem ein besonderes Anliegen von Religionen, da religiöse Weltverständnisse den Menschen in das Gesamt eines geordneten Kosmos stellen wollen.

Bernhard Koch
Friedensfähigkeit des Menschen

Man mag sich fragen, welche Alternative in der westlichen Öffentlichkeit eine Mehrheit fände: dass der Mensch friedensfähig ist oder dass er für den Frieden nicht geschaffen sei. Für die Vertreter spezifischer politikwissenschaftlicher Theorieangebote (etwa der Großtheorie des Idealismus oder des Theorems vom „Demokratischen Frieden“) bzw. auf die Veränderung unfriedlicher Verhältnisse geeichter Friedensforschung gehören das Vertrauen auf – und/oder das „Wissen“ um – die Friedensfähigkeit des/der Menschen jedenfalls zu den meist nicht mehr eigens thematisierten Prämissen und Postulaten, welche die Anlage ihrer Untersuchungen wie deren politisch-praktische Bezüge bestimmen.

Hajo Schmidt
Friedensmacht

Der Begriff der Friedensmacht dient ebenso als politisches Schlagwort wie als friedenswissenschaftliches Konzept. Politisch-programmatisch formulierte die SPD in den Europawahlkämpfen der Jahre 2004 und 2009 die Forderung, Europa zu einer Friedensmacht auszubauen. Doch auch andere Parteien benutzen den Begriff in jüngster Zeit gelegentlich als politischen Slogan, so Bündnis90/Die Grünen und Die Linke. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn bereits verwendet.

Hans-Georg Ehrhart
Friedensmediation

Seit Ende des Prozesses „Review 2014 – Außenpolitik weiter denken“ ist Friedensmediation in das Zentrum deutscher Außenpolitik gerückt. Dies äußert sich in den im Jahr 2017 von der Bundesregierung veröffentlichten Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“, die dem Kapazitätsaufbau im Bereich Friedensmediation eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung neuer strategischer Handlungsansätze in der Krisenvorsorge und Friedensförderung einräumen (Bundesregierung 2017: 27ff.). Auch die Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und humanitäre Hilfe (Abteilung S) des Auswärtigen Amtes, die seit 2015 Kompetenzen im Bereich Friedensmediation bündelt, ist eine direkte Folge des Review-Prozesses.

Nico Schernbeck, Luxshi Vimalarajah
Europäische Friedensordnung

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat es keine derart tiefgreifenden Verwerfungen und Brüche etablierter gesellschaftlicher und politischer Ordnungen in Europa mehr gegeben wie heute. Die krisenhaften Entwicklungen in der Weltpolitik der letzten Jahre setzen die Stabilität der europäischen Friedensordnung zunehmend aufs Spiel. Bislang stillschweigend als selbstverständlich vorausgesetzte internationale und europäische Normen und Handlungsmuster erodieren, während etablierte institutionelle Ordnungen zunehmend an Relevanz verlieren oder durch internen Dissens herausgefordert werden.

Ursula Schröder
Friedensverhandlungen und Friedensverträge

Kriege wurden in der Geschichte auf sehr unterschiedliche Weise beendet. Verhandlungen auf Augenhöhe waren dabei eher die Ausnahme als die Regel. Die Vergangenheit von Kriegsbeendigungen ist vielmehr gezeichnet durch Eroberungen und Kapitulation, durch aufgezwungene Verhandlungen oder gar durch Verhandlungen allein zwischen den Siegern zu Lasten und ohne Beteiligung der besiegten Parteien.

Hans-Joachim Giessmann, Paul Schäfer
Frieden stiften

Dass Frieden gestiftet werden muss, gehört in den aktuellen Diskursen über Gewalt und Gewaltminimierung, Krieg und Frieden nicht zu den Redewendungen, die Konjunktur haben. Eher benutzen wir andere Tätigkeitswörter, um das Handeln zu thematisieren, mit dem etwas für den Frieden getan wird oder getan werden soll. Wenn nicht ohnehin nur noch mit den aus dem angelsächsischen Sprach- und Kulturraum übernommenen englischen Fachtermini gearbeitet wird, ist davon die Rede, dass Frieden – je nach Lage – bewahrt, gesichert und befestigt, vermittelt, ausgehandelt und geschlossen, gefördert, geschaffen und gemacht oder konsolidiert und vertieft werden müsse.

Jörg Calließ
Friedensstörer

In Reaktion auf die weltweit zunehmende Anzahl und Bedeutung innerstaatlicher Konflikte haben sich die internationalen Bemühungen zur friedlichen Konfliktregelung intensiviert. Insbesondere die Vereinten Nationen haben sich bereits seit den 1990er Jahren vermehrt in den Politikfeldern Konfliktverhütung, Konfliktbearbeitung und Friedensaufbau engagiert. Bislang fällt die Bilanz dieser Bemühungen allerdings ambivalent aus: Zahlreiche gewalttätige Auseinandersetzungen konnten nicht oder nur vorübergehend beendet werden.

Kristina Eichhorst

Friedenskontexte

Frontmatter
Frieden und Abschreckung

Abschreckung durch (strategische) Atomwaffen (nuclear deterrence) war seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, als die Sowjetunion durch die Entwicklung von Interkontinentalraketen die atomare Unverwundbarkeit der USA aufgehoben hatte, bis zum Ende des Kalten Krieges 1989/90 die sicherheitspolitische und strategische Doktrin der USA und der NATO gegenüber der UdSSR und der Organisation des Warschauer Vertrages (WVO). Nach einer Zwischenphase von nicht einmal anderthalb Jahrzehnten, die zwar einen führenden Experten wie Lawrence Freedman bereits die Frage hatte stellen lassen: „Does Deterrence Have a Future?“ (Freedman 2000), ist diese Doktrin spätestens seit dem erneuten offenen Ausbruch von Feindseligkeiten im Verhältnis zwischen dem Westen und Russland im Gefolge der Zuspitzung des Ukrainekonflikts ab 2014 wieder das sicherheitspolitische und militärische Leitkonzept von USA und NATO.

Wolfgang Schwarz
Frieden und Bildende Kunst

Werke der bildenden Kunst zeigen, wie sich Ideen vom Frieden entwickelten und wie sie vermittelt wurden. Sie können die Überlieferung in anderen Medien bekräftigen, erweitern oder relativieren. Die Kunstgeschichte erschließt Quellen für die historische Friedensforschung, indem sie Bilder des Friedens mit den Absichten der Akteure (Auftraggeber, Produzenten, Käufer), ihren intellektuellen, künstlerischen und materiellen Voraussetzungen und der Wirkung auf das Publikum in Zusammenhang bringt. In Kunstwerken und anderen Bildquellen schlagen sich unterschiedliche Konzepte des Friedens nieder. Vorstellungen von Sieg-, Verhandlungs-, institutionellem oder zivilem Frieden bildeten unterschiedlich starke Stränge der Überlieferung, in denen sich verschiedene Auffassungen von Friedensursachen zeigten.

Thomas Fusenig
Frieden und Demokratie

Alle Wissenschaft ist darum bemüht, Regelmäßigkeiten im scheinbaren Chaos der Dinge herauszuarbeiten, die sie beobachtet. Zuweilen werden solche Regelmäßigkeiten dann von einer kompetenten Wissensgemeinschaft als Gesetzmäßigkeit anerkannt. Das ist besonders befriedigend, wenn es sich dabei um eine Erkenntnis handelt, die den normativen Präferenzen der Beobachter entspricht. In der Politikwissenschaft glaubt man eine solche Gesetzmäßigkeit identifiziert zu haben. Sie lautet, dass Demokratien (fast) keine Kriege gegeneinander führen. Das ist ein klarer, aber gerade deswegen auch umstrittener Befund, der eine Reihe von Fragen aufwirft. Welche Beobachtungen und Annahmen liegen dem Theorem des demokratischen Friedens (DF) zugrunde? Wie lässt sich der DF erklären? Wie sind die Kriege einzuordnen, in die Demokratien verwickelt sind? Im Einklang mit einem langjährigen Forschungsprogramm der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) wird im vorliegenden Text die These vertreten, dass zur Forschung über den demokratischen Frieden auch die Auseinandersetzung mit dem demokratischen Krieg gehört, wobei als demokratischer Krieg eine Form der Anwendung von Gewalt verstanden wird, die in spezifischer Weise mit den Verhaltensdispositionen von Demokratien verbunden ist.

Lothar Brock
Frieden und Demokratisierung

Im Juni 2017 verabschiedete die Bundesregierung nach intensivem öffentlichen Diskurs ihre neuen außenpolitischen Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (Bundesregierung 2017 – nachfolgend Leitlinien). Diese sollen zusammen mit dem verteidigungspolitischen Weißbuch von 2016 (Bundesregierung 2016) und dem alle vier Jahre erscheinenden entwicklungspolitischen Bericht künftig den strategischen Rahmen für Deutschlands Friedensengagement in der Welt bilden. Eine solche Selbstverpflichtung Deutschlands, mehr Verantwortung in der globalen Friedensförderung zu übernehmen, ist aktuell von zentraler Bedeutung.

Julia Strasheim
Frieden und Deradikalisierung

Es soll im Folgenden darum gehen, Radikalisierung als Ausdruck – als Symptom und nicht als Ursache – eines gestörten gesellschaftlichen Friedens zu skizzieren. Analog dazu sollen Strategien zur Deradikalisierung als Instrument der Wiederherstellung des gesellschaftlichen Friedens vorgestellt werden.

Uwe Ernst Kemmesies, Karoline Weber
Frieden und Dialog

Frieden und Dialog werden gemeinhin als eng miteinander verbunden wahrgenommen. Wo Menschen in der Lage sind, einander zuzuhören und unterschiedliche Meinungen und Wahrnehmungen respektieren können, gibt es gute Chancen für eine friedliche Beilegung von Konflikten. Es ist deshalb naheliegend, dass immer dann, wenn Konflikte zu eskalieren drohen, sei es in der Form heftiger verbaler Auseinandersetzungen oder der Androhung von Gewalt, wohlmeinende Akteure an die Parteien appellieren, sich auf einen ernsthaften Dialog einzulassen.

Norbert Ropers
Frieden und Diplomatie

Wie gestaltet sich das Verhältnis von Frieden und Diplomatie in einer Welt, die „aus den Fugen“ geraten scheint? War jemals so viel von Krisen die Rede wie jetzt: Finanzkrise, Klimakrise, Flüchtlingskrise, Krisenregionen? Sind Krisen der „Normalzustand“ der Welt, wie ein deutscher Außenminister feststellte (Steinmeier 2017: 8)? In diesem Fall würde mehr als kurzfristiges Krisenmanagement benötigt. Es stellt sich die Frage nach längerfristigen politischen Lösungen. Frieden ist dabei mehr als die Abwesenheit von Krieg oder Krisen. Diplomatie ist mehr als Krisenmanagement oder Verhandlungskunst. Sie wird als „strategische Diplomatie“ neu definiert.

Hans-Dieter Heumann
Frieden und Entwicklung

Frieden und Entwicklung bilden heute ein festes Begriffspaar. Es findet sich in der Bezeichnung von Forschungsprogrammen internationaler Institute und postgraduierten Studiengängen ebenso wie in einschlägigen flagship reports multilateraler Organisationen und der Berufsbezeichnung von UN-Mitarbeitern. In Deutschland gilt insbesondere der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt als Wegbereiter der Idee, Frieden und Entwicklung eng aufeinander zu beziehen und das eine nicht ohne das andere zu denken.

Jörn Grävingholt
Frieden und Gender

Krieg und Frieden scheinen allein personell eine überwältigend „männliche“ Angelegenheit zu sein. Armeen bestehen überwiegend aus männlichen Soldaten, Verteidigungsminister und Staatspräsidenten sind mehrheitlich Männer, und auch ihre „Feinde“ und entsprechenden militärischen „Ziele“, seien es nun „Terroristen“ oder Soldaten, sind meistens Männer. Auf der anderen Seite stehen in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem weibliche Kriegsopfer und – sehr viel seltener – auch Täterinnen wie etwa im Folterskandal von Abu Ghraib im Irak.

Cilja Harders, Sarah Clasen
Frieden und Globalisierung

„What an extraordinary episode in the economic progress of man that age was which came to an end in August 1914!“ So elegisch bewertete vor hundert Jahren John Maynard Keynes (1919: 9) die Wohltaten der Globalisierung, welche seiner Meinung nach die Zeit vor dem 1. Weltkrieg geprägt hatten. Für den privilegierten Teil seiner Zeitgenossen sei es in dieser Periode selbstverständlich gewesen, während des Morgentees telefonisch die verschiedensten Köstlichkeiten der Welt zu bestellen. Doch unscheinbare „Schlangen“ wie der Militarismus und der Protektionismus hätten das Paradies der ökonomischen Integration zerstört (ebenda: 10).

Gerald Schneider
Friedensgebot und Grundgesetz

Frieden ist zum einen „Negativ“-Zustand im Sinne des „Nicht-Krieges“ bzw. der Abwesenheit militärischer Gewalt. Frieden ist zugleich eine Existenzform, die dazu verpflichtet, alles zu unterlassen, was zur Entfesselung eines Krieges führen kann. Der „positive Frieden“ fordert Friedensgestaltung (vgl. zur Begrifflichkeit im Einzelnen Paulus 2001: 253).

Martina Haedrich
Frieden und Humanitäre Hilfe

Die Durchführung Humanitärer Hilfe erscheint aus friedenspolitischer Perspektive im Sinne eines negativen Friedens (Abwesenheit von Krieg) als das normativ gebotene Mindestmaß, um das physische Überleben von Menschen in Gewaltkonflikten zu ermöglichen. In der Abgrenzung von Krieg und Frieden ist damit Humanitäre Hilfe auf den ersten Blick eine dem Frieden zugehörige zivile Intervention, die während des Kriegsgeschehens wirksam wird. Allerdings ist fraglich, inwiefern Humanitäre Hilfe nicht auch der Logik des Krieges unterworfen ist und sich damit einer eindeutigen Verortung zwischen Krieg und Frieden entzieht.

Conrad Schetter
Frieden im Inneren

„Der Gegenstand und das Ziel von Politik ist der Friede“ formulierte Dolf Sternberger (1961: 18) und gab damit eine vielzitierte normative Politikdefinition, die für vielfältige Interpretationen sowohl des Politikbegriffs als auch des Friedensbegriffs Anlass gab (vgl. z. B. Pannier 1996). Frieden wird von Sternberger jedenfalls nicht auf die Abwesenheit von Krieg und auch nicht lediglich auf die Außen- und Sicherheitspolitik bezogen. Und er steht auch nicht für eine pazifistische Position.

Bernhard Frevel
Frieden und internationale Institutionen

Internationale Institutionen – deren Zahl in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen ist – leisten viele und vielfältige Beiträge zum Frieden. Und zwar sowohl zur Beendigung von gewaltsamen Konflikten, wie auch zu deren dauerhafter Befriedung bzw. zur Gewaltprävention.

Tanja Brühl
Frieden und Journalismus

Täglich wird in unseren Medien über Gewalt, Krisen und Kriege berichtet – also gerade über die Abwesenheit von Frieden. Dennoch ist die Verbindung von Frieden und Journalismus enger, als es zunächst den Anschein hat. Dies gilt vor allem in demokratischen Gesellschaften; denn als ein unabdingbarer Bestandteil demokratischer Gesellschaften ist der Journalismus auch dessen grundständigen Prinzipien und Werten, insbesondere den Menschenrechten und dem Frieden verpflichtet (vgl. dazu im Einzelnen Abschnitt 2).

Nadine Bilke
Frieden und Konflikttransformation

Dieser Beitrag widmet sich der Frage, welche Rolle die Konflikttransformation für den Frieden und die Friedensförderung spielt. Die Begriffe Konflikttransformation und Friedensförderung sind keineswegs synonym, wie man vermuten könnte. Stattdessen fokussiert ein transformativer Ansatz unsere Aufmerksamkeit darauf, welchen Stellenwert Konflikte auf der interpersonellen wie internationalen Ebene erhalten müssen, damit aus Krieg Frieden werden kann. Das folgende Zitat, das einem Teilnehmer an einer Dialogveranstaltung aus Südafrika zugeschrieben wird, bringt dies auf den Punkt: „I thought that conflict was about fighting, now I know it’s a way of crossing the bridge.“

Beatrix Austin, Hans-Joachim Giessmann
Frieden und Konversion

Rüstungskonversion bezeichnet die Umwidmung militärischer Ressourcen für zivile Zwecke – eine Idee, die bereits in der berühmten biblischen Metapher der Verwandlung von „Schwertern zu Pflugscharen“ zum Ausdruck kommt. Die moderne Konversionsforschung, welche die Möglichkeiten derartiger Prozesse auslotet und konkrete Vorschläge für ihre technische und/oder politische Umsetzung macht, formierte sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Reaktion auf die gewaltigen Überkapazitäten der US-amerikanischen Rüstungsindustrie. Die Schließung waffenproduzierender Betriebe hätte die dort angestellten Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen.

Marc von Boemcken
Frieden und Krisenprävention

Der Umgang mit Konflikten ist ein Thema, das die Menschheit seit ihrer Entstehung beschäftigt. Jüngeren Datums ist das Verständnis, dass bestimmte Formen der Austragung von Konflikten nicht als erstrebenswert gelten. Die Vermeidung von physischer Gewalt in den zwischenmenschlichen Beziehungen wurde in den letzten Jahrhunderten zunächst vor allem auf der Grundlage religiöser Ethik und erst sehr viel später, im Rahmen der säkularisierten „Zivilisierung“ (Elias 1976), als ein zentrales gesellschaftliches Ziel postuliert.

Laurent Goetschel
Frieden und Literatur

Die Erfahrung von Gewalt, Krieg und Frieden ist seit den Anfängen unserer Zivilisation ein bevorzugtes Thema literarischen Schaffens: Man denke nur an die Ilias und die Odyssee, jene beiden Epen, die die abendländische Literatur begründet haben. Sie können – je nach Sichtweise – als lustvolle erzählerische Wiederholung der Schlachten um Troja gelesen werden oder als kritisch-distanzierte Aufzeichnungen über das, was Menschen einander antun. So wird an ihnen bereits die gesamte Problematik des Themenkomplexes Literatur und Frieden deutlich: Literarische Texte lassen sich meist nicht so einfach auf eine klare Parteinahme – für oder gegen den Krieg bzw. Frieden – reduzieren.

Werner Wintersteiner
Frieden und Menschenrechte

Zum Verhältnis von „Frieden und Menschenrechten“ liegen in der Forschung bisher nur wenige Beiträge und kein zusammenhängendes Konzept vor (z. B. Forsythe 2009, Baillet/Mujezinovic Larsen 2015). Jedoch wurden eine Reihe von Resolutionen der UN-Generalversammlung und des UN-Menschenrechtsrates beschlossen mit Vorschlägen, wie Staaten eine friedlichere und gerechte Weltordnung fördern sollten, zuletzt die Erklärung der UN-Generalversammlung zum Recht auf Frieden von 2016. In Bezug auf das Spektrum von Gewaltkonflikten wird im Menschenrechtsschutz die Forderung erhoben, Menschenrechte auch während Phasen von Gewaltkonflikten einzuhalten und wirkungsvolle Beschwerdemechanismen einzurichten.

Wolfgang S. Heinz
Frieden und Migration

Erzwungene Migration aufgrund von Konflikten wie in Syrien oder dem Südsudan wird in der hiesigen Öffentlichkeit häufig schlaglichtartig in Momentaufnahmen dramatisiert. Überblicke zu Flucht und Vertreibung werden auf Rekordzahlen reduziert und Ursachen von den Auswirkungen her bewertet.

Heidrun Bohnet, Markus Rudolf
Frieden und Militär

Die Dualität von „Frieden und Militär“ lässt sich ohne die Trias „Frieden, Militär und Konflikt (Krieg)“ nicht zureichend beschreiben. Um es mit Sabine Jaberg unter Bezug auf Johan Galtung auszudrücken: „Wo von Frieden die Rede ist, ist jene vom Konflikt nicht weit (…). Unter Konflikt lässt sich ganz allgemein eine tatsächliche oder mutmaßliche Inkompatibilität der Anliegen mindestens zweier Akteure verstehen“ (Jaberg 2017: 46). Und wo es um Konflikte geht, kommen schnell Instrumente und Institutionen zur Geltung, die zur Regulation oder eben zur Austragung derselben geschaffen wurden. Das Militär gehört dazu.

Jörn Thießen
Frieden und klassische Musik

Seit Jahrhunderten hat die Friedensproblematik, hier verstanden als die Probleme von Krieg und Frieden, bildende Künstler zu einer reichhaltigen Bilderwelt, der sogenannten Friedensikonographie, angeregt. Noch reichhaltiger und vielfältiger sind die literarischen Zeugnisse, in denen, inhaltlich unschwer vermittelbar, die genannte Problematik in Romanen, Novellen, Lyrik und Schauspielen bearbeitet wurde. Wie aber figuriert das Thema „politischer Frieden“ in der Musik? Gilt doch insbesondere wertbeständige, eben als klassisch zu bezeichnende Musik als gegenstandsloseste aller Künste, da ihr Inhalt „tönend bewegte Formen“ seien, wie der österreichische Musikkritiker Eduard Hanslick 1854 in seinem einflußreichen musikästhetischen Traktat Vom Musikalisch-Schönen schrieb.

Dieter Senghaas
Naturwissenschaftliche Friedensforschung

Noch vor wenigen Jahren hätte eine Umfrage in der deutschen Bevölkerung zur Höhe des Risikos eines Nuklearkriegs wohl eher Unverständnis ausgelöst. War diese Bedrohung nicht einer der Alpträume des Kalten Krieges, der mit der Auflösung der Sowjetunion und dem Ende der Blockkonfrontation zu Grabe getragen worden war? Und waren nicht schon während der Amtszeit des letzten Generalsekretärs der KPdSU, Michael Gorbatschow, und verstärkt nach der Auflösung des Warschauer Paktes zahlreiche Initiativen und Abkommen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens erfolgt? Man denke nur an den INF-Vertrag, der mit den Mittelstreckenraketen eine ganze Waffengattung nuklearer Trägersysteme verbot (INF = Intermediate Range Nuclear Forces), oder die START-Verträge zur Begrenzung der strategischen nuklearen Trägersysteme (START = Strategic Arms Reduction Treaty).

Gerald Kirchner
Frieden und Neutralität

Neutralität bedeutet die Nichtbeteiligung eines Staates an einem Krieg oder bewaffneten Konflikt zwischen Staaten oder anerkannten Parteien in einem Bürgerkrieg sowie die Nichtmitgliedschaft eines Staates in einem militärischen Bündnis; sie beinhaltet das Verbot für einen neutralen Staat sein Territorium fremden Truppen zur Stationierung oder für die Austragung von kriegerischen Handlungen zur Verfügung zu stellen. Insbesondere darf der dauernd Neutrale keine militärischen Bündnisse (auch nicht mit anderen dauernd neutralen Staaten) oder grundsätzlich auch keine Abkommen über kollektive Verteidigung schließen (Neuhold/Hummer/Schreuer 1991: 477).

Heinz Gärner
Frieden und Pazifismus

Der Begriff „Pazifismus“ bezeichnet einen vielgestaltigen Komplex von moralischen Grundsätzen, Motiven und Haltungen, gesellschaftlich-politischen Bestrebungen und Zielsetzungen und institutionell-organisatorischen Gestalten. Die Vorläufer reichen weit zurück zu philosophischen Theorien von Recht und Politik in der Antike (Platon und Aristoteles), biblischen Überlieferungen eines umfassenden Friedensverständnisses, theologisch-humanistischen Friedenskonzeptionen (Erasmus von Rotterdam [1517] 1995) und philosophischen Entwürfen (Immanuel Kant [1795] 1976). Auch Kunstwerke gehören in diese Reihe, so zum Beispiel Ambrogio Lorenzettis „Allegorie des guten Regiments“ (siehe Schmidt 2003).

Marco Hofheinz, Wolfgang Lienemann
Friedensforschung und Politikberatung
Ein Erfahrungsbericht

Der Autor dieses Essays kann auf fast vier Jahrzehnte wissenschaftlicher Politikberatung in unterschiedlichen Kontexten zurückblicken. Vor diesem Hintergrund fragt er sich, was er als Friedensforscher, und was die Friedensforschung in Deutschland, soweit er davon Kenntnis hat, in beratender Hinsicht eigentlich bewirken kann.

Hans-Joachim Schmidt
Frieden und Religion

Die „Rückkehr“ oder „Renaissance der Religionen“ ist zum Schlagwort geworden. Ob es sich dabei nun um eine tatsächliche Rückkehr in die politische Arena oder vielmehr um ein Wiedererwachen der öffentlichen und medialen Wahrnehmung von Religion handelt: Religion ist heute (wieder) als ein relevanter Faktor internationaler Politik präsent.

Markus Weingardt
Frieden und Ressourcen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Zusammenhänge zwischen Ressourcen und Frieden beginnt 1798 mit der Veröffentlichung des „Essay(s) on the Principle of Population“ von Robert Malthus (Malthus 2007). Er argumentierte, dass das lineare Wachstum landwirtschaftlicher Erträge kaum mit dem exponentiellen Bevölkerungszuwachs Schritt halten würde. Eine „Bevölkerungsfalle“ wäre unvermeidbar, so Malthus, was letztlich unvermeidbar zu Gewalt und Krieg führen müsste.

Cord Jakobeit, Hannes Meißner
Frieden und Rüstungskontrolle/Abrüstung

Rüstungskontrolle und Abrüstung sind heute nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil internationaler Friedens- und Sicherheitspolitik. Zentrale Ziele wie Kriegsverhütung, die Verhinderung des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen und deren Weiterverbreitung sowie die Einhegung exzessiven Waffengebrauchs sind durch diverse bi- und multilaterale Verträge und Regelungen international zur Norm geworden und durch ausgereifte Verifikations- und Überprüfungsmaßnahmen sowie entsprechende Organisationen weiter entwickelt worden. Sie sind friedensfördernd, da sie gefährliche Entwicklungen hemmen.

Götz Neuneck
Frieden und Schutzverantwortung

Dient die Schutzverantwortung/Responsibility to Protect (R2P) dem Menschenrechtsschutz oder gefährdet sie den Frieden? Die Idee der Schutzverantwortung, die Achtung der Menschenrechte im Kontext massiver Gewaltkonflikte – namentlich Genozid, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – zu stärken, ist hinsichtlich der präventiven Anteile der R2P oder der Wiederaufbaudimension eher unproblematisch. Auch die Einforderung der aktiven Verantwortungsübernahme durch den souveränen Nationalstaat, unter Umständen mit konsensualer internationaler Unterstützung und Kooperation, erscheint weitgehend unverfänglich.

Dan Krause, Michael Staack
Frieden und Sicherheit

Im sprachlichen Alltagsgebrauch werden Frieden und Sicherheit oft als begriffliche Zwillinge verwendet: Durch Sicherheit entsteht Frieden, Frieden bedeutet Sicherheit. Die Negation der beiden Begriffe macht deren enge Verbindung noch deutlicher: ohne Frieden gibt es keine Sicherheit, ohne Sicherheit besteht keine Aussicht auf Frieden.

Hans-Joachim Gießmann
Sozialer Frieden

Der Begriff des sozialen Friedens erfasst eine bestimmte Art und Weise, soziale Fragen zu bearbeiten: kooperativ und gewaltfrei. Sozialer Frieden bezieht sich auf das Verhältnis von großen gesellschaftlichen Gruppen mit unterschiedlicher sozialer Lage. In modernen Gesellschaften wird diese vor allem durch die Stellung auf den Märkten von Kapital und Arbeit und durch den Zugang den wesentlichen wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen bedingt. Wie auch der Frieden zwischen Staaten, so wird auch der soziale Frieden zumeist dann ein Thema, wenn in der Gesellschaft erkennbar „sozialer Unfriede“ herrscht.

Michael Brie
Frieden und Sport

Sport wird von vielen als ein Mittel zur Förderung des Friedens betrachtet. Besonders in den Zeiten olympischer Spiele reden Sportfunktionäre und Politiker oft von der Frieden stiftenden Funktion des Sports. In vielen Projekten der Vereinten Nationen (UN), des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und auf lokaler Ebene verfolgen Organisationen und Menschen das erklärte Ziel, die Welt mit Hilfe von Sport friedlicher zu machen.

Claus Tiedemann
Frieden und Sportpolitik

Die Vorstellungswelt des Sports ist dicht bevölkert mit Legenden. Eine der langlebigsten unter ihnen erzählt von Sport als einer „Friedensmacht“. Seit jeher wird seine Sinngebung als erstes mit einer Friedensmission verbunden. Gegen alle Plausibilität und gegen alles notorische Scheitern vor diesem hohen Anspruch. Die Stichhaltigkeit des Arguments wird inzwischen in einer Reihe von wissenschaftlichen Interventionen in Zweifel gezogen, zumindest relativiert.

Sven Güldenpfennig
Frieden und Tourismus

Die Beziehungen zwischen Frieden und Tourismus sind komplexer Natur. Simple Zuschreibungenwie Tourismus als Friedenskraft passen ebenso wenig wie die pauschale Verurteilung von Tourismus als Hauptverursacher von Konflikten, Ausbeutung und Neokolonialismus. Tourismus hat eben sowohl friedensfördernde wie konfliktverschärfende Qualitäten (vgl. Joras et al. 2011). Da der Tourismus nicht nur ein wachsender Wirtschaftsfaktor ist, der bis in die letzten Winkel dieser Welt vorstößt, sondern auch ein sozialer und kultureller Faktor, der jährlich eine ständig wachsende Zahl von Menschen außerhalb ihrer gewohnten Umgebung auf fremde Kulturen und Traditionen stoßen lässt, ist es auf jeden Fall nötig, sich wissenschaftlich mit all seinen Auswirkungen zu befassen und ihn politisch in die Arbeit an einer Kultur des Friedens einzubeziehen. Dazu muss man sich vor Augen führen, dass Tourismus ein vielgestaltiges Phänomen ist, das nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eben auch eine politische und eine kulturelle Dimension hat.

Werner Wintersteiner
Frieden und Transformation

Der Begriff Transformation (lat. Umformung, Verwandlung) beschreibt in der politikwissenschaftlichen Forschung gemeinhin Prozesse gesellschaftlichen Wandels. Die wohl prominenteste Verwendung findet er in der vergleichenden Systemforschung. Hier werden zumeist Transformationsdynamiken auf der systemischen Ebene, also der Wandel eines politischen Systems von einem Regimetyp in einen anderen (etwa von der Autokratie zur Demokratie), beschrieben. Aber auch sub-systemische Veränderungs- und Anpassungsprozesse, also jene unterhalb der Systemebene, werden über den Begriff erfasst.

Regina Heller
Frieden und Transitional Justice

In welcher Beziehung stehen Frieden und Gerechtigkeit zueinander? Kann es ohne Gerechtigkeit Frieden geben? Und inwiefern können Gerechtigkeitsmaßnahmen zu Frieden beitragen? Diese Fragen werden oft in Verbindung mit einem Maßnahmenkatalog diskutiert, der gemeinhin als ‚Transitional Justice‘ bezeichnet wird. Dieser umfasst neben (nationalen und internationalen) strafrechtlichen Maßnahmen auch Wahrheitskommissionen, Reparations- oder Kompensationsmaßnahmen, Gedenkstätten und öffentliches Entschuldigen. Je nach Definition werden aber auch Amnestievereinbarungen als Teil von Transitional Justice betrachtet.

Mariam Salehi, Timothy Williams
Frieden und Vereinte Nationen

Wie in keiner anderen der großen Internationalen Organisationen sind die vielfältigen Aufgabenbereiche und Handlungsfelder der Vereinten Nationen (VN) fundamental auf die Schaffung und Bewahrung des Friedens in der Welt ausgerichtet. In der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges geschaffen, setzten ihre 51 Gründungsmitglieder die Bewahrung „künftiger Geschlechter vor der Geißel des Krieges“ an die erste Stelle des programmatischen Zielkatalogs in der Präambel ihrer am 24. Oktober 1945 in Kraft getretenen Charta der Vereinten Nationen.

Sven Bernhard Gareis
Frieden und Völkerrecht

Der Friedensbegriff im Recht wird zumeist vor dem Hintergrund der Kantischen Schriften diskutiert (vgl. Dicke 2005: 147ff.). Bei dieser Herleitung mag es aus heutiger Sicht scheinen, als ob das Völkerrecht seit jeher die Bewahrung des Friedens in den Vordergrund gestellt hätte. Dies muss, so könnte man denken, im ureigensten Interesse der Völker gelegen sein. Obwohl dieser Gedankengang völlig nachvollziehbar ist, liegt ein Irrtum zugrunde, der aus der Bezeichnung Völkerrecht resultiert.

Hans-Joachim Heintze
Frieden und Wirtschaft

Das Verhältnis von Frieden und Wirtschaft ist ambivalent. Für viele wirtschaftliche Akteure ist Krieg schädlich, der Frieden hingegen förderlich; eine Erkenntnis, die sich auch in den herrschenden Theorien über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Frieden niederschlägt. Doch können wirtschaftliche Interessen auch zu Kriegen führen. Auch in Kriegen lassen sich gute Geschäfte machen, auch an Kriegen und deren Vorbereitung lässt sich verdienen. Diese alte Wahrheit ist in jüngerer Zeit unter dem Etikett der „Neuen Kriege“ wieder entdeckt worden. Mächtige Wirtschaftszweige haben sich entwickelt, die Waffen und Geräte für Streitkräfte herstellen bzw.

Michael Brzoska
Frieden und Zivilgesellschaft

Der Begriff ‚Zivilgesellschaft‘ ist weit verbreitet, jedoch gibt es keine allgemein anerkannte Definition des Konzepts. Es ist vielleicht gerade die Unschärfe des Begriffs (Spurk 2010: 3), die auch zu seiner Beliebtheit beiträgt. Wenngleich der Begriff seine Ursprünge in der westlichen politischen Philosophie hat (Spurk 2010: 3–6), ist Zivilgesellschaft heute ein zentraler Bestandteil des Peacebuilding-Diskurses geworden (Paffenholz 2010: 43–64).

Thania Paffenholz
Metadaten
Titel
Handbuch Frieden
herausgegeben von
Prof. Dr. Hans J. Gießmann
Dr. Bernhard Rinke
Copyright-Jahr
2019
Electronic ISBN
978-3-658-23644-1
Print ISBN
978-3-658-23643-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23644-1

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