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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

9. Kann ein Growth Mindset die Agilität im Unternehmen erhöhen?

verfasst von : Marina Dujmovic-Bracak, Deane Harder

Erschienen in: Resilienz durch Organisationsentwicklung

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die Studie untersucht die Verbindung von Growth Mindset und Agilität von vier Teams einer Schweizer Bank. Es wird gezeigt, dass für echte Agilität ein Growth Mindset notwendig ist, jedoch das Konzept Agilität schwer greifbar ist. Weiter zeigt die Studie, wie das Mindset kontextabhängig ist. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Growth Mindset und Agilität einerseits und Growth Mindset und Arbeitsumfeld andererseits. Dennoch konnte kein direkter Zusammenhang zwischen einem Growth Mindset und Arbeitsumfeld festgestellt werden. Daraus lässt sich schließen, dass oft Agilität gefordert wird, allerdings das Mindset zu wenig beachtet wird und konventionelle Strukturen bzw. das Arbeitsumfeld meist ungeeignet sind, diesen zu fördern. Deshalb wurden Handlungsempfehlungen in den Bereichen Mensch, Unternehmensstruktur und Flexibilität erarbeitet. So können Unternehmen besser auf veränderte Arbeitsanforderungen und Umwelteinflüsse reagieren und ihre organisatorische Resilienz erhöhen.

9.1 Ausgangslage und Problemstellung

Eine Transformation ist ein Wandel auf vielen Ebenen. Um den Anforderungen der digitalen Transformation zu genügen, wird häufig die Forderung gestellt, dass Mitarbeitende „agiler“ werden. Jedoch reicht die Einführung des Konzeptes Agilität allein nicht aus, denn es bedarf mehr als eines bewussten, intellektuellen Verständnisses: Es braucht ein geeignetes Mindset (bevorzugte Denkweise) dazu. Es stellt sich die Frage, ob Mitarbeitende, die über Jahre oder Jahrzehnte anders gearbeitet haben, ihr typisches Mindset für agiles Arbeiten ändern oder anpassen (können). Die richtige Grundhaltung ist ausschlaggebend, damit agile Vorgehensweisen ihre volle Wirkung entfalten können. Ein in Zusammenhang mit flexibler Verhaltensweise oft genanntes Modell ist das „Growth Mindset“, das beschreibt, wie neue Erfahrung gesucht und Nicht-Erfolg in Situationen als Lernerfahrung bewertet werden. Ein solches Mindset kann die Resilienz von Unternehmen deutlich erhöhen, da eine kontinuierliche Weiterentwicklung angestrebt wird. Komplementär dazu verhält es sich mit der Agilität, die eine kontinuierliche Anpassung an unternehmerische Anforderungen erleichtert und so zur Resilienz beiträgt. In der vorliegenden Studie wird deshalb untersucht, inwiefern ein Growth Mindset bei Mitarbeitenden einer Bank im Arbeitsumfeld typisch ist und welchen Einfluss dies auf die wahrgenommene Agilität der jeweiligen Teams hat. Die empirische Erhebung liefert Erkenntnisse zum Zusammenhang von Growth Mindset und Agilität, um daraus Empfehlungen für die Praxis abzuleiten. So können Unternehmen den transformativen Wandel leichter bewältigen und ihre organisatorische Resilienz stärken.

9.2 Theoretische Grundlagen

In diesem Abschnitt werden die theoretischen Grundlagen zum Konzept der Agilität, Mindset und Resilienz kurz dargelegt.

9.2.1 Agilität vs. hierarchische Organisationen

Das Konzept der Agilität ist mittlerweile in vielen Organisationen etabliert. Damit ist nicht gemeint, dass tatsächlich agil gearbeitet wird oder eine klare Definition bekannt ist. Es ist jedoch häufig ein grundlegendes, implizites Verständnis vorhanden, was Agilität sein soll. Für die vorliegende Studie wird auf die Charakterisierung von Goldman et al. (1996) Bezug genommen. Diese stellen fest, dass Agilität in einer Organisation vier Aspekte hat: 1) Wert für den Kunden liefern, 2) bereit sein, sich zu verändern, 3) menschliches Wissen und Fähigkeiten wertschätzen und 4) virtuelle Partnerschaften aufbauen. Agilität hilft demnach Organisationen, rasch auf Veränderungen zu reagieren, die Wettbewerbsfähigkeit laufend anzupassen und das Element des Wandels als integralen Bestandteil der Unternehmenskultur zu sehen (Junker & Harder, 2020). Eine mögliche Definition lautet: „Agilität ist die Fähigkeit eines komplexen Systems, beispielsweise eines Unternehmens, sich unmittelbar auf Veränderungen der auf sie einwirkenden Umwelt anzupassen“ (Slogar, 2020). Andere verstehen unter dem Begriff „agil“ lediglich agile Arbeitsmethoden wie z. B. Scrum (Graf et al., 2019). Im alltäglichen Gebrauch wird Agilität häufig als Synonym für Flexibilität verwendet. Es gibt jedoch einen klaren Unterschied: Flexibilität bezieht sich eher auf eine passive Haltung oder berücksichtigt nur das sichtbare Ergebnis, wogegen Agilität eine aktive Haltung ist, die nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Einstellung gegenüber Veränderungen deutlich wird. Konkret kann jemand flexibel agieren, jedoch die ständigen Abweichungen von einem Plan als störend und Stress verursachend wahrnehmen. Wirkliche Agilität erwartet dagegen die Änderung; der stetige Wandel ist normal und beeinträchtigt nicht den Arbeitsfluss. In diesem Fall beschreibt sie eine Sichtweise auf die Welt, die es gilt, in der Unternehmenskultur zu verankern (Junker & Harder, 2020).
Traditionelle bzw. hierarchisch gegliederte Unternehmen verfügen oft über träge Organisationsstrukturen und aufwendige administrative Prozesse. Diese bremsen ein Unternehmen aus, wenn es darum geht, kurzfristig originelle und ergebnisorientiert Ideen, Produkte oder Leistungen zu entwickeln und umzusetzen (Slogar, 2020). Starre Strukturen und Prozesse erschweren Kreativität und limitieren langfristig die Problemlösefähigkeit der Organisation (Hofert, 2018). Das führt dazu, dass bei immer kürzer werdenden Veränderungszyklen der Wirtschaft die Unternehmen diesen Nachteil nicht mehr selbstständig ausgleichen können, die Resilienz nimmt ab. Daher bewähren sich zunehmend Modelle von Organisationsformen, die selbstorganisierte, selbstverantwortliche und hierarchiearme Strukturen fördern. Den einzelnen Mitarbeitenden wird dabei mehr Eigenverantwortung und Entscheidungskompetenz für ihre Arbeitstätigkeit übertragen (Slogar, 2020). Diese Rahmenbedingungen sind entsprechend notwendig, aber nicht hinreichend für organisatorische Agilität.
Ein Merkmal von hierarchisch strukturierten Teams ist, dass Mitarbeitende mit derselben Funktion in einer spezialisierten Abteilung zusammengefasst werden. Dabei koordiniert eine Führungsperson die Aufgabenverteilung der Mitarbeitenden und prüft die Arbeitsqualität. Häufig gibt es dabei keine Funktionstrennung aufgrund von Führungs- und Fachkompetenzen. Es bestehen kaum gemeinsame Ziel- und Leistungsmotivationen unter den Abteilungen, da es keine gemeinsamen Verantwortungen bzw. Arbeitsschritte wahrzunehmen gilt. Treten Fehler im Arbeitsergebnis auf, entsteht somit eine Abgrenzung zwischen Abteilungen und Mitarbeitenden. Dies führt zu Zielkonflikten sowie Abgrenzungen der Abteilungen untereinander (Silobildungen) (Harder & Tokarski, 2018). Außerdem wird durch fachlich spezifische und zum Teil monotone Aufgabenstellungen ein Perspektivenwechsel behindert. Es fällt den Mitarbeitenden schwer, sich mit den Ergebnissen ihrer Arbeit auseinanderzusetzen und die Auswirkungen auf benachbarte Unternehmensabteilungen nachzuvollziehen. Als positiv kann betrachtet werden, dass Zuständigkeiten klar geregelt und Prozessabläufe erprobt sowie eingespielt sind. Dies bedeutet, dass effizientes Arbeiten ermöglicht wird und keine Zeitverluste durch Koordinationsaufwände entstehen (Slogar, 2020).
In interdisziplinären Teams sind sämtliche Fähigkeiten und Kompetenzen von Mitarbeitenden kombiniert, die benötigt werden, um eine bestimmte Gruppe von Aufgaben effizient und effektiv zu erledigen. Konkret heißt dies, dass Funktionen wie beispielsweise die Angebotserstellung, das Backoffice, der Fachsupport, das Beschwerdemanagement oder der Vertrieb in einer Gruppe zusammengefasst sind. Dabei werden Fach- und Führungskompetenzen voneinander getrennt. In dieser interdisziplinären Gruppe koordinieren die eingesetzten Mitarbeitenden ihre Arbeitstätigkeiten, Funktionen sowie Prozesse eigenständig, eigenverantwortlich und selbstorganisiert. Im Gegensatz zu spezialisierten Teams bzw. Abteilungen, in denen es Experten mit spezifischem und detailliertem Fachwissen gibt, das jedoch auf die eigenen Arbeitsschritte beschränkt ist, sind bei interdisziplinären Teams die Kombinationen der Wissensbereiche auf fachliche Vielfalt ausgerichtet und können so ein weites Spektrum an Inputs verarbeiten (Slogar, 2020). Interdisziplinäre Teams bieten sich deshalb als Organisationsform für agiles Arbeiten an.
Die digitale Transformation zwingt Unternehmen zu tiefgreifenden Anpassungen. Diese können leichter bewältigt werden, wenn die Organisation über „Resilienz“ verfügt. Diese kann definiert werden als, „(…) fortlaufende Fähigkeit zu positiven Anpassungen unter herausfordernden Bedingungen, so dass die Organisation aus diesen Situationen gestärkt und mit mehr Ressourcen daraus hervorgeht“ (Vogus & Sutcliffe, 2007). Diese Anpassungen sind nicht nur gegen außen gerichtet; vielmehr findet auch im Inneren der Organisation ein Wandel statt und bezieht somit die Mitarbeitenden mit ein (Junker & Harder, 2020; Werther & Bruckner, 2018). Der Zusammenhang zwischen Agilität und Resilienz ist entsprechend deutlich ausgeprägt. Dabei kommt es auf das typische Mindset sowie die vorherrschende Unternehmenskultur an. Der Mindset als typische oder bevorzugte Denkweise in bestimmten Situationen entscheidet häufig darüber, wie wir als Individuen Situationen bewerten. Eine Kundenbeschwerde kann beispielsweise Stress auslösen, weil etwas „falsch“ gemacht wurde, oder eine Lernerfahrung darstellen und als konkreter Ansatzpunkt für Verbesserungen in der Kundenerfahrung interpretiert werden. Ein „positives“ Mindset kann also als Voraussetzung oder zumindest als fördernder Faktor für die Fähigkeit zu positiven Anpassungen im Sinne der Resilienz betrachtet werden. In der vorliegenden Studie wird deswegen der Fokus auf das Mindset der Mitarbeitenden sowie der (wahrgenommenen) Agilität gesetzt, um Rückschlüsse auf die Resilienz der Organisation zu ermöglichen.

9.2.2 Growth Mindset und Fixed Mindset

Ein Mindset gibt Aufschluss darüber, wie Menschen in bestimmten Kontexten typischerweise denken, handeln und an neue Aufgaben bzw. Probleme herangehen. Es ist diesbezüglich zu beachten, dass es kein richtiges oder falsches Mindset gibt, sondern nur ein zur Situation gut oder weniger passendes Mindset (Hofert, 2018). Eine Möglichkeit, zwischen typischen Denkweisen zu unterscheiden, ist die Einteilung in Fixed Mindset (statisches Mindset) und Growth Mindset (dynamisches/inkrementelles Mindset) (Dweck, 2017). Das Fixed Mindset wird als innere Einstellung verstanden, die davon ausgeht, dass alle Menschen so sind, wie sie sind, und die Ausprägung im Wesen angelegt sind. Das bedeutet, dass Menschen bestimmte Fähigkeiten, ihre Intelligenz oder auch Talente als etwas grundsätzlich Gegebenes der eigenen Persönlichkeit ansehen, das nicht oder nur wenig veränderbar ist. Auch dann, wenn Neues gelernt wird, wird beispielsweise von einer konstanten Intelligenz ausgegangen. Somit besteht stets das Ziel, ‚intelligent‘ auszusehen und niemals ‚dumm‘ zu wirken, um das eigene Selbstbild zu bestätigen. Im Gegensatz zum Fixed Mindset geht das Growth Mindset von einer ständigen Entwicklung und Dynamik aus (Abb. 9.1). Dahinter steht die Überzeugung, dass Fähigkeiten und Talente durch Ausdauer, geeignetes Lernen und Bemühungen weiterentwickelt werden können. Das bedeutet nicht, dass alle gleich gut sein können, die eigenen Grenzen sind jedoch nicht klar sichtbar, weshalb sich ein stetes Bemühen lohnt (Hofert, 2018). Der Prozess der kontinuierlichen Weiterentwicklung steht im Vordergrund, und Fehler oder Rückschläge werden als Lernerfahrungen gesehen. Es ist hierbei zu beachten, dass ein Mensch nie nur ein Fixed Mindset oder Growth Mindset besitzt, sondern beides in sich trägt. Die Anwendung der jeweiligen Denkweise ist kontextabhängig. Es geht in der vorliegenden Studie also darum, die bevorzugte oder typische Denkweise in bestimmten Arbeitskontexten zu untersuchen.
Eine digitale und agile Arbeitswelt benötigt ein passendes Mindset, das Grundannahmen vertritt, Werte verfolgt, Haltung zeigt und Position beziehen kann. Weiters sollte dieses Mindset die eigenen Grundannahmen überdenken und erneuern können, sobald neue Informationen oder Gegebenheiten vorliegen. Folglich ist die erwünschte Denkhaltung dynamisch und entwicklungsoffen, was zumindest in der Theorie eher dem Konzept des Growth Mindset entspricht (Dweck, 2014; Hofert, 2018). Ein Unternehmen, das sich im digitalen Wandel oder in einer Transformationsphase befindet, benötigt Mitarbeitende, die einem Wandel offen gegenüberstehen, diesen auch bei sich vollziehen und somit ein ausgeprägtes Growth Mindset in vielen Situationen zeigen. Weiters erlaubt es ein dynamisches Selbstbild, Fehler als Entwicklungsmöglichkeiten zu betrachten und die Motivation und Leistungsbereitschaft zu erhöhen (Glossner, 2016). Im Kontext der Agilität kann gefolgert werden, dass Mitarbeitende Agilität mit einem Growth Mindset kultivieren sollten (Junker & Harder, 2020); ein Aspekt, der mittlerweile auch im agilen Projektmanagement integriert wurde, z. B. Scrum (Bruns, o. J.; Sloan, 2015). Deshalb ist es wichtig zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Kultur- und Mindsetwandel erfolgreich sein kann.
Dabei muss klar zwischen Lernen und Entwicklung differenziert werden. Es ist möglich, dass Menschen mit einem ausgeprägten Fixed Mindset agile Methoden nach Lehrbuch anwenden. Ohne entsprechendes entwickeltes Mindset wird jedoch die Arbeitsweise dadurch nicht agil. Situationen werden je nach vorherrschendem Mindset beispielsweise als „normal“ oder als „stressig“ wahrgenommen, und die Arbeitszufriedenheit wie auch die Produktivität können davon stark abhängig sein. Es gilt deshalb, ein Growth Mindset im Arbeitskontext zu fördern und zu bevorzugen und den Wandel zur Agilität als Lern- und Entwicklungsprozess zu verstehen (Hofert, 2018).

9.3 Methodisches Vorgehen

Um den Zusammenhang zwischen Agilität und Growth Mindset zu untersuchen, wurden leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Die Ergebnisse sollen Auskunft über das Verständnis von Agilität und das zugrunde liegende Mindset der einzelnen interviewten Personen bei typischen Arbeitstätigkeiten aufzeigen.

9.3.1 Charakterisierung der BigPlayer AG und interviewten Teams

Um zu verstehen, inwiefern sich ein Growth Mindset auf die Agilität auswirkt, untersuchen wir vier Teams einer Schweizer Großbank. In der vorliegenden Studie wird der Zusammenhang zwischen Growth Mindset und Agilität im Arbeitsumfeld anhand einer Schweizer Bank untersucht. Die BigPlayer AG befindet sich in einer digitalen Transformation. Sie versucht, immer mehr Prozesse aus dem traditionellen Bankenkerngeschäft zu automatisieren, Aufgaben durch Softwareroboter erledigen zu lassen oder eine End-to-End-Verarbeitung durch den Endkunden zu ermöglichen. Andererseits sollen neue strategische Geschäftsfelder durch die Digitalisierung ermöglicht und erschlossen werden. Unterschiedliche Teams einer Bank bieten sich insbesondere für diese Fragestellung an, weil der Kontext gleich bleibt und Agilitätsunterschiede auf das Mindset im Team zurückführbar sind. Im Speziellen werden vier Teams der BigPlayer AG genauer betrachtet. Drei Teams gehören dem Kerngeschäft der BigPlayer AG an und weisen daher eine lange Vergangenheit auf. Das vierte Team existiert seit weniger als drei Jahren. Das Ziel dieser Organisationseinheit ist es, mittels agiler Methoden ein erfolgreiches Plattformgeschäft aufzubauen, ohne durch die Strukturen und administrativen Prozesse der BigPlayer AG gebremst zu werden. In Tab. 9.1 sind die Merkmale der vier Teams tabellarisch zusammengefasst.
Tab. 9.1
Merkmale der vier Teams einer Schweizer Bank. (Quelle: eigene Darstellung)
Team
Kerngeschäft
Teamgröße (Mitarbeitende)
Teamleiter Rolle vorhanden
Struktur
Agile Arbeitsmethoden vorhanden
Backoffice Zahlungsverkehr (BZV)
ja
10
ja
hierarchisch
nein
Fachsupport Abwicklung Zahlungsverkehr (FAZ)
ja
8
ja
eher hierarchisch
im Tagesgeschäft = nein
Im Projektgeschäft = teilweise
Fachsupport Konto Service
(FKS)
ja
13
ja
eher hierarchisch
im Tagesgeschäft = nein
Im Projektgeschäft = teilweise
Plattform (NewTeam)
nein
20
nein
interdisziplinär – flache Struktur
ja

9.3.2 Design der Datenerhebung

Das Ziel qualitativer Forschung besteht darin, komplexe Lebenssituationen und Zusammenhänge zu untersuchen und zu beschreiben. Dafür sollte für die Stichprobenwahl eine heterogene Gruppe von Personen gewählt werden (Weitkämper, 2019). Für die vorliegende Studie wurden vier Teams der BigPlayer AG genauer betrachtet. Es waren bereits Vorkenntnisse über die Personen vorhanden, die potenzielle Informationen und Auskünfte zur Fragestellung liefern können (Weitkämper, 2019). Es wurden zwei Personen pro Team im April 2020 interviewt, also acht Interviews insgesamt. Während in den ersten drei Teams die interviewten Personen ähnliche Aufgaben erledigen, befassen sich die interviewten Personen im letzten Team mit anderen Tätigkeiten. Des Weiteren wurde jeweils eine männliche und eine weibliche Person pro Team interviewt.

9.3.3 Interviewleitfaden und Datenauswertung

Der qualitative Interviewleitfaden wurde an die bisherige Forschung zu den Themen Growth Mindset und Agilität angelehnt. Die offenen und einfachen Fragestellungen (unter Vermeidung des Begriffes Growth Mindset) dienten dazu, dass die Interviewpartner nicht mit theoretischem Wissen bzw. Fachbegriffen abgelenkt wurden, beispielsweise wurde gefragt: „Wie agil schätzt du deine Arbeit bzw. dein Arbeitsumfeld ein?“, „Ist dein Team agil?“, „Wann hast du dir das letzte Mal bewusst Zeit genommen, etwas zu lernen (beruflich oder privat)?“, „Wie reagiert deine Vorgesetzte/dein Vorgesetzter auf Fehler?“ Über die Art und Inhalte der Antworten konnten dann Rückschlüsse bezüglich den Themen Growth Mindset und Agilität gezogen werden (Tab. 9.2).
Tab. 9.2
Beschreibung der Stichprobe für Interviews. (Quelle: eigene Darstellung)
Team
Geschlecht, Alter Person 1
Geschlecht, Alter Person 2
Fachsupport Konto Services
weiblich, 32 Jahre
männlich, 35 Jahre
Fachsupport Abwicklung Zahlungsverkehr
weiblich, 26 Jahre
männlich, 29 Jahre
Backoffice Dienstleistungen Zahlungsverkehr
weiblich, 26 Jahre
männlich, 26 Jahre
NewTeam
weiblich, 27 Jahre
männlich, 43 Jahre
Die Interviews wurden online durchgeführt und anschließend transkribiert. Die Transkriptionen wurden mittels Codegruppen und Codes geclustert und mit Erläuterungen zu den einzelnen Codes ergänzt. Diese Cluster ermöglichen es, Zusammenhänge, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Antworten aufzuzeigen. Darauffolgend wurden die Daten ausgewertet und mit dem theoretischen Know-how aus der Literatur aufbereitet.

9.4 Ergebnisse der empirischen Erhebung

Die Forschungsergebnisse beziehen sich auf vier Teams der BigPlayer AG. Der Erkenntnisgewinn liegt in der Identifikation der Erfolgswirksamkeit der Agilität und des Growth Mindset der betrachteten Personen, Teams und dazu gehörigen Organisationseinheiten.

9.4.1 Begriffsauffassungen der Teams

Um herauszufinden, ob Teams, die agile Methoden verwenden, auch Agilität anders verstehen, wurden die Interviewten nach ihrem Verständnis der Begriffe agil bzw. Agilität befragt. Außerdem wurde untersucht, welche agilen Arbeitsmethoden den Teams bekannt sind und welche sie innerhalb der Teams oder der Organisation anwenden.
Hinsichtlich des Verständnisses von agil bzw. Agilität gaben sieben von acht befragten Personen unter anderem die Anpassungsfähigkeit an neue Marktgegebenheiten oder Kundenbedürfnisse an. Mit sechs Nennungen wurden die Begriffe flexibel und Flexibilität häufig mit agil oder Agilität gleichgesetzt. Zum Teil gab es einen Vergleich zu Wasserfallprojekten: Die Hauptunterschiede werden im geringeren Planungsaufwand sowie dem Setzen von kleineren Zielen im agilen Vorgehen gesehen. Zusätzlich bietet die Agilität eher die Möglichkeit, nicht oder schlecht funktionierende Lösungen zu verwerfen. Es wurde auch ein Zusammenhang mit der Organisationsstruktur thematisiert; durch flache Hierarchiestufen sowie kurze Entscheidungswege kann sich die Organisation schneller an neue Anforderungen anpassen.
Obschon sich alle Befragten darin einig waren, dass die BigPlayer AG in irgendeiner Form, in gewissen Bereichen oder Abteilungen agile Methoden anwendet, stellte die konkrete Benennung dieser Methoden, die aus der Theorie bekannt sind, eine Herausforderung dar: Während lediglich eine Person keine agilen Methoden benennen oder umschreiben konnte, konnten fünf Interviewte die Methode Scrum angeben. Teilweise wurde unter agilen Arbeitsmethoden ein pragmatischer Arbeitsansatz verstanden: Neue Herausforderungen, Ungewissheiten oder fehlendes Know-how werden im Team angesprochen, es werden zeitnah Ideen oder Lösungen gesammelt und eine sofortige Umsetzung angestrebt. Außerdem wurden agile Methoden mit einer direkten Kommunikation der Beteiligten ohne signifikante Hierarchiestufen assoziiert. Zusätzlich wurden eine agile Führung und Organisation vorausgesetzt, um diese Kommunikation durchführen zu können.
Wie schon in der Theorie, so lässt sich auch in der Praxis keine eindeutige Bedeutung oder Verwendung der Begriffe agil oder Agilität erkennen. Zum einen ist dies darauf zurückzuführen, dass die Befragten noch zu wenig theoretisches Wissen dazu erwerben oder keine praktische Erfahrung dazu aufbauen konnten. Zum anderen zeigt dies, dass agil oder Agilität mittlerweile als Schlagworte für viele Situationen, Einstellungen, Herausforderungen oder Methoden verwendet werden. Daher bleiben diese Begriffe stets in gewissem Maße unklar. Dennoch konnten einige Merkmale identifiziert werden, wie diese Termini in der Praxis verstanden werden:
  • Anpassungsfähigkeit an neue Marktgegebenheiten oder Kundenbedürfnisse,
  • Flexibilität: zeitnahe und schnelle Reaktionen/Lösungen,
  • angepasste Organisationsstrukturen: flache Hierarchiestufen und kurze Entscheidungswege,
  • Befähigung von Mitarbeitenden mit den richtigen Instrumenten,
  • geringerer Planungsaufwand/kürzere Planungsphasen,
  • Interesse und Offenheit für Neues: Horizonterweiterung.
    Es gibt demnach zwar keine einheitliche Definition von agil oder Agilität, aber praktisch alle Befragten hatten eine relative klare Vorstellung davon, was es für sie bedeutet.

9.4.2 Einschätzung der Agilität einzelner Arbeitsbereiche

Aus Managementsicht ist Agilität von großer Bedeutung. Es wurde deshalb untersucht, in welchen Bereichen der BigPlayer AG nach dem Verständnis der befragten Mitarbeitenden tatsächlich agil gearbeitet wird und welche Herausforderungen diese dabei feststellen. Hierzu wurden Fragen zur Einschätzung der Agilität des Arbeitsumfeldes und der Interviewten selbst gestellt. Die Selbsteinschätzung wurde um Fragen zum Umgang mit Veränderungen ergänzt. Abschließend wurden negative Aspekte der Agilität erfragt. Die Ergebnisse werden nach den einzelnen Teams aufgegliedert dargestellt.
Um das Agilitätsausmaß in den einzelnen Arbeitsbereichen aufzuzeigen, wurden die Antworten nach Merkmalen analysiert und bewertet. Dazu wurden die Merkmale in Spalte 1 der Tab. 9.3 Agilitätsanalyse Teams genauer betrachtet und den Aussagen Werte von 0 (für schwach, niedrig oder tief) bis 9 (für hoch, stark, sehr gut) zugeordnet. Hierzu wurden die Antworten der Befragten einzeln bewertet und ein Durchschnittswert als Teamwert und über alle anderen Interviewten gebildet. Daraus ergibt sich eine Agilitätseinstufung im Vergleich zu anderen Abteilungen (Tab. 9.3). Die Auswertung ist nicht repräsentativ, gibt jedoch erste Hinweise auf Muster in der Selbst- und Gruppenwahrnehmung der Mitarbeitenden.
Tab. 9.3
Analyse der vier Teams bezüglich Agilität (Skala: 0 = schwach ausgeprägt bis 9 = stark ausgeprägt). (Quelle: eigene Darstellung)
Merkmale
Wert Team BDZ
∅ Wert
Wert Team FAZ
∅ Wert
Wert Team FKS
∅ Wert
Wert Team NewTeam
∅ Wert
Wie agil ist das Arbeitsumfeld?
6,4
6,5
6,0
7,0
6,0
7,0
8,0
6,5
Wie agil ist die Arbeitstätigkeit?
4,0
6,5
6,0
6,0
7,0
6,0
7,0
6,0
Wie agil ist die befragte Person (Selbsteinschätzung)?
7,0
7,0
6,0
7,5
7,0
7,0
8,0
7,0
Wie offen steht die befragte Person Veränderungen gegenüber?
7,0
6,8
7,0
6,5
6,0
7,0
7,0
7,0
Ist die Bereitschaft für notwendige Veränderungen vorhanden?
7,0
6,7
7,0
6,0
6,0
6,5
6,0
7,0
Nennung positiver Auswirkungen der Agilität
5,0
5,8
6,0
5,5
4,0
6,0
7,0
5,0
Nennung negativer Auswirkungen der Agilität (wobei bei diesem Merkmal eine hohe Bewertung dafür spricht, dass wenige Einwände angebracht wurden)
6,0
6,0
7,0
6,0
4,0
7,0
7,0
6,0
Know-how zu agilen Methoden in der Praxis
1,0
5,0
3,0
4,0
3,0
4,0
8,0
2,0
Know-how zu agilen Methoden in der Theorie
4,0
7,0
5,0
7,0
8,0
6,0
8,0
6,0
Backoffice Dienstleistungen Zahlungsverkehr (BDZ)
Die Analyse des Teams Backoffice Dienstleistungen Zahlungsverkehr zeigt eine eher geringe Ausprägung der Agilität. Aufgrund der vorwiegend repetitiven Arbeitstätigkeit im Vergleich zu den Aufgaben der anderen Teams lässt sich der Unterschied beim Merkmal Einschätzung Arbeitstätigkeit gut ableiten. Dies ist zugleich für die Erklärung der Differenz beim Know-how agile Methoden/Praxis anzunehmen. In der BigPlayer AG wird vorwiegend in Projekten versucht, mit agilen Methoden zu arbeiten. Das Team hat jedoch kaum Berührungspunkte mit Projektarbeiten und daher auch keine Möglichkeit, sich praktisches Wissen dazu anzueignen. Theoretisches Wissen zu Agilität oder agilen Methoden ist zwar durch Weiterbildungen vorhanden, jedoch weniger ausgeprägt als bei den anderen Teams.
In der Regel sind Backofficemitarbeitende in keine Projekte involviert. Vielmehr werden ihnen Lösungen, Prozesse oder Anpassungen geliefert, die es umzusetzen gilt. Lediglich Teamleitende werden zum Teil am Rande mit einbezogen, wenn spezifisches Fachwissen zur Arbeitstätigkeit gefragt ist. Trotz der repetitiven Aufgaben schätzen sich die befragten Backofficemitarbeitenden als sehr agil ein. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Verständnis von Agilität mit Flexibilität gleichgesetzt wird: Dieses Team bearbeitet verschiedene Dienstleistungen und muss flexibel zwischen Dienstleistungen wechseln. Das ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass das Verständnis von Agilität mit Flexibilität gleichgesetzt wird: Dieses Team bearbeitet verschiedene Dienstleistungen und muss flexibel zwischen Dienstleistungen wechseln.
Fachsupport Abwicklung Zahlungsverkehr (FAZ)
Der Fachsupport Abwicklung Zahlungsverkehr steht Veränderungen durchschnittlich offener gegenüber als die drei anderen Teams. Zudem konnte dieses Team sowohl mehr positive als auch herausforderndere Aspekte bezüglich der Agilität nennen. Trotzdem sind das theoretische und das praktische Know-how zu agilen Methoden nur unterdurchschnittlich ausgeprägt. Das kann darauf zurückgeführt werden, dass lediglich ein Teil der Arbeitstätigkeit Projektarbeiten involviert. Die Aufgaben des Tagesgeschäftes sind weniger dynamisch und erfordern somit keine agilen Methoden zur Umsetzung der jeweiligen Tätigkeiten. Unterstützt wird der Wissensaufbau durch die verbreitete Bekanntmachung agiler Methoden bei der BigPlayer AG sowie individuellen Weiterbildungen. Im Vergleich zum Backoffice Dienstleistungen Zahlungsverkehr sind beide Werte (Einschätzung Arbeitstätigkeit und Know-how agile Methoden/Theorie) ausgeprägter. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Schnittstellenfunktionen vermehrt mit Abteilungen und Projekten im Austausch stehen, die agile Methoden anwenden.
Fachsupport Konto Services (FKS)
Im Vergleich mit den anderen drei Teams fällt beim Fachsupport Konto Services auf, dass das theoretische Wissen zu agilen Methoden stark ausgeprägt ist, obwohl die Bewertung der praktischen Erfahrungen sich im unteren Drittel befindet. Auch hier kann ein Rückschluss auf Weiterbildungen gemacht werden. Obschon die Einschätzung der Arbeitstätigkeit sowie die Selbsteinschätzung zu agilem Verhalten im oberen Drittel ausfällt, werden weniger positive Aspekte zur Agilität genannt. Im Zuge der Befragungen wurden oftmals Herausforderungen und Abhängigkeiten von technischen Schnittstellen betont, die eine agile Arbeit erschweren. Aufgrund dessen sind langwierige Abklärungen und Abstimmungen mit anderen Bereichen notwendig. Die Beschreibungen der Arbeitstätigkeiten sind nahezu identisch, dennoch ist die Offenheit gegenüber Veränderungen sowie die Offenheit gegenüber Agilität beim Fachsupport Konto Services anscheinend weniger ausgeprägt als beim Fachsupport Abwicklung Zahlungsverkehr.
NewTeam
In der Agilitätsanalyse zeichnet sich ab, dass das Arbeitsumfeld, die Arbeitstätigkeit sowie die Selbsteinschätzung des NewTeam-Teams als agiler angesehen werden als in den anderen untersuchten Teams. Dabei wird die Arbeitstätigkeit als weniger agil betrachtet als die zwei anderen Punkte. Dies hängt damit zusammen, dass neue Anforderungen o. Ä. nach der Scrum-Methode eingegeben werden und deren Umsetzung anhand einer Priorisierung des Product Owners erfolgt. Dennoch können einzelne betriebliche Teilschritte außerhalb dieser agilen Methode bearbeitet werden. Des Weiteren sind sowohl das theoretische als auch das praktische Wissen über agile Methoden ausgeprägter als in den anderen Teams. Diese Ergebnisse waren zu erwarten, zumal dieses Team die Scrum-Methode täglich anwendet. Beim Merkmal Offenheit für Veränderungen war auffällig, dass trotz der im Alltag angewandten agilen Methodik eine geringere Offenheit für Veränderungen wahrgenommen wurde als bei den anderen Teams.

9.4.2.1 Herausforderungen der Agilität

In der zweiten Teilfrage lassen sich beim agilen Arbeiten Herausforderungen für die Organisationen und ihre Angestellten erkennen. Agilität wird oftmals als etwas Positives wahrgenommen, das das Unternehmen BigPlayer AG benötigt, um im Markt weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Die Mitarbeitenden bringen die Bereitschaft auf, agil zu sein und zu arbeiten. Dennoch führt die Umsetzung der agilen Organisation zu Herausforderungen in der praktischen Anwendung. Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse, gruppiert nach Mensch und Kommunikation, Arbeitstätigkeit und Organisationsstruktur sowie Agilität und Arbeitsroutine:
Mensch und Kommunikation
  • Führung von Mitarbeitenden wird schwieriger.
  • Wesentliche, teamübergreifende Anpassungen müssen dennoch abgestimmt werden.
  • Fehlende Bereitschaft, (Führungs-)Macht abzugeben.
  • Diese führt zu Entscheidungsträgheit.
  • Diese wiederum kann eine Überforderung der Mitarbeitenden bedingen.
  • Es ist schwierig, das Gesamtbild zu sehen.
Arbeitstätigkeit und Organisationsstruktur
  • Organisationsstrukturen sind zu wenig anpassungsfähig für agile Teams.
  • Benötigt werden flache Hierarchiestufen: Diese Anpassung geht nicht schnell vonstatten.
  • Nicht für alle Arbeiten geeignet: für Projektarbeit vorteilhaft, für Tagesgeschäft nicht.
  • Technische Systemabhängigkeiten sind vorhanden: Es reicht nicht aus, wenn Mitarbeitende agil sind, Systeme/Applikationen jedoch nicht.
Agilität und Arbeitsroutine
  • Agilität bringt keine perfekten Lösungen mit sich und ist fehleranfällig.
  • Der Mensch muss sein Verhalten dem Agilen anpassen: dies ist nicht natürlich, da der Mensch dazu neigt, sich an den Status quo zu gewöhnen.
  • Arbeitstätigkeiten müssen täglich neu priorisiert und bearbeitet werden.
Diese empirischen Erkenntnisse zeigen den systemischen Charakter des angestrebten Wandels. Eine bloße Aneignung von Methoden oder Standards reichen nicht aus, um eine Organisation wirklich agil zu machen. Eine Kulturanpassung wird benötig, jedoch ist meist unklar, wie diese erfolgreich durchgeführt werden kann. Wichtig ist hierbei deshalb, die verschiedenen Stellschrauben zu priorisieren und gezielte Maßnahmen dafür zu definieren und das weitere Vorgehen davon abhängig zu machen, ob die Veränderungen in der Kultur förderlich sind oder nicht.

9.4.3 Welches Mindset zeigen die Befragten typischerweise?

Zur Beantwortung dieser Frage wurden in den Interviews unterschiedliche Themen wie Lernen, Fehlertoleranz, Offenheit für Neues, Erfahrungen und Jobveränderungen abgefragt.
Backoffice Dienstleistungen Zahlungsverkehr (BDZ)
Im Zusammenhang mit Lernen weist die befragte Person ein Growth Mindset aus. Das Lernen bereitet Freude und wird als etwas Positives wahrgenommen. Auch vertritt sie die Meinung, dass alle Menschen alles lernen können, sofern sie sich dafür interessieren und Zeit dafür investieren. Wird die Weiterbildungs- und Erfahrungskomponente betrachtet, sind die Aussagen eher dem Fixed Mindset zuzuordnen. Die Erfahrung wird stark auf das Fachwissen begrenzt, und als Weiterbildungsmöglichkeiten werden nur die klassischen Schulen in Betracht gezogen. Auch in Bezug auf Fehler können die Aussagen dem Fixed Mindset zugeordnet werden. Ziel ist es, fehlerfrei zu arbeiten. Erst wenn es zu Fehlern kommt, wird es als Lernmöglichkeit betrachtet. Werden die Aussagen betreffend Verantwortung der Jobveränderung betrachten, wird diese Aussage eher dem Fixed Mindset zugewiesen. Ähnlich wie bei den Fehlern kommen Aussagen, die eher dem Growth Mindset zuzuordnen sind, erst, nachdem das Ereignis eintritt. Vorher wird die Verantwortung beim Vorgesetzten gesehen. Bei der Frage nach Jobveränderungen ist ein Growth Mindset vorhanden. Es wird sich mit der Veränderung auseinandergesetzt und aktiv am Prozess beteiligt. Lediglich dann, wenn die persönlichen Kontakte betroffen sind, ist die Aussage eher dem Fixed Mindset zuzuordnen.
Beim zweiten Interviewpartner (BDZ) ist ein ausgeprägtes Growth Mindset in Bezug auf Lernen, Weiterbildungen und Erwartungen bei neuen Aufträgen vorhanden. Lernen wird als Lebensphilosophie in allen Alltagssituation verstanden, die einem ermöglicht, den Horizont grenzenlos zu erweitern, wenn die Motivation dafür da ist. Bei den restlichen Attributen zeigt sich ein Fixed Mindset, insbesondere beim Umgang mit Fehlern. Diese zu machen ist in Ordnung, solange es nur einmal passiert. Bevorzugt ist eine möglichst perfekte Arbeitsweise und nicht, Neues zu entdecken und zu innovieren. Auch beim Umgang mit Jobveränderungen ist eher ein Fixed Mindset sichtbar. Häufig können diese Fragen bei Veränderungen nicht konkret beantwortet werden, was dazu führt, dass es schwierig sein wird, diese im Detail zu verstehen und somit auch die Veränderung zu verstehen.
Fachsupport Abwicklung Zahlungsverkehr (FAZ)
Beim ersten Interviewpartner (FAZ) zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei der zweiten befragten Person BDZ. Ein Unterschied ist bei der Komponente Fehler festzumachen. Hier ist eine Entwicklung eines ursprünglichen Fixed Mindsets zu einem Growth Mindset zu sehen. Die Entwicklung führte dazu, dass Fehler als etwas Schlechtes angesehen wurden. Mit den Erfahrungen im Berufsalltag kam die Erkenntnis, dass Fehler zu machen wichtig ist, um weiterzukommen. Betreffend die Jobveränderung werden die Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten in die Hände von anderen gelegt, was für ein Fixed Mindset in diesem Bereich spricht. Eine eigenständige Weiterentwicklung in diesem Bereich wird dadurch erschwert bzw. von den Entscheidungen anderer abhängig gemacht.
Beim zweiten Interviewpartner (FAZ) finden sich beim Attribut Lernen sowohl Aussagen, die sowohl für ein Fixed Mindset sprechen als auch für ein Growth Mindset. Neues bringt offensichtlich eine gewisse Unsicherheit mit sich, was zu einem zurückhaltenden Verhalten demgegenüber führt. Hingegen können die Aussagen betreffend die Lerngrenze und Weiterbildungsmöglichkeiten eher einem Growth Mindset zugeordnet werden. Werden die Antworten zur Erfahrung und den Fehlern betrachtet, ist ganz klar ein Fixed Mindset zu sehen. Die Angst, Fehler zu begehen, ist spürbar, weshalb auch eine immense Bedeutung der Erfahrung zugeschrieben wird. Zudem weist auch dieser Proband (gleich wie das andere Teammitglied) die Verantwortung betreffend Jobveränderungen dem Unternehmen bzw. der Geschäftsleitung zu, was auch hier für ein Fixed Mindset spricht.
Fachsupport Konto Service (FKS)
Die qualitativen Antworten zum Thema Lernen werden beim ersten Interviewpartner (FKS) dem Growth Mindset zugeordnet. Die vorhandenen Grenzen beziehen sich auf das Interesse des Menschen und nicht auf die Begabungen. Die Antworten zur Weiterbildung werden eher dem Fixed Mindset zugeordnet, da diese lediglich das berufliche Weiterkommen einschließen. Sonstige Entwicklungsmöglichkeiten werden nicht berücksichtigt. Hingegen wird die Erfahrung wieder dem Growth Mindset zugeteilt, da diese auch kritisch und reflektiert betrachtet wird. Die Antworten zu den Erwartungen und Fehlern zeigen zum Teil in gegensätzliche Richtungen. Zum einen ist es der Anspruch, Aufgaben korrekt und fehlerfrei umzusetzen, und zum anderen deuten die Aussagen darauf hin, dass die Potenziale von Fehlern der Interviewten rational gesehen bewusst sind. Ebenfalls für ein Fixed Mindset spricht der Umgang mit Jobveränderungen, die häufig schwammig oder nicht bis ins letzte Detail geplant sind, weshalb es schwierig ist, die Veränderungen bis ins kleinste Detail zu verstehen.
Beim zweiten Interviewpartner (FKS) werden die Antworten zum Thema Lernen wie auch der Weiterbildung dem Fixed Mindset zugeordnet. Es wird davon ausgegangen, dass eine Person eine gewisse Begabung, Charaktereigenschaft oder Intelligenz benötigt, um bestimmte Sachen zu lernen oder sich weiterzubilden. Zudem wird davon ausgegangen, dass eine Weiterbildung nur notwendig ist, wenn es der Arbeitsmarkt verlangt. Spannend zu sehen, dass fast alle restlichen Antworten eher dem Growth Mindset zugewiesen werden können. Die Erfahrung wird nicht als Fachwissen angesehen, sondern vielmehr als Gut, welches einem hilft, gelassen an Aufgaben heranzugehen. Auch werden Fehler als Potenzial angesehen, zukünftig Dinge anders anzugehen. Beim Umgang mit Jobveränderungen ist schön zu sehen, dass sich der Mensch zunächst an einen Gedanken der Veränderung gewöhnen muss, bevor dieser als Chance wahrgenommen wird. Ebenfalls geht die befragte Person davon aus, dass Veränderungen einen Menschen fit und jung halten, weshalb es ihm einfacher fällt, sich auf Veränderungen einzulassen.
NewTeam
Lernen und Weiterbilden wird vom ersten Interviewpartner (NewTeam) als etwas Positives wahrgenommen. Die befragte Person ist offen für Neues und sieht neue Erfahrungen als Horizonterweiterung. Zudem wird unter Lernen nicht nur die schulische Ausbildung angesehen, was alles für ein Growth Mindset spricht. Dennoch steht diesen Aussagen die Aussage gegenüber, dass es doch auch Begabung braucht, um etwas lernen zu können. Dies würde eher einem Fixed Mindset entsprechen. Ebenfalls einem Fixed Mindset können die Aussagen betreffend Erfahrung zugewiesen werden, da diese doch wieder ein gewisses Fachwissen voraussetzen. Bei den Komponenten Erwartungen und Fehlerumgang ist wieder ein Growth Mindset ersichtlich. Die qualitativen Aussagen zeigen, dass es um die Auseinandersetzung der Aufträge geht, und dass Fehler als Potenzial für Innovation gesehen werden. Trotz dieser offenen Haltung wird bei Jobveränderungen wieder eher ein Fixed Mindset ersichtlich. Das Bedürfnis nach festen und klaren Strukturen offenbart sich.
Beim zweiten Interviewpartner (NewTeam) zeigt sich im Zusammenhang mit Lernen und Weiterbildungen ein Growth Mindset. Lernen und Wissen aneignen wird als etwas Lebenslängliches angesehen, was nicht nur auf dem schulischen Weg gewonnen werden kann. Beim Ausprobieren von neuen digitalen Inhalten bestätigt sich dieses Growth Mindset auch. Hingegen ist beim Ausprobieren von anderen nicht digitalen Inhalten eher ein Fixed Mindset festzustellen. Da stehen die potenziell negativen Konsequenzen im Vordergrund. Bei den drei darauffolgend betrachteten Aspekten weisen die qualitativen Antworten auf ein Fixed Mindset hin. Es geht vorwiegend darum, Fehler zu vermeiden. Dies ist sicherlich auch dem Alter beziehungsweise dem früheren Ausbildungs- und Lernsystem zuzuschreiben. Dies zeigt sich auch in den letzten zwei Antworten. Die Verantwortung wird nicht in der eigenen Handlung gesehen, sondern andere werden dafür verantwortlich gemacht.
Ungeachtet der Arbeitstätigkeit, des Arbeitsbereiches oder der Teamstruktur lassen sich bei allen Interviewten Züge eines Fixed Mindset und eines Growth Mindset feststellen. Je nach Kontext der Fragestellung war entweder das eine oder das andere Mindset angesprochen.

9.5 Diskussion

Nachfolgend werden die gewonnenen Erkenntnisse aus der qualitativen Forschung diskutiert und mit der zentralen Forschungsfrage „Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Growth Mindset und Agilität im Arbeitsumfeld?“ in Bezug gesetzt. Es werden wieder die drei Ebenen Mensch, Organisationsstruktur und Flexibilität betrachtet.
Agilität bzw. das agile Arbeiten führt zu Verunsicherungen. Dies wird zum Teil der fehlenden einheitlichen Definition dieses Begriffes zugeschrieben. Auf der anderen Seite bringt die Agilität neue Strukturen, neue Vorgehensweisen und eine neue Dynamik in die Arbeitsprozesse ein. Es ist spürbar, dass sich ein Wandel vollzieht; von diesem wird häufig in der BigPlayer AG gesprochen und auf die Relevanz des Wandels sowie den einer agilen Organisation hingewiesen. Dennoch scheint es für die Mitarbeitenden schwierig zu sein, diesen Wandel oder den Begriff agile Organisation klar festzumachen. Das zeigt sich in Äußerungen wie: „Man sollte die Veränderungen dem Mitarbeiter ausreichend verständlich übermitteln. Dass jeder versteht, wieso man das macht; was der Grund ist.“ Des Weiteren ist ersichtlich, dass die Mehrheit der Mitarbeitenden angemessen ausgebildet ist: Die Begriffe sind größtenteils bekannt, und theoretisches Grundwissen ist vorhanden. Dennoch liegt kaum praktische Erfahrung vor. Die hierarchischen, nach Fachwissen aufgebauten Strukturen verhindern einen vermehrten interdisziplinären Austausch zwischen den Abteilungen, obschon die Mitarbeitenden offen für einen stärkeren Austausch mit anderen Teams bzw. Bereichen wären. Ebenfalls stellen die technischen Abhängigkeiten eine wesentliche Herausforderung dar, die den Mitarbeitenden trotz potenziell vorhandener agiler Einstellungen ein agiles Arbeiten erschwert. Die Antworten der Befragten zeigen auf, dass sich die BigPlayer AG und ihre Teams in einem Umbruch befinden. Dies wird auch von der folgenden Aussage unterstrichen: „Ich denke, sehr populär aktuell ist das Vorgehen nach Kanban oder Scrum. Bei uns habe ich schon festgestellt, dass es manchmal auch so gewisse Mischformen sind. Ich denke, einem Agil-Coach dürfte man das so nicht wirklich unter die Nase halten. Also entweder sollte man nach Kanban oder nach Scrum arbeiten. Das ist in meinen Augen aber auch so eine Transformationsphase.“ Es zeigt sich, dass ein tiefgreifender Struktur-, Kultur- und Methodenwechsel eine gewisse Zeit benötigt. Die Übergangsphase kann dabei zu Unsicherheiten oder einer Abwehrhaltung der Mitarbeitenden führen. Dies erklärt die zum Teil zurückhaltenden Angaben hinsichtlich der Offenheit gegenüber Veränderungen und agilen Methoden. Dennoch sind alle Teams bestrebt, in ihren Möglichkeiten flexibel bei der Ausrichtung der Arbeitsfähigkeit zu sein, ungeachtet der Frage, ob eine entsprechende agile Arbeitsmethode benannt werden kann oder nicht.
Mensch und Kommunikation
Sowohl die Theorie wie auch die Praxis bestätigen, dass ein Mensch ein Fixed und ein Growth Mindset in sich trägt, das je nach Kontext zum Vorschein kommt. Mit der qualitativen Studie konnte eruiert werden, dass bei allen untersuchten Personen beim Attribut Verantwortung für Jobveränderung ein Fixed Mindset vorherrscht. Die Konsequenz daraus ist, dass die Interviewten die Verantwortung betreffend die Veränderung ihrer Arbeitstätigkeit in den Händen des Unternehmens, konkret der Geschäftsleitung oder Führungspersonen sehen. Dadurch entmündigen sich die Mitarbeitenden einerseits selbst, da sie die Tatsache als gegeben hinnehmen. Andererseits wird die Entscheidungsmacht der Führung überlassen, ungeachtet dessen, welches Mindset die Führungsperson mit sich bringt. Weiter konnte festgestellt werden, dass Lernen vermehrt als etwas angesehen wird, was in der Schule gemacht wird oder dann im privaten Rahmen weiter organisiert wird. Im Berufsalltag nimmt die Komponente Lernen einen geringeren Stellenwert ein, obschon die meisten klassischen Weiterbildungen gemacht werden, um einen Nutzen auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Arbeitstätigkeit und Organisationsstruktur
Bei traditionell hierarchischen Organisationsstrukturen ist vor allem im mittleren Management die Person mit dem größten Know-how bzw. Informationskapital oft an der Führungsspitze, ungeachtet dessen, ob Führungskompetenzen vorhanden sind oder nicht. Das Informationsungleichgewicht begründet das Anrecht auf eine Führungsposition. Durch die zunehmende Digitalisierung haben sich Mittel und Wege ergeben, Know-how, Wissen und Informationen anderweitig zu suchen, festzuhalten und zu transferieren. Daher stellt sich die Frage, ob es in Zeiten von Kollaborationsplattformen, Wikis und Suchmaschinen solche Organisationsstrukturen mit mittlerem Management noch braucht. Die Informationsgewinnung kann selbstständig durch die einzelnen Mitarbeitenden erbracht werden, zudem kann das digitale Wissen jederzeit wieder abgerufen und weiter übermittelt werden. Die vorliegende Studie zeigt eine Hybridlösung der traditionellen und agilen Organisationsstrukturen. Dies ermöglicht es der Abteilung, nach agilen Methoden zu arbeiten und dennoch den administrativen und organisatorischen Anforderungen der Unternehmensführung gerecht zu werden. Hierbei gibt es pro Stream eine fixe Führungsperson, die aufgrund ihrer Erfahrung gewählt wurde.
Die zugeordneten Teammitglieder haben eine Rolle, die ihren Kompetenzen und Fähigkeiten entsprechen. Auch bei dieser Lösung sollte die fixe Führungsposition kritisch hinterfragt werden. Der Vorteil agiler Organisationsstrukturen ist es, dass die Person das Zepter temporär übernimmt, die für eine bestimmte Anforderungen die besten Kompetenzen vorweisen kann. Dies bedeutet auch, dass das individuelle Risiko und die Verantwortung steigen. Dies kann bei dieser Hybridlösung nur im kleineren Rahmen geschehen beziehungsweise nur bis zur Führungsgrenze. Danach fällt die Organisation wieder in die traditionelle Organisationsstruktur zurück. Somit herrscht eine Pseudoagilität. Dennoch kann diese Hybridlösung in der Transformationsphase des Unternehmens ein wichtiger Schritt in Richtung Agilität bedeutet. Das Unternehmen kann im kleinen Rahmen testen, wie das Konzept der Agilität am besten auf das Unternehmen angewandt werden kann. Zudem bietet es vereinzelten Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich mit dem Wandel vertraut zu machen. Allerdings führt dieses Vorgehen bei vielen Mitarbeitenden zu Verunsicherung, und konkrete Handlungen sowie Informationen werden erwartet.
Agilität und Arbeitsroutine
Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass die Agilität des Unternehmens BigPlayer AG stark von technischen Kopplungen und bestehenden Organisationsstrukturen gebremst wird. Die Organisation versucht mit organisationalen Anpassungen und hybriden Organisationsstrukturen dem zweiten Punkt entgegenzusteuern. Dennoch beschäftigt der erste Punkt gerade die traditionellen Teams anscheinend stark. Dadurch, dass die technische Unabhängigkeit noch nicht gegeben ist, wirken agile Methoden praktisch kaum umsetzbar. Eine weitere Forschungserkenntnis ist, dass der interdisziplinäre Austausch durch die Mitarbeitenden gewünscht ist. Die starren Strukturen und das Silodenken bremsen oder behindern diesen Austausch. Zudem wurde ersichtlich, dass trotz der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten der physische Kontakt als außerordentlich wichtig gesehen wird, um gewisse Systemgrenzen zu durchbrechen und den Austausch zu fördern. Je größer ein Unternehmen ist, desto schwieriger wird es daher, auf die einzelnen Bedürfnisse einzugehen und die Zusammenhänge noch zu erkennen.
Aufgrund der oben genannten Erläuterungen kann eine Abhängigkeit zwischen Growth Mindset und Agilität im Arbeitsumfeld festgemacht werden. Es ist ersichtlich, dass ein ausgeprägteres Growth Mindset die Weiterentwicklungsmöglichkeiten begünstigt. Auch das Konzept der Agilität befasst sich stark mit Weiterentwicklung und Anpassungsfähigkeit. Beides kann im aktuellen Zeitalter von Vorteil sein oder wird sogar explizit gefordert. Dennoch ist im Arbeitsumfeld kein direkter Zusammenhang zwischen einem Growth Mindset und der ausgeübten Arbeitstätigkeit oder der Teamzugehörigkeit ersichtlich. Das Mindset ist kontextabhängig, und agile Methoden können zwar gelernt und auch angewendet werden. Dies heißt jedoch nicht, dass durch eine angewandte agile Arbeitsmethode auch das Mindset der Person einem agilen bzw. Growth Mindset entspricht. Die Diskrepanz zeigt sich in der Team- und Unternehmenskultur und letztlich auch in der Produktivität und Arbeitszufriedenheit der einzelnen Mitarbeitenden. Für Unternehmen, die einen Wandel in Richtung Agilität anstreben, sind deshalb Maßnahmen zu der gezielten Förderung sinnvoll.

9.6 Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich aufgrund der vorliegenden Studie ableiten, um Agilität und ein Growth Mindset im Arbeitsumfeld zu fördern und so die Resilienz des Unternehmens zu stärken.
Mensch und Kommunikation: ein lernendes Mindset fördern
  • Kontextabhängigkeit des Mindsets berücksichtigen. Unternehmen sollten verstehen, dass das Mindset eines Menschen kontextabhängig ist. Entsprechend sollten für geplante Anpassungen der Organisationsstrukturen, des Arbeitsumfeldes oder des Arbeitsinhaltes auch der Mensch und sein typisches Mindset darin berücksichtigt werden. Es gilt also, gezielt Kontexte zu untersuchen, die von vielen Mitarbeitenden und Vorgesetzten bisher eher mit einem Fixed Mindset in Verbindung gebracht werden, und diese sichtbar anders zu gestalten und Verhalten im Sinne eines Growth Mindsets zu fördern bzw. als Vorgesetzte mit gutem Beispiel voranzugehen.
  • Arbeitsplatz als Lernumgebung. Der Arbeitsplatz wird generell zur Ausübung der Arbeitstätigkeit und zum Aufbau von Fachwissen gesehen. Entscheidend ist jedoch, dass der Arbeitsplatz auch als Lernumgebung wahrgenommen wird. So besteht die Möglichkeit der Weiterentwicklung in verschiedene Richtungen. Mindsets lassen sich einüben und gezielt verstärken, was bisher jedoch wenig genutzt wird.
Arbeitstätigkeit und Organisationsstruktur: schlank halten und Freiräume schaffen
  • Adaptive Strukturen. Unter adaptiven Strukturen wird verstanden, dass einerseits klare Organisationsstrukturen zur Orientierung vorhanden sind. Andererseits sollen diese Strukturen Entscheidungsfreiräume und Kreativität ermöglichen, damit das Unternehmen flexibel bleibt. Mitarbeitende sollten sich ihrer Entscheidungsräume bewusst sein.
  • Abläufe und Entscheidungsprozesse minimieren. Die vorhandenen Abläufe führen zu langwierigen Absprachen, Entscheidungen über mehrere Ebenen und die Zielerreichung, individuelle Lösungen werden erschwert. Die digitale Transformation unterstützt die Optimierung von Prozessen, viele können zu großen Teilen oder vollständig automatisiert werden. Dafür sind jedoch häufig Investitionen und eine End-to-End-Betrachtung von Prozessen nötig.
  • Mittlere Führungsebene reduzieren. Aufgrund der vorhandenen Informationsmöglichkeiten wird die mittlere Führungsebene in vielen Bereichen als nicht mehr zwingend notwendig angesehen. Dies bedingt, dass den Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung und ein größerer Entscheidungsspielraum übertragen wird. Mit den entsprechenden Entscheidungsfreiräumen und der Aufhebung von Informationsungleichgewichten lassen sich mittlere Führungsebenen stark abbauen.
Agilität und Arbeitsroutine: punktueller Austausch und Führung stärken
  • Mitarbeitenden Vernetzungsmöglichkeiten bieten. Der Austausch untereinander wird bei einem Unternehmen dieser Größe und so vielen Abhängigkeiten als essenziell angesehen. Durch das Silogebilde wird eine vertikale Vernetzung nicht gefördert. Daher sollten zugängliche Plattformen und physische Austauschmöglichkeiten geschaffen werden. Diese Austauschmöglichkeiten sollten formeller und informeller Natur sein.
  • Fach- und Führungskompetenzen trennen. Ein großes Fachwissen allein bedeutet nicht, dass auch Führungskompetenzen vorhanden sind. Der aktuelle Wandel und die vorherrschende Dynamik werden verstärkt anpassungsfähige Führungskompetenzen verlangen, welche situationsabhängig eingesetzt werden können. Somit verlagert sich der Schwerpunkt von Fach- zu Führungswissen, weshalb diese Rollen klar zu trennen sind. Gleichzeitig sollte im Sinne der Agilität klar sein, dass Führung nicht gleichbedeutend mit starkem Hierarchiegefälle sein muss, sondern zur Ausrichtung des Teams und Pflege einer agilen Teamkultur dienen sollte.
In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung von Agilität und Growth Mindset, insbesondere in der digitalen Transformation, werden immer mehr Unternehmen sich im Rahmen der Organisations- und Personalentwicklung mit diesen Themen auseinandersetzen müssen. Neue Produkte, Prozesse oder Methoden sind wichtige Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Allerdings bleibt gerade in einem Umfeld mit erhöhter Informationstransparenz und Wirkmächtigkeit der Faktor Mensch zentral. Die Förderung von bevorzugten Denkweisen von Mitarbeitenden ist deshalb eine essenzielle Führungsaufgabe zur Stärkung der organisatorischen Resilienz.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Kann ein Growth Mindset die Agilität im Unternehmen erhöhen?
verfasst von
Marina Dujmovic-Bracak
Deane Harder
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36022-1_9

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