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16.04.2024 | Kleb- und Dichttechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Kleben soll sich als Fügetechnik im Schiffbau etablieren

verfasst von: Thomas Siebel

4:30 Min. Lesedauer

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Im Schiffbau ist Schweißen als Fügetechnik gesetzt. Doch Beispiele aus Forschung und Industrie zeigen, dass die Klebtechnik an Bedeutung gewinnt. Standardisierte Prozesse und Know-how-Aufbau sollen die Entwicklung antreiben.

Fügen im Schiffbau ­bedeutet in den meisten Fällen: Es geht um Schweißtechnik. "Bei der maritimen Branche handelt es sich [...] traditionell um einen durch die Schweißtechnik geprägten, relativ konservativen Industriezweig." So beschreiben es Linda Fröck vom Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik IGP und Matthias Krause vom Center of Maritime Technologies in einem Beitrag in der Adhäsion 11/2023. Doch es kommt etwas in Bewegung: Mit dem Einzug von glasfaserverstärkten Kunststoffen im Schiffbau und der verstärkten Ausrichtung deutscher Werften auf Kreuzfahrt- und Spezialschiffe sowie Megayachten anstelle von Containerschiffen gewinnt auch die Klebtechnik im Schiffbau an Bedeutung.

Für die Befestigung von Fensterscheiben in Schiffen hat sich das Kleben bereits etabliert. Auch in der Befestigung von Verkleidungen und Möbeln, für Fundamentierungen im Maschinenraum sowie für Halterungen von Rohren und Leitungen kommt auf Schiffen Klebstoff zum Einsatz.

Lasttragende Strukturen bislang kaum geklebt

Das Kleben von lastübertragenden Verbindungen ist derzeit allerdings noch Gegenstand von Forschungsprojekten, wie Peipei Wang vom Deutschen Maritimen Zentrum (DMZ) schreibt. Allerdings wachse gerade hier der Bedarf: "Seitens der Werften besteht der Wunsch nach einem höheren Anteil lastübertragender Klebverbindungen an den Herstellungsprozessen, damit diese flexibler gestaltet werden können." Einige Eigenschaften von Klebverbindungen könnten sich dabei durchaus als vorteilhaft gegenüber etablierten Fügeverfahren wie Schweißen, Schrauben und Nieten erweisen.

Vorteile von Klebverbindungen

Unterschiedliche Materialien fügbar

Vibrations- und schalldämpfend

Flexibel anwendbar wegen kalter Verarbeitung

Toleranzausgleichend

Korrosionsbeständig

Kurze Fertigungszeit

Flächige Kraftübertragung

Geringes Gewicht

Hohe Designfreiheit


DIN-Norm für Kleben im Schiffbau in Arbeit

Für einen breiteren Einsatz im Schiffbau bedarf es allerdings einheitlicher Standards und Prozesse sowie ausgebildetem Personal in Konstruktion und Entwicklung. Aktuell arbeitet das DMZ gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Normung an einer DIN-Norm zum Kleben im Schiffbau. Sie soll bis Ende 2024 ausgearbeitet sein und dann als weltweit erste umfassende Qualitätssicherungsnorm für den Schiffbau auf Deutsch und Englisch veröffentlicht werden. So soll sie nationalen und internationaler Anwenderbetriebe beim Einsatz der Klebtechnik unterstützen.

Bedeutend für die Akzeptanz der Fügetechnik sind daneben allerdings auch erfolgreiche und werftfähige Anwendungsbeispiele. Linda Fröck und Matthias Krause berichten von mehreren vielversprechenden Projektergebnissen, beispielsweise zum klebtechnischen Fügen von Rohleitungen unter Wasser mit einer zweigeteilten Injektions-Rohrmuffe, dem Anbringen von Halterungen unter Wasser und dem Anbringen eines Deckshauses in Faserverbundbauweise auf einem Schiffskörper aus Stahl.

Hochsee-Schiffsantrieben zügig repariert

Frank Steegmanns vom Unternehmen Stockmeier erläutert zudem, wie Polyurethan bereits heute im größeren Maßstab für den Bau von Kabinen für Kreuzfahrtschiffe eingesetzt wird. Die Module bestehen aus Aluminiumwänden mit innenliegenden, geklebten Lagen aus Mineralwolle.

Auch zu Reparaturzwecken kommen Kleb- und Dichtstoffe bereits zum Einsatz, wie Holger Lüftering vom Unternehmen Weicon darlegt. Zweikomponentige Epoxidharzklebstoffe eignen sich Lüftering zufolge insbesondere für notwendige Reparaturen, die kurzfristig durchgeführt werden müssen. Zum Einsatz kommt dabei sogenannter Plastik-Stahl – ein Harz, das mit Aluminiumpulver oder mineralischen Füllstoffen angereichert wird und sich anschließend bohren, fräsen, schleifen oder feilen lässt. Zudem hält der Werkstoff extremen Belastungen wie dem Kontakt mit Salzwasser oder salzhaltiger Luft dauerhaft stand.

Als Anwendungsbeispiel nennt Lüfering eine korrodierte Rudergelenkwelle, die von Rost befreit und gereinigt wurde, bevor das Epoxidharz-System aufgetragen wurde, während die Welle langsam rotierte. Ein weiteres Beispiel ist die Neubeschichtung dreier von Kavitation und Aufwuchs beschädigten Propellern berichtet Lüftering, die innerhalb kürzester Zeit wieder für den Einsatz auf hoher See ertüchtigt wurden. Auch beschädigte Propellerwellen und Schiffsantriebswellen lassen sich mithilfe von Plastik-Stahl zügig instand setzen.

Noch kein Durchbruch der Klebtechnik im Schiffbau

An Prüfverfahren für strukturellen Verklebungen im Schiffbau forscht unter anderem das Fraunhofer IPG. Besonders kritisch sind laut Christopher Wald dabei Fehlstellen in der Adhäsionszone – also der Haftungsverlust zu den Substraten ­– und Volumenfehler in der Kohäsionszone. Zwar besteht ein breites Arsenal an Messverfahren für die zerstörungsfreie Prüfung von Klebverbindungen, Wald beschränkte sich allerdings auf die Schwingungsanalyse – mit Impulshammer und Beschleunigungssensor – und die Röntgendiagnostik, da sie auch unter vertretbarem Prüfauwand auf Schiffen und in Werften anwendbar sind. Wolf kam zu dem Ergebnis, dass sich nur die Schwingungsanalyse sowohl Einschlüsse und Einschnürungen als auch Adhäsionsfehler detektieren kann.

Trotz der erfolgreichen Anwendungen sehen Linda Fröck und Matthias Krause noch keinen Durchbruch der Klebtechnik im Schiffbau. "Davon kann erst gesprochen werden, wenn diese Technik genauso effizient, vielseitig und zuverlässig eingesetzt werden kann wie etwa das Schweißen." Die möglichen Leichtbaueffekte würden erst dann erzielt, wenn auch Strukturelemente im großen Umfang geklebt werden. Dafür bedürfe es unter anderem flexibler und automatisierter Geräte und Prozesse. Angesichts der derzeit laufenden Forschungsarbeiten zeigen sich Fröck und Krause aber zuversichtlich: "Es wird erwartet, dass beim Kleben im Schiffbau nicht nur ein neuer Qualitätsstandard erreicht wird, sondern dass auch das Vertrauen in die Wirtschaftlichkeit dieser Technik und ihr Beitrag zur Nachhaltigkeit stark wachsen werden."

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