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2002 | Buch

Koalitionen in West- und Osteuropa

herausgegeben von: Dr. phil. Sabine Kropp, Dr. rer. pol. Suzanne S. Schüttemeyer, Dr. phil. Roland Sturm

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Koalitionen in West- und Osteuropa. Theoretische Überlegungen und Systematisierung des Vergleichs
Zusammenfassung
Seit den frühen sechziger Jahren bildet die Koalitionsforschung einen eigenständigen Zweig der Vergleichenden Regierungslehre, der mittlerweile eine beachtliche Anzahl an politikwissenschaftlichen Veröffentlichungen hervorgebracht hat1. Dabei richtete die Koalitionsanalyse ihren Blick anfangs fast ausschließlich auf Fragen der Koalitionsbildung und blendete damit das breite Feld der Koalitionspolitik aus. Seit den siebziger Jahren traten Studien zur Koalitionsstabilität hinzu, ebenso Versuche, die Ursachen der Auflösung von Regierungsbündnissen zu systematisieren. Das Regierungshandeln von Koalitionen, die schwierigen Fragen der Konfliktschlichtung und Konsensbildung und damit einhergehende Aushandlungsprozesse in unterschiedlichen Politikbereichen (policies),wurden hingegen so gut wie nicht untersucht2. Außerdem fällt auf, dass die Koalitionsforschung bis heute regional weitgehend auf den Raum westeuropäischer Demokratien bezogen blieb, obwohl sich seit den demokratischen Umbrüchen in Osteuropa3 aber gerade durch die Einbeziehung dieser politischen Systeme neue Forschungsperspektiven eröffnen.
Sabine Kropp, Suzanne S. Schüttemeyer, Roland Sturm
Koalitionen in Deutschland: Flexibilität informellen Regierens
Zusammenfassung
Entgegen verbreiteten Vorstellungen ist Deutschland schon in der Vergangenheit ein Land gewesen, dessen Regierungen sich auf Koalitionen unterschiedlicher politischer Kräfte stützten und dementsprechend Kompromisspolitik betrieben. Zwar handelte es sich im Kaiserreich um obrigkeitliche Regierungen, die — außer in den Hansestädten — von den jeweiligen Fürsten ein- und abgesetzt wurden. Auch konnte gegen den Bundesrat, gebildet aus Vertretern der einzelstaatlichen Regierungen, kein Gesetz zustande kommen. Aber: Für positive gesetzgeberische Entscheidungen, nicht zuletzt für die Verabschiedung der Haushalte, benötigte jeder Reichskanzler jedoch Mehrheiten im demokratisch gewählten Reichstag. Dort verfügte nie eine Partei allein über eine Mehrheit. Gewiss konnte man auch mit Mehrheiten von Fall zu Fall regieren, doch war dies wenig komfortabel und erschwerte konsistente Politikergebnisse. So überwogen Zeiten, in denen sich Reichskanzler auf parlamentarische Koalitionen stützten. Trotz aller Weltanschaulichkeit und Prinzipien-Rhetorik ihrer Parteien sind die Deutschen also früh in politische Kooperation und Kompromisse eingewöhnt worden.
Wolfgang Rudzio
Koalitionen in Österreich: Keine westeuropäische Normalität
Zusammenfassung
Seit der Wiedererrichtung der Republik 1945 sind in Österreichs politischem System drei Phasen der Regierungskonstellation auszumachen1:
(1)
1945 bis 1966 bildeten die beiden dominanten Großparteien ÖVP (Österreichische Volkspartei) und SPÖ (Sozialistische Partei Österreichs, seit 1991 Sozialdemokratische Partei Österreichs) gemeinsam eine „Große Koalition“, an der sich bis 1947 auch noch die KPO (Kommunistische Partei Österreichs) beteiligte (Allparteien- oder Konzentrationsregierung).
 
(2)
1966 bis 1983 regierte zunächst die ÖVP (bis 1970), dann die SPÖ allein. In diese Phase der Alleinregierungen fällt auch die Minderheitsregierung der SPÖ (1970 bis 1971), in der die Regierung sich auf eine parlamentarische Duldungsabsprache mit der FPO (Freiheitliche Partei Osterreichs) stützen konnte. Die Alleinregierungen bis 1970 und ab 1971 bauten auf den absoluten Mehrheiten der jeweiligen Regierungspartei im Nationalrat.
 
(3)
Ab 1983, als Ergebnis des Verlustes der absoluten Mehrheit der SPÖ, setzte eine zweite Phase koalitionären Regierens ein — zunächst, bis Ende 1986, als „Kleine Koalition“ (minimum winning coalition) zwischen SPÖ und FPO, dann bis Januar 2000 als „Große Koalition“ zwischen SPÖ und OVP, ab Februar 2000 als minimal winning coalition zwischen FPO und OVP.
 
Anton Pelinka
Die Vier-Parteien-Koalition in der Schweiz: Gründe für extreme Regierungsstabilität
Zusammenfassung
Die Schweiz weist außerordentlich stabile Regierungskoalitionen auf. Der Bundesrat, die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes, wird im Anschluss an jede Nationalratswahl von der Vereinigten Bundesversammlung, gebildet aus Nationalrat (200 Mitglieder) und Ständerat (46 Mitglieder), gewählt. Die Regierung besteht aus sieben Mitgliedern, arbeitet nach dem Kollegialitätsprinzip und ist während einer Legislaturperiode nicht abwählbar. Der Bundespräsident wird für die Dauer eines Jahres von der Bundesversammlung aus dem Kreis der Bundesratsmitglieder gewählt, die Wiederwahl für das kommende Jahr oder die anschließende Wahl als Vizepräsident ist unzulässig. Dies erleichtert die Rotation des Amtes. Es gibt keinen Regierungschef. Der Präsident führt als primus inter pares den Vorsitz im Bundesrat, er hat weder die Richtlinienkompetenz, noch kann er die anderen Bundesratsmitglieder auswählen oder entlassen.
Klaus Armingeon
Koalitionen in Belgien und in den Niederlanden: Spiegel des Wandels von Konkordanz- zu moderaten Konsensdemokratien
Zusammenfassung
Die neunziger Jahre brachten erhebliche Veränderungen für die politischen Kräfteverhältnisse in Belgien und den Niederlanden mit sich. So erhielt die bis dahin stärkste Partei der Niederlande, die Christen Demokratisch Appel (CDA), bei den Wahlen von 1994 lediglich 22,4 Prozent der Wählerstimmen, was einen Verlust von mehr als 13 Prozentpunkten gegenüber dem Ergebnis von 1989 bedeutete. In der Konsequenz kam es erstmalig zur Bildung einer Koalition ohne die CDA. Fünf Jahre später erlebte die belgische Christdemokratie eine ähnliche Niederlage. Auch sie war infolge des für sie unerfreulichen Wahlergebnisses von lediglich 20 Prozent der Stimmen zum ersten Mal seit 1958 nicht an der Regierungskoalition beteiligt1. Für Belgien und die Niederlande kommen diese Veränderungen einem Bruch mit der Vergangenheit gleich, da beide Länder bis dahin als typische Beispiele für die auf der Integration der politischen Hauptströmungen durch Koalitionsbildung beruhende Konkordanzdemokratie (consociational democracy) galten.2
Hans Keman
Koalitionen in der V. Republik Frankreichs: Stabile Mehrheiten unter Exekutivdominanz
Zusammenfassung
Die Strukturen und Eigenheiten des politischen Systems prägen in erheblichem Maße die Bildung von Regierungskoalitionen und deren Handeln in der V. Republik Frankreichs. Besonders hervorzuheben sind die politischen Institutionen, deren rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Grundlagen und der Wettbewerbscharakter des Parteiensystems. Als weitere wichtige Einflussfaktoren für den Prozess der Koalitionsbildung und für das Handeln der Koalitionsakteure sind das romanische Mehrheitswahlrecht1, die Präsidentialisierung des politischen Systems, die nicht unerheblich aus diesen beiden Faktoren hervorgehende Dominanz der Mehrheitsregel2 und der rationalisierte Parlamentarismus3 zu nennen.
Uwe Jun
Koalitionen in Italien: Frenetischer K(r)ampf im Netz der Parteiinteressen
Zusammenfassung
Im Bereich der Koalitionsforschung ist Italien eines der am meisten studierten Beispiele. Das über Jahrzehnte relativ stabile Mehrparteiensystem drängte sich lange Zeit für Fallstudien geradezu auf, da es eine hinreichende und dennoch übersichtliche Zahl von gleichbleibenden Akteuren bot1. Seit dem politischen Umbruch der Jahre 1992/93, der im Gefolge einer Serie von Korruptionsskandalen und einer durch Referendum erzwungenen Wahlreform zu einem weitgehenden Strukturwandel des Parteiensystems und zum Austausch der wichtigsten Akteure geführt hat, gilt diese Bedingung nur noch eingeschränkt2.
Peter Weber
Koalitionen in Finnland und Schweden: Fortbestand der Unterschiede trotz Angleichung der Systeme
Zusammenfassung
Der Begriff „Konsensdemokratie“ wird in der Politikwissenschaft unterschiedlich definiert. Arend Lijphart beispielsweise nutzt ihn in Fortschreibung seines Konzepts der consociational democracy zur Kennzeichnung bestimmter institutioneller Arrangements, die es insbesondere in Ländern mit tiefen ethnischen und religiösen Konfliktlinien erlauben, die knappe Ressource „Konsens“ für die Prozesse der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung zu mobilisieren. Für Lijphart bezieht sich die Rede von der Konsensdemokratie damit ausdrücklich „not to culture but to structure“.1 Diesem Beitrag liegt ein anderes, weil auf die politische Kultur der untersuchten Länder abzielendes Begriffsverständnis zu Grunde. Unter diesem Aspekt jedenfalls ist völlig unstrittig, dass Schweden als Konsensdemokratie einzustufen ist: Politische Ausgewogenheit, Verhandlung, Integration und das Vorherrschen eines pragmatischen Konsenses sind die Schlüsselbegriffe, die in der Analyse der schwedischen Politik, gleich durch welchen Autor, immer wieder auftauchen.2 Bernd Henningsen hat seiner eingehenden Untersuchung der politischen Kultur Schwedens nicht zufällig den Begriff samförstånd zugrunde gelegt. Samförstånd bedeutet Verständigung, Einvernehmen, Übereinstimmung über die grundlegenden Werte und Ziele des Gemeinwesens über die Parteigrenzen hinweg.3
Heinrich Pehle
Koalitionen in Dänemark und Norwegen: Minderheitsregierungen als Normalfall
Zusammenfassung
Die skandinavischen politischen Systeme werden insgesamt nicht nur als relativ ähnlich angesehen1, sondern Dänemark und Norwegen weisen auch gemeinsame Traditionen auf, die zu gleichartigen politischen Institutionen und Prozessen geführt haben.2 Folglich ist der Vergleich des Koalitionshandelns in Dänemark und Norwegen im Bereich des most similar systems design angesiedelt. Beide Länder gestatten einen Einblick in das Regierungs- und Koalitionsverhalten unter den Bedingungen von Minderheitsregierungen.3 Wenngleich diese in der deutschen Politikwissenschaft überwiegend als Ausnahme betrachtet werden, die nur in Krisensituationen kurzfristig akzeptabel ist, zeigt sich im internationalen Vergleich, dass Minderheitsregierungen eine etablierte Regierungsform in Westeuropa darstellen.4
Detlef Jahn
Koalitionen in Ungarn und Polen: Mehr Eliten- als Parteienkonkurrenz?
Zusammenfassung
Die Koalitionsforschung zu Mittel- und Osteuropa ist bisher wenig ausgeprägt. Vor allem in den westlichen Sprachgemeinschaften ist bisher kaum empirisches Material gesammelt und ausgewertet worden1. Zwar gehörten Parteien und Parteiensysteme sowie Wahlen und Wahlsysteme zu den ersten Themen, die (neben wirtschaftspolitischen Fragen) von der Transformationsforschung aufgegriffen wurden; auch wurde die materielle Politikproduktion schnell und zeitbegleitend beleuchtet. Das Zustandekommen, die Funktionsweise, die innere Logik und Kohärenz von Koalitionsregierungen — bis auf wenige Ausnahmen die gängige Variante in Ostmitteleuropa — gerieten aber kaum je in den Fokus sozialwissenschaftlicher Analyse. Wenn Koalitionen in das Blickfeld der Forschung rückten, dann vor allem weil sie auseinander gebrochen waren. Doch auch hier waren die Arbeiten mehr tagespolitische Deskription denn systematische Analyse und selten länderübergreifend vergleichend angelegt.
Jürgen Dieringer
Koalitionen in den baltischen Staaten: Lehrstücke für die Bedeutung funktionierender Parteien
Zusammenfassung
Die drei baltischen Staaten, Estland, Lettland und Litauen, gelten aufgrund ihrer Geschichte und Geographie als eine homogene Subregion des postkommunistischen Osteuropa. Sie konnten ihre staatliche Unabhängigkeit nach dem gescheiterten Coup d’État gegen Michail Gorbatchov im August und September 1991 wiederherstellen und wurden damit zum Vorbild für andere sezessionswillige Sowjetrepubliken. Die baltischen Staaten waren auch die einzigen Territorien der Sowjetunion, die auf eine Periode unabhängiger, demokratischer Staatlichkeit in der Zwischenkriegszeit zurückblicken konnten. Trotz dieser vergleichbaren Ausgangsposition haben sich die baltischen Demokratien über die neunziger Jahre hinweg aber erheblich auseinanderentwickelt und sehr ungleiche Parteiensysteme, Koalitions- und Stabilitätsmuster hervorgebracht. Auch wenn — selbst im regionalen osteuropäischen Vergleich — die drei baltischen Staaten von den relativ instabilsten Regierungen und Koalitionsbündnissen regiert werden, zeigt eine Analyse der Tiefenstruktur politischer Dynamik, dass in Estland und Lettland auch wechselnde Regierungskoalitionen einen relativ hohen Grad an pragmatisch-politischer Kontinuität aufweisen. In Litauen dagegen, das vordergründig das höchste Maß an parteiensystemischer Stabilität erreichte, entstand ein bipolares Parteiensystem, welches — weiterhin durch den Gegensatz von Post-Kommunisten und Reformkräften gekennzeichnet — zu alternierenden Regierungsmehrheiten führte und so stärkere Affinitäten zur Konstellation im übrigen Osteuropa entwickelte.1
Guido Tiemann, Detlef Jahn
Koalitionen in Albanien, Bulgarien und Rumänien: Überwindung des régime divide mit Hindernissen
Zusammenfassung
Mit dem Ende der staatssozialistischen Regime (1989/1990) sind in Albanien, Bulgarien und Rumänien kompetitive Parteiensysteme entstanden. Der neue politische Wettbewerb ist auch in Südosteuropa Teil eines umfassenden Demokratisierungsprozesses, wenngleich die Transformation an sich in mehrfacher Hinsicht anders verlief als in anderen postsozialistischen Ländern. Ein wesentlicher Unterschied besteht in dem langsamen Machtverlust der Kommunisten.1 Im Gegensatz zu den meisten postkommunistischen Ländern wurden hier die Zielsetzungen und die ersten Schritte der politischen und ökonomischen Transformation maßgeblich von den Nachfolgeparteien der ehemaligen Staatsparteien getragen und gestaltet. Insofern sind diese Parteien als die dominanten Akteure der ersten Transformationsphase zu bezeichnen, was sich auch in deren überwältigenden Wahlerfolgen manifestierte. Ihre herausragende Stellung innerhalb der Parteiensysteme sowie die neu entstandene Konkurrenz mit den anderen Parteien unterschiedlichster Couleur waren für die Struktur des politischen Wettbewerbs prägend.
Dorothée de Nève
Backmatter
Metadaten
Titel
Koalitionen in West- und Osteuropa
herausgegeben von
Dr. phil. Sabine Kropp
Dr. rer. pol. Suzanne S. Schüttemeyer
Dr. phil. Roland Sturm
Copyright-Jahr
2002
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-10487-2
Print ISBN
978-3-8100-3176-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-10487-2