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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

Kritik der Kritischen Gerontologie

verfasst von : Ludwig Amrhein

Erschienen in: “Successful Aging”?

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die Ansätze der Kritischen Gerontologie üben eine oft scharfe Kritik an den Leitbildern des erfolgreichen, aktiven und produktiven Alterns. In diesem Beitrag wird zum einen diskutiert, auf welchen theoretischen Prämissen und Gegenwartsdiagnosen die Kritik der jeweiligen Ansätze beruht, zum anderen werden die normativen, oft nur impliziten Maßstäbe dieser Kritik selbst einer kritischen Befragung unterzogen. Es zeigt sich, dass zwar alle Ansätze auf die Emanzipation und Autonomie älterer und alter Menschen ausgerichtet sind, aber im Detail darunter oft sehr Unterschiedliches verstehen.

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Fußnoten
1
Statt ‚erfolgreiches Altern‘ bevorzuge ich den Ausdruck ‚gutes Altern‘, da dieser nicht den naturalistischen Fehlschluss, das Gute empirisch auf Erfolg, Gesundheit oder Nützlichkeit zu reduzieren, nahelegt.
 
2
Zur Geschichte der Kritischen Gerontologie siehe Schroeter (2021). Um die eigene Darstellung nicht mit Namensnennungen zu überfrachten, verweise ich auf diesen Beitrag und die weiteren Darstellungen in Aner und Schroeter (2021). Dort werden alle wichtigen Autorinnen und Autoren der einzelnen Strömungen genannt.
 
3
Mit der Einteilung in die genannten fünf Ansätze folge ich weitgehend der Typisierung von van Dyk (2020), schließe aber wie Amann und Kolland (2014, S. 19 f.) die postmodernen Positionen der Kulturellen Gerontologie mit ein, auch wenn diese nicht mehr die neomarxistischen Prämissen der Politischen Ökonomie des Alterns teilen. Anders als Amann und Kolland (2014) sowie Doheny und Jones (2021) betrachte ich Lebenslaufansätze nicht per se als kritisch. Sie sind es nur dann, wenn sie die Reproduktion und Kumulation von sozialen Benachteiligungen und Ungleichheiten im Lebensverlauf einschließlich der sie verursachenden gesellschaftlichen Mechanismen untersuchen. In diesem Fall zähle ich sie zur Politischen Ökonomie des Alterns im weitesten Sinn.
 
4
Ideologien sind nach Jaeggi und Celikates (2017, S. 102) falsche bzw. irreführende Überzeugungssysteme, die soziale Konflikte und Herrschaftsverhältnisse verschleiern und so zur Reproduktion der herrschenden Ordnung beitragen. Ideologiekritik richtet sich damit gegen die Naturalisierung sozialer Probleme und Ungleichheiten, die Verschleierung und Legitimierung kritikwürdiger Zustände, die Universalisierung von Partikularinteressen und die rationalisierende Rechtfertigung der Herrschaft durch die Beherrschten selbst (Jaeggi & Celikates, 2017, S. 105 f.)
 
5
Die Behauptung der Kritischen Gerontologie, dass es einen (unkritischen, positivistischen) gerontologischen Mainstream gebe, kann auch als strategisches Othering betrachtet werden, das die Selbstidentifizierung als kritisch überhaupt erst ermöglicht (Marshall, 2009, S. 652).
 
6
Auch Doheny und Jones (2021) unterscheiden zwischen diesen drei Formen, bezeichnen sie aber als transzendente, immanente und immanent-transzendente Kritik.
 
7
Da es sich hier um eine knappe Skizze handelt, kann das nur selektiv, idealtypisch zugespitzt und ohne Berücksichtigung der historischen Entwicklung und inneren Differenziertheit der jeweiligen Ansätze, einschließlich ihrer Querverbindungen zueinander, geschehen; auch die deutschsprachige Diskussion kann in diesem Rahmen kaum berücksichtigt werden (siehe dazu van Dyk, 2020, S. 58–96 und die Beiträge in Aner & Schroeter, 2021).
 
8
Kollewe (2021) zieht die Kulturelle Gerontologie mit den Aging Studies unter dem Begriff ‚Kulturwissenschaftliche Perspektiven‘ zusammen. Ich sehe die Aging Studies dagegen als ein übergreifendes Paradigma, das im Zuge des Cultural Turn neben der kulturellen auch die humanistische, narrative und foucaultsche Gerontologie zu integrieren versucht und dabei vor allem eine poststrukturalistisch-dekonstruktivistische Agenda verfolgt.
 
9
Für Moody (1993, S. xxxii) gehören Kulturelle und Narrative Gerontologie zur Humanistischen Gerontologie. Da die Humanistische Gerontologie im Gegensatz zur eher sozialwissenschaftlichen Orientierung der Kulturellen und Narrativen Gerontologie primär geisteswissenschaftlich, und im Falle von Moody auch philosophisch-normativ, ausgerichtet ist, trenne ich diese im Detail doch sehr unterschiedlichen drei Strömungen, insbesondere da sie sich auch deutlich in ihrem Kritikverständnis unterscheiden.
 
10
Die Definition von Baltes und Baltes (1994), wonach sich Gerontologie mit der „Beschreibung, Erklärung und Modifikation von (…) Aspekten des Alterns und des Alters“ (S. 8) beschäftige, formuliert exakt dieses technisch-instrumentelle Erkenntnisinteresse.
 
11
Indem Foucault auch die europäische Aufklärung als kontingente Diskursformation ansieht, dekonstruiert er damit ebenso das universalistisch-humanistische Autonomieideal vernunftgeleiteter Subjekte.
 
12
Neuere poststrukturalistische Ansätze erweitern die Foucaultsche Gerontologie um eine dekonstruktivistische und postkoloniale Kritik an hierarchisch-binären Alterskategorisierungen (alt/jung, Drittes/Viertes Alter) und am Othering des Alters. Hier ergeben sich emanzipatorische Perspektiven eines subversiven Queerings von hegemonialen Altersnormen (van Dyk, 2020, S. 173) und eines ‚Anders Altern‘, das die Andersartigkeit und Widerständigkeit des Alters betont (Zimmermann, 2020). Für einen Vergleich des poststrukturalistischen Ansatzes van Dyks mit der Politischen Ökonomie des Alterns von Phillipson siehe Amrhein, 2018, S. 228–230.
 
13
Keiner der Ansätze verortet die soziale Konstruktion des Alter(n)s gleichgewichtig auf allen gesellschaftlichen Ebenen (also materiell, institutionell, kulturell, interaktional und individuell), wodurch diese auch nicht systematisch zwischen Structure und Agency vermitteln können (vgl. Amrhein, 2013, 2018). Am ehesten der Fall ist das noch in den kulturgerontologischen Arbeiten von Gilleard und Higgs (2005), die kulturalistisch und sozialstrukturell argumentieren und sich dabei auf das Feld- und Habituskonzept von Bourdieu beziehen.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Kritik der Kritischen Gerontologie
verfasst von
Ludwig Amrhein
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41465-8_14

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