Skip to main content

1994 | Buch

Umweltschutz und Staatsversagen

Eine materielle Regierbarkeitsanalyse

verfasst von: Frank Decker

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Einleitung
Zusammenfassung
Die Rede vom “Staats- oder Politikversagen” im Umweltschutz hat mittlerweile sprichwörtlichen Charakter. In keinem anderen Politikfeld scheint die Kluft zwischen Herausforderung und Bewältigung, Problemlage und Problemlösung, Handlungsansätzen und tatsächlicher Handlungspraxis so groß wie hier. Dies liegt nicht in erster Linie daran, daß es an Erkenntnissen mangelte, wie eine umweltverträgliche Gestaltung der modernen Industriegesellschaft aussehen und auf welchem Wege man dorthin gelangen könnte — das Wissen hierüber nimmt, bei aller bleibenden Unsicherheit im Blick auf die Komplexität ökologischer Wirkungszusammenhänge, ständig zu. Allein, so muß man sagen, fehlt es der Umweltpolitik offensichtlich an politischer Durchsetzungsfähigkeit und Durchschlagskraft, und es läßt sich zeigen, daß diese Erscheinung größtenteils eine spezifische ist; sie fällt — mit anderen Worten — im Bereich des Umweltschutzes stärker ins Gewicht als in anderen Politikbereichen.
Frank Decker

Konzeptioneller Aufriss

I. Politologische Bezugspunkte des Regierbarkeitsthemas
Zusammenfassung
Ein gängiger Einwand gegenüber der als “Policy-Analyse” apostrophierten Forschungsrichtung der Politikwissenschaft lautet, daß sie die ureigenen Fragestellungen der Disziplin vernachlässige und in ihrem Rahmen “Probleme von Macht, Herrschaft und Legitimität nicht mehr oder nur noch technisch verkürzt ins Blickfeld geraten” (Murswieck 1988: 172; zur grundsätzlichen Kritik Greven 1985). In der Tat wird nicht jedwede Betrachtung von Politik-Inhalten oder Policies — beide Begriffe lassen sich synonym verwenden — auf eine im strengen Sinne politologische Analyse hinauslaufen. Teile der Forschung verfolgen eine handfeste Beratungsabsicht, um Entscheidungsgrundlagen für die politische Praxis zu gewinnen (indem man z.B. Handlungsinstrumente unter Wirksamkeits- oder Effizienzgesichtspunkten “evaluiert”; vgl. Windhoff-Héritier 1987: 20; Schubert 1991: 199 f.). Daß die sich daraus ergebenden Empfehlungen fragwürdig bleiben müssen, wenn sie das genuin politische Problem der “Machbarkeit” übergehen oder aus dem Auge verlieren, zeigt aber bereits, wo die besondere Kompetenz der Politikwissenschaft gefordert ist: bei den Fragen nach Macht, Einfluß, Interessen u.a.
Frank Decker
II. Bestandteile politikwissenschaftlicher Policy-Theorie
Zusammenfassung
Anders als im klassischen Kontext der Staats- und Demokratietheorie hat das Problem der Normativität in der Selbstreflexion politikwissenschaftlicher Policy-Forschung — zumindest in der deutschsprachigen Diskussion — bis heute nur eine untergeordnete Rolle gespielt22. Dies ist insofern verwunderlich, als es die Policy-Analyse in der Betrachtung verschiedener politischer Sachbereiche zumeist ganz explizit mit Zielen, Programmen, Normen u.ä. zu tun hat, Vorgaben also, die immer (auch) auf wertmäßigen Präferenzen beruhen. Daß eine Scheu existiert, diese zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Betrachtung zu machen, ist freilich verständlich: Normative Präferenzen lassen sich ermitteln, aus der Erkenntnis der “eigentlichen” Interessen und Bedürfnisse von Menschen logisch deduzieren, nicht aber im strengen Sinne wissenschaftlich beweisen; ihre “Wahrheit” oder “Richtigkeit” bleibt am Ende metaphysischer Natur. Gleichwohl wäre es abwegig, diese Erkenntnis schon zum Ausweis einer insgesamt werterelativistischen Position machen zu wollen. Vielmehr gilt — und auf diese Feststellung kommt es hier zunächst an -, “daß die Relativität der Werte gerade ihre relative (vergleichende) Abwägung verlangt. Daher ist es durchaus möglich, Präferenzen zu begründen.
Frank Decker

Umweltschutz Als Politikfeld

I. Materiell-normative Grundlegung
Zusammenfassung
Eine Begründung dafür, weshalb sich der Staat bzw. die Politik bei der Lösung umweltpolitischer Probleme so schwer tut, darf nicht erst auf der programmatischen oder Handlungsebene ansetzen; Umweltschutz ist primär keine technische, sondern eine normative Angelegenheit, eine Frage des “Wollens” und “Sollens”, deren handlungspraktische Seite erst dann relevant wird, wenn die eigentlich handlungsleitenden Werte und Ziele der Politik festliegen. Von daher scheint es durchaus angebracht, das “Versagen” der Umweltschutzpolitik zunächst einmal grundsätzlich darauf zurückzuführen, daß der entsprechende Bewußtseinsstand hinter dem als notwendig Erkennbaren zurückbleibt (vgl. Meyer-Abich 1989: 4 ff.). Verwiesen ist damit auf das Grundproblem des fehlenden positiven Konsenses in der Ökologiefrage, was den Umweltschutz in seiner praktischen Konsequenz über den Status quo kaum hinauskommen läßt. Von den Daele (1991: 30) bezeichnet dies als das spezifische Legitimationsproblem einer ökologischen Politik:
“Die Gesellschaftssteuerung des Wohlfahrtsstaates war bei allen Kontroversen im Detail durch eine gemeinsame Wertungsgrundlage getragen, die Dahrendorf als ‘sozialdemokratischen Konsens’ gekennzeichnet hat. Für die Politik der ökologischen Vorsorge und der technischen Sicherheit fehlt ein Analogon. Es gibt keinen Konsens darüber, wie die Erhaltung der Umwelt zu sichern ist, wie Verantwortung für zukünftige Generationen einzulösen ist und wie wir uns zu den Risiken neuer Techniken und den von ihnen ausgehenden Umwälzungen unserer Lebensverhältnisse stellen sollen.”
Frank Decker
II. Policy-orientierte Analyse
Zusammenfassung
Damit wendet sich der Blick wieder zurück zum eigentlichen Problem der Regierbarkeit. Was oben als prinzipielles Dilemma einer ökologischen Politik apostrophiert wurde — das Auseinanderklaffen von abstrakter und konkreter Konsensperspektive -, macht die in-strumentelle Auslegung des Verursachergrundsatzes noch einmal deutlich: Der allgemein geteilten Überzeugung, daß Kosten und Preise auch in ökologischer Hinsicht “die Wahrheit sagen müssen” (E.U. v. Weizsäcker), sind, zumindest in der bisherigen Praxis, Maßnahmen einer entsprechenden Anwendung des Verursacherprinzips kaum gefolgt, wie überhaupt von einer wirklichen Internalisie-rungsstrategie der heutigen Umweltpolitik nicht gesprochen werden kann. Zwar gibt es — u.a. auch im Ordnungsrecht — durchaus Ansätze für ökonomisch flexiblere Lösungen (vgl. Hartkopf/Bohne 1983: 195 f.; BMU 1986: 24 f.), doch steht der Einsatz des marktwirtschaftlichen Instruments auf breiter Front weiterhin aus — der Kontrast zwischen vorhandener Einsicht und tatsächlichem Handeln könnte an diesem Punkt kaum größer sein.
Frank Decker
Backmatter
Metadaten
Titel
Umweltschutz und Staatsversagen
verfasst von
Frank Decker
Copyright-Jahr
1994
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-95987-4
Print ISBN
978-3-8100-1267-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-95987-4