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2014 | Buch

Grenzen der Bildinterpretation

herausgegeben von: Michael R. Müller, Jürgen Raab, Hans-Georg Soeffner

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Buchreihe : Wissen, Kommunikation und Gesellschaft

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Über dieses Buch

Für die visuelle Kommunikation und für das bildmedial vermittelte Wissen gilt wie für jegliche menschliche Kommunikation und wie für jedes historisch-gesellschaftliche Wissen: Wer kommuniziert und Wissen hervorbringt, weitergibt und deutet, trifft auf die Dialektik von Wissen und Nichtwissen, von Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit, von Evidenz und Täuschung. Die Beiträge des Bandes erörtern diese komplexen Ambivalenzen des Wissens. Sie stellen sich den spezifischen Herausforderungen der Analyse ikonischer Kommunikation und ikonischen Wissens und sondieren in theologischer, kunsthistorischer, medienwissenschaftlicher und wissenssoziologischer Perspektive die methodologischen Probleme und methodischen Grenzen der Bildinterpretation.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Zur Einleitung

Frontmatter
Der Denkstil der Grenze
Zusammenfassung
Wissenssoziologisches Denken hat sich schon immer zwischen zwei Polen bewegt: den Dispositionen der menschlichen › Natur ‹ und ihres evolutionären Erbes einerseits und dem Verstehen und Erklären der Kulturbedeutung menschlichen Handelns,Wissens und Produzierens andererseits. Bis zum Aufstieg der visuellen Kultur der Moderne, mit ihren Sehschulen der zentralperspektivischen Malerei und sich aus ihr entwickelnden Fotografie, dem Film, Fernsehen, Video und Internet, standen die visuellen Erkenntnisformen des Menschen und seine bildlichen Vorstellungsweisen von sich und der Lebenswelt noch weitgehend in unmittelbarer Verbindung mit den natürlichen Anlagen und Grenzen seiner Körperlichkeit. Doch die technologisch-medialen Simulatoren und Stimulatoren verfeinern und überhöhen immer umfassender, was kulturell und sozial immer schon ausgebildet ist. So erfährt die anthropologische Disposition Sehen historische, kulturelle und soziale Ausprägungen, die in verschiedenen Medien unterschiedliche Ausdrucksgestalten annehmen, dort als symbolische Formen › festgestellt ‹ sind und sich mit ihrer Rekursivität und Diskursivität der wissenssoziologischen Auslegung aufdrängen.
Michael R. Müller, Jürgen Raab, Hans-Georg Soeffner

I. (Un-)Übersetzbarkeit

Frontmatter
Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache
Zusammenfassung
Der alte Name der Ekphrasis, mehr als zwei Jahrtausende im Gebrauch, lässt an einer Gleichung zwischen der Sprache und den Bildern keinerlei Zweifel aufkommen. Als rhetorische Disziplin oder literarische Gattung zeugt die Ekphrasis von der Bildkraft der Sprache und von ihrer Fähigkeit, Bilder zu erzählen (vgl. Graf 1995, Halsall 1992). Sie gesellt sich anderen kulturellen Phänomenen hinzu, welche Synthesen zwischen verschiedenen Sinnesleistungen ausmünzen, wie das Schauspiel, die Oper, der Tanz u. a. Die lange und verwickelte Geschichte der Ekphrasis beweist, dass das treffende Wort gefunden wurde, so sehr sich zwischen Homers Schild des Achilleus, den spätrömischen Eikones des Philostrat, byzantinischen Ekphrasen, Vasaris Rückgriffen und Erneuerungen und der kunsthistorischen Bildbeschreibung bei Winckelmann, Burckhardt oder Panofsky Wandlungen der Funktion und der Struktur eingestellt haben. Bis ins 20.
Gottfried Boehm
Text und Bild: eine komplexe Beziehungsgeschichte
Anmerkungen eines Theologen
Zusammenfassung
Der folgende Beitrag versteht sich als theologischer, der der Frage nach dem Verhältnis von Text und Bild im Bereich theologischer Hermeneutik nachgehen möchte. Dies verlangt nach einer interdisziplinären und transdisziplinären Reflexion. Dieses Verhältnis zeigt sich, in theologischer Perspektive, als ein komplexes, das sich in historischen Konfliktfällen je neu situiert. Das Spannungsverhältnis beider Größen kennt mehrere Epoche machende Zäsuren, die im Folgenden vorgestellt und erörtert werden sollen. In fünf Schritten soll dem Spannungsverhältnis von Text und Bild im Kontext christlicher Theologie und seiner Rezeptionsgeschichte nachgegangen werden: (1.) das Selbstverständnis der christlichen Religion und die Frage nach dem Bild, (2.) der Bilderstreit in der Alten Kirche, (3.) die Bilderfrage in der Reformation, (4.) das Verhältnis Text und Bild in der zeitgenössischen Theologie und schließlich zur Illustration des Gesagten (5.) die Serie » Heilandsgesichter « von Alexej Jawlensky.
Wolfgang W. Müller
Zen und der » kategorische Konjunktiv «
Zusammenfassung
Beim Sprechen über Körperempfindungen, Gefühle, Gerüche, Musik, Bilder erfahren wir zwangsläufig immer wieder unsere Unfähigkeit, sinnliche Eindrücke adäquat in sprachlichen Ausdruck zu › übersetzen ‹. Auch die eigene Stimme oder die anderer Sprecher können wir zwar hören, aber in ihrer Materialität und stimmlichen Eigenart › sprachlich ‹ nur oberflächlich beschreiben: Selbst die gesprochene Sprache entzieht sich also in einigen Bereichen einer angemessenen, im Nachhinein entfalteten, sprachlichen Fassung. Aus dieser Erfahrung folgt, dass Sprachtheorie immer auch Sprachkritik sein muss.
Hans-Georg Soeffner

II. (Nicht-)Indexikalität

Frontmatter
Conan Doyle, Visual History und das Indizienparadigma
Elfenfotografien als historische Spuren
Zusammenfassung
Die noch junge Disziplin der Visual History entstand in etwa zeitgleich mit der Wiederentdeckung der Spur in der Philosophie und der Kulturwissenschaft. Für beide ist eine Orientierung am indexikalischen Zeichen wesentlich, das in der Tradition von Peirce nicht nur eine Materialität im Sinne eines Abdrucks, einer physischen Spur oder eines visuellen Zeichens garantiert, sondern auch die Ausbildung einer regelrechten Wissenskunst erfordert, die die visuellen Spuren wieder zum Sprechen bringt und sie so als Quellen zu nutzen versteht. Einige der bedeutenden Beiträge der Visual History, wie etwa Georges Didi-Hubermans Buch » Bilder trotz allem « (2007), das bekanntlich vier in den Krematorien in Auschwitz aufgenommene Fotografien zum Gegenstand hat, nehmen nicht nur Extremfälle visueller Darstellung in den Blick, um zugleich Grundfragen der Bildinterpretation zu diskutieren, sondern verstehen sich auch explizit als Verteidigung des indexikalischen Charakters fotografischer Bilder.
Bernd Stiegler
Verwischte Gesichter. Grenzen der Interpretation automatisch erzeugter Bilder
Zusammenfassung
Automatisch erstellte Bilder beleben zusehends die gesellschaftliche Wirklichkeit: visuelle Formen, Lebensformen vielleicht, die entstehen, wenn technische Installationen autark mit unterschiedlichen Realitäten interagieren, ohne auf einem intentionalen Bildakt zu beruhen. Von optischen Systemen selbständig erzeugt, registrieren sie Bestehendes, interpretieren Reales. Sie interferieren mit der vertrauten visuellen Welt, formen eine eigene Version von Wirklichkeit, angesichts derer die gängigen Kommunikations- und Interpretationsmodelle an ihre Grenzen stoßen. Es entstehen fremd erscheinende Evidenzen, die gleichzeitig eine eigentümliche Faszination ausüben. Das untenstehende Bild (Abb. 1) resultiert aus einem solchen automatischen Bildgebungs-Prozess, wie ihn Google Street View, die umfassende fotografischen Kartographierung von Städten, initiiert. Das Bild zeigt eine Frau, den Kopf der Kamera zugewandt.
Felix Keller
Offenheit – Kontingenz – Grenze ? Interpretation einer Porträtfotografie
Zusammenfassung
Die Interpretation von Porträts steht vor spezifischen Herausforderungen, insbesondere wenn sie – wie in meinem Vorhaben – durch eine Segmentanalyse (Breckner 2010, 2012) angeleitet sein will. Die Segmentanalyse basiert auf der Annahme, dass Bilder aus Gestaltbildungsprozessen hervorgehen, in denen verschiedene Bedeutungselemente – ich nenne sie Segmente – in spezifischer Weise eine visuelle Ausdrucks- und Sinngestalt bilden und umgekehrt, verschiedene Bildsegmente erst in Bezug auf eine Gesamtgestalt als Bedeutungselement identifizierbar sind. Kann dieses Prinzip auch auf die Interpretation eines Gesichtes in einem Fotoporträt übertragen werden ? Bilden auch in einem Gesicht verschiedene Elemente eine Gesamtgestalt und umgekehrt, gewinnen einzelne Gesichtsteile erst aus der Gesamtgestalt ihre spezifische Form und auch Bedeutung ? Und wenn ja, welche Elemente wären dies: Augen, Nase, Ohren, Mund – also physisch bestimmte Einheiten ? Die Kriminalistik operiert mit diesen und anderen Gesichtselementen und ihren spezifischen Zusammenstellungen, um Porträts von Personen zu deren Wiedererkennung zu (re-)konstruieren.
Roswitha Breckner
Tatortbilder in der Fallanalyse
Zusammenfassung
Der Beitrag wirft einen Blick auf die fallanalytische Tätigkeit, wie sie bei den Spezialdienststellen der deutschen Polizei zur Operativen Fallanalyse (OFA) angewendet wird. Für die Profession der Operativen Fallanalyse sind der Umgang mit Nicht-Wissen und damit systematisches Interpretieren konstitutiv (Dern/ Dern 2011). Dieser Blick auf die fallanalytische Tätigkeit der OFA-Dienststellen kann – insofern er der Interpretation von Tatortbildern gilt – lediglich ein Blitzlicht sein. Dies vor allem auch deshalb, weil es eine umfassende fallanalytische Begründungslehre (vgl. Brisach 1992, Oevermann et al. 1994), die die Interpretation von Bildmaterial schlüssig in ein ebenfalls schlüssiges Gesamtkonzept einfügen würde, derzeit nur in Teilen gibt. Hierzu tragen unterschiedliche Ursachen bei: Zunächst verbleiben theoretische Beschreibungen, auch solche vom Zuschnitt einer Begründungslehre, letztlich immer theoretisch, und es stellt sich die Frage, in welchem Rahmen eine Begründungslehre der Profession der Operativen Fallanalyse, der sie dienen soll, nutzen kann.
Harald Dern

III. (De-)Kontextualisierung

Frontmatter
Am Abgrund des Gesichts
Über medienkünstlerische Horrorszenarien
Zusammenfassung
Das Gesicht ist – zumindest in einer auf Individualisierung und Distanzierung basierenden abendländischen Kultur – das pathetische Medium schlechthin. Die sozio- anthropologische Bedeutsamkeit des Gesichts hat bekanntlich dazu geführt, dass sich historisch ein Verstärkermilieu aus sich gegenseitig bedingenden Verhaltens- und Beobachtungsstrategien entwickelt hat. Das Gesicht als Kommunikationsmittel, als Objekt der biologischen Kennung, der schützenden, verstellenden Maskierung oder der idealisierenden Bearbeitung, das Antlitz als Münze ethischer Wertung, die Visage als rassistische Grundform, das spiegelbildliche Interface als Medium » intimer Exzentrik « (Sloterdijk 1998: 207), aus der jenes Ich erwächst, das unsere Rede über Identität stützt – all dies hat mittlerweile zu einer nicht mehr überblickbaren Diskursvielfalt geführt, die das System der kulturell und historisch sich wandelnden Semantiken zu ergründen sucht und die Hochwertform Gesicht ein zweites Mal bestätigt.
Gunnar Schmidt
Die Produktivität der Grenze – Das Einzelbild zwischen Rahmung und Kontext
Zusammenfassung
Sozialwissenschaftliche Interpretationen von Einzelbildern stoßen in ihrer Deutungsarbeit unausweichlich auf eine Grenze, die gerade weil sie offensichtlich ist, vernachlässigbar zu sein scheint: die Verfasstheit des Einzelbildes als Einzelbild. Die Auseinandersetzung mit dieser Grenze, mit den faktischen Rahmungen und den wandelbaren Kontexten von Einzelbildern also, stellt für die sozialwissenschaftliche Bildinterpretation nicht nur eine methodologische Herausforderung und eine methodische Aufgabe dar. Vielmehr bilden die Anschlussstellen von Rahmung und Kontext – so unsere Ausgangsüberlegung – die zentralen, daher gezielt aufzusuchenden und methodisch kontrolliert zu sondierenden und zu bearbeitenden Orte, sowohl für die Deutungsarbeit an Einzelbildern wie für die Produktivität hermeneutischen Verstehens überhaupt.
Michael R. Müller, Jürgen Raab
Zeigen ohne zu sagen. Zur Rhetorik des Fernsehbildes
Zusammenfassung
Die Rhetorik des Fernsehbildes teilt viele Charakteristika der allgemeinen Rhetorik des Bildes, dies aber auf eine durchaus besondere Weise. Davon wird mein Beitrag handeln. Ich gehe dabei von drei naheliegenden Parallelen zwischen dem allgemeinen Gestus von Bildern und dem des Fernsehbildes aus. Erstens: Für die Rhetorik (auch) des Fernsehbildes ist es kennzeichnend, dass es vieles zeigt, was weder in ihm noch über es gesagt wird. Zweitens: Was es jeweils zeigt, ist einer interpretativen Auslegung zugänglich, die freilich keinen Übersetzungsanspruch erheben kann. Jedoch steht – drittens – der innerbildliche Sinn (auch) jeweiliger Fernsehbilder in vielfältigen – sei es kontrastiven, sei es unterstützenden – Bezügen zu anderen Bildern und Bildformen, die oft schwer zu überschauen sind – und damit eine Grenze ihrer Interpretierbarkeit markieren.
Angela Keppler
Backmatter
Metadaten
Titel
Grenzen der Bildinterpretation
herausgegeben von
Michael R. Müller
Jürgen Raab
Hans-Georg Soeffner
Copyright-Jahr
2014
Electronic ISBN
978-3-658-03996-7
Print ISBN
978-3-658-03995-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-03996-7

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