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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

8. Empirische Erkenntnisse zu den Strukturen, Maßnahmen und Management der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

verfasst von : Sandra Binder-Tietz

Erschienen in: Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden aus interner Perspektive die Erkenntnisse aus den qualitativen Experteninterviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden, Investor-Relations- und Public-Relations-Verantwortlichen präsentiert. Dabei werden die Erkenntnisse zu den Strukturen der Kommunikation konzeptualisiert und Bandbreite an Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden vorgestellt. Auf dieser Basis wird gezeigt, inwiefern die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Kommunikationsmanagement verortet werden kann.
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden befindet sich im Wandel. Zunächst wurde im vorangegangenen Kapitel 7 aus externer Perspektive die empirischen Erkenntnisse zu den Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden präsentiert. Diese Anforderungen können als (unerkannte) Handlungsbedingungen einen Einfluss auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden haben. In diesem Kapitel werden nun die Ergebnisse aus interner Perspektive vorgestellt. Dafür wurden qualitative Experteninterviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden geführt, um die zentralen Akteure und ihre Handlungen untersuchen zu können. Dies wurde mit Gesprächen mit den Verantwortlichen für Investor Relations und Public Relations aus den jeweiligen Unternehmen komplementiert, da diese Expertise zum Kommunikationsmanagement haben (Abschnitt 6.​3). Die Ergebnisse, die die interne Perspektive auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zeigt, werden anhand der Forschungsfragen strukturiert.
Als Erstes werden in Abschnitt 8.1 die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden konzeptualisiert und die empirisch erhobene Bandbreite an Maßnahmen der ARV-Kommunikation dargestellt. Mithilfe des in Abschnitt 5.​4 entwickelten Analyserahmens werden die Strukturen nach Giddens in Regeln und Ressourcen differenziert. Zudem werden die in Abschnitt 5.​1 theoretisch vorgestellten Maßnahmen der ARV-Kommunikation empirisch überprüft und auf Basis der Expertengespräche um weitere Maßnahmen ergänzt. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt anhand der eingeführten relevanten Öffentlichkeitsarenen.
Daher werden zunächst die Strukturen und Maßnahmen der ARV-Kommunikation innerhalb des Unternehmens vorgestellt (Abschnitt 8.1.1). In der Corporate-Governance-Forschung wurde Aufsichtsratsvorsitzenden bisher keine kommunikative Rolle in das Unternehmen hinein zugeschrieben. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass es neben dem Austausch mit dem CEO weitere informelle, persönliche Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden gibt. Zudem wird gezeigt, dass die Kommunikationsfunktionen eine relevante Rolle einnehmen, um das Aufsichtsratsgremium mit qualitativen Informationen zu versorgen.
Anschließend werden die Strukturen und Maßnahmen der externen ARV-Kommunikation vorgestellt (Abschnitt 8.1.2). Als Erstes werden die empirischen Erkenntnisse zu den Publizitätspflichten des Aufsichtsrats dargestellt (Abschnitt 8.1.2.1), die schon seit langem im Rahmen der Regelkommunikation von Unternehmen umgesetzt werden. Dann folgen die Ergebnisse zum Dialog von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Akteuren der Kapitalmarktöffentlichkeit (Abschnitt 8.1.2.2), wobei hier zwischen dem Investorendialog nach dem DCGK und Stimmrechtsberatern als relevanten Intermediären differenziert wird. Im Anschluss werden die Strukturen und freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen mit Akteuren der gesellschaftspolitischen Arena vorgestellt (Abschnitt 8.1.2.3). Dabei werden Interviews und Hintergrundgespräche mit Medien zu Aufsichtsratsthemen sowie Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in Medien ohne Bezug zum Unternehmen thematisiert. Darüber hinaus wurden in den Experteninterviews, aber auch die Nutzung von persönlichen Social-Media-Kanälen durch Aufsichtsratsvorsitzende sowie in einem Fall der Dialog mit Kunden diskutiert. Schließlich wurden in den Interviews auch persönliche Gespräche als Kommunikationsmaßnahme der ARV-Kommunikation mit Politikern identifiziert (Abschnitt 8.1.2.4). Daher wird die parlamentarische Öffentlichkeit als weitere relevante Öffentlichkeitsarena für die ARV-Kommunikation eingeführt.
In einem Zwischenfazit werden dann die Erkenntnisse zu den Strukturen sowie die Bandbreite der Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden rekapituliert (Abschnitt 8.1.3). Dabei wird anhand der Ergebnisse gezeigt, mit welchen Anspruchsgruppen, wie oft und in welcher Form die ARV-Kommunikation stattfindet. Zudem konnten drei Handlungsmuster der ARV-Kommunikation abgeleitet werden, anhand derer die Kommunikationsmaßnahmen mit den Anspruchsgruppen gezeigt werden können. Dabei kann zwischen den (1) bisherigen Mindestanforderungen an die Kommunikation, (2) aktuelle Routinen der ARV-Kommunikation (Common Practices) sowie (3) der Weiterentwicklung von Strukturen und Maßnahmen der ARV-Kommunikation unterschieden werden.
Auf dieser Basis kann im Anschluss gezeigt und diskutiert werden, inwiefern die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Kommunikationsmanagement verortet werden kann (Abschnitt 8.2). Dafür soll zunächst geklärt werden, wer für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation verantwortlich ist. Daher wird in Abschnitt 8.2.1 als Erstes die Rolle der Investor-Relations- und Public-Relations-Abtteilung bei der ARV-Kommunikation anhand der empirischen Erkenntnisse aufgezeigt und kritisch diskutiert.
Die theoretischen Ausführungen zum Kommunikationsmanagement (Abschnitt 4.​2) haben gezeigt, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden anders charakterisiert werden muss, da sich die Ziele nicht wie im bisherigen Verständnis der Kommunikationsmanagement-Forschung aus der Unternehmensstrategie ableiten lassen. Aus den Aufgaben des Aufsichtsrats wurden daher theoretisch Ziele für die ARV-Kommunikation abgeleitet (Abschnitt 5.​2). In Abschnitt 8.2.2 werden diese Ziele mithilfe der empirischen Erkenntnisse überprüft sowie weitere Ziele anhand der Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation aufgezeigt.
Obwohl Aufsichtsratsvorsitzende als wichtige Kommunikatoren des Unternehmens verortet werden konnten (Abschnitt 4.​3.​3), wird anschließend anhand der empirischen Erkenntnisse für die fünf Phasen des Kommunikationsmanagements (Abschnitt 4.​2) gezeigt, dass es bisher kaum ein systematisches Kommunikationsmanagement für Aufsichtsratsvorsitzende gibt (Abschnitt 8.2.3). In Ergänzung dazu werden daher anhand der theoretischen Ausführungen aus normativer Sicht die Aspekte vorgestellt, die notwendig für ein umfassendes Kommunikationsmanagement wären.
Abschließend wird in einem Zwischenfazit für das Management der ARV-Kommunikation die Einführung einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat vorgeschlagen und diskutiert (Abschnitt 8.2.4). Die Kommunikationsordnung soll die Kompetenzen von Aufsichtsratsvorsitzenden, die Ressourcen für die Kommunikation sowie die Transparenzgrundsätze definieren. Sie würde damit eine optimale Ausgangsbasis für die Planung der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen.

8.1 Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Mithilfe des ersten Teils der strategischen Analyse der Handlungen sollen die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden konzeptualisiert sowie die Maßnahmen dargestellt werden. Die Corporate-Governance-Forschung hat sich bislang zwar mit den Aufgaben und Funktionen des Aufsichtsratsgremiums beschäftigt (Abschnitt 3.​2), die Strukturen für die Kommunikation des Gremiums bzw. von Aufsichtsratsvorsitzenden sind bisher jedoch nicht betrachtet worden. Zudem beschäftigt sich die Corporate-Governance-Forschung vor allem mit der Informationsversorgung des Aufsichtsrats sowie dessen Publizitätspflichten. Mit der Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK ist eine Kommunikationsmaßnahme der ARV-Kommunikation dazu gekommen, die auch einen Einfluss auf die Strukturen der Kommunikation haben kann. Die Forschungslücke hinsichtlich der Strukturen und Kommunikationsmaßnahmen der ARV-Kommunikation soll mithilfe der empirischen Erkenntnisse geschlossen werden. Das Wissen über die Strukturen und Maßnahmen der ARV-Kommunikation bilden zudem die Basis dafür, im nächsten Schritt die Kommunikation im Kommunikationsmanagement verorten und kritisch diskutieren zu können.
Für die Analyse der Strukturen wurde im theoretischen Teil dieser Arbeit ein Analyserahmen aus strukturationstheoretischer Perspektive entwickelt (Abschnitt 5.​4). Dabei wird zwischen Regeln und Ressourcen differenziert. Analytisch lassen sich Regeln der Konstitution von Sinn (Signifikation) und Regeln der Sanktionierung von Handeln (Legitimation) unterscheiden. Regeln der Konstitution von Sinn dienen als Grundlage für die Verständigung und Interpretation des Handelns. Darauf basierend kann das Handeln rationalisiert werden sowie eine spezifische Ordnung von Sinn und Bedeutung beschrieben werden (Röttger, 2010, S. 137). Dagegen beschreiben Regeln der Sanktionierung von Handeln, hier Normen genannt, welche Handlungen sozial erwartet, erlaubt und erwünscht sind, wobei eine Nichtbefolgung unterschiedlich stark sanktioniert werden kann. Ressourcen (Herrschaft) sind in der Realität höchst unterschiedlich verteilt und können das Handeln sowohl einschränken als auch ermöglichen. Es wird analytisch zwischen allokativen Ressourcen, also materiellen Aspekten einer sozialen Situation, und autoritativen Ressourcen, den Aspekten mithilfe derer Macht über andere Akteure ausgeübt wird, unterschieden (Kapitel 2). Die Dimensionen der Struktur können jedoch nur analytisch getrennt werden, in der konkreten Handlung müssen sie stets zusammen betrachtet werden. Sie helfen bei der empirischen Analyse dabei, die Strukturen der ARV-Kommunikation darzustellen. Im Mittelpunkt stehen die Strukturierungsmodalitäten, die die Struktur- und Handlungsebene miteinander verbinden und auf die sich Akteure individuell und situationsspezifisch beziehen. Die Strukturierungsmodalitäten für die drei Dimensionen Signifikation, Herrschaft und Legitimation wurden für die ARV-Kommunikation theoretisch hergeleitet.
Des Weiteren wurden in Abschnitt 5.​1 die Maßnahmen der ARV-Kommunikation aus theoretischer Sicht vorgestellt. Durch die empirische Analyse der internen und externen Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden soll gezeigt werden, wie sich diese Kommunikation charakterisieren lässt und was sie unterscheidet. Dabei soll auch empirisch gezeigt werden, mit welchen Anspruchsgruppen, wie oft und in welcher Form die ARV-Kommunikation stattfindet.
Insgesamt sollen die Strukturen und Maßnahmen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit (Abschnitt 8.1.1) sowie die Strukturen und Maßnahmen für die externe Kommunikation (Abschnitt 8.1.2) konzeptualisiert bzw. dargestellt werden. Damit soll die dritte Forschungsfrage beantwortet werden, was die Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sind.
Im Rahmen der Auswertung werden die Aussagen von den drei Gruppen der befragten Unternehmensvertreter (Aufsichtsratsvorsitzende, Verantwortliche für Investor Relations und Public Relations) verstehend rekonstruiert. Schließlich ergibt sich im Zusammenspiel daraus ein übergeordnetes Bild von der Struktur im jeweiligen Unternehmen. Dabei erfolgt jedoch keine Betrachtung der einzelnen Fälle, um Rückschlüsse aufgrund der zugesagten Anonymisierung zu vermeiden. Vielmehr werden die Erkenntnisse fallübergreifend zusammengefasst, um über die jeweilige lebensweltliche Ebene hinauszukommen – markante Unterschiede werden entsprechend herausgearbeitet.
Einer der Experten verweist im Gespräch darauf, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden maßgeblich von den Strukturen im Unternehmen abhängt:
„Ich glaube, das Problem ist nicht so sehr die Frage einer optimalen Kommunikation und wie man das richtig macht. Das Problem ist, dass die dahinterliegenden Strukturen und Prozesse im Unternehmen und die Art und Weise, wie das Unternehmen sich aufstellt und sich begreift, und wie es agiert, daraufhin, dass das stimmig und authentisch ist und in einem konstruktiven Kontext steht. Man kann zwar immer noch was falsch machen, aber das hat was mit Persönlichkeiten zu tun“ (Aufsichtsratsvorsitzender_26).
Darüber hinaus ist die kommunikative Kompetenz von Aufsichtsratsvorsitzenden äußerst relevant für das Forschungsthema. Im Analyserahmen wird die kommunikative Kompetenz nach Zerfaß (2010, S. 189) sowohl als allokative als auch autoritative Ressource verstanden und weiterhin in aktive Kommunikationskompetenz, Wahrnehmungs- und Kooperationskompetenz unterschieden werden.
Die Aufsichtsratsvorsitzenden verfügen nach eigener sowie der Einschätzung der Kommunikationsexperten in den jeweiligen Unternehmen über gut ausgebildete Kompetenzen in Bezug auf Kommunikation. Diese basiere vor allem auf Geschäftserfahrungen, spezifische Erfahrungen im Umgang mit den Stakeholdern, z. B. Investoren, aber auch auf einer Ausdrucksfähigkeit auf Englisch.
„Das ist jetzt eine sehr subjektive Frage. Ich würde unseren Aufsichtsrat als gut vorbereitet sehen. Warum? Erstens ist der Mann seit langen Jahren im Geschäft wie die meisten Aufsichtsratsvorsitzenden. Das heißt, er verfügt über geschäftliche Erfahrung und auch Kommunikationserfahrung. Zweitens, als Banker kennt er den Kapitalmarkt. Das heißt, er hat auch die Erfahrung, die vielleicht andere nicht haben. Wie tickt ein Aktionär? Wo muss ich vielleicht ein bisschen vorsichtiger formulieren? Wo kann ich ein bisschen mehr Gas geben? Und drittens, er spricht fließend Englisch, das ist irgendwie eine Grundvoraussetzung. Das meiste Aktionariat ist international, und da kommst du mit Deutsch dann nicht weiter. Von daher, glaube ich unser Aufsichtsrat da sehr, sehr gut gerüstet und bräuchte halt, wenn nur ein bisschen Briefing zur aktuellen Situation“ (Investor Relations_23).
Darüber hinaus wurde von allen Experten aus Unternehmensperspektive in den Gesprächen darauf verwiesen, dass das Selbstverständnis und die Persönlichkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden in besonderem Maße die Kommunikation prägen:
„Eine große Rolle spielen die unterschiedlichen Persönlichkeiten. Es gibt einfach Leute, für die ist Kommunikation ein Teil ihres Selbstverständnisses. Und andere, die machen es einfach nicht gern. Die wollen es auch nicht. Und ich glaube, das hat einen größeren Rolleneinfluss als zu sagen, Kommunikation ist ein neuer Trend, wohin geht es denn?“ (Public Relations_17).
Im Rahmen dieser Auswertung soll jedoch keine Charakterstudie durchgeführt werden, sondern vielmehr Erkenntnisse gewonnen werden, die auf die Strukturen der Kommunikation verweisen und damit auch bei anderen Akteuren in der Position eines Aufsichtsratsvorsitzenden herangezogen werden können.
Im Folgenden werden nun zunächst die Erkenntnisse zu den Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Unternehmensöffentlichkeit präsentiert, bevor die Ergebnisse zu den Strukturen der externen ARV-Kommunikation vorgestellt werden.

8.1.1 Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Unternehmensöffentlichkeit

Der Aufsichtsrat ist ein wichtiges Organ im dualistischen System der Unternehmensführung. In Bezug auf Kommunikation wurde in der Corporate-Governance-Forschung bisher vor allem die Informationsversorgung der Aufsichtsräte betrachtet, da das Gremium auf dieser Basis seine Arbeit vollzieht. Zudem wird die Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat, insbesondere der Austausch zwischen den beiden Vorsitzenden im DCGK thematisiert. Anhand der kommunikationswissenschaftlichen Forschung konnten im theoretischen Teil der Arbeit jedoch weitere relevante Akteure und Anspruchsgruppen für die ARV-Kommunikation innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit identifiziert werden (Abschnitt 4.​1.​3). Diese beiden Perspektiven wurden zusammengebracht und die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit theoretisch konzipiert (Abschnitt 5.​1.​1). Dabei wurden vor allem die Erkenntnisse zur Informationsversorgung des Aufsichtsrats sowie der Austausch mit dem Vorstand thematisiert. Darüber hinaus wurden aber auch eine Kommunikation mit den weiteren internen Anspruchsgruppen theoretisch diskutiert.
Mithilfe des Analyserahmens (Abschnitt 5.​4) werden in diesem Kapitel die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb des Unternehmens anhand der Regeln und Ressourcen konzeptualisiert. Dafür werden für jede Anspruchsgruppe im ersten Schritt die strukturbildenden Regeln und Ressourcen beschrieben und im zweiten Schritt die empirischen Erkenntnisse zu den Kommunikationsmaßnahmen vorgestellt. Abbildung 8.1 visualisiert die empirisch überprüften Kommunikationswege von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit, die im Folgenden vorgestellt werden.
Übergeordnet kann für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Unternehmensöffentlichkeit festgehalten werden, dass die Einschätzung der Relevanz der internen Kommunikation eine wichtige Regel darstellt. Dabei handelt es sich um ein Interpretationsmuster, das dabei hilft, den Sinn herauszulesen, was die Akteure sagen oder tun. So sehen die befragen Aufsichtsratsvorsitzenden ihre kommunikative Aufgabe vor allem innerhalb des Unternehmens in Bezug auf den Austausch im Aufsichtsratsgremium sowie darin, einen intensiven und vertrauensvollen Austausch mit dem Vorstandsvorsitzenden zu pflegen, um die Meinungen des Aufsichtsrats vertreten und einbringen zu können:
„Für mich ist die Kommunikation intern, sprich nicht ins Unternehmen hinein, in das Gremium Aufsichtsrat und in Richtung Vorstand sehr wichtig. Es ist wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe, die ein Aufsichtsratsvorsitzender hat“ (Aufsichtsratsvorsitzender_16).
Kommunikation innerhalb des Aufsichtsratsgremiums
Zunächst werden die Strukturen der Kommunikation innerhalb des Aufsichtsratsgremiums anhand von Regeln und Ressourcen erläutert. Dies geschieht ausschließlich aus der Perspektive der Aufsichtsratsvorsitzenden, da die befragten Kommunikationsverantwortlichen keinen Einblick in den Austausch innerhalb des Gremiums haben.
Die Einschätzung der Relevanz der Kommunikation im Aufsichtsratsgremium ist ein wichtiges Interpretationsschema, dass die Handlungen von Aufsichtsratsvorsitzenden rationalisiert. So beschreiben die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden die Kommunikation im Gremium als zentrale Aufgabe ihrer Rolle. Das Aktiengesetz stellt dabei eine wichtige Norm für die Kommunikation im Gremium dar. So haben Aufsichtsratsmitglieder eine Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich vertraulicher Berichte und vertraulicher Beratungen (§§ 116, 93 Abs. 1 Satz 3 AktG).
Aufsichtsratsvorsitzende verfügen in einigen Fällen über die personelle Unterstützung eines Aufsichtsratsbüros, die eine ermöglichende Ressource vor allem bei der Informationsversorgung darstellen. Auf den Zugang zu Informationen als ermöglichende Ressource der ARV-Kommunikation wird im weiteren Verlauf noch detailliert eingegangen. Zudem verfügen Aufsichtsratsvorsitzende über ein Zweitstimmrecht als autoritative Ressource, falls es in Bezug auf die Entscheidungskompetenz des Gremiums zu einer Stimmgleichheit kommen sollte.
Im zweiten Schritt werden nun die empirischen Erkenntnisse zur Kommunikation innerhalb des Gremiums vorgestellt: Die Arbeit innerhalb des Aufsichtsrats findet schwerpunktmäßig in Ausschüssen statt (Abschnitt 3.​2), die in den befragten Unternehmen vor allem als Telefonkonferenzen, seltener auch als persönliche Treffen abgehalten werden. Die Sitzungen des gesamten Aufsichtsrats finden dagegen meist als Meetings vor Ort statt, wobei die Möglichkeit besteht, dass sich Mitglieder per Video- oder Telefonkonferenz einwählen.
Dem Aufsichtsratsvorsitzenden obliegt eine besondere Rolle bei der Koordination und Leitung des Aufsichtsratsverfahrens (Abschnitt 3.​3). Zur Vorbereitung der Sitzungen nutzen die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden vor allem persönliche und direkte Kommunikationswege. In persönlichen Gesprächen sowohl mit den Vertretern der Anteilseigner- als auch der Arbeitnehmerseite würden Themen der nächsten Sitzung vorbesprochen, um so Argumente und Bedenken vorab aufzunehmen und Überraschungen in den Sitzungen zu vermeiden.
Aus Sicht der befragten Aufsichtsratsvorsitzenden sei eine offene und transparente Kommunikation ebenso wichtig, wie eine gute Diskussionskultur innerhalb des Gremiums. Dazu gehöre auch, dass Themen, wie etwa die Vergütung des Vorstands, frühzeitig vorbereitet werden sollten, damit sich alle Beteiligten vorab informieren und zu einer Entscheidung kommen könnten. Zwar haben die befragten Experten unterschiedliche Erfahrungen in mitbestimmten Aufsichtsräten in verschiedenen Unternehmen gemacht, dennoch werde die Vielfalt der Interessen im Gremium geschätzt. Aufgrund der Interessenausgleichsfunktion des Aufsichtsrats ist eine koordinierende Kommunikation daher besonders relevant. Auf dieser Basis könnten Entscheidungen im Rahmen der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats gefällt werden, die schließlich auch umgesetzt werden könnten.
„Kompetente Betriebsräte als Diskussionspartner sind mir hoch willkommen, weil sie einen Blick in das Unternehmen haben, was normalerweise etwas anders gelagert ist als der Blick des Managements. Und dieser konstruktive Austausch, auch teilweise mit komplett unterschiedlichen Meinungen, Standpunkten, ist absolut in Ordnung, und führt dazu, dass man eben zu einer Lösung kommt, die letztendlich auch umgesetzt werden kann“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
In Sondersituationen wird die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb des Aufsichtsratsgremiums von den Experten als besonders wichtig eingestuft. Vor allem der Austausch mit den Arbeitnehmervertretern sei elementar, da diese, abhängig von Situation, ihre Positionen als Betriebsrat oder Gewerkschaftsvertreter ebenfalls gegenüber der (Betriebs-)Öffentlichkeit vertreten müssten. Ein respektvoller Umgang, bei dem die Meinungen gehört würden, helfe dabei, tragfähige Entscheidungen im Gremium treffen zu können.
„Mit offenen Karten bedeutet, man muss nicht einer Meinung sein. Überhaupt nicht, man kann durchaus unterschiedliche Meinungen haben, aber man muss damit konstruktiv umgehen, und man muss versuchen, eine Kompromisslinie dann letztendlich zu finden, die dem Unternehmen, aber natürlich auch dem Mitarbeiter und der Mitarbeiterin am Ende des Tages nützt“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Darüber hinaus würden in Sondersituationen vermehrt Gerüchte aus sog. unternehmensnahen Kreisen von Medien thematisiert. Aufsichtsratsmitglieder haben eine Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich vertraulicher Berichte und vertraulicher Beratungen (§§ 116, 93 Abs. 1 Satz 3 AktG). Wenn vertrauliche Einzelheiten aus Aufsichtsratssitzungen an die Medien gelangen, handele es sich meist um gezielte Indiskretionen (Schenck, 2013, S. 226). Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden berichten, dass sie bei konkreten Gerüchten dem Thema nachgehen würden, es jedoch äußerst schwierig sei nachzuweisen, von wem vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben worden seien. Gerade in Krisen gebe es viele Interessen, die auf verschiedenen Wegen versuchen würden, dass ihre Argumente gehört würden.
„Diese Durchstecherei ist natürlich ganz misslich. Jedes Aufsichtsratsmitglied sollte sich bewusst sein, dass er damit nicht nur sich infragestellt, sondern eben auch dem Unternehmen und allen anderen Beteiligten schadet. Gerade wenn es Krisen gibt und Unternehmen in einer Umbruchphase sind, dann gibt es halt viele Interessen, die auch versuchen dann ihre Argumente und ihre Meinung dann halt auch in der Öffentlichkeit rüberzubringen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_5).
Dieses Vorgehen wird von allen Experten äußerst negativ eingeschätzt, da es die Kommunikationshoheit des Unternehmens gefährde und den beteiligten Personen schaden könne.
Zugang zu Informationen als ermöglichende Ressource der ARV-Kommunikation
Die Arbeit des Aufsichtsrats basiert auf den Informationen, die durch den Vorstand zur Verfügung gestellt werden. In der bisherigen Corporate-Governance-Forschung wird vor allem die Informationsversorgung durch den Vorstand sowie vereinzelt von externen Sachverständigen betrachtet (Abschnitt 5.​1.​1). Der Zugang zu Informationen stellt eine zentrale allokative Ressource für die Arbeit des Gremiums und auch Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden dar. Sie ermöglicht es den Akteuren die Situation sowie Anforderungen von Anspruchsgruppen besser zu verstehen und entsprechend Entscheidungen für oder gegen Kommunikationsmaßnahmen treffen zu können.
Im Rahmen der Expertengespräche konnten fünf Ansatzpunkte identifiziert werden, wie die Kommunikationsfunktionen mit qualitativen Informationen zu den jeweiligen Entwicklungen und Meinungen in den relevanten Öffentlichkeitsarenen zur Informationsversorgung beitragen:
(1)
Täglicher Pressespiegel
 
(2)
Briefings zu den Quartalszahlen
 
(3)
Informationen zu Aufsichtsratssitzungen von den Kommunikationsfunktionen
 
(4)
Ergänzende, formalisierte Reportings an den Aufsichtsrat
 
(5)
Briefings im Vorfeld der Hauptversammlung
 
Diese Informationen können als ermöglichende Ressource für die interne und externe ARV-Kommunikation eingestuft werden.
(1)
Täglicher Pressespiegel
Der tägliche Pressespiegel des Unternehmens ist eine relevante Informationsquelle für die Aufsichtsratsvorsitzenden. Dieser wird in den meisten Fällen an das gesamte Aufsichtsratsgremium weitergeleitet; bei einigen Unternehmen wurde im Gremium abgefragt, wer diesen erhalten möchte. Die Medienberichterstattung zum Unternehmen bietet für Aufsichtsratsvorsitzende den Anlass, zu bestimmten Ereignissen eine Einschätzung einzuholen, entweder vom Vorstandsvorsitzenden aber auch direkt von der Kommunikationsabteilung.
 
„Das Unternehmen liegt ihm sehr am Herzen und er ist über alles informiert. Er bekommt den Pressespiegel, und ja, er ruft auch an, wenn ihn etwas daraus interessiert. Also, ich habe häufig Kontakt mit ihm“ (Public Relations_28).
(2)
Briefings zu den Quartalszahlen
Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, in dem Aufsichtsratsvorsitzende meist Mitglieder sind, erhält die Quartalszahlen vor der Veröffentlichung. Nach der Publikation der Zahlen erstellen die IR- und PR-Abteilungen separat oder zusammen eine Einschätzung zur externen Wahrnehmung der Veröffentlichung. Dieses Dokument gehe meist zunächst an den Vorstand und werde dann vom CEO an das Aufsichtsratsgremium weitergeleitet. Darin enthalten sind u. a. eine Übersicht und Zusammenfassung der Analysten-Reports sowie der Medienberichterstattung. Solche Briefings der Kommunikationsfunktionen werden auch zu weiteren relevanten Ereignissen zusammengestellt und verteilt.
„Wir machen nach jedem Quartal ein internes Papier, wo wir im Prinzip die Kapitalmarktstimmen zu bestimmten Themen zusammenfassen, die zum Quartalsergebnis aufgekommen sind. Dort bilden wir auch Bewertungen und Erwartungen ab, die es im Markt gibt. Das weiß ich, dass ihm das zur Verfügung gestellt wird, aber da muss ich mich nicht drum kümmern. Das wird automatisch vom Vorstand weitergeleitet“ (Investor Relations_19).
 
(3)
Informationen zu Aufsichtsratssitzungen von den Kommunikationsfunktionen
Im Rahmen der Aufsichtsratssitzungen erhält das Gremium regelmäßig Informationen aus Kapitalmarktsicht und abhängig von der Situation auch zu öffentlichkeitsrelevanten Themen. Die meist quartalsweisen Briefings der IR-Abteilung enthalten u. a. Informationen zur Aktienentwicklung, der Aktionärsbasis sowie die Einschätzung von Kapitalmarktakteuren zu Themen des Unternehmens bzw. in der Branche. In wenigen Unternehmen wird ein vergleichbares Briefing auch von der PR-Abteilung hinsichtlich der Reputation des Unternehmens sowie der Medienberichterstattung zusammengestellt. Diese Briefings würden in den Aufsichtsratssitzungen jedoch stets vom Vorstand erläutert, die Kommunikationsverantwortlichen nehmen selten, nur ereignisbezogen an den Aufsichtsratssitzungen teil.
„Bei uns ist das teilinstitutionalisiert, so würde ich es mal formulieren. Alle drei Monate lässt sich der Vorstand alles aufbereiten von seinen Fachabteilungen – so ein relativ umfangreiches Paket. Und ein Teil dieses Pakets ist auch Themen am Kapitalmarkt, Wahrnehmung durch Investoren und Analysten. Das ist dann eben unser Part, wo wir dann unser Wissen, unsere Erfahrung, und sonst was so loswerden wollen, reinpacken“ (Investor Relations_21).
 
(4)
Ergänzende, formalisierte Reportings an den Aufsichtsrat
Neben den gängigen quartalsweisen Briefings zu kommunikationsrelevanten Themen wurde in einem der befragten Unternehmen darüber hinaus ein monatliches Reporting an den Aufsichtsrat, insbesondere zu Kapitalmarktthemen, eingeführt. Der Aufsichtsratsvorsitzende hatte dies unabhängig von den Sitzungen angeregt und es wurde daher von der IR-Abteilung gemeinsam mit anderen Abteilungen formal aufgesetzt.
„Es gibt zwei Sachen: ein quartärliches und ein monatliches, relativ kurzes Reporting an den Aufsichtsrat, in dem mein Bereich Investor Relations einen Teil einliefert. Wie entwickelt sich die Aktie? Wie entwickelt sich der Kapitalmarkt? Wie entwickeln wir uns relativ zu den Peers und Indizes? Das findet wie gesagt periodisch statt, einmal im Monat, und ein anderes Reporting, das ist inhaltlich ein bisschen anders gelagert, einmal im Quartal“ (Investor Relations_24).
 
(5)
Briefings im Vorfeld der Hauptversammlung
Bei der Hauptversammlung handelt es sich um die Veranstaltung des Unternehmens, die wohl den größten formalen, gesetzlichen Anforderungen unterliegt. Als Vorbereitung auf die Rolle als Versammlungsleiter erhalten die Aufsichtsratsvorsitzenden bei allen Unternehmen ein umfangreiches Briefing von der Rechtsabteilung. Zudem wird ein umfangreicher Fragenkatalog erstellt, den die Aufsichtsratsvorsitzenden ebenfalls als Vorbereitung erhalten:
„Wir bereiten immer im Vorfeld einer HV einen umfangreichen Fragenkatalog vor über alle Abteilungen hier, wo wir die unserer Meinung nach wahrscheinlichsten Fragen schon mal vorab beantworten. Es wird dann in so ein Q&A-System eingespeist. Das läuft hier noch verschiedene Runden“ (Investor Relations_21).
 
Darüber hinaus zeigen die Erkenntnisse aus den Expertengesprächen, dass in Sondersituationen insbesondere der Zugang zu Informationen an Bedeutung gewinne, da auf dieser Basis die Entscheidungskompetenz sowie die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation beruhe. Daher kann es zu – zeitlich begrenzten – ergänzenden Briefings zu Stimmungen im Kapitalmarkt oder der Öffentlichkeit durch die Kommunikationsverantwortlichen kommen.
Dialog mit dem CEO bzw. Vorstand
Auch für den Dialog mit den Vorstandsvorsitzenden bzw. dem Vorstand werden zunächst die Strukturen anhand der Regeln und Ressourcen vorgestellt. Dies geschieht erneut ausschließlich aus der Perspektive der Aufsichtsratsvorsitzenden, da die befragten Kommunikationsverantwortlichen keinen Einblick haben.
Die Einschätzung der Relevanz der Kommunikation mit dem Vorstand ist ein zentrales Interpretationsschema, da dieser Austausch als wichtige interne Kommunikation eingeschätzt wird. Der Dialog basiert sowohl auf der Aufgabenteilung anhand des dualistischen Systems der Unternehmensführung im Aktiengesetz sowie den Empfehlungen im DCGK als Normen. Hahne (1998, S. 204) beschreibt die Steuerung der Informationsroutinen als autoritative Ressourcen. In diesem Zusammenhang kann daher die Beziehung von Aufsichtsratsvorsitzenden zum Vorstand als autoritative Ressource bezeichnet werden. So soll ein enger Informationsaustausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden bestehen, der von beiden Akteuren entsprechend ihren Ressourcen, z. B. die Entscheidungskompetenz hinsichtlich Corporate-Governance-Themen des Aufsichtsrats, gestaltet wird.
Dieser Dialog kann mithilfe der empirischen Erkenntnisse genauer dargestellt werden: Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben, dass Vertrauen die Grundlage für die Beziehung und den Austausch mit den Vorstandsvorsitzenden darstelle. Zu Beginn müsse dieses Vertrauen, wie in jeder menschlichen Beziehung, zunächst aufgebaut werden. Die eigenen Erfahrungen in Vorstandspositionen würden helfen, sich in die Perspektive des Vorstands hineinzuversetzen und produktiv zusammenzuarbeiten. Dabei sei es normal, wenn unterschiedliche Auffassungen aufkommen würden, solange Entscheidungen stets im besten Interesse für das Unternehmen gefällt werden würden. Sofern eine Entscheidung und daraus resultierend auch eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden notwendig sei, werde dies in enger Abstimmung mit dem CEO durchgeführt.
„Der Aufsichtsratsvorsitzende ist herausgehoben. Er ist das Scharnier zwischen Aufsichtsrat und Vorstand, und das Gleiche gilt beim Vorstandsvorsitzenden, allenfalls vom CFO. Die sind auch das Scharnier aus Sicht des Vorstandes zum Aufsichtsrat. Da muss Vertrauen die Grundlage sein. Wenn das nicht da ist, dann können Sie es vergessen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_3).
Die Beziehung von Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden kann demnach als ermöglichende Ressource für die Kommunikation eingestuft werden, ohne dass daraus zwingend eine aktivere interne oder externe Kommunikation folgen muss.
Alle befragten Aufsichtsratsvorsitzenden stehen in regelmäßigem Kontakt mit dem CEO, aber auch anderen Vorstandsmitgliedern. Gespräche zwischen CEO und ARV finden im Rahmen von sog. Jour fixes statt, meist als Telefonate, mit 14-tägigen oder monatlichen Abstand.
„Ich bekomme alle internen Berichte. Das heißt, im Grunde genommen habe ich alle Informationen, die auch der Vorstand hat, vielleicht aber nicht in der Detailtiefe. Ich bekomme die Agenda der Vorstandssitzungen sowie die Unterlagen zu den Vorstandssitzungen zur Verfügung gestellt. Ich habe dann die Möglichkeit, und das mache ich auch regelmäßig, dann eben nachzufragen, nachzuhören. Und das geschieht in Form von Jour fixes, die ich also zumindest einmal im Monat, normalerweise so im 14-tägigen, dreiwöchigen Abstand, regelmäßig mit dem Vorstandsvorsitzenden habe. Aber ich habe nicht nur mit dem Vorstandsvorsitzenden, sondern mit allen Vorstandsmitgliedern Jour fixes vereinbart“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Dabei wird das Ziel verfolgt, eine Einschätzung zu aktuellen Entwicklungen zu erhalten. Das führe dazu, dass die Aufsichtsratsvorsitzenden auch dann beim CEO nachfragen, wenn es zu größeren Kursschwankungen komme oder sie bestimmte Themen in der Medienberichterstattung über das Unternehmen wahrnehmen würden. Einige Kommunikationsverantwortliche berichten, dass diese Anfragen dann vom Vorstand an sie weitergeleitet werden, um Informationen für das Gespräch bereitzustellen – d. h. der Vorstand nutzt hier die personelle Unterstützung der Kommunikationsfunktionen, die meist auch an ihn berichten. Indem die Gesprächsinhalte mit dem CEO auch an die Aufsichtsratsmitglieder vermittelt werden, könnte diese ihrer Kontrollaufgabe nachkommen.
In Sondersituationen kann sich der Austausch mit dem CEO deutlich intensivieren. Insbesondere in Krisen werde die Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden als Sparringspartner für den Vorstand relevanter und häufiger genutzt. Aus Sicht der befragten Aufsichtsratsvorsitzenden sei dies wichtig, da Aufsichtsratsmitglieder über vielfältige Erfahrungen, auch zur Bewältigung von Krisen, verfügen würden. Zudem müsse genau besprochen werden, ob und wann Aufsichtsratsvorsitzende mit ihrer Kommunikation dem Unternehmen helfen könne, ohne die Themen des Vorstands zu schneiden. Die Entscheidungskompetenz und die Beziehung zum Vorstand sind damit entscheidende Ressourcen, die Einfluss auf das Interpretationsmuster hinsichtlich der Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation haben. Weiterhin könne es auch relevant sein, dass Aufsichtsratsvorsitzenden über die Krisenbewältigung sprechen, wenn es einen neuen CEO gebe, der sich erst einarbeiten müsse und nicht auskunftsfähig zu den Krisenursachen sei.
„Je weniger ein Unternehmen in der Öffentlichkeit unter Governance-Gesichtspunkten oder anderen Gesichtspunkten vorgeführt wird, umso besser arbeitet der Aufsichtsratsvorsitzende. In Krisenzeiten ist man sehr stark als Sparringspartner gefordert. Hinterher war ich immer froh, wenn ich als Aufsichtsrat in der Öffentlichkeit gar nicht gefragt war, sondern eben das rein operative Geschäft im Vordergrund stand. Und das mag dann noch so heiß hin und her gehen, aber das macht dann der Vorstand“ (Aufsichtsratsvorsitzender_18).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die vorgestellten Erkenntnisse die bisherige Corporate-Governance-Forschung mit Blick auf den Austausch im Gremium und dem Vorstandsvorsitzenden sowie der Informationsversorgung durch die Kommunikationsfunktionen qualitativ vertiefen.
Auf Basis der Experteninterviews konnte zudem eine darüber hinausgehende Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Akteuren im Unternehmen identifiziert werden. Es handelt sich dabei um informelle, persönliche Kommunikationsmaßnahmen, nicht um eine interne Kommunikation an alle Mitarbeitenden, wie sie in Abschnitt 4.​2.​1 vorgestellt wurde. Daher gibt es auch keine personelle oder fachliche Unterstützung (autoritative Ressource) durch die Funktion der internen Kommunikation. Die Strukturen für die Kommunikation mit diesen internen Anspruchsgruppen sowie die empirischen Erkenntnisse werden im Folgenden vorgestellt.
Kommunikation mit Führungskräften
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Führungskräften ist weder im Aktiengesetz noch im DCGK vorgesehen. Auch hier ist die Einschätzung der Relevanz von Kommunikation erneut das Interpretationsschema, das die Handlungen von Aufsichtsratsvorsitzenden rationalisiert. So werden Führungskräfte von einem Großteil der befragten Aufsichtsratsvorsitzenden als relevante Anspruchsgruppe für die interne Kommunikation angesehen. Dabei werden verschiedene Ziele für den Austausch angeführt, die im Rahmen der Ergebnisdarstellung zum Kommunikationsmanagement ausführlich erläutert werden (Abschnitt 8.2.2). Dazu gehört erstens die Informationsversorgung, da die Führungskräfte häufig detaillierter über operative Vorgänge Auskunft geben könnten als Vorstände. Zweitens gehört dazu die Nachfolgeplanung für die Besetzung des Vorstands: hier können der DCGK als Norm sowie die Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats eine ermöglichende Ressource darstellen. Vor allem die Beziehung zum Vorstand kann jedoch als ermöglichende oder auch einschränkende Ressource eingestuft werden. Schließlich gibt es kein unmittelbares Informationsrecht des Aufsichtsrats gegenüber Mitarbeitenden, sondern ein Direktkontakt wird idealerweise als Teil einer transparenten Unternehmenskultur begriffen (Abschnitt 5.​1.​1). Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben, dass der CEO vorab darüber informiert werde, bevor es zu einem Austausch zwischen ihnen und anderen Unternehmensmitgliedern komme, um so die Möglichkeit zu eröffnen, Teil der Gespräche zu sein.
Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass ein Austausch des Aufsichtsrats mit den Führungskräften des Unternehmens durch von formellen und informellen Maßnahmen stattfindet: Als formelles Format präsentieren die Führungskräfte in allen Unternehmen im Rahmen von Aufsichtsratssitzungen themenspezifisch ihre Bereiche oder zu Spezialthemen. In einem Fall nimmt der Aufsichtsratsvorsitzende auch regelmäßig an den Zusammenkünften des Top-Managements teil, jedoch als passiver, stiller Teilnehmer. Ein anderer Aufsichtsratsvorsitzende hielt nach seiner Wahl eine Antrittsrede auf der nächsten Führungskräfteveranstaltung, um aus seiner Sicht darzulegen, worauf es zukünftig für das Unternehmen ankomme. Dies kann bereits als leichte Modifikation der Strukturen interpretiert werden, die durch die Beziehungen zu Vorstand als Rahmenbedingung sowie einer veränderten Einschätzung der Relevanz von Kommunikation begründet sind.
Von einem Großteil der befragten Unternehmen werden zudem informelle Formate umgesetzt, sodass es zu einem persönlichen Austausch zwischen den Akteuren kommt. Dazu zählen etwa gemeinsame Abendessen mit Aufsichtsrat, Vorstand und der ersten Führungsebene, z. B. am Vorabend der Hauptversammlung, einer Aufsichtsratssitzung oder Führungskräfteveranstaltungen.
„Einmal im Jahr gibt es im Rahmen einer der Aufsichtsratssitzungen am Vorabend ein gemeinsames Abendessen zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und der ersten Führungsebene. Da gibt es keine großen Reden, aber es ist die Möglichkeit, in einen Austausch mit dem gesamten Aufsichtsrat zu kommen“ (Public Relations_7).
In Sondersituationen kommt es zudem zu weiteren Formaten mit Führungskräften. Dazu gehören bspw. Gespräche bzw. Calls mit Führungskräften: Insbesondere, wenn der Vorstand aufgrund einer Krise das Unternehmen verlassen habe, sei es wichtig, die Führungskräfte für ihre weitergehende interne Kommunikation zu befähigen und die Situation und nächsten geplanten Schritte zu erläutern.
Kommunikationsmaßnahmen für Mitarbeitende
Die Einschätzung der Relevanz für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit nimmt in Bezug auf die Kommunikation mit Mitarbeitenden deutlich ab. Aufgrund der Aufgabenverteilung im dualistischen System der Unternehmensführung wird diese Kommunikation als Aufgabe des Vorstands angesehen. Dennoch wurde in den Expertengesprächen mehrfach geäußert, dass Sondersituationen einen Anlass bieten können, dass Aufsichtsratsvorsitzende als Sprecher im Rahmen der internen Kommunikation an alle Mitarbeitenden agieren. In den nachfolgenden Beispielen wird dabei insbesondere auf das Image und die Glaubwürdigkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden als ermöglichende Ressource Bezug genommen. Zudem zeigt sich, dass diese Kommunikation durch Kommunikationsverantwortliche als personelle Ressource im Rahmen der internen Unternehmenskommunikation unterstützt wird.
Eine freiwillige ARV-Kommunikation mit Mitarbeitenden findet vor allem in Sondersituationen statt und kann empirisch anhand von drei unterschiedlichen Beispielen verdeutlicht werden. In ersten Fall gab der Aufsichtsratsvorsitzende ein kurzes Interview bzw. Statement in der Mitarbeiterzeitung zu einer erfolgreich abgeschlossene M&A-Transaktion. Aus Sicht der Aufsichtsratsvorsitzenden sei es jedoch wichtig, dass der Vorstand dies unterstütze bzw. anfrage, da diese Kommunikation im operativen Aufgabenbereich des Vorstands liege. Hier zeigt sich, dass die Beziehung zum Vorstand als ermöglichende Ressource für die Kommunikation angesehen wird.
„Wenn der Vorstand meint, der Aufsichtsratsvorsitzende sollte paar Worte sagen, dann mache ich das, aber das muss der Vorstand dann sagen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_10).
In zweiten Fall wurde der Aufsichtsratsvorsitzende nach einem überraschenden Weggang eines Vorstandsmitglieds zum internen Sprecher. Eine Kommunikation fand dabei sowohl in Rahmen einer Telefonkonferenz mit Führungskräften als auch im internen Mitarbeitermagazin und der Intranet-Seite statt. Aus Sicht des PR-Verantwortlichen war dies aus Unternehmenssicht notwendig, da der Abgang im Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats lag und die restlichen Vorstandsmitglieder nicht beschädigt werden sollten.
„Der Aufsichtsrat war für die Situation verantwortlich, und wir wollten den Vorstand da nicht schädigen. Wir wollten ja nicht den CEO nutzen. Das wäre unglaubwürdig gewesen. Und dann haben wir nur ihn [den Aufsichtsratsvorsitzenden] als Sprachrohr benutzt. Er hat sowohl allen Führungskräften die Sachlage erklärt, was sehr gut ankam. Denn er hat das aus Sicht des Aufsichtsrats berichtet: Unsere Aufgabe, wir kümmern uns drum, und suchen jetzt den Nachfolger. Das kann nur er sagen“ (Public Relations_28).
Im dritten Beispiel berichtete der Aufsichtsrat bei einer Betriebsversammlung über die Fortschritte bei der Bewältigung einer Krise. Der Aufsichtsratsvorsitzende wurde dabei zum Sprecher, da die Beauftragung eines externen Sachverständigen zur Untersuchung der internen Vorgänge durch den Aufsichtsrat erfolgte.
Austausch mit den Kommunikationsfunktionen
Der Austausch von Aufsichtsratsvorsitzenden mit den Kommunikationsfunktionen Investor Relations und Public Relations stellt eine ermöglichende personelle Ressource für die ARV-Kommunikation dar. In diesem Zusammenhang ist erneut die Beziehung zum Vorstand eine ermöglichende bzw. einschränkenden Ressource. So gibt es Fälle, bei denen eine Kommunikation ausschließlich über oder im Beisein des Vorstands erfolgt sowie Fälle, in denen es regelmäßig stattfindenden Austausch zu öffentlichkeitsrelevanten Themen gibt. In einem Fall ging der Aufsichtsratsvorsitzende davon aus, dass die Kommunikationsverantwortlichen den Vorstand über den Austausch informieren würden, was bedeutet das die Machtstrukturen hinsichtlich der Informationsroutinen verändert können.
„Da habe ich im Vorfeld der Hauptversammlung, die wir ja bald haben, den IR-Leiter direkt angerufen. Was soll ich da den Vorstandsvorsitzenden anrufen und sagen, sag mal, habt ihr irgendwelche Feedbacks von Investoren bekommen zur Tagesordnung der Hauptversammlung? Also, da gehe ich letztlich direkt an die ran. Aber das ist natürlich eine offene Kommunikation“ (Aufsichtsratsvorsitzender_13).
Die Informationsversorgung durch die Kommunikationsfunktionen stellt für die Aufsichtsratsvorsitzenden eine ermöglichende Ressource für ihre Kommunikation dar. Die identifizierten Informationen und Bewertungen zu den Entwicklungen in den relevanten Öffentlichkeitsarenen ermöglichen Aufsichtsratsvorsitzende dazu, über eine mögliche externe, freiwillige Kommunikation zu entscheiden.
Eine Zusammenarbeit von Aufsichtsratsvorsitzenden und Kommunikationsfunktionen kann als zentrale Voraussetzung dafür gesehen werden, dass die ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement verortet wird. Aus diesem Grund wird die Verantwortung für das Kommunikationsmanagement ausführlich dargestellt sowie kritisch hinterfragt (Abschnitt 8.2.1).

8.1.2 Strukturen und Maßnahmen der externen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Der Aufsichtsrat als Organ des dualistischen Systems der Unternehmensführung ist für die Überwachung des Vorstands zuständig. Er setzt als Hüter der Corporate Governance den Rahmen für das Handeln des Vorstands (Abschnitt 3.​2). Aus dieser Aufgabe resultieren verschiedene Publizitätspflichten an die Aktionäre. Mit der Aufnahme der Anregung zum Investorendialog in den DCGK ist eine weitere extern gerichtete Kommunikationsmaßnahme hinzugekommen, wobei bisher jedoch unklar ist, ob und inwiefern es dadurch zu einer Modifizierung der Strukturen der ARV-Kommunikation gekommen ist. Darüber hinaus lassen sich anhand der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports noch weitere freiwillige Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden identifizieren (Abschnitt 7.​1). Diese Punkte sollen in diesem Kapitel geklärt werden, in dem die Erkenntnisse aus den Gesprächen mit den Unternehmensexternen hinsichtlich der Strukturen der externen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden vorgestellt werden.
Mithilfe des Analyserahmens (Abschnitt 5.​4) werden in diesem Kapitel anhand der Regeln und Ressourcen die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden außerhalb des Unternehmens konzeptualisiert. Dafür werden für die vorgestellten Öffentlichkeitsarenen und die darin agierenden Anspruchsgruppen im ersten Schritt die strukturbildenden Regeln und Ressourcen beschrieben und im zweiten Schritt die empirischen Erkenntnisse zu den Kommunikationsmaßnahmen vorgestellt. Abbildung 8.2 visualisiert die empirisch überprüften Kommunikationswege von Aufsichtsratsvorsitzenden außerhalb des Unternehmens, die im Folgenden vorgestellt werden:
Grundsätzlich lässt sich für die externe Kommunikation des Aufsichtsrats festhalten, dass alle befragten Experten sich einig sind, dass ausschließlich Aufsichtsratsvorsitzende als Sprecher des Aufsichtsratsgremiums agieren sollten.
„Ich vertrete den Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand und der Öffentlichkeit“ (Aufsichtsratsvorsitzender_5).
Das heißt, dass es hinsichtlich der Sprecherfunktion ein geteiltes Verständnis vom Auftritt nach außen gibt, dass als Interpretationsschema das Handeln der Akteure rationalisiert. Zudem beziehen sich die Befragten dabei auf das Aktiengesetz, das als Norm sowohl die Aufgaben als auch die ARV-Kommunikation angesehen werden kann. Zwar würden die Aufsichtsratsmitglieder über die gleichen Informationsrechte verfügen, es sollten jedoch nicht alle Personen in ihrer Rolle mit dem Vorstand oder mit externen Stakeholdern kommunizieren. Damit bezieht sich die Relevanz der kommunikativen Kompetenz nur auf die Aufsichtsratsvorsitzenden und nicht auf weitere Aufsichtsratsmitglieder. Kommunikationsfähigkeit sei in keinem Kompetenzprofil für Aufsichtsratsmitglieder eingeflossen, sondern werde aus den bisherigen Erfahrungen vorausgesetzt. Es stelle auch keine Grundvoraussetzung dar, da nur der Vorsitzende des Gremiums nach außen kommunizieren solle.
Während die Kommunikation in der Unternehmensöffentlichkeit, insbesondere im Gremium und mit dem Vorstand, von allen Befragten als zentrale Aufgabe gesehen wurde, wird die Kommunikation nach außen von den befragten Aufsichtsratsvorsitzenden generell als weniger wichtig eingeschätzt. Diese Einschätzung der Relevanz von Kommunikation rationalisiert demnach auch bei der externen Kommunikation als Interpretationsschema das Handeln der Akteure. Während im Verlauf der Gespräche ein Dialog mit Investoren übereinstimmend als legitim angesehen wird, gehen die Einschätzungen zu öffentlichen bzw. medialen Äußerungen stark auseinander. Einige Aufsichtsratsvorsitzende davon ausgehen, dass dies in bestimmten Situationen hilfreich sein könnte, während andere Befragte vor allem Risiken darin sehen, sich bspw. öffentlich zur Strategie des Vorstands zu äußern.
„Ich habe auch ganz bewusst in Richtung des Leiters der Kommunikationsabteilung gespielt und habe gesagt, wenn dort Anfragen kommen, die substantiiert sind, werde ich mich dem nicht entziehen. Nur von meiner Seite aus gibt es überhaupt kein Interesse daran, in irgendeiner Art und Weise in die Öffentlichkeit zu gelangen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Die Vertreter der Public-Relations-Funktion schätzen die Relevanz einer extern gerichteten ARV-Kommunikation ebenfalls überwiegend gering ein. Dies wird vor allem damit begründet, dass der CEO durch eine Kommunikation des Aufsichtsrats in seiner Autorität eingeschränkt werden könnte. Konflikte zwischen CEO und ARV, die in die Öffentlichkeit gelangen, werden von den Experten als äußerst kritisch eingestuft.
„Überall, wo Konflikt ist, sind Journalisten natürlich begeistert. Als Unternehmenskommunikationsmensch habe ich an öffentlich ausgetragenen Konflikten zwischen Aufsichtsrat und Vorstand oder innerhalb des Aufsichtsrates relativ wenig Interesse. Das hilft nicht so richtig weiter“ (Public Relations_7).
In den Gesprächen wird von mehreren Experten kritisch bemerkt, dass eine externe Kommunikation vor allem durch die Persönlichkeit eines Aufsichtsratsvorsitzenden getrieben sei. Diese Akteure würden in den Medien aktiv ihre Meinungen äußern, da dies Teil ihres Selbstverständnisses sei.
„Diese unterschiedlichen Meinungen kommen eben auch aus einem unterschiedlichen Sendungsbewusstsein heraus. Es gibt Persönlichkeiten, die, sobald sie eben irgendwo ein Mikrofon entdecken, krampfhaft versuchen, nach dem Mikrofon zu greifen und dort eben ihre Meinung in dieses Mikrofon hineinzublasen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
In Bezug auf die externe Kommunikation wird dabei immer wieder das Aktiengesetz von den Experten herangezogen, dass als einschränkende Norm bewertet werden kann. Einerseits beziehen sich die Experten auf die operative Verantwortung des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) sowie auf dessen Repräsentationsfunktion (§ 78 Abs. 1 AktG). Andererseits gebe es durch diese Aufgabentrennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nur wenig Themen, die relevant für die Kommunikation seien.
„Jetzt komme ich nochmal aufs Aktiengesetz zurück. Ein Aufsichtsrat und auch ein Aufsichtsratsvorsitzender ist keine freischwebende Intelligenz, sondern der agiert auf dem Boden bestimmter Regularien, Gesetze, Richtlinien. Und er wäre schlecht beraten zum Beispiel einzelnen Investoren, Informationen zu geben, die er anderen Investoren nicht gibt. Dann sind wir nämlich schnell in einem Bereich, wo es heißt, Moment mal, da werden Insider-Informationen weitergegeben. Insofern sind dem Ganzen auch Grenzen gesetzt“ (Public Relations_17).
In Bezug auf die Strukturen der externen ARV-Kommunikation kann zudem übergeordnet festgehalten werden, dass die Ressourcen von Aufsichtsratsvorsitzenden unterschiedlich verteilt sind. Während einige Ressourcen, wie der Zugang zu Informationen an das Amt gebunden und damit übertragbar sind, sind andere Ressourcen an den Akteur gebunden, sodass sie in das jeweilige Amt mit eingebracht werden. Dazu gehören das Image und die Glaubwürdigkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Öffentlichkeit sowie die Fähigkeit zur Öffentlichkeitsmobilisierung.
So können Aufsichtsratsvorsitzende aufgrund ihrer vorherigen Positionen und Leistungen über ein positives Image bzw. Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit verfügen. Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden waren zuvor alle als Vorstände in Unternehmen tätig. Aus Sicht der Kommunikationsverantwortlichen handele es sich bei einigen Aufsichtsratsvorsitzenden zudem um prominente Personen, die über ihre Aufsichtsratsrolle hinaus als Personen des öffentlichen Lebens eingestuft werden könnten. Dies spiegele sich in Anfragen an die Person wider und müsse daher bei einer Kommunikation mit bedacht werden. Die Herausforderung bestehe jedoch darin, dass in der Logik der Medien die Person nicht getrennt vom Amt betrachtet werde. Daher müsse bei jeder Kommunikation geprüft werden, ob Äußerungen des ARV zu den Äußerungen des Unternehmens bzw. des Vorstands passen würde.
„Der Aufsichtsratsvorsitzende bei uns ist eine sehr wohlwollende Trumpfkarte, die wir haben, wenn wir sie brauchen, aber der sich auch da wirklich nicht in den Vordergrund spielen will. Wenn ich ihm jetzt empfehlen würde, er muss was machen, dann würde er es aber auch sofort tun“ (Public Relations_28).
In diesem Zusammenhang ist auch die Fähigkeit zur Öffentlichkeitsmobilisierung von Aufsichtsratsvorsitzenden relevant. Diese basiere auf dem Image in der Öffentlichkeit und dem vorhandenen Netzwerk, hinzu komme nach Einschätzung der Experten jedoch auch ein spezifisches Selbstverständnis und vor allem Sendungsbewusstsein bei gesellschaftlichen Diskussionen.
„Als politischer Mensch und Bürger dieses Landes, dem Deutschland am Herzen liegt, muss man sich ja zu bestimmten Themen äußern. Und das mache ich nicht, wirklich nicht in meiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender“ (Aufsichtsratsvorsitzender_11).
Weiterhin würden einige Aufsichtsratsvorsitzende bei vielen verschiedenen Anlässen auftreten, sodass Äußerungen von verschiedenen Stakeholdern des Unternehmens wahrgenommen werden würden.
Personelle Ressourcen für die externe ARV-Kommunikation
Zu den Ressourcen, die an das Amt gebunden sind, gehören dagegen die personelle Unterstützung sowie ein Budget. In allen befragten Unternehmen wird die Arbeit des Aufsichtsrats durch Mitarbeitende des Unternehmens unterstützt (dazu auch BCG (2018) und Clausen (2016)). Dies reicht von einem Sekretariat bis zu einer Abteilung, die für die Organisation und Unterstützung der Gremien (Corporate Secretary) zuständig ist. Die Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben, dass sie bei Fragen von externen Stakeholdern von Mitarbeitenden des Unternehmens unterstützt werden. So würden bspw. Anfragen von Kunden, die direkt an sie gerichtet seien, an die jeweiligen Fachabteilungen zur Klärung weitergeben könnten.
„Ich kann natürlich auf die Ressourcen des Unternehmens in begrenztem Umfang zurückgreifen. Das heißt, wenn ich Fragen habe, dann weiß ich eben, an wen ich die stellen soll, und kriege da auch all die Informationen, die ich brauche. Aber ich halte mich da auch ziemlich streng dran, weil ich selbst die Erfahrung als Vorstand gemacht habe, wie wichtig das ist, dass der Aufsichtsrat eben den Vorstand die Geschäfte führen lässt und nicht selbst versucht, alles besser zu wissen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_26).
In Bezug auf die Kommunikation beschreiben einige Aufsichtsratsvorsitzende, sie hätten vollen Zugriff auf die Kommunikationsabteilungen. Im Zusammenhang mit den Aussagen der jeweiligen Verantwortlichen kann festgestellt werden, dass darunter die Vorbereitung einer situationsabhängigen Kommunikation, z. B. Pressemitteilungen oder Investorengespräche, aber auch ein persönlicher Austausch bei Fragen zu kommunikationsrelevanten Themen gemeint ist.
„Er sagt ja auch, wir sind nicht im klassischen Sinne ‚seine‘ Aufsichtskommunikationsabteilung, sondern die Kommunikationsabteilung der [Unternehmen] AG. Insofern ist der Job primär erstmal ein anderer. Wir unterstützen, geben ihm Empfehlungen, tauschen uns aus, aber im Großen und Ganzen kommt das authentisch aus ihm selbst heraus“ (Public Relations_25).
Der Austausch mit den Kommunikationsabteilungen finde meist informell, häufig auch ohne Beteiligung des Vorstands statt. In einem Fall ist dies im Unternehmen auch organisatorisch formell festgehalten und eine Position für die Kommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden geschaffen worden. Personelle Ressourcen können demnach als ermöglichende Ressourcen für die externe ARV-Kommunikation eingestuft werden. Die Zusammenarbeit mit den Kommunikationsfunktionen, insbesondere vor dem Hintergrund der Verortung der Kommunikation im Rahmen des Kommunikationsmanagements, wird in Abschnitt 8.2.1 noch einmal kritisch diskutiert.
Neben dem Zugang zu personellen Ressourcen der IR- oder PR-Abteilungen, wurde auch die personelle Unterstützung durch Berater thematisiert. Externe Berater werden zu verschiedenen Themen des Aufsichtsrats, z. B. Vergütung, Unternehmenskultur oder Nachhaltigkeit, mandatiert. Darüber hinaus haben sich in zwei Fällen die Aufsichtsratsvorsitzenden in einer Sondersituation entschieden, zusätzlich eine Kommunikationsberatung hinzuzuziehen, die der Person bzw. dem Aufsichtsratsgremium persönlich beratend zur Seite standen. Von den jeweiligen Kommunikationsabteilungen wurden diese Beratungen dann in die jeweiligen internen Abstimmungen mit einbezogen. Andere Aufsichtsratsvorsitzende lehnen das Hinzuziehen von externen Kommunikationsberatungen dagegen ab. Auch die Kommunikationsverantwortlichen beurteilen die Zusammenarbeit von Kommunikationsberatern des Aufsichtsrats eher kritisch:
„Dann wurde halt eine Agentur dafür eingestellt, die sich dann wehrt, die aber dann in den ganzen Telkos zu dem gleichen Schluss kam, den wir auch schon gesagt hatten. Das machen wir jetzt doch nicht“ (Public Relations_27).
Budget
Neben dem Zugang zu Informationen kann ein Budget eine allokative Ressource für die Arbeit und damit die Kommunikation des Aufsichtsrats darstellen. In den befragten Unternehmen gibt es jedoch kein eigenes Budget für das Aufsichtsratsgremium, sondern eventuelle Ausgaben müssen vom Vorstand freigegeben werden (Abschnitt 3.​2). Einige Aufsichtsratsvorsitzende befürworten ein Budget für den Aufsichtsrat bzw. gehen davon aus, dass dies mit der weiteren Professionalisierung der Aufgabe dazukommen werde. Dies sei vor allem in kritischen Situationen bzw. bei Unstimmigkeiten zwischen den beiden Gremien relevant, damit der Aufsichtsrat seine Aufgaben erfüllen könne.
„Infolgedessen, wenn da ein eigenes Budget geben würde, wäre es richtig meines Erachtens. Es können andere Zeiten kommen, und dann muss der Aufsichtsrat eben doch mal agieren, vielleicht auch gegen das Eigeninteresse des Vorstands oder eines Vorstandsmitglieds“ (Aufsichtsratsvorsitzender_10).
Aus diesen Erkenntnissen kann das (bisher fehlende) Budget eher als einschränkende Ressource für die externe ARV-Kommunikation bewertet werden.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die Unternehmenssituation ein wichtiges Kriterium für ein gemeinsames Verständnis zum Auftritt des ARV nach außen darstellt. Während in einer normalen Situation alle Experten für eine Zurückhaltung des ARV plädieren, wird eine freiwillige Kommunikation in Sondersituationen bzw. Krisen eher in Betrachtung gezogen. Dabei müsse es sich jedoch um Situationen handeln, die in der Verantwortung des Aufsichtsrats liegen oder wenn der Vorstandsvorsitzende nicht sprechfähig sei, z. B. wenn es um seine Person gehe.
„Es gibt Situationen, da brauchst du den Aufsichtsratsvorsitzenden als strategischen Kommunikator. Das kann bei großen Übernahmen, Restrukturierungen oder einem Vorstandswechsel der Fall sein. Da kann er eine kommunikative Rolle übernehmen, im operativen Tagesgeschäft auf gar keinen Fall“ (Public Relations_28).
Die Akteure bringen damit ihre unbewussten Kenntnisse über die Erwartungen der Anspruchsgruppen ein (Abschnitt 7.​2.​1), um ihr Handeln zu rationalisieren und zu strukturieren.
Im weiteren Verlauf wird nun anhand der Öffentlichkeitsarenen und den darin agierenden Anspruchsgruppen auf die strukturbildenden Regeln und Ressourcen eingegangen. Zudem werden auch jeweils die empirischen Erkenntnisse zu den Kommunikationsmaßnahmen vorgestellt. Dabei wird mit den Publizitätspflichten des Aufsichtsrats (Abschnitt 8.1.2.1) begonnen, da sich diese sowohl an die Investoren als auch andere Anspruchsgruppen wenden. Anschließend werden die Erkenntnisse zum Dialog mit den Akteuren der Kapitalmarktöffentlichkeit (Abschnitt 8.1.2.2) sowie der freiwilligen Kommunikation in die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit (Abschnitt 8.1.2.3) beleuchtet. Zusätzlich zu den beiden bereits im Theorieteil der Arbeit eingeführten Öffentlichkeitsarenen konnte in den Expertengesprächen auch ein Dialog mit Akteuren der politischen Öffentlichkeit identifiziert werden. Die parlamentarische Öffentlichkeitsarena sowie die empirischen Erkenntnisse zum Dialog werden in Abschnitt 8.1.2.4 vorgestellt.

8.1.2.1 Publizitätspflichten des Aufsichtsrats

Die Corporate-Governance-Forschung beschäftigt sich nur am Rande mit verschiedenen Publizitätspflichten, die aus der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats resultieren. Die Funktion der einzelnen Kommunikationsmaßnahmen der Publizitätspflichten wurden in Abschnitt 5.​1.​2 hergeleitet. Die Analyse der Anforderungen an die ARV-Kommunikation hat gezeigt, dass die Publizitätspflichten sowohl für die Akteure der Kapitalmarktöffentlichkeit als auch der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit maßgeblich relevant sind (Abschnitt 7.​2.​1). Die Erkenntnisse zu den Strukturen und Umsetzung der Publizitätspflichten werden in diesem Kapitel vorgestellt.
Zunächst kann festgestellt werden, dass das Aktiengesetz und der DCGK die zentralen Normen für die ARV-Kommunikation sind. Dies gilt auch für die Publizitätspflichten, da z. B. eine Nichtbefolgung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch ein Bußgeld der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sanktioniert werden kann. Die Publizitätspflichten entstehen aus der Aufgabenteilung im dualistischen System der Unternehmensführung und beziehen sich damit auf die Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats zu Corporate Governance, die eine autoritative Ressource seiner Kommunikation darstellt. Die konkreten Kommunikationsmaßnahmen werden als Teil der Regelkommunikation des Unternehmens von den Kommunikationsfunktionen vorbereitet und herausgegeben. Das bedeutet, dass Aufsichtsratsvorsitzende auf eine personelle Unterstützung der Kommunikationsabteilung als autoritative Ressource zurückgreifen kann (die Verantwortung für Kommunikationsmanagement wird noch in Abschnitt 8.2.1 diskutiert).
Bei den Publizitätspflichten des Aufsichtsrats handelt sich vor allem meist um schriftliche, einseitig nach außen gerichtete Kommunikationsmaßnahmen (Übersicht siehe Tabelle 5.​1). Im Rahmen der Expertengespräche wurde die folgenden vier Publizitätspflichten detaillierter diskutiert, die Erkenntnisse werden im Folgenden vorgestellt:
  • Aufsichtsratsbericht
  • Hauptversammlung
  • Corporate-Governance-Informationen auf der IR-Website des Unternehmens
  • Pressemitteilungen
Aufsichtsratsbericht
Der Bericht des Aufsichtsrats ist die zentrale Publikation innerhalb der gesetzlich definierten Publizitätspflichten (ausführlich zur Funktion und Inhalten des Aufsichtsratsberichts in Abschnitt 5.​1.​2). Auch die befragten externen Stakeholder beziehen sich in ihrem Informationsbedürfnis vor allem auf den Aufsichtsratsbericht (Abschnitt 7.​2.​1).
Inhaltlich wird darin festgehalten, wie und in welchem Umfang der Aufsichtsrat den Vorstand überwacht hat, wobei auf die Häufigkeit und Themen der Aufsichtsrats- und Ausschusssitzungen eingegangen wird sowie auf personelle Veränderungen im Gremium oder möglichen Interessenkonflikten. Aus Sicht der befragten Unternehmensexperten zeigen die jeweiligen Berichte transparent und umfänglich die Arbeit des Gremiums. Ziel des Berichts sei, dass die Investoren sowie weitere Anspruchsgruppen einen Eindruck davon erhalten, mit welchen Themen sich das Gremium im jeweiligen Jahr beschäftigt habe.
Dabei reagieren einige Unternehmen auf konkret geäußerte Informationsbedürfnisse der Stakeholder und veröffentlichen mehr Informationen als dies bei vergleichbaren Unternehmen (noch) üblich ist. In einem Fall handelte es sich dabei um die Darstellung, welche Kompetenzprofile bei der Neubesetzung des Aufsichtsrats gesucht werden:
„Das gilt zum Beispiel für die Frage Kompetenzprofil des Aufsichtsrats. Da sind wir sehr detailliert. Das hat mir auch schon einige Kritik von einigen Kollegen eingebracht, die gesagt haben, das ist ja Unsinn. Warum macht er das so? […] Ist nur nicht üblich gewesen, es so öffentlich zu machen. Da das nun mal gefordert wurde, haben wir gesagt schreiben wir es einfach mal auf. Und dass wir uns auch mit unserer Zusammensetzung, glaube ich, nicht verstecken müssen in diesem Aufsichtsrat“ (Aufsichtsratsvorsitzender_26).
In einem anderen Fall werden die Informationsbedürfnisse der Investoren sogar antizipiert, sodass zukünftig die Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder an den Aufsichtsratssitzungen nicht nur pauschal, sondern individuell veröffentlicht wird:
„Und wir werden jetzt auch noch einen Schritt weitergehen und veröffentlichen, wer an wie vielen Sitzungen teilgenommen hat. Nicht nur pauschal, sondern einfach sagen, hier, Disziplin. Und wenn das erklärbar ist, dann ist es erklärbar. Keine Angst. Wenn es nicht erklärbar ist, dann gibt es Kritik“ (Aufsichtsratsvorsitzender_3).
Ein Blick auf den Entstehungsprozess des Berichts zeigt, dass das Manuskript des Aufsichtsratsberichts zunächst von der Rechtsabteilung oder dem sog. Corporate Office, einer zuständigen Abteilung für die Gremienarbeit, geschrieben wird, bevor dieser inhaltlich mit den Aufsichtsratsvorsitzenden abgestimmt wird. Im Anschluss würden dann die Kommunikationsabteilungen noch eine sprachliche Überarbeitung vornehmen, mit dem Ziel einer besseren Lesbar- und Verständlichkeit für die Stakeholder.
„Den Bericht schreibt natürlich nicht jemand aus dem Aufsichtsrat. Den ersten inhaltlichen Entwurf, was muss rein, macht das Corporate Office. Und wir ziehen das dann glatt, dass daraus ein halbwegs lesbarer Text wird. Es ist ein juristisches Dokument. Und juristische Dokumente zeichnen sich ja meistens nicht durch besondere Literaturpreisverdächtigungen aus. Da gucken wir eben, was waren die Schwerpunkte, mit denen der Aufsichtsrat sich im Verlauf des Jahres beschäftigt hat?“ (Public Relations_1).
Interessant ist dabei, dass Aufsichtsratsvorsitzende bei der zentralen Publikation des Aufsichtsratsberichts, die im Rahmen des Geschäftsberichts und damit der Regelkommunikation des Unternehmens veröffentlicht wird, nicht nur auf die personellen Ressourcen der Kommunikationsfunktionen, sondern auch auf andere Abteilungen im Unternehmen zurückgreifen können. Dies hängt damit zusammen, da das Aufsichtsratsgremium selten über eine eigene personelle Unterstützung für die Kommunikation oder ein Budget verfügt und daher auf die Ressourcen des Unternehmens zugegriffen wird.
Der Aufsichtsratsbericht wird neben der Publikation im Geschäftsbericht des Unternehmens durch den Aufsichtsratsvorsitzenden auf der Hauptversammlung erläutert.
Hauptversammlung
Basierend auf Methoden der Theaterwissenschaften untersucht Biehl (2007) in ihrer Dissertation die Inszenierung von deutschen CEOs bei Hauptversammlungen, Bilanzpressekonferenzen und Analystenkonferenzen. Während die Exponierung der Manager mithilfe einer Szenografie aus Licht, Mikrofonen, Projektionen und Pulten, eigentlich einen personalisierenden Effekt habe, sei der tatsächliche Auftritt häufig stark entpersonalisiert, z. B., indem Reden vom Blatt abgelesen würden. Aus ihrer Sicht entstehe diese Diskrepanz aus den unterschiedlichen Anforderungen der Stakeholder, aber auch durch die Kapitalmarktgesetze (Biehl, 2007, S. 236).
Diese Beobachtung kann auch auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen der Hauptversammlung übertragen werden. Die Veranstaltung wird von den Experten zwar als wichtiger Tag, jedoch vor allem als juristische Übung und Formalie angesehen, bei der es darum gehe, keine Fehler zu machen. Hier zeigt sich erneut, dass das Aktienrecht eine zentrale Norm der ARV-Kommunikation darstellt.
So werde der Leitfaden, anhand dessen die Versammlung durch die Aufsichtsratsvorsitzenden geleitet wird, von der Rechtsabteilung erstellt. Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden würden die Hauptversammlung zwar gerne frei leiten, jedoch müssten klare juristische Regeln eingehalten werden, was dazu führe, dass der Leitfaden zur Versammlung abgelesen werde.
„Da gibt es spezialisierte Juristen, die einem so einen Kram vorsetzen, den man dann brav abliest, ganz einfach, um die rechtlichen Rahmenbedingungen einzuhalten. […] Das interessiert keinen wirklich, weder der, der sitzt, noch der vorliest, aber es muss gemacht werden. Und schöner wäre es, wenn man die Sitzung frei leiten könnte, aber es geht halt nicht“ (Aufsichtsratsvorsitzende_10).
Aufsichtsratsvorsitzende müssen als Leitende der Hauptversammlung sowohl auf die Regularien der Durchführung achten als auch mit Kritik der Aktionäre umgehen. Bei der Leitung und Erläuterung des Aufsichtsratsberichts auf der Hauptversammlung handelte es sich lange Zeit um die einzige persönliche Kommunikationsmaßnahme des Aufsichtsrats.
„Als Aufsichtsrat leite ich die Versammlung. Ja. Müssen mit den Querköpfen umgehen können, die jede Versammlung belasten, weil sie inhaltlich nichts bringen in der Regel und nur Lärm und ein bisschen Ärger versuchen zu kreieren, aber da kann man sich drauf vorbereiten. Man weiß, wer kommt. Manchmal ahnt man schon, wer dort auflaufen wird, aber das ist auch eine Sache, wo Sie sagen, okay. Wenn die kommen, haben die das Recht Fragen zu stellen. Wenn wir wissen, dass jemand da so einen Unruhefaktor erzeugen will, dann können wir ihn nicht dran hindern. […] Und ich muss nur zu den Themen, die der Aufsichtsrat zu beantworten hat, dann eine Stellungnahme abgeben“ (Aufsichtsratsvorsitzender_3).
Die Hauptverantwortung für die Hauptversammlung liegt abhängig von Unternehmen entweder bei der Rechts- oder der Investor-Relations-Abteilung. Insgesamt sei eine Vielzahl von Abteilungen mit der inhaltlichen Vorbereitung beschäftigt, da u. a. umfangreiche Fragen-und-Antworten-Kataloge erstellt würden. Auch die IR- und PR-Abteilungen antizipieren mögliche Fragen und speisen diese in ein zentrales System ein. Im Vorfeld der Veranstaltung erhalte der ARV ein Briefing-Paket, das u. a. die antizipierten Fragen enthalte, aber vor allem die Detailabläufe erläutere. Ein spezielles Training der Akteure wurde in keinem der Fälle durchgeführt.
„Was klar gemacht wird, ist, dass ich mich mit der Kommunikationsabteilung, aber auch mit der Rechtsabteilung im Vorfeld zusammensetze und sage, wenn ich jetzt mal Rückblicke, was ist eigentlich im vergangenen Jahr gelaufen? Was sind Themen, die auf der Hauptversammlung zur Diskussion kommen könnten? Und schaue mir dann vermutete Fragen an, die ich auch selbst aufwerfe, und sage dann, okay, und wie sähe denn unsere Antwort an dieser Ecke nun wirklich aus? Was sagen wir dazu? Und da ist es wichtig, dass nicht nur die Kommunikationsabteilung, sondern auch die Rechtsabteilung mit am Tisch sitzt, damit dann die Antworten, die auf der Hauptversammlung dann gegeben werden, dann auch unter rechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich sind“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Am Tag der Hauptversammlung würden dann aus allen operativen Funktionen Personen im Backoffice sitzen, um die Fragen der Investoren zu beantworten, darunter auch Vertreter der Kommunikationsabteilungen. Daran zeigt sich, dass bei der Hauptversammlung als wichtige Veranstaltung, personelle Ressourcen aus verschiedenen Abteilungen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden aber auch des Vorstands eingesetzt werden.
Die Beantwortung der Fragen werde abhängig von den Verantwortlichkeiten an die Vorstandsmitglieder oder bei Fragen zur Aufsichtsratstätigkeit an die Aufsichtsratsvorsitzenden geleitet. Bei einem Großteil der Fragen auf der Hauptversammlung handele es sich um die Geschäftsentwicklung und Strategie des Unternehmens, die wenigen Fragen an Aufsichtsratsvorsitzende würden schwerpunktmäßig zum Thema Vorstandsvergütung gestellt. Dies ist interessant, da aufgrund des ARUG II (Norm) erwartet werden kann, dass zukünftig eine ergänzende freiwillige Kommunikation des Aufsichtsrats zur Vorstandsvergütung notwendig werde.
„Wenn ich mal so schätzen müsste, würde ich sagen, 70 Prozent der Fragen beantwortet wahrscheinlich der CEO und vielleicht nochmal 20 Prozent der CFO. Dann haben wir jeweils fünf Prozent vom Legal-Vorstand und vom Aufsichtsratsvorsitzenden. Und das waren alles Vergütungsthemen“ (Investor Relations_21).
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Hauptversammlung von allen befragten Experten vor allem als Pflicht-Veranstaltung gesehen wird. Dabei wird auch kritisch hinterfragt, ob die Hauptversammlung einmal im Jahr ausreiche, um die Kommunikationsbedürfnisse von Investoren zu erfüllen.
„Ob aber eine Hauptversammlung einmal im Jahr die Kommunikationsbedürfnisse von Investoren, insbesondere größeren Investoren erfüllt, da mache ich mal ein dickes Fragezeichen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_5).
Corporate-Governance-Informationen auf der IR-Website des Unternehmens
Die Inhalte aus den gesetzlich vorgeschriebenen Publikationen des Aufsichtsrats, wie Aufsichtsratsbericht, Corporate-Governance-Bericht, Directors’ Dealings etc., finden sich bei allen Unternehmen im Investor-Relations-Bereich der Corporate Website. Aus Sicht der Kommunikationsverantwortlichen würden die Informationen dort bereitgestellt, damit sie schnell und einfach für die interessierten Kapitalmarktteilnehmer zu finden seien. Die IR-Website wird damit als zentrales Instrument für die Kommunikation von aufsichtsratsrelevanten Themen betrachtet.
„Zum einen versuchen wir eben ganz grundsätzlich, eine sehr starke Transparenz in der Kommunikation mit den unterschiedlichen Zielgruppen zu haben. Ganz wichtig dabei sind natürlich unsere Eigentümer oder potenzielle Eigentümer. Und wir versuchen denen natürlich so viel Informationen wie möglich und so transparent und gut aufbereitet wie möglich zur Verfügung zu stellen. Bevor sie den ersten möglicherweise persönlichen Kontakt mit uns haben, damit sie sich eben zunächst mal ihr eigenes Bild machen können“ (Public Relations_25).
Beim Umfang und Detailtiefe der Informationen orientieren sich die Experten an anderen Unternehmen, aber auch an den Anforderungen, die von Stakeholdern im Tagesgeschäft explizit an sie gestellt würden. Daran zeigt sich die Bedeutung der externen Erwartungen auf die Strukturen und Maßnahmen des Unternehmens.
„Das ist über die Jahre gewachsen und hat sich an Anforderungen orientiert. Da versuchen wir gar nicht so sehr, den Konsensus zu berücksichtigen, sondern wenn mal jemand gesagt hat, diese Information wäre gut, dann haben wir das überlegt und ggf. gemacht. Themen wie Aufsichtsratsmandate sind wichtig, weil da viele drauf schauen“ (Investor Relations_2).
Auch diese Informationen werden im Rahmen der Regelkommunikation von Unternehmen veröffentlicht, sodass dies durch personelle Ressourcen der Kommunikationsfunktionen verantwortet wird.
Pressemitteilungen
Pressemitteilungen zu aufsichtsratsrelevanten Themen sind ebenfalls Teil der Regelkommunikation des Unternehmens. Der Kommunikationsabteilung kommt dabei die zentrale Rolle bei der Durchführung dieser Maßnahmen zu. Der Prozess läuft meistens so, dass es eine Vorabinformation von Aufsichtsratsvorsitzenden an den PR-Ansprechpartner, oder auch dem CEO, gebe. Aus Sicht der PR werde dann idealerweise direkt die Erwartungshaltung abgefragt, bspw. ob eine bestimmte Botschaft transportiert werden solle.
„Normalerweise fragt man die Erwartungshaltung ab, und ob es eine bestimmte Botschaft gibt, die man mitgeben will. Ansonsten kommen die Vorschläge von uns, und dann ist es dann im besten Fall eine kurze und im schlimmstenfalls eine lange Information“ (Public Relations_25).
Auf dieser Basis erstellt die Abteilung eine Pressemitteilung, die zur Abstimmung bzw. Freigabe an die relevanten Akteure, z. B. Gremien und Rechtsabteilung, zirkuliert werde. Damit soll sichergestellt werden, dass auch die wichtigen Normen der ARV-Kommunikation, also z. B. die Ad-hoc-Pflicht, eingehalten werden. In vielen Fällen werden die Aufsichtsratsvorsitzenden aufgrund seiner Entscheidungskompetenz (Ressource) auch in der Pressemitteilung zitiert.
„Der Aufsichtsratsvorsitzende informiert uns über den geplanten Wechsel. […] Und dann schreiben wir einen Entwurf, geben das an die Herren, die betroffen sind, legen das dann dem Aufsichtsratsvorsitzenden vor, weil er ja dann doch meistens auch zitiert wird. Außerdem ist Personalkommunikation im Vorstand auch immer Aufsichtsratskommunikation. Das behält sich ein Aufsichtsrat vor. Und dann stimmen wir die ab, und dann ist gut“ (Public Relations_14).
Da interessante Informationen in der Regel einen formellen Beschluss des Aufsichtsrats erfordern würden, liege dann entsprechend schon ein Entwurf für die später zu veröffentlichende Meldung vor.
„Ich bin nicht derjenige, der am besten weiß, wie man das sinnvoll formuliert. Ich habe dazu meine Meinung, aber da bin ich der Auffassung, da muss man sich dann letztendlich die Unterstützung der Profis besorgen. Und dafür ist die Kommunikationsabteilung da. Bisher hat das auch immer funktioniert. Wichtig ist, dass auch dort ein Vertrauensverhältnis existiert, sodass nicht irgendetwas zum unpassenden Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangt, sondern eben erst dann, wenn man es auch machen möchte“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Gespräche zeigen, dass die Vorbereitung und Umsetzung der Publizitätspflichten des Aufsichtsrats fest im Rahmen der Regelkommunikation integriert sind. Von den Kommunikationsverantwortlichen werden sie häufig nicht explizit als Kommunikationsmaßnahmen des Aufsichtsrats, sondern eher als Maßnahmen des Unternehmens wahrgenommen. Als Nächstes werden nun die empirischen Erkenntnisse zu den Strukturen und Maßnahmen mit externen Anspruchsgruppen gezeigt.

8.1.2.2 Dialog mit Akteuren der Kapitalmarktöffentlichkeit

Aus der externen Perspektive markiert die Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK eine wichtige Entwicklung für den Wandel der ARV-Kommunikation. Investoren stellen die zentrale Anspruchsgruppe der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden dar. Aber auch andere Akteure wie Wirtschaftsjournalisten und Stimmrechtsberater können als relevante Stakeholder eingestuft werden (Abschnitt 4.​1.​2).
Die Beziehungen zu Stakeholdern bringen Aufsichtsratsvorsitzende aus vorherigen Positionen mit ein, die insgesamt als ermöglichende autoritative Ressource für die ARV-Kommunikation eingestuft werden kann. Aus einer ehemaligen Position als CEO oder CFO hätten die Aufsichtsratsvorsitzenden, z. B. entsprechend Erfahrungen im Umgang und den Informationsbedürfnissen von Investoren.
„Ich glaube, das sind alles gestandene Manager mit einer gewissen Vorgeschichte. Die sind in der Regel das Spiel mit den Investoren auch gewohnt“ (Investor Relations_12).
Eng damit verbunden stellt auch die kommunikative Kompetenz von Aufsichtsratsvorsitzenden eine Ressource dar, relevante Deutungs- und Handlungsregeln mit bestimmten Stakeholdern zu kennen und anwenden zu können. Dazu gehört u. a. die Medienlogik, aber auch das Verbot von Insiderinformationen bzw. Gleichbehandlungsgebot aller Investoren:
„Da sollten dann natürlich keine internen Informationen weitergegeben werden, aber da ist Herr [Aufsichtsratsvorsitzender] professionell genug und kennt das Geschäft zu gut, um da irgendwo in eine Falle zu tappen“ (Investor Relations_2).
Die unterschiedlichen Interessenlagen der Stakeholder zu kennen und in der Kommunikation zu berücksichtigen, stellt eine zentrale Erwartung der Anspruchsgruppen dar (Abschnitt 7.​2). Auch wenn die Aufsichtsratsvorsitzenden bereits umfangreiche Erfahrungen in der Kommunikation mit Kapitalmarktakteuren haben, wäre es für eine professionelle ARV-Kommunikation trotzdem relevant, eine Einordnung der aktuellen, situationsspezifischen Erwartungen der Stakeholder durch die IR-Verantwortlichen zu erhalten.
Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden und IR-Verantwortlichen sehen den Sinn einer Kommunikation mit Investoren primär in einer Bereitstellung von Informationen, in dessen Folge die Abstimmungen auf den Hauptversammlungen oder Investitionsentscheidungen beeinflusst werden könnten. Durch einen Dialog mit Aufsichtsratsvorsitzenden könne es gelingen, Beziehungen zwischen den Investoren und dem Unternehmen zu stärken. Damit benennen die Experten das aus der Theorie hergeleitete zentrale Ziel der Beziehungspflege auch als sinnstiftendes Interpretationsmuster.
„Ich glaube, je tragfähiger und belastbarer dieses Netzwerk ist, und je konsequenter man diesen Dialog eigentlich über Jahre hinweg geführt hat. Das hat nichts mit Mauschelei zu tun. Das ist einfach eine transparente und offene, vertrauensvolle Kommunikation miteinander. Und dann geht das auch in jeder Konstellation“ (Investor Relations_12).
Das Interesse der Investoren an einem Dialog wird als nachvollziehbar und legitim bewertet. Hier zeigt sich ein größtenteils unbewusster Bezug auf die Erwartungen der Investoren. Diese sehen den Dialog ebenfalls als legitim an, da der Aufsichtsrat als Agent der Investoren (Abschnitt 3.​1) agiere. Neben umfangreichen und aktuellen Informationen erwarten sie darüber hinaus aber auch, eine Einschätzung zur Person zu erlangen sowie die Investorenmeinung zur Entscheidungsfunktion des Aufsichtsrats mit einzubringen (Abschnitt 7.​2.​1). Die Aufnahme der Erwartungen und Stimmungen im Aktionariat durch Gespräche mit Aufsichtsratsvorsitzenden (Listening) als mögliches Interpretationsmuster wird von den Unternehmensexperten jedoch in keinem der Fälle thematisiert.
Im Folgenden soll nun detailliert auf den Investorendialog nach dem DCGK und möglicherweise daraus resultierende Veränderungen der Strukturen eingegangen werden, bevor die Strukturen und freiwillige Kommunikationsmaßnahmen mit Stimmrechtsberatern sowie weiteren Kapitalmarktakteuren dargestellt werden.
Investorendialog nach dem DCGK
Die Experteninterviews wurden im Jahr nach der Aufnahme der Anregung zum Investorendialog in den DCGK geführt. Die Argumentation sowie die Stellungnahmen von Unternehmen und Anspruchsgruppen zur Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK wurden in Abschnitt 5.​1.​2 ausführlich vorgestellt. Die Anregung war daher allen Befragten bekannt und wurde als neue Norm für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden eingeschätzt. Alle IR-Verantwortlichen hatten sich bereits überlegt, wie mit Anfragen umgegangen werden sollte. Zum damaligen Zeitpunkt gab es jedoch kaum Erfahrungswerte, ob Investoren häufiger Gespräche einfordern würden. Insgesamt zeigten sich die Unternehmensvertreter abwartend, ob sich dadurch tatsächlich etwas im Alltag ändern würde und ob es Auswirkungen auf die Unternehmen haben würde, die sich einem solchen Dialog versperren.
„Die letzte Kodex-Änderung hat jetzt nicht gerade dazu geführt, dass sich das Atrium bei uns unten füllen würde und da die Investoren Schlange stehen“ (Investor Relations_12).
Von den beiden in Abschnitt 5.​1.​2 vorgestellten Initiativen zum Investorendialog, wurde in den Gesprächen nur die Leitsätze der Initiative Developing Shareholder Communication (2016) thematisiert. Ein Aufsichtsratsvorsitzender beschreibt sie als „Konfliktlösung“ (Aufsichtsratsvorsitzender_11), die im Rahmen des Aktienrechts liegen. Alle Aufsichtsratsvorsitzenden beziehen sich in ihren Ausführungen wiederholt auf die Leitsätze, sodass diesen eine hohe Bekanntheit und auch Akzeptanz zugeschrieben werden kann. Sie werden auch deshalb häufiger herangezogen, da sie inhaltlich konkreter seien als der DCGK.
„Ich bin immer für Gestalten und nicht für reaktives Handeln. Und deshalb sind die Leitsätze hilfreich und beschreiben auch alles“ (Aufsichtsratsvorsitzender_11).
Die IR-Verantwortlichen bestätigen, dass das Thema Investorendialog und die Leitsätze ein hohes Maß an Aufmerksamkeit in den Unternehmen erhalten hätten, sodass sie als (neue) Norm für die Kommunikation bewertet werden können. Jedoch hätte es dadurch zunächst keine grundlegenden Änderungen in den Maßnahmen oder Strukturen der Unternehmen gegeben.
Ob es tatsächlich zu einer Modifikation der Strukturen der ARV-Kommunikation aufgrund des Investorendialogs gekommen ist, soll auf Basis der nachfolgenden Erkenntnisse zur konkreten Umsetzung dieses Dialogs diskutiert werden:
Mit der Aufnahme der Anregung zum Investorendialog von Aufsichtsratsvorsitzenden im DCGK ist ein weiteres Instrument in der Kommunikation mit dem Kapitalmarkt dazugekommen. Die befragten Aufsichtsratsvorsitzende und IR-Verantwortlichen erkennen die Relevanz des Dialogs an und sprechen ihm eine hohe Legitimität zu. Bei der tatsächlichen Durchführung des Dialogs zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen den Unternehmen. So gibt es Unternehmen, bei denen die Aufsichtsratsvorsitzenden bereits seit längerer Zeit regelmäßig mit Investoren in Kontakt steht, aber auch Fälle, in denen es noch nicht zu einem Dialog gekommen war.
Aus Sicht der Experten können dafür zwei Gründe herangezogen werden: (1) das Interesse des jeweiligen Aktionariats sowie (2) die Situation des Unternehmens. In Bezug auf das Interesse der Investoren thematisieren die Unternehmensakteure (unbewusst) auch die Gründe für die veränderte Erwartungshaltung, die sich aus der externen Analyse anhand der Gespräche mit den Anspruchsgruppen gezeigt haben (Abschnitt 7.​2.​2). Demnach hätten DAX-Unternehmen einen größeren Streubesitz und internationale Investoren, die den Dialog aus ihrem Corporate-Governance-Verständnis einfordern würden. Die Diskussion zu einem Dialog werde aus Sicht der Unternehmensexperten zudem von bestimmten Investorengruppen getrieben, die auch entsprechende Kapazitäten hätten. Die breite Masse der Investoren sei aus Sicht der IR-Verantwortlichen bisher kaum an Gesprächen interessiert. Die Unternehmen mit einem geringen Streubesitz bzw. Ankeraktionären würden sowieso einen regen Austausch mit den Ankeraktionären pflegen, darüber hinaus aber wenig oder kaum Anfragen von anderen Investoren verzeichnen. Zweitens komme es auf die Situation des Unternehmens an, ob bspw. ein aufsichtsratsrelevantes Thema, wie Vergütung, auf der nächsten Hauptversammlung anstehe.
Nach einer Befragung von in Deutschland tätigen IR-Praktikern findet ein Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Investoren außerhalb der Regelkommunikation vor allem im persönlichen Dialog, also One-on-One-Gespräche (56,9 %), aber auch am Telefon (33,4 %) oder per E-Mail (24 %) statt. Deutlich seltener treten Aufsichtsratsvorsitzende bei Roadshows (4,5 %) oder Capital Market Days (3,9 %) auf (Tietz et al., 2019, S. 70). Dies spiegelt auch die Erkenntnisse aus den Experteninterviews wider: So nutzen diejenigen Unternehmen, bei denen ein Austausch bereits stattfindet, vor allem den persönlichen Dialog aber auch Corporate-Governance-Roadshows. Wie diese konkret umgesetzt werden, wird im Folgenden beschrieben.
Initiative für den Investorendialog
Nach der Studie von Tietz et al. (2019, S. 71) geht die Initiative für den Dialog häufiger von den Kapitalgebern als vom Aufsichtsrat oder der IR-Abteilung aus. Die Experteninterviews bestätigen dies: so gebe es in einem normalen Jahr, also ohne eine Veränderung bei aufsichtsratsrelevanten Themen auf der Hauptversammlung, keine Gesprächsanfragen von Investoren. Wenn jedoch eine Sondersituation oder ein aufsichtsratsrelevantes Thema auf der nächsten Hauptversammlung anstehe, gebe es vermehrt Anfragen.
In den zwei befragten Unternehmen, die bereits regelmäßig Corporate-Governance-Roadshows mit ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden durchführen, gehe die Initiative vom Unternehmen aus, was dazu führe, dass es unterjährig kaum Anfragen an den Aufsichtsrat gebe. Ein weiteres Unternehmen führt anlassbezogen Roadshows durch: Wenn auf der Hauptversammlung im folgenden Jahr ein relevantes Thema, z. B. Vergütung, anstehe, dann werden im Herbst Gespräche geplant, um bereits im Vorfeld mit den wichtigsten Investoren über das jeweilige Thema sprechen zu können.
„Außerhalb der jährlichen Corporate-Governance-Roadshows gibt es zumindest bis jetzt keine Anfragen an den Aufsichtsrat. Oder sagen wir mal, wir fangen sie über die IR-Ebene ab. Und da war bis jetzt auch nicht der Wunsch danach, dass man unbedingt mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden sprechen muss“ (Investor Relations_12).
Teilnehmer des Dialogs
In Bezug auf die Teilnehmer des Dialogs wird einerseits auf die Auswahl der Gesprächspartner und andererseits auf die teilnehmenden Gesprächspartner auf Unternehmensseite eingegangen. Die Auswahl der Gesprächspartner findet in den Unternehmen unterschiedlich statt. Bei Anfragen zu Gesprächen werde zunächst geprüft, ob es sich tatsächlich um Fragen zur Corporate Governance handele und ein Gespräch mit dem ARV als notwendig erachtet wird. Schließlich könnten viele Fragen auch von der IR-Abteilung beantwortet werden. Im Anschluss prüfen die IR-Verantwortlichen, ob der Investor „groß genug und die Anfrage damit auch gerechtfertigt“ (Investor Relations_6) sei, wobei es dafür keine festgelegten Regeln gebe, sondern auf der Einschätzung der Abteilung beruhe. Zwei relevante Kriterien seien jedoch, ob aus Sicht des ARV die fachliche Meinung des Investors zu bestimmten Themen wichtig sei und inwiefern der Investor auch öffentlich eine Meinung zu dem Gesprächsthema vertrete. Dementsprechend würden auch Anfragen von Stimmrechtsberatern nicht ausgeschlossen, sondern situationsabhängig geprüft. Hier zeigt sich, dass auch die (kapitalmarkt-) öffentliche Wahrnehmung in die Entscheidung für ein Gespräch mit einbezogen wird. Auch die Gleichbehandlung der Investoren wird von den Experten hinterfragt. Gespräche mit Privatanlegern werden demnach grundsätzlich nicht ausgeschlossen, werden aber als weniger relevant eingeschätzt:
„Ich spreche hier von Institutionellen. Der Private ist überfordert. Wer nimmt sich die Zeit? Und Sie können auch nicht mit zeitlichem Aufwand mit so viel Leuten sprechen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_3).
Bei der Planung einer Corporate-Governance-Roadshow gehen die IR-Abteilungen die unternehmensspezifische Aktionärsliste von oben durch, mit dem Ziel eine bestimmte Anzahl an Investoren abzudecken. Dabei sei relevant, ob ein Investor überhaupt Interesse daran habe oder bekannt dafür sei, bestimmte Themen auch öffentlich zu diskutieren. Dieser Prozess habe momentan keine festen Regeln, sondern basiere auf der Einschätzung und den Erfahrungswerten der IR-Abteilung.
Weiterhin weisen die IR-Verantwortlichen darauf hin, dass es wichtig sei, den richtigen Ansprechpartner beim Investor zu identifizieren, denn dabei handele es sich nicht zwingend um den unterjährigen Kontakt. Vor allem die großen institutionellen Investoren würden über spezialisierte Governance-Abteilungen verfügen, die dabei berücksichtigt werden sollten. Dies könne auch dazu führen, vom gleichen Investmenthaus intern divergierende Meinungen, z. B. zum Vergütungssystem, zu erhalten. Diese Entwicklung müsse verstanden und in die Planung mit einbezogen werden.
„Da arbeiten wir uns durch die Aktionärsliste: fangen im Prinzip oben an und versuchen, die Top-20-Investoren mindestens abzudecken. Aber das kann man nicht zwangsläufig an den Zahlen oder den Top-Investoren festmachen. Es gibt auch Investoren, die haben überhaupt kein Interesse oder einen dedizierten Bereich dafür. Andersherum gibt es vielleicht einen Investor, der auf Position 40 oder 50 steht, aber dafür bekannt ist, dass er bei bestimmten Themen kritisch ist, oder genauso eine Abteilung haben, die sich sehr intensiv mit Governance-Themen beschäftigt. Von daher ist es schwer, eine harte Linie zu ziehen. Es gibt sicherlich auch Bedenken, dass es dabei selektiv zugehen kann. Andersherum, wenn uns da Anfragen von einem Privatanleger erreichen sollten, er möchte mal mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden sprechen: Das widerspricht dann auch keiner Corporate-Governance-Regel, dass man das nicht machen kann. Wenn jetzt ein kleiner Aktionär ein Anliegen hätte, da würde man dann auch den Kontakt herstellen. Im Zweifel reicht häufig wahrscheinlich auch ein kurzes Telefonat“ (Investor Relations_2).
Auch bei der Auswahl der Gesprächspartner auf Unternehmensseite gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Bei allen befragten Unternehmen begleitet die Investor-Relations-Abteilung den Investorendialog. Ein Unternehmen führt Roadshows mit dem ARV und CEO durch: Der Vorteil wird darin gesehen, dass es hinterher keine Missverständnisse gebe und Fragen zu Themen, wie bspw. der Strategie, an den Vorstand abgegeben werden könnten. Ein anderes Unternehmen führt Governance-Roadshows explizit nicht gemeinsam mit dem Vorstand durch, da der Schwerpunkt auf Corporate-Governance-Themen, also der Nachfolgeplanung oder dem Vergütungssystem, liege und die Anwesenheit des Vorstands daher als problematisch eingeschätzt wird.
„Vereinzelt haben wir auch Gespräche mit Aufsichtsratsvorsitzenden und CEO durchgeführt, aber das ist nicht die Regel, weil das einfach separate Themen sind. Ich glaube, da gibt es wenig, was man in der Konstellation nicht besprechen könnte. Aber um die Trennung klar zu machen und nicht selbst anzufangen die Themen zu vermischen, ist das sehr sinnvoll“ (Investor Relations_2).
Interessant ist auch festzuhalten, dass in einem Fall vor einem Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz eine Abschluss-Roadshow mit amtierenden und designierten Aufsichtsratsvorsitzenden durchgeführt wurde.
Themen
Die Studie von Tietz et al. (2019, S. 70) zeigt, dass in Gesprächen zwischen Investoren und Aufsichtsratsvorsitzenden Fragen zur Unternehmensentwicklung und -strategie am häufigsten erörtert werden. Danach folgen Fragen zur Vergütung des Vorstands und am dritthäufigsten wird die Zusammensetzung des Aufsichtsrats diskutiert. Das Thema Abschlussprüfung bildet das Schlusslicht der Themenliste. Während in der Anregung zum Investorendialog im DCGK nicht explizit auf die Themen des Dialogs eingegangen wird, weisen die Leitsätze der Initiative Developing Shareholder Communication (2016) darauf hin, dass der Aufsichtsrat seine überwachende und mitwirkende Rolle im Strategieprozess und seine Einschätzung zur Strategieumsetzung erläutern könne (Leitsatz 5).
Die befragten Experten beschreiben, dass vor allem die klassischen Aufsichtsratsthemen relevant für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden seien. Da bei diesen Themen der Vorstand nicht auskunftsfähig sei, würde daher z. B. Investoren ein Ansprechpartner fehlen – dies müsse dann durch den Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgen. Nur wenige Aufsichtsratsvorsitzende schreiben dem Thema Strategie eine hohe Bedeutung für ihre Kommunikation zu.
„Die wichtigsten Themen sind zwei große Blöcke: Strategie und Personalpolitik. Also, Berufung, Abberufung von Vorständen oder auch Änderungen im Aufsichtsrat und, und, und. Das sehe ich schon als Kernthema. Und dann eben die Strategie, die diskutiert und irgendwann mal verabschiedet wird, weil die auch ja häufig dann mit Investitionen im Nachhinein verbunden ist und so weiter. Wieso investieren wir denn da? Ganz einfach, weil auch der Aufsichtsrat die Strategie verabschiedet hat, die das impliziert“ (Aufsichtsratsvorsitzende_13).
Eine Kommentierung der Strategie durch Aufsichtsratsvorsitzende wird als herausfordernd angesehen, da es leicht zu einem unstimmigen Erscheinungsbild nach außen führen könnte.
„Nur stellen Sie mal vor, Sie äußern sich als Aufsichtsrat jetzt zur Strategie. Da kann man ja nicht nur zwei Worte sagen, sondern sie würden ja dann etwas mehr erzählen. Und da kommt der Vorstandsvorsitzende sechs Wochen später und der CFO, und die erzählen vielleicht nur ein bisschen was anderes. Da führt zu einer massiven Irritation. Das hört sich einfach an, ist aber relativ schwierig“ (Aufsichtsratsvorsitzender_13).
Jedoch könnte es auch Situationen geben, in denen es sinnvoll ist, dass sich Aufsichtsratsvorsitzende zur Unternehmensstrategie äußern:
„Nehmen Sie unseren letzten großen Kommunikationspunkt! Das ist die Vorstellung der neuen Unternehmensstrategie, wo sich der Aufsichtsratsvorsitzende auch zu Wort gemeldet hat. Was ich auch angemessen finde, weil es sozusagen ja über mehrere Jahre das Unternehmen prägen und hoffentlich noch erfolgreicher machen wird. Und da war der Aufsichtsrat ein ganz wesentlicher Sparringspartner. Gleichwohl macht die Strategie natürlich der Vorstand“ (Public Relations_25).
Die Äußerungen zur Strategie zeigen den beschriebenen Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Strategie, wonach der Aufsichtsrat die Rahmenbedingungen für die Strategie festsetzt, aber nicht für die Umsetzung zuständig ist. Mit dem Ziel, Transparenz hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit herzustellen, könnten Aufsichtsratsvorsitzende die Rahmenbedingungen darstellen.
Die Erkenntnisse aus den Interviews zeigen, dass es in den Gesprächen mit Investoren schwerpunktmäßig um Corporate-Governance-Themen, allen voran die Vorstandsvergütung, geht. Jedoch komme es häufiger vor, dass auch andere Fragen etwa zur Strategie gestellt werden. Daher sei es sinnvoll, bereits am Anfang des Gesprächs darauf hinzuweisen, welche Themen besprochen werden könnten.
„Häufig macht er das sogar zu Beginn des Gespräches, insbesondere wenn wir beide das Gespräch geführt haben. Dann macht er klar, wie hier die Aufgabenverteilung nach deutschem Aktiengesetz ist, und wie dieses Gespräch entsprechend geführt werden wird. Da ist er sehr konsequent, um auch die Linie, die Grenze zu ziehen“ (Investor Relations_6).
Insbesondere die Vorstandsvergütung hat jedoch zukünftig das Potenzial zu einem erhöhten Informationsbedürfnis der Investoren zu führen, denn auf Basis des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie muss die Hauptversammlung mindestens alle vier Jahre über das Vergütungssystem abstimmen und kann die Maximalvergütung herabsetzen (sog. Say on Pay). Zum Zeitpunkt der Interviews war die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes jedoch noch unklar, sodass sich die Unternehmensvertreter abwartend bis zurückhaltend zu dieser Entwicklung zeigten.
„Ich würde jetzt nicht davon ausgehen, dass das [ARUG II] für uns einen besonderen hohen Impact haben wird. Wie gesagt, wir sind Best Practice. Ich meine, es gibt Unternehmen, die halt kritischere Punkte haben. Und bei kritischeren Punkten hat man dann garantiert auch mehr Erklärungsbedarf. Und da steigt natürlich auch der äußere Druck“ (Investor Relations_4).
Diejenigen, die sich dazu äußerten, gehen davon aus, dass die Bestimmungen im ARUG II keine größeren Änderungen oder Anforderungen an die Unternehmen stellen, die bereits transparent und umfangreich im Rahmen der Pflichtpublizität berichten.
Weiterhin gebe es in Bezug auf die Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit einige Themen, die vom Unternehmen genutzt werden könnten, sofern das Gremium hier eine Vorreiterrolle im Vergleich zu anderen Unternehmen einnehme. Dazu gehöre etwa eine internationale Besetzung des Aufsichtsratsgremiums bei einem global agierenden Unternehmen, das Thema Frauenquote in den Gremien oder Unabhängigkeit der Aufsichtsräte. Auch das Thema Nachhaltigkeit wäre ein Thema, zu dem sich Aufsichtsratsvorsitzende äußern könnten (Abschnitt 5.​1.​3). Nach Aussage der Experten würden diese Themen aber nur vereinzelt von Investoren angefragt.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich bei den Unternehmen, in denen Aufsichtsratsvorsitzende bereits einen Investorendialog führen, auch die Strukturen modifiziert haben. In den Unternehmen, in denen es noch keine Anfragen zu einem Investorendialog gab, haben sich die IR-Verantwortlichen aber auch grundsätzlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Daraus folgt, dass alle Unternehmen versuchen, einen Modus Operandi in Bezug auf den Investorendialog nach dem DCGK zu definieren.
Dialog mit Stimmrechtsberatern
Stimmrechtsberater sind zu einem wichtigen Informationsintermediär in der Kapitalmarktöffentlichkeit geworden. Durch ihre Abstimmungsempfehlungen zu Hauptversammlungsbeschlüssen können sie eine relevante Rolle bei Abstimmungen zu Corporate-Governance-Themen haben (Abschnitt 4.​1.​2). Die Analyse der Erwartungen von Stimmrechtsberatern an die ARV-Kommunikation hat gezeigt, dass Unternehmen verstehen sollen, dass ihre Arbeit vor allem auf öffentlichen Informationen basiert und sie daher aktuelle und umfangreiche Informationen durch die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats erwarten. Bei einem Engagement darüber hinaus, möchten sie Fachfragen klären, wobei die IR-Verantwortlichen als zentraler Ansprechpartner wahrgenommen werden. In Bezug auf Corporate-Governance-Themen kann es aber vorkommen, dass sie sich situationsbedingt punktuell auch ein Gespräch mit Aufsichtsratsvorsitzenden wünschen (Abschnitt 7.​2.​1).
Die Gespräche mit den Unternehmensexperten zeigt, dass ein Dialog mit Stimmrechtsberatern vor allem von den IR-Verantwortlichen eine hohe Relevanz zugeschrieben wird. Dabei sei die Bereitstellung von Informationen auf den Unternehmenskanälen, allen voran der IR-Website, wichtig, aber auch ein Engagement im Vorfeld der Hauptversammlung werde immer häufiger durchgeführt:
„Im Vorfeld der Hauptversammlung stecken wir auch relativ viel Arbeit in die Proxy-Kampagne rein. Wenn man das erste Mal bei einem Investor oder Stimmrechtsberater anruft, wenn die HV-Agenda veröffentlicht ist, dann ist es zu spät“ (Investor Relations_2).
Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden nehmen den Austausch mit den Stimmrechtsberatern bisher eher als Aufgabe des Unternehmens wahr. Jedoch gebe es bereits vereinzelte Anfragen an Aufsichtsratsvorsitzende, insbesondere zur Besetzung des Vorstands.
„Die Proxy Advisor rühren sich schon. Die kommen aber mehr aus der Ecke und sagt, Menschenskinder, der ist jetzt schon zehn Jahre dabei. Den kann man eigentlich nicht wiederwählen. Der ist nicht mehr unabhängig. Solche Dinge kommen da, aber auch die Qualität zu beurteilen, die Qualität des Aufsichtsrats zu beurteilen, das machen sie noch nicht“ (Aufsichtsratsvorsitzender_10).
Zudem wird in einem Fall berichtete, dass es von einem Stimmrechtsberater eine Anfrage gab, ob der Aufsichtsratsvorsitzende zu Gesprächen bereitstehe, wobei keine konkrete Gesprächsanfrage damit verbunden war:
„Was es allerdings gab, jetzt in der letzten HV-Runde, war das erste Mal festzustellen, dass diese Proxy Advisor auch so Fragen versandt haben, sind Sie bereit mit uns zu sprechen usw., ohne dass damit aber ein expliziter Wunsch verbunden war, sondern es war auch so eine generelle Abfrage, wie stehen Sie gegenüber Kommunikation mit Investoren? Ja, aber das ist das Einzige, dass bis jetzt da ankam“ (Aufsichtsratsvorsitzender_5).
Dies ist vor dem Hintergrund interessant, dass Aktienrecht oder der Investorendialog nach dem DCGK keine Norm für einen Dialog mit Stimmrechtsberatern darstellen, auf dessen Basis eine Kommunikation oder Nichtkommunikation sanktioniert werden könnte. Vielmehr könnte hier ein erweitertes Verständnis der Überwachungsaufgabe als Norm für die ARV-Kommunikation herangezogen werden, da es Themen gibt, über die nur Aufsichtsratsvorsitzende für das Gremium auskunftsfähig ist.
In den wenigen Fällen, bei denen es zu einem Dialog von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Stimmrechtsberatern gekommen ist, ging es vor allem darum, Fachfragen zu klären. Hier zeigt sich, dass die Unternehmensakteure (unbewusst) die Erwartungen an den Dialog kennen.
„Wir haben da in der Vergangenheit vereinzelt Gespräche geführt, um sicherzustellen, dass alles richtig verstanden wird. Es ist aber nicht die Regel. […] Diese Gespräche habe ich sowohl allein als auch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden geführt“ (Investor Relations_2).
In einem Fall, bei dem bereits regelmäßig eine Corporate-Governance-Roadshow mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden stattfindet, können Gespräche mit Stimmrechtsberatern in diesem Format erfolgen.
„Entweder lässt sich es in die Corporate-Governance-Roadshow integrieren, dass man den ein oder anderen Vertreter der großen Proxy Advisor dann auch sieht. Das hängt auch so ein bisschen von den Regularien der Proxy Advisor ab. Also, aus unserer Sicht sind nur drei, zwei, drei, die wirklich relevant sind. Nach Veröffentlichung der HV-Agenda lassen deren Richtlinien es nicht mehr zu, dass man noch kommuniziert. Das heißt, da muss ich die Vorgespräche eigentlich vor der Veröffentlichung führen. Und auch da je nach Komplexität der HV-Agenda machen wir das entweder auf der IR-Ebene, oder wie involvieren dann den AR-Vorsitzenden. Geht aber auch beides. Findet aber auch regelmäßig statt, ganz klar“ (Investor Relations_12).
Dialog mit weiteren Kapitalmarktakteuren
In den Expertengesprächen wurde darüber hinaus ein Dialog mit weiteren Kapitalmarktakteuren thematisiert. Anhand der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports wurde deutlich, dass Analysten trotz ihrer wichtigen Funktion als Vermittler in der Kapitalmarktöffentlichkeit, selten Analystenreports basierend auf einer öffentlichen Äußerung von Aufsichtsratsvorsitzenden veröffentlichen (Abschnitt 7.​1.​1). Die Gespräche mit den Unternehmensexperten bestätigen, dass Aufsichtsratsvorsitzende in keinem der Fälle Gespräche mit Analysten geführt haben, da dies im operativen Aufgabenbereich des Vorstands liege. Zudem habe es auch keinerlei Anfragen dazu gegeben.
„Sie könnten noch sagen, wie ist die Kommunikation gegenüber den Banken, Analysten, die ja wichtig sind fürs Unternehmen? Das deckt allerdings der Vorstand ab. Die sind noch nicht auf die Idee gekommen, wie zum Beispiel die Eigentümer sagen, was haben die denn eigentlich für einen Aufsichtsratsvorsitzenden da?“ (Aufsichtsratsvorsitzender_10).
Ein Aufsichtsratsvorsitzender bewertet die Relevanz von Corporate-Governance-Themen jedoch als weiter steigend für die Öffentlichkeit und erwartet, dass zukünftig auch Analysten mehr Dialog wünschen:
„Und ich gehe davon aus, dass die Öffentlichkeit, insbesondere die Analysten, mehr Dialog wünschen zu konkreten Themen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_3).
Eine freiwillige Kommunikation mit Medien wird im nächsten Kapitel ausführlich vorgestellt, da die Unternehmensakteure dabei nicht zwischen Medien der Kapitalmarktöffentlichkeit bzw. gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit differenzieren – dabei jedoch auf die gleichen Strukturen zurückgegriffen wird.

8.1.2.3 Freiwillige Kommunikation mit Akteuren der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit

Anhand der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit zeigt sich die Grenze zwischen der Pflichtkommunikation des Aufsichtsrats und der neuen Norm des Investorendialogs nach dem DCGK auf der einen Seite und einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden auf der anderen Seite. Anhand der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung konnte ein hohes Interesse an Corporate-Governance-Themen sowie den Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden aufgezeigt werden (Abschnitt 7.​1.​1).
Als Folge eines wachsenden Legitimationsdrucks von Unternehmen (Zühlsdorf, 2002, S. 220) könnten Überwachungs-, Risiko- und Nachhaltigkeitsthemen jedoch ebenfalls zu Normen für die ARV-Kommunikation werden. Insbesondere die Verantwortlichen aus den beiden Kommunikationsabteilungen beobachten, dass Nachhaltigkeitsthemen immer stärker von Investoren und der Öffentlichkeit nachgefragt würden. Aus ihrer Perspektive hätten einige Aufsichtsratsvorsitzende Kompetenzen in diesen Themen, die für das Unternehmen genutzt werden könnten:
„Investoren fokussieren immer häufiger weichere Themen abseits der harten Finanzkennzahlen, und wollen wissen, was macht ihr denn so für die Umwelt, seid ihr gute Corporate Citizens und so weiter. Dieses Thema wollen sie natürlich idealerweise ganz oben aufgehängt sehen und nicht nur durch den Vorstand unterstützt, sondern auch, dass sich der Aufsichtsrat dazu äußert, positioniert und engagiert.“ (Investor Relations_24).
Auch die Aufsichtsratsvorsitzenden erwarten, dass der Legitimationsdruck für die Unternehmen weiter steige. Dies habe zur Folge, dass auch die Arbeit des Aufsichtsrats transparenter werde, da Stakeholdern erklärt werden müsse, wie und warum Entscheidungen zustande kämen. Einige Aufsichtsratsvorsitzende benennen dabei auch einen Legitimationsdruck, da herausgestellt werden müsse, welchen Beitrag das Aufsichtsratsgremium für das Unternehmen leiste. Daraus kann gefolgert werden, dass Überwachungs-, Risiko- und Nachhaltigkeitsthemen ebenfalls zu einer (neuen) Norm für Kommunikation werden können und damit einen Einfluss auf die Strukturen haben.
Medien sind die zentralen Vermittler in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit (Abschnitt 4.​1.​1) und Kapitalmarktöffentlichkeit (Abschnitt 4.​1.​2) und wurden daher theoretisch auch als Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation eingestuft (Abschnitt 5.​1.​3). Viele Aufsichtsratsvorsitzende verfügen aus vorherigen Tätigkeiten bereits über ein Beziehungsnetzwerk mit Journalisten, das als ermöglichende Ressource der ARV-Kommunikation eingestuft werden kann. Dabei kann es sogar vorkommen, dass Medienvertreter direkt bei den Aufsichtsratsvorsitzenden anfragen oder auch das Aufsichtsratsvorsitzende auf Journalisten zugehen.
„Das ist stark davon abhängig, wie präsent dieser Aufsichtsratsvorsitzende ist, was der für einen Namen und Gewicht hat. Da gibt es schon ein Gefälle in Deutschland. Einer, der seit Jahren eigenständig Pressekontakte pflegt, wird nicht nur, weil er Pensionär und ‚nur noch‘ Aufsichtsratsvorsitzender ist, plötzlich still sein. Das ist in der Realität einfach abhängig von den Persönlichkeiten“ (Public Relations_15).
Die Kommunikationsverantwortlichen der Unternehmen gehen davon aus, dass die Aufsichtsratsvorsitzenden eine hohe kommunikative Kompetenz als Ressource aus ihren vorherigen Tätigkeiten mitbringen. Daher hat es in keinem der befragten Unternehmen ein spezielles Training in Bezug auf den Umgang mit Medien oder auch Investoren für die Aufsichtsratsvorsitzenden gegeben. Zwar gebe es im Vorfeld der Hauptversammlung ein Briefing zu möglichen Fragen und dem Umgang mit herausfordernden Situationen (Abschnitt 8.1.2.1), für eine weitere Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden werde dies aber nicht als notwendig bzw. nicht als Aufgabe der Kommunikationsabteilungen angesehen.
„Die Entscheidungsträger im Aufsichtsrat müssen kommunikativ affin sein und sollten auch geschult sein. Ich will nicht dann erst anfangen mit Medientraining, wenn ich den Aufsichtsratsvorsitzenden brauche, sondern der sollte das vorher schon mal gemacht und gelernt haben. Und ich meine, wenn der Aufsichtsrat der Kommunikation keine Bedeutung beimisst, dann ist er für mich der falsche Aufsichtsrat.“ (Public Relations_28)
Freiwillige Kommunikation mit Medien
Einer Kommunikation mit Journalisten wird von den Unternehmensvertretern eine geringere Relevanz und Legitimität, vor allem im Vergleich mit Investoren, zugeschrieben. So gebe es in normalen Situationen keine Notwendigkeit zu einer Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Pflichtpublizität des Aufsichtsrats wird als ausreichend eingeschätzt, um die Öffentlichkeit über die Aufsichtsratstätigkeit zu informieren. Diese Einschätzung zeigt, dass den Akteuren die Erwartungen der Journalisten nur bedingt bekannt sind – oder diesen Erwartungen nur eine geringe Relevanz zugesprochen wird. Die Analyse der Erwartungen der Anspruchsgruppen hat gezeigt, dass sich Journalisten neben den Publizitätspflichten auch Hintergrundgespräche zur Einordnung von Themen aus der Perspektive des Aufsichtsrats wünschen (Abschnitt 7.​2.​1).
Aus Sicht der Experten sei das tatsächliche Interesse der Medien an einem Austausch mit Aufsichtsratsvorsitzenden abhängig vom Unternehmen sowie der Situation. So gebe es einerseits Unternehmen die, etwa wegen der Indexzugehörigkeit, stärker im Fokus stehen würden als andere. Andererseits hänge es mit der Medienlogik zusammen, dass Unternehmen in bestimmten Situationen mehr Aufmerksamkeit erfahren würden, wie etwa in einer Krise oder einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes.
„Das Interesse der Medien an Aufsichtsratsvorsitzenden ist eigentlich immer nur dann da, wenn es sozusagen externe Faktoren dafür gibt. Wie ein Wechsel bei uns. Dann wollen die Journalisten ihn kennenlernen und porträtieren. Dann wollen sie natürlich wissen, was macht er anders als der Alte usw.“ (Public Relations_25).
Bei der Umsetzung und Bewertung einer freiwilligen Kommunikation mit den Medien zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den befragten Unternehmen. So gibt es Unternehmen, bei denen es keine Medien-Aktivitäten von Aufsichtsratsvorsitzenden gibt, während andere Unternehmen bestimmte Maßnahmen, wie Interviews oder Hintergrundgespräche, zu bestimmten Themen einsetzen. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass die Beziehungen von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Journalisten (autoritative Ressourcen) ebenfalls einen ermöglichenden Einfluss auf die Durchführung der freiwilligen Kommunikation haben.
In einer Sondersituation steige aus Sicht der Unternehmensexperten jedoch die Relevanz der externen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, vor allem mit Investoren aber auch Journalisten. Abhängig von der konkreten Situation gebe es mehr Anfragen von den Medien, sodass eine intensivere personelle Unterstützung der PR-Abteilung notwendig werde. In zwei Fällen wird beschrieben, dass die Aufsichtsratsvorsitzenden, neben dem CEO, CFO, Vertretern der Rechtsabteilung und externen Beratern, zum sog. Krisenstab gehörten. Wenn es Anfragen von Medien gab, diskutierten alle Beteiligten den Mehrwert einer Kommunikation mit der Öffentlichkeit, sowohl vom CEO als auch einer externen Kommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden:
„Da gab es Anfragen, die im großen Team mit den Juristen, Investmentbankern, Kommunikationsberatern und sonstigen Beratern besprochen und im Prozess entsprechend abgestimmt worden. Da geht keiner raus und macht einfach was.“ (Public Relations_15)
Dabei könne es auch vorkommen, dass der CEO in der Krise als einzige Person nach außen spreche, der Aufsichtsratsvorsitzende aber bei Hintergrundgesprächen mit Journalisten dabei sei, um aus Perspektive des Aufsichtsrats die Arbeit des Vorstands zu unterstützen. Im Folgenden werden die Erkenntnisse zur konkreten Umsetzung einer freiwilligen Kommunikation mit Medien dargestellt.
Umsetzung der freiwilligen Kommunikation mit Medien
Im Folgenden sollen die empirischen Erkenntnisse zur Umsetzung der freiwilligen Kommunikation mit Medien vorgestellt werden: Einerseits gebe es viele Standardanfragen von Medien zu Rankings, z. B. zu Vorstandsgehältern, die von der PR-Abteilung beantwortet würden. Andererseits gebe es auch Themen, die durch Gesetzesinitiativen oder Forderungen aus der Politik aufkämen, z. B. das Thema Frauenquote, die prinzipiell in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fallen. Sofern diese verstärkt in den Medien thematisiert werden und es Anfragen gebe, agiere die PR-Abteilung als Koordinator. In einem festgelegten Prozess werde die Antwort mit den Aufsichtsratsvorsitzenden abgestimmt, nach außen trete dann jedoch das Unternehmen bzw. der Pressesprecher auf.
Insgesamt gebe es eher selten Anfragen, die sich auf die Person von Aufsichtsratsvorsitzenden fokussieren würden. Teilweise handele es sich dabei um ihre vorherigen Positionen und hätten daher nichts mit dem Unternehmen zu tun. Diese Anfragen werden entweder direkt abgeblockt oder an die Aufsichtsratsvorsitzenden weitergeleitet.
In wenigen Fällen zeigen sich die Beziehungen von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Stakeholdern (autoritative Ressource) auch darin, dass Anfragen von Journalisten nicht über die Kommunikationsabteilung des Unternehmens, sondern direkt an die Person gestellt werden. Dies sei vor allem bei kritischeren Situationen der Fall, wobei die betroffenen Aufsichtsratsvorsitzenden nach eigener Aussage nicht darauf eingehen würden.
„Manche Journalisten haben irgendwie meine Telefonnummer und schicken auch in den Situationen, in denen ich wirklich nicht reden will, eine SMS: Ich habe jetzt das gehört oder habe diese interessante Hintergrundinformation und will was schreiben, kann ich mit ihnen reden. Das mache ich dann meistens nicht“ (Aufsichtsratsvorsitzender_16).
Wenn es zu Interview-Anfragen in Bezug auf aufsichtsratsspezifische Themen kommt oder ein Journalist zu einem Corporate-Governance-Thema recherchiert, könne es vorkommen, dass die Kommunikationsabteilung zur Einordnung der Thematik ein Hintergrundgespräch mit dem ARV anbieten möchte. Diese Anfragen werden dann mit einer entsprechenden Bewertung an die Aufsichtsratsvorsitzenden weitergeleitet.
In diesem Zusammenhang bzw. in bestimmten Situationen, wie einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes, kann es auch zu geplanten Interviews oder Hintergrundgesprächen mit Medienvertretern kommen. Diese Gespräche werden dann stets von den PR-Verantwortlichen koordiniert und begleitet. Dazu gehöre auch ein schriftliches oder mündliches Briefing an die Aufsichtsratsvorsitzenden in Bezug auf das Gespräch, den Gesprächspartnern sowie möglichen Fragen.
In den Fällen, in denen es zu einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes kam, wurde sogar eine Medienstrategie ausgearbeitet, die sowohl das Timing, die Auswahl der Medien, aber auch Botschaften bzw. eine gewisse Positionierung der beiden Akteure beinhaltete (ausführlich in Abschnitt 8.2.3).
Die Instrumente der Medienarbeit werden von den Experten unterschiedlich eingeschätzt. Eine Handvoll von Unternehmen nutzen Hintergrundgespräche in bestimmten Situationen häufiger, damit die Aufsichtsratsvorsitzenden ihre Sicht der Dinge darstellen kann. Andere Aufsichtsratsvorsitzende lehnen dieses Format ab.
„Ich meine, wenn man als Aufsichtsrat Medien was mitzuteilen hat, dann würde ich ganz klar sagen, dann soll man es on-the-record machen. Was ist das für eine Art? Man hat eine Verantwortung und sagt dann, ich erzähle Ihnen das, aber zitieren dürfen Sie mich nicht. Da bin ich im Grundsatz anderer Meinung. Entweder hat man was zu sagen, was man als Aufsichtsrat sagen muss. Dann soll man es on-the-record machen. Oder man hat nichts zu sagen. Dann soll man die Klappe halten“ (Aufsichtsratsvorsitzender_18).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Medien der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit eher selten vorkommt. Eine aktivere Kommunikation ist dabei vor allem durch die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation sowie die Beziehungen von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Stakeholdern bedingt.
Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden außerhalb des Unternehmenskontexts
Neben der freiwilligen Kommunikation mit Medien in denen Aufsichtsratsvorsitzende als Sprecher für das Unternehmen agieren, konnten anhand der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung auch Artikel und Gastbeiträge identifiziert werden, in denen sich Aufsichtsratsvorsitzende außerhalb des Unternehmenskontextes äußerten (Abschnitt 7.​1.​2).
Hier zeigt sich, dass die Akteure öffentlich kommunizieren, um Einfluss auf gesellschaftliche Interpretations- und Deutungsfragen zu gewinnen (Zühlsdorf, 2002, S. 226). Dies basiert auf einem spezifischen Selbstverständnis der Aufsichtsratsvorsitzenden, daher beziehen sie sich dabei stets auf Themen, die unabhängig von ihrem Unternehmen sind. In den Expertengesprächen wird von den Akteuren auch reflektiert, dass in den Medien kaum zwischen der Person und seiner Rolle unterschieden werde. Andere befragte Aufsichtsratsvorsitzende haben dagegen keinerlei Interesse, in der Öffentlichkeit aufzutreten.
„Das Problem ist doch, hat das jetzt die einzelne Person als Aufsichtsratsvorsitzender gemacht, oder ist es eine persönliche Meinung? Das ist natürlich schwierig für sie rauszubekommen, weil die Presse natürlich in irgendeiner Form den Menschen beschreibt. Da steht dann ehemaliger Vorstandsvorsitzender oder Aufsichtsratsvorsitzender, obwohl die Einzelperson das nicht unter diesem Amt im Prinzip nachher publiziert hat oder sich geäußert hat. Dann kann ich in der Öffentlichkeit ja gar nicht mehr auftreten oder etwas sagen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_11).
Von den PR-Verantwortlichen werden gesellschaftliche Interpretations- und Deutungsfragen ausschließlich beim Vorstandsvorsitzenden gesehen und daher bei der ARV-Kommunikation als nicht relevant eingestuft. Im Folgenden werden die Erkenntnisse zur konkreten Umsetzung von freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden außerhalb des Unternehmenskontexts vorgestellt.
Umsetzung von ARV-Äußerungen außerhalb des Unternehmenskontexts
In den Expertengesprächen wurde auch die Durchführung und Einschätzung dieser freiwilligen Kommunikation zu Themen außerhalb des Unternehmenskontexts thematisiert. Dies wird jedoch nur von einer Handvoll von Aufsichtsratsvorsitzenden aktuell genutzt. Nach Eisenegger (2010) handelt es sich dabei um eine persönlich-offizielle Subjekt-Personalisierung, da Aufsichtsratsvorsitzende sich als Privatpersonen inszenieren, um in Bezug auf öffentliche Themen einen meinungsbildenden Einfluss zu nehmen. Die Kommunikation ist exklusiv mit der spezifischen Person verbunden, sodass ein höherer Grad an Subjekt-Personalisierung erreicht wird. Diese Subjekt-Personalisierung wird jedoch nicht von den Unternehmen gezielt angestrebt, sondern ergibt sich aus den Handlungen der Akteure.
Die Aufsichtsratsvorsitzenden verfolgen mit den Äußerungen das Ziel, Einfluss auf gesellschaftlich relevante Interpretations- und Deutungsfragen zu nehmen (Abschnitt 8.2.2). Dies geschehe unabhängig von ihrer Rolle im Aufsichtsrat, dabei sei ihnen jedoch auch bewusst, dass dies in der medialen Darstellung meist nicht ausreichend differenziert betrachtet werde.
Die Äußerungen finden vor allem im Rahmen von klassischen Instrumenten der Medienarbeit statt: Interviews, Hintergrundgespräche und Gastbeiträge. Obwohl es sich um Themen außerhalb des Unternehmenskontexts handelt, wird in geringem Maße auf die personelle Unterstützung der Kommunikationsabteilung des Unternehmens als autoritative Ressource zurückgegriffen. Dabei handelt es sich einerseits um die Koordination sowie Bewertung von Anfragen von Medien.
„In der Regel kommen die Anfragen an mich, oder sein Büro leitet die an mich weiter. Ich sortiere dann schon mal vor, frage vielleicht nochmal nach, was denn letztlich die Intention ist oder was die Erwartung bzw. der Rahmen ist. Ein übliches Vorgehen von einem Pressesprecher, dass man vielleicht nochmal mit einem Journalisten einfach mal spricht und sagt, wie ist denn das Setting? Was ist denn das Thema, der Anlass und die Dinge. Dann gehe ich mit der Information irgendwann zu ihm. In der Regel gebe ich eine Empfehlung ab und sage, das empfehle ich oder ich empfehle, es nicht zu tun aus den und den Gründen. Dann diskutiert man das, und dann fällt er eine Entscheidung. Wir arbeiten jetzt schon seit einigen Jahren zusammen, und in der Regel passen seine Einschätzung und meine Empfehlung“ (Public Relations_17).
Dazu gehöre auch, relevante Akteure, wie den Vorstand, im Vorfeld über die Veröffentlichung zu informieren. Andererseits komme es auch vor, dass PR-Verantwortliche inhaltlich unterstützen. Dies beruhe auf einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit, in deren Rahmen der PR-Verantwortliche zum Sparringspartner des ARV in öffentlichkeitswirksamen Fragen geworden sei.
Bewertung einer ARV-Kommunikation unabhängig vom Unternehmenskontext
In diesem Zusammenhang wurden die Unternehmensexperten auch zu ihrer Einschätzung hinsichtlich freiwilliger, unternehmensunabhängiger Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden gefragt. Dabei lassen sich drei Lager unabhängig von der Position identifizieren: Befürworter, Kritiker und eine neutrale Position.
Ein Teil der Befragten steht freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden außerhalb des Unternehmenskontexts prinzipiell positiv gegenüber, wobei die Schwierigkeit wahrgenommen wird, zwischen Person und Rolle zu unterscheiden. Dennoch wird es aus einer persönlichen Perspektive geschätzt, wenn Wirtschaftspersonen zu gesellschaftlichen oder politischen Themen Stellung beziehen. Wichtig sei jedoch aus ihrer Sicht, dass es sich um Themen deutlich abseits des Unternehmenskontexts handele und nicht in den Bereich des Vorstands fallen würden.
„Ich persönlich muss sagen, gerade im heutigen Umfeld, in der heutigen politischen Landschaft finde ich es schon bemerkenswert, und ich begrüße es eigentlich auch, wenn auch Wirtschaftspersönlichkeiten eine klare Meinung auch zu politischen Themen haben und sich zu denen auch äußern“ (Investor Relations_12).
Genau diesen Punkt führen Experten an, die den Äußerungen kritisch gegenüberstehen. Einerseits sei es schwierig, die Person von seinem Amt für das Unternehmen zu trennen. Daraus entstehe ein Konfliktpotenzial, falls die Aussagen des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht zur Linie des Unternehmens passen würde. Andererseits wird die Frage nach dem Nutzen für das Unternehmen und damit dem Mehrwert gestellt. Aus dieser Perspektive handele sich bei den Äußerungen vor allem um eine Profilierung der Person.
Der Großteil der Experten steht dieser freiwilligen Kommunikation neutral gegenüber, sofern die nicht das Unternehmen betreffen und die Aussagen mit dem Unternehmen abgestimmt seien. Dabei wird auch darauf Bezug genommen, dass die Medienberichte aufgrund der Sprachbarriere vor allem von deutschsprachigen Investoren registriert würden, wobei jedoch im Nachgang keine Fragen an das Unternehmen gestellt worden wären.
Social Media
Auch die Nutzung von persönlichen Social-Media-Kanälen durch Aufsichtsratsvorsitzende wurde in den Gesprächen thematisiert. Bei den meisten Aufsichtsratsvorsitzenden sei dies zwar noch nicht der Fall, es stelle aber zukünftig eine Herausforderung dar, wenn Personen, die Social-Media-Kanäle bereits in ihrer Vorstandszeit intensiv genutzt haben, in ein Aufsichtsratsmandat wechseln würden. Bei einem Unternehmen sei dies bereits der Fall, die Nutzung sei jedoch authentisch von der Person. Die Kommunikationsabteilung würde den Aufsichtsratsvorsitzenden daher nur auf interessante Ereignisse hinweisen und situationsbedingt auch Empfehlungen aussprechen.
„Wir kennen das Themen-Set, mit dem [Aufsichtsratsvorsitzender] sich positionieren möchte, und für das er steht. Und dann suchen wir dazu sozusagen Schnittmengen aus [dem Unternehmen] heraus. Und dann kriegt er natürlich Vorschläge, aber er verfolgt es auch alles sehr, sehr aktiv. […] Und wir unterstützen, geben ihm Empfehlungen, tauschen uns aus, aber im Großen und Ganzen kommt das sozusagen authentisch aus ihm selbst heraus“ (Public Relations_25).
Das Thema Social Media könnte zukünftig jedoch eine größere Bedeutung bei der freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden erlangen, sodass Kommunikationsabteilungen sich damit auseinandersetzen müssen. Die Nutzung von Social Media kann dabei eine autoritative Ressource (Fähigkeit zur Öffentlichkeitsmobilisierung) von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass es bisher keine systematische Beobachtung der Social-Media-Aktivitäten der eigenen Aufsichtsratsmitglieder durch die Unternehmen gibt. Dies könnte jedoch als Teil der Situationsanalyse im Rahmen des Kommunikationsmanagements der ARV-Kommunikation erfolgen.
Dialog mit Kunden
In den Expertengesprächen wurde zudem thematisiert, dass Anfragen oder Beschwerden von Kunden direkt an die Aufsichtsratsvorsitzenden gerichtet sein können. In einem Fall berichtete der Aufsichtsratsvorsitzende, dass er diese Anfragen an das Unternehmen weiterleiten würde, da er den Sachverhalt nicht umfassend einschätzen könne. Er lasse sich dann darüber informieren, ob das Thema geklärt werden konnte.
In einem anderen Fall berichtete der Aufsichtsratsvorsitzende, dass er sich telefonisch bei dem Kunden gemeldet habe. Mit diesem direkten, persönlichen Kommunikationsweg habe er bereits in vorherigen Positionen gute Erfahrungen gemacht, da es meist nicht mehr um das Thema an sich ginge, sondern darum der Person die nachgefragte Aufmerksamkeit zu geben. Aus seiner Sicht sei das Thema in einem kurzen freundlichen Gespräch schnell geklärt worden. Die Kommunikationsabteilung sei dabei nicht involviert gewesen.
„Dieser bestimmte Herr, er hatte nach eigenem Bekunden zwei Jahre versucht, eine Antwort zu kriegen, und hat keine bekommen. So, nun hat er ein neues Gesicht und nutzt das nochmal, um den Aufschlag zu machen, und stellt dann die süffisante Frage, ob ich denn genauso schweigsam sei, ne, wie die anderen. […] Das Resultat war in jedem Fall ein gutes. Die sind alle überrascht, dass man es tut, sind dankbar. Sie fühlen sich wertgeschätzt, und die Diskussionen, die waren schnell weg von dem eigentlichen Thema. Dann kann man nämlich auch jemand, der unglücklich war, zu einem unglaublich guten Botschafter machen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_3).
Insgesamt handelt es sich bei dem Dialog mit Kunden um eine Sonderform, der auch zukünftig keine besondere Relevanz zugeschrieben wird, weil dies im operativen Aufgabenbereich des Vorstands liegt. Hier zeigt sich die Wahrnehmung zur Relevanz von Kommunikation als Interpretationsmuster aus den vorherigen Erfahrungen. Diejenigen Akteure, die bereits in vorherigen Positionen als CEO positive Erfahrungen beim Dialog mit Kunden gemacht haben, können dies auch als Aufsichtsratsvorsitzende punktuell in Betracht ziehen.

8.1.2.4 Dialog mit Akteuren der parlamentarischen Öffentlichkeit

In den Expertengesprächen wurde zudem thematisiert, dass es in einigen Fällen auch zu einem Dialog von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Politikern bzw. Regulierungsbehörden gekommen ist. Dabei handelte es sich insbesondere um Unternehmen in einem regulierten Markt oder mit einem in der Politik diskutierten Geschäftsmodell. Aus diesem Grund soll kurz auf die parlamentarische Öffentlichkeit sowie relevante Akteure darin eingegangen werden, bevor die Strukturen der ARV-Kommunikation mit dieser Öffentlichkeitsarena sowie die konkrete Umsetzung vorgestellt werden.
Politische Prozesse in verschiedenen Öffentlichkeitsarenen
Politische Prozesse finden in unterschiedlichen Öffentlichkeitsarenen statt, wobei Kriesi (2001, S. 4) zwischen der parlamentarischen Arena, der administrativen Arena und der öffentlichen Arena unterscheidet. Die parlamentarische und administrative Arena seien die Orte in den sich die politischen Verhandlungsprozesse abspielen und verbindliche politische Entscheidungen getroffen werden. In der parlamentarischen Arena treten demnach vor allem die Parteien, ihre Repräsentanten im Parlament sowie die Regierungsmitglieder als zentrale Akteure auf, in Bezug auf das politische System in Deutschland kann dies lokal, regional aber auch in Bezug auf die Bundesregierung sein. In der administrativen Arena spielen zusätzlich zu den Parteien die Interessensgruppen und Vertreter der öffentlichen Verwaltung eine zentrale Rolle. In der öffentlichen Arena findet dagegen die politische Kommunikation zwischen den politischen Akteuren und den Bürgern statt, um Zustimmung für verschiedene Themen zu erhalten. Die politischen Akteure sind dabei auf die Vermittlungsleistung der Medien angewiesen, um die Bürger, als Publikum, mit ihren Argumenten und Positionen zu erreichen (Jarren & Donges, 2011, S. 201).
Wie bereits in Abschnitt 4.​1.​4 diskutiert, agieren Unternehmen als korporative Akteure in verschiedenen Öffentlichkeitsarenen, wobei das unternehmerische Handeln durch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen mehr oder weniger stark (politisch) reguliert sein kann, etwa durch Verbote, Subventionen etc. Aufgrund der hohen Relevanz der Legitimierung bzw. Unterstützung durch das politische System hat sich auf der Unternehmensseite die Kommunikationsfunktion Public Affairs (PA) etabliert, die versucht „mittels öffentlicher, teil-öffentlicher und nichtöffentlicher Kommunikation im Sinne der Organisationsinteressen Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen“ (Röttger, Donges & Zerfaß, 2020a, S. 5).
Dialog mit politischen Akteuren durch Aufsichtsratsvorsitzende
In den Expertengesprächen mit den Unternehmensvertretern kam neben der Kommunikation mit Akteuren der Kapitalmarktöffentlichkeit und gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit auch ein Dialog mit politischen Akteuren zur Sprache. Dieser Austausch kann der parlamentarischen Öffentlichkeit zugeordnet werden können, da es sich um Akteure in Regierungspositionen handelt.
Als Folge des wachsenden Legitimationsdrucks von Unternehmen können Überwachungs-, Risiko- und Nachhaltigkeitsthemen daher, wie bei der freiwilligen Kommunikation in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit, ebenfalls zu einer Norm für die ARV-Kommunikation werden. Einen entscheidenden Einfluss auf diese Kommunikation haben die Beziehungen von Aufsichtsratsvorsitzenden zu politischen Stakeholdern als ermöglichende Ressource. Dieses Netzwerk stamme entweder aus vorherigen Positionen oder weiteren Engagements der Akteure. So können sich einzelne befragte Aufsichtsratsvorsitzende vorstellen, diese Kontakte für das Unternehmen einzusetzen, jedoch müsse die Initiative dafür vom Vorstand ausgehen, womit auch die Beziehung zum Vorstand eine ermöglichende Ressource darstellt:
„Natürlich kennt man Leute aus der Historie heraus. Wenn das Unternehmen der Auffassung, also ganz konkret der Vorstand der Auffassung ist, dass es sinnvoll wäre, dass ich dort in irgendeiner Art und Weise das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten des [Bundesland] oder dem Innenminister oder wem auch immer suche, würde ich das selbstverständlich machen. Aber ich würde sozusagen nie von mir sagen, ich gehe jetzt hin und rede mit dem. Ich kann das dem Vorstand anbieten. Ich kann sagen, ich kenne den recht gut, aus welchen Gründen heraus auch immer, ist ja unerheblich. Wenn ihr der Auffassung seid, dass mein Involvement da in irgendeiner Art und Weise sinnvoll ist für das Unternehmen, müsst ihr mir Bescheid sagen“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Beim thematisierten Dialog handelte es sich ausschließlich um nichtöffentliche informelle Gespräche, die in der politischen Kommunikationsforschung dem Lobbying zugeordnet werden (Röttger et al., 2020a, S. 13). Das Ziel der Teilnahme des Aufsichtsratsvorsitzenden bei den Gesprächen sei jedoch nicht eine direkte Einflussnahme auf die Entscheidungsträger gewesen (ebd., S. 15), sondern Wertschätzung gegenüber den politischen Stakeholdern des Unternehmens zu zeigen. Hier zeigt sich das theoretisch abgeleitete Ziel der Beziehungspflege der Aufsichtsratskommunikation.
Der Anlass war in einem Fall der Antrittsbesuch eines neuen Aufsichtsratsvorsitzenden in einer stark regulierten Branche und in einem anderen Fall eine Sondersituation, wobei konkret über die Auswirkungen einer Übernahme für die Region gesprochen wurde. Die Treffen wurden von der Kommunikations- bzw. Public-Affairs-Abteilung initiiert und vorbereitet. Teilnehmer waren sowohl der Aufsichtsratsvorsitzende, der Vorstandsvorsitzende als auch die Kommunikationsverantwortlichen.
„Ich hatte den Termin mit dem [Politiker] organisiert und arrangiert und Herr [CEO] wollte da Herrn [Aufsichtsratsvorsitzenden] mitnehmen. Wir waren dann zu dritt da. Wir hatten die Inhalte kurzfristig vorher abgesprochen, weil es relativ spontan war. Aber das war auch ausreichend. Es ging um [Sondersituation], das war wirklich sehr hilfreich und ein gutes Format. Es hatte einen Mehrwert, weil er einfach noch einmal ein anderer Typ war: sehr souverän und hat etwas Elegantes und Ruhiges reingebracht hat. Das hatte eine gute Wirkung. Also, in unserem Geschäftsfeld würde ich ihn wirklich stärker in der politischen Arena sehen als in den Medien.“ (Public Relations_15)
Darüber hinaus ist den Kommunikationsverantwortlichen bewusst, dass ihre Aufsichtsratsvorsitzenden auf vielen Veranstaltungen seien und dabei auch häufiger mit Politikern sprechen würden. Diese Anlässe und die Beziehungen zu politischen Stakeholdern, als autoritative Ressource, würden jedoch nicht vom Unternehmen genutzt, da der Austausch mit Regulatoren und Politikern in den operativen Aufgabenbereich des Vorstands fällt.

8.1.3 Zwischenfazit: Übersicht zu Strukturen und Bandbreite der Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden wird in dieser Arbeit aus zwei Perspektiven untersucht: Aus externer Perspektive wurden die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden analysiert (Kapitel 7). Um die ARV-Kommunikation aus interner Perspektive darstellen zu können, werden im ersten Schritt die Strukturen konzeptualisiert. Ergänzend dazu werden durch die empirische Analyse der Bandbreite der internen und externen Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden gezeigt werden. Dabei wird auch empirisch gezeigt, mit welchen Anspruchsgruppen, wie oft und in welcher Form die ARV-Kommunikation stattfindet. Auf Basis von qualitativen Expertengesprächen mit Aufsichtsratsvorsitzenden sowie Verantwortlichen für Investor Relations und Public Relations aus den jeweiligen Unternehmen wurden umfangreiche Erkenntnisse zu Strukturen und Maßnahmen der ARV-Kommunikation vorgestellt, die in diesem Kapitel zusammengefasst und rekapituliert werden. Die Kenntnis über die Strukturen und die Maßnahmen der ARV-Kommunikation bildet die Basis dafür, im nächsten Schritt die Einbindung der Kommunikation im Kommunikationsmanagement diskutieren zu können.
Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Auf Basis des aus der Theorie entwickelten strukturationstheoretischen Analyserahmen (Abschnitt 5.​3) wurden die Strukturdimensionen Signifikation, Herrschaft und Legitimation analytisch voneinander dargestellt und betrachtet. In der Realität nehmen sie jedoch wechselseitig Bezug aufeinander, sodass Interpretationsmuster immer in Verbindung mit den anderen Dimensionen konzeptualisiert werden müssen. So steht bspw. die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation (Signifikation) stets in Zusammenhang mit der Anregung zum Investorendialog im DCGK als Norm (Legitimation), aber auch dem Zugang zu Informationen oder der personellen Unterstützung durch die Kommunikationsfunktionen (Herrschaft). Die zentralen Erkenntnisse zu den Strukturen werden im Folgenden rekapituliert:
Die Expertengespräche bestätigen, dass sich die Aufgaben des Aufsichtsrats sowie das Verständnis der Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden im Wandel befinden. Während das Aktiengesetz als stabile und eher limitierende Norm wahrgenommen wird, stellt die Anregung zum Investorendialog im DCGK diejenige Norm dar, die die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden verändert hat und wird. Diese normativen Rahmenbedingungen werden fallübergreifend als relevant wahrgenommen, Unterschiede zwischen den Fällen zeigen sich insbesondere bezüglich der Interpretationsmuster und Ressourcen.
In Bezug auf die Interpretationsmuster ist vor allem die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation ausschlaggebend für die Umdeutung der Strukturen. Alle befragten Aufsichtsratsvorsitzenden benennen den internen Dialog mit dem Vorstand als wichtigste Kommunikationsaufgabe. Darüber hinaus beschreiben die Aufsichtsratsvorsitzenden den Investorendialog als sehr relevant und einige Akteure sehen auch Austausch mit den Medien in bestimmten Situationen als durchaus relevant. Es zeigt sich, dass diese Akteure auch stärker auf die personellen Ressourcen der Kommunikationsabteilungen zugreifen und meist auch über ein stabiles Beziehungsnetzwerk zu Stakeholdern verfügen.
Interessant ist in dem Zusammenhang, dass die Unternehmenssituation entscheidend dafür ist, ob es tatsächlich zu einer über die Publizitätspflichten hinausgehenden freiwilligen externen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden kommt. Wenn sich das Unternehmen in einer normalen Situation befindet, scheinen aus Sicht der Unternehmen die Publizitätspflichten ausreichend zu sein. Sobald ein Thema in der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats ansteht, aktivieren einige Aufsichtsratsvorsitzende entsprechende Ressourcen, wie den Zugang zu Informationen und personelle Unterstützung, um z. B. im Dialog mit Investoren Transparenz zu schaffen und die Beziehungen zu pflegen (Interpretationsmuster). Kommunikation wird dabei vor allem gegenüber den Investoren als relevant eingeschätzt. Im Gegensatz dazu wird der Austausch mit Medien nur in Krisen als bedeutend eingestuft.
Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die identifizierten Erwartungen der Stakeholder (Abschnitt 5.​2) ebenfalls strukturierend wirken. Wenn z. B. Anforderungen hinsichtlich Transparenz zu Corporate-Governance-Themen von Investoren an das Unternehmen gestellt werden, so bedingt es ab einer kritischen Schwelle auch die Modifikation der Strukturen. Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass diese als Interpretationsmuster das Handeln des Unternehmens, sowohl von Aufsichtsratsvorsitzenden als auch der IR-Abteilung, rationalisieren. Durch die Anregung zum Investorendialog im DCGK kann diese nun auch als normative Erwartung untermauert werden.
Auch Ressourcen unterscheiden sich in einigen Gesichtspunkten: Nur einige Ressourcen sind tausch- und übereigenbar, wie eine Entscheidungskompetenz oder der Zugang zu Informationen, da sie an die Ämterpositionen, also an das Unternehmen, gebunden sind. Der Zugang zu Informationen stellt für alle Aufsichtsratsvorsitzenden die zentrale allokative Ressource für die Arbeit sowie ihre Kommunikation dar. Neben den Berichtspflichten haben sich z. B. Briefings nach den Quartalszahlen etabliert, die explizit auf die Wahrnehmung der externen Stakeholder zielen. Die Aufsichtsräte streben damit nicht nur eine Ex-ante-Betrachtung an, sondern möchten regelmäßig und begleitend über die Geschehnisse und Wahrnehmungen zum Unternehmen informiert werden. Diese Entwicklung kann als Teil einer generellen Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit gewertet werden, wobei (interne) Kommunikation eine wichtige Grundlage darstellt.
Zudem lässt sich festhalten, dass die personelle Unterstützung der Kommunikationsfunktionen eine zentrale ermöglichende Ressource für die ARV-Kommunikation darstellt. Der Anstoß für die Etablierung eines Austauschs zwischen den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Kommunikationsabteilungen lag in den betrachteten Fällen vor allem in einem höheren Informationsbedürfnis der Aufsichtsratsvorsitzenden. Die jeweiligen Aufsichtsratsvorsitzenden forderten beim Vorstandsvorsitzenden oder dem Aufsichtsratsbüro weitere Informationen, etwa zu Kapitalmarktthemen, an oder hatte aufgrund eines Medienberichts eine Nachfrage. Diese Anfragen wurden meist an die IR- bzw. PR-Abteilung zur Beantwortung weitergeleitet. Ob die entsprechenden Antworten der Abteilungen direkt an die Aufsichtsratsvorsitzenden oder erneut über den Vorstand gingen, war dabei vor allem abhängig von der Beziehung zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden.
Hier zeigt sich die strukturbildende Bedeutung einer Steuerung der Informationsroutinen, die nicht nur eine autoritative Ressource von Aufsichtsratsvorsitzenden, sondern auch von CEOs darstellt. Die Dynamiken sowie das Spannungsfeld zwischen den beiden Gremien sind jedoch kaum untersucht. Als Resultat dieser Anfragen von Aufsichtsratsvorsitzenden wurden daraufhin z. B. regelmäßige Briefings für den Aufsichtsrat von den Fachabteilungen eingeführt oder es kam zu Gesprächen mit den Kommunikationsabteilungen.
Der Austausch unterscheidet sich jedoch in Bezug auf die IR- und PR-Abteilung: Von den IR-Abteilungen wurden vor allem zusätzliche formale Informationsangebote, wie Briefings, etabliert, die einen regelmäßigen Zugang zu Informationen im Unternehmen, also eine allokative Ressource, sicherstellen. Dem gegenüber hat sich bei den Fällen, in denen es einen direkten Austausch von Aufsichtsratsvorsitzenden und PR-Abteilung gibt, eher eine Kommunikationsbeziehung entwickelt. Dabei handelt es sich um anlassbezogene Gespräche, in denen bspw. die Themen der Medienberichterstattung besprochen werden, wodurch sich Interpretationsmuster wie der Einschätzung von Relevanz oder der Einfluss in Bezug auf Interpretations- und Deutungsfragen verändern können.
Insgesamt führte dies jedoch nicht zu einer aktiveren Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, sondern vielmehr zu einer veränderten Einschätzung der Relevanz von Kommunikation. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die Akzeptanz für die Informationsbedürfnisse von Investoren sowie die generelle Bereitschaft, für das Unternehmen nach außen zu kommunizieren, sofern damit das Unternehmen als Ganzes vorangebracht werde.
Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden
Auf dieser Basis werden im Folgenden die empirisch überprüften Maßnahmen der ARV-Kommunikation innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit sowie mit externen Anspruchsgruppen rekapituliert. Abbildung 8.3 zeigt schematisch die Kommunikationsmaßnahmen mit den jeweiligen Öffentlichkeitsarenen.
Kommunikation innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit.
In Bezug auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit kann festgehalten werden, dass der Austausch innerhalb des Aufsichtsratsgremiums vor allem in den Sitzungen, aber auch persönlichen Gesprächen zu deren Vorbereitungen erfolgt. Beim Austausch mit dem Vorstand steht vor allem die Informationsversorgung des Aufsichtsrats als Grundlage für dessen Arbeit im Vordergrund. Darüber hinaus beraten die beiden Vorsitzenden zu verschiedenen Themen, wobei die Aufsichtsratsvorsitzenden als Sounding Board für die strategischen Überlegungen agieren (Abschnitt 5.​2). Darüber hinaus beruht die Durchführung der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit internen Stakeholdern vor allem auf dialogische Kommunikationsmaßnahmen wie persönlichen formellen oder informellen Gesprächen sowie Telefonaten. Die Art und Weise sowie die Frequenz und Intensität der Kommunikation obliegt dabei den Aufsichtsratsvorsitzenden, dem persönlichen Kommunikationsstil und in Bezug auf die Strukturen, vor allem der Beziehung zum Vorstand sowie der Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation.
Im Rahmen von themenspezifischen Präsentationen im Rahmen der Aufsichtsratssitzungen oder auch Abendessen kann darüber hinaus ein Austausch mit ausgewählten Führungskräften stattfinden. Innerhalb des Unternehmens konnten in wenigen Fällen auch Auftritte von Aufsichtsratsvorsitzenden bei Führungskräfteveranstaltungen oder Betriebsversammlungen aufgezeigt werden. In Sondersituationen werden Aufsichtsratsvorsitzende auch in Mitarbeitermedien porträtiert bzw. interviewt oder halten Reden auf Betriebsversammlungen, um die Sicht des Aufsichtsratsgremiums zu erläutern. Diese genannten internen Kommunikationsmaßnahmen konnten erstmalig im Rahmen dieser Arbeit identifiziert werden. Bisher hatte sich die wirtschaftswissenschaftliche Forschung vor allem mit dem internen Berichts- und Informationswesen des Aufsichtsrats auseinandergesetzt, dass die Grundlage für seine Überwachungstätigkeit darstellt.
Der Austausch mit den Kommunikationsfunktionen des Unternehmens findet mit oder ohne Involvierung des Vorstands mindestens in Bezug auf die Abstimmung der Publizitätspflichten statt. Darüber hinaus konnte eine ergänzende Informationsversorgung des Aufsichtsratsgremium mit kapitalmarkt- und öffentlichkeitsrelevanten Informationen im Rahmen dieser Arbeit identifiziert werden. Auf dieser Basis hat sich zudem in einigen Unternehmen ein ergänzendes internes Reporting der Kommunikationsfunktionen, insbesondere der Investor Relations, an den Aufsichtsrat etabliert. In einigen Unternehmen beraten die Kommunikationsverantwortlichen, hier wiederum vor allem die PR-Verantwortlichen, die Aufsichtsratsvorsitzenden hinsichtlich der ARV-Kommunikation.
Tabelle 8.1 zeigt die im Rahmen der Expertengespräche identifizierten Kommunikationsmaßnahmen und deren Frequenz mit den internen Anspruchsgruppen, wie sie in Abschnitt 8.1.1 beschrieben wurden.
Tabelle 8.1
Übersicht der Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden und deren Frequenz innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit
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Bei der Umsetzung der persönlichen Kommunikationsmaßnahmen wird nicht auf die personelle Unterstützung der Kommunikationsabteilungen zurückgegriffen. Nur in Sondersituationen gibt es hier eine Verschiebung der Strukturen, sodass Kommunikationsmaßnahmen an Führungskräfte und Mitarbeitende im Rahmen der internen Unternehmenskommunikation erfolgen. Ebenfalls in Sondersituationen können externe Kommunikationsberater als Sparringspartner für die Aufsichtsratsvorsitzenden selbst agieren.
Externe Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Bei der externen Kommunikation wird zwischen den Publizitätspflichten des Aufsichtsratsgremiums und den Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden mit externen Anspruchsgruppen unterschieden.
In Bezug auf die gesetzlich vorgeschriebenen, an externe Stakeholder gerichteten Publizitätspflichten des Aufsichtsrats kann festgehalten werden, dass diese vollständig in der Regelkommunikation des Unternehmens eingebettet sind. Dazu zählen allen voran der Aufsichtsratsbericht im Geschäftsbericht, die Erläuterung des Berichts auf der Hauptversammlung, Corporate-Governance-Informationen auf der IR-Website sowie Pressemitteilungen zu aufsichtsratsrelevanten Themen. Bei Übernahmeangeboten ist zudem die gemeinsame begründete Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat zu erwähnen. Bei diesen gesetzlichen Pflichten handelt es sich jedoch ausschließlich um eine einseitige Kommunikation (siehe auch Übersicht in Tabelle 5.​1). Die IR-Website kann als ein zentrales Instrument für die Aufsichtsratskommunikation betrachtet werden, da dort Corporate-Governance-Themen transparent zur Verfügung gestellt werden. Ob dies auch den Informationsanforderungen der Stakeholder entspricht, wird dabei jedoch nicht systematisch erhoben. Die personelle Unterstützung und Verantwortung für die jeweiligen Publizitätspflichten liegen bei den Kommunikationsfunktionen, die relevante Dokumente vorbereiten und mit den Akteuren abstimmen.
Bei der Kommunikation mit der Kapitalmarktöffentlichkeit sind die im DCGK aufgenommene Anregung zum Investorendialog sowie nachgelagert die zwei Initiativen zum Investorendialog zu neuen Normen der ARV-Kommunikation geworden. Sie stellen einen externen Einfluss dar, der die Strukturen der Kommunikation modifizieren kann. Die Anspruchsgruppen beziehen sich in ihren Erwartungen auf die Anregung und können darauf basierend eine Kommunikation bzw. Nichtkommunikation sanktionieren, z. B. durch das Abstimmungsverhalten auf der Hauptversammlung oder den Kauf bzw. Verkauf von Aktien.
Die Aufsichtsratsvorsitzenden sehen den Dialog mit Investoren als legitim an, behalten sich jedoch vor, zu entscheiden, mit wem und in welcher Konstellation diese Gespräche geführt werden. Beim Investorendialog handelt es sich um ein persönliches bzw. dialogisches Instrument der externen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Zu dem Zeitpunkt der Experteninterviews hatte die Aufnahme des Investorendialogs (noch) nicht zu einer Veränderung im Umfang oder Frequenz von Anfragen geführt. In allen untersuchten Fällen waren sie jedoch der Anlass für die Akteure, um sich intern mit dem Thema Investorendialog auseinanderzusetzen. Dabei kann festgestellt werden, dass es zu leichten Veränderungen hinsichtlich der Einschätzung der Relevanz von Kommunikation von den Unternehmensakteuren gekommen ist. Dieses Interpretationsschema, das die Handlungen der Akteure rationalisiert, ist möglicherweise durch das gestiegene Informationsbedürfnis von Investoren bedingt (Abschnitt 7.​2.​1). Wenn ein Dialog stattfindet, dann wird dieser vor allem im persönlichen Gespräch, per Telefon oder auch per E-Mail umgesetzt. Zudem führen einige Unternehmen anlassbezogen oder auch jährlich Corporate-Governance-Roadshows durch, um den Austausch mit Investoren zu pflegen.
Die IR-Abteilung wird zu einer wichtigen personellen Ressource für die Aufsichtsratsvorsitzenden um den Investorendialog, aber auch Gespräche mit Stimmrechtsberatern durchzuführen. Nur bei denjenigen Unternehmen, bei denen Aufsichtsratsvorsitzende bereits Gespräche mit Investoren und Stimmrechtsberatern führen, haben sich auch die entsprechenden unterstützenden Abläufe, also die Vorbereitung und Begleitung der Termine, etabliert. Auch wenn die IR-Verantwortlichen in den Gesprächen angeben, durch den Investorendialog im DCGK hätte sich nicht viel verändert, so haben sich doch die Strukturen angepasst.
Die Experten betonen, dass in den Gesprächen mit Investoren und Stimmrechtsberatern inhaltliche Fragen geklärt und Meinungen zu aufsichtsratsrelevanten Themen eingeholt werden sollen. Das theoretisch abgeleitete Ziel der Beziehungspflege wird in dem Zusammenhang nicht explizit genannt. Weiterhin wurde nicht thematisiert, ob bestimmte Botschaften in der Vorbereitung der Gespräche oder Roadshow erarbeitet werden. Insbesondere bei einer vom Unternehmen initiierten Roadshow könnte jedoch davon ausgegangen werden, dass z. B. Präsentationen als Grundlage für die Gespräche vorbereitet werden, um Botschaften von den Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. des Unternehmens zu vermitteln. Dies zeigt, dass die ARV-Kommunikation noch nicht stringent durch ein Kommunikationsmanagement begleitet wird.
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit ist nicht gesetzlich definiert und daher rein freiwillig. Daher zeigt sich, dass vor allem der Einfluss auf gesellschaftliche Interpretations- und Deutungsfragen (Interpretationsmuster) das Handeln beeinflussen. Die (bereits bestehenden) Beziehungen zu Stakeholdern und die Fähigkeit zur Öffentlichkeitsmobilisierung stellen darüber hinaus ermöglichende autoritative Ressourcen der Kommunikation mit Medien in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit dar.
Bei der freiwilligen Kommunikation handelt es sich um offizielle Interviews und Hintergrundgespräche mit Medien sowie Äußerungen außerhalb der Überwachungstätigkeit. Weiterhin haben in Sondersituationen auch Pressekonferenzen von Vorstand und Aufsichtsrat stattgefunden. In den meisten Fällen stellen PR-Verantwortliche eine beratende und koordinierende personelle Unterstützung dar. Trotz dieser, wenn auch informell etablierten, Zusammenarbeit berichten die Kommunikationsexperten jedoch nicht von einer systematischen Verortung der Kommunikation im Kommunikationsmanagement.
Die Nutzung von Social-Media-Kanälen von Aufsichtsratsvorsitzenden ist aktuell nur in wenigen Unternehmen der Fall und daher weniger relevant. Es kann jedoch zukünftig eine Herausforderung für das Kommunikationsmanagement werden, wenn Akteure, die Social-Media-Kanäle bereits in ihrer Vorstandszeit intensiv genutzt haben, in ein Aufsichtsratsmandat wechseln. Schließlich ist der Dialog mit Kunden eher als vereinzelte Maßnahme zu betrachten, wobei die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation hier als wichtiges Interpretationsmuster das Handeln der Akteure rationalisiert.
Neben einem Dialog mit Akteuren der Kapitalmarktöffentlichkeit und gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit konnte in den Expertengesprächen darüber hinaus ein Austausch mit politischen Stakeholdern identifiziert werden. Obwohl dies nicht im originären Aufgabenbereich des Aufsichtsrats liegt, kann es jedoch Anlässe geben, wie bspw. Sondersituationen oder einen Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes, in denen die Teilnahme von Aufsichtsratsvorsitzenden in persönlichen Gesprächen aus Sicht des Unternehmens sinnvoll sein kann. Dieses Phänomen an der Schnittstelle zur Forschung rund um politische Kommunikation sollte daher zukünftig ebenfalls betrachtet werden.
Tabelle 8.2 fasst im Rahmen der Expertengespräche identifizierten Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden und deren Frequenz mit externen Anspruchsgruppen zusammen, so wie sie in Abschnitt 8.1.2 beschrieben wurden.
Tabelle 8.2
Übersicht der Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden und deren Frequenz mit externen Anspruchsgruppen
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Handlungsmuster und Bandbreite der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Die Unternehmen für die qualitative Expertenbefragung aus interner Perspektive (Abschnitt 6.​3) wurden anhand der fünf identifizierten ereignisbezogenen Typen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ausgewählt (Abschnitt 7.​1.​2). In den Expertengesprächen wurde deutlich, dass jedoch die Strukturen und Bandbreite an Kommunikationsmaßnahmen nicht abhängig von den Typen waren. So gab es in Unternehmen, die bspw. als Typ 1 (Publizitätspflichten im Rahmen der Regelkommunikation) ausgewählt wurden, bereits institutionalisierte Ressourcen und umfangreiche interne Kommunikationsmaßnahmen der Aufsichtsratsvorsitzenden, obwohl nach außen nur die Publizitätspflichten erkennbar waren. In einem anderen Fall, der für den Typ 4 (Freiwillige Äußerungen in Sondersituationen) ausgewählt wurde, gab es zwar einen umfangreichen internen Austausch in der Sondersituation und Gespräche mit Politikern, nach der Beschreibung der Experten wurden in einer normalen Situation des Unternehmens jedoch kaum Strukturen für die ARV-Kommunikation aktiviert. Zusammenfassend kann daraus geschlussfolgert werden, dass die Strukturen und Maßnahmen nicht abhängig von den Typen sind.
Vielmehr wurden drei verschiedene Handlungsmuster der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden deutlich. Strukturen beschränken nicht nur das Handeln, sondern können es auch ermöglichen. Strukturen sind daher nicht nur Rahmenbedingungen, sondern das Medium als auch das Ergebnis sozialen Handelns (Röttger, 2010, S. 125; Walgenbach, 2006, S. 406; Zühlsdorf, 2002, S. 203). Dadurch entstehen relativ stabile Handlungsmuster und Routinen, die gewissermaßen auch unabhängig vom Akteur bestehen können. Handlungsmuster bzw. Routinen implizieren dabei eine Dezentrierung vom individuellen Akteur, sodass Strukturen identifiziert werden können, die nicht mehr allein dem Individuum zugerechnet werden.
Die Erkenntnisse zu den Strukturen und Kommunikationsmaßnahmen aus den Expertengesprächen wurden anhand der vier Öffentlichkeitsarenen sowie Anspruchsgruppen systematisiert. Daraus lassen sich drei Handlungsmuster bzw. Routinen der ARV-Kommunikation ableiten. Die Handlungsmuster sowie der Übergang zwischen den Handlungsmustern, die sich anhand einer Anpassung der Strukturen erklären lassen, werden im Folgenden ausführlich erläutert.
(1)
Bisherige Mindestanforderungen an die Kommunikation
 
(2)
Aktuelle Routinen der ARV-Kommunikation (Common Practices)
 
(3)
Weiterentwicklung von Strukturen und Maßnahmen
 
Abbildung 8.4 zeigt die drei Handlungsmuster und damit die Bandbreite der Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden im Überblick.
(1) Bisherige Mindestanforderungen an die Kommunikation
Das Handlungsmuster „Mindestanforderungen“ zeigt die bisherigen Strukturen und Kommunikationsmaßnahmen der Aufsichtsratskommunikation, die vor allem durch die Normen des Aktiengesetzes und damit den gesetzlichen Anforderungen gekennzeichnet sind. Keines der befragten Unternehmen befindet sich noch vollständig in diesem Handlungsmuster, anhand der Expertengespräche lässt sich dies jedoch als langjährige Routine vieler Unternehmen in der Vergangenheit ableiten.
In Bezug auf die interne Öffentlichkeit können demnach folgende Routinen beschrieben werden: Um den Zugang zu Informationen als wichtige allokative Ressource für die Aufsichtsratstätigkeit und Kommunikation zu prüfen, wurde im Aufsichtsratsgremium regelmäßig eine Effizienzprüfung der Arbeit, in Bezug auf die Kommunikation insbesondere die internen Berichtspflichten des Vorstands, durchgeführt. Daraus folgt, dass die Kommunikation mit dem CEO bzw. dem Vorstand mindestens die internen Berichtspflichten des Vorstands umfasste sowie auf einem regelmäßigen Austausch zwischen den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Vorstandsvorsitzenden basierte.
Da die interne Kommunikation als ausschließlicher Aufgabenbereich des Vorstands betrachtet wurde, ist einer Kommunikation mit Führungskräften in der Vergangenheit in vielen Fällen keine Relevanz zugeschrieben worden. Ein Austausch mit der IR- und PR-Abteilung bestand meist ausschließlich aufgrund der Vorbereitung und Umsetzung der Publizitätspflichten des Aufsichtsrats, meist mit der Involvierung des CEOs. Zudem wurde das Briefing der Kommunikationsfunktionen nach Quartalszahlen, das für den Vorstand aufbereitet wurde, von diesem an den Aufsichtsrat weitergeleitet. Bei eventuellen Medienanfragen an den Aufsichtsrat wurden diese über den Vorstand, das Aufsichtsratsbüro oder direkt mit den Aufsichtsratsvorsitzenden abgesprochen.
In Bezug auf die externe Kommunikation mit den Akteuren der Kapitalmarktöffentlichkeit als auch der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit stellten in der Vergangenheit die gesetzlichen Publizitätspflichten des Aufsichtsrats die Anforderung der Kommunikation und meist ausschließlichen Maßnahmen dar.
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden befindet sich jedoch in einem Wandel. In Abschnitt 7.​2.​2 wurden anhand der Experteninterviews mit den Anspruchsgruppen verschiedene Gründe für eine veränderte Erwartungshaltung an die ARV-Kommunikation vorgestellt. In Bezug auf die externe Kommunikation stellt vor allem die Aufnahme der Anregung zum Investorendialog im DCGK die Norm und relevante Entwicklung für eine Modifizierung der Strukturen und dadurch auch Routinen dar. Aber auch eine neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie deren Einschätzung zu einer Relevanz von Kommunikation zeigen in Bezug auf die interne Kommunikation eine Verschiebung der Strukturen und Erweiterung der Kommunikationsmaßnahmen.
(2) Aktuelle Routinen der ARV-Kommunikation (Common Practices)
Das zweite Handlungsmuster repräsentiert die aktuell von den meisten Unternehmen praktizierten Routinen in Bezug auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Diese beinhalten auch die zuvor beschriebenen Mindestanforderungen, also bspw. die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats an externe Anspruchsgruppen.
Seit der Aufnahme des Investorendialogs im DCGK hat sich das Aufsichtsratsgremium in allen befragten Unternehmen im Rahmen des Beschlusses zur Entsprechenserklärung mindestens einmal mit dem Thema Kommunikation bzw. Investorendialog auseinandergesetzt. Dies ist der Fall, obwohl es sich nur um eine Anregung handelt und keine explizite Aussage (comply or explain) dazu getätigt werden muss. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Norm des Investorendialogs eine Veränderung initiiert hat. Die Erkenntnisse aus den Interviews zeigen darüber hinaus, dass es aktuell üblich ist, dass anlassbezogen die Kommunikation von aufsichtsratsrelevanten Themen diskutiert wird und, sofern eine freiwillige Kommunikation stattfindet, die Aufsichtsratsvorsitzenden im Nachgang darüber informieren.
Hinsichtlich der Kommunikation mit dem CEO bzw. dem Vorstand agieren die Akteure auf Basis der internen Berichtspflichten, die bereits Teil des ersten Handlungsmusters der Mindestanforderungen sind. Zudem stellt ein regelmäßiger Dialog von Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratsvorsitzenden eine aktuelle Routine der ARV-Kommunikation dar (Abschnitt 8.1.1).
In Bezug auf den Austausch mit Führungskräften zeigt sich eine Veränderung der Routinen. So ist es in fast allen Unternehmen mittlerweile üblich, dass Führungskräfte themenspezifisch in Aufsichtsratssitzungen präsentieren. Dies dient vorrangig dem Zugang zu Informationen als allokative Ressource.
Neben dem, in den Mindestanforderungen genannten, Zugang zu Informationen, ist es heute üblich, dass sich Aufsichtsratsvorsitzende und Vertreter der IR-Abteilung anlassbezogen zu kapitalmarkrelevanten Themen austauschen. Es zeigen sich jedoch Unterschiede, ob dies über den Vorstandsvorsitzenden oder auf direktem Wege passiert, was vor allem mit der Beziehung von Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzenden, als autoritative Ressource, zusammenhängt. Im gleichen Maße kommt es auch bei aufsichtsratsrelevanten Themen in den Medien zu einem Austausch mit der PR-Abteilung, mit oder ohne den CEO. Diese direkte personelle Unterstützung kann einen bedeutenden Einfluss auf die Modifikation von Strukturen haben, die sich insbesondere in der Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation als Interpretationsmuster bemerkbar macht.
In Bezug auf die externe ARV-Kommunikation mit dem Kapitalmarkt hat die Anregung zum Investorendialog im DCGK einen nachweisbaren Impuls gegeben, da sich alle befragten Unternehmen dieser neuen Norm bewusst sind. Auch die Unternehmen, bei denen es noch zu keinen Anfragen von Investoren gekommen ist, haben sich grundsätzlich Gedanken dazu gemacht, wie sie damit umgehen würden. In den Unternehmen, in denen bereits Gespräche geführt werden, versuchen die IR-Verantwortlichen entsprechende Abläufe zu schaffen. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass Unternehmensakteure in Bezug auf den Investorendialog einen Modus Operandi definieren.
In Bezug auf die Kommunikation mit Stimmrechtsberatern, als weitere relevante Anspruchsgruppe der Kapitalmarktöffentlichkeit, ist die aktuell übliche Vorgehensweise, dass eventuelle aufsichtsratsrelevante Fragen durch die IR-Abteilung beantwortet werden. Vor dem Hintergrund, dass die Arbeit von Stimmrechtsberatern auf öffentlichen Informationen basiert, ist dieses Handeln gut nachvollziehbar. Anhand der Experteninterviews mit Stimmrechtsberatern konnte jedoch auch eine Erwartung hinsichtlich eines punktuellen Dialogs mit den Aufsichtsratsvorsitzenden zu aufsichtsratsspezifischen Themen identifiziert werden (Abschnitt 7.​2.​1). In einzelnen Fällen kommt es bei aufsichtsratsrelevanten Fragen daher auch zu einem Dialog mit den Aufsichtsratsvorsitzenden.
In Bezug auf die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit ist es aktuell übliche Praxis, dass Anfragen von Journalisten zu aufsichtsratsspezifischen Themen von der Public-Relations-Abteilung beantwortet werden, wobei dies intern in allen Fällen mit den Aufsichtsratsvorsitzenden abgestimmt wird. Obwohl anhand der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung auch Interviews und Zitate von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie Gastbeiträge ohne Unternehmensbezug identifiziert werden konnten (Abschnitt 7.​1.​1), stellt dies keine routinemäßige Handlung der ARV-Kommunikation dar. Diese Kommunikationsmaßnahmen werden daher in das dritte Handlungsmuster eingeordnet, da es dabei meist zu einer Modifikation der Strukturen gekommen ist.
(3) Weiterentwicklung von Strukturen und Maßnahmen
Schließlich zeigt sich im dritten Handlungsmuster die Weiterentwicklung von Strukturen und Kommunikationsmaßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Der Übergang zu diesem Handlungsmuster ist durch zwei Aspekte geprägt. Einerseits ist vor allem durch eine feste Verantwortlichkeit innerhalb der Kommunikationsfunktionen, die in Abschnitt 8.2.1 als Voraussetzung für die Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement festgehalten wird. Durch diese personelle Ressource erhalten Aufsichtsratsvorsitzende sowohl eine Beratung hinsichtlich ihrer Kommunikation als auch eine umfassende Unterstützung bei dessen Umsetzung. Andererseits wird diese Stufe durch das Handeln einzelner Akteure im Unternehmen getrieben, die teilweise sogar über die identifizierten Erwartungen der Anspruchsgruppen hinaus gehen.
Das dritte Handlungsmuster stellt dabei nicht den normativen Anspruch dar, dass sich die ARV-Kommunikation aller Unternehmen in Richtung dieser Routinen entwickeln muss. Es zeigt vielmehr die Bandbreite der kommunikativen Aktivitäten von Aufsichtsratsvorsitzenden, die sich weiter verändern. Wenn Anspruchsgruppen diese Kommunikation jedoch wahrnehmen und zukünftig einfordern, können dadurch erneut (unerkannte) Handlungsfolgen für alle Unternehmen resultieren. Daher sollen nun die in den Expertengesprächen identifizierten ergänzenden Kommunikationsmaßnahmen beschrieben werden. Diese werden punktuell um einige strukturelle Aspekte ergänzt, die im Rahmen der Arbeit diskutiert wurden.
So wird für die Kommunikation innerhalb des Aufsichtsratsgremiums im weiteren Verlauf der Arbeit vorgeschlagen, dass sich das Gremium zukünftig eine Kommunikationsordnung geben solle (Abschnitt 8.2.4), mit dem Ziel die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie die dazugehörigen Ressourcen festzulegen. Zudem könnte die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden anlassbezogen oder auch regelmäßig ein Tagesordnungspunkt der Aufsichtsratssitzungen werden.
Wenn Aufsichtsratsvorsitzende mit Investoren oder anderen Anspruchsgruppen sprechen, dann könnte es zur Förderung eines transparenten und vertrauensvollen Austausches auch mit dem CEO bzw. dem Vorstand thematisiert werden. Dies wäre vor oder auch nach Gesprächen denkbar, wobei die Teilnahme des Verantwortlichen für die ARV-Kommunikation sinnvoll ist, um die Informationen für die anschließende Kommunikation nutzbar zu machen. Die Machtausübung in Bezug auf Informationsroutinen in der Beziehung zum Vorstand wäre dabei eine sich verändernde autoritative Ressource.
In Bezug auf die Führungskräfte konnten in den Expertengesprächen bereits ergänzende Kommunikationsmaßnahmen identifiziert werden. Dabei handelt es sich vor allem um den informellen Austausch mit den Führungskräften im Rahmen von internen Veranstaltungen, z. B. im Vorfeld oder Nachgang von Führungskräfteveranstaltungen, Hauptversammlungen oder Aufsichtsratssitzungen. Diese ermöglichen nicht nur die Personen hinsichtlich einer Nachfolgeplanung kennenzulernen, was zur Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats beiträgt, sondern auch ein Blick in die Unternehmenskultur zu erlangen sowie Wertschätzung auszudrücken (ausführlich in Abschnitt 8.2.2).
In Bezug auf den Austausch mit den Kommunikationsfunktionen zeigt sich die Modifizierung der Strukturen vor allem anhand einer Definition der Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation. Dies ermöglicht dann auch ein entsprechendes Kommunikationsmanagement, dass die Planung, Umsetzung und Evaluation des Investorendialogs sowie der öffentlichkeitswirksamen freiwilligen Kommunikation von aufsichtsratsrelevanten Themen beinhaltet. Die Expertengespräche haben gezeigt, dass durch die personelle Unterstützung von Kommunikationsverantwortlichen sich einerseits der Zugang zu Informationen (allokative Ressource), aber auch die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation (Interpretationsmuster) verbessert – ohne dass es zwingend zu einer aktiveren freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden kommen muss.
Hinsichtlich der externen Kommunikation mit den Kapitalmarktakteuren konnten in den Expertengesprächen bereits einige zusätzliche Kommunikationsmaßnahmen identifiziert werden, die zu einer Modifikation der Strukturen geführt haben. So führen einige der befragten Unternehmen bereits anlassbezogen einen Dialog mit Investoren, dieser kann sowohl angefragt als auch selbst initiiert sein. Darüber hinaus führen wenige Unternehmen selbst initiierte anlassbezogene oder regelmäßige Corporate-Governance-Roadshows mit ihren wichtigsten Investoren durch (Abschnitt 8.1.2.2).
Als Ergänzung zur Beantwortung von aufsichtsratsspezifischen Fragen der Stimmrechtsberater, wäre es weiterhin denkbar, dass es zu einem anlassbezogenen Austausch zwischen Unternehmensvertretern, also der IR-Verantwortlichen und den Aufsichtsratsvorsitzenden, und einem Stimmrechtsberater außerhalb der Analysearbeit kommt. Dies stellt eine Erwartung der Stimmrechtsberater an die Unternehmen und ggf. auch den ARV dar, um sich grundsätzlich über Corporate-Governance-Prinzipien auszutauschen und diese ggf. in zukünftige Gremienentscheidungen zu berücksichtigen.
In Bezug auf die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit konnten im Rahmen der Expertengespräche verschiedene freiwillige Kommunikationsmaßnahmen identifiziert werden, die von einigen Unternehmen durchgeführt werden. Dazu zählen allen voran Interviews und Hintergrundgespräche zu aufsichtsratsrelevanten Themen. Weiterhin haben die Medienanalyse sowie die Experteninterviews gezeigt, dass es auch zu Interviews oder Gastbeiträgen von Aufsichtsratsvorsitzenden ohne Bezug zum Unternehmen kommt, wobei es als vorteilhaft eingeschätzt wird, wenn das Unternehmen vorab darüber informiert ist. Welchen Einfluss diese freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden auf die Strukturen hat, konnte in Abschnitt 8.1.2.3 gezeigt werden.
Darüber hinaus konnte in den Expertengesprächen auch ein Dialog mit Politikern in der parlamentarischen Öffentlichkeit identifiziert werden. Dieses standen im Zusammenhang mit einem Antrittsbesuch eines neuen Aufsichtsratsvorsitzenden sowie einer Sondersituation und wurden stets gemeinsam mit dem CEO durchgeführt (Abschnitt 8.1.2.4).
Zusammenfassend zeigen die Kommunikationsmaßnahmen in diesem Handlungsmuster, dass einige Aufsichtsratsvorsitzende eine aktivere, freiwillige Kommunikation durchführen. Damit agieren sie als Change Agents innerhalb der Unternehmen, da sie die entsprechenden Strukturen und Handlungen anderer Akteure modifizieren. Durch das veränderte Handeln der Unternehmen nehmen sie darüber hinaus Einfluss auf die übergreifenden Strukturen, in denen die Unternehmen agieren, da sich durch das Handeln die Erwartungen der Anspruchsgruppen weiter verändern können.

8.2 Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden wird in dieser Arbeit aus der externen und internen Perspektive beleuchtet. Zunächst wurden aus externer Perspektive die Anforderungen von relevanten Anspruchsgruppen an die ARV-Kommunikation dargestellt (Kapitel 7). Aus interner Perspektive wurden dann im ersten Schritt die Strukturen der ARV-Kommunikation konzeptualisiert und die Bandbreite der Kommunikationsmaßnahmen dargestellt (Abschnitt 8.1). Mit diesem Wissen kann nun aus interner Perspektive die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Kommunikationsmanagement verortet werden. Dafür wurden Expertengespräche mit Aufsichtsratsvorsitzenden sowie Verantwortlichen aus den Investor-Relations- und Public-Relations-Abteilungen der jeweiligen Unternehmen durchgeführt, die das Kommunikationsmanagement verantworten (Abschnitt 6.​3).
Aufsichtsratsvorsitzende wurde mithilfe der Kommunikatorforschung als neue Kommunikatoren für Unternehmen verortet (Abschnitt 4.​3). Daher soll zunächst geklärt werden, wer für das Kommunikationsmanagement dieses neuen Akteurs verantwortlich ist. In Abschnitt 8.2.1 wird dafür zunächst die Rolle der Investor-Relations- und Public-Relations-Abteilungen bei der ARV-Kommunikation anhand der empirischen Erkenntnisse aufgezeigt und kritisch diskutiert.
Die theoretischen Ausführungen zum Kommunikationsmanagement (Abschnitt 4.​2) haben gezeigt, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden anders charakterisiert werden muss, da sich die Ziele nicht wie im bisherigen Verständnis der Kommunikationsmanagement-Forschung aus der Unternehmensstrategie ableiten lassen. Aus den Aufgaben des Aufsichtsrats wurden daher theoretisch Ziele für die ARV-Kommunikation abgeleitet (Abschnitt 5.​2). Anschließend sollen in Abschnitt 8.2.2 daher diese Ziele mithilfe der empirischen Erkenntnisse überprüft sowie aufgezeigt, welche weiteren Ziele verfolgt werden.
Anschließend werden in Abschnitt 8.2.3 anhand der vorgestellten fünf Phasen des Kommunikationsmanagements (Abschnitt 4.​2) die empirischen Erkenntnisse zur bisherigen Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement vorgestellt. Da es bisher in den meisten Fällen, aufgrund der fehlenden Verantwortlichkeiten in den Kommunikationsfunktionen, noch kein systematisches Kommunikationsmanagement gibt, werden ergänzend dazu anhand der theoretischen Ausführungen (Kapitel 5) aus normativer Sicht die Aspekte vorgestellt, die für ein umfassendes Kommunikationsmanagement notwendig wären.
Abschließend wird in einem Zwischenfazit zum Management der ARV-Kommunikation die Einführung einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat vorgeschlagen und diskutiert (Abschnitt 8.2.4). Eine Kommunikationsordnung sollte die Kompetenzen der Aufsichtsratsvorsitzenden sowie die personellen Ressourcen – und damit die Verantwortung für das Kommunikationsmanagement – definieren. Auf dieser Basis kann dann die interne Abstimmung geklärt, Kriterien für den Umgang mit Gesprächsanfragen definiert sowie die Transparenzgrundsätze festhalten werden. Die Kommunikationsordnung würde damit eine optimale Ausgangsbasis für die Planung der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen.

8.2.1 Verantwortung für das Kommunikationsmanagement die Rolle von Investor Relations und Public Relations für die ARV-Kommunikation

Basierend auf den Erkenntnissen zu den Strukturen und Maßnahmen der ARV-Kommunikation kann aus interner Perspektive nun ein Blick auf das Management der Kommunikation geworfen werden. Da es sich bei Aufsichtsratsvorsitzenden um neue Kommunikatoren für Unternehmen und damit das Kommunikationsmanagement handelt, muss zunächst geklärt werden, wer für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation verantwortlich ist.
In der Forschung zum Kommunikationsmanagement wird in der Phase der Organisation die Einbindung und Organisation der Kommunikationsabteilung im Unternehmenskontext betrachtet, wobei dieser Aspekt im Vergleich zu den anderen Phasen bislang vernachlässigt wurde. Die vorhandenen kommunikationswissenschaftlichen Studien beschäftigen sich vor allem mit der Anbindung an das Top-Management als wichtige Voraussetzung für die Einbindung in unternehmerische Entscheidungsprozesse (Gregory, 2018; Grunig et al., 2002; Zerfaß & Franke, 2013). In Ergänzung dazu wurden im Comparative Excellence Framework neun Prinzipien der Exzellenz des Kommunikationsmanagements auf organisatorischer, Abteilungs- und professioneller Ebene identifiziert. Demnach zeichnen sich exzellente Abteilungen durch eine enge Einbettung in Entscheidungsprozesse und eine enge Zusammenarbeit mit dem Top-Management aus. Dazu gehöre auch, die Erkenntnisse aus Daten und automatisierter Kommunikation zu nutzen sowie die Kommunikationsaktivitäten auf die Unternehmensziele auszurichten (Tench et al., 2017).
In der Phase der Organisation des Kommunikationsmanagements wird insbesondere zwischen der Aufbauorganisation, also den organisationalen Strukturen im Unternehmen, sowie der Ablauforganisation, verstanden als Prozesse zwischen und innerhalb der verschiedenen Kommunikationsfunktionen, unterschieden (Zerfaß et al., 2014, S. 989). Die zugrunde liegende Annahme ist dabei stets, dass das Kommunikationsmanagement von den Kommunikationsfunktionen des Unternehmens verantwortet wird. Hoffmann & Tietz (2018, S. 9–10) zeigen, dass das Kommunikationsmanagement der Investor Relations noch in den Kinderschuhen steckt: Während die strategische Steuerung relativ gut etabliert ist, sei die Evaluation zum Teil inkonsistent und oft noch lückenhaft.
Aufsichtsratsvorsitzende verfügen als Sprecher des Aufsichtsratsgremiums von Unternehmen (Abschnitt 3.​3) über ein kommunikatives Vertretungsmandat, das sich nicht nur in das Gremium und an den Vorstand, sondern auch an andere interne Anspruchsgruppen sowie nach außen in verschiedene Öffentlichkeitsarenen richtet. Im Spannungsfeld von Kommunikatorforschung und der Forschung zu Kommunikationsmanagement und Unternehmenskommunikation wurden Aufsichtsratsvorsitzende daher als neue Kommunikatoren für (börsennotierte) Unternehmen verortet (Abschnitt 4.​3.​3).
Aufsichtsratsvorsitzende als Akteure stellen jedoch eine Herausforderung für die bisherige Forschung zu Kommunikationsmanagement dar. Eine zugrunde liegende Annahme der Forschung ist, dass Kommunikation einen Wertbeitrag zu den Unternehmenszielen beisteuert und die Kommunikationsstrategie und -ziele aus der Unternehmensstrategie abgeleitet werden. Dieses Verständnis kann jedoch nicht auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden übertragen werden. Der Aufsichtsrat nimmt eine besondere Rolle im dualistischen System der Unternehmensführung ein. Einerseits ist das Gremium ein zentrales Organ des Unternehmens und Aufsichtsratsvorsitzende agieren als Sprecher des Gremiums und damit für Unternehmen. Andererseits bedingt die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats aber eine neutrale, unabhängige Position. Der Aufsichtsrat überwacht die Umsetzung der Unternehmensstrategie, ist jedoch aufgrund der Arbeitsteilung mit dem Vorstand nicht für die Umsetzung zuständig und untersteht ihr damit nicht. Vielmehr setzt er mit seiner Entscheidungskompetenz die Grenzen für das Handeln des Vorstands. Das heißt, wenn eine Strategie nicht erfolgreich umgesetzt wird oder die erhoffte Wirkung erzielt, dann hat die Aufsichtsrat im Rahmen seiner Personalkompetenz die Möglichkeit Veränderungen im Vorstand durchzuführen. Dementsprechend können auch die Ziele für die ARV-Kommunikation nicht aus der Unternehmensstrategie abgeleitet werden, daher wurden Ziele theoretisch aus der Überwachungstätigkeit definiert (Abschnitt 5.​2). Die formal-strukturelle Position des Aufsichtsrats stellt daher eine Herausforderung dar, wie die ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement verortet wird.
Erkenntnisse zur personellen Unterstützung der ARV-Kommunikation aus den Expertengesprächen
Wer ist also für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation verantwortlich? Die Erkenntnisse aus den Experteninterviews zu den Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zeigen folgendes zur personellen Unterstützung durch die Kommunikationsfunktionen (ausführlich siehe Abschnitt 8.1):
In Bezug auf die persönlichen Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit gibt es keine Unterstützung der internen Kommunikationsfunktion. Die Art und Weise sowie die Frequenz und Intensität der Kommunikation obliegt den Aufsichtsratsvorsitzenden, dem persönlichen Kommunikationsstil und in Bezug auf die Strukturen, vor allem der Beziehung zum Vorstand sowie der Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation. Nur in Sondersituationen gibt es hier eine Verschiebung der Strukturen, sodass diese Kommunikationsmaßnahmen an Führungskräfte und Mitarbeitende im Rahmen der internen Unternehmenskommunikation erfolgen, stets in enger Abstimmung mit dem Vorstand oder aufgrund der Tatsache, dass der Vorstand nicht sprechfähig ist.
Bei der externen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sieht es anders aus: In Bezug auf die gesetzlich vorgeschriebenen, an externe Stakeholder gerichteten Publizitätspflichten des Aufsichtsrats kann festgehalten werden, dass diese vollständig in der Regelkommunikation des Unternehmens eingebettet sind. Die Vorbereitung, interne Abstimmung und Veröffentlichung der jeweiligen Kommunikationsmaßnahmen liegen in der Verantwortung der IR- bzw. PR-Abteilung.
Die im DCGK aufgenommene Anregung zum Investorendialog von Aufsichtsratsvorsitzenden gab den Anlass dafür, dass sich die IR-Verantwortlichen mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Es lässt sich jedoch feststellen, dass sich nur bei denjenigen Unternehmen, bei denen Aufsichtsratsvorsitzende bereits Gespräche mit Investoren und Stimmrechtsberatern führen, auch die entsprechende personelle Unterstützung der Abläufe, also die Vorbereitung und Begleitung der Termine, durch die IR-Abteilung etabliert hat.
„Wir bereiten die Roadshow vor, inhaltlich über die HV-Agenda, weil wir da in der Erstellung natürlich mit dabei sind, aber auch in der Auswahl der Investoren. Wir sprechen auch im Vorfeld mit den Investoren, was denn so Themen wären oder sind. Genauso kriegt der AR sein Briefing und dann ist stets einer von uns dabei“ (Investor Relations_12).
Bei der freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Akteuren der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit handelt es sich vor allem um offizielle Interviews und Hintergrundgespräche mit Medien sowie Äußerungen außerhalb der Überwachungstätigkeit. In den meisten Fällen stellen PR-Verantwortliche hier eine beratende und koordinierende personelle Unterstützung dar.
„In der Beratung stehen wir oder ich natürlich immer gern zur Verfügung, aber da ist er dann auch ganz frei natürlich in seinen Entscheidungen“ (Public Relations_7).
Übergeordnet kann festgehalten werden, dass der Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und den Kommunikationsfunktionen über den Vorstandsvorsitzenden erfolgen kann, dies ist insbesondere bei den Briefings zu Quartalszahlen der Fall, aber nicht muss. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass sich bei einem Großteil der befragten Unternehmen ein Austausch ohne den CEO etabliert hat. Dabei gibt es jedoch in den meisten Fällen keine formelle Reporting-Linie an den Aufsichtsrat, d. h. es ist nicht zu einer Anpassung der Aufbauorganisation gekommen.
Diese nicht vorhandenen organisationalen Strukturen und Berichtslinien bei der ARV-Kommunikation sind durchaus kritisch für die Verortung im Kommunikationsmanagement zu betrachten. So stellt sich die Frage, wie mit dem informellen Austausch umzugehen ist, wenn es zu Konflikten zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden kommen sollte. Dabei könnten Konflikte sowohl auf persönlicher Ebene oder aus einem Interessenskonflikt aus der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats entstehen. In den befragten Fällen wurde die Beziehung zwischen den Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden zwar stets als positiv beschrieben. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern es sich dabei um einen Intervieweffekt der sozialen Erwünschtheit handelt. So beschreiben die Kommunikationsverantwortlichen, dass sie nicht das Gefühl hatten zwischen die Interessen der Akteure zu geraten.
„Also, ich saß mal zwischen den Stühlen auf Vorstandsebene, aber zwischen Aufsichtsrat und Vorstand ist alles in Ordnung. Die verstehen sich super“ (Public Relations_28).
Zudem äußerten mehrere Kommunikationsverantwortlichen, dass sie für das Unternehmen arbeiten würden und nicht für bestimmte Personen:
„Ich arbeite fürs Unternehmen. Ich arbeite nicht für den Vorstand – und auch nicht für den Aufsichtsrat. Sie sollten als Kommunikator immer für das Unternehmen arbeiten, denn die Personen können schneller weg sein als gedacht“ (Public Relations_1).
Auch wenn dies die Selbstwahrnehmung der Kommunikationsexperten ist, so interagieren die Kommunikationsverantwortlichen doch stets mit anderen Akteuren und beziehen sich auf das Handeln auf Machtstrukturen innerhalb der Unternehmen. Es ist daher unklar, wie in möglichen schwierigen Situationen mit den informellen Austauschbeziehungen zwischen den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Kommunikationsverantwortlichen, trotz der formellen Berichtslinien an den Vorstand, umgegangen wird. Dies zeigt sich in einem Fall, in dem ein Aufsichtsratsvorsitzender beschreibt, er habe vollen Zugriff auf die Kommunikationsfunktionen:
„Ich habe auch vollen Zugriff auf die Kommunikationsabteilung des Unternehmens. Ich habe das in der Vergangenheit auch immer wieder genutzt“ (Aufsichtsratsvorsitzender_16).
Während der Kommunikationsverantwortliche aus dem Unternehmen die Schwierigkeit thematisiert, sowohl mit dem Vorstand als auch dem Aufsichtsrat zu kommunizieren:
„Wir müssen ja auch trennen. Der Aufsichtsrat hat die Aufsicht über den Vorstand, und wir sind ja eigentlich Mitarbeiter des Vorstands und des Konzerns. Wir können also nicht gleichzeitig unsere Aufsichtsleute zu sehr beraten. Wenn ich zum Beispiel bestimmte E-Mails schreibe, schreibe ich die nie zusammen an beide, sondern in einer separaten E-Mail, damit es getrennt ist.“ (Public Relations_27).
Empirische Konstellationen der Verantwortlichkeit für das Kommunikationsmanagement
Für die Verortung der ARV-Kommunikation ist es daher zentral, wer das Kommunikationsmanagement verantwortet. Aus den Experteninterviews wurden drei Konstellationen identifiziert, wie die Verantwortlichkeit organisatorisch verankert sein kann. Dabei bestehen interessanterweise deutliche Unterschiede zwischen den IR- und PR-Abteilungen, auf die im Anschluss eingegangen und Gründe dafür diskutiert werden sollen. Aus den Expertengesprächen lassen sich grundsätzlich drei unterschiedliche Möglichkeiten identifizieren, wie die Verantwortlichkeiten für die ARV-Kommunikation aufgeteilt sind:
(1)
Keine offiziell festgelegte Verantwortung für die ARV-Kommunikation
 
(2)
Feste Ansprechpartner für Aufsichtsratsvorsitzende und Verantwortung innerhalb der Kommunikationsfunktion
 
(3)
Kommunikationsverantwortliche für die ARV-Kommunikation, unabhängig von den Kommunikationsfunktionen
 
Keine offiziell festgelegte Verantwortung für die ARV-Kommunikation
Erstens gibt es bei einem Großteil der befragten Unternehmen keine offiziell festgelegte Verantwortung für die ARV-Kommunikation. Der Austausch zwischen den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Kommunikationsfunktionen kann dabei regelmäßig aber auch eher lose, anlassbezogen stattfinden, in den meisten Fällen ohne Involvierung des Vorstands. Innerhalb der Kommunikationsfunktionen ist meist der Leitende der Abteilung der Ansprechpartner für die Aufsichtsratsvorsitzenden und begleitet auch eine eventuelle externe Kommunikation mit Investoren oder Medien.
Feste Ansprechpartner für Aufsichtsratsvorsitzende und Verantwortung innerhalb der Kommunikationsfunktion
Zweitens gibt es bei ein paar Unternehmen, insbesondere in den PR-Abteilungen, feste Ansprechpartner für die Aufsichtsratsvorsitzenden, die die Verantwortung für die ARV-Kommunikation innerhalb der Kommunikationsfunktion haben, wobei es sich nicht um den Leitenden der Abteilung handelt. Dieser Ansprechpartner hat definierte Kapazitäten für die ARV-Kommunikation im Rahmen seiner Arbeitszeit. Die Expertengespräche zeigen, dass diese Akteure auch direkt und häufiger von Aufsichtsratsvorsitzenden hinsichtlich öffentlichkeitsrelevanter Themen kontaktiert werden.
„Innerhalb des Sprecherteams bin ich für [Aufsichtsratsvorsitzender] zuständig. Ich koordiniere Anfragen an ihn und bin sein Ansprechpartner bei öffentlichkeitsrelevanten Fragestellungen. Das nimmt rund ¼ meiner Zeit ein“ (Public Relations_17).
Sowohl die Aufsichtsratsvorsitzenden als auch die Kommunikationsverantwortlichen beschreiben bei dieser Konstellation eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einer effizienten Abstimmung hinsichtlich der Publizitätspflichten sowie bei einer freiwilligen Kommunikation. Die Kommunikationsverantwortlichen sich dann auch für die Information weiterer interner Akteure bei einer freiwilligen ARV-Kommunikation zuständig.
„Der Journalist hat gesagt, könnte ich das nicht irgendwie verwenden? Dann hat er [der Aufsichtsratsvorsitzende] gesagt, spricht eigentlich nichts dagegen. Was ich dann mache, ist, dass ich einfach kurz per Mail ein paar Leute informiere auf wirklich informellem Weg und sage, passt auf, in der Sonntagszeitung äußert sich [Aufsichtsratsvorsitzende] zum Thema x, Tenor soundso. Damit hat sich das eigentlich. Und dann ist es auch für jeden im Unternehmen transparent. Was aber nicht stattfindet, dass man sich unter Einbeziehung des Vorstandes berät, ob sich der Aufsichtsratsvorsitzende äußert oder nicht“ (Public Relations_17).
Kommunikationsverantwortliche für die ARV-Kommunikation, unabhängig von den Kommunikationsfunktionen
Drittens wurde bei einem befragten Unternehmen eine Stelle geschaffen, die ausschließlich für die Kommunikation des Aufsichtsrats zuständig ist. Hier kommt es zu einer Veränderung der organisationalen Strukturen und auch zu einer engeren Zusammenarbeit der Akteure.
„Dann ist die eine Seite tatsächlich die kommunikative rundum oder 360-Grad-Betreuung des Aufsichtsrates und Beratung des Aufsichtsratsvorsitzenden. Über eigentlich alle Kommunikationsplattformen beziehungsweise über alle Stakeholder hinweg“ (Public Relations_20).
Dabei handelt es sich um eine Sonderform der organisatorischen Aufstellung, die erhebliche Vorteile haben kann, da das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation in einer Hand liegt.
Darüber hinaus zeigt ein detaillierter Blick auf die Ergebnisse, dass es deutliche Unterschiede bei den Verantwortlichkeiten für die ARV-Kommunikation zwischen der Investor Relations und Public Relations gibt, sogar innerhalb der Unternehmen. Der Austausch zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und der Investor-Relations-Abteilung basiert vor allem auf Briefings an das Aufsichtsratsgremium nach Quartalszahlen und anderen relevanten Anlässen, die wie dargestellt häufig bereits institutionalisiert sind. Darin werden die Sicht und Erwartungshaltung des Kapitalmarkts in Bezug auf die Unternehmens- bzw. Branchenentwicklung dargestellt. Darüber hinaus agieren die IR-Verantwortlichen eher bezogen auf einen konkreten Anlass, wenn bspw. ein Investorengespräch mit Aufsichtsratsvorsitzenden organisiert und vorbereitet werden soll. Es gibt selten einen offiziellen festen Ansprechpartner in der IR-Abteilung, sondern die Kontakte haben sich über die Zeit etabliert.
„Ich glaube, da haben wir uns in den letzten Jahren auch aus der IR-Sicht ein ganz gutes Standing erarbeitet. […] Das dauert natürlich ein bisschen, bis man sich kennengelernt hat und auch weiß, dass man sich aufeinander verlassen kann. Aber wenn die Kontakte etabliert sind, warum sollte ich dann nicht direkt zum Hörer greifen?“ (Investor Relations_12).
Dagegen gibt es in den PR-Abteilungen eher einen festen Ansprechpartner mit dezidierten Kapazitäten für die ARV-Kommunikation. So werden auch von der PR-Abteilung schriftliche Informationen bereitgestellt, bspw. ist eine Auswertung der Medienberichterstattung in allen Fällen Teil des Briefings nach den Quartalszahlen an den Aufsichtsrat. Im Gegensatz zu den IR-Abteilungen findet die persönliche Unterstützung von Aufsichtsratsvorsitzenden aber häufiger auf direktem Wege statt. Der Kontakt ist dabei stets themen- und situationsabhängig, etwa bei einer Frage zu einem Medienbericht oder wenn eine Kommunikation zu aufsichtsratsrelevanten Themen vorbereitet werden muss. Es kann jedoch festgehalten werden, dass es in etwa der Hälfte der Fälle einen regelmäßig stattfindenden persönlichen Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und den PR-Ansprechpartnern zu öffentlichkeitsrelevanten Themen gibt.
„Ich würde sagen, wir tauschen uns ungefähr alle zwei bis drei Monate in einem persönlichen Gespräch aus und zwischendurch dann anlassbezogen. Wenn ich ein Thema habe, was ich mit ihm besprechen will, dann gehe ich auf ihn zu und bekomme immer einen Termin. Oder er ruft mich an. […] Bei allen Themen, die wichtig sind, reden wir immer zusammen“ (Public Relations_17).
Ein Großteil der befragten PR-Verantwortlichen sieht sich selbst in einer beratenden Rolle hinsichtlich öffentlichkeitsrelevanter Themen. Die tatsächliche Umsetzung dieser Kommunikation kann dabei in den Hintergrund rücken, wenngleich die PR-Abteilung diese übernimmt sowie mit anderen Kommunikationsmaßnahmen des Unternehmens bzw. des CEO abstimmt. Darüber hinaus zeigt sich, dass die PR-Abteilungen auch für weitere Mitarbeitenden des Unternehmens als beratende Ansprechpartner zur Verfügung stehen. In einem Fall steht bspw. der PR-Verantwortliche auch mit Arbeitnehmervertretern im Kontakt, jedoch in Bezug auf die allgemeine Kommunikation des Unternehmens und nicht des Aufsichtsratsvorsitzenden.
„Und ich habe natürlich regen Austausch mit den Arbeitnehmervertretern. Das heißt, unser stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist natürlich sehr interessiert immer an der Kommunikation dran zu sein. Das heißt, mit den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat habe ich sehr regen Austausch“ (Public Relations_28).
Von Seiten der IR-Verantwortlichen wird diese beratende Rolle nicht so explizit genannt. Vielmehr handele es sich etwa beim Investorendialog um entsprechende Aufträge des Aufsichtsratsvorsitzenden. Eine Beratung findet sich jedoch in den einzelnen Schritten der Planung des Dialogs, etwa bei der.
(Vor-)Auswahl der relevanten Investoren oder der Darstellung des Stimmungsbildes der Kapitalmarktakteure.
„Ich hatte von ihm den Auftrag da Gespräche mit relevanten Investoren, über die wir uns gemeinsam verständigt haben, im Vorfeld zu koordinieren und dann auch zu begleiten“ (Investor Relations_6).
Der Unterschied in Bezug auf die Frequenz des Austausches und der Selbstwahrnehmung der Kommunikationsverantwortlichen kann damit zusammenhängen, dass IR-Abteilungen meist nicht so stark personell aufgestellt sind wie die PR-Abteilungen (Hoffmann & Tietz, 2019, S. 18), die sich dadurch stärker in ihren Aufgaben und Themen spezialisieren können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine feste Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation innerhalb der Kommunikationsabteilungen zu einem häufigeren, direkten Austausch führt – ohne dass daraus zwingend eine aktivere Kommunikation der Aufsichtsratsvorsitzenden resultiert. Vielmehr berichten die Aufsichtsratsvorsitzenden, dass sie sich besser und umfangreich informiert fühlen, insbesondere was die Wahrnehmung des Unternehmens durch die Stakeholder betrifft. Dies stellt eine wichtige Ressource für die Überwachungstätigkeit sowie Kommunikation dar. In den meisten Fällen berichten auch die Kommunikationsverantwortlichen, dass sie durch einen etablierten Austausch die Informationsbedürfnisse der Aufsichtsratsvorsitzenden besser einschätzen und in ihre weitere Arbeit nutzen konnten.
Professionelle ARV-Kommunikation braucht Verantwortlichkeiten
Aus den Expertengesprächen mit den Kommunikationsverantwortlichen geht hervor, dass sie, auch wenn keine formale Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation innerhalb der Abteilung geschaffen wurde, die Kommunikation des Aufsichtsrats als Teil ihrer Aufgabe sehen:
„Wir sind für die Kommunikation komplett zuständig, auch für den Aufsichtsrat, aber in der Abstimmung mit seinem Büro. Alle Dokumente gehen auch über das Aufsichtsratsbüro, aber die Dokumente werden selbstverständlich von uns erstellt. Und wenn es irgendwelche Empfehlungen gibt, zum Thema Kommunikation, geht die Initiative immer von uns aus, geht dann teilweise direkt an Herrn [Aufsichtsratsvorsitzender] oder über sein Büro“ (Public Relations_28).
Doch dieses Selbstverständnis der Akteure hilft nicht darüber hinweg, dass es klare Verantwortlichkeiten und personelle Ressourcen für das Kommunikationsmanagement der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden braucht.
Die Notwendigkeit von (eigenen) Ressourcen für eine professionelle Gremienarbeit ist eine Frage, die in verschiedenen Bereichen hinsichtlich einer Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit diskutiert wird. Für die Erfüllung seiner Überwachungsaufgabe ist der Aufsichtsrat auf die Informationen angewiesen, die ihm vom Vorstand zur Verfügung gestellt werden (Abschnitt 5.​1.​1). Vorstandsunabhängige Informationen erhält das Gremium vom Abschlussprüfer, der vom Unternehmen mandatiert ist, oder von externen Sachverständigen. Sämtliche Ausgaben des Aufsichtsrats, z. B. für externe Beratungen, müssen jedoch vom Vorstand freigegeben werden. Wenn also bspw. der Aufsichtsrat mithilfe eines Sachverständigen bestimmte Themen erörtern möchte, bei denen es um die Arbeit des Vorstands geht, dann liegt es beim Vorstand, ob dies (finanziell) möglich ist oder nicht. Es gibt keine empirischen Erkenntnisse darüber, ob und wie oft es in Unternehmen dazu kommt, dass ein Beratungswunsch vom Aufsichtsrat durch den Vorstand nicht genehmigt wird. Die Tatsache, dass dies jedoch freigegeben werden muss, ist insbesondere bei einem möglichen Interessenskonflikt zwischen den Gremien als äußerst kritisch zu betrachten. Scherb-Da Col (2018) spricht sich dafür aus, den Aufsichtsrat als eigene Kostenstelle zu betrachten, dem jährlich ein eigenes Budget zugeordnet werden sollte, das konsequenterweise von der Hauptversammlung zu bewilligen sei – dies würde jedoch angesichts der überwiegenden Meinung in Theorie und Praxis eher auf Ablehnung stoßen.
Für eine professionelle Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ist es notwendig, dass es eine klare Verantwortlichkeit für dessen Kommunikationsmanagement gibt. Da ein Großteil der Kommunikationsmaßnahmen, wie beschrieben, schon seit langem ein fester Teil der Regelkommunikation von Unternehmen ist, braucht es für die ARV-Kommunikation nicht zwingend einen externen Experten, schließlich ist es für das Unternehmen die ARV-Kommunikation von hoher Relevanz:
„Es gibt ja durchaus AR-Vorsitzende, die sage ich jetzt mal, irgendwo eine Satellitenkommunikation aufbauen, wo das Unternehmen dann hinterher erfährt, dass ihr AR-Vorsitzender kommuniziert“ (Public Relations_17).
Aus diesem Grund ist vielmehr ein unternehmensinterner Verantwortlicher sinnvoll, der die internen Routinen und Abläufe der Kommunikationsfunktionen kennt. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation werden daher zwei Möglichkeiten vorgeschlagen:
  • Feste Ansprechpartner in Kommunikationsfunktionen mit dezidierten Kapazitäten für die ARV-Kommunikation
  • Eigene Sprecher für die ARV-Kommunikation
Als minimale Voraussetzung für die Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement werden feste Ansprechpartner in den Kommunikationsfunktionen für die ARV-Kommunikation angesehen. Diese Akteure sollten klar definierte Kapazitäten für die ARV-Kommunikation haben und damit auch inhaltlich für dessen Kommunikationsmanagement verantwortlich sein. Abhängig von der Aufbauorganisation der Kommunikationsfunktionen müsste es sowohl einen Verantwortlichen in der IR- als auch PR-Abteilung geben, die gemeinsam für das Kommunikationsmanagement verantwortlich sind und sich daher eng miteinander abstimmen. Die Verantwortlichen müssten eine gewisse Unabhängigkeit innerhalb der Abteilung haben, da es Themen geben kann, die mit anderen Kommunikationsverantwortlichen des Unternehmens bis zur Veröffentlichung nicht geteilt werden können. Solch ein Vorgehen ist bei Sondersituationen, wie Übernahmen, jedoch in der Praxis nicht ungewöhnlich. Um das Vertrauensverhältnis mit dem Vorstand nicht zu belasten, spricht daher dafür, dass es sich bei diesem Verantwortlichen nicht um die Leitenden der Abteilung handelt. Das Spannungsfeld zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und Kommunikationsfunktionen konnte im Rahmen der Erkenntnisse thematisiert werden – jedoch ergeben sich hieraus weitergehende Forschungsopportunitäten.
Die zweite Möglichkeit sind eigene Sprecher bzw. Verantwortliche für die ARV-Kommunikation, die für das Kommunikationsmanagement zuständig sind und sich dabei eng mit den Kommunikationsfunktionen abstimmen. Ein eigener Sprecher oder ein kleiner Stab, würde eine Modifikation der Aufbauorganisation der Kommunikationsfunktionen darstellen, da eine Berichtslinie an die Aufsichtsratsvorsitzenden und ggf. zusätzlich den CCO denkbar ist. In der Regelkommunikation gäbe es eine enge Zusammenarbeit, da die Publizitätspflichten bereits in der Verantwortung der Kommunikationsfunktionen liegen und diese nur mit dem Sprecher geprüft werden müssten. Ein Investorendialog wiederum sollte in enger Abstimmung mit der IR-Abteilung geplant und umgesetzt werden. Bei einer ergänzenden freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden läge die Verantwortung bei den ARV-Sprechern, die dies entsprechend mit den Kommunikationsfunktionen abstimmen müssten. Gerade in der Sondersituationen ist diese Variante vorteilhaft, da ein ARV-Sprecher recht selbstständig agieren könnte, ohne dass das Vertrauensverhältnis zum Vorstand belastet würde. Die Verantwortlichen müssten dabei über entsprechende Erfahrungen und Kompetenzen für die Kommunikation mit verschiedenen Stakeholdern verfügen. Solch eine Matrixorganisation hätte den Vorteil, dass es eine Stelle gibt, die für die ARV-Kommunikation umfassend zuständig ist und das Kommunikationsmanagement mit einer entsprechenden Analyse, Planung und Evaluation verantwortet. Bei der Expertenbefragung gab es einen Fall, in dem eine dezidierte Position zur Kommunikation des Aufsichtsrats geschaffen wurde; diese umfassend ausgestaltete Stelle hat sich aus Sicht des Kommunikationsexperten bewährt. Es sei jedoch unklar, ob dies auch bei einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes weiterhin so bestehen würde.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die (steigenden) Anforderungen an die Kommunikation der verschiedenen Anspruchsgruppen sowie die veränderte Einschätzung von Relevanz von Kommunikation der neuen Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden zukünftig dazu führen können, dass die Akteure noch stärker die personelle Unterstützung der Kommunikationsabteilungen einfordern. Eine professionelle Kommunikation des Aufsichtsratsgremiums braucht entsprechende personelle Ressourcen für das Kommunikationsmanagement. Durch klare Verantwortlichkeiten kommt es zu einem engeren Austausch der Akteure, wodurch eine stärker professionalisierte ARV-Kommunikation erreicht werden kann. Ein enger und vertrauensvoller Austausch wird von den Aufsichtsratsvorsitzenden und Kommunikationsverantwortlichen als positiv und förderlich für beide Seiten wahrgenommen.

8.2.2 Ziele für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Um die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Kommunikationsmanagement verorten zu können, wurde als erstes diskutiert, wer die Verantwortung für das Kommunikationsmanagement innehaben sollte. Dabei wurde gezeigt, wie zentral es ist, dass es klare Verantwortlichkeiten in den Kommunikationsfunktionen gibt oder sogar eine explizite Stelle für die ARV-Kommunikation geschaffen wird (Abschnitt 8.2.1). Als Nächstes soll nun der Blick auf die Ziele für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden geworfen werden, da sie eine wichtige Basis der Planung bilden, auf die die restlichen Phasen des Kommunikationsmanagements beruhen.
Die theoretischen Ausführungen zum Kommunikationsmanagement haben gezeigt, dass die ARV-Kommunikation anders als andere personenbezogene Kommunikation in Unternehmen, wie bspw. die CEO-Kommunikation, charakterisiert werden muss. Im Kern geht es darum, dass im bisherigen Verständnis der Forschung zu Kommunikationsmanagement und strategischer Kommunikation davon ausgegangen wird, dass der Erfolgsbeitrag von Kommunikation darin liegt, die strategischen Ziele des Unternehmens zu unterstützen (Abschnitt 4.​2). Dieses Verständnis kann jedoch nicht einfach auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden übertragen werden. Der Aufsichtsrat setzt zwar den Rahmen für die Unternehmensstrategie, untersteht ihr aber nicht. Ziele für die Aufsichtsratskommunikation müssen und können somit nicht mit der Unternehmensstrategie verknüpft werden, um die neutrale Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats gewährleisten zu können.
In der Forschung zu Kommunikationsmanagement werden die Kommunikationsziele idealtypisch aus der Kommunikationsstrategie abgeleitet, die in direktem Bezug zur Unternehmensstrategie steht. Wie in Abschnitt 5.​2 erläutert, kann dieses Verständnis nicht auf die ARV-Kommunikation übertragen werden. Vielmehr ergeben sich aus der Funktion des Aufsichtsrats die zwei theoretisch abgeleiteten zentralen Ziele für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden:
(1)
Inhaltsziel: Transparenz hinsichtlich der Überwachungs- und Kontrollaufgaben des Aufsichtsrats herzustellen;
 
(2)
Beziehungsziel: die (kommunikativen) Beziehungen innerhalb des Aufsichtsratsgremiums sowie zwischen Aufsichtsrat und den internen und externen Anspruchsgruppen zu etablieren und zu pflegen.
 
Bei der Zielbestimmung kann zwischen individuellen und organisatorischen Zielen unterschieden werden. Im Rahmen der Expertengespräche wurde jedoch nicht vorrangig auf die individuellen Ziele der Akteure, sondern auf die übergeordneten Ziele der ARV-Kommunikation abgezielt, die mit der Kommunikation erreicht werden sollen.
Die Zielformulierung ist ein sozialer Prozess, der durch Ungewissheit, Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit charakterisiert sein kann. Ziele können als Entscheidungsgrundlagen und Orientierungspunkte für das Handeln angesehen werden. Strukturationstheoretisch werden Ziele aber auch durch das Handeln reproduziert, sodass diese verändert oder ergänzt werden können (Röttger, 2010, S. 127).
In den Gesprächen wurden sowohl die aus der Theorie abgeleiteten Ziele thematisiert sowie über weitere Ziele für die ARV-Kommunikation gesprochen. Im Folgenden werden nun die Ziele der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden anhand der Öffentlichkeitsarenen zusammenfassend dargestellt. Dabei wird sowohl die Perspektive der Aufsichtsratsvorsitzenden aus den Interviews als auch die Sicht der Kommunikationsverantwortlichen gezeigt. Darüber hinaus wird diskutiert, inwiefern diese Ziele mit den beschriebenen veränderten Anforderungen der externen Stakeholder zusammenpassen.
Ziele der ARV-Kommunikation in der Unternehmensöffentlichkeit
Der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb des Unternehmens wird ein deutlich höherer Stellenwert beigemessen als der externen Kommunikation (Abschnitt 8.1.1). Folgende Aussage eines Aufsichtsratsvorsitzenden fasst dies treffend zusammen:
„Ich sehe meine Rolle insbesondere darin, intern zu kommunizieren. Das heißt, als Vorsitzender selbstverständlich neben dem intensiven Austausch mit den Aufsichtsratskolleginnen und -kollegen eben auch eine intensive Kommunikation nicht nur mit den Vorstandsvorsitzenden, sondern mit dem gesamten Vorstand und wenn nötig, auch mit dem ein oder anderen Mitarbeiter oder Mitarbeiterin des Unternehmens zu halten. […] Diese interne Kommunikation nimmt eigentlich im Vergleich zur externen einen ganz, ganz großen Anteil der Zeit in Anspruch“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Wie in den theoretischen Ausführungen dargestellt, gibt es in der Unternehmensöffentlichkeit verschiedene Anspruchsgruppen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden (Abschnitt 5.​1.​1). Tabelle 8.3 zeigt im Überblick die Ziele der Kommunikation differenziert nach internen Anspruchsgruppen, die im Folgenden beschrieben werden.
Tabelle 8.3
Ziele der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit internen Anspruchsgruppen
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Ziele der ARV-Kommunikation im Aufsichtsratsgremium
Aufsichtsratsvorsitzende leiten und koordinieren die Gremienarbeit, damit besteht ein großer Teil der Arbeit aus Kommunikation. Ein zentrales Ziel dieser Kommunikation ist daher die Informationsversorgung der Aufsichtsratsmitglieder sicherzustellen, die sich aus der Berichterstattung des Vorstands an den Aufsichtsrat als auch den Informationen von Aufsichtsratsvorsitzenden aus den Gesprächen mit dem CEO und ggf. weiteren Personen zusammensetzt (Abschnitt 5.​1.​1). Indem Informationen transparent, vollständig und rechtzeitig bereitgestellt werden, können die Aufsichtsratsmitglieder ihrer Überwachungsfunktion nachkommen. Dies entspricht dem inhaltlichen Ziel der ARV-Kommunikation, Transparenz für die Überwachungs- und Kontrollaufgaben des Aufsichtsrats herzustellen.
Ein besonderer Stellenwert bei der Kommunikation im Gremium liegt aber auch auf der Einbindung der verschiedenen Perspektiven und Positionen der Aufsichtsratsmitglieder. Dieses Ziel lässt sich aus der Interessenvertretungsfunktion des Aufsichtsrats ableiten (Abschnitt 3.​2). Alle befragten Aufsichtsratsvorsitzenden sprechen bereits vor den Sitzungen mit Vertretern von Anteilseigner und Arbeitnehmern, um Interessen vorab zu kennen und so eine gute Diskussion in den Sitzungen sicherstellen zu können. Dies kann auch als interne Beziehungspflege zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern interpretiert werden.
„Wenn die Aufsichtsratssitzung ist, und man als Aufsichtsratsvorsitzender will, dass das vernünftig läuft, dann müssen alle Aufsichtsratsmitglieder vorher schon eingebunden sein. Die Tagesordnung muss vorbesprochen sein. Man muss wissen, was die Positionen sind. Es ist also unwahrscheinlich wichtig, dass man eine umfassende interne Kommunikation hat“ (Aufsichtsratsvorsitzender_18).
Aus Sicht der Aufsichtsratsvorsitzenden wie auch der Kommunikationsverantwortlichen sei es zudem wichtig, dass eine Kommunikationsdisziplin des Aufsichtsratsgremiums sichergestellt werde. Dieses Ziel lässt sich aus dem Interpretationsmuster eines geteilten Verständnisses vom Auftritt von Aufsichtsratsvorsitzenden nach außen ableiten, wonach nur die Aufsichtsratsvorsitzenden für das Gremium nach außen sprechen sollten. Konkret bedeutet dies, dass das Gremium im Unternehmensinteresse eine gemeinsame Position nach außen kommuniziere oder es bei geplanten Übernahmen nicht zu sog. Leaks komme. Die Vermeidung von Leaks wurde vor allem von den Kommunikationsexperten benannt, die dadurch eine konsistente Unternehmenskommunikation sicherstellen wollen, bei der die Äußerungen des Vorstands in den Mittelpunkt stehen.
„Alles, was wir bis jetzt gemacht haben, war komplett leakfrei! Es war immer eine super kontrollierte Kommunikation, die mit einer Ad-hoc-Meldung beginnt. Es gab vorher keine Gerüchte. Es gab keine Vorabbeiträge, irgendwas ist im Busch, sondern einfach gar nichts. Und diese Disziplin sowohl im Aufsichtsrat als auch im Vorstand, die ist natürlich besonders hilfreich, wenn man so was macht. Ich glaube, dass eine Stärke auch der Aufsichtsräte und natürlich in dem Fall auch immer des Aufsichtsratsvorsitzenden, der das ganze Gremium ja anleitet, ist ein sehr klares Bewusstsein, wie man kommunizieren sollte als Aufsichtsrat und wo man besser nicht zu viel rumlabert. […] Und diese Kontrolle, und das bedeutet auch im allerpositivsten Sinne, dieses Bewusstsein, wie wichtig Kommunikation da ist, das ist in unserem Aufsichtsrat ausgeprägt“ (Public Relations_7).
Kommunikation mit dem CEO bzw. Vorstand
Bei der Kommunikation zwischen Aufsichtsrat und Vorstand kommt dem Dialog zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden eine herausgehobene Stellung zu. Als oberstes Ziel für diesen Austausch kann ein Beziehungsziel, nämlich den Aufbau bzw. die Sicherstellung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Gremien, herausgestellt werden. Die Beziehung zum Vorstand stellt zudem eine autoritative Ressource dar. Für einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden bedeute dies, die handelnden Personen kennenzulernen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das Unternehmen geführt und geprägt wird.
„Die Rolle zwischen Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratsvorsitzenden, die muss sehr eng und vertrauensvoll sein und von gegenseitigem Respekt geprägt. Das ist eine Voraussetzung“ (Aufsichtsratsvorsitzender_10).
Auf dieser Basis erfolge bilateral ein Austausch von Informationen, sodass Aufsichtsratsvorsitzende sich eine Meinung bilden könnten, welche Themen anschließend bzw. zukünftig im Aufsichtsratsgremium beraten werden sollten. Gleichzeitig eröffnet es den Aufsichtsratsvorsitzenden, aber auch die Möglichkeit, die Perspektive und Interessen des Gremiums hinsichtlich der strategischen und operativen Geschäftsentwicklung zu vermitteln.
„Einerseits um hier ein klares Bild des Gesamtunternehmens für mich, aber natürlich auch für den gesamten Aufsichtsrat zu erstellen. Und auch frühzeitig von meiner Seite aus in das Unternehmen zu kommunizieren, welche Themen jetzt auch in Richtung des Aufsichtsrates adressiert werden sollten, über welche Themen man eigentlich sprechen muss. Das alles unter dem Aspekt, dass eine vernünftige, konstruktive Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat einerseits und Unternehmen, vertreten insbesondere durch den Vorstand, andererseits möglich ist“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
In den Expertengesprächen beschreiben einige Aufsichtsratsvorsitzende, dass es unterschiedliche Auffassungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu bestimmten Themen geben könne, diese jedoch intern und offen in beide Richtungen ausdiskutiert werden sollten. Dazu gehöre es Kritikpunkte an der Unternehmensleitung und dessen Strategie zu äußern und ggf. auch Konsequenzen daraus ziehen zu müssen. Als zentrales Ziel kann zusammengefasst werden, dass die Aufsichtsratsvorsitzenden anstreben, durch die Kommunikation mit dem Vorstand einen positiven Beitrag zur Unternehmensentwicklung zu leisten.
„Wenn man eine Philosophie als Aufsichtsrat hat, will man jetzt nicht derjenige sein, der sowieso alles besser weiß, sondern einen gewissen Beitrag zur positiven Entwicklung des Unternehmens leisten. Und dass einfach auch mal Sachen schiefgehen, das weiß man insbesondere, wenn man mal auf der anderen Seite des Tisches gesessen hat“ (Aufsichtsratsvorsitzender_13).
Die benannten Kommunikationsziele zeigen, dass der Aufsichtsrat als Teil der Corporate Governance die Rahmenbedingungen für die Arbeit des Vorstands sicherstellt. Dabei ist der Aufsichtsrat nicht ein Teil, sondern das Sounding Board für die strategischen Überlegungen des Vorstands.
Kommunikation mit Führungskräften
Gegenüber den Mitarbeitenden des Unternehmens hat der Aufsichtsrat kein unmittelbares Informationsrecht. Ein Großteil der befragten Aufsichtsratsvorsitzenden führt jedoch Gespräche mit Führungskräften (Abschnitt 8.1.1). Dies ist vor allem interessant, da dies auch ohne das Beisein des Vorstands stattfinden kann. Daher stellt die Beziehung zum Vorstand eine ermöglichende Ressource für diese Kommunikationsmaßnahmen dar. In Bezug auf eine Kommunikation mit Führungskräften wird häufig das Ziel genannt, Fachfragen des Aufsichtsrats zu klären, die im Verantwortungsbereich der jeweiligen Führungskraft liegen.
„Dann gibt es ein technisches Thema. Und dann bin ich mir relativ sicher, dass der Accounting-Chef das eher beantworten kann als der CFO, ohne dem CFO zu nahe zu treten. Aber das ist eigentlich mittlerweile, würde ich sagen, in vielen Unternehmen so, und es ist auch richtig so“ (Aufsichtsratsvorsitzender_13).
Die bedeutendere Perspektive auf diese Kommunikation ist für die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden jedoch ein Beziehungsziel: die handelnden Personen kennenzulernen. Dies geschieht erstens aus dem Grund, dass der Aufsichtsrat im Rahmen der Personalverantwortung und Entscheidungskompetenz eine langfristige Nachfolgeplanung für den Vorstand haben sollte. Abhängig von der Größe und den Führungsebenen des Unternehmens, werden die relevanten Personen in Aufsichtsratssitzungen eingeladen, um ihre Themen zu präsentieren, oder seltener bilaterale Gespräche geführt.
„Der Aufsichtsrat muss sich auch ein Bild darüber machen, wie steht es denn mit der Führungsmannschaft insgesamt? Wer bietet sich als Nachwuchskraft an? Einer der wichtigsten Aufgaben für mich als Aufsichtsrat ist dafür zu sorgen, dass du immer jemand parat hast, der die Aufgaben übernehmen kann, und dass du eine sehr klare Nachfolgeregelung hast. Wer kann kurzfristig einspringen, für den Fall, dass mein Vorstand morgen umfällt? Wer kann mittelfristig einspringen für den Fall, dass der Vorstand sagt, nächste Vertragsverlängerung, mit mir nicht mehr? Und wer ist langfristig da für den Fall, wenn er pensioniert wird?“ (Aufsichtsratsvorsitzender_5).
Einige Aufsichtsratsvorsitzende berichten, dass sie sich durch einen Austausch mit Führungskräften zweitens eine Einschätzung zur Unternehmenskultur erhoffen. Dies sei zentral, da das Unternehmen nicht allein vom Vorstand, sondern stets gemeinsam mit anderen Führungskräften geleitet werde. Die Gespräche mit Führungskräften würden einen weiteren Zugang darstellen, um das Geschehen im Unternehmen besser einschätzen zu können. Dies vermittle zudem einen Eindruck zur Führungsqualität des Vorstands.
„Die Führung des Vorstands drückt sich daran aus, wen er einstellt. Wenn ich die Leute sehe, und das Gefühl habe, dass die alle klug, strebsam, fleißig sind, dann denke ich, dass der Vorstand in der Personalauswahl gute Entscheidungen getroffen hat. Wenn ich auch Torfköpfe rumlaufen sehe, dann weiß ich, es stimmt was nicht. Dann werden die Zahlen irgendwann auch folgen. Vor allen Dingen werde ich dann hinterfragen müssen, warum der Vorstand sich mit solchen Menschen umgibt“ (Aufsichtsratsvorsitzender_3).
Döring (2018, S. 39) beschreibt den Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und Unternehmensethik, der sich vor allem in der gelebten Wertschätzungskultur ausdrückt. Das kommunikative Ziel, den Führungskräften die Wertschätzung des Aufsichtsratsgremiums entgegenzubringen, wird in den Interviews ebenfalls vereinzelt indirekt thematisiert.
„Das heißt ja nicht, dass man mit denen ganz gewichtige Themen diskutiert, sondern dass man zeigt, dass einem sehr wohl bewusst ist, dass der Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens nicht nur an der ersten Ebene hängt, sondern insbesondere an der Qualität der Führungskräfte danach“ (Aufsichtsratsvorsitzender_13).
Die persönliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Führungskräften ist im Rahmen dieser Arbeit erstmalig aufgezeigt worden, ebenso wie die soeben beschriebenen Ziele dieser Maßnahmen. In den Expertengesprächen wurde argumentiert, dass der CEO stets vorher darüber informiert werde und so die Möglichkeit habe, an den Gesprächen teilzunehmen:
„Und es gibt ja auch immer mal Aspekte, wo ich sage, ich würde gern den oder den sprechen, zu einem Sachverhalt, aber würde den Vorstandsvorsitzenden immer darüber informieren, dass ich hierüber mit [der Führungskraft] sprechen möchte, oder mit dem betreffenden Vorstandsmitglied, und es ihm anheimstellen, ob er dran teilnehmen will oder nicht“ (Aufsichtsratsvorsitzender_5).
Die Entwicklung, dass Aufsichtsratsvorsitzende mit Führungskräften sprechen, auch ohne den Vorstand, birgt interessante Forschungsopportunitäten.
Obwohl Abschlussprüfer eine wichtige Rolle für das Aufsichtsratsgremium einnehmen, da sie im Auftrag des Aufsichtsrats die Geschäftszahlen sowie die Nachhaltigkeitsberichterstattung prüfen, wurden Ziele für den Austausch mit ihnen in den Expertengesprächen nicht thematisiert. Dies kann damit zusammenhängen, dass die Koordination der Arbeit durch den Prüfungsausschuss geschieht und die Berichte vor allem in schriftlicher Form vorliegen.
In Sondersituationen kam es zwar vereinzelt zu internen Kommunikationsmaßnahmen an alle Mitarbeitenden mit dem Vorstand (Abschnitt 8.1.1), in den Gesprächen wurden jedoch nicht explizite Ziele für diese Kommunikation geäußert.
Ziele für den Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Kommunikationsfunktionen
Die Ziele für den Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und den Kommunikationsfunktionen lassen sich anhand der Expertengespräche aus beiden Perspektiven darstellen. Dabei ist interessant, dass Aufsichtsratsvorsitzende bisher eher ein instrumentelles Verständnis von den Kommunikationsfunktionen haben. Aus ihrer Sicht geht es vor allem um die Informationsversorgung des Gremiums sowie die Umsetzung der Publizitätspflichten. Gleichzeitig ist den Aufsichtsratsvorsitzenden jedoch bewusst, wie bedeutend ein Vertrauensverhältnis zu den Kommunikationsverantwortlichen ist, damit die Kommunikation von aufsichtsratsrelevanten Themen wie vom Gremium intendiert erfolgt.
„Wichtig ist, dass auch dort ein Vertrauensverhältnis existiert, sodass also nicht irgendetwas zum unpassenden Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangt, sondern eben erst dann, wenn man es eben auch machen möchte“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Die Kommunikationsverantwortlichen wiederum können, obwohl es selten klar definierte Verantwortlichkeiten für die ARV-Kommunikation gibt (Abschnitt 8.2.1), ebenfalls Ziele für den Austausch mit den Aufsichtsratsvorsitzenden artikulieren. Diese Ziele können auf ihre originären Funktionen abgeleitet werden (Abschnitt 4.​2.​2 und Abschnitt 4.​2.​3). Abbildung 8.5 zeigt eine Gegenüberstellung der Ziele beim Austausch von Aufsichtsratsvorsitzenden und Investor- Relations bzw. Public-Relations-Verantwortlichen, die im Folgenden erläutert werden.
Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Investor-Relations-Verantwortlichen
Wie bereits bei den Ergebnissen zu den Ressourcen der ARV-Kommunikation dargestellt, erfolgt in allen befragten Unternehmen eine mehr oder weniger institutionalisierte Berichterstattung an das Aufsichtsratsgremium zu kapitalmarkrelevanten Themen (Abschnitt 8.1.1). Nur in wenigen Fällen findet darüber hinaus ein (regelmäßiger) Dialog mit den IR-Verantwortlichen statt (Abschnitt 8.2.1). Sowohl beim schriftlichen als auch persönlichen Austausch besteht das Ziel der Aufsichtsratsvorsitzenden darin, die Informationsversorgung des Aufsichtsrats aus Kapitalmarktsicht weiter zu verbessern.
„Den Austausch, den ich von Investor Relations bekomme, dass sie mir eben regelmäßig die Analystenreports und so zuschicken. Also, da bin ich eben auf einer Mailing-List mit drauf, bekomme auch von Investor Relations eine Übersicht über alle M&A-Aktivitäten im weitesten Sinne in der [Branche]. Aber ansonsten gehe ich eigentlich aktiv auf Investor Relations nie zu, sondern ist eher eine passive Unterrichtung, die ich erfahre, durch Investor Relations“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Dieses inhaltliche Ziel der Informationsversorgung steht spiegelbildlich auch im Fokus der IR-Verantwortlichen. Dabei versuchen die Akteure auch ihrer Beraterfunktion (Köhler, 2015, S. 239) nachzukommen, um die Erwartungshaltung des Kapitalmarkts zu vermitteln. Auf dieser Basis sollen die Anforderungen der Kapitalmarktakteure in die Beratungen und Entscheidungen des Aufsichtsrats einfließen können.
„Ich glaube, ich kann schon sagen, dass wir einen relativ vernünftigen Draht haben, sodass wir von der IR-Seite permanent die sich ständig ändernden Anforderungen aus dem Kapitalmarkt einbringen“ (Investor Relations_12).
Zudem führen insbesondere die Begleitung von Investorengesprächen mit Aufsichtsratsvorsitzenden dazu, dass die IR-Verantwortlichen eine bessere Kapitalmarktkommunikation zu aufsichtsratsrelevanten Themen durchführen könnten. Wenn Aufsichtsratsvorsitzende im Investorendialog bspw. die Ausgestaltung der Agenda-Punkte der Hauptversammlung erläutern, könne die IR diese Argumente für die Kommunikation nutzen.
„Mir hilft es unheimlich, wenn wir die HV-Agenda veröffentlicht haben, dass nicht ich den O-Ton setzen muss, sondern dass ich erstmal das Management, in dem Fall den AR-Vorsitzenden erklären lassen darf, warum er denn jetzt die Agenda-Punkte soundso ausgestaltet hat. […] Dann können sie ein Stück weit darauf rekurrieren und in anderen Gesprächen eine Antwort geben, ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen“ (Investor Relations_12).
Dies zeigt, dass ein etablierter Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und den IR-Verantwortlichen zu einer besseren Kommunikation des Unternehmens führen kann.
Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Public-Relations-Verantwortlichen
Auch die Ziele des Austauschs mit der Public-Relations-Abteilung können aus beiden Perspektiven dargestellt werden. Aus Sicht der befragten Aufsichtsratsvorsitzenden besteht das Ziel des Austauschs mit den PR-Verantwortlichen darin, eine professionelle Kommunikation von aufsichtsratsrelevanten Themen an die Öffentlichkeit sicherzustellen. Indem die PR-Verantwortlichen vorab über geplante Entscheidungen des Aufsichtsrats informiert werden, könnten sie die notwendige personelle Unterstützung sicherstellen, indem Dokumente vorbereitet und mit der weiteren geplanten Kommunikation des Unternehmens abgestimmt werden.
„Ich habe einen relativ regelmäßigen Austausch mit dem Leiter der Kommunikationsabteilung. In erster Linie geht es darum, wenn aufsichtsratsrelevante Themen anstehen, wie kommunizieren wir das, wie gehen wir damit um? Wir hatten ja im letzten Jahr auch einige Personalentscheidungen zu treffen. Wie bereiten wir uns darauf vor? Wie sorgen wir dafür, dass das vernünftig und professionell in die externe Öffentlichkeit letztendlich kommuniziert wird?“ (Aufsichtsratsvorsitzender_22).
Aus dem Zitat lässt sich auch die Erwartung ableiten, dass die PR-Verantwortlichen eine beratende Rolle einnehmen, wie die Kommunikation von aufsichtsratsrelevanten Themen idealerweise an die Öffentlichkeit vermittelt wird.
Diese Anforderungen von Aufsichtsratsvorsitzenden finden sich auch bei den Äußerungen der PR-Verantwortlichen. So wird die Sicherstellung der Vorbereitung und Durchführung von aufsichtsratsrelevanten Kommunikationsmaßnahmen ebenfalls als Ziel benannt. Aus ihrer Sicht leistet die PR dann einen Beitrag, wenn Informationen und Bewertungen zur öffentlichen Wahrnehmung des Unternehmens und den aufsichtsratsrelevanten Themen vermittelt werden.
„Ich kann nur sagen, dass es gut ist, wenn die Kommunikationsabteilung eine Beziehung zum Aufsichtsratsvorsitzenden hat und sich regelmäßig, auch wenn das vielleicht nur zweimal im Jahr ist, austauscht und ein Bild vom Aufsichtsratsvorsitzenden hat und weiß ungefähr, was er will. Denn das kann ihm helfen, die Lage des Unternehmens einzuschätzen und das ganze Unternehmen kennenzulernen“ (Public Relations_14).
Die PR-Verantwortlichen sehen, deutlich stärker als die IR, ihre Aufgabe und ein Ziel darin, Aufsichtsratsvorsitzende bei öffentlichkeitswirksamen Themen zu beraten. Dazu gehöre z. B. Aufsichtsratsvorsitzenden zu erläutern, wie bestimmte Aussagen in Medien angekommen und wie Situationen zu interpretieren seien. Aber auch ein Schulterblick vor öffentlichen Auftritten von Aufsichtsratsvorsitzenden gehöre im Sinne einer vertrauensvollen Beziehung dazu.
„Ein Aufsichtsratsvorsitzender möchte auch mal was gegenreflektieren, oder er hat irgendeine Rede oder so. Dann sagt man, klar, ich gucke drauf“ (Public Relations_17).
Das Selbstverständnis der PR-Verantwortlichen in einer beratenden Rolle zeigt sich auch in den Erkenntnissen zu Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation (Abschnitt 8.2.1). So gibt es häufiger feste Ansprechpartner mit dezidierten Kapazitäten, woraus sich ein regelmäßig stattfindender persönlicher Austausch ergibt.
Ziele der ARV-Kommunikation mit externen Anspruchsgruppen
Die Aufnahme des Investorendialogs und die Identifikation von vermehrten Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in den Medien stellen eine zentrale Veränderung und damit Anlass für die Beschäftigung mit dem Forschungsthema dar. Dabei stellt sich auch die Frage, welche Ziele mit diesen freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen verfolgt werden. Tabelle 8.4 zeigt die Ziele der ARV-Kommunikation differenziert nach den Anspruchsgruppen in der Kapitalmarktöffentlichkeit, gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit sowie in Abschnitt 8.1.2.4 eingeführten parlamentarischen Öffentlichkeit, die im Folgenden beschrieben werden.
Tabelle 8.4
Ziele der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit externen Anspruchsgruppen
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Dialog mit Investoren
Als wichtigstes Ziel für den Dialog mit Investoren wird die Herstellung von Transparenz hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit bestätigt. Dies spiegelt sowohl das aus der Theorie abgeleitete inhaltliche Ziel der Aufsichtsratskommunikation und zeigt gleichzeitig den strukturierenden Einfluss der Erwartungen der Investoren (Abschnitt 7.​2.​1). Konkret beschreiben dies die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden damit, dass sie Informationen zu Entscheidung bzw. die Sichtweise des Aufsichtsrats bei relevanten Themen vermitteln wollen, um so zum Abbau von Informationsasymmetrien von Aktionären beizutragen. Der Dialog solle auch dazu beitragen, aufsichtsratsspezifische Fragen zu klären, sodass Aktionäre bei Abstimmungen auf der Hauptversammlung den relevanten Punkten zustimmen.
„Zum Beispiel zur Vorstandsvergütung habe ich mit Investor X sehr intensiv diskutiert und ihn trotzdem nicht dazu bewegen können, dass er dem am Ende zustimmt. Aber er hat es wenigstens verstanden, was wir gemacht haben, und es ist mir sehr wichtig.“ (Aufsichtsratsvorsitzender_11)
Zudem wird auch das zweite theoretisch abgeleitete Ziel der ARV-Kommunikation, der Aufbau und die Pflege von Beziehungen mit den Investoren, als relevant erachtet. Aus Sicht der Experten seien zwar primär die Investor Relations und der Vorstand dafür zuständig, aber auch Aufsichtsratsvorsitzende könnten dabei eine Rolle spielen. Hier spiegeln sich die Erwartungen der Stakeholder, neben Informationen auch einen persönlichen Eindruck von Aufsichtsratsvorsitzenden und deren Überwachungsverständnis sowie Fähigkeiten zu erlangen. Es sei besser, die Netzwerke oder einen Dialog in einer normalen Unternehmenssituation aufzubauen und nicht erst in einer Krisensituation.
„Und ich persönlich bin immer ein Freund davon, sagen wir mal, solche Netzwerke oder so einen Dialog aufzubauen, wenn die Unternehmenssituation eher angenehm ist und nicht in einer Krisensituation, wenn ich dann gezwungen bin. Dann komme ich vielleicht auch leichter durch so eine Situation durch, wenn es mal Spitz auf Knopf steht“ (Investor Relations_12).
Nur einzelne IR-Verantwortliche nennen darüber hinaus auch das theoretisch abgeleitete Ziel eines Listenings des Aufsichtsrats, also der Möglichkeit, sich ungefiltert über Bedenken, Meinungen und Zielsetzungen im Aktionariat zu informieren, um diese in der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können (Abschnitt 5.​2). Dabei betonen die IR-Verantwortlichen jedoch, dass es eine Wertschätzung von Investoren gebe, wenn ihre Kommunikationsbedürfnisse gegenüber dem Aufsichtsrat auch außerhalb der Hauptversammlung erfüllt würden. Darin zeigt sich, dass die ARV-Kommunikation auch zum unternehmerischen Kommunikationsziel der Legitimität und damit zur Sicherung von Handlungsspielräumen beitragen kann (Zerfaß & Viertmann, 2017, S. 75).
„Ich sehe schon die Wertschätzung auf Seiten der Investoren, dass ihre Meinung eingeholt wird, ernstgenommen wird, teilweise dann wirklich auch noch entsprechend umgesetzt wird. Und ja, natürlich nicht in allen Fällen. […] Und ich denke, es hilft uns nachher auch bei der Hauptversammlung, um da keine Überraschungen zu erleben, wenn die großen Investoren die Richtung kennen und deren Meinung einbezogen wird“ (Investor Relations_6).
Eine symmetrische Kommunikation mit den Anteilseignern (Kelly et al., 2010) kann demnach als Herausforderung für die zukünftige ARV-Kommunikation festgehalten werden. Schließlich zeigen die Anforderungen der Anspruchsgruppen (Abschnitt 7.​3), dass neben den Publizitätspflichten auch der Dialog als legitim eingeschätzt und eingefordert wird.
Dialog mit Stimmrechtsberater
Bereits bei der Darstellung der Erkenntnisse zu den Strukturen und Maßnahmen der ARV-Kommunikation zeigte sich, dass vor allem die IR-Verantwortlichen einem Dialog mit Stimmrechtsberatern eine hohe Relevanz zuschreiben, während Aufsichtsratsvorsitzende dies eher als Aufgabe des Unternehmens sehen (Abschnitt 8.1.2.2). Neben der Herstellung von Transparenz hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit durch die Publizitätspflichten, kann als Ziel festgehalten werden, durch einen ergänzenden Dialog offene Fragen in Bezug auf Corporate-Governance-Themen zu klären.
„Die amerikanischen Proxy Advisor, die haben sich bisher ein einziges Mal an mich gewandt mit einer konkreten Frage, die wir dann auch beantwortet haben. […] Und da haben sie sich das angeguckt und gesagt, das sei ja eine gute Idee“ (Aufsichtsratsvorsitzender_26).
Dies spiegelt auch die Erwartungen der Stimmrechtsberater wider, spezifische Fragen im Dialog klären zu können, wobei ihre Arbeit eigentlich ausschließlich auf öffentlich verfügbaren Informationen basieren. Insgesamt gebe es bisher zwar wenige Anfragen, aber die IR-Verantwortlichen beschreiben, dass ein Austausch wertgeschätzt werde und zu einem besseren Scoring auf der Hauptversammlung führen könne.
„Ansonsten kriegst du auf der Hauptversammlung von einigen Stimmrechtsberatern schon mal gleich per se schlechteres Scoring bei der Entlastung des Aufsichtsrats, weil die sagen, wie soll ich denn jemanden entlasten, von dem ich gar nicht weiß, ob der überhaupt geeignet ist?“ (Investor Relations_23).
Aus der Perspektive der IR kann die ARV-Kommunikation hier wiederum auf das unternehmerische Ziel der Sicherung von Handlungsspielräumen einzahlen (Zerfaß & Viertmann, 2017, S. 75).
Kommunikation mit Journalisten
Die Ziele für eine freiwillige Kommunikation mit Journalisten in der Kapitalmarktöffentlichkeit sowie der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit können von den Experten nur selten explizit artikuliert werden. Das Ziel, Transparenz hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit herzustellen, wird dabei vor allem in Bezug auf die Publizitätspflichten bezogen. Es wird hier jedoch ebenfalls aufgenommen, da dies normativ eine Anforderung der Anspruchsgruppe darstellt.
Darüber hinaus konnten zwei Ziele für die freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Medien identifizieren werden, die nicht in einem direkten Zusammenhang mit den Aufgaben des Gremiums stehen. Sie können vielmehr den unternehmerischen Kommunikationszielen zugeordnet werden, was deren strukturierenden Einfluss der Ziele der Kommunikationsabteilungen auf die ARV-Kommunikation unterstreicht. Dabei handelt es sich um
(1)
eine Verstärkung von Unternehmensbotschaften, die das Vertrauen und die Legitimität unterstützen und dadurch Handlungsspielräume sichern, sowie
 
(2)
die Unternehmensreputation zu unterstützen und damit einem Aufbau von immateriellem Kapital (Zerfaß & Viertmann, 2017, S. 75).
 
In der Tat verfügen Aufsichtsratsvorsitzende in den allermeisten Fällen über eine gewisse personale Reputation, die auf den Leistungen in vorherigen oder aktuellen Positionen beruht. Im Falle einer aktiv gelebten Kommunikation, z. B. in Krisensituationen, könnte sich diese Reputation auf das Unternehmen übertragen. Positive oder kritische Äußerungen könnten sich aber ebenso auf die Reputation des Vorstands auswirken.
Die Experten sind sich einig, dass Aufsichtsratsvorsitzende durch ihre Kommunikation die Botschaften von Unternehmen und Vorstand unterstreichen und kein eigenes Agenda Setting betreiben sollten. Als Ergebnis solle das Unternehmen als gut geführt wahrgenommen werden, da sich dies positiv auf die Unternehmensreputation auswirke.
„Ich meine, was will man erreichen? Wenn es zum Verständnis oder einer positiven Wahrnehmung des Unternehmens beiträgt, und wenn es vor allen Dingen nicht einen Ansatzhebel gibt, um dem Unternehmen irgendwie zu schaden oder Konfusion oder Führungslosigkeit oder Kontroversen nachzuweisen. Das wären eigentlich so die wichtigsten Punkte. Dass das Unternehmen als geschlossenes Unternehmen mit einer klaren und deutlichen Strategie wahrgenommen wird, die auch entsprechend umgesetzt und kontrolliert wird. Das wäre eigentlich das Ziel“ (Aufsichtsratsvorsitzender_26).
Auch wenn dies nicht explizit benannt wurde, kann dies in Verbindung gesetzt werden mit der Analyse der Strukturen und Maßnahmen, in der gezeigt wurde, dass Überwachungs-, Risiko-, aber auch Nachhaltigkeitsthemen als Aufgabe des Aufsichtsrats zu einer Norm für Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden werden können. Daraus würde folgen, dass Äußerungen zu Corporate-Governance- oder auch Nachhaltigkeitsthemen zu einer vorteilhaften Positionierung des Unternehmens im Markt führen könnten.
In Sondersituationen, wie einer Krise, sei es zudem das Ziel einer Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, den Stakeholdern Orientierung zu geben und die Stabilität des Unternehmens zu vermitteln:
„Es gibt keinen Selbstzweck zur Kommunikation eines Aufsichtsratsvorsitzenden, sondern ich sehe den Zweck dann darin nach innen wie nach außen, insbesondere in Krisenzeiten, Orientierung zu geben und Stabilität“ (Public Relations_25).
Eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden habe dann aus zwei Gründen eine höhere Relevanz, als ihr in normalen Unternehmenssituationen zugeschrieben wurde (Abschnitt 8.1.2.3). Erstens müsse den Anteilseignern und der Öffentlichkeit transparent kommuniziert werden, wie intensiv das Gremium seiner Überwachungs- und Kontrollaufgabe nachkomme, was ein zentrales Ziel der ARV-Kommunikation darstellt. Dabei könne es aus Sicht der PR-Verantwortlichen auch relevant sein, dem Vorstand den Rücken zu stärken und seine Aktivitäten zur Krisenbewältigung zu unterstützen.
Zweitens sei eine Kommunikation besonders relevant, wenn Vorstandsvorsitzende nicht mehr sprechfähig seien, weil sie aus dem Amt enthoben oder aufgrund der Krise an Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit verloren hätten. Dabei sei jedoch wichtig, dass die Kommunikation sehr dosiert eingesetzt werde, damit nicht der Eindruck entstehe, dass die Aufsichtsratsvorsitzenden die Geschäfte führen würden. Dieses Ziel spiegelt die Erwartungen der Anspruchsgruppen wider, durch eine aktivere Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden die Perspektive und Rolle des Gremiums sowie die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu verstehen (Abschnitt 7.​2.​1). Die Erwartungen können damit einen Einfluss auf die situationsbedingte Modifikation der Strukturen nehmen.
Bei Äußerungen außerhalb der Überwachungstätigkeit, also wenn sich Aufsichtsratsvorsitzende als Experten oder Intellektuelle äußern, verfolgen die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden das Ziel, Einfluss auf gesellschaftlich relevante Interpretations- und Deutungsfragen nehmen – dies wird jedoch streng getrennt von der Rolle und Funktion im Unternehmen.
„Wenn ich glaube, dass eine Veränderung notwendig ist und Notwendigkeit da ist, auf die Abweichungen hinzuweisen gegenüber dem, was Politik verspricht und was nachher in der Handlung tatsächlich ausübt. Wenn Abweichungen auftreten, da bin ich der Meinung, sollte man sich äußern“ (Aufsichtsratsvorsitzender_11).
Dialog mit politischen Stakeholdern
Die Kommunikation von Unternehmen richtet sich an eine noch größere Bandbreite an Stakeholdern. In den Expertengesprächen wurden in diesem Zusammenhang vereinzelt Gespräche von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Politikern thematisiert. Diese würden auf Initiative des Unternehmens stattfinden. Das Ziel der Teilnahme und des Dialogs von Aufsichtsratsvorsitzenden sei es, die Beziehungen zu pflegen und Wertschätzung gegenüber den politischen Stakeholdern des Unternehmens zu zeigen.
„In gewisser Weise war das eine Erwartungshaltung. Ihr müsst auch mal antanzen und was sagen. Die hätten das Gespräch auch nur mit dem Vorstand geführt, schätze ich mal, aber ist eine gewisse höhere Wertschätzung, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende dabei ist. Aber wichtig war, dass das Unternehmen vertreten worden ist durch die gesetzlichen Vertreter. Das war eigentlich der wichtige Punkt“ (Aufsichtsratsvorsitzender_10).
Weitere Anspruchsgruppen einer Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, wie etwa Analysten, Kunden oder NGOs wurden in den Expertengesprächen, in Bezug auf die Ziele der Kommunikation auch auf Nachfrage, nicht thematisiert. Daraus kann geschlossen werden, dass diese aktuell eine geringe Relevanz für das Forschungsthema haben.
Die Erkenntnisse zeigen, dass die theoretisch abgeleiteten Ziele der ARV-Kommunikation, also Transparenz zur Tätigkeit des Aufsichtsrats herstellen sowie die Beziehungen zu internen und externen Anspruchsgruppen aufbauen und pflegen, das Handeln der Akteure bestimmt. In Bezug auf alle Anspruchsgruppen konnte mindestens eines der beiden Ziele identifiziert werden. Darüber hinaus zeigen sich aber noch weitere Ziele: In Bezug auf die internen Anspruchsgruppen ist dabei vor allem interessant, dass ein Austausch mit den Führungskräften darauf abzielt, eine Einschätzung zur Unternehmenskultur zu erhalten sowie die Wertschätzung des Aufsichtsratsgremiums für deren Arbeit entgegenzubringen. In Bezug auf die freiwillige externe Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zeigt sich, dass die Ziele der Akteure (unbewusst) auf die Erwartungen der Anspruchsgruppen abzielen. Dies ist vor allem interessant, da, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, es bisher keine explizite Definition von Zielen für die ARV-Kommunikation im Rahmen eines Kommunikationsmanagements gibt. Die in den Expertengesprächen identifizierten Ziele resultieren also aus den Erfahrungen der Verantwortlichen und nicht auf einer systematischen Analyse der Situation oder des Umfelds. Daher scheinen die Erwartungen der Anspruchsgruppen an die ARV-Kommunikation zwar unbewusst aufgenommen zu werden, aber nicht systematisch erhoben und in der Planung der Kommunikation berücksichtigt. Dies zeigt erneut die Relevanz der Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement, die im folgenden Kapitel vorgestellt und kritisch diskutiert wird.

8.2.3 Theoretische und empirische Erkenntnisse zur Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden wird in dieser Arbeit aus der externen Perspektive, in Bezug auf die Anforderungen an die Kommunikation, sowie aus einer internen Perspektive, in Bezug auf die Strukturen, Maßnahmen und das Management der Kommunikation, untersucht. Ein zentrales Ziel dieser Arbeit aus interner Perspektive ist es, die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen des Kommunikationsmanagements zu verorten. Aufgrund der formal-strukturellen Position von Aufsichtsratsvorsitzenden stellt dies eine Herausforderung für die bisherige Forschung zu Kommunikationsmanagement dar. Daher wurde zunächst die Relevanz erläutert, dass es eine feste Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation und das Kommunikationsmanagement geben muss (Abschnitt 8.2.1). Anschließend wurden die empirischen Erkenntnisse zu den Zielen für die ARV-Kommunikation vorgestellt, da diese nicht wie im bisherigen Verständnis der Forschung aus der Unternehmensstrategie abgeleitet werden können, sondern aus der Funktion des Aufsichtsrats resultieren (Abschnitt 8.2.2).
In den Expertengesprächen mit den Aufsichtsratsvorsitzenden und den jeweiligen Kommunikationsverantwortlichen der Unternehmen wurde die bisherige Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement erörtert. Obwohl Aufsichtsratsvorsitzende als wichtige Kommunikatoren des Unternehmens verortet werden können (Abschnitt 4.​3.​3), gibt es bisher kaum ein systematisches Kommunikationsmanagement. Das liegt daran, dass die ARV-Kommunikation nicht in das normale strategische Kommunikationsmanagement eingebunden wird, was vor allem mit der (bisher) fehlenden Verantwortlichkeit innerhalb der Kommunikationsfunktionen zusammenhängt. Dies ist ein strukturelles Problem, da es eine zentrale Voraussetzung darstellt (Abschnitt 8.2.1). Die Publizitätspflichten sind im Rahmen der Regelkommunikation eingebunden, eine freiwillige Kommunikation wird zwar vorbereitet und begleitet, bisher aber nicht strategisch geplant und evaluiert. Interessanterweise zeigt sich, dass bei einem Wechsel von Aufsichtsratsvorsitzenden die Kommunikationsfunktionen, insbesondere die Public Relations, aktiver werden und dies als Kommunikationspunkt planen und umsetzen.
Anhand der fünf Phasen des Kommunikationsmanagements (Abschnitt 4.​2) werden im Folgenden die empirischen Erkenntnisse zur bisherigen Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement vorgestellt. Da die ARV-Kommunikation in den meisten Fällen bisher nur selten verortet ist, werden ergänzend dazu anhand der theoretischen Ausführungen aus normativer Sicht die Schritte vorgestellt, die notwendig für ein umfassendes Kommunikationsmanagement wären.
Analyse
In der Analysephase sollte zunächst das Beziehungsgeflechts zwischen Unternehmen, internen und externen Stakeholdern und der öffentlichen Meinungsbildung betrachtet, sowie relevante Themen, Erwartungen und Trends in diesem Kontext identifiziert werden. Auf dieser Basis können Chancen und Risiken bewertet werden. Die Ergebnisse der Analysephase bilden dann die Grundlage für die darauffolgenden Phasen des Kommunikationsmanagements (Abschnitt 4.​2).
In den Expertengesprächen mit den Unternehmensvertretern stellte sich heraus, dass in keinem der Fälle eine explizite Situationsanalyse für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden durchgeführt wurde. Für die Kommunikation des Unternehmens finde dies zwar statt, jedoch werden die Aufsichtsratsvorsitzenden dabei bisher nicht mitgedacht. Einige Themen des Aufsichtsrats, wie etwa die Vergütung des Vorstands, würden in diesem Kontext jedoch beobachtet, sofern diese bspw. bei der kommenden Hauptversammlung anstehen würden.
Dieses Ergebnis zeigt, dass es in den meisten Fällen bisher vollständig an der informationellen Grundlage für die Planung der ARV-Kommunikation fehlt. Die Kommunikationsverantwortlichen agieren ausschließend auf ihrem bisherigen Erfahrungswissen. Dadurch erfassen sie weder die Rezeption von Corporate-Governance-Themen in den Medien und Analystenreports (Abschnitt 7.​1) noch die Erwartungen der Anspruchsgruppen (Abschnitt 7.​2), um schließlich auf die sich verändernden Anforderungen an die ARV-Kommunikation reagieren zu können (Abschnitt 7.​3).
Wenn jedoch ein Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes bevorsteht, dann wird interessanterweise eine situationsbezogene Analyse durchgeführt sowie Chancen und Risiken betrachtet. Dies wird insbesondere von der PR-Abteilung forciert, wobei auf die Betrachtung der öffentlichen Wahrnehmung der Personen abgezielt wird.
„Ja klar. Da haben wir uns hingesetzt und gesagt, was ist eigentlich die besondere Herausforderung in dieser Situation, was braucht es aus unserer Sicht, wo sind die Upsides, wo sind die Downsides, und haben dann sozusagen eine Strategie für ihn vorgelegt, der er dann auch gefolgt ist. Der Beide gefolgt sind, so muss man es ja formulieren“ (Public Relations_25).
Relevante Aspekte für die Situationsanalyse der ARV-Kommunikation
Da die Situationsanalyse die Grundlage für die weiteren Phasen des Kommunikationsmanagements darstellt, soll nun aus den theoretischen Erkenntnissen abgeleitet werden, welche Schritte in der Analyse für die ARV-Kommunikation relevant wären.
Im Rahmen der Situationsanalyse sollte das kommunikative Beziehungsgeflecht für den Aufsichtsrat untersucht werden. Grundsätzlich folgt daraus, dass Themen und Trends in Bezug auf Corporate Governance in den Öffentlichkeitsarenen, also der Medienberichterstattung, Analystenreports und ggf. auch im politischen Entscheidungsprozess, beobachtet werden sollten. Da Corporate Governance bereits ein relevantes Thema für Unternehmen ist, müssten die Analyseaktivitäten hierzu in vielen Unternehmen wahrscheinlich nur ausgeweitet und explizit für die ARV-Kommunikation aufbereitet werden. Die Analyse der Diskussion von aufsichtsratsrelevanten Themen in den beschriebenen Öffentlichkeitsarenen würde eine Ausgangsbasis für die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation darstellen. Ergänzend dazu könnte auch beobachtet werden, wie Unternehmen im Index oder sonstige Peers mit der ARV-Kommunikation umgehen, da daraus Erwartungen der Stakeholder, und damit Handlungsfolgen für andere Unternehmen, entstehen könnten.
Die Kommunikationsfunktionen sollten des Weiteren die Erwartungen der Stakeholder an der ARV-Kommunikation aufbereiten Bei der IR wäre dies bspw. die Erwartungen der wichtigsten institutionellen Investoren an den Investorendialog, z. B. mithilfe einer Perception Study, herauszufinden. Die PR wiederum könnte analysieren, ob von relevanten Medien bzw. Journalisten eine Erwartung hinsichtlich eines Dialogs mit den Aufsichtsratsvorsitzenden besteht. Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Erwartungen der wichtigsten Anspruchsgruppen an die ARV-Kommunikation aus externer Perspektive untersucht, sodass dies ein Ausgangspunkt bilden kann (Abschnitt 7.​2).
Auch wenn über die Publizitätspflichten hinaus keine freiwillige ARV-Kommunikation des Unternehmens stattfindet, sollten diese Aspekte im Rahmen der Situationsanalyse abgedeckt werden, da sie bedeutend für die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation und damit für die Handlungen von Aufsichtsratsvorsitzenden und der Kommunikationsverantwortlichen sind.
Ein weiterer Teil der Situationsanalyse bezieht sich auf die Person der Aufsichtsratsvorsitzenden. Diese Analyse müsste einmalig bzw. bei einem ARV-Wechsel erfolgen. Dazu gehört u. a. das bestehende (kommunikative) Beziehungsgeflecht der Aufsichtsratsvorsitzenden zu relevanten Anspruchsgruppen. Da viele Aufsichtsratsvorsitzende vorher Vorstandspositionen innehatten oder noch haben, gibt es bereits unterschiedlich intensiv ausgeprägte Beziehungen zu Investoren oder Journalisten. Damit hängt auch die Fähigkeit der Person zur Öffentlichkeitsmobilisierung zusammen, die sich sowohl auf Unternehmensthemen als auch auf gesellschaftspolitische Themen beziehen kann.
Aus interner Perspektive würde zudem analysiert werden, welche Ressourcen die Aufsichtsratsvorsitzenden für die Kommunikation zur Verfügung haben oder benötigen würden. Dabei wäre es u. a. sinnvoll den Zugang zu Informationen, als allokative Ressource, zu analysieren, um dem Aufsichtsrat ggf. mehr Informationen aus Kommunikationssicht für seine Überwachungsaufgabe zukommen zu lassen (Abschnitt 8.1.1). Bei der personellen Unterstützung als autoritative Ressource ist dies z. B. die Verantwortlichkeit in den Kommunikationsfunktionen für die ARV-Kommunikation. Zudem stellt sich die Frage des Budgets für die Kommunikation als allokative Ressource.
Durch die Entwicklung von organisationalen Zuhörfähigkeiten (Listening) im Rahmen der Situationsanalyse, als Gegenpol zu den etablierten Sendefähigkeiten (Messaging), können die Kommunikationsfunktionen zu einem strategischen Vermittler für die ARV-Kommunikation werden (Macnamara, 2016). Auf Basis von datengestützten Analysen und einer Sammlung von Informationen wird dabei die Wahrnehmung des Unternehmens in Bezug auf aufsichtsratsrelevante Themen sowie die Aufsichtsratsvorsitzenden als Akteure aufgezeigt, sodass eine Kommunikationsstrategie für die ARV-Kommunikation etabliert, reflektiert und angepasst werden kann.
Planung
Die Planungsphase beinhaltet die Formulierung von konkreten Kommunikationsstrategien und -zielen. Im Anschluss sollen die Planung der angestrebten Positionierung sowie von Themen und Maßnahmen erfolgen, sowie weiterhin ein Budget und Kapazitäten der Kommunikationsabteilungen festgelegt werden. Im bisherigen Verständnis der Forschung zu Kommunikationsmanagement und strategischer Kommunikation wird davon ausgegangen, dass der Erfolgsbeitrag von Kommunikation darin liegt, die strategischen Ziele des Unternehmens zu unterstützen (Abschnitt 4.​2). Dieses Verständnis kann jedoch nicht auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden übertragen werden. Der Aufsichtsrat setzt zwar den Rahmen für die Unternehmensstrategie, untersteht ihr aber nicht. Ziele für die Aufsichtsratskommunikation müssen und können somit nicht mit der Unternehmensstrategie verknüpft werden, um die neutrale Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats gewährleisten zu können.
Kommunikationsstrategie und -ziele
Die Frage, ob es eine definierte Kommunikationsstrategie für die Aufsichtsratsvorsitzenden gebe oder ob dies im Rahmen der Kommunikationsstrategie des Unternehmens berücksichtigt sei, wurde von allen befragten Unternehmensvertretern verneint.
„Die Kommunikation des Aufsichtsrats ist reine Taktik“ (Public Relations_1).
Die Zurückhaltung von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Öffentlichkeit wird zwar als Strategie beschrieben, aber sie sei nicht festgeschrieben und nur in wenigen Fällen auch mit den Akteuren besprochen worden.
An den Äußerungen der Kommunikationsverantwortlichen zeigt sich, dass die Publizitätspflichten zwar als organisationale Aufgabe wahrgenommen werden, schließlich sind sie schon seit langem ein Teil der Regelkommunikation. Sie werden aber nicht als explizite Maßnahmen der ARV-Kommunikation verstanden. Obwohl Aufsichtsratsvorsitzende als wichtige Kommunikatoren des Unternehmens eingeordnet werden können (Abschnitt 4.​3.​3), herrscht im Rahmen der strategischen Planung der Kommunikation bislang vor allem eine operative Sicht auf die ARV-Kommunikation vor, wobei Aufsichtsratsvorsitzende als Verstärker der Unternehmenskommunikation eingestuft werden:
„Wir haben eine ganz klare Strategie, aber die Strategie ist langweilig. Die Strategie ist eben, ihn nicht zu nutzen, außer es ist absolut notwendig. Wenn wir ihn nutzen, dann ist es eine taktische Maßnahme. Denn es wäre schön, wenn du ihn einmal brauchst, und er redet das erste Mal, sagt man, oh, Herr X äußert sich, dann hören ihm die Leute zu. Es gibt eine klare Strategie, wie er zu kommunizieren hat und auch selbst will. Die wurde festgelegt am Anfang. Wir haben uns zusammengesetzt, haben gesagt, was ist Ihre strategische Zielrichtung? Und dann ist das mehr oder weniger taktisch zu sehen“ (Public Relations_28).
Ergänzend zu der bislang häufig fehlenden Verantwortlichkeit für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation sowie einer fehlenden Situationsanalyse, kann festgehalten werden, dass damit auch die strategische Planung weitgehend fehlt.
Zwar konnte in Abschnitt 8.2.2 gezeigt werden, dass das Handeln der Akteure auf verschiedenen Zielen für die ARV-Kommunikation basiert. Dabei handelt es sich insbesondere um die aus der Überwachungstätigkeit des Gremiums abgeleiteten Ziele, Transparenz hinsichtlich der Aufgaben des Aufsichtsrats herzustellen, sowie Beziehungen zu internen und externen Anspruchsgruppen zu etablieren und zu pflegen. Zusätzlich zu den beschriebenen langfristigen Zielen kann es aber auch kurzfristigere Ziele geben, wie etwa die Zustimmung der Investoren in einer Sondersituation:
„Im Prinzip haben wir alles rechtzeitig geplant mit dem Ziel, am Ende die Zustimmung der Investoren zu erreichen, sei es für den Merger oder wenn eine Hauptversammlung ansteht. Natürlich gibt es unterschiedliche Fristigkeiten: Mal kann man sagen, wir wollen das jedes Mal im dritten Quartal machen, weil wir wissen, da ist eine ruhige Zeit für die Investoren. In einem Merger-Prozess oder bei anderen Projekten wird es dann etwas kurzfristiger entschieden“ (Investor Relations_2).
Positionierung
Eine Positionierung von Aufsichtsratsvorsitzenden wäre ebenfalls Teil der Planungsphase und im Rahmen der Kommunikationsstrategie zu verorten. Ziel der CEO-Positionierung ist es bspw. die Unternehmenskomplexität zu reduzieren, indem positive Merkmale von der Person auf das Unternehmen übertragen werden und dies sich in der Reputation beider niederschlägt (Szyszka, 2010, S. 103).
In den Expertengesprächen wurde deutlich, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden weder Teil der übergeordneten Kommunikationsstrategie ist noch eine spezifische ARV-Kommunikationsstrategie oder eine definierte Positionierungsstrategie vorliegt. So wurden die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden in einigen Fällen von den Kommunikationsfunktionen zwar angefragt, ob das Unternehmen sie zu einem bestimmten Zweck bzw. Thema positionieren könne. Inhaltlich habe es sich um Themen gehandelt, in denen der jeweilige Aufsichtsratsvorsitzende eine Kernkompetenz oder ein hohes Interesse habe. Dies finde jedoch in sehr begrenztem Maße statt. Aus den vorliegenden Erkenntnissen lässt sich nicht ableiten, dass unternehmensseitig eine gezielte Subjekt-Personalisierung nach Eisenegger (2010) angestrebt bzw. vollzogen wird.
Dem Thema Corporate Governance komme zwar immer mehr Aufmerksamkeit zu (Abschnitt 7.​1), berge nach Einschätzung eines IR-Verantwortlichen aktuell aber mehr Risiken als Chancen für eine Positionierung.
„Governance ist eher ein Hygienefaktor. Man kann viel verkehrt machen. Man kann sehr in die Kritik geraten, und man kann sich leicht positiv durchaus positionieren. Aber das Risiko nach unten ist wesentlich größer als die Chance nach oben, um es mal so zu sagen“ (Investor Relations_4).
Interessanterweise verändert sich das Handeln der Kommunikationsfunktionen kurzfristig, wenn es zu einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes kommt. In zwei Fällen konnten ein Wechsel der Position und die entsprechende Kommunikation dazu mit den Unternehmensexperten diskutiert werden. Hier zeigt sich, dass vor den PR-Abteilungen eine explizite Kommunikationsstrategie erarbeitet wurde. Diese basierte auch auf einer entsprechenden Situationsanalyse, in der die öffentliche Wahrnehmung sowie die Chancen und Risiken erörtert wurden. Auf dieser Grundlage wurde von den PR-Abteilungen jeweils eine Kommunikationsstrategie erarbeitet. Dazu gehörte auch eine thematische Positionierung der Akteure, die mit dem aktuellen sowie zukünftigen Aufsichtsratsvorsitzenden abgestimmt wurde.
„Im Vorfeld des Wechsels haben wir mit den beiden Herren eine Medienstrategie herausgearbeitet. Das heißt, wir haben genau gesagt, welche Botschaften wir bei der Übergabe platzieren wollen, wie wir Herrn X platzieren wollen oder positionieren wollen, und wie wir Herrn X positionieren wollen. Das haben wir alles ausgearbeitet“ (Public Relations_14).
Im weiteren Verlauf wurde die Kommunikationsstrategie zum ARV-Wechsel von den Kommunikationsfunktionen entsprechend begleitet. Es stellt sich die Frage, warum eine strategische Planung der Kommunikation durch die Kommunikationsfunktionen bei einem Wechsel möglich ist, sobald der Wechsel jedoch vollzogen ist, die strategische Planung der ARV-Kommunikation wieder entfällt. Aus den Gesprächen lässt sich schließen, dass der ARV-Wechsel eine strategische Relevanz für die Unternehmenskommunikation aufweist. Dabei wird auch vom Vorstandsvorsitzenden eine entsprechend professionelle Kommunikation des Wechsels erwartet. Anschließend ziehen sich die Kommunikationsfunktionen jedoch aufgrund der bestehenden Berichtslinien zum Vorstand sowie fehlenden Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation zurück.
Budget und Kapazitäten
Die Planungsphase enthält auch den Einsatz von Budget und Kapazitäten. Es wurde bereits erläutert, dass es eine zentrale Voraussetzung darstellt, dass es einen oder mehrere Verantwortliche in den Kommunikationsfunktionen für die ARV-Kommunikation gibt (Abschnitt 8.2.1).
In keinem der Fälle wurde ein dezidiertes Budget für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb des Gremiums oder der Kommunikationsabteilungen festgelegt. Diese Erkenntnis ist aus der Analyse der allokativen Ressourcen nicht überraschend, da der Aufsichtsrat nicht über ein eigenes Budget verfügt. Eventuelle Ausgaben für Sachverständige müssen dabei stets vom Vorstand freigezeichnet werden. Insbesondere bei möglichen Interessenkonflikten der Gremien ist diese Tatsache kritisch zu betrachten (Abschnitt 8.2.1).
Die Pflichtpublizität des Aufsichtsrats wird bisher im Budget zur Regelkommunikation mitgedacht, dabei konnten die Kommunikationsexperten jedoch keine genaue Kostenaufstellung nennen. Während die Kosten für die Veröffentlichungspflichten durch Dienstleister wahrscheinlich schnell aufgeschlüsselt werden könnten, fehlt es vor allem an einer Übersicht hinsichtlich der Personalkosten. Dies könnte sich jedoch durch die Schaffung einer expliziten Stelle für die ARV-Kommunikation oder mindestens von Verantwortlichkeiten verbessern.
Relevante Aspekte für die Planung der ARV-Kommunikation
Die Planungsphase ist entscheidend für eine professionell aufgesetzte ARV-Kommunikation. Dabei sollte einmal grundsätzlich geklärt werden, ob eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden über die Publizitätspflichten hinaus erfolgen soll. Diese Entscheidung ist zunächst im Aufsichtsratsgremium selbst zu treffen und sollte im Rahmen einer Kommunikationsordnung festgehalten werden (detailliert dazu in Abschnitt 8.2.4). Nach dieser Entscheidung des Gremiums sollten sich Aufsichtsratsvorsitzender, Vorstandsvorsitzender und die Leiter bzw. die Verantwortlichen für die ARV-Kommunikation aus der IR- und PR-Abteilung einmal im Grundsatz zur ARV-Kommunikation absprechen. Das Ziel dabei wäre ein geteiltes Verständnis über den Auftritt von Aufsichtsratsvorsitzenden nach außen zu etablieren, das als Interpretationsmuster das Handeln der Akteure rationalisiert. Aus den Experteninterviews zeigt sich, dass dies bei einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes bereits gemacht wird und auch die Aufnahme der Anregung zum Investorendialog in den DCGK in vielen Unternehmen einen Anlass dafür geboten hat.
„Wir haben uns einmal grundsätzlich mit Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratsvorsitzenden zur Aufteilung von Themen und Anfragen verständig“ (Investor Relations_21).
Für den Fall, dass das Gremium sich dazu entscheidet, dass es keine über die Publizitätspflichten hinausgehende Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden geben soll, ist es dennoch wichtig zu definieren, wie mit Anfragen von Anspruchsgruppen umgegangen werden sollte. Insbesondere aus der Anregung zum Investorendialog im DCGK sind Erwartungen der Investoren entstanden, auf die die IR-Abteilung reagieren muss.
Wenn sich das Gremium entscheidet, dass der Aufsichtsratsvorsitzende über die Publizitätspflichten hinaus kommunizieren kann, dann sollte diese Kommunikation auch professionell im Rahmen eines Kommunikationsmanagements strategisch geplant und umgesetzt werden.
In der Planungsphase würde dann festgelegt, ob die Aufsichtsratsvorsitzenden nur für den Investorendialog, als neue Norm der ARV-Kommunikation, bereitsteht – oder wie bspw. mit Anfragen von anderen Anspruchsgruppen, wie Medienvertretern, umgegangen werden sollte. Dabei handelt es sich zunächst um eine reaktive Kommunikation bei Anfragen, aber auch das aktive Anbieten von Interviews und Hintergrundgesprächen durch die PR-Abteilung ist denkbar.
Im Austausch zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Kommunikationsverantwortlichen für die ARV-Kommunikation können, basierend auf der Situationsanalyse, dann konkrete Ziele und Kennzahlen für die ARV-Kommunikation definiert werden. Wenn auf der kommenden Hauptversammlung etwa die Abstimmung zu einer neuen Vorstandsvergütung ansteht, könnten die Ziele für den Investorendialog exemplarisch wie folgt formuliert werden: Im September sollen mit den Governance-Teams unser fünf bis zehn wichtigsten Aktionären Gespräche mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und IR-Team über die anstehende Änderung der Vorstandsvergütung geführt werden. Dabei wäre sowohl das Inhaltsziel, nämlich Transparenz zur Überwachungsaufgabe herzustellen, als auch das Beziehungsziel der ARV-Kommunikation, also Beziehungen zu den relevanten Anspruchsgruppen zu pflegen, in diesem Fall aktuellen Investoren, angesprochen.
Die Kommunikationsverantwortlichen wären dann auch dafür zuständig, die Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Vorbereitung der Botschaften zu unterstützen bzw. sicherzustellen, dass die Botschaften nicht widersprüchlich zur Kommunikation des Vorstands sind. Dies wäre bspw. relevant, wenn bei einer geplanten Übernahmesituation, die Aufsichtsratsvorsitzenden in Gesprächen die Sichtweise des Aufsichtsrats vertreten.
Organisation
In der Organisationsphase steht die Einbindung der Kommunikationsabteilung im Fokus. Dabei kann grundsätzlich zwischen der Aufbauorganisation und Ablauforganisation unterschieden werden (Zerfaß et al., 2014, S. 989). Die Aufbauorganisation der Kommunikationsabteilungen ist längerfristig im Organigramm des Unternehmens festgelegt, während die Ablauforganisation eher im Wandel ist. Bei der Ablauforganisation kann zwischen einer funktionsorientierten und prozessorientierten Organisation unterschieden werden (Zerfaß et al., 2014, S. 999) (Abschnitt 4.​2).
Die Verantwortung für die ARV-Kommunikation stellt eine zentrale Verortung der Kommunikation im Kommunikationsmanagement dar. Wie in Abschnitt 8.2.1 ausführlich dargestellt, gibt es bislang nur in einem Fall eine explizite Stelle für die ARV-Kommunikation. In wenigen anderen Unternehmen haben vor allem PR- Verantwortliche, einen Teil ihrer Arbeitszeit für die ARV-Kommunikation reserviert. Trotzdem werden in allen befragten Unternehmen sowohl die Publizitätspflichten als auch eine freiwillige Kommunikation, bspw. im Rahmen des Investorendialogs nach dem DCGK von den Kommunikationsfunktionen unterstützt.
„Wir nehmen die Auswahl vor, sprechen alles ab, bereiten es inhaltlich vor und veranstalten dann gemeinsam die Termine“ (Investor Relations_2).
Relevante Aspekte für die Organisation der ARV-Kommunikation
Im Rahmen der Organisation sollte definiert werden, welche personelle Unterstützung den Aufsichtsratsvorsitzenden zur Verfügung gestellt werden kann bzw. wer die Verantwortung für die ARV-Kommunikation innehat. In Abschnitt 8.2.1 wurden dafür zwei Optionen vorgeschlagen: (1) einen festen Ansprechpartner in Kommunikationsfunktionen mit dezidierten Kapazitäten für die ARV-Kommunikation, oder (2) einen eigenen Sprecher für die ARV-Kommunikation. Diejenige Person bzw. Personen wären dann auch für das Kommunikationsmanagement zuständig sowie für die Abstimmung mit den Kommunikationsfunktionen hinsichtlich der Unternehmenskommunikation. Es ist sinnvoll, die Verantwortlichkeit explizit im Rahmen der Aufbauorganisation der Kommunikationsfunktionen festzuhalten.
In Bezug auf die Ablauforganisation sollte dann definiert werden, wie die einzelnen Arbeitsabläufe für die ARV-Kommunikation aufgeteilt werden. So ist bspw. vorstellbar, dass die Publizitätspflichten wie bisher bei den Kommunikationsfunktionen liegen, da diese bereits fest in den Prozessen integriert sind – diese müssten dann nur mit dem Verantwortlichen für die ARV-Kommunikation abgestimmt werden. Andere freiwillige Kommunikationsmaßnahmen der ARV-Kommunikation sowie das Kommunikationsmanagement würden demgegenüber bei dem Verantwortlichen für die ARV-Kommunikation liegen.
Grundsätzlich können Aufgaben der ARV-Kommunikation auch an externe Kommunikationsberatungen ausgelagert werden (McKinney, 2018, S. 3). In Bezug auf die etablierten Prozesse zur Umsetzung der Publizitätspflichten des Aufsichtsrats im Rahmen der Regelkommunikation erscheint dies nur bedingt empfehlenswert. Nichtsdestotrotz kann es in gewissen Situationen sinnvoll sein, dass Aufsichtsratsvorsitzende (und ihre Kommunikationsverantwortlichen) einen externen Kommunikationsberater als Sparringspartner zu Rate ziehen.
Durchführung
In der Phase Durchführung geht es schließlich um die konkrete Umsetzung der geplanten Kommunikationsmaßnahmen. Dazu gehört die Auswahl der relevanten Instrumente, die Formulierung von Botschaften als auch die Koordination der operativen Prozesse und Arbeitsabläufe (Abschnitt 4.​2). Die relevanten Aspekte der Durchführung der Kommunikationsmaßnahmen der ARV-Kommunikation wurden im Abschnitt 8.1 ausführlich anhand der Anspruchsgruppen vorgestellt.
Relevante Aspekte für die Durchführung der ARV-Kommunikation.
In der Phase der Durchführung werden also die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats vorbereitet, mit Aufsichtsrat und Vorstand abgestimmt sowie veröffentlicht. Die IR-Abteilung wäre bspw. für die Umsetzung des Investorendialogs zuständig. Dabei müssten u. a. relevante Gesprächspartner ausgewählt, Präsentationen vorbereitet und die Gespräche begleitet werden (detailliert dazu in den Ergebnissen in Abschnitt 8.1.2.2). Auch die Beratung und Umsetzung zu einer freiwilligen Kommunikation mit Journalisten wäre Teil der Umsetzung. Dies kann bei konkreten Anfragen geschehen oder auf Initiative der PR-Abteilung, sofern diese ein relevantes Thema für die Aufsichtsratsvorsitzenden identifizieren.
Darüber hinaus sollten die Kommunikationsverantwortlichen den Aufsichtsrat über relevante Kommunikationsereignisse informieren, z. B. durch eine Zusammenstellung der Wahrnehmung der relevanten Stakeholder nach den Quartalszahlen des Unternehmens. Solch eine Zusammenstellung wird in den meisten Unternehmen für den Vorstand erstellt, stellt aber auch eine relevante Information für das Aufsichtsratsgremium dar, um ihrer Überwachungsaufgabe laufend nachkommen zu können.
Evaluation
Die Evaluationsphase im Rahmen des Kommunikationsmanagements erfolgt anhand einer mitlaufenden Prozesskontrolle und einer Ergebniskontrolle. Auf dieser Basis kann überprüft werden, ob die gesteckten Ziele der Kommunikationsaktivitäten erreicht wurden, um dadurch Optimierungspotenziale zu identifizieren und zukünftige Pläne anzupassen (Abschnitt 4.​2).
Aufgrund des bisherigen mangelnden Kommunikationsmanagements für die ARV-Kommunikation ist es wenig überraschend, dass keines der befragten Unternehmen eine explizite Evaluation für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden durchführt. Da es bisher selten explizite Verantwortlichkeiten gibt, erklären dies die Kommunikationsexperten wie folgt:
„Wir steuern ja die Kommunikation beim Aufsichtsratsvorsitzenden nicht nach KPIs. Das ist auch eine ganz andere Ebene als sozusagen der Rest der Unternehmenskommunikation“ (Public Relations_25).
Generell wird die Erfolgsmessung von Kommunikation als große Herausforderung angesehen. Insbesondere die Vertreter der IR-Abteilungen tun sich schwer damit, dies deckt sich mit bisherigen Erkenntnissen zur Erfolgsmessung der Investor Relations (Hoffmann & Tietz, 2019, S. 13). Aber auch die Aufsichtsratsvorsitzenden sind sich unklar darüber, wie ihre Kommunikation innerhalb und außerhalb des Unternehmenskontexts gemessen werden könne.
„Wie kann man Wirkung messen? Wenn ich kommuniziere, nehmen wir die Situationen als Privatperson! Was kommt dabei am Ende heraus? Da werden Sie oft nicht so sehr viel sehen!“ (Aufsichtsratsvorsitzende_11).
Als Erfolgsindikator für die ARV-Kommunikation werden am häufigsten die Ergebnisse der Abstimmung auf der Hauptversammlung herangezogen. Dabei stelle sich jedoch die Frage, welchen Beitrag der Investorendialog mit den Aufsichtsratsvorsitzenden tatsächlich geleistet habe. So würden in den Gesprächen zwar die Argumente zu den Tagesordnungspunkten ausgetauscht, Investoren könnten aber trotzdem dagegen stimmen.
„Wobei die Frage ist, machen die das aufgrund des Gesprächs mit dem AR-Vorsitzenden oder hätten sie es ohnehin gemacht? Das ist schwer auseinanderzuhalten. Andersrum vielleicht eher. Wenn nach einer erfolgten Governance-Roadshow die Leute entgegen dem alten Verhalten oder entgegen der Erwartung negativ abstimmen, dann wäre es sicherlich kein Erfolg“ (Investor Relations_24).
Weiterhin wird als Erfolgskriterium das qualitative Feedback von Investoren heranzogen. Dazu gehört einerseits, für wie hilfreich die Gesprächspartner den Dialog mit den Aufsichtsratsvorsitzenden im Nachgang einschätzen. Andererseits zeige das generelle Interesse der wichtigsten Investoren an einem Dialog, ob dieser als erfolgreich eingestuft werden kann.
„Erfolg wäre, wenn die Empfänger der Nachricht sagen, es hat sich gelohnt, ich verstehe das jetzt besser. Wenn sie alles an irgendwelchen Kursen ablesen wollen, machen sie manchmal gravierende Fehler. Denn dann ist die große Gefahr, dass sie sehr populistisch agieren, und das wäre grundverkehrt“ (Aufsichtsratsvorsitzende_3).
Relevante Aspekte für die Evaluation der ARV-Kommunikation
Wenn basierend auf einer Situationsanalyse explizite Ziele und KPIs für die ARV-Kommunikation entwickelt wurden, dann würde in der Evaluationsphase sowohl die prozessbegleitende als auch die abschließende Bewertung der Kommunikationsaktivitäten des ARV stattfinden. Dies stellt dann die Basis für eine neue Planung dar.
Übersicht für die Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement
Die Erkenntnisse der Experteninterviews mit den Unternehmensvertretern offenbaren, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zwar von den Kommunikationsfunktionen unterstützt wird, bislang jedoch kaum ein systematisches Kommunikationsmanagement stattfindet. Da Aufsichtsratsvorsitzende wichtige Kommunikatoren für das Unternehmen darstellen und die Anforderungen an die Publizitätspflichten, aber auch eine freiwillige Kommunikation der Anspruchsgruppen weiter steigen, besteht hier dringender Handlungsbedarf für die Unternehmen.
In diesem Kapitel wurden, neben den Erkenntnissen aus den Experteninterviews, auch aus normativer Sicht die relevanten Aspekte für eine Verortung der ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement aufgezeigt. Abbildung 8.6 zeigt diese noch einmal im Überblick anhand der Phasen des Kommunikationsmanagements:
Im Rahmen der Planungsphase wird festgehalten, dass es einer Diskussion oder sogar Entscheidung des Aufsichtsratsgremiums bedarf, welchem Umfang die Kommunikationsmaßnahmen der externen ARV-Kommunikation haben können. Im folgenden Kapitel wird daher noch einmal ausführlich diskutiert, wie eine Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat als Grundlage für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen kann und welche Elemente sie enthalten sollte.

8.2.4 Zwischenfazit: Einführung einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat

Ein modernes, professionelles Überwachungsgremium sollte sich grundsätzlich mit seiner Kommunikation auseinandersetzen. Im Sinne der Selbstorganisation des Gremiums könnte eine Kommunikationsordnung als strukturbildendes formales Element eingeführt werden, die die Kommunikation des Gremiums mit Investoren und weiteren Stakeholdern umfassend regelt1. Alternativ kann auch die bestehende Geschäftsordnung um entsprechende Punkte zur Kommunikation erweitert werden. Erforderlich wäre in beiden Fällen ein Aufsichtsratsbeschluss mit einfacher Mehrheit, womit auch mitbestimmungsrechtliche Aspekte abgedeckt sind (Landsittel, 2019, S. 266).
Eine Kommunikationsordnung kann dann als Grundlage für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden dienen und damit das Handeln der Akteure rationalisieren. In Ergänzung zu den Ausführungen aus der Corporate-Governance-Forschung, insbesondere aus der rechtlichen Perspektive (Landsittel, 2019; Degenhardt, 2017), sollen die relevanten Aspekte für eine Kommunikationsordnung erläutert werden, die mithilfe der Erkenntnisse dieser Arbeit ergänzt wurden.
Die Kommunikationsordnung sollte die Kompetenzen von Aufsichtsratsvorsitzenden klären. Anschließend ist es relevant, die Ressourcen für die Kommunikation als auch den Zugang zu Informationen zu definieren. Auf dieser Basis kann dann die interne Abstimmung geklärt sowie Kriterien für den Umgang mit Gesprächsanfragen definiert werden2. Tabelle 8.5 zeigt im Überblick die relevanten Inhalte einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat, die im Folgenden erläutert werden.
Tabelle 8.5
Relevante Inhalte einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat
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Als Erstes bedarf es einer grundsätzlichen Entscheidung bzw. eines Beschlusses des Gremiums, ob eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden über die Publizitätspflichten hinaus erfolgen soll bzw. darf. Konkret geht es dabei insbesondere um die beschriebenen freiwilligen externen Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Investoren und ggf. weiteren Stakeholdern (Abschnitt 8.1.2). Aber auch interne Kommunikationsmaßnahmen, wie etwa die Präsentation von Führungskräften in Aufsichtsratssitzungen oder gemeinsame Abendessen, könnten einmal grundsätzlich besprochen werden, sofern sie nicht schon bereits stattfinden (Abschnitt 8.1.1).
Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema kann das Aufsichtsratsgremium diese Inhalte diskutieren und beschließen. Alternativ dazu wäre es auch möglich, die Entscheidungsbefugnisse dafür beim Aufsichtsratsvorsitzenden zu belassen. Unabhängig davon erscheint es im Sinne eines transparenten Austauschs zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern sinnvoll, die Themen einmalig oder sogar regelmäßig zu besprechen.
Kompetenzen
Der erste zentrale Punkt der Kommunikationsordnung stellt die Festlegung des Sprechers sowie der konkreten Regelungen des Dialogs dar. Als gewählter Repräsentant des Gremiums ist der Vorsitzende als Sprecher zu empfehlen. Prinzipiell wären jedoch weitere Sprecher denkbar: So könnte bei spezifischen Fragen zur Abschlussprüfung auch die Vorsitzenden des Prüfungsausschusses als Ansprechpartner agieren – denn Aufsichtsratsvorsitzende sollen nicht den Vorsitz des Prüfungsausschusses innehaben (DCGK, Empfehlung D.4). Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit zeigen jedoch auf, dass Aufsichtsratsvorsitzende als alleiniger Sprecher des Gremiums von den Experten empfohlen werden.
Wenn grundsätzlich einer Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden über die Publizitätspflichten hinaus, zugestimmt wird, dann könnte auch die konkrete Ausgestaltung der Kommunikation festgelegt werden. Dabei sollte die Frage geklärt werden, ob nur eine reaktive Kommunikation, also bspw. bei Anfragen von Investoren zu einem Dialog, erfolgen soll oder auch freiwillige Kommunikationsmaßnahmen angestrebt werden, z. B. im Rahmen einer Corporate-Governance-Roadshow. Freiwillige Kommunikationsmaßnahmen, wie der Investorendialog oder auch Interviews bzw. Hintergrundgespräche mit Journalisten stellen relevante Erwartungen der Anspruchsgruppen dar (Abschnitt 7.​2). Ziele der Kommunikation könnten dabei sein, Transparenz hinsichtlich der Aufsichtsratsarbeit herzustellen oder die Erwartungen des Kapitalmarkts aufzunehmen (Abschnitt 8.2.2).
Weiterhin erscheint es dann auch sinnvoll, Kriterien für die Auswahl von Gesprächspartnern zu definieren. Nach seiner Präambel will der Deutsche Corporate Governance Kodex „das Vertrauen von Anlegern, der Kunden, der Belegschaft und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften fördern“ (DCGK 2019, S. 2). Die Anregung zum Investorendialog von Aufsichtsratsvorsitzenden im DCGK ist jedoch auf Investoren beschränkt. Der weit gefasste Begriff der Anleger lässt sich in institutionelle und private Anleger differenzieren (Abschnitt 4.​1.​2). Viele institutionelle Investoren verfügen mittlerweile über eigene Corporate-Governance-Abteilungen und -Prinzipien.
Die Auswahl der Gesprächspartner für den Investorendialog sollte anhand definierter Kriterien in Abstimmung mit der IR-Abteilung erfolgen. Nach § 53a AktG sind alle Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Möglich wäre die Orientierung an Schwellenwerten, so sieht das Aktienrecht ab einer Beteiligung in Höhe von einem Prozent des Grundkapitals bestimmte Sonderrechte vor (§ 142 Abs. 2 Satz 1 AktG). Da viele institutionelle Investoren über eigene Governance-Teams verfügen, ist es gerade bei größeren Investmentgesellschaften zudem äußerst relevant, den richtigen Ansprechpartner ausfindig zu machen.
Unterhalb dieser Schwelle sind Gespräche jedoch grundsätzlich auch möglich: Als weitere relevante Kriterien für die Auswahl könnten z. B. das Investitionsvolumen eines potenziellen Investors, die Bedeutung des Aktionärsvertreters oder der Multiplikatoreneffekt des Gesprächspartners herangezogen werden. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist hier jedoch besonderes Augenmaß erforderlich. Dies zeigt sich exemplarisch bei Gesprächen mit Stimmrechtsberatern, die in ihren Voting Policies explizit festhalten, dass ihre Empfehlungen nur auf öffentlich verfügbaren Informationen basieren. Prinzipiell sind Gespräche sowohl mit Stimmrechtsberatern als auch Privataktionären möglich (Abschnitt 8.1.2.2).
Darüber hinaus erscheint es lohnend, sich im Gremium einmal grundsätzlich über einen Dialog mit weiteren Anspruchsgruppen auszutauschen. Aus den Erkenntnissen der Experteninterviews ist es schwer vorstellbar, dass es hierbei zu einer bindenden Abstimmung kommt, ob Aufsichtsratsvorsitzende etwa mit Journalisten sprechen dürfen. Aber gerade in Sondersituationen, wie Krisen, könnte im Gremium besprochen werden, inwiefern eine freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden als notwendig erachtet wird.
Weiterhin gehört auch die Festlegung von Themen der Gespräche dazu. Die Themen wurden bereits an mehreren Stellen erwähnt (Abschnitt 3.​2 und 5.​1). Es ist daher empfehlenswert, dass sich die Kommunikationsordnung sowohl zu den Themen äußert als auch die Grenzen der Kommunikation aufzeigt. Dazu gehören etwa die Verschwiegenheitspflicht, das Insiderrecht als auch die aktienrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat als grundlegende Strukturen.
Ressourcen
Eine Diskussion bzw. Entscheidung zu den Ressourcen ist besonders relevant für eine professionelle Planung, Umsetzung und Evaluation der ARV-Kommunikation. Eine zentrale Voraussetzung für ein Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation ist eine Verantwortlichkeit innerhalb der Kommunikationsfunktionen. Die personelle Unterstützung sollte, wie in Abschnitt 8.2.1 ausführlich erläutert, idealerweise entweder einen eigenen Sprecher oder feste Ansprechpartner mit dezidierten Kapazitäten für die ARV-Kommunikation sowohl in der IR- als auch PR-Abteilung darstellen. So können die Kommunikationsverantwortlichen einerseits als Berater und Ermöglicher (Zerfaß und Franke, 2013, S. 123) der Kommunikationsprozesse von Aufsichtsratsvorsitzenden agieren. Andererseits bestehen aufgrund der definierten Berichtslinie bzw. expliziten Kapazitäten keine Interessenkonflikte mit dem Vorstand.
Mithilfe eines Kommunikationsverantwortlichen können dann Ziele für die ARV-Kommunikation definiert sowie Kommunikationspläne erstellt werden. Sie sind dann dafür zuständig, dass die geplanten Kommunikationsmaßnahmen operativ umgesetzt werden. Dazu gehört es auch, die Aufsichtsratsvorsitzenden entsprechend auf die Publizitätspflichten sowie freiwillige Kommunikationsmaßnahmen vorzubereiten und den Dialog zu begleiten. Durch diese personelle Unterstützung können Aufsichtsratsvorsitzende die Anforderungen der Anspruchsgruppen (Abschnitt 7.​3) einbinden und damit professioneller kommunizieren.
Für den Fall, dass die Verantwortung für die ARV-Kommunikation nicht definiert wird, so sollten mindestens die Eckpfeiler einer Zusammenarbeit mit den Kommunikationsfunktionen diskutiert werden. Dafür muss gemeinsam mit Vorstandsvorsitzenden und Kommunikationsverantwortlichen die Zusammenarbeit besprochen werden, z. B., ob diese unabhängig oder ausschließlich über den Vorstand erfolgen soll.
In dem Zusammenhang könnte auch die Festlegung eines Budgets für die ARV-Kommunikation diskutiert werden. Ein Budget für den Aufsichtsrat wird in der juristischen Literatur unterschiedlich diskutiert (Lutter et al., 2014, S. 278 ff.; Schenck, 2013, S. 59 f.) und stößt angesichts der überwiegenden Meinung in Theorie und Praxis bislang eher auf Ablehnung. Ausgaben des Aufsichtsrats müssen bislang vom Vorstand freigegeben werden. Jedoch hat sich anhand der Expertengespräche gezeigt, dass Aufsichtsratsgremien in Sondersituationen auf die personelle Unterstützung bzw. Beratung durch externe Kommunikationsberater zurückgegriffen haben (Abschnitt 8.1.2).
In Bezug auf die personellen Ressourcen lässt sich festhalten, dass die Kommunikationsordnung eine wichtige Grundlage für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation darstellt, dass das Handeln von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie der Kommunikationsverantwortlichen rationalisiert.
Abstimmung mit dem Vorstand
Auch die unternehmensinterne Abstimmung einer Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sollte Teil der Kommunikationsordnung sein. Schließlich stellt aus Sicht der befragten Experten ein dissonantes Erscheinungsbild von Vorstand und Aufsichtsrat eines der größten Risiken einer aktiveren Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden dar. Denkbar ist ein informeller oder formalisierter Austausch vor und nach den jeweiligen Gesprächen im Rahmen des ohnehin stattfindenden Dialogs der beiden Gremienvorsitzenden.
Eine definierte Kommunikationsordnung zwischen CEO und ARV wird von den Experten jedoch nicht als notwendig erachtet. Bei einem Wechsel in einem der Ämter mache es jedoch Sinn, die Aufteilung von Themen einmal grundsätzlich zu besprechen.
Ein Kommunikationsverantwortlicher für die ARV-Kommunikation könnte als Bindeglied zwischen Aufsichtsrat und Vorstand in Bezug auf dessen Kommunikation agieren. Dazu gehört u. a. bei einer freiwilligen Kommunikation für einheitliche Botschaften nach außen zu sorgen oder auch die Vorab-Information des Vorstands sowie der Kommunikationsfunktionen, z. B. bei einem Interview des Aufsichtsratsvorsitzenden.
Information an das Gremium
Weiterhin sollte festgelegt werden, wie Aufsichtsratsvorsitzende das Gremium zur Wahrung des Kollegialprinzips über die Gespräche informiert. Die Experteninterviews haben gezeigt, dass die Kommunikation innerhalb des Gremiums als zentrale Aufgabe wahrgenommen wird. Schließlich stellt der Zugang zu Informationen für alle Aufsichtsratsmitglieder eine grundlegende Rolle für ihre Überwachungsaufgabe dar. Dabei wären einerseits der Umfang und Detailgrad der Information zu diskutieren und andererseits der Zeitpunkt. Denkbar wäre hier etwa ein standardmäßiger Tagesordnungspunkt in den Aufsichtsratssitzungen.
Nachinformation der Aktionäre
Mit der Nachinformation der Aktionäre soll die informelle Gleichbehandlung gewährleistet werden. Dabei sollten der Umfang und das Prozedere geregelt werden. Eine Nachinformation könnte etwa im Rahmen des Aufsichtsratsberichts bzw. der Hauptversammlung erfolgen. Dieser Punkt ist besonders relevant, da die Erkenntnisse zu den Erwartungen der Anspruchsgruppen gezeigt haben, dass diese eine Nachinformation, bspw. zum Investorendialog von Aufsichtsratsvorsitzenden, zukünftig erwarten (Abschnitt 7.​2.​1).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Definition und Einführung einer Kommunikationsordnung eine optimale Ausgangsbasis für die Planung der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen. Die Aufsichtsratstätigkeit befindet sich aufgrund einer steigenden Professionalisierung im Wandel. Eine inhärente Aufgabe des Gremiums ist es dabei, die Anteilseigner über die ihnen übertragende Überwachungstätigkeit zu informieren. Dies passiert insbesondere im Rahmen der Publizitätspflichten, die als zentrale Maßnahmen der ARV-Kommunikation bereits Teil der Regelkommunikation des Unternehmens sind. Ergänzend zu den Publizitätspflichten sollten aber auch die freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen eines Kommunikationsmanagements strategisch geplant, umgesetzt und evaluiert werden. So kann sichergestellt werden, dass sie die Anforderungen der Anspruchsgruppen berücksichtigen und ein einheitliches Bild des Unternehmens nach außen entsteht.
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Fußnoten
1
Landsittel (2019, S. 265–272) plädiert in ihrer Dissertation ebenfalls für die Einführung einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat, dabei wird aus juristischer Sicht ein Entwurf für die konkrete Formulierung dieser Kommunikationsordnung vorgestellt (Landsittel, 2019, S. 286–289). Auch Degenhart (2017) skizziert Inhalte einer Kommunikationsordnung. Während sich beide Autorinnen jedoch ausschließlich auf die Investorenkommunikation konzentrieren, erlaubt der Vorschlag in dieser Arbeit die Betrachtung von weiteren Stakeholdern und erweitert die Einbindung der Kommunikationsfunktionen.
 
2
Aus Gründen der Praktikabilität schlägt Vetter (2016, S. 875) als Alternative zur Kommunikationsordnung die Einsetzung eines Kommunikationsausschusses vor, der situationsabhängig darüber entscheiden sollte, welche Gespräche geführt würden und welche Themen dabei tabu seien. Aufgrund der theoretisch und empirisch beschriebenen Relevanz von Kommunikation für das gesamte Gremium, wird in dieser Arbeit jedoch der Vorschlag einer Kommunikationsordnung favorisiert und beschrieben.
 
Metadaten
Titel
Empirische Erkenntnisse zu den Strukturen, Maßnahmen und Management der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
verfasst von
Sandra Binder-Tietz
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37717-5_8