6.2.1 Herausforderungen für die Führung bei der Entwicklung von Teamkognitionen in der virtuellen Zusammenarbeit
Um die Ausrichtung des virtuellen Teams auf das gemeinsame Ziel und die Koordination der Handlungen in Bezug auf dieses Ziel zu gewährleisten, sind geteilte mentale Modelle, d. h. ein gemeinsames Verständnis des gemeinsamen Ziels und der Prozesse notwendig, die das Erreichen dieses Ziels ermöglichen (Hinds und Weisband
2003). Geteilte mentale Modelle sind kollektive Wissensstrukturen der Teammitglieder (Cannon-Bowers et al.
1993; Marlow et al.
2017), die sich in einem Konsens bei der Interpretation aufgabenrelevanter Informationen und teambezogener Aspekte zeigen (Andres
2011). Diese geteilten mentalen Modelle im Team umfassen ein gemeinsames Verständnis 1) der aktuellen situativen Anforderungen (situatives Bewusstsein), 2) der gemeinsamen Ziele, Strategien und Aufgaben (Aufgabenmodelle), 3) der Rollen und Verantwortlichkeiten im Team (Teammodelle), 4) der zeitlichen Abhängigkeiten (temporale Modelle) sowie 5) der Mediennutzung (IKT Modelle) und fördern die effiziente Zusammenarbeit und darüber vermittelt die Teameffektivität (DeChurch und Mesmer-Magnus
2010; Mathieu et al.
2000; Müller und Antoni
2019). Geteilte mentale Modelle ermöglichen implizite Koordination, reduzieren den Kommunikationsbedarf und damit die Effizienz der Teamarbeit. Geteilte mentale Modelle erlauben es den Teammitgliedern das Verhalten der anderen Teammitglieder erklären und vorhersagen zu können und reduzieren so Unsicherheiten im Umgang miteinander (Cannon-Bowers und Salas
2001). Gemeinsame Erfahrungen und ähnliche Hintergründe, aber auch ein verstärkter Austausch zu Beginn der Teamarbeit in Bezug auf relevante aufgabenbezogene und teambezogene Aspekte fördern die Entwicklung geteilter mentaler Modelle (Hinds und Weisband
2003).
Die Forschung zeigt, dass in virtuellen Teams geteilte mentale Modelle einerseits insbesondere für deren Leistung relevant sind (Antoni und Syrek
2017; Hinds und Weisband
2003; Liao
2017), andererseits aber ihre Entwicklung erschwert ist (Marlow et al.
2017). Das liegt zum einen daran, dass in virtuellen Teams die Kommunikationshäufigkeit oft reduziert ist, die gerade zu Beginn der Teamarbeit die Entwicklung geteilter mentaler Modelle fördert (Kauffeld et al.
2016). Außerdem bezieht sich die Kommunikation in virtuellen Teams vorrangig auf aufgabenbezogene Aspekte und lässt somit die Beziehungsebene außer Acht, die für das Ausbilden von Teammodellen, d. h. das Kennenlernen gegenseitiger Präferenzen und Stärken, von großer Bedeutung ist (Cannon-Bowers und Salas
2001; Kauffeld et al.
2016; Marlow et al.
2017). Durch asynchrone Kommunikation mit wenig reichhaltigen Medien kann auch die Kommunikationsqualität leiden (Kirkman und Mathieu
2005; Marlow et al.
2017). Diese Faktoren können dazu führen, dass mit zunehmender Virtualität der zur Integration des verteilten Wissens der Teammitglieder notwendige Wissensaustausch beeinträchtigt wird (Hinds und Weisband
2003; Marlow et al.
2017). Eine höhere Kommunikationsqualität zeigt sich wiederum entscheidend für die Ausbildung gemeinsamer Teamkognitionen (Marlow et al.
2017).
Eine weitere wichtige Herausforderung der Führung betrifft die Gestaltung des Informationsflusses. Zum einen kann es zu Informationsdefiziten kommen, da in virtuellen Teams mitunter aufgrund des größeren Aufwands weniger Informationen geteilt werden (Kauffeld et al.
2016). Bei hybriden Formen virtueller Teams dürfte es vor allem schwierig sein, Klarheit darüber zu erlangen, wer schon welche Informationen vorliegen hat. Zum anderen kann es aufgrund der Möglichkeit auf viele Informationen über digitale Kanäle zugreifen zu können und aufgrund der Verteilung irrelevanter Informationen zu einer Informationsüberflutung kommen, die die Verarbeitung weiterer Informationen beeinträchtigt (Antoni und Ellwart
2017). Marlow et al. (
2017) weisen darauf hin, dass eine hohe Kommunikationshäufigkeit bei virtueller Zusammenarbeit eine Informationsüberflutung zur Folge haben kann, da die Nutzung unterschiedlicher Medien zu einem größeren Aufwand führt. Hier kann jedoch mithilfe von geteilten IKT Modellen entgegengesteuert werden. Eine zu geringe Kommunikationshäufigkeit insbesondere zu Beginn der Teamarbeit wirkt sich wiederum wie beschrieben negativ auf die Ausbildung von Teammodellen aus. Das bedeutet, dass über die Kommunikationshäufigkeit je nach Phase der Teamarbeit entschieden werden sollte und die Kommunikation durch geteilte IKT Modelle gestützt werden sollte (Müller und Antoni
2020).
Bei der Betrachtung hybrider Formen virtueller Teams kommt unseres Erachtens der Kommunikation im Team und ihrer Facetten Häufigkeit, Qualität und Inhalt und deren Auswirkung auf die Ausbildung von Teamkognitionen eine besondere Rolle zu. Hier dürfte es eine entscheidende Rolle spielen, ob es große Unterschiede zwischen den Teammitgliedern gibt, wie häufig sie face-to-face oder virtuell zusammenarbeiten. Gibt es beispielsweise Teammitglieder, die nur im Büro arbeiten und dort viele Absprachen mit weiteren dort arbeitenden Teammitgliedern face-to-face durchführen, so ist zu vermuten, dass es leicht zu Informationsdefiziten bei denjenigen Teammitgliedern kommt, die zu der Zeit nicht vor Ort sind und nicht in die Kommunikation mit eingebunden werden. In diesem Fall haben die Teammitglieder vor Ort möglicherweise ein stärker und anders ausgeprägtes gemeinsames Verständnis ihrer Aufgaben im Gegensatz zu den remote arbeitenden Teammitgliedern. Es würde somit zu Ungleichgewichten im Team kommen und es bestünde die Gefahr der Bildung von Wissensinseln im Team. Das reduziert die Übereinstimmung mentaler Modelle der Einzelnen im Team und wirkt sich negativ auf die Teamleistung aus (Cannon-Bowers und Salas
2001). Wenn sich die Online- und Offline-Zusammensetzung des Teams ständig verändert, entstehen womöglich weniger Wissensinseln, jedoch verstärkt sich die Gefahr von fragmentiertem Wissen im Team und damit die Reduzierung einer Übereinstimmung der geteilten mentalen Modelle. Auch hier spielen geteilte IKT Modelle eine entscheidende Rolle zur Einflussnahme auf die weiteren mentalen Modelle, da über diese die Nutzung der Kommunikationskanäle gesteuert wird.
Die Führung ist gefordert, die Teamleistung zu steuern und effektive Teamprozesse zu implementieren, die die Entwicklung von Teamkognitionen unterstützen (Bell und Kozlowski
2002). Entscheidend bei hybriden Formen virtueller Teams ist es unseres Erachtens, alle Teammitglieder gezielt einzubinden und, aufgrund des möglicherweise unterschiedlichen Informationsstands innerhalb des Teams, eine Balance zwischen dem Austausch zu vieler und zu weniger Informationen zu finden. Um einen effizienten Informationsfluss zu unterstützen, könnten Führungskräfte Teamnormen bzw. -regeln vereinbaren, welche Art von Information wo abgelegt werden soll, aber auch was in der Holschuld des Mitarbeiters liegt – also wie häufig selbstständig festgelegte Ablageorte auf Informationsupdates zu prüfen sind. Beim Managen des Informationsflusses kommt der Führungskraft eine entscheidende Rolle zu. Jedoch hat sich gerade in virtuellen Teams auch die Relevanz der geteilten Führung im Team gezeigt, bei der Führungsaufgaben für Teilaspekte an das Team delegiert werden (Hoch und Kozlowski
2014). Dies setzt voraus, dass die hierzu erforderlichen Kompetenzen im Team vorhanden sind. Bei geteilter Führung liegt die Verantwortung für die Steuerung des Teams nicht allein bei der Führungskraft, sondern bei den Teammitgliedern und verlangt von ihnen die Übernahme von Eigenverantwortung.
Einige Autoren empfehlen, zu Beginn der Teamarbeit face-to-face Meetings stattfinden zu lassen, in denen eine gemeinsame Wissensbasis geschaffen und ein gegenseitiges Kennenlernen ermöglicht wird, um darüber die Entwicklung von geteilten mentalen Modellen im Team zu fördern (Hinds und Weisband
2003). In solchen Präsenzphasen ist die Führung in ihrer leitenden und Orientierung gebenden Funktion gefordert. So sollte das Augenmerk auf der Klärung von Zielen und Visionen des Teams sowie den Rollen und Verantwortlichkeiten der einzelnen Teammitglieder liegen (Liao
2017). Neben diesem aufgabenbezogenen Führungsverhalten ist auch das beziehungsorientierte Führungsverhalten wichtig. Dieses beinhaltet die Unterstützung der Teammitglieder als auch das Fördern des Aufbaus guter Teambeziehungen. Auch bei hybriden Formen virtueller Teams machen solche Präsenzphasen zu Anfang eines Projekts Sinn. In laufenden Teams, in denen es keine dezidierte Anfangsphase gibt, sind solche Phasen sinnvoll, wenn neue Teammitglieder zu dem bestehenden Team stoßen. Präsenzphasen unterstützen neben der Entwicklung geteilter aufgaben-, zeit- und IKT-bezogener mentaler Modelle auch das Ausbilden von geteilten teambezogenen mentalen Modellen, die das gemeinsame Wissen über die Kompetenzen der einzelnen Teammitglieder beinhalten. Das wiederum erleichtert die Delegation von Führungsaufgaben an das Team und damit eine geteilte Führung. Darüber zeigt sich strukturelle Unterstützung seitens der Führung als essenziell für die Arbeit mit virtuellen Teams (Bell und Kozlowski
2002; Hoch und Kozlowski
2014). Zur Stärkung von Teamkognitionen sollten Routinen zum regelmäßigen und systematischen Wissensaustausch aufgesetzt sowie transparente Kommunikationsregeln etabliert werden (Hinds und Weisband
2003; Liao
2017).
Effektiv für den Erhalt und die Weiterentwicklung von gemeinsam aufgebauten Teamkognitionen hat sich eine gemeinsame Reflexion im Team zu den gemeinsamen Zielen, Strategien und Prozessen gezeigt (Konradt et al.
2015; Schippers et al.
2015). Teamreflexion ist besonders erfolgreich, wenn sie regelmäßig im Laufe der Teamarbeit stattfindet, Feedback zu bisherigen Teamleistungen beinhaltet und angeleitet wird. Konradt et al. (
2015) haben zeigen können, dass angeleitete Reflexionen mit Feedback zu verbesserten Team- und Aufgabenmodellen führen und darüber Adaptationsverhalten auslösen, was letztendlich die Teamleistung positiv beeinflusst. In virtuellen Teams findet man weniger solcher Reflexions- und Feedbackprozesse im Team (Hertel et al.
2005), jedoch zeigt der Grad der Virtualität keinen Einfluss auf die Reflexionsprozesse im Team, wenn diese angeleitet wird (Konradt et al.
2015). Hier kommt der Führung eine wichtige Rolle in der Initiierung der Reflexion im Team zu. Für hybride Formen von virtuellen Teams erscheint uns diese besonders relevant, da über die gemeinsame Reflexion unterschiedliche Informationsstände aufgedeckt werden können.
6.2.2 Herausforderungen für die Führung bei der Entwicklung von Identität, Zusammenhalt und Vertrauen in der virtuellen Zusammenarbeit
Neben Kognitionen spielen Emotionen und das Verhalten der Teammitglieder eine wichtige Rolle für die Zusammenarbeit in virtuellen Teams. Die Entwicklung einer gemeinsamen Identität als Team sowie der Zusammenhalt und das Vertrauen im Team sind essenzielle Erfolgsfaktoren virtueller Teamarbeit, lassen sich jedoch aufgrund des fehlenden face-to-face-Kontakts hier schwieriger und vor allem langsamer aufbauen (Webster und Wong
2008). Teamidentität, -zusammenhalt und -vertrauen umfassen kognitive, behaviorale und affektive Aspekte, und wirken sich positiv auf die Bereitschaft Wissen miteinander zu teilen, aber auch auf kooperatives Verhalten sowie eine effektivere Kommunikation aus. Team- oder Gruppenidentität spiegelt die Wahrnehmung eins mit dem Team zu sein wider, und umfasst eine kognitive Dimension der Zugehörigkeit, eine affektive der emotionalen Anziehung, sowie eine behaviorale des Strebens nach einem gemeinsamen Ziel (Webster und Wong
2008). Eine gemeinsame Identität befriedigt individuelle Bedürfnisse nach Zugehörigkeit. Der Theorie der sozialen Identität (Tajfel und Turner 1986) zu folge beinhaltet der Prozess der Identifizierung ein Angleichen der Einstellungen, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen im Team (Lemke und Wilson 1998). Webster und Wong (
2008) haben in ihrer empirischen Studie face-to-face und virtuell arbeitende Teams mit semi-virtuellen Teams, in denen Teile des Teams konstant face-to-face und Teile des Teams konstant virtuell arbeiten, in Bezug auf ihre Teamidentität und ihr Vertrauen hin verglichen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich in semi-virtuellen Teams Subgruppen bilden, die mit ihrem Team vor Ort eine starke Identität und ein hohes Vertrauen entwickeln, jedoch nicht mit den virtuell arbeitenden Teammitgliedern. Das ging einher mit einer niedrigeren Kommunikationsfrequenz zwischen dem Teil-Team vor Ort und den virtuellen Teammitgliedern. Interessanterweise zeigte sich in den Ergebnissen, dass die Teamidentität und das Vertrauen unter den vor Ort arbeitenden Teammitgliedern stärker ausgeprägt war im Vergleich zu den komplett face-to-face arbeitenden Teams. Begründet wurde dies damit, dass das Teil-Team vor Ort starke Ingroup-Beziehungen ausbildete. Darüber entwickelten sich gegenüber den virtuellen Teammitgliedern Vorurteile und es entstanden Konflikte. Die Ergebnisse der Studie weisen deutlich auf die Unterschiede zwischen komplett virtuell arbeitenden Teams und semi-virtuellen Teams hin, jedoch wurden nur konstante Teamformationen untersucht. In weniger konstanten Teamformationen gehen wir davon aus, dass die Subgruppenbildung eine weniger hohe Gefahr darstellt und daher die Probleme, die mit einer stärkeren Ingroup-Outgroup Kategorisierung einhergehen, weniger häufig auftreten. Auch der Zusammenhalt im Team kann sich positiv auf die Teamleistung auswirken, und kann über Feedback zur Leistung des Teams in virtuellen Teams gestärkt werden (Huang et al.
2004).
Einer der am meisten untersuchten Faktoren für den Erfolg eines virtuellen Teams ist das Vertrauen im Team. Vertrauen zeichnet sich laut Cummings und Bromiley (1996) durch die Überzeugung aus, dass andere sich dafür einsetzen, eingegangene Verpflichtungen einzuhalten, ehrlich zu sein und sich keinen Vorteil zum Nachteil der Gruppe verschaffen (Jarvenpaa und Leidner
1999). Vertrauen ist, wie die geteilten mentalen Modelle im Team, ein emergentes Teamphänomen, welches dynamischer Natur ist und sich durch gemeinsame Erfahrungen im Team herausbildet (Breuer et al.
2016). Teamvertrauen zeigt sich durch die gemeinsame Bereitschaft, sich dem Team gegenüber verwundbar zu machen. Es basiert auf der Erwartung, dass sich die Teammitglieder konform zu den Teamzielen und -normen verhalten, ohne dass dies kontrolliert werden müsste. Damit kann Vertrauen als Ersatz für Kontrolle dienen. Es zeigt sich demnach in Situationen, in denen tatsächliche Kontrolle kaum möglich ist – wie es in virtuellen Settings der Fall ist – als unabdingbare Komponente für die Teamleistung (Peters und Manz
2007). Neben dem emotionalen Vertrauen ist es vor allem das kognitive Vertrauen, also die eher rationale Entscheidung sich auf die anderen Teammitglieder und deren Beitrag zum Team zu verlassen, das in virtuellen Kontexten die größte Rolle zu spielen scheint (Peters und Manz
2007). Vertrauen entwickelt sich über die Zeit, abhängig von den Interaktionen im Team und deren Wahrnehmung durch die Teammitglieder. Halten die Teammitglieder ihre Versprechen ein, zeigen sie sich den vereinbarten Zielen und dem Team als solches gegenüber loyal, stärkt dies das Vertrauen. Die Teammitglieder können „kategorisiert“ werden und ihr zukünftiges Verhalten besser vorhergesagt werden.
Da diese Vertrauensbildung neben expliziter Kommunikation auch über Beobachtung des Verhaltens der anderen Teammitglieder entsteht, ist sie in virtuellen Kontexten, in denen diese Beobachtung kaum stattfinden kann, erschwert (Breuer et al.
2016). Daneben können die fehlenden sozialen Hinweise in der digitalen Kommunikation zu Missverständnissen führen und so Konflikte und Unsicherheiten in Bezug auf das Vertrauen anderen Teammitgliedern gegenüber begünstigen. In hybriden Formen virtueller Teams finden face-to-face Kontakte statt, womöglich jedoch selten mit dem gesamten Team. Durch face-to-face Kontakte kann zwar die Vertrauensbildung zwischen einzelnen Teammitgliedern leichter stattfinden als in komplett virtuellen Kontexten. Jedoch besteht eine größere Gefahr der Subgruppenbildung, was sich auf den Zusammenhalt im gesamten Team und die Identifikation mit dem Team negativ auswirken kann. Entscheidend ist auch hier unseres Erachtens, ob jedes Teammitglieder gleich virtuell arbeitet und zwischen Büro- und damit face-to-face Zusammenarbeit und räumlich verteilter Zusammenarbeit wechselt, oder ob es Teammitglieder gibt, die sich immer face-to-face austauschen können und andere, die kaum vor Ort sind. In letzterem Fall erscheint die Subgruppenbildung eine größere Gefahr, während erster Fall dem komplett virtuellen Team und dessen Herausforderungen näherkommt.
Vertrauen beeinflusst die Teamleistung sowohl direkt als auch indirekt über Teamkognitionen und Teamprozesse, wie etwa den Wissensaustausch sowie Kooperations- und Kollaborationsprozesse (Al-Ani et al.
2011; Breuer et al.
2016; Hacker et al.
2019). Für die Teamleistung essenzielle Teamprozesse wie Wissensaustausch und Teamlernen bauen auf einer Vertrauensbasis auf und leiden stark unter einer Beeinträchtigung dieser. Insbesondere in Situationen, in denen das wahrgenommene interpersonelle Risiko der Teammitglieder hoch ist – bspw. die Gefahr von den anderen im Team ausgenutzt zu werden – ist der Zusammenhang zwischen Vertrauen und Teameffektivität hoch. Eine transparente und nachvollziehbare Dokumentation von Prozessen und Ergebnissen im Team kann diesen Zusammenhang dagegen reduzieren. Eine Dokumentation macht die eigenen Leistungen sichtbar und nachvollziehbar und kann daher das wahrgenommene Risiko des Einzelnen reduzieren. Weiterhin hängen Zufriedenheit als auch Zusammenhalt im Team positiv mit Vertrauen im Team zusammen (Breuer et al.
2016).
Eng mit dem Teamvertrauen verbunden ist das von Edmondson etablierte psychologisch sichere Klima im Team, welches sich vor allem für das Teamlernen und darüber für Innovationsprozesse als entscheidende Voraussetzung herausgestellt hat (Edmondson und Lei
2014; Ortega et al.
2010). Ein psychologisch sicheres Klima ist die geteilte Überzeugung im Team, dass es sicher ist, sich interpersonellen Risiken auszusetzen. Fragen werden offen gestellt, eigene Schwächen oder Fehler zugegeben und Feedback zur eigenen Leistung eingeholt. Ähnlich wie beim Vertrauen könnte man davon ausgehen, dass sich ein psychologisches sicheres Klima langsamer im virtuellen im Vergleich zum face-to-face Kontext entwickelt. Wenn ein psychologisches sicheres Klima in virtuellen Teams vorhanden ist, führt es genauso wie in der face-to-face Zusammenarbeit zu Interaktionen, die Teamlernen und darüber nicht nur die Teamleistung, sondern auch die Teamzufriedenheit positiv beeinflussen (Ortega et al.
2010). Teamlernen stellt dabei einen dynamischen Prozess dar, der zwischen Reflexion im Team und einem sich daran anschließenden Ausprobieren – einer Aktion – abwechselt.
Für die Führung von virtuellen Teams stellt die Förderung der Entwicklung von Teamvertrauen eine Herausforderung dar. Während man bei der face-to-face Zusammenarbeit davon ausgehen kann, dass sich ein Vertrauensklima – bei entsprechendem Verhalten der Teammitglieder – organisch entwickelt, so muss in virtuellen Kontexten nachgeholfen werden (Liao
2017). Eine transparente Dokumentation mag das für die Teameffektivität wichtige kognitive Vertrauen in Teilen kompensieren. Für den Aufbau von Vertrauen scheint es jedoch wichtig, dass ein gegenseitiges Kennenlernen – der Stärken, der Expertise, der Präferenzen – gefördert wird, um sich besser einschätzen zu lernen und Unsicherheiten auszuräumen. Dies lässt sich schneller in face-to-face Situationen darstellen, sodass hier intensive gemeinsame Präsenzphasen am Anfang der Teamarbeit und regelmäßig stattfindende Präsenzmeetings im Laufe der Teamarbeit förderlich sind, um später effektiv virtuell miteinander zusammenarbeiten zu können. In der Anfangsphase ist für die Entwicklung der Beziehungsebene auch von Relevanz, Teamnormen zu etablieren, die den Umgang im Team miteinander spezifizieren. Auch das ist eine Aufgabe, die von der Führung als Orientierungsgeber initiiert werden sollte (Liao
2017), jedoch auch im Sinne einer geteilten Führung von den Teammitgliedern selbst übernommen werden kann. Für den Aufbau von Vertrauen ist es essenziell, dass vereinbarte Teamnormen auch eingehalten werden und dass bei Normverstößen die Führung entsprechendes Verhalten sanktioniert und bei Konflikten einschreitet, um auch das Vertrauen in die Funktion der Führung zu stärken. Diese sollte jedoch auch das Team ermuntern, für die Einhaltung der aufgestellten Teamnormen zu sorgen. In hybriden Formen virtueller Teams sollten analog Präsenzphasen am Anfang und kontinuierlich während der Teamarbeit eingebaut werden, um sicherzustellen, dass Vertrauen im gesamten Team aufgebaut und ein Teamzusammenhalt entstehen kann.
6.2.3 Die LMX-Beziehung in der digitalen Zusammenarbeit und veränderte Anforderungen an Kompetenzen
Die individuelle bzw. bilaterale Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden (LMX-Beziehung) sollte in der Teamarbeit nicht unterschätzt werden. Jedes Teammitglied verfolgt nicht nur Teamziele, sondern auch individuelle Ziele, die es in der Zusammenarbeit zu berücksichtigten gilt, damit es hier zu keinen konkurrierenden Zielen kommt (Hoch und Kozlowski
2014). Darüber hinaus speisen nicht nur die individuelle Motivation, Kognition und der Affekt die Teamkognitionen und -emotionen, sondern gleichzeitig üben Teamkognitionen und -emotionen einen Einfluss auf die individuelle Motivation, Kognition und Affekt aus (Liao
2017). Man kann sich vorstellen, dass bei geringer individueller Motivation – vielleicht getrieben durch das Vernachlässigen der eigenen Ziele durch die Führung – das einzelne Teammitglied wenig in gemeinsame Teamprozesse investiert, und beispielsweise wenig zum Wissensaustausch beiträgt. Das mag durch ein geringes Vertrauen in das Team vermittelt sein, was wiederum den Aufbau von Teamkognitionen erschwert. Daher ist es wichtig, dass die Führung nicht nur das Team darin unterstützt, Beziehungen untereinander aufzubauen, die es erlauben förderliche Teamemotionen und -kognitionen zu entwickeln, sondern genauso darauf achtet, mit jedem einzelnen Teammitglied eine gute, von Vertrauen geprägte Arbeitsbeziehung aufzubauen.
In virtuellen Kontexten zeigt sich, dass reduzierter face-to-face Kontakt zu weniger starken LMX-Beziehungen führen kann. Jedoch ist dies nicht der Fall, wenn eine hohe Kommunikationshäufigkeit über virtuelle Medien besteht (Avolio et al.
2014). Die Kommunikationshäufigkeit erleichtert das gegenseitige Kennenlernen und die Einschätzung des Gegenübers, und legt so die Basis für Vertrauen sowie eine verbesserte Zusammenarbeit.
Da Kontrollfunktionen in der virtuellen Zusammenarbeit reduziert sind, muss ein höheres Vertrauen der Führung in die Fähigkeiten der Teammitglieder bestehen, Aufgaben auch ohne individuelle Unterstützung und Kontrolle ausführen zu können (Kauffeld et al.
2016; Peters und Manz
2007). Auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist aufseiten der Mitarbeitenden wichtig. Wenn der strukturierende und kontrollierende Beitrag der Führung reduziert ist, sind auf der anderen Seite höhere Selbstmanagementfähigkeiten gefragt. Diese zeigen sich in der Fähigkeit sich selbst und die eigene Arbeit zu strukturieren, aber auch sich selbst zu motivieren.
Die Herausforderung hybrider Formen virtueller Teams liegt unseres Erachtens vorrangig in der Unterschiedlichkeit der Einbindung aller Teammitglieder. Die LMX-Beziehung stellt neben systematischen Teamprozessen eine Möglichkeit dar, diese individuellen Unterschiede sowohl in den kognitiven Aspekten – hat jeder Einzelne alle relevanten und so wenig wie möglich redundante Informationen vorliegen? – als auch in affektiven Aspekten – fühlt sich jeder mit dem Team verbunden und als Einzelner wertgeschätzt? – aufzudecken und zu adressieren. Gleichzeitig kommt jedem Mitarbeitenden hier eine Eigenverantwortung zu, einen regelmäßigen Austausch einzufordern, um präventiv auf diese Aspekte einzuwirken. Bei geteilter Führung werden diese Aspekte zu verschiedenen Themenbereichen mit jeweils unterschiedlichen Personen im Team besprochen.