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2004 | Buch

Migration, Ethnie und Geschlecht

Theorieansätze — Forschungsstand — Forschungsperspektiven

verfasst von: Iris Bednarz-Braun, Ulrike Heß-Meining

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : DJI Gender

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Frontmatter
1. Einführung und forschungsparadigmatisches (Selbst-)Verständnis
Zusammenfassung
Ökonomische wie auch politische Globalisierungsprozesse im weltweiten und europäischen Maßstab haben auf nationaler Ebene vielfältige soziale Wandlungsprozesse eingeleitet. Eines der hervorstechendsten Merkmale in den Staaten der Europäischen Union ist die Entwicklung und Herausbildung multi-ethnisch gestalteter Gesellschaften infolge von Migrationsbewegungen und Zuwanderungen von Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Nationalitätszugehörigkeit. In der Bundesrepublik Deutschland ist die gesellschaftliche Realität der Nachkriegszeit seit Beginn der 60er Jahre durch einen dauerhaften Prozess des Zusammenlebens von einheimischen und zugewanderten Menschen gekennzeichnet (Seifert 1996; Hillmann 2002, S. 578), deren mehr oder weniger stark ausgeprägten kulturellen, nationalen und religiösen Identitäten wechselseitigen Auseinandersetzungs- und Veränderungsprozessen unterliegen. Die sozial-strukturelle und ökonomische Bedeutung einer auf Dauer angelegten multi-ethnischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland erschließt sich darüber hinaus aus der demographischen Entwicklung der deutschen Bevölkerung. Diese Entwicklung führt künftig nicht nur zu einer sinkenden Anzahl von Personen deutscher Herkunft, sondern ist durch quantitative Ungleichgewichte in der Altersstruktur charakterisiert: Einem relativ hohen Anteil älterer Personen steht ein geringer werdender Anteil jüngerer entgegen (Elfter Kinder- und Jugendbericht 2002).
Iris Bednarz-Braun

Entwicklung von Theorieansätzen im Schnittpunkt von Ethnie, Migration und Geschlecht

Frontmatter
2. Zur US-amerikanischen Kritik an einer ethnieblinden Frauen- und Geschlechterforschung
Zusammenfassung
Grundlegende theoretische und empirische Anstöße, die gesellschaftlichen und zugleich geschlechterbezogenen Lebensverhältnisse von Bevölkerungsgruppen aus ethnischen Minderheiten in der Wissenschaft und Forschung zu untersuchen und zu analysieren, gingen in den 80er Jahren von schwarzen Wissenschaftlerinnen in den USA und Großbritannien aus. Derartige Anstöße hatten ihren Ausgangspunkt sowohl in einer Wissenschafts- als auch in einer Gesellschaftskritik. Diese zielten darauf ab, einerseits die prekären Lebenslagen von Angehörigen ethnischer Minderheiten ins licht der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken und mit Forderungen nach politischen Problemlösungen zu verbinden und andererseits erkenntnistheoretische Defizite innerhalb der als ethnieblind gekennzeichneten Frauen- und Geschlechterforschung aufzudecken und zu benennen. Dreh- und Angelpunkt der feministischen und zugleich ethnieorientierten Wissenschaftskritik war die damalige Zentrierung theoretischer Konzepte und Ansätze der Frauenforschung auf die Lebensbedingungen und sozialen Problemstellungen vor allem weißer Mittelschichtsfrauen, also einer Statusgruppe, denen die kritisierten Theoretikerinnen selbst angehörten.
Ins Bednarz-Braun
3. Rasse, Klasse und Geschlecht als Theorieansatz und Forschungsparadigma
Zusammenfassung
Zu Beginn der sich an die Kritik schwarzer Frauen anschließenden Bemühungen weißer Frauen- und Geschlechterforscherinnen in den USA, den gesellschaftlichen Stellenwert von „race“ in einem geschlechtertheoretischen Rahmen zu verorten, wurden Ethnie/Rasse einerseits und Geschlecht andererseits vorerst als Kategorien behandelt, die unabhängig voneinander konzeptualisiert wurden. Ein hierarchisches Ordnungsverhältnis bestand zwischen ihnen insofern, als Geschlecht den höherwertigen Rang einer Erkenntniskategorie hatte, während „race“ lediglich als ein zusätzliches Merkmal im Rahmen vorliegender Theoriekonzepte reflektiert wurde, um die gesellschaftliche Situation schwarzer/farbiger Frauen mitzuerfassen. Dies führt zu einem additiven Ansatz, in dem Letztere in zweifacher Hinsicht — oder bei Berücksichtigung der Kategorie Klasse in dreifacher Hinsicht — als benachteiligt gesehen wurden.
Iris Bednarz-Braun, Ulrike Heß-Meining
4. Zur sozialen Konstruktion von Geschlecht und Ethnie
Zusammenfassung
Die theoretischen Debatten zum Zusammenhang von Rasse, Klasse und Geschlecht erhielten Ende der 80er Jahre neue Impulse durch einen Aufsatz von Candace West und Don Zimmerman mit dem Titel Doing Gender (1987; 1998). Ihre kritische Auseinandersetzung mit biologischen, universalistischen und essentialistischen Konzepten (für Deutschland vgl. Apitzsch 1994, S. 248; Dannenbeck/Eßer/Lösch 1999, S. 109ff.), die Geschlecht primär als statische und ahistorische Größe betrachteten, führte zur Konzeption des Sozialkonstruktions-Ansatzes, der zunächst in der sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung im Mittelpunkt stand. Der Sozialkonstruktions-Ansatz lenkte die Aufmerksamkeit auf die gesellschaftliche Hervorbringung, also auf die soziale Konstruktion von Geschlecht und transformierte damit eine biologisch definierte Geschlechtszugehörigkeit in eine sozialstrukturelle Geschlechterkategorie (Glenn 1999, S. 4).
Iris Bednarz-Braun, Ulrike Heß-Meining
5. Ethnie, Migration und Geschlecht in der bundesrepublikanischen Frauen- und Geschlechterforschung
Zusammenfassung
In den Anfangen der bundesrepublikanischen Frauenforschung wurde nahezu ausschließlich die Lebenssituation von einheimischen Frauen deutscher Nationalitätszugehörigkeit thematisiert, während Ethnie oder Rasse als Kategorien noch kaum Beachtung fanden. Im Rückblick lassen sich m. E. die Gründe dafür auf die Entwicklungsgeschichte der Frauenforschung als einer neuen Disziplin zurückfuhren, deren Existenzberechtigung unter Vertretern traditioneller und etablierter Wissenschaftsdisziplinen durchaus umstritten war. Im Bemühen um das eigene politische und wissenschaftliche Selbstverständnis gestaltete sich Frauenforschung als eine Forschung von deutschen Frauen, über deutsche Frauen und für deutsche Frauen, ohne dass die nationalitätsbezogene Engführung damals ins Bewusstsein rückte.
Iris Bednarz-Braun, Ulrike Heß-Meining
6. Ausblick
Zusammenfassung
Mit meinen kritischen Ausführungen soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass eine theoretische Reflexion von sozialen Ungleichheitslagen zwischen deutschen Frauen und Migrantinnen aus soziologischer Sicht irrelevant ist. Das erkenntnistheoretische Potential des Zusammenhangs von Ethnie und Geschlecht scheint mir jedoch nicht hinreichend ausgeschöpft, wenn sich — wie Ilse Lenz ebenfalls kritisch beobachtet — im theoretischen (Teil-)Diskurs innerhalb der bundesrepublikanischen Frauen- und Geschlechterforschung „in ganz eigenartiger Weise“ eine ungleichheitstheoretische Fokussierung feststellen lässt, die „nur die eine Seite“, nämlich diejenige der einheimischen Frauen betont, die sich angeblich auf Kosten und zulasten ausländischer Frauen beruflich profilieren können und somit von weiblicher Zuwanderung profitieren (vgl. Lenz 1996, S. 212). Mein Anliegen war es vielmehr hervorzuheben, dass es unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten notwendig ist, die sozialen Konstruktionsmerkmale und -me-chanismen zu benennen, die in ihrer komplexen Verflechtung ursächlich dazu beitragen, dass sich Ungleichheitslagen, aber auch (partielle) Gemeinsamkeiten zwischen den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft und den dort lebenden Migrantengruppen herausbilden und u. U. sogar „das Verschwimmen von ethnischen und Geschlechtergrenzen als Folge der zunehmenden Erfahrung von Multtikulturalität (…)“ induzieren (Fenstermaker/West 2001, S. 246; vgl. auch Lenz 1996, S. 213f., 220).
Iris Bednarz-Braun, Ulrike Heß-Meining

Empirischer Forschungsstand in Deutschland und Forschungsfragen zu ausgewählten Bereichen

Frontmatter
7. Migrantlnnen und Familie
Zusammenfassung
In us-amerikanischer Einführungsliteratur zur Familiensoziologie — etwa dem bereits 1985 erschienenen Werk von Randall Collins „Sociology of Marriage and the Family. Gender, Love and Property“ — ist nicht nur ganz selbstverständlich „gender“ Bestandteil des Titels, vielmehr bilden auch ethnische Aspekte, beispielweise in Form des Kapitels „Black Families“ substantielle Teile des Buches. Dass dies kein Zufall ist, belegt ein anderes Einführungswerk aus den USA: Bert N. Adams: The Family. A Sociological Interpretation. San Diego u.a. 4. Aufl. 1986, mit den Kapiteln „The Ethnic Subculture and Subsociety“ und „Racial Groups: The Black American Family“.
Ulrike Heβ-Meining
8. Geschlechterdifferenzen in der Bildungssituation von Migrantlnnen
Zusammenfassung
Kinder und Jugendliche, die als Migranten und Migrantinnen in ein anderes Land gekommen sind, stehen vor dem Problem der erfolgreichen Integration in ein unbekanntes Bildungssystem und häufig auch in eine andere Kultur- und Sprachwelt. Insbesondere die souveräne Beherrschung der Sprache ist jedoch Bedingung für das Gelingen einer guten Schulbildung. Es ist daher wenig erstaunlich, wenn junge MigrantInnen nicht denselben Schulerfolg erzielen wie gleichaltrige Einheimische. Dieses Problem besteht oft auch für nicht selbst gewanderte Kinder, insbesondere, wenn sie im Sprachmilieu der Herkunftskultur aufwachsen und kaum Kontakt mit der Einwanderungsgesellschaft haben. Gleichwohl ist es keineswegs zwangsläufig, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund schlecht in der Schule abschneiden.1 Häufig ist gerade die Möglichkeit besserer Schul- und Ausbildung und später der Berufstätigkeit ein wichtiges Motiv für die Wanderung der Familie (vgl. Deutscher Bundestag 2000, S. 170).
Ulrike Heβ-Meining
9. Zur beruflichen Ausbildung junger Migrantlnnen
Zusammenfassung
In der Bundesrepublik Deutschland sind das allgemeinbildende Schulsystem, das Berufsausbildungssystem und der Erwerbsbereich eng miteinander verzahnt. Das dreigliedrige Schulwesen vermittelt Bildungsniveaus auf unterschiedlichen Ebenen, die hierarchisch strukturiert sind. Diese vertikale Struktur hat zur Folge, dass der Hauptschulabschluss i.d.R. geringere Chancen als der Realschul- und der Gymnasialabschluss eröffnet, in eine anspruchsvolle und qualifizierte berufliche Ausbildung einzumünden. Die damit vonseiten des allgemeinbildenden Schulwesens induzierten Selektionsprozesse, die Schelsky (1962, S. 18) als ‚bürokratische Zuteilungsapparatur von Lebens-Chancen ‘fasst (zitiert nach Baumert/Schümer 2001, S. 324), erfahren eine weitere segregierende Zuspitzung, wenn die Nachfrage junger Schulabgängerinnen nach Ausbildungsstellen auf ein knappes Angebot an Lehrstellen trifft. Während sich für berufssuchende Jugendliche der Konkurrenzdruck verschärft, erweitert sich für die einstellenden Betriebe das Auswahlspektrum an rekrutierbaren Jugendlichen mit unterschiedlichen Schulbildungsniveaus. Eine Konsequenz daraus ist, dass diejenigen Jugendlichen, die höhere Bildungszertifikate erworben haben, größere Chancen erhalten, eine berufliche Ausbildung in einem fachlich anspruchsvollen Beruf zu durchlaufen. Sie erwerben Anwartschaften auf gute Teilhabechancen an qualifizierter Erwerbsarbeit, wenn sie in zukunftsträchtigen Berufen qualifiziert werden, in denen nach dem Ausbildungsabschluss gesicherte Arbeitsmarktchancen bestehen.
Iris Bednarz-Braun
10. Freizeit und Freizeitkontakte von jugendlichen Migrantinnen und Migranten
Zusammenfassung
Die Freizeit als ein wesentlicher Lebensbereich von Jugendlichen ist hinsichtlich der Jugendlichen mit Migrationshintergrund interessant:
a)
im Zusammenhang kultureller Integration,
 
b)
der Frage, wie Migrantenjugendliche ihre Freizeit verbringen,
 
c)
im Blickwinkel der sozialen Integration, also des Zusammentreffens und Zusammenlebens von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und einheimischen Jugendlichen.
 
Ulrike Heβ-Meining
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassung
Die bundesrepublikanische Frauen- und Geschlechterforschung sowie die Migrationsforschung schenkte der theoretischen und empirischen Analyse des Zusammenhangs von Migration, Ethnie und Geschlecht lange Zeit keine Aufmerksamkeit. Bis in die Gegenwart hinein lässt sich konstatieren, dass eine integrierte geschlechter- und ethniebezogene Forschungsperspektive bei der Analyse des gesellschaftlichen Wandels und der Entwicklung von Lebensbedingungen innerhalb der inzwischen multi-kulturell gestalteten deutschen Gesellschaft noch keinen Eingang in den Mainstream der sozialwissenschaftlichen Forschung gefunden hat. Erst seit kurzem bahnt sich eine zunehmende Befassung mit diesem Gegenstand an. Dazu tragen zum einen die im angelsächsischen Raum geführten empirischen Analysen zu den — auch, aber nicht ausschließlich durch soziale und geschlechterspezifische Ungleichheit gekennzeichneten — Lebensbedingungen von ethnischen Minderheiten und Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund bei. Zum anderen werden die empirisch fundierten und angeleiteten US-amerikanischen Theoriediskurse zur sozialen Konstruktion von gender- und ethniebezogenen Differenzierungen zwischen Angehörigen der Mehrheits- und Minderheitenpopulationen in (geschlechter) soziologischen Publikationen stärker als zuvor rezipiert.
Iris Bednarz-Braun, Ulrike Heβ-Meining
Backmatter
Metadaten
Titel
Migration, Ethnie und Geschlecht
verfasst von
Iris Bednarz-Braun
Ulrike Heß-Meining
Copyright-Jahr
2004
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80912-4
Print ISBN
978-3-8100-3754-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80912-4