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2006 | Buch

Altwerden in Deutschland

Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte

herausgegeben von: Clemens Tesch-Römer, Dipl.-Psych., Dr. phil., Heribert Engstier, M.A. (Soziologie, Politikwissenschaft), Susanne Wurm, Dipl.-Psych.

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Der Alterssurvey: Beobachtung gesellschaftlichen Wandels und Analyse individueller Veränderungen
Auszug
Der demografische Wandel verändert die Struktur von Gesellschaften, stellt die Sozialpolitik vor neue Aufgaben und birgt Herausforderungen für die Sozial-und Verhaltenswissenschaften. Wichtigster Bestandteil der „schleichenden Revolution“ des demografischen Wandels ist die Alterung der Gesellschaft: Nicht allein die absolute Zahl alter und hochaltriger Menschen, sondern insbesondere ihr relativer Anteil an der Bevölkerung steigt und wird in den nächsten Jahrzehnten — bei in Deutschland zugleich schrumpfender Gesamtbevölkerungszahl -stärker als je zuvor zunehmen (Statistisches Bundesamt, 2003). Die altersbezogenen Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Struktur der Gesellschaften ist mit dem Konzept des „Altersstrukturwandels“ bezeichnet und mit den Schlagworten der Verjüngung, Entberuflichung, Feminisierung, Singulari-sierung des Alters und der Zunahme der Hochaltrigkeit charakterisiert worden (Niederfranke, 1997; Tews, 1993).
Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstier, Andreas Motel-Klingebiel
Datengrundlagen und Methodik
Auszug
Mit dem Alterssurvey werden zwei grundlegende Aufgaben verfolgt: Zum einen dient er dazu, die Sozialberichterstattung in Deutschland durch eine Alterssozialberichterstattung zu ergänzen und zu bereichern (Tesch-Römer, Wurm, Hoff & Engstier, 2002). Dies ist besonders in Anbetracht der demographischen Entwicklung von hoher Bedeutung. Dabei zeichnet sich der Alterssurvey gegenüber bislang verfügbaren Surveys (z.B. SOEP, ALLBUS, Wohlfahrtssurvey, Famili-ensurvey) durch seine Konzentration auf das mittlere und höhere Lebensalter sowie durch die Kombination von soziologischen und psychologischen Erhebungsbereichen aus. Zum anderen bildet der Alterssurvey eine wichtige Grundlage, um zu ausgewählten Fragen vertiefende Forschung zu ermöglichen — hierzu zählen unter anderem Fragen zu objektiver wie subjektiver Lebensqualität, Entwicklungsprozessen, sozialen Unterschieden und Ungleichheiten sowie zu Generationenbeziehungen und Generationenverhältnissen (vgl. den einleitenden Beitrag von Tesch-Römer et al. in diesem Band).
Heribert Engstier, Susanne Wurm
Erwerbsbeteiligung in der zweiten Lebenshälfte und der Übergang in den Ruhestand
Auszug
In den vergangenen Jahren hat das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und der Beendigung des Erwerbslebens stark zugenommen. In der Diskussion geht es dabei oft um die Frage nach einem längeren Verbleib im Erwerbsleben und wie dieser herbei zu führen sei. Die wichtigsten dabei angesprochenen Hintergründe und Begründungen für dieses Ziel sind die demografisch bedingten Veränderungen des Arbeitskräftepotenzials, die Finanzierbarkeit des gesetzlichen Rentensystems, vor allem die Stabilisierung des Beitragssatzes, die betriebliche und volkswirtschaftliche Nutzung der „Humanressourcen“ älterer Arbeitnehmer, die Sicherung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft mit alternden Belegschaften, der Grad der Lebensstandardsicherung im Alter, die Generationengerechtigkeit, die Leistungsfähigkeit älterer Menschen, das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters und das nachberufliche Engagement als gesellschaftliche Ressource (vgl. Bäcker & Naegele, 1995; Barkholdt, 2001; Behrend, 2002; Behrens et al., 1999; Bellmann et al., 2003; Clemens, 2001; Glover & Branine, 2002; Gussone et al., 1999; Lehr, 1990; Pack et al., 1999; Rothkirch, 2000; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 2004; Wachtier, Franke & Balcke, 1997).
Heribert Engstier
Materielle Lagen älterer Menschen — Verteilungen und Dynamiken in der zweiten Lebenshälfte
Auszug
Die alternde Gesellschaft wird heute noch kaum abschätzbare Herausforderungen stellen, aber auch vielfältige neue Chancen bieten. Obwohl sie die Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens fundamental verändern wird, haben jedoch lange Zeit weder Politik noch Wirtschaft darauf in einer Weise reagiert, die es ermöglicht hätten, die erheblichen Potenziale und Probleme des Alters angemessen in den Blick zu nehmen. Erst seit wenigen Jahren deutet sich hier ein Wandel an: Altersfragen und entsprechende Reformen gelten als gesellschaftliche Zukunftsprojekte. Dies betrifft z.B. die relative Bedeutung der älteren Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt und das politische Gewicht der Älteren sowie insbesondere ihre Rolle als Nachfrager und Anbieter von Gütern und Dienstleistungen. In der Diskussion um die Reform sozialer Sicherungssysteme rückt darüber hinaus die Frage nach der gesellschaftlichen Verteilung von Ressourcen zwischen Personen verschiedenen Alters und zwischen früher oder später Geborenen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Immer häufiger werden Aspekte der Gerechtigkeit von Ressourcenallokation und ihrer Effizienz diskutiert und mit Fragen des Altersstrukturwandels verbunden. In der allgemeinen Öffentlichkeit spielt dabei der Begriff der Generationengerechtigkeit eine zentrale Rolle. Dieser von konzeptioneller Widersprüchlichkeit und empirischer Fragwürdigkeit gekennzeichnete Gedanke dominiert derzeit weite Teile der populären politischen Debatten um Abbau, Umbau oder Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme.
Andreas Motel-Klingebiel
Intergenerationale Familienbeziehungen im Wandel
Auszug
Familien gehören zu den ältesten Institutionen der Menschheit. Beinahe jeder Mensch wird in eine Familie hineingeboren. Soziale Beziehungen zu anderen Familienangehörigen sind dementsprechend die ältesten und in der Regel auch die stabilsten Beziehungen, die uns ein Leben lang begleiten. Eingebettet in ein familiales Netzwerk werden wir sozialisiert und verbringen einen großen Teil unserer Freizeit mit unseren Familienangehörigen. Es bleiben eine Vielzahl gemeinsamer Erinnerungen und Erfahrungen, auf denen sich das besondere Zusammengehörigkeitsgefühl von Familien gründet. Dazu gehören auch erlebte Unterstützung und Solidarität. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wird durch fortgesetzte wechselseitige Interaktion und Kommunikation ständig erneuert und zum Teil auch neu begründet. Im Endeffekt ist es also notwendig, die sich im Lebensverlauf entwickelnden Familienbeziehungen zu untersuchen, wenn man verstehen will, was es heißt, alt zu werden.
Andreas Hoff
Tätigkeiten und Engagement im Ruhestand
Auszug
Tätigkeiten und Engagement in der „Lebensphase Alter“ (vgl. als Übersicht: Backes & Clemens, 1998) sind seit langem ein wichtiges Thema im Bereich der sozialen Gerontologie wie auch der Soziologie des Alter(n)s in der Bundesrepublik. Zunächst wurde dabei — auch in Anlehnung an entsprechenden Debatten in den USA — der Übergang in den Ruhestand problematisiert, etwa wenn vom Ruhestand als „rollenlose Rolle“ (Burgess, 1960), vom „umfassenden Umweltentzug“ (Schelsky, 1965) oder gar vom „Pensionierungsschock“ (z.B. Lehr, 1988) die Rede war. Der Fortfall der Erwerbstätigkeit wurde als kritisches Lebensereignis interpretiert, den es zu bewältigen gilt. Die größeren empirischen Studien stellten zunächst primär den Aspekt der Aktivität selbst (vgl. für die Bundesrepublik z.B. Boetticher, 1975) sowie den Zusammenhang mit der Zufriedenheit im Ruhestand bzw. der Anpassung an die neuen Lebenssituation in den Mittelpunkt (vgl. die Übersicht bei Tews, 1977). Es dominierte die Annahme, dass der Ruhestand tendenziell zu Unzufriedenheit führe, die nur durch alternative Aktivitätsmöglichkeiten wettgemacht werden könne. Diesen „Aktivitätstheorien“ des Alters widersprach die „Disengagementtheorie“ (Cumming & Henry, 1961): Eine Ablösung der Älteren von den wesentlichen gesellschaftlichen Rollen sei sowohl für die Gesellschaft wie auch für sie selbst funktional und führe zu erhöhter Zufriedenheit.
Harald Künemund
Gesundheit, Hilfebedarf und Versorgung
Auszug
Der sich derzeit vollziehende demografische Wandel führt auf individueller Ebene zu einer höheren Lebenserwartung und auf gesellschaftlicher Ebene zu einem Zuwachs des Anteils alter und sehr alter Menschen. Aktuelle Modellrechnungen gehen von einer Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung bis zum Jahr 2050 für Männer von 79 bis 83 Jahren aus, für Frauen von einem Anstieg auf 86 bis 88 Jahre (Statistisches Bundesamt, 2003). Derzeit liegt die Lebenserwartung bei Geburt für Männer bei 75,6, für Frauen bei 81,3 Jahren1. Zugleich wird der Anteil alter und sehr alter Menschen an der Gesamtbevölkerung in Zukunft deutlich zunehmen: Im Jahr 2002 waren 17,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland im Alter von 65 Jahren und älter. Der Anteil dieser Altersgruppe wird sich, Bevölkerungsvorausberechnungen zufolge, innerhalb der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts fast verdoppeln—für das Jahr 2050 ist ein Anteil von 29,6 Prozent prognostiziert. Ein besonders hoher Anstieg wird für den Anteil der Hochbetagten erwartet, d.h. der 80-Jährigen und Älteren. Dieser betrug im Jahr 2002 4,0 Prozent der Bevölkerung und wird Vorausberechnungen zufolge bis zum Jahr 2050 mit 12,1 Prozent dreimal so hoch liegen2. Der prognostizierte demografische Wandel ist von hoher individueller Bedeutung, denn er impliziert für viele Menschen eine lange Lebensphase des Altseins. Gesundheit und Alltagskompetenz entscheiden dabei maßgeblich über die individuelle Lebensqualität (vgl. den Beitrag von Tesch-Römer, Wurm in diesem Band) sowie über die Möglichkeit, eine selbstständige Lebensführung aufrechterhalten zu können.
Susanne Wurm, Clemens Tesch-Römer
Veränderung des subjektiven Wohlbefindens in der zweiten Lebenshälfte
Auszug
Subjektives Wohlbefinden und Lebensqualität sind zentrale Konzepte der Alterssozialberichterstattung und der sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Alterns-forschung. Auch im täglichen Leben sind die Bedingungen von „Zufriedenheit“, „Freude“ oder „Glück“ von hohem Interesse. Für die Sozialberichterstattung ist subjektives Wohlbefinden ein bedeutsamer Indikator für die Bewertung gesellschaftlichen Wandels, das neben objektive Indikatoren wie materielle Lebenslage, Gesundheitszustand und soziale Integration tritt. Subjektives Wohlbefinden kann als Kriterium für die Wirksamkeit gesellschaftlicher Wohlfahrtsproduktion verstanden werden. Damit ist die kontinuierliche Beobachtung dieses Indikators im zeitlichen Verlauf eine der wichtigen Aufgaben der Sozialberichterstattung. In Ergänzung zu diesem Erkenntnisinteresse wird in der sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Alternsforschung den individuellen und sozialen Bedingungen des subjektiven Wohlbefindens Aufmerksamkeit gewidmet. Ein Ausgangspunkt dieses Forschungsstranges ist die Beobachtung, dass die Lebensbedingungen einer Person und deren Bewertung nicht immer übereinstimmen. Neben den Merkmalen der Lebenssituation werden hierbei auch individuelle Standards und Erwartungen sowie personale Bewältigungskompetenzen bei der Verarbeitung von kritischen Lebensereignissen in den Blick genommen.
Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm
Die Lebenssituation älterer Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland
Auszug
Die mit dem Begriff „Altern der Gesellschaft“ bezeichnete demografische Entwicklung beschränkt sich nicht allein auf deutsche Staatsangehörige — auch unter der in Deutschland lebenden nicht-deutschen Bevölkerung ist der Anteil Älterer in den letzten Jahren gestiegen, wobei die Zuwachsraten in dieser Bevölkerungsgruppe sogar höher lagen als in der deutschen Bevölkerungsmehrheit. Nach Daten der Bevölkerungsfortschreibung des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der älteren Ausländer (60 Jahre und älter) von 1991 bis 2003 um fast das Dreifache auf 759.200 gewachsen, während gleichzeitig die Gesamtzahl der ausländischen Bevölkerung leicht zurückging. Die Zunahme bei den älteren Deutschen betrug im gleichen Zeitraum lediglich 21,6 Prozent auf 19,6 Mio. (Roloff, 2004). Bei einer insgesamt wesentlich jüngeren Altersstruktur in der ausländischen als in der deutschen Bevölkerung stellen ältere Ausländer eine stark wachsende Bevölkerungsgruppe dar und werden dies auch auf längere Zeit hin bleiben. Nach der mittleren Variante der Modellrechnungen wird sich die Zahl der 60-jährigen und älteren Ausländer bis 2010 auf 1,3 Mio. erhöhen und sich bis 2030 auf 2,5 Millionen noch einmal fast verdoppeln (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, 2002, 278).1
Helen Baykara-Krumme, Andreas Hoff
Implikationen der Befunde des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik
Auszug
Die umfassende und breit angelegte Studie des Alterssurveys liefert Informationen und Erkenntnisse zu sozialem Wandel und individuellen Entwicklungsdynamiken in der zweiten Lebenshälfte. Diese sind nicht allein für die sozial- und verhaltenswissenschaftliche Alternswissenschaft von Bedeutung. Sie dienen — im Sinne von Sozialberichterstattung — auch dazu, Beiträge für die Beratung der Politik sowie für gesellschaftliche Diskurse zu leisten. In dieser abschließenden Zusammenschau wird diskutiert, welche Implikationen die Ergebnisse der zweiten Welle des Alterssurveys für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik haben können. Dabei möchten wir uns auf jene gesellschaftlichen und politischen Diskurse beziehen, in denen der demografische Wandel und die aus diesem Wandel erwachsenen Konsequenzen thematisiert werden (unabhängig davon, ob es sich dabei um sichere, wahrscheinliche oder nur befürchtete bzw. erwünschte Konsequenzen handelt). An dieser Stelle möchten wir drei Diskurse zum demografischen Wandel und zur gesellschaftlichen Bedeutung von Alter und Altern unterscheiden, die zum Teil gegensätzliche Aussagen über die Auswirkungen des demografischen Wandels machen, zum Teil aber auch unterschiedliche Themen und Argumentationsebenen aufweisen: (1) Bedarfs- und Versorgungsdiskurs, (2) Belastungsdiskurs und (3) Potenzialdiskurs. Diese Diskurse werden im Folgenden zunächst prototypisch skizziert. Anschließend soll gefragt werden, inwiefern ausgewählte Befunde der zweiten Welle des Alterssurveys für diese Diskurse von Relevanz sind. Dabei werden aufbauend auf den Schlussfolgerungen der Einzelkapitel auch Implikationen für die Gesellschafts- und Sozialpolitik diskutiert. Es sei darauf hingewiesen, dass die theoretischen und praktischen Implikationen der Befunde in den jeweiligen thematischen Kapiteln umfassender erörtert werden.
Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm, Andreas Hoff, Heribert Engstier, Andreas Motel-Klingebiel
Backmatter
Metadaten
Titel
Altwerden in Deutschland
herausgegeben von
Clemens Tesch-Römer, Dipl.-Psych., Dr. phil.
Heribert Engstier, M.A. (Soziologie, Politikwissenschaft)
Susanne Wurm, Dipl.-Psych.
Copyright-Jahr
2006
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90138-1
Print ISBN
978-3-531-14858-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90138-1

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