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2008 | Buch

Die Zukunft der Policy-Forschung

Theorien, Methoden, Anwendungen

herausgegeben von: Frank Janning, Katrin Toens

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Einleitung
Auszug
Die Policy-Forschung hat sich als theoriegeleitete Politikfeldanalyse und vergleichende Staatstätigkeitsforschung bedeutend weiter entwickelt und ein eigenständiges Set an Methoden und Forschungsansätzen etabliert (Janning 2006; Schneider/Janning 2006). Die Etablierung der Policy-Forschung als Subdisziplin der Politikwissenschaft in Deutschland mutet aus heutiger Sicht dabei fast etwas überraschend an. Selbst in den USA — dem Heimatland der Policy-Forsehung — ist das Verhältnis zwischen Policy Analysis und Politikwissenschaft merkwürdig ambivalent geblieben. Der Wegbereiter der modernen Policy-Forsehung Harold Lasswell war in gewissem Sinne ein paternalistischer Reformer, der an die Rationalisierbarkeit von politischen Entscheidungen glaubte und dem Staat eine hervorragende Rolle bei der Demokratisierung der modernen Gesellschaft zusprach, andererseits wollte er die Geltungsansprüche der Policy-Forschung, die den Staat zu mehr politischer Rationalität befähigen sollte, selbst demokratisieren und sprach sich für einen interdisziplinären und diskursiven Ansatz in der Policy-Forschung aus (Prätorius 2004; Torgerson 1985). Hier wird der Spagat zwischen einer Fachwissenschaft der empirischen Staats- und Institutionenanalyse und einer auf die Beratung der Entscheidungspraxis konzentrierten politiknahen Beratungstätigkeit angelegt. Entsprechend entwickelten sich in den USA zwei parallele Stränge mit nur wenigen Berührungspunkten: einerseits der anwendungsorientierte technokratische Zweig der Policy-Analyse mit den berühmten Budget- und Programmanalysen (PPBS) basierend auf komplizierten Kosten-Nutzen-Kalkulationen (Lyden/Miller 1967), andererseits ein genuin politikwissenschaftlicher Strang (Dror 1968; Dye 1972; Lindblom 1968).
Frank Janning, Katrin Toens

Theorieentwicklung und Forschungsperspektiven

Frontmatter
„Politik“ als Problemlösung — und als vernachlässigte Problemursache. Anmerkungen zur Policy-Forschung
Auszug
Diesem Beitrag zur Policy-Forschung geht eine kleine Intervention auf einer Konferenz 1984 im Leibniz-Haus in Hannover voraus, auf der eine erste Bestandsaufnahme über die damals in Deutschland noch ziemlich neue und von wenigen betriebene „Policy-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland“ versucht wurde; die Konferenz sollte damals deren „Selbstverständnis und Verhältnis zu den Grundfragen der Politikwissenschaft“ (Hartwich 1985) erhellen.
Michael Th. Greven
Policy-Analyse, Demokratie und Deliberation: Theorieent-Wicklung und Forschungsperspektiven der „Policy Sciences of Democracy“
Auszug
Die bisherige Theorieentwicklung und die Perspektiven der Policy-Forschung können unter Bezug auf unterschiedliche Aspekte betrachtet werden. Der folgende Beitrag nähert sich der Frage nach der Zukunft der Policy-Forschung unter Bezug auf einen Begriff, der in konstruktiver wie in kritischer Absicht verwendet wurde, um die Theorieentwicklung und die Perspektiven der Policy-Analyse zu beschreiben und zu bewerten: Demokratie. Der Bezug auf Demokratie stand bereits am Anfang der Richtung, die zu Beginn der 1950er Jahre unter dem Titel der „policy orientation“ aufgetreten ist und die als Geburtsstunde der modernen Policy-Forschung insgesamt gilt. Das hat den Vorteil, dass diese Referenz nicht erst nachträglich oder von außen an die Policy-Forschung herangetragen werden muss. Die Frage nach dem Zusammenhang mit Demokratie war der Policy-Analyse vielmehr bereits ausdrücklich mit in die “Wiege gelegt worden. Einer ihrer Gründerväter, (1951: 5), sprach nicht einfach nur von Policy Sciences, sondern explizit von „policy sciences of democracy“.1
Thomas Saretzki
Komplexität, politische Steuerung, und evidenz-basiertes Policy-Making
Auszug
Policy-Analyse greift immer mehr um sich, obgleich ihre Erkenntnisse von den „Policy-Produzenten“ nicht wirklich genutzt werden. Gesetzgeber und Regierungen werden von Policy-Analysen überschwemmt, die insbesondere in den USA von Wissenschaftlern, Interessengruppen und Think-Tanks angefertigt werden. In konkreten politischen Entscheidungen spielen solche „externen Informationen“, seien sie prospektiv oder evaluativ, jedoch keine wesentliche Rolle. Diese Ungereimtheit ist von Nancy Shulock als „Policy-Paradox“ bezeichnet worden (Shulock 1999).
Volker Schneider
Imitation, Bayesianisches Updating und Deliberation - Strategien und Prozesse des Politiklernens im Vergleich
Auszug
Seit Mitte der 90er Jahre haben Konzepte des Politiklernens verstärkt Eingang in die IBund Europaforschung gefunden, wo sie häufig im Zusammenhang mit der Analyse von transnationalem Policy-Transfer sowie der grenzüberschreitenden Diffusion und Konvergenz von Politiken verwendet werden (etwa Rose 1991; Dolowitz und Marsh 1996; Goldsmith 2003; Holzinger/Jörgens/Knill 2007). Mit der Verschiebung des Forschungsinteresses von der Analyse innerstaatlicher Lernprozesse hin zu der Frage, wann und wie Staaten voneinander lernen, stehen auf einmal weniger selbstbezügliche Formen des Lernens im Vordergrund. Lernen ist nicht mehr in erster Linie das Ergebnis der Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen. Die Grundlage bilden vielmehr die Erfahrungen, die andere Akteuren in anderen Politikkontexten gemacht haben.1 Das geht so weit, dass nicht mehr die Erfahrung als solche, sondern vielmehr die Orientierung an anderen als zentraler Faktor des Lernens ausgewiesen wird, etwa wenn die Verhaltensanpassung von Staaten, die auf sozialen Anpassungsdruck und Herdeneffekte reagieren, als soziales Lernen bezeichnet wird (etwa Chamley 2004; siehe auch Levi-Faur 2002).
Katrin Toens, Claudia Landwehr
Policy-Analyse unter den Bedingungen von Kontingenz. Konzeptionelle Überlegungen zu einer möglichen Neuorientierung
Auszug
Was Policy-Anaiyse sein soll und was nicht was noch nie so umstritten wie heute. Soil sie die Analyse dessen sein, was Regierungen öffentlich entscheiden oder soll sie sich auf alle kollektiv hergestellten Entscheidungen beziehen, die auch von nicht-staatlichen Akteuren getroffen werden können? Soll sich Policy-Analyse auf die Analyse von „subgovernments“ und deren netzwerkarüge Strukturen konzentrieren oder auf die eher formalen Prozeduren im Regierungsapparat? Soll sie mit rationalistischen Theorien und Konzepten arbeiten oder soll sie Zufälle, Irrationalitäten und Paradoxien zulassen? Ein Blick in neuere Lehrbücher1 oder Sammelbände2 bestätigt die Beobachtung, dass eine einheitliche Forschungs- und Analyserichtung, eine Art „herrschende Meinung“ wie in der Jurisprudenz, nicht sichtbar ist, und dies trotz des Anspruches vieler Policy-Analytiker, theoriegesättigte Hypothesen zu formulieren und diese der empirischen Kontrolle zu unterwerfen, um so robuste Theorie zu generieren (Sabatier 1999).
Friedbert W. Rüb
Regime in der regulativen Politik. Chancen und Probleme eines Theorietransfers
Auszug
Wird hier nur wieder alter Wein in neue Schläuche gefüllt? Das Regimekonzept hat in der Analyse der internationalen Beziehungen schon in den frühen 80er Jahren eine große Verbreitung erfahren. Mit dem Konzept wollten anfangs besonders amerikanische Politikwissenschafter die zahlreichen neuen Phänomene der Kooperation und Verständigung in der internationalen Politik erklären, die sich aufgrund der Annäherung der beiden großen geopolitischen und ideologischen Blöcke und in der Folge der Abschwächung der hegemonialen Stellung der USA in der Sicherheits-, Technologie- und Wirtschaftspolitik einstellten (Haas 1974, 1980; Keohane 1982, 1984; Young 1983). Schnell wurde aber auch eine Fundamentalkritik an der Operationalisierbarkeit und Präzision des Regimekonzeptes laut (Strange 1983). Nichtsdestotrotz häuften sich in den 90er Jahren detailgenaue empirische Studien über die Zusammenarbeit zwischen Nationalstaaten zur Bewältigung übergreifender, nicht mehr territorial auf einzelne Industriestaaten beschränkter Umweltprobleme (Breitmeier 1996; Gehring 1994; Haas 1990; Oberthür 1997; Young 1989, 1994). Entsprechend wird auch die internationale Kontrolle und Regulierung der natürlichen Kollektivgüter (Rohstoffe, Trinkwasser, Fischvorkommen) mit dem Regimeansatz analysiert (Wolf 1991). Aktuell scheint sich ein wenig der Reiz des Regimekonzeptes als Hilfsinstrument für das Studium der internationalen Beziehungen abgenutzt zu haben (siehe jedoch Hanschel 2004; Mayer 2006; Ohl 2003), was vielleicht daran liegt, dass die unterschiedlichen IBSchulen und -Camps (Realisten, Neo-Realisten und Konstruktivisten/Kognitivisten) alle den Regimeansatz für sich beanspruchen können, ohne dass eine einheitliche Theoriebildung die selektive Nutzung einzelner Theorieelemente verhindern oder eine Integration der Regimeanalyse über unterschiedliche Forschungsgegenstände ermöglichen könnte.
Frank Janning
Policy-Forschung und Europäisierung
Auszug
Unter Europäisierung werden im Wesentlichen drei Dinge verstanden. Erstens wird das ‚Hochiaden’ nationaler Politiken auf die EU-Ebene als Europäisierung bezeichnet. Zweitens spricht man von ‚Europäisierung’, wenn der von der EU induzierte Wandel in den Mitgliedsstaaten im Vordergrund der Betrachtung steht. Das dritte. Begriffsverständnis umfasst beide anderen Perspektiven und versteht unter ‚Europäisierung’ den Prozess der Politikfoimulierung auf der EU-Ebene und dessen Rückwirkung auf die Mitgliedsstaaten. Mittlerweile füllt die Europäisierungsforschung aller drei Stränge Bibliotheken. Warum also ein weiterer Beitrag zur Europäisierung?
Diana Panke, Tanja A. Börzel
Stand und Perspektiven der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung
Auszug
Unter „vergleichender Staatstätigkeitsforschung“ soll im Folgenden ein Ansatz der Policy-Forschung verstanden werden, den man zumindest im deutschsprachigen Raum als „Heidelberger Schule der Staatstätigkeitsforschung“ ansprechen könnte. Diese Forschungs-richtung widmet sich der Analyse und Erklärung der Regierungspolitik vornehmlich westlicher Länder, wobei sie in erster Linie Zusammenhänge auf der Makroebene untersucht (Schneider/Janning 2006: 79ff.). Dabei geht es jeweils um die Frage, welche Faktoren die Unterschiede im jeweils betrachteten Politikfeld zwischen verschiedenen Ländern bedingen. Die Untersuchung erfolgt mit einem bestimmten, je nach Anwendungsgebiet allerdings erweiterbarem Theorieangebot und einem methodischen Schwerpunkt auf einer quantitativen Herangehensweise, ohne das qualitative Methoden unberücksichtigt bleiben. Im Folgenden sollen die dominierenden Theorieschulen knapp erläutert (2), der methodische Zugriff charakterisiert (3) und die wichtigsten Ergebnisse vorgestellt werden (4), ehe im letzten Teil auf mögliche Defizite und Forschungsperspektiven eingegangen wird.
Reimut Zohlnhöfer
Wiederbelebung der Policy-Forschung durch konzeptionelle Erneuerung
Auszug
Die deutschsprachige Policy-Forschung ist derzeit für die politische Praxis nahezu unbedeutend. Nimmt man es weniger dramatisch, müsste man formulieren, dass sie nicht den Stellenwert einnimmt, der ihr angesichts des immensen Beratungsbedarfs der Politik zukommen sollte. Ursä chlich hierfür kö nnte neben anderen Gründen der Mangel an einem analytischen, auf die deutschen Verhä ltnisse angepassten Ansatz sein, der eine systematische Anleitung für eine policy-, praxis- und beratungsorientierte Forschung zu geben vermag.
Nicolai Dose

Methodenfragen und Anwendungsaspekte

Frontmatter
Methodologische Triangulation in der europäischen Policy-Forschung
Auszug
Im Mittelpunkt der Policy-Forschung steht die Analyse des Zustandekommens politischer Inhalte — insbesondere im Rahmen des Policy-Zyklus von Politikformulierung, - implementation,-beendigung und -wirkung. Die Generierung empirischer Daten ist dabei ein zentraler Bestandteil des Policy-Forschungsprozesses.
Sylvia Kritzinger, Irina Michalowitz
Diskursanalyse in der Praxis: Koalitionen, Praktiken und Bedeutung
Auszug
Am 11. September 2001 wurde die Welt Zeuge eines Terrorangriffs, der die Türme des Welthandelszentrums zerstörte. Während sich der anfängliche Schock langsam legte, kam eine neue Frage auf: was sollte mit dem Gelände geschehen, von dem man nun einfach als „Ground Zero“ sprach? Mit dem Welthandelszentrum wurde ein Symbol angegriffen und somit erlangte der Ort, an dem ehemals die Türme gestanden hatten, eine ikonengleiche Bedeutung. Als Folge wurde der Prozess der Wiederbebauung des Ground Zero zum Beispiel für grundlegende “Kulturpolitik” (cultural politics). Das Beratschlagen über Modelle und Design der neuen Gebäude wurde zum Podium für Überlegungen zu Grundwerten der Gesellschaft und natürlich der unmittelbaren Form der Politikgestaltung.
Maarten A. Hajer
Die Netzwerkanalyse in der Policy-Forschung: Eine theoretische und methodische Bestandsaufnahme
Auszug
Die Frage nach der Wirkungsweise von Akteurskonstellationen auf den Politikprozess ist nicht neu, aber immer noch aktuell (Raab/Kenis 2006). Bereits in den 1940er Jahren wurden mit dem Aufkommen des Pluralismusansatzes sowohl die Wettbewerbsbeziehungen zwischen organisierten Interessen betont als auch die horizontale Verflechtung von Regierung, Administration und organisierten Interessen hervorgehoben (McIver 1947, Truman 1951). Allerdings konnte sich erst seit den 1980er Jahren ein eigenständiger Netzwerkansatz in der Politikwissenschaft etablieren, als deutlich wurde, dass öffentliche Politik weder ausschließlich auf funktionale Bedürfnisse und Anforderungen der Gesellschaft zurückgeführt werden kann (Almond/Powell 1966), noch das Aggregat eigennützig handelnder Individuen und Organisationen darstellt (Becker 1985). Vielmehr sind in den Politikprozess eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Akteuren eingebunden, die durch ihre Interaktion maßgeblich das Politikergebnis bestimmen (Kenis/Schneider 1991, Raab/Kenis 2006).
Achim Lang, Philip Leifeld
Qualitative Comparative Analysis und Policy-Forschung
Auszug
Das Jahr 1994 fügte den meisten Literaturlisten, die für sozialwissenschaftliche Methodenkurse für Fortgeschrittene an deutschen Universitäten erstellt wurden, ein neues Werk an, das in der Folge - nicht nur in der Lehre — die deutsche und internationale Diskussion um das richtige Forschungsdesign stark beeinflusste. „Designing Social Inquiry“ (King u.a. 1994), verfasst von den amerikanischen Sozialwissenschaftlern Gary King, Robert Keohane und Sidney Verba, wartete mit dem für die meisten Sozialwissenschaftler spannenden Untertitel „Scientific Inference in Qualitative Research“ auf. ‚KKV’, wie das Buch bald nahezu liebevoll getauft wurde, unternahm den Versuch, ein Grundrepertoire wissenschaftlicher Vorgehensweisen zu etablieren, das so genannten ‚qualitativen’ Ansätzen die selbe Standardisierung zukommen lassen sollte, wie sie quantitative Verfahren schon in den Jahrzehnten zuvor erfahren hatten. Dies war natürlich sowohl den so genannten ‚Quantitativisten’ als auch den so genannten ‚Qualitativisten’ hoch willkommen, litten doch die Letzteren unter den permanenten Vorwürfen der Ersteren, wonach qualitative Sozialforschung aufgrund der fehlenden standardisierten Techniken und Methoden immer Gefahr laufe, unwissenschaftlich und spekulativ zu bleiben. Vor allem die Erwähnung des Wortes ‚Inferenz’ im Untertitel wies auf einen Grundkonflikt hin, dem qualitative Sozialforscher im Hinblick auf die Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse kontinuierlich ausgesetzt waren. Und so lösten ‚KKV’ mit ihrem Buch eine sehr lebhafte Methodendebatte in den Sozialwissenschaften aus; es erschien in den Folgejahren kaum eine methodisch orientierte Publikation, die nicht in irgendeiner Weise auf KKV Bezug nahm.
Claudius Wagemann
Sequenzorientierte Policy-Analyse. Warum die Rentenreform von Walter Riester nicht an Reformblockaden scheiterte
Auszug
Vielen politikwissenschaftlichen Analysen zufolge ist in der Bundesrepublik bestenfalls inkrementeller Policy-Wandel zu erwarten (Benz 2000: 216-217). Begründet wird diese These mit dem Blockadebias des politischen Systems: Im deutschen Regierungssystem determinieren die relativ autonomen, aber interdependenten Systeme der politischen Entscheidungsfindung, die Mehrheitsdemokratie (Parteienwettbewerb) und die Verhandlungsdemokratie (Korporatismus, Bikameralismus), jeweils einen bestimmten Strategieraum, wobei Inkompatibilitäten auftreten können. Kompromisse zwischen verhandelnden Akteuren können durch den Parteienwettbewerb wieder außer Kraft gesetzt werden. Ebenso können Institutionen der Verhandlungsdemokratie, wie der Bundesrat, parteipolitisch instrumentalisiert werden, die Konsens- und Korporationserfordernisse des Bikameralismus also durch den Parteienwettbewerb überlagert werden.
Christine Trampusch
Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Gegenstand der Policy- und Governance-Forschung
Auszug
Der vorliegende Artikel befasst sich mit zwei Politikfeldern, die bislang zumindest in der innenpolitisch ausgerichteten ‘klassischen’ Policy- bzw. Governance-Forschung noch relativ wenig beachtet wurden: Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Während in Deutschland vielfach von „Reformstau“ und „Reformblockaden“ die Rede ist1, findet derzeit in den deutschen Streitkräften eine sehr weit reichende Reform von der Verteidigungsarmee zu einer „Armee im Einsatz“ statt. Es ist wenig verständlich, warum dieser Reform im Vergleich zu anderen Reformbemühungen in zivilen Politikfeldern sowohl in der Policy-Forschung als auch der allgemeinen Öffentlichkeit relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Reorganisation der deutschen Verteidigungspolitik sollte nicht nur Außenpolitikforscher/ innen interessieren, sondern stärker in den Blickpunkt auch der innenpolitisch sensibilisierter Politikfeld-Forschung rücken. Dies umso mehr, als der Einsatz der Bundeswehr im Inneren immer wieder zum innenpolitischen Thema wird.
Nicole Deitelhoff, Anna Geis
Politiklernen in der Elternzeitreform: Ein Beispiel für deliberatives Politikhandeln
Auszug
Die deutsche Regierungslehre erlebt derzeit unter dem Stichwort Governance-Forschung die Entwicklung eines neuen Paradigmas, indem Interaktionen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren - und damit die Prozesshaftigkeit von Politik „entdeckt“ und die staats- und institutionenzentrierte Sicht auf Politik erweitert wird (zusammenfassend Benz 2004). Im Bereich der Politik(feld-)analyse findet seit Anfang der 1990er Jahre eine analoge Theorieentwicklung statt, die Kategorien wie Wissen und Ideen an Bedeutung gewinnen lässt. In beiden Bereichen wird der zentrale Analysegegenstand des institutionalistischen Paradigmas, die Akteursentscheidung unter institutionellen Rahmenbedingungen, durch die Frage nach der Entstehung von Politikproblemen und -lösungen ergänzt. Dadurch wird der Blick auf die Inhalte von Politik erweitert. Zwar wurden „Ideen“ bzw. „Wissen“ auch im Rahmen des institutionellen Paradigmas als Aspekte zur Erklärung von Entscheidungen herangezogen, dort aber als komplementär oder konkurrierend zur Kategorie des „Interesses“ betrachtet (Mayntz/Scharpf 1995). In der „interpretativen“ Perspektive wird dagegen die Dichotomie von „Ideen“ und „Interessen“ aufgegeben und die Präferenzen politischer Akteure als sozial konstruiert konzipiert (dazu Nullmeier 1996: 130). Da die interpretative Politikanalyse kaum auf geschlossene Theorien und Heuristiken zurückgreifen kann,1 sind die Konzepte des Politiklernens in Advocacy-Koalitionen von Sabatier (1993) oder das social learning von Hall (1993) bis heute die wichtigsten konzeptuellen Bezugspunkte geblieben, ohne dass an handlungstheoretische Ansätze oder demokratietheoretische überlegungen angeschlossen wird.
Silke Bothfeld
Interdependenzen zwischen Politikfeldern — die vernachlässigte sektorale Dimension der Politikverflechtung
Auszug
Eine der Entwicklungen in der Policy-Forschung, die Adrienne Héritier in ihrem 1993 herausgegebenen Band zur Kritik und Neuorientierung der Policy-Analyse gleich an mehreren Stellen herausstellt, ist die Thematisierung von „Policy-Verflechtung(en)“ (Héritier 1993a: 13ff.). Dazu zählt sie neben der nationalen und internationalen „Mehr-Ebenen-Politik“ auch die „sektorelle (/h.) Verflechtung von politischen Maßnahmen“ (ebd.: 9). Die Bedeutung letzterer unterstreicht Héritier mit einem Zitat von Edgar Grande und Volker Schneider (ebd.: 19): „Oft läßt die Einteilung in Politikbereiche und -sektoren vergessen, dass sektorale bzw. bereichsspezifische Politiken nicht isoliert ‘prozessiert’ werden, sondern, sei es intendiert, sei es unintendiert, sachlich, zeitlich oder sozial miteinander verknüpft sind. Politische Entscheidungsprozesse werden dadurch zu einem Komplex verschachtelter (‘nested’) Spiele. Diese Interdependenz von Politiken, die Art und die Intensität der Verflechtungen zwischen Politikbereichen, hat Einfluss darauf, ob ein Problem thematisiert wird, und welche Lö sungsalternativen dafür zur Verfügung stehen“ (Grande/Schneider 1991: 461).
Frank Bönker
Backmatter
Metadaten
Titel
Die Zukunft der Policy-Forschung
herausgegeben von
Frank Janning
Katrin Toens
Copyright-Jahr
2008
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90774-1
Print ISBN
978-3-531-15725-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90774-1