Skip to main content

2016 | Buch

Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht

Einblicke in die Ideengeschichte und ihre Bedeutung für die Pädagogik

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Winters Werk zählt zu den Klassikern der Mathematikdidaktik und wird ungebrochen in der Lehramtsausbildung aller Schulstufen eingesetzt. Nicht ohne Grund wird diese neue Auflage von einer Vielzahl kundiger Stimmen aus Theorie und Praxis mit Begeisterung aufgenommen. Dank der konsequenten Einbeziehung fachhistorischer Hintergründe und überzeugend ausgearbeiteter Beispiele bildet die Lektüre ganzheitlich und kann allen Mathematikinteressierten nur empfohlen werden.

„Für eine Fachdidaktik, in der praxisbezogene Theorie und theoriegeleitete Praxis aus dem Wesen der Mathematik heraus organisch verbunden sind, setzt dieses beeindruckende Werk Maßstäbe.“ Prof. Dr. Dr. h.c. Erich Ch. Wittmann.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
0. Einleitung
Zusammenfassung
Eingeleitet von einem Comenius-Zitat wird der Begriff des entdeckenden Lernens erläutert, um anschließend seine Deutung und Bedeutung speziell für die Mathematik zu entfalten. Die Hauptthese, das Lernen von Mathematik sei umso wirkungsvoller, je mehr es im Sinne eigener aktiver Erfahrungen betrieben werde und auf selbständigen entdeckerischen Unternehmungen beruhe, wird durch sechs Kernargumente gestützt (Spezifische Wissensstruktur der Mathematik, intellektuelle und emotionale Identifikation, Transferierung, Behalten und Erinnern, Weiterlernen). Anhand von sechs inneren und äußeren Schwierigkeiten wird darauf aufmerksam gemacht, wie schwierig und komplex die Gestaltung entdeckenden Lernens für Lehrkräfte ist. Abschließend wird das Lernen durch Entdeckenlassen in Form von 15 Tipps für das Lehrerverhalten dem Lernen durch Belehren gegenüber gestellt.
Heinrich Winand Winter
1. Die Verdoppelung des Quadrats in Platos „Menon“
Zusammenfassung
Ausgangspunkt ist der Menon-Dialog des Philosophen Plato, in welchem Sokrates dem jungen Aristokraten Menon seine These des Erkennens als Wiedererinnern verdeutlicht, indem er aus einem hergelaufenen Sklaven das Wissen „herausfragt“, dass das Quadrat über der Diagonale jeden Quadrats den exakt doppelten Flächeninhalt hat wie das Ausgangsquadrat selbst. In neun Schritten von der Problemstellung durch den Lehrenden über die Krisis bis zur gemeinsamen Bestätigung der im Dialog gefundenen Lösung wird die Tiefenstruktur des Gesprächs herausgearbeitet. Dies führt auf den Begriff des sokratischen Lehrens, der anhand von sieben Merkmalen umschrieben und anschließend kritisch hinterfragt wird. Moderne Formen dialogischen Lehrens werden genannt, erläutert und für die Mathematik anhand des Beispiels der Summen aufeinanderfolgender ungerader Zahlen illustriert. Zeitgemäße Entdeckungsübungen rund um die Quadratverdoppelung und die damit verbundene Wurzel aus 2 runden das Kapitel ab.
Heinrich Winand Winter
2. Die Unendlichkeit der Primzahlfolge
Zusammenfassung
Als paradigmatisches Beispiel eines Beweises wird der des Euklid über die Unendlichkeit der Primzahlfolge vorgestellt. Seine Struktur wird gemäß einer Beweissicht als nicht durch rationale Argumente zu erschütternder Begründung in Form eines Dialogs zwischen Opponent und Proponent analysiert, wobei auch seine Konstruktivität deutlich wird. Anschließend wird der Bildungswert von Satz und Beweis auch jenseits jeglicher Anwendbarkeit auf das tägliche Leben diskutiert. Am Sieb des Eratosthenes werden schultaugliche Aktivitäten aufgezeigt, die bis tief in verschiedene Gebiete der Zahlentheorie und Arithmetik weisen.
Heinrich Winand Winter
3. Geometrie vom Hebelgesetz aus
Zusammenfassung
Im Zentrum steht das Wechselspiel zwischen geometrischen und mechanischen Erfahrungen, das von Archimedes meisterhaft betrieben wurde und bis heute beide Disziplinen befördert. Die Methode, mit der ihr Urvater u.v.a. das Volumen und die Oberfläche der Kugel sowie den Schwerpunkt der Halbkugel fand, wird am ebenfalls originalen Beispiel des Flächeninhaltes unter der Parabel vorgeführt. Sie ist in der Darstellung vereinfacht und gehört dennoch zu den fachmathematisch anspruchsvollsten Abschnitten des Buches, die heute auch im Leistungskurs der Oberstufe kaum mehr als behandelbar gelten können. Anschließend wird deshalb die heuristisch-methodische „Botschaft“ der Methodenlehre an teils deutlich elementareren Beispielen für den Mathematikunterricht fruchtbar gemacht. Im letzten Abschnitt wird das heuristische Potential der Analogiebildung anhand des Vergleichs ebener und räumlicher geometrischer Formeln sowie der Bedeutung der Änderungsrate in so unterschiedlichen Kontexten wie Klima und Politik entfaltet.
Heinrich Winand Winter
4. Algorithmus und Abakus – Republikanisierung des Rechnens bei Ries
Zusammenfassung
Die mathematikdidaktische Leistung, mit der Adam Ries in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Rechenkunst unter das Volk brachte, wird gewürdigt und in fünf Teilaspekten auf den Punkt gebracht (Deutschsprachigkeit, Methodenvielfalt alt und neu, Operativität und Exemplarizität, Anwendungsorientierung, Algebragebrauch). Als zeitlos unterrichtspraktische Beispiele werden das beim Übergang von der Primar- in die weiterführende Schule relevante Verfahren der schriftlichen Division sowie Entdeckungen aus der Teilbarkeitslehre am Rechenbrett ausgearbeitet. Ersteres wird sowohl algorithmisch als auch enaktiv durchdrungen, zweiteres entfaltet sein Potential insbesondere bei der Übertragung auf andere Stellenwertsysteme.
Heinrich Winand Winter
5. „Alle alles lehren“ – Utopie und Wirklichkeit seit Comenius
Zusammenfassung
Mit Bezug auf den Namensgeber aller Didaktik, Comenius, wird die Grundsatzfrage gestellt, ob gutes Lehren lehr- oder gar algorithmisierbar sei oder doch im Wesentlichen auf Einfühlungsvermögen beruhe. Aus den ambitionierten Versprechen des Comenius werden konkret hilfreiche Frage- und Anregungstechniken für Lehrkräfte herausgearbeitet, um anschließend die Didaktik des entdeckenden Lernens in Abgrenzung zur Aufgaben- und Problemlösedidaktik weiter auszuschärfen. Auf der Basis des insbesondere hinsichtlich des Lernens ausgesprochen positiven Menschenbildes von Comenius, werden Stufen im Lernprozess beschrieben, die sich u.a. an Freudenthal anlehnen und mathematiktypisch sind: Phänomenstufe, Problemstufe, Systemstufe und Reflexionsstufe. Abschließend und sehr konkret werden Probleme des dauerhaften Lernens und Übens thematisiert und an drei Beispielen aus ganz unterschiedlichen Schulstufen vorgeführt: dem Einmaleins, dem Satz des Pythagoras und der Folge „n-te Wurzel aus n“.
Heinrich Winand Winter
6. Erfinden und Problemlösen mit barocken Methoden
Zusammenfassung
Im Zentrum des Kapitels stehen drei Herangehensweisen an mathematische Probleme, die von ihren Erschaffern jeweils als „universell“ gepriesen wurden und tatsächlich von weit überdurchschnittlicher Tragfähigkeit sind. Ausgangspunkt ist Viètes „Einführung in die analytische Kunst“, in der er das Einführen von Variablen und Rückwärtsarbeiten von einer Bestimmungsgleichung aus als universelle Problemlösestrategie vorstellt. Es folgt die Methode des Descartes, die allgemeine Regeln für das Denken vorgibt und sich in der Einführung von Koordinaten und daraus resultierenden Kombination algebraischer und geometrischer Methoden konkretisiert. Den Abschluss bildet die „universelle Zeichenkunst“ nach Leibniz, die in die Infinitesimalrechnung mündet. Alle Methoden werden auf ihre analytischen und synthetischen Aspekte hin beleuchtet und sowohl an außergewöhnlichen als auch an lehrplankonformen Standardbeispielen illustriert.
Heinrich Winand Winter
7. Induktion und vollständige Induktion
Zusammenfassung
Das Kapitel ist der Induktion gewidmet; und zwar im Unterschied zu den meisten fachmathematischen und -didaktischen Abhandlungen nicht nur der vollständigen. Induktion kommt also nicht nur als Beweismethode, sondern auch als solche der Erkenntnisgewinnung zur Geltung. Dies geschieht am ausführlichsten am Beispiel des Pascalschen Dreiecks mit seiner überwältigenden Zahl von Eigenschaften und Querverbindungen zu den verschiedensten Teilgebieten der Mathematik. Die Bedeutung des Prinzips wird durch große, elegant mittels vollständiger Induktion zu beweisende Sätze betont und in ihrem Zusammenhang mit den fundamentalen mathematischen Ideen der Iteration und Rekursion beleuchtet. Auch die Grenzen und Risiken unvollständigen Induzierens werden sehr konkret aufgezeigt: an einer sich auf elementarstem Niveau erschließenden und als gültig aufdrängenden, aber bis heute nicht ansatzweise bewiesenen Aussage über Palindromzahlen und einer geometrisch motivierten und höchst beziehungsreichen Abzählaufgabe aus der Begabtenförderung.
Heinrich Winand Winter
8. Anschauung als Quelle neuen Wissens
Zusammenfassung
Gegenstand des Kapitels ist die Bedeutung der Anschauung für das Gewinnen und Vermitteln mathematischer Erkenntnisse. Die drei Funktionen der Anschauung nach Volkert, ihre produktive Kraft und ihre ambivalente Rolle bei der Begriffsbildung werden ebenso beleuchtet wie die Konsequenzen ihrer Unter- und Überschätzung. Neben zahlreichen kleineren Beispielen wird dies vor allem anhand der Multiplikation negativer und der Anerkennung komplexer Zahlen diskutiert. Zur konkreten Rolle von Veranschaulichungen im Vermittlungsprozess werden zwei Gefahren aufgezeigt (Reduktion auf Impression und Unterstellung von Selbstevidenz) und zwei wesentliche Typen unterschieden (homologe versus analoge Veranschaulichungen). Das heuristische Potential von Veranschaulichungen wird an je einem Beispiel aus der Unter-, Mittel- und Oberstufe aufgezeigt, um schließlich zur kognitiv aktivierenden Rolle von Paradoxien und ihrer Auflösung zu kommen. Letzteres geschieht eindrucksvoll am ‚verlängerten Äquatorseil‘ und am ‚Geburtagsproblem‘.
Heinrich Winand Winter
9. Kreativität und Problemlösen
Zusammenfassung
Das Fördern der Kreativität gehört zu den übergeordneten Lernzielen aller Schulformen, der Beitrag der Mathematik hierzu liegt vor allem im Bereich des Problemlösens. Ausgangspunkt des Kapitels sind die Stadien mathematischer Entdeckungsprozesse nach Hadamard (Präparation, Inkubation, Illumination und Verifikation), welche vor allem auf Selbstreflexionen großer Forscher zurückgehen und die Rolle des Unbewussten betonen. Inwieweit sind solche Prozesse mit schulischem Lernen vergleichbar, das doch nach Meinung Vieler vor allem geordnet und zielgerichtet erfolgen soll? Nach einem Exkurs über Intuition werden Polyas vierphasige Heuristik des Problemlösens vorgestellt, um wichtige Heurismen für die unberechenbare Phase des Planausdenkens an einem an Lösungsansätzen und Vernetzungen besonders reichen Extremwertproblem zu verdeutlichen. Abschließend wird Guilfords Theorie des divergentes Denkens in Anforderungen an einen entdeckenden und Produktivität anregenden Unterricht übersetzt (Problemsensitivität, Flüssigkeit, Flexibilität, Originalität und Elaboration), welche am Beispiel quadratischer Gleichungen erläutert werden.
Heinrich Winand Winter
10. Lernen von der Wirklichkeit – Entdecken und Anwenden
Zusammenfassung
Als exemplarischer, historischer Ernstfall eines „Lernens von der Wirklichkeit“ wird Galileis Entdeckung der Fallgesetze im Wechselspiel zwischen Idealisierung, Hypothesenbildung und Experiment nachgezeichnet. Dabei werden die Grenzen und Missbrauchsgefahren solcher Mathematisierungen mitgedacht, welche mit in den Verantwortungsbereich der Disziplin fallen. Mit Blick auf den Unterricht werden drei Funktionen der Anwendungsorientierung unterschieden (angewandte Mathematik als Lehrstoff, Sachbezogenheit als Lernprinzip und Wirklichkeitserschließung als Lernziel) und praktische Probleme derselben zur Sprache gebracht. Es folgen ein differenzierter Modellierungskreislauf und Qualitätsmerkmale für Anwendungskontexte und ihre didaktische Strukturierung (Bedeutung für die heutige oder spätere Existenz, Authentizität, Zugänglichkeit, Reichhaltigkeit und angemessenes Niveau). Unger Berücksichtigung all dieser Aspekte werden große und jeden betreffende Anwendungskontexte ausführlich beleuchtet: die Geschwindigkeit im Straßenverkehr, Lebensversicherungen und Bevölkerungsstatistik.
Heinrich Winand Winter
Backmatter
Metadaten
Titel
Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht
verfasst von
Heinrich Winand Winter
Copyright-Jahr
2016
Electronic ISBN
978-3-658-10605-8
Print ISBN
978-3-658-10604-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-10605-8