2.1 Personalführung im Arbeitsverhältnis
Wie bereits erwähnt, ist das Eingehen eines Arbeitsverhältnisses rechtlich mit der Zuweisung des Direktionsrechts an den Arbeitgeber bzw. die von ihm beauftragten Führungskräfte verbunden (Peters
2019). Die Führungskraft kann sich, ggf. sanktionsbewehrt, in ihrer Personalführungsrolle Gehör verschaffen. „Negative“ Steuerungsmittel wie Anordnungen, deren Missachtung Abmahnungen und im Extremfall sogar die Kündigung nach sich ziehen kann, haben aber kein Monopol – im Gegenteil. Sie gelten im weithin bevorzugten kooperativen Führungskonzept nicht erst seit heute als veraltet (vgl. u. a. Hofmann et al.
2015, S. 23). In der Tat haben Vorgesetzte andere Möglichkeiten zielgerichteter Beeinflussung, etwa die Konsultation von Mitarbeiter*innen vor einer anstehenden Entscheidung, die Motivation zu eigenständiger Arbeit, die Gesprächsbeteiligung „auf Augenhöhe“ usw. Symbolisch mag dafür auch der immer häufiger zu beobachtende Trend des verallgemeinerten Duzens stehen (Kanning et al.
2019). Letzten Endes bleibt es aber rechtlich bei der Entscheidungsverantwortung der Führungskraft; bildlich gesprochen ist die Hierarchie in der kooperativen Führung nur auf
Stand-by geschaltet.
Es wäre wohl auch naiv, davon auszugehen, dass klassische Führungsmethoden wie Anordnungen und enge Kontrollen heute keine Rolle mehr spielten. Zumindest darf man für viele „Standardunternehmen“ unterschiedlichster Größe und Branche annehmen, dass in der Tendenz immer noch für grundlegende Funktionsmechanismen der organisationalen Verhaltenssteuerung in letzter Konsequenz die Lehren Taylors und der Bürokratieansatz Max Webers Pate stehen. Dafür ist das unmittelbare Einflusshandeln durch die Führungskraft und die Kontrolle des Verhaltens der Mitarbeiter*innen durch Beobachtung und ggf. eines korrigierenden Eingriffs inklusive einer zugehörigen „Präsenzkultur“ denknotwendig. Die Hauptrichtung der Steuerungswirkung erfolgt Top-down durch Planung, Technik und Organisation (formale Regeln). Personalführung findet in den Lücken dieser Vermittlungstechniken sowie bei situationsbedingten Auslegungs- und Präzisierungsfragen statt (Kerr und Jermier
1978).
Jedenfalls war und ist die klassische Führungsbeziehung wie selbstverständlich auf die gemeinsame Gegenwart der Akteur*innen an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten ausgerichtet. Man sieht sich regelmäßig von Angesicht zu Angesicht. Sicher nicht den ganzen Tag, und man kann auch Mal auf Dienstreise sein, an einem Workshop oder einer Messe teilnehmen. Das ändert aber nichts am Prinzip. Durch den regelmäßigen Kontakt kann die Führungskraft Verhalten beobachten, Wertschätzung vermitteln, aber auch Fehler wahrnehmen und im Bedarfsfall schnell und gezielt „eingreifen“. Wir wissen aus der älteren Führungsforschung wie aus Befunden, die aus Studien im Kontext der Zieltheorie der Arbeitsmotivation hervorgegangen sind, dass erfolgreiches Führungsverhalten vor allem auf einer leistungsorientierten Beobachtung des Verhaltens der Mitarbeiter*innen sowie auf einer möglichst zeitnahen Rückmeldung durch Kommunikation und ggf. zu ergreifenden Konsequenzen beruht (vgl. auch Zimolong und Elke
2005, S. 88 ff. mit weiteren Nachweisen).
Interessant ist nun im Zusammenhang mit einer vermehrten Tendenz zu mobiler Arbeit, dass bestimmte Voraussetzungen der althergekommenen Personalführung, egal ob in einer eher autokratischen oder kooperativen Lesart, zunehmend entfallen (vgl. Hofmann et al.
2015; Hofmann
2013; Remdisch und Utsch
2006). Mobile Arbeit bringt es mit sich, dass die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter*innen über unterschiedliche geografische Standorte und Zeitspannen hinweg erfolgen muss. Anders als bei einem „klassischen“ Arbeitsverhältnis geht der persönliche Kontakt weitgehend verloren. Was bedeutet dies für die Praxis der Personalführung?
2.2 Führung auf Distanz – Überwachen Sie noch oder vertrauen Sie schon?
Auch wenn es immer schon in einem kleinen Teil der Arbeitsverhältnisse durch die Faktizität der Aufgaben eine Art Führung auf Distanz gegeben hat (z. B. im Vertrieb; vgl. Hackl
1998, S. 60 ff.), stellt die starke Reduktion der Face-to-face-Kontakte bei mobiler Arbeit eine erhebliche Herausforderung für Führungskräfte dar. Hofmann (
2013, S. 216) spitzt diese Problematik sogar zu der Frage zu, „ob es überhaupt noch Führung im Sinne personaler Führung braucht“ (vgl. auch Weber et al.
2018, S. 8 ff.). Dabei bezieht sie sich auch auf praktische Beobachtungen, wonach besonders die mittleren Führungsebenen als „Bremsschicht“ einer weitergehenden Flexibilisierung von Arbeit in Aktion treten (ebenda, S. 220). Es fehle ihnen aus ihrer angestammten Rolle heraus an Vorstellungsvermögen, wie sie ihrer Führungsverantwortung, aber auch der ihnen regelmäßig zugedachten Betreuungs‑, Förderungs- und Überwachungsaufgabe gerecht werden können, wenn der tägliche enge Kontakt entfällt.
Die Frage, ob es unter den Bedingungen mobiler Arbeit einer Personalführung bedarf, wird bei Hofmann rhetorischer Natur sein. Denn wollte man sie verneinen, würden, jedenfalls im Rahmen einer Organisation und bei Weiterexistenz arbeitsvertraglich fundierter Beschäftigungsverhältnisse, deren grundlegende rechtliche Funktionsmechanismen (wie das Direktionsrecht der Führungskraft) außer Kraft gesetzt. Auch bei mobiler Arbeit wird es regelmäßig Personalführungsbedarfe geben. Ansonsten würden nicht nur weiterbestehende Rechtsverhältnisse negiert; es würde auch nicht der Vielfältigkeit der Aufgaben und Rollen einer Führungskraft entsprechen. Insoweit kann man die Substitution von Führung nur bei selbstständiger (oder scheinselbstständiger) Zuarbeit (Freelancer, crowdworker etc.) annehmen. Für feste, auch zeitlich befristete Beschäftigungsverhältnisse stellt sich vielmehr die Frage, wie man den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trägt und ein „digital leadership“ (Wilson
2004) oder ein
„Führen auf Distanz“ praktizieren kann (vgl. z. B. Remdisch und Utsch
2006).
Das Lebenselixier mobiler Arbeit ist die Autonomie und Selbststeuerung der Mitarbeiter*innen. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Erhebungen im Projekt
prentimo. Die mobil Arbeitenden nehmen ihre Aufgaben mit hoher Identifikation und Selbständigkeit insbesondere vor Ort bei den Kunden wahr.
Die Führung mobil Arbeitender findet deutlich weniger statt. Ist schon so, dass sie sich weitestgehend selbst organisieren, koordinieren (Interview Führungskraft im Rahmen von prentimo).
Die Autonomie der mobil Arbeitenden wird flankiert von einem hohen Maß an professioneller Orientierung. Das Selbstverständnis der mobil Arbeitenden ist das von Problemlösern und „sich kümmern“ im Dienste der Kund*innen, wenn es sein muss, auch am späten Abend oder am Wochenende.
Die hohe Handlungsautonomie mobil Arbeitender zieht denknotwendig die zentrale Anforderung an die Führungskräfte nach sich,
vertrauen können zu müssen (Weber et al.
2018, S. 6). Die Führungskraft muss es zulassen und dulden, nicht über jede Situation, jeden Arbeitsschritt informiert zu sein. Es bleibt ihr schon mangels Möglichkeiten zur beobachtender Überwachung gar nichts anderes übrig, als sich
darauf zu verlassen, dass die Mitarbeiter*innen bei den Kund*innen einen „guten Job“ machen. Sie muss folglich das Dilemma aushalten, keine detaillierte, jederzeitige Kontrolle ausüben zu können, andererseits aber aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses unvermindert in der Verantwortung zu sein, wenn etwas schiefläuft.
Diese Anforderung ist keine Bagatelle. Gelingende mobile Arbeit ist eine Funktion passender Führung, aber auch der Einstellungen und Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen. Führungskräfte müssen, in ihrer formalen Rollenverantwortung, auf die Motivation und Kompetenz der Mitarbeiter*innen vertrauen. Umgekehrt müssen Mitarbeiter*innen willens und in der Lage sein, eigenständig zu handeln, sich selbst zu steuern, aktiv und technisch versiert zu kommunizieren und sich mit den Kund*innen und ihren Erwartungen zu identifizieren. Vertrauensvoll zu führen verlangt ein passendes Menschenbild: Die Führungskraft darf die Mitarbeiter*innen nicht als unmündige weisungsunterworfene Follower sehen, sondern als autonome und selbstständig agierende Individuen bzw. Teams, die in der Lage sind, eigenständige Entscheidungen auch im Sinne der Unternehmenszielsetzung zu treffen und in diesem Sinne Handlungs- und Gestaltungsspielräume „positiv“ ausfüllen.
In sinnverkehrender Abwandlung eines Ausspruchs, der Lenin zugeschrieben wird, lässt sich sagen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist schlechter! Mobile Arbeit taugt nicht für Führungskräfte, die „Kontrollfreaks“ sind. Die im Beschäftigungsverhältnis angelegte Kontrollfunktion muss sich vor allem auf die Überprüfung von Ergebnissen (Soll-Ist-Vergleich) bzw. Termineinhaltungen stützen.
Denkbar im Sinne des klassischen Ansatzes wäre die Ausübung einer technisch vermittelten Leistungs- und Verhaltenskontrolle durch die Führungskraft, etwa indem sie sich auf die Endgeräte der Mitarbeiter*innen einwählt und versucht, das Arbeitsverhalten (z. B. Geschwindigkeit, Aufenthaltsort), erstellte Leistungen, Arbeits- und Pausenzeiten und andere Parameter auszuwerten (Hertel und Konradt
2004, S. 171 ff.). Auch eine systematische Befragung von Kund*innen über das Verhalten und die wahrgenommene Leistung der „entsandten“ Mitarbeiter*innen ist vorstellbar.
Beide Ansätze sind jedoch hoch problematisch. Die technische Leistungs- und Verhaltenskontrolle unterliegt Datenschutzregelungen und insbesondere der Mitbestimmung der Betriebs- und Personalräte (Vogl und Nies
2013, S. 156 ff.). Noch schwerer wiegt das Dilemma, dass solche Ansätze einer „Misstrauensorganisation“ (Bleicher
1982) die mit mobiler Arbeit „systemlogisch“ kompatible Form der Führungsbeziehung geradezu konterkarieren. Das unverzichtbare, andauernde Vertrauen, das trotz Direktionsrecht aus naheliegenden Gründen nicht angeordnet werden kann, würde erst gar nicht entstehen bzw. wäre auf unabsehbare Zeit verloren.