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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Lohnarbeit bewirkt eine Subjektivierung

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Zusammenfassung

Das folgende Kapitel beleuchtet die erste Perspektive der in Abschnitt 2.3 beschriebenen Doppelten Subjektivierung: Wie durch arbeitsinhaltliche und -organisatorische Wandlungen ab den 1970er und 80er Jahren ein zunehmender funktionaler Bedarf an subjektiven Potenzialen innerhalb der Arbeitswelt zu erklären ist. Dabei stellt die hier vorgenommene getrennte Betrachtung von Arbeitsinhalten und Betriebsstrategien keine grundsätzlich verschiedenen Entwicklungen dar. Es handelt sich um zwei verschiedene Blickwinkel auf zum Teil ähnliche Entwicklungen, die deshalb auch ähnliche Subjektivitätsansprüche nach sich ziehen. Aus der Perspektive der Arbeitsinhalte lässt sich das Ende des Industrialismus – also der klassischen industriellen Produktion – erklären, die noch im Taylor-Fordismus für massenhafte Standardprodukte sorgte. Richtet man hingegen den Blick auf die betrieblichen Strategien lässt sich als Antwort auf die sozioökonomische Krise des Fordismus eine Abkehr von marktabgewandter fordistischer und hierarchiegeleiteter tayloristischer Arbeitsorganisation feststellen. Dies hat eine Umkehrung der ‚normalisierenden Eingrenzung‘ von Arbeit zur Folge und kommt somit dem Ende des Taylor-Fordismus als gesamtgesellschaftlicher Produktionsweise gleich.

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Fußnoten
1
Castells (2017) bemerkt allerdings, dass man nicht von einer grundlegenden De-Industrialisierung sprechen kann, sondern dass industrielle Produktion häufig auch einfach in andere Länder (z. B. den globalen Süden oder Osteuropa) outgesourct würde. Dies würde national betrachtet ebenfalls zu einer Abnahme des produzierenden, sekundären Sektors führen.
 
2
Mit Dienstleistungssektor ist an dieser Stelle nicht das arbeitsrechtliche Vertragsverhältnis gemeint, welches im Grunde alle abhängig Beschäftigten zu Dienstleistern macht (s. → S. 18). Es geht dabei um die eigentliche Art der Tätigkeit, wobei es auch hier keine eindeutige Grenze oder klare Definitionsmerkmale gibt, s. → S. 45.
 
3
Informatisierung lässt sich aus dieser Perspektive bis auf die Erfindung von Schrift- und Zeichensystem zurückführen. Sie ist demnach keine Erfindung der Moderne oder gar der industriellen Moderne. Ein erster Aufschwung lässt sich im späten Mittelalter feststellen als die entstehenden Handelsgesellschaften begannen den Umgang mit Informationen zu rationalisieren (Boes, 2005). Von einer Intensivierung dieses Prozesses im Sinne einer Informatisier-ung kann aber ab der industriellen Moderne durchaus gesprochen werden.
 
4
In den meisten Statistiken wird aber auch heute noch lediglich auf die Dreiteilung der Sektoren zurückgegriffen, weshalb hier Daten aus dem Jahr 1995 verwendet werden – was an dieser Stelle aber auch ausreicht.
 
5
Nach Reckwitz‘ Einschätzung wäre die Kunst- und Kulturindustrie u. a. für die Arbeitssoziologie eine „exotische Marginalie“ (ebd., S. 155), der die harte Realität der Industriemärkte fremd sei. In dieser Perspektive ist es nicht verwunderlich, dass in der Literatur der AIS wenig zu diesen strukturellen Veränderungen im Postfordismus zu finden ist. In der kulturalisierten Spätmoderne sei diese Marginalisierung laut Reckwitz aber nicht mehr korrekt.
 
6
Das moderne Kunstfeld hätte sich nach Reckwitz um 1800 herausgebildet und definiere sich im Gegensatz zur vormodernen Kunst – der es um Vollendung und Perfektionierung anerkannter Formen ging – über Originalität, Regelbrüche und die „Kreation des Einzigartigen“ (ebd., S. 97).
 
7
In Faust und Kädtlers Augen handele es sich also eher um einen Prozess der Intensivierung – vergleichbar mit dem der Subjektivier-ung, Tertiarisier-ung und Informatisier-ung. Minssen hält den -ismus einer neuen Kapitalismusformation aber für angebrachter, da sich mit Bezug auf Deutschmann in seinen Augen die neue Art des Kapitalismus auf das gesamte Institutionsgefüge moderner Gesellschaften auspräge: Beginnend bei globalen und nationalen Märkten über Banken und Nichtfinanzunternehmen bis hin zu privaten Haushalten und Individuen (2019, S. 14). Dass der Einfluss der Finanzmärkte über den Wirtschaftsbereich hinauswirke und deshalb als Bezeichnung für eine gesamte Gesellschaft angemessen erscheint, begründet auch Windolf damit, dass die „verschiedenen Sozialsysteme – z. B. Bildung, Politik, Kultur und Wissenschaft – […] nicht nur ökonomischen Zwängen [unterliegen] […], sondern politische Entscheidungen und Bildungsinhalte […] sich zunehmend an den Interessen und Erwartungen der Finanzmarkt-Akteure [orientieren].“ (2017, S. 137).
 
8
Inwieweit auch die – vereinfacht formuliert – ‚normale Bevölkerung‘ ein Teil dieser Entwicklung war, wird ebenfalls von Windolf beschrieben (2017, S. 137): In der Anfangszeit der fordistischen Ära hätten viele Beschäftigte in den entwickelten Staaten schlichtweg über mehr Kapital verfügt als noch zu dieser Zeit Waren zum Verkauf zur Verfügung standen. Ihrem Bedürfnis dieses Kapital sicher anzulegen und zu investieren gingen sie mit der Zeit aber nicht mehr selbst nach, sondern legten diese Aufgabe in die Hände von professionellen, institutionellen Anlegern (z. B. Investment- oder Pensions-Fonds-Managern), deren einzige Aufgabe es war Rendite zu erzielen.
Auch Minssen spricht den Angehörigen der Mittelschicht (neben den „(Super)-Reichen“ (2019, S. 17)) eine nicht unwesentliche Verantwortung an der Herausbildung des Finanzmarkt-Kapitalismus zu. Als Anleger in solche Fonds glaubten manche „ein Naturrecht auf Gewinn zu haben“ (Deutschmann 2008, S. 515, zitiert nach Minssen, 2019, S. 17) und würden die Folgen bzw. Bedingungen für Reichtum dabei übersehen: „Auf diese Weise tragen die Mittelschichten selbst zu den Dynamiken bei, deren Effekte gerade in diesen Schichten Ängste vor gesellschaftlichem Abstieg auslösen“ (Groh-Samberg et al. 2014, S. 220, zitiert nach Minssen, 2019, S. 17).
 
9
Zudem seien allein 40 % des Aktienkapitals in den USA bei den 20 größten Fonds konzentriert. Windolf beurteilt diese Lage folgendermaßen: „Berücksichtigt man, dass nicht alle Aktionäre an den Hauptversammlungen teilnehmen, wird deutlich, dass eine kleine Gruppe von institutionellen Investoren die Aktiengesellschaften in den USA kontrolliert“ (Windolf, 2017, S. 137).
Nimmt man eine noch weitere Perspektive ein und betrachtet alle Unternehmen weltweit, wird der Einfluss des Finanzsektors noch deutlicher: Nach einer Netzwerkanalyse aus dem Jahr 2011, die Dörre (2011) vorstellt, gäbe es weltweit insgesamt 37 Millionen Unternehmen. Davon würden 43.000 international agieren. Innerhalb dieser Gruppe gäbe es 1318 Firmen, die im Schnitt ca. 20 andere Unternehmen kontrollierten (das seien vier Fünftel des globalen Umsatzes). Von diesen 1318 Firmen bildeten wiederum 147 Unternehmen eine „Super-Struktur“, die durch überdurchschnittliche Kontrollmacht 40 % des globalen Unternehmensnetzwerks dominieren. Zu den 50 einflussreichsten dieser 147 Unternehmen zählten fast ausschließlich Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen.
 
10
Weiter heißt es im Zitat: „Die durch diese Konstellation erzeugte Konkurrenz treibt die Manager an den Rand der Legalität und häufig darüber hinaus. Seit mehr als einem Jahrzehnt beobachten wir eine zunehmende Kriminalität im Finanzsystem.“ (Windolf, 2017, S. 138).
 
11
Das Risiko trügen dabei nämlich nicht die institutionellen Anleger selbst, denn sie hätten ja jederzeit die Exit-Option und könnten sich somit von einem Unternehmen lossagen, das an der risikohaften Situation gescheitert wäre – dies mache sie zu „Eigentümern ohne Risiko“ (Windolf, 2008). Würden sie sich doch einmal verkalkulieren könnten v. a. „große Unternehmen der Finanzindustrie und vor allem Banken damit rechnen, dass der Staat rettend eingreift, da sie, wie es so schön heißt, ‚systemrelevant‘ sind“ (Minssen, 2019, S. 16) oder eben schlichtweg ‚too big to fail‘. Diese Risikobereitschaft bei gleichzeitiger Sicherheitsgewissheit sei eine wesentliche Ursache für die Finanzkrise von 2008 gewesen.
 
12
Institutionelle Anleger hielten Aktien an Unternehmen im Durchschnitt weniger als ein Jahr – Kleinaktionäre in Deutschland hingegen durchschnittlich 8,3 Jahre (Windolf, 2017, S. 139).
 
13
Dies liege zum Teil darin begründet, wie Entscheidungen in Unternehmen gefällt werden: Das habe nämlich im Grunde weniger mit ‚echter‘ Rationalität zu tun, sondern es sei viel entscheidender, welche Handlungen Rationalität lediglich symbolisierten (Minssen, 2019, S. 48). In Netzwerken von miteinander verbundenen Organisationen (z. B. Lieferanten, Unternehmen mit ähnlichen Produkten, aber auch Konsumenten der Dienste und Produkte usw.) gäbe es kollektive Annahmen darüber, was bspw. als rational ‚gelte‘ oder wie ein ‚modernes‘ Unternehmen auszusehen habe. Organisationen, die in diesen Netzwerken als besonders erfolgreich hervorstechen würden, z. B. erfolgreiche börsennotierte Unternehmen, hätten dabei eine Art Modell- oder Vorlagefunktion. Ihre unternehmerischen Entscheidungen und betrieblichen Strategien bildeten die Grundlage für das, was als ‚erfolgreich‘ angenommen würde. Andere Organisationen dieser Netzwerke würden sich in ihren Strukturen im Laufe der Zeit diesen erfolgversprechenden Modellen angleichen (ebd., S. 50), unabhängig davon ob der Erfolg des Vorlage-Unternehmens wirklich von deren betrieblicher Organisation abhänge oder überspitzt formuliert, vielleicht einfach nur ein glücklicher Zufall war. In dieser Lesart würden nicht-börsennotierte Unternehmen den Aktiengesellschaften ihrer Branche also schlichtweg ‚nacheifern‘, in der Annahme, dass man das jetzt einfach so mache und in der Hoffnung zu gleichem Erfolg zu gelangen.
Dementsprechend sei es auch falsch oft davon zu reden, dass der Markt irgendetwas fordere, sondern die Entscheidungen, wie man auf aktuelle Marktsituationen reagiere, seien von Verantwortlichen getroffen, die den Markt nur interpretierten: „Es war nicht der Markt, der seit den 1990er-Jahren zu den […] Reorganisationsprozessen in den Betrieben führte, sondern es wurde geglaubt, dass diese Maßnahmen geeignet sein könnten, die diagnostizierten (Markt-)Probleme beheben zu können“ (Minssen, 2019, S. 47).
 
14
Reckwitz verweist dabei wieder auf das Feld der Kunst als Ursprungsbereich des singulären Strebens. Dieses sei seit Beginn der Moderne von einer „unerbittlichen künstlerischen Wettbewerbslogik“ (ebd., S. 118) geprägt gewesen: „Die Kunst brauchte nicht erst nachträglich […] ökonomisiert werden, sie war von Anfang an in einer Drastik vermarktlicht […] wie kein anderes Feld der modernen Gesellschaft“ (ebd., S. 156).
 
15
Diese Arbeitskonzepte waren nicht vordergründig nur von privatwirtschaftlicher Seite getrieben: Auch politisch wurde versucht die eintönige und dadurch potenziell belastende Fließbandarbeit ‚humaner‘ zu gestalten. Staatliche Programme wie das der ‚Humanisierung des Arbeitslebens (HdA)‘ (1974–1989) erforschten wie Arbeitsinhalte vielseitiger und Arbeitsbeziehungen vielschichtiger gestaltet werden könnten. Politisch und gewerkschaftlich wurden die ‚Neuen Produktionskonzepte‘ deshalb sehr populär. Bemühungen dieser Art werden bis heute auch von den Gewerkschaften fortgesetzt, z. B. im DGB-Index ‚Gute Arbeit‘.
 
16
Wichtiger noch als besonders zu sein, sei aber auch hier wieder diese Besonderheit auch darzustellen, zu performen und damit Außergewöhnliches zu erreichen. Vor allem in der Team- und Projektarbeit performten alle vor- und miteinander und nur wer als authentisch und echt erlebt werde und ins Team passe werde positiv valorisiert und dürfe bleiben.
 
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Einzig die subjektive Entgrenzung hat in Kratzers Augen eine Subjektivierung der Arbeit zur Folge. In meinen Ausführungen tragen alle Entgrenzungsebenen zu einer Subjektivierung bei, da ich das aus der angegebenen Literatur auch so herausgelesen habe. Ich interpretiere diese Unstimmigkeit mit den bereits erwähnten Ausführungen von Kleemann, dass es in der Forschung unterschiedliche Konzeptionen von Subjektivität gibt und der Begriff mitunter als eine Art ‚Black Box‘ für alles Mögliche verwendet würde (s. → S. 8).
 
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Die Entgrenzung staatlicher Regulierungen wird in dieser Ausarbeitung nicht näher betrachtet.
 
19
Konzepte von ‚Unternehmenskultur‘ stammen ursprünglich aus dem Management- und Beratungsbereich der 1980er Jahre und beschäftigen sich mit kulturellen Wertmustern und kollektiven Verhaltensnormativen in Betrieben. Sie hätten aber im Gegensatz zu ‚betrieblichen Sozialordnungen „kaum soziologisch-empirische Forschung angeregt“ (Kotthoff, 2017, S. 92). Reckwitz sieht in der Entwicklung von Unternehmenskulturen, und dabei z. B. in der wirkungsvollen Erzählung der Unternehmensgeschichte, einen eigenen Prozess der ‚Kulturalisierung‘ (zum Begriff der Kulturalisierung vgl. → Exkurs in Abschnitt 3.​3), der dem Betrieb in den Augen der Beschäftigten einen „Wert“ verleihen und somit Identifikationspotenzial bieten soll (2021, S. 197).
 
Metadaten
Titel
Lohnarbeit bewirkt eine Subjektivierung
verfasst von
Friederike Glaubitz
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40806-0_4

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