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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Analytische Kontrastfolie: Taylor-Fordismus und industrielle Moderne

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Zusammenfassung

Die Zeit des Taylor-Fordismus und der industriellen Moderne bildet in ihrer gesamtgesellschaftlichen Ausprägung den Höhepunkt dessen, was Reckwitz als die ‚soziale Logik des Allgemeinen‘ bezeichnet. Der Taylorismus standardisierte dabei zunächst die betriebliche Arbeitsorganisation und idealisierte einen effizient planbaren Produktionsprozess. Der Fordismus standardisierte ergänzend dazu als Taylor-Fordismus die gesamtgesellschaftliche Produktionsweise und hatte somit Einfluss auf die gesamte Lebensweise der Lohnarbeitenden. Dabei wurde die Standardisierung, Formalisierung und Generalisierung aller sozialen Einheiten einer Gesellschaft angestrebt mit dem Ziel der sozialen Ordnung, Planbarkeit und Teilhabe. Dieses Streben nach dem Allgemeinen und allgemeiner Berechenbarkeit und somit gleichzeitig nach Transparenz von wirtschaftlicher, aber v. a. auch sozialer Ordnung und Gleichförmigkeit in jeglicher verstärkten sich zu Beginn des 20. Jhds. und gipfelten im Taylor-Fordismus der 1950er bis 1970er Jahren. Subjektivität wird in dieser Zeit vom Störfaktor zu einem kollektiven Phänomen, das als Bedürfnis einer Gesamtheit der Arbeiterschaft in ökonomische Prozesse zurückkehrt und patriarchalisch berücksichtigt wird. Im Gegenzug wird an die Arbeitenden ein fachlicher und arbeitsdisziplinarischer Kompetenzanspruch gestellt, um betriebliche Ziele zu erreichen. Als Ort und Zeit für eine individuell unterschiedliche Subjektivität verfestigt sich die lohnarbeitsfreie Zeit, die von kollektiven Interessensvertretungen der Arbeiterschaft zu deren Gunsten und möglicherweise zum Preis der Negierung individueller Subjektivität in der Lohnarbeitszeit erweitert wird. Diese Form der gesellschaftlichen Produktion hatte neben kulturellen auch wirtschaftliche Grenzen, wodurch sie an ihr Ende kam. In diesem Krisenzeitraum formiert sich die bereits skizzierte doppelte Subjektivierung von Arbeit.

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Fußnoten
1
Die jeweils ursprünglichen Konzepte des Taylorismus und Fordismus hatten wenig gemeinsam (Schmidt, 2017a, S. 144): Taylor hatte die effiziente Rationalisierung manueller Arbeit im Sinn, wohingegen Ford bei der fabrikmäßigen Massenproduktion seiner Automobile auf Effizienz durch Mechanisierung abzielte (Sinnbild des Fordismus ist bis heute das Fließband, obwohl die Idee der passgenauen Einzelbauteile, die schnell zusammengesetzt und getauscht werden konnten, ein wesentlich ausschlaggebenderer Punkt zur Herstellung großer Stückzahlen gewesen sei. Das Fließband war quasi nur ein logischer Folgeschritt). Werden die beiden Arbeitskonzepte deswegen anfangs noch als völlig verschiedenartige Rationalisierungsmethoden aufgefasst, gelten sie heute als „sich ergänzende Varianten der gleichen Produktionsmethode“ (Schmidt, 2017b, S. 293): Der effizient durchrationalisierten Massenproduktion.
 
2
Die Legende besagt, dass Ford anstrebte, dass sich jeder Arbeiter irgendwann einen eigenen Ford leisten können sollte. Schmidt zitiert ihn allerdings mit dem gegenteiligen Statement: „Bei all dem war […] keinerlei Wohltätigkeit im Spiel“ (Schmidt, 2017a, S. 145). Vielmehr musste er auf die dramatische Fluktuation in seiner Fabrik aufgrund von „Arbeitshetze“ (ebd.) reagieren.
 
3
Nach Reckwitz‘ Meinung sei auch der Staatssozialismus der DDR mit seiner Abkopplung der Produktion von jeglicher Marktlogik die auf die Spitze getriebene Logik fordistischen Produzierens (2021, S. 151) bzw. mit seinem zentralen Planungsimperativ sogar eine noch viel radikalere und reinere Spielart der rationalistischen und verallgemeinernden Moderne im Ganzen (s. a. → Exkurs in Abschnitt 3.3.2). Die westlich-kapitalistische Version, namentlich der ‚Fordismus‘, hätte sich langfristig jedoch als einflussreicher erwiesen (Reckwitz, 2021, S. 42 f.). Ganz allgemein gesprochen wird auf Entwicklungen dieser Zeit in der DDR im arbeits- und industriesoziologischen Diskurs an kaum einer bis wenigen Stellen Bezug genommen, sondern vorrangig der Kontrast zu Westdeutschland und eben dem Fordismus hervorgehoben.
 
4
Kocka (2016) führt auch aus, dass dies in der Menschheitsgeschichte eine Ausnahme darstellte, denn für die meisten vorindustriellen Zeiten galt, dass der Lebensunterhalt immer aus mehreren Quellen bestritten wurde: innerhalb eines Tages, eines Jahres oder eines ganzen Lebens.
 
5
Der Fordismus zeichnet sich ebenfalls durch eine starke Trennung der Geschlechterrollen aus: Während Männer in erwerbsmäßigen ‚Normalarbeitsverhältnissen‘ für die finanzielle Existenz sorgten, sicherten Frauen im Haushalt die dafür nötige reproduktive Existenz. ‚Normal‘ sei das Normalarbeitsverhältnis dabei aber nur für wenige gewesen, denn auch für Männer hätte es sich mehr um eine Norm als eine Normalität gehandelt (Kocka, 2016). Auf die ausführlich besprochenen Geschlechterrollen im Subjektivierungsdiskurs (bspw. Lohr & Nickel, 2005) wird in dieser Ausführung nicht näher eingegangen.
 
6
Um 1870 betrug die wöchentliche Arbeitszeit im industriellen Sektor noch ca. 100 Stunden – bei bis zu 16 Arbeitsstunden am Tag an bis zu sieben Tagen in der Woche für 365 Tage im Jahr bis zum Tod. 1919 hatte sie sich auf ca. 48 Wochenarbeitsstunden reduziert (Prahl, 2010, S. 406). Eine gesamthistorische Verbesserung stellte dies allerdings nicht dar, denn vor der Industrialisierung kam man in manchen Landstrichen Europas aufgrund der arbeitsfreien Sonntage und zahlreicher Feiertage auf fast 200 (!) arbeitsfreie Tage im Jahr. Ein Industriearbeiter von heute arbeite nach Prahl im Schnitt nicht weniger als ein Handwerker um 1470 (ebd., S. 407). Der wesentliche Unterschied liege aber in der rhythmischen Verteilung der Arbeit über das gesamte Jahr.
 
7
Die Gründe dieses Motivwechsels im Arbeiterkampf sind nicht Thema dieser Ausarbeitung. Hinweise, dass die Arbeitnehmer-Interessenverbände mit Aussicht auf einen Kampf ungleicher Machtverhältnisse resigniert und versucht haben, das Beste daraus zu machen, kann man z. B. im Jahrbuch des Deutschen Holzarbeiter-Verbandes von 1913 suchen, wo es heißt: „Es wäre ein Sisyphusunternehmen, aus der modernen Produktionsweise die Tendenz entfernen zu wollen, die den Arbeiter zwingt, Tag für Tag seine Kräfte bis zum äußeren – und leider oft genug darüber hinaus – anzustrengen. Man müßte (sic) dann die Arbeitsteilung wieder aufheben und die Maschinen, die den Geist der unermüdlichen Rastlosigkeit in die Produktionsverhältnisse getragen haben, zerschlagen. Gegen die Naturgesetze der technischen Entwicklung anzukämpfen, wäre heller Wahnsinn, und darum bleibt den Arbeitern nichts übrig, als eine Verkürzung der Arbeitszeit zu fordern und zu erkämpfen.“ (zitiert nach Scharf, 1988, S. 519, Hervorh. nicht i. O.)
 
8
Bis in die 1990er Jahre hinein orientierte sich die Freizeit-Definition ausschließlich an der Erwerbsarbeit und wurde schlichtweg als ihr Gegensatz verstanden (Prahl, 2010, S. 408). Weitere Definitionen des Freizeitbegriffs s. ebd.
 
9
Dieselben Entwicklungen führten allerdings gleichzeitig zu einer Erhöhung der sog. ‚Obligationszeit‘: Eine Zeit, die einen „mehr oder minder verpflichtenden Charakter“ besitzt, wie eben z. B. Zeiten der Bildung, der staatsbürgerlichen Pflichten, aber bspw. auch der persönlichen Hygiene und der Organisation des Lebens. Eine tatsächliche Zunahme der wirklich frei und in Eigenregie gestaltbaren sog. ‚Dispositionszeit‘ ist mit der Abnahme der Erwerbsarbeitszeit nach Prahl also „nicht zwingend“ (2010, S. 407) verbunden.
 
Metadaten
Titel
Analytische Kontrastfolie: Taylor-Fordismus und industrielle Moderne
verfasst von
Friederike Glaubitz
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40806-0_3

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