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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Die These der Subjektivierung von Arbeit

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Zusammenfassung

Subjektivität ist das Ensemble von persönlichen Eigenheiten, welches es dem individuellen Menschen ermöglicht mit seiner aktuellen Umwelt zu interagieren. Vor allem für Arbeit als zielgerichtete Handlung werden subjektive Potenziale benötigt, um die vorausgeplanten Ziele zu erreichen. Im Speziellen bei Lohn- als Dienstleistungsarbeit kommt es auf die Eigenschaften der arbeitenden Personen an, um nützliche Gebrauchswerte zu erschaffen. Die Teile des Ensembles, die zur Bewältigung von Arbeit benötigt werden, bezeichnet man zusammenfassend als Arbeitskraft. Die eingeschränkte Sichtweise, dass es sich dabei immer um rational explizierbare Fähig- und Fertigkeiten handelt, verleitete zum Ende des 19. Jhds. zur Annahme und zum Versuch diese Arbeitskraft vom Individuum trennen und abschöpfen zu können und somit zu objektivieren. Betriebliche Organisationsstrategien des Taylorismus zielten darauf ab die gesammelten Abschöpfungen in vorstrukturierten und optimierten Teilarbeitsschritten wieder standardisiert zu vereinen, um effiziente Arbeit unabhängig vom Individuum und seiner Subjektivität sicherzustellen und somit ökonomische Planungssicherheit mathematisch-wissenschaftlich zu gewährleisten. Rigide Kontrollen sollten auch das Transformationsproblem der Arbeit weitestgehend extern steuerbar machen. Arbeitssoziologische Analysen zeigen jedoch, dass weder die Arbeitskraft an sich, noch ihre Umwandlung in Arbeit vom Individuum gelöst werden können und somit aufs Engste mit ihm verbunden bleiben. Die arbeitssoziologische These der ‚Subjektivierung von Arbeit‘ konstatiert als Zeitdiagnose nun auch die Rückkehr der Subjektivität in die Lohnarbeitswelt und attestiert ihr dort einen zunehmenden Bedeutungsgewinn seit Mitte der 1980er Jahre. Dabei bedingen eine veränderte Arbeitsstruktur und -organisation einen erhöhten betrieblichen Bedarf an Subjektivität. Gleichzeitig wird Lohnarbeit von den Beschäftigten selbst (rück)-subjektiviert, indem diese ihre subjektiven Potenziale mehr einbringen und diese Möglichkeit der Einbringung auch von Unternehmen fordern.

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Fußnoten
1
Der Begriff hat laut Conze (1992) noch keine vollständig aufgearbeitete Begriffsgeschichte. Seit der Antike und bis ins 18. Jhd. hatte er einerseits die passive Bedeutung „Mühe, Qual und Last“ (ebd., S. 154) [lat. labor = Mühe], aber spätestens seit dem Hochmittelalter ebenfalls eine aktive Bedeutung im Sinne einer „bejahten und gesuchten Anstrengung um eines Zieles willen“ (ebd.). Kocka (2016) fasst die Entwicklung des Arbeitsbegriffs wie folgt zusammen: Bis 1800 umfasste der Arbeitsbegriff noch alle körperlichen und geistigen Tätigkeiten, die einen Zweck außerhalb ihrer selbst hatten (s. a. → Exkurs ‚Was ist Flow bzw. Muße?‘ in Abschnitt 5.​2.​1). Im Laufe des 19. und 20. Jhd. verengte sich der Arbeitsbegriff auf die Erwerbsarbeit, deren Produkte und Leistungen allein zum Zweck des Tausches hergestellt wurden, um daraus ein Einkommen zum Überleben zu generieren.
 
2
Es bildete sich eine große Schicht der Lohnarbeiterschaft, die in den im Zuge der Industrialisierung neu entstehenden zentralen Fabriken beschäftigt waren. Vor allem durch die Analysen von Karl Marx rückte diese Arbeiterschaft ins Zentrum des Forschungsinteresses.
 
3
Dazu zählen lt. Definition des Statistischen Bundesamtes: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, Personen in beruflicher Ausbildung einschl. Praktikanten und Volontäre, geringfügig entlohnte und kurzfristig Beschäftigte, Beamte, Richter, Soldaten, Personen im freiwilligen Wehrdienst und Freiwilligendienst, Personen in Beschäftigungsprogrammen, Leiharbeiter, Heimarbeiter, Anteilseigner von Kapitalgesellschaften, wenn sie in diesen Gesellschaften arbeiten sowie Führungskräfte und Hauspersonal. Personen, die vorübergehend nicht arbeiten, gelten ebenfalls als Arbeitnehmer, sofern sie formell mit ihrem Arbeitsplatz verbunden sind und sich z. B. gerade in (Eltern-)Urlaub, Krankheit, Altersteilzeit usw. befinden. (Statistisches Bundesamt, o. J.)
 
4
Noch einmal explizit herauszustellen ist, dass dies nicht mal annähernd dem Gesamtanteil der Bevölkerung entspricht, da die Menge der Erwerbstätigen selbst nur einen Anteil von ca. 54 % an der Gesamtbevölkerung von 83.222.442 Menschen im Jahr 2021 ausmacht (Statistisches Bundesamt, 2022a). Die Lohnabhängigen bilden demnach einen Anteil von ca. 49,2 % an der Gesamtbevölkerung (s. ebenfalls Abb. 2.1).
 
5
Castells hält dieses Charakteristikum allerdings für mittlerweile „sinnentleert“ (2017, S. 254). Näheres zum Dienstleistungssektor s. → Abschnitt 4.​1.​1.
 
6
Dabei muss es sich nicht immer um eine Einzelperson handeln, denn auch Gruppen können Arbeitsergebnisse oder -handeln ‚selbst verbrauchen‘. Im Bereich der Befriedigung von eher objektiven Existenz- und Grundbedürfnissen, v. a. von Nahrung, spricht man beim Eigenverbrauch von Subsistenzarbeit oder auch von Bedarfswirtschaft (M. Weber, 1922, Erster Teil, Kapitel 1, § 1), wenn nicht nur ein Einzelner, sondern eine kleine Gemeinschaft für ihre eigene Selbstversorgung arbeitet. Das übergeordnete Ziel bei dieser Art von Arbeit ist die Erschaffung von guten Gebrauchswerten, wie auch Dörre und Haubner anmerken: „Charakteristikum der Subsistenzarbeit ist […], dass sie primär der Produktion von Gebrauchswerten dient“ (2012, S. 68). Marx spricht dieser Art von Arbeit jeglichen Tauschwert ab, da die Produkte nicht zu Waren werden: „in der altindischen Gemeinde ist die Arbeit gesellschaftlich geteilt, ohne daß (sic) die Produkte zu Waren werden“ (Marx, 1962 [1867], S. 56).
 
7
Oft wird bei marktwirtschaftlichen Tauschgeschäften auch erwerbswirtschaftlich gehandelt, d. h., dass beim Tausch ein Gewinn für den Arbeitenden erzielt werden soll – dafür müsste der Angebotspreis dann grundsätzlich höher sein als die Produktionskosten.
 
8
Das zeigt sich auch in der aktuellen Corona-Debatte bei der Bezahlung systemrelevanter Berufe.
 
9
Historisch wurden seit der Sesshaftwerdung der Menschheit verschiedenste Zwangsmaßnahmen angewendet, um Arbeitsmotivation zu erzeugen, bspw. durch:
  • Gewalt, Folter und Fremddisziplinierung (z. B. bei Sklaven in der Antike oder auch in der Gegenwart oder auch bei Insassen von Arbeitshäusern ab Beginn des 17. Jhds. ausgehend von England und verbreitend über Europa)
  • Erpressung mit oder Realisierung des Verlustes der Existenzsicherung (z. B. bei der Umwandlung von öffentlich nutzbaren landwirtschaftlichen Allmende-Flächen in Privatbesitz durch sog. ‚Einhegungen‘ bzw. ‚Enclosures‘ beginnend im 14. Jhd. in England und sich mit der Industrialisierung ausbreitend über Europa, v. a. zum Ende des Feudalismus)
  • Sanktionen und Bestrafungen in Form von Lohnentzug (z. B. im Taylorismus)
Begründet wurden diese Maßnahmen oft mit einer ‚natürlichen‘ Faulheit der Menschen, die es zu bekämpfen galt. Der Sozialphilosoph Oskar Negt bezeichnet diese grundsätzliche Haltung als „Bodensatz der Gegenaufklärung“ (1988, S. 539). Sie sei historisch unhaltbar, da Menschen immer schon schöpferisch tätig gewesen seien. Negt identifiziert, die durch solche Maßnahmen bekämpfte ‚Faulheit‘ vielmehr als ein Produkt genau solcher Maßnahmen: Als ein durch Arbeitsleid vermitteltes Produkt eines gesellschaftlichen Systems, dessen Rechtfertigung zum Arbeitszwang auf genau dem Arbeitsleid beruht, den dieser Zwang hervorruft. „Daß (sic) der Mensch von Natur aus faul sei, ist die Grundauffassung einer politischen Anthropologie, von der alle Herrschaft zehrt“ (ebd., Hervorh. i. O.).
 
10
In Bezug auf das wechselseitige Abwarten und Reagieren kann hier eine Ähnlichkeit zur Resonanztheorie des Soziologen Hartmut Rosa festgestellt werden, der das ‚gute Leben‘ in einer beschleunigten Welt ebenfalls an einer resonanten, d. h. sich gegenseitig in Schwingung versetzenden Beziehung zur Umwelt festmacht: „Gelingende Weltbeziehungen sind solche, in denen die Welt den handelnden Subjekten als ein antwortendes, atmendes, tragendes, in manchen Momenten sogar wohlwollendes oder entgegenkommendes ‚Resonanzsystem‘ erscheint.“ (Rosa, 2012, S. 415, vgl. a. Rosa, 2019)
 
Metadaten
Titel
Die These der Subjektivierung von Arbeit
verfasst von
Friederike Glaubitz
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40806-0_2

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