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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Lohnarbeit wird subjektiviert

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Zusammenfassung

Als Antwort auf die als einengend empfundenen Regulierungen der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation des Fordismus wird in der postfordistischen Spätmoderne auch auf der soziokulturellen Ebene eine Dynamisierung festgestellt: Eine Dynamisierung der Individualitäten. Baethge bemerkt, dass junge Industriearbeiter Anfang der 1990er Jahre die Einbringung subjektiver Potenziale in die Lohnarbeit reklamieren. Sie wollen ihre individuellen Qualifikationen entfalten und weiterentwickeln sowie sich mit ihrer Tätigkeit – und nicht zwingend mit dem Betrieb – identifizieren. In Reckwitz’ Augen ist dies als gesamtgesellschaftlicher Wertewandel zu lesen, der sich – ausgehend von der akademischen, neuen Mittelklasse – zunehmend auf die gesellschaftliche Arbeitsweise und alle Branchen auswirkt. Dabei wollen die Menschen in ihrem gesamten Alltag und deshalb auch in ihrer Lohnarbeit einzigartig und singulär sein und sich darin selbst verwirklicht sehen. Postfordistische betriebliche Strategien der Arbeitsorganisation, die sich an kreativer Arbeitsweise orientieren, stellen bereits das Idealbild einer solchen singulären Arbeitsweise dar, wodurch eine Akzeptanz, Beförderung und Erweiterung von Entgrenzungs- und Subjektivierungstendenzen angenommen werden kann. Eine ähnliche Schlussfolgerung ergibt sich, wenn man diese Ansprüche als ideologisierte Subjektivität betrachtet, bei der durch gesellschaftliche Diskurse eine idealistische Überformung von Werten wie Selbstbestimmung, Souveränität, Flexibilität und Unternehmertum stattfindet. Im Großen und Ganzen lässt sich so ein komplexer Prozess wohl aber nicht auf einzelne Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zurückführen. Es handelt sich vielmehr um eine gegenseitige Wechselwirkung, bei der sich die An- und Einforderungen der Spätmoderne wechselseitig verstärken.

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Fußnoten
1
Z.  B. kann man an Tätigkeiten Interesse haben, die hohes manuelles Geschick abverlangen oder der persönliche Umgang mit Menschen ist einem wichtig oder man möchte gerne an Macht partizipieren oder legt Wert auf eine ethisch verantwortliche Tätigkeit (Baethge, 1991, S. 276).
 
2
Dies sind übrigens auch zwei der Merkmale, die Csikszentmihalyi zum Erreichen des Flow-Zustandes identifiziert (zum Begriff des ‚Flow‘ s. ff.): Die Handlungsanforderungen müssten im Gleichgewicht mit den Fähigkeiten der Person stehen und dürften sie weder angstvoll überfordern noch zu gelangweilter Unterforderung führen (2019 [1975], S. 75).
 
3
Im Alltag ist diese strenge Grenze zwischen Arbeit und Muße natürlich nicht so eindeutig zu spüren: z. B. finden es viele Hobbyköche wahrscheinlich auch gut, wenn am Ende des Abends als Ziel des Kochens im Mußemodus dann doch eine genießbare Mahlzeit auf dem Tisch steht, denn um noch einmal von vorne anzufangen bleibt vielleicht gar keine Zeit. Das Ziel eines genießbaren Produkts zum Zweck der Nahrungsaufnahme ist bei Ausführung der Tätigkeit also durchaus im Bewusstsein präsent – Freude, Spaß und das Erleben eines Flows dabei aber nicht völlig ausgeschlossen. Und auch der Profikoch im Sternerestaurant, dessen Hauptziel natürlich eine schmackhafte Mahlzeit ist, welche die Gäste zufriedenstellt, wäre sicher nicht in dieser Position, wenn er das Spiel und mußevolle Experiment mit den Zutaten nicht auch hin und wieder oder besser noch öfter genießen würde.
 
4
Die Betonung legt Reckwitz dabei eindeutig auf das Wort ‚Klasse‘, da sich in der Spätmoderne der Beginn einer neuen Klassengesellschaft abzeichne (zur Polarisierung der Gesellschaft s. a. → Exkurs in Abschnitt 7.​3.​1), die sich deutlich von der sozialen Schichtung des Fordismus unterscheide, welche nämlich durch ihren sozialpolitisch ausgleichenden oder ‚nivellierenden‘ Charakter und ihre ‚normalisierenden‘ Lebensformen viel eher einer klassenlosen Gesellschaft glich, die in ihrer ‚Mitte‘ oder eben Mittelschicht fast 90 % der Bevölkerung versammelt hätte (2021, S. 276 f.).
 
5
Dass diese künstlerisch-expressive Selbstverwirklichungs-Arbeit in (lohn-)abhängigen Verhältnissen ausgeführt wird, erscheint ihm dabei nicht als Widerspruch, da Designarbeit „von vornherein auf dem Muster einer nicht freien, sondern gebundenen Kreativität [basiert], die mit dem Rezipienten und Nutzer kooperiert“ (Reckwitz, 2021, S. 218).
 
6
Diese „fragile Balance“ (ebd., S. 342) zwischen den vorteilhaften Werten der Bürgerlichkeit und der Romantik sei allerdings nur in Ausnahmefällen zu erreichen (z. B. als erfolgreicher Künstler oder Startup-Unternehmer). Auch in der creative economy gäbe es durchaus strukturell-prekäre Arbeitsverhältnisse (z. B. als Freelancer) (ebd., S. 186), welche die bürgerlichen Status- und Erfolgswerte nicht erreichen. Und auch Pongratz und Voß (2000) sehen allein im Vorgang oder in der Vorgabe der Selbst-Ökonomisierung (s. → Abschnitt 4.​3.​2.​2) noch keine Garantie für Erfolg. Sie unterscheiden deshalb den Arbeitskraft-Erfolgsunternehmer und den Arbeitskraft-Tagelöhner, wobei Letzterer die Selbstvermarktung nicht gewinnbringend für sich einsetzen kann. Im Anschluss daran merken Matuschek, Kleemann und Brinkhoff (2004, S. 117 f.) aber an, dass diese sog. Arbeitskraft-Tagelöhner möglicherweise gar nicht selbst darüber entscheiden, ob sie ihre Arbeitskraft vermarkten wollen, sondern aus existenziellen Gründen möglicherweise keine Alternative hätten. Ganz im Gegenteil kann der Verbleib in einem strukturell-prekären Arbeitsverhältnis auch eine individuelle Entscheidung sein, die sich aus anderen Lebenszusammenhängen und daraus entstehenden Handlungslogiken ergäbe (s. a. → S. 125).
 
7
Bzw. dreier Veränderungen, denn Reckwitz misst der Technologisierung und Digitalisierung eine ebenso große Bedeutung bei (ebd., S. 106).
 
8
Weiterführend beschäftigen sich im Anschluss an Foucaults Machtanalysen auch die sog. ‚Gouvernmentalitätsstudien‘ ausführlich mit Phänomenen, Diskursen und kulturellen Leitbildern, die sich auf bestimmte ‚Techniken des Selbst‘ beziehen.
 
Metadaten
Titel
Lohnarbeit wird subjektiviert
verfasst von
Friederike Glaubitz
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40806-0_5

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