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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Macht die Pensionierung gesund oder krank?

verfasst von : Sabrina Stadelmann

Erschienen in: Die Wirtschaft im Wandel

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Viele Länder Europas reformieren ihre Rentensysteme. Eines der Hauptziele ist die Erhöhung des Rentenalters, um die finanzielle Stabilität der Rentensysteme angesichts steigender Lebenserwartung zu sichern. So wollen z. B. Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien und die Niederlande das Rentenalter schrittweise von 65 auf 67 Jahre anheben. Was sind die zu erwartenden Folgen einer Pensionierung für die Gesundheit? Wenn die Pensionierung tatsächlich Auswirkungen auf den Gesundheitszustand hat, sind weitere Folgen für die Kosten im Gesundheitswesen zu erwarten.
Norma B. Coe und Gema Zamarro (2011), Retirement effects on health in Europe, Journal of Health Economics 30, 77–86.
Relevanz
Viele Länder Europas reformieren ihre Rentensysteme. Eines der Hauptziele ist die Erhöhung des Rentenalters, um die finanzielle Stabilität der Rentensysteme angesichts steigender Lebenserwartung zu sichern. So wollen z. B. Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien und die Niederlande das Rentenalter schrittweise von 65 auf 67 Jahre anheben. Was sind die zu erwartenden Folgen einer Pensionierung für die Gesundheit? Wenn die Pensionierung tatsächlich Auswirkungen auf den Gesundheitszustand hat, sind weitere Folgen für die Kosten im Gesundheitswesen zu erwarten.
Quelle
Norma B. Coe und Gema Zamarro (2011), Retirement effects on health in Europe, Journal of Health Economics 30, 77–86.
Die schwierige finanzielle Zukunft der Schweizer Altersvorsorge ist spätestens seit der Abstimmung zur Rentenreform 2020 bekannt. Die steigende Lebenserwartung zusammen mit tiefen Zinserträgen auf das Alterskapital lassen die Defizite wachsen. Mit der Ablehnung der Rentenform 2020 am 24. September 2017 dürfte die Diskussion, ob das Rentenalter in der Schweiz angehoben werden muss, noch akuter werden. Kaum thematisiert sind dabei die Folgen der Pensionierung für das Gesundheitswesen: Macht die Pensionierung die Menschen gesünder oder kränker? Diese Frage untersuchen Norma B. Coe vom Boston College und Gema Zamarro der RAND Corporation mit Querschnittsdaten aus dem Jahr 2004 für elf europäische Länder.
Die Pensionierung ist ein bedeutender Einschnitt im Erwachsenenleben. Während die einen sich auf das Ende von beruflichem Stress und körperlicher Belastung freuen und die neue Freiheit positiv erleben, fällt anderen die Neuorientierung ohne vorgegebene Tagesstruktur und Einbindung in die aktive Arbeitswelt schwer. In der bisherigen Forschung sind die Auswirkungen der Pensionierung auf die Gesundheit noch nicht verlässlich geklärt. Es liegen Ergebnisse mit positiven und negativen Auswirkungen vor. Coe und Zamarro (2011) untersuchen daher erneut, wie sich die Pensionierung auf die subjektive und objektive Gesundheit von Europäern auswirkt. Hierfür werten die Wissenschaftler Umfrage-Daten aus dem Jahr 2004 aus und schätzen durchschnittliche Effekte für die folgenden elf europäischen Länder: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Holland, Italien, Österreich, Schweden, Schweiz und Spanien.
Um Rückschlüsse auf die Gesundheitsfolgen der Pensionierung zu ziehen, reicht es nicht, einfach den Gesundheitszustand der Pensionierten mit jenem der noch aktiven Personen zu vergleichen. Auf der einen Seite kann die Pensionierung die Gesundheit beeinflussen. Umgekehrt dürfte aber die Wahl des Pensionierungszeitpunkts stark vom Gesundheitszustand abhängen. A priori ist die Richtung dieses Zusammenhangs, also was Ursache und was Wirkung ist, keinesfalls eindeutig. Eine Person mit schlechter Gesundheit lässt sich vermutlich aufgrund der grösseren Belastung durch die Arbeit eher früher pensionieren. Andererseits setzt eine Frühpensionierung einen gewissen Wohlstand voraus. Da ein höherer Wohlstand im Durchschnitt mit einer besseren Gesundheit einhergeht, könnten sich gerade die gesünderen Menschen eher frühpensionieren lassen. Coe und Zamarro (2011) lösen das Problem der beidseitigen Wechselbeziehung zwischen dem Pensionierungszeitpunkt und der Gesundheit, indem sie den Gesundheitszustand nur von jenen Personen vergleichen, welche leicht jünger bzw. leicht älter als das gesetzlich vorgegebene Rentenalter sind. Das gesetzliche Rentenalter wird für das ganze Land bestimmt und kann daher weder vom individuellen Gesundheitszustand noch von der persönlichen Ruhestandsentscheidung beeinflusst werden. Auf diesem Weg können sie den tatsächlichen kausalen Effekt der Pensionierung auf die Gesundheit isolieren.
Viele Schweizer arbeiten deutlich länger, als das Gesetz ihnen vorschreibt: lediglich 73 Prozent der Schweizer lassen sich zum Zeitpunkt des offiziellen Rentenalters von 65 Jahren pensionieren.
Personen in der Nähe des offiziellen Rentenalters zu vergleichen macht allerdings nur dann Sinn, wenn das gesetzlich vorgegebene Rentenalter die Personen auch dazu veranlasst, wirklich in Pension zu gehen. Die Mehrheit aller Personen richtet ihren Pensionierungszeitpunkt tatsächlich nach dem gesetzlichen Pensionsalter aus. In den meisten Ländern lassen sich mehr als 90 % der Bevölkerung spätestens zum gesetzlich vorgegebenen Alter pensionieren. Das gesetzliche Rentenalter liefert daher eine relativ genaue Vorhersage für das Pensionierungsverhalten. Nur die Schweizer scheinen gerne deutlich länger arbeiten zu wollen, als das Gesetz ihnen vorschreibt: lediglich 73 % der Schweizer, die das vorgeschriebene Rentenalter von 65 Jahren überschritten haben, sind pensioniert.
In ihrer Analyse kommen die Wissenschaftler zu dem zentralen Ergebnis, dass die Pensionierung zu einer Steigerung der Gesundheit führt. Die Wahrscheinlichkeit, eine unterdurchschnittliche, d. h., eine nur durchschnittliche, schlechte oder sehr schlechte Gesundheit zu melden, reduziert sich nach der Pensionierung um 35 %. Die Wissenschaftler messen die Gesundheit jedoch nicht nur nach der befragten Selbsteinschätzung, sondern auch mit einem Gesundheitsindex, der objektive Gesundheitskennzahlen wie z. B. Übergewichtigkeit (Body Mass Index, BMI) oder Griffstärke einer Person beinhaltet. Die Pensionierung führt auch zu einer signifikanten Verbesserung des Gesundheitsindexes. Allerdings werden die Gesundheitsfolgen nur zum Zeitpunkt der Pensionierung gemessen. Eine Pensionierung kann die Gesundheit aber nicht nur in der kurzen Frist, sondern auch über längere Zeit hinweg beeinflussen. In diesem Fall unterschätzt der gemessene Effekt die tatsächlichen langfristigen Gesundheitsfolgen einer Pensionierung.
Die Wahrscheinlichkeit, eine nur durchschnittliche, schlechte oder sehr schlechte Gesundheit zu melden, reduziert sich nach der Pensionierung um 35 Prozent.
Abb. 1 veranschaulicht den positiven Effekt der Pensionierung auf die Gesundheitswahrnehmung, in dem sie das Alter der untersuchten Personen deren Selbsteinschätzung zur Gesundheit gegenüberstellt. Die durchgezogene Linie betrifft Dänemark, welches kein gesetzliches Frühpensionierungsalter kennt. Die anderen Länder sind nach ihrem gesetzlichen Frühpensionierungsalter (zum Zeitpunkt der Untersuchung) gruppiert. In Schweden beispielsweise liegt diese Altersschwelle bei 61 Jahren, während das normale Pensionierungsalter 65 Jahre beträgt. Mit Überschreiten des Frühpensionierungsalters geht der Anteil schlechter Gesundheitsangaben gegenüber dem Vorjahr markant zurück. Diese Beobachtung trifft zum Beispiel auch für die Italiener und Griechen zu, die sich bereits mit 57 Jahren vorzeitig pensionieren lassen können. Mit Erreichen dieser Altersgrenze sind die schlechten Gesundheitsangaben deutlich geringer als im Jahr zuvor. In Deutschland liegt das Frühpensionierungsalter bei 63, und auch dort ist die Gesundheitswahrnehmung plötzlich signifikant besser als vorher. Mit Erreichen der Altersschwelle für eine mögliche Frühpensionierung ist also eine deutliche Verbesserung der Gesundheitswahrnehmung erkennbar.
Die Wissenschaftler schlagen in ihrer Untersuchung eine Wohlfahrtsanalyse vor, welche die verschiedenen Kosten und Nutzen einer späteren oder vorzeitigen Pensionierung gegenüberstellen sollten. Der Nutzen liegt vorwiegend bei den Individuen, die sich nach einer Frühpensionierung merklich gesünder fühlen. Die Kosten fallen eindeutig im Pensionssystem an, weil die vorzeitig Pensionierten Leistungen beziehen und keine Beiträge mehr entrichten, obwohl sie nach ihrem Gesundheitszustand hätten länger arbeiten können. Das Ergebnis von Coe und Zamarro (2011) legt jedoch nahe, dass Einsparungen im Gesundheitswesen möglich sein könnten, wenn sich nach der Pensionierung der Gesundheitszustand tatsächlich verbessert. Solche Auswirkungen auf die Kosten im Gesundheitswesen werden jedoch von Coe und Zamarro (2011) nicht untersucht. Auch ist nicht klar, warum die Verbesserung des Gesundheitszustands eintritt. Es könnte sein, dass nach der Pensionierung mehr Zeit für gesundheitsfördernde Aktivitäten bleibt, wie z. B. Sport, gesellschaftliche Aktivitäten, bis hin zu einer bewussten gesundheitsorientierten Ernährung. Auch mehr Schlaf und die Entlastung von beruflichem Stress könnten der Gesundheit förderlich sein. Gegenteilige Effekte wie z. B. Sinnentleerung, Verlust an Kontakten und Passivität sind jedoch auch denkbar. Es bedarf weiterer Forschung, um die Beziehungen zwischen Arbeitsmarktaktivität, Gesundheitszustand und daraus entstehenden Folgen für die Gesundheitsausgaben zu quantifizieren.
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Metadaten
Titel
Macht die Pensionierung gesund oder krank?
verfasst von
Sabrina Stadelmann
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31735-5_33