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23.02.2022 | Materialentwicklung | Schwerpunkt | Online-Artikel

Materialentwicklung unter neuen Vorzeichen

verfasst von: Thomas Siebel

5:30 Min. Lesedauer

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Das BMBF will die Materialforschung beschleunigen und auf Nachhaltigkeit und Industrierelevanz trimmen. Ob der Technologiesprung oder die Markteinführung im Förderprojekt gelingt, hängt stark von der Wahl der Partner ab.

Am Anfang einer neuen Technologie steht der passende Werkstoff. Lithium-Verbindungen, Piezokeramiken oder faserverstärkte Kunststoffe haben die Batterietechnik, die Sensorik oder den Leichtbau entscheidend voran gebracht. Für die deutsche Volkswirtschaft sind Materialinnovationen dabei von besonderer Bedeutung. Rund fünf Millionen Arbeitsplätze hängen an Produktion und Handel mit Materialien und Werkstoffen, der Umsatz liegt bei rund einer Billion Euro im Jahr.

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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Management von Werkstoffinnovationen

Dem Management von Innovationen im Werkstoffbereich sollte deshalb spezielle Beachtung geschenkt werden, weil Werkstoffe auf diesem Feld eine besondere Tragweite haben. Musso (2004), S. 17 ff., nennt vier Punkte, die diese Besonderheit zum Ausdruck bringen und in dieser Ausprägung in anderen Industrien nicht vorhanden sind.

Neue Werkstoffe wie OLED, Flüssigkristalle oder Nanotubes haben die Materialforschung in den zurückliegenden Jahren immer wieder ins Licht einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Allerdings machen völlig neue Werkstoffe wie die genannten nur einen Teil der Materialentwicklung aus. Intensiv arbeiten Wissenschaft und Industrie nämlich auch an der Weiterentwicklung etablierter Werkstoffe, etwa in Form neuer Legierungen oder Werkstoffkombinationen, durch das Aufbringen funktioneller Oberflächen oder indem sie die Morphologie der Werkstoffe verändern.

Politische Zielstellungen für die Materialforschung

Der Werkzeugkasten, mit dem sich Werkstoffe an neue Anwendungen anpassen lassen, ist groß. Die Entwicklung angepasster Werkstoffe ist jedoch auch immer an Bedingungen geknüpft, die Hansgeorg Hofmann und Jürgen Spindler in der Einleitung zum Buch Aktuelle Werkstoffe so formulieren: "Solche Werkstoffe lassen sich nur dann entwickeln, wenn klare wirtschaftliche und politische Zielstellungen formuliert werden und entsprechende finanzielle Mittel und personelle Fonds zur Verfügung stehen."

Die politischen Zielstellungen in Deutschland hat nun das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in einem Eckpunktepapier neu formuliert. Allen voran sollten sich zukünftige, durch das Ministerium geförderte Materialentwicklungen an den Leitzielen Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung orientieren.

Material-Hubs als neues Förderinstrument

Mit sogenannten Material-Hubs ruft das BMBF dabei ein neues Förderinstrument ins Leben. Im Rahmen der Hubs sollen sich Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Fragen der Materialentwicklungen für gesellschaftlich besonders relevante Bereiche wie der Ressourceneffizienz oder Biomaterialien widmen. Ein Vorbild ist der bereits eingerichtete Hub Forschungsfabrik Batterie, der die gesamte Wertschöpfungskette von Material und Zellchemie über die Produktion bis hin zum Recycling bündelt.

Zudem soll das Instrument der Werkstoffplattformen ausgebaut werden, wie sie bereits aus der Entwicklung von hybriden Werkstoffen und Biomaterialien bekannt sind. Im Rahmen von Werkstoffplattformen sollen Materialentwicklungen schon vor einer möglichen Anwendung zu industrieller Reife gebracht werden.

10 Punkte für die strategische Neuausrichtung

Die strategische Neuausrichtung in der Materialforschung fasst das Papier in zehn Punkten zusammen:

  • Beschleunigte Materialentwicklung: Die Arbeit mit Ergebnissen der Grundlagenforschung sollen zügiger auf industrielle Fragestellungen ausgerichtet werden. Digitale Methoden und eine stärkere disziplin- und branchenübergreifende Zusammenarbeit sollen dazu der Schlüssel sein.
  • Wissens- und Technologietransfer zwischen Akademie und Industrie: Im Rahmen der Material-Hubs stellen die beteiligten Industrieakteure sicher, dass Forschungs- und Entwicklungsarbeiten stärker an industrierelevanten Fragestellungen ausgerichtet werden.
  • Mehr Digitalisierung, weniger Experiment: Mit computergestützten Verfahren anstelle von aufwendigen Laborexperimenten soll die Materialentwicklung deutlich beschleunigt werden. Standardmäßig soll ein digitaler Zwilling zu jedem Material geschaffen werden. Deutschland solle „ein international sichtbarer Leuchtturm zur digitalisierten Materialforschung“ werden und mit offenen, digitalen Standards zur Nutzung von Materialdaten den Weg zur Industrie 4.0 bereiten.
  • Bioinspirierte Materialien: Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und bionischer Prinzipien soll ausgeweitet werden, etwa im Bereich von Materialien für die autonome Energieversorgung, für programmierbare oder für selbstheilende Materialien. 
  • Ressourcensouverän durch nachhaltige Materialien: Materialien aus lokal verfügbaren und umweltfreundlichen Rohstoffen sollen die Abhängigkeit von Rohstoffimporten mindern. Wo Rohstoffe dennoch importiert werden müssen, zum Beispiel Metalle, soll der Einsatz effizienter gestaltet und deren Rückgewinnung gesichert werden. Materialien sollen durch gezieltes Design kreislauffähig sein.
  • Mitnutzung von Forschungsinfrastruktur: Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Universitäten und Industrie sollen Infrastruktur wie Labors oder DFG-geförderte Großgeräte stärker gemeinsam nutzen. Das BMBF will dafür mehr Transparenz über vorhandene Infrastruktur und geeignete Rahmenbedingungen schaffen.

Besonders qualifizierte Forschende sollen beim Aufbau von Nachwuchsgruppen in interdisziplinären Forschungsbereichen gefördert werden. Weitere Schwerpunkte in der künftigen Forschungsförderung sind die Sicherheit von Materialien, der stärkere Dialog von Fachleuten mit Bürgern, interessierten Laien oder Schülern und eine engere Verzahnung der BMBF-Förderpolitik mit den Forschungsstrategien der großen Forschungsorganisationen und anderen Ressorts sowie der besseren Einbettung in den europäischen Forschungsraum.

Werkstoffentwicklung zeitaufwendig und riskant

Trotz der hehren Ziele bleiben Innovation im Bereich der Werkstofftechnik ein schwieriges Geschäft, das nicht nur einen langen Atem erfordert, sondern auch hohe finanzielle Risiken birgt. Die größte Schwierigkeit besteht darin, dass sich die Werkstoffentwicklung sehr am Anfang der Wertschöpfungskette abspielt. Das beste Material ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Produktionstechnik nicht schon in der Entwicklung mitbedacht wird.

Zudem lässt sich oft nicht absehen, ob und in welchen der vielen möglichen Einsatzbereiche ein neu entwickelter Werkstoff zum Zug kommt; schließlich lässt sich ein Werkstoff in einer Anwendung oftmals ohne Weiteres durch einen anderen ersetzen. Viele neu entwickelte Werkstoffe schaffen es deswegen nicht aus dem Labor bis zur erfolgreichen Anwendung.

Werkstoffe erfolgreich entwickeln

Dennoch gibt es Faktoren, die den erfolgreichen Abschluss eines Materialforschungsprojekts begünstigen. Anne Gleiß von der TU Bergakademie Freiberg hat sich damit befasst und dafür 167 Werkstoffinnovationsprojekte untersucht, die in den Jahren 2004 bis 2008 staatlich gefördert wurden. In der Schlussbetrachtung des Buchs Innovationsmanagement in der Werkstoffentwicklung fasst sie die Ergebnisse zusammen.

Der technische Erfolg einer Werkstoffentwicklung lässt sich laut Gleiß in der Anzahl und Qualität von eingereichten Publikationen und Patenten bemessen. Publikationen förderlich sei es, wenn Projektpartner geografisch und technologisch nicht weit voneinander entfernt lägen. Ein gutes Umfeld für Patente böte sich, wenn eine mittlere Anzahl an Partnern, auch aus dem akademischen Bereich, unter Federführung eines Großunternehmens über eine lange Projektlaufzeit zusammenarbeiteten.

Priorisieren: Technischer Erfolg oder Markteinführung?

Nehmen mehr als fünf Partner am Projekt teil, erhöht es Gleiß zufolge die Wahrscheinlichkeit, dass der Technologiesprung groß ausfällt. Marktorientierter Erfolg werde begünstigt, wenn die Zahl der Partner bei circa drei bis fünf liege, die möglichst nicht weiter als 300 km voneinander entfernt lägen. Je kürzer die geografische Distanz zwischen den Partnern ist und je technologisch näher sich die Partner in einem langfristig ausgelegten Projekt stehen, desto eher gelinge eine Markteinführung zu Projektende.

Abschließend hält Gleiß jedoch auch fest, dass es in der Werkstoffentwicklung kein Bündnis gebe, das alle Erfolgsindikatoren optimal erfülle. Deswegen sei es wichtig, dass zu Projektbeginn konkrete Ziele formuliert und die Erfolgsfaktoren entsprechend priorisiert würden.

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2019 | OriginalPaper | Buchkapitel

Anwendungsgebiete neuer Werkstoffe

Quelle:
Aktuelle Werkstoffe

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Einleitung

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