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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Medienpraktiken für eine nachhaltige Gesellschaft und das „gute Leben“ erforschen

verfasst von : Sigrid Kannengießer

Erschienen in: Digitale Medien und Nachhaltigkeit

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Dass Nachhaltigkeit und das „gute Leben“ Themen, wenn auch (noch) Nischenthemen, in der Kommunikations- und Medienwissenschaft sind, zeigt der im vorherigen Kapitel aufgearbeitete Forschungsstand zur Nachhaltigkeitskommunikation und dem „guten Leben“. Was aber verschiedene Akteur*innen mit Medien(-technologien) machen, um zu einem „guten Leben“ und einer nachhaltigen Gesellschaft beizutragen, ist noch zu wenig untersucht. Dass diese Frage jedoch von großem kommunikations- und medienwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse sowie gesellschaftlicher Relevanz ist, zeigt der im vorherigen Kapitel aufgearbeitete Forschungsstand zu den sozial-ökologischen Effekten der Produktion, Nutzung und Entsorgung digitaler Medientechnologien, denn sowohl die Produktion als auch die Nutzung und die Entsorgung von Medientechnologien haben negative sozial-ökologische Folgen, die in (Post-)Industriegesellschaften jedoch oftmals unsichtbar bleiben, da sie, wie gezeigt wurde, in ökonomisch weniger entwickelte Länder ausgelagert werden. Nicht zuletzt aufgrund massenmedialer Berichterstattung sind diese Folgen dennoch Menschen in (Post-)Industrienationen bewusst. Auf der Basis dieser Erkenntnisse werden in diesem Kapitel die drei Fallbeispiele präsentiert, die in der vergleichenden Studie analysiert wurden: das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés, die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien am Beispiel des Fairphones sowie Onlineplattformen, die für Nachhaltigkeit werben, am Beispiel von utopia.de. Dabei wird auch der jeweils relevante Forschungsstand zu den einzelnen Fallbeispielen aufgearbeitet. Für die Analyse wurden qualitative leitfadengestützte Interviews, (nicht-teilnehmende) Beobachtungen und qualitative Inhaltsanalysen in den Verfahren der Grounded Theory und der virtuellen Ethnographie trianguliert. Sechs theoretische Dimensionen wurden in der vergleichenden Analyse offenbar, die und deren Forschungsfelder hier erläutert werden: 1) Medienpraktiken, 2) Materialität, 3) Medienethik, 4) Vergemeinschaftung, 5) politische Partizipation sowie und 6) soziale Bewegung.
Dass Nachhaltigkeit und das „gute Leben“ Themen, wenn auch (noch) Nischenthemen, in der Kommunikations- und Medienwissenschaft sind, zeigt die vorangegangene Aufarbeitung des Forschungsstands zur Nachhaltigkeitskommunikation und dem „guten Leben“. Was aber verschiedene Akteur*innen mit Medien(-technologien) machen, um zu einem „guten Leben“ und einer nachhaltigen Gesellschaft beizutragen, ist noch zu wenig untersucht. Dass diese Frage jedoch von großem kommunikations- und medienwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse sowie gesellschaftlicher Relevanz ist, zeigt u. a. die Aufarbeitung des Forschungsstands zu den sozial-ökologischen Effekten der Produktion, Nutzung und Entsorgung digitaler Medientechnologien (s. Abschn. 2.​2.​2), denn sowohl die Produktion als auch die Nutzung und die Entsorgung von Medientechnologien haben negative sozial-ökologische Folgen, die in (Post-)Industriegesellschaften jedoch oftmals unsichtbar bleiben, da sie, wie gezeigt wurde, in ökonomisch weniger entwickelte Länder ausgelagert werden. Nicht zuletzt aufgrund massenmedialer Berichterstattung sind diese Folgen dennoch Menschen in (Post-)Industrienationen bewusst. Einige Menschen versuchen daher, diese negativen Effekte zu vermeiden und stattdessen mit ihrer Medienaneignung zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen. Wie und warum sie dies tun, ist die zentrale Frage dieses Buches. Denn will man verstehen, wie Akteur*innen den Zusammenhang von Nachhaltigkeit, Konsum(-kritik), und Medien(-technologien) gestalten, müssen (auch) ihre Medienpraktiken in den Blick genommen werden.
Wie in der Einleitung bereits erläutert, werden in dieser Arbeit drei Beispiele für Medienpraktiken untersucht, mit denen Menschen zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beitragen wollen: 1) das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés, 2) die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien am Beispiel des Fairphones und 3) Onlineplattformen, die für Nachhaltigkeit werben, am Beispiel der Onlineplattform Utopia.de. Die Fallbeispiele und ihre Relevanz werden im Folgenden näher erläutert. Dabei wird auch der jeweils relevante Forschungsstand zu den einzelnen Fallbeispielen aufgearbeitet. Im Anschluss werden die sechs theoretischen Dimensionen und die hier relevanten Forschungsfelder erläutert, die bei der Analyse der Fallbeispiele relevant wurden: 1) Medienpraktiken, 2) Materialität, 3) Medienethik, 4) Vergemeinschaftung, 5) politische Partizipation sowie und 6) soziale Bewegung. Zu den Forschungsfeldern dieser theoretischen Dimensionen sowie den im Kap. 2 aufgearbeiteten Forschungsfeldern der Nachhaltigkeitskommunikation und des „guten Lebens“ leistet die hier diskutierte empirische Studie einen Beitrag, nicht nur, indem sie diese durch empirische Erkenntnisse erweitert, sondern auch, indem die im folgenden erläuterten theoretischen Dimensionen weiterentwickelt werden.

3.1 Fallbeispiele

Die bereits in der Einleitung vorgestellten Fallbeispiele wurden gewählt, um die Bandbreite der Medienpraktiken für eine nachhaltige Gesellschaft abzubilden. So sind das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés ein Beispiel für die Medienaneignungsebene, die Produktion und Aneignung des Fairphones exemplarisch für die Ebenen der Produktion und Aneignung digitaler Medientechnologien und die Onlineplattform Utopia.de ein Beispiel für medienbezogenes Handeln auf der Inhaltsebene, durch das zu einer nachhaltigen Gesellschaft beigetragen werden soll (s. Einleitung).
Die Fallbeispiele bieten sich des Weiteren auch für eine vergleichende Analyse an, weil sie alte sowie neue Praktiken in den Blick nehmen. So ist das Reparieren von Medientechnologien keine neue Praktik (s. Abschn.  1), die Politisierung des Reparierens als eine Praktik für eine nachhaltige Gesellschaft aber ist, wenn nicht eine neue Konnotation, so doch vor dem Hintergrund der ökologischen Krise und bei den in Abschn. 2.​2.​2 beschriebenen aktuellen sozial-ökologischen Auswirkungen der Produktion und Entsorgung digitaler Medientechnologien von zunehmender Brisanz. Diese Bedingungen kritisierend, ist die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien hingegen eine neue Medienpraktik. Wurden bislang v. a. im Bereich der Nahrungsmittelproduktion und zunehmend im Textilbereich Projekte des fairen Handels verfolgt, so ist die Produktion und entsprechend auch die Aneignung fairer Medientechnologien ein neues Feld für den fairen Handel (s. Abschn. 3.​1.​2). Auch das dritte Fallbeispiel, die Onlineplattform Utopia.de, beschäftigt sich mit einer vergleichsweisen neuen Medienpraktik, da Internetmedien zwar kein neues Medium darstellen, Onlineplattformen jedoch, die für Nachhaltigkeit werben und Nutzenden die Möglichkeit des Austausches sowie der Artikulation in Onlineforen bieten, (relativ) neu sind (s. Abschn. 3.​1.​3).
Im Folgenden sollen die drei Fallbeispiele näher beschrieben sowie der jeweils relevante Forschungsstand zu den Phänomenen aufgearbeitet werden. Dabei zeigt sich, dass v. a. das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés sowie das Produzieren und Aneignen fairer digitaler Medientechnologien in der Kommunikations- und Medienwissenschaft kaum beachtete Forschungsgegenstände sind. Damit ist nicht nur eine Forschungslücke bei der handlungstheoretischen Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit auszumachen, sondern auch in Hinblick auf die Forschungsgegenstände innerhalb der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Das Anliegen dieser Publikation ist es, mit der Auswahl dieser Fallbeispiele auch diese Forschungslücken zu schließen.

3.1.1 Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés

Ein erstes Fallbeispiel für Medienpraktiken, die auf eine nachhaltige Gesellschaft und das „gute Leben“ abzielen, ist das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés. Dies wurde in einer empirischen Studie untersucht. In diesem Kapitel wird zum einen das Phänomen beschrieben, zum anderen wird der relevante Forschungsstand zum Reparieren und zu Repair Cafés skizziert (s. auch Kannengießer 2018c, 2018d, 2017a). Bislang wurden das Reparieren und öffentliche Reparaturveranstaltungen v. a. in der Technik- und Designforschung sowie in der Geschichtswissenschaft und den Kulturwissenschaften untersucht (s. z. B. Beiträge in Houston et al. 2017 oder Krebs et al. 2018).
Reparieren wurde in der Einleitung definiert als der Prozess, durch den Technologien erhalten und wieder- bzw. weiterverwendet werden (können), um mit deren Verschleiß und rückschrittlichen Veränderungen umzugehen (Rosner und Turner 2015, S. 59). Dadurch wird die Nutzungsdauer von Objekten verlängert bzw. die Brauchbarkeit von Gegenständen wiederhergestellt: „In repair we are bringing objects back to readiness.“ (Houston 2017, S. 51) Reparieren ist ein Umgang mit der Materialität von Dingen, um diese stabil zu halten, denn Stabilität ist keine ontologische Eigenschaft von Dingen, sondern resultiert aus einem fortwährenden sorgsamen Umgang mit diesen (Denis und Pontille 2011). Stabilität meint jedoch nicht zwingend gleichbleibende Materialität, denn das Reparieren kann sowohl der Instandhaltung von Dingen dienen als auch ihrer Transformation (Henke 2017, S. 41), da durch das Reparieren Objekte nicht zwangsläufig in den Originalzustand zurückversetzt, sondern auch verändert werden.
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist das Reparieren keine neue Praktik. Stöger (2015) untersucht das Reparieren in vormodernen Gesellschaften. Er analysiert die Praktik zwischen dem 17. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in West- und Zentraleuropa und zeigt, dass sowohl in Haushalten als auch durch professionelle Handwerker repariert wurde und stellt fest: „Things that could be repaired were repaired – often for as long as possible.“ (Stöger 2015, S. 149) Die Motive des Reparierens zielten in der Vormoderne jedoch nicht auf Nachhaltigkeit ab, sondern resultierten aus einer finanziellen Notwendigkeit und der damaligen Sparsamkeitsmentalität (ebd., S. 160). Mit Blick auf moderne Gesellschaften beschreiben Graham und Thrift die Relevanz des Reparierens:
„Repair and maintenance are not incidental activities. In many ways, they are the engine room of modern economies and societies. As such, they form a challenge to our ways of thinking about things which is more than just an expression of their supposedly passive and banal presence. For what we see is that repair and maintenance are vital parts of the relays of everyday life. […] Without them, life would not be possible.“(Graham und Thrift 2007, S. 19 f.)
Auch Jackson (2014, S. 221 f.) betont die Relevanz des Reparierens in von ihm heute wahrgenommenen Krisenzeiten. In Zeiten der „multiplen Krise“ (Bader et al. 2011, s. Einleitung) wird das Reparieren für Individuen und Gesellschaften notwendig und relevant. Es wird nicht nur durch Wirtschafts- und Finanzkrisen in vielen Ländern wieder notwendig, sondern auch durch ökologische Krisen und den Klimawandel, die Menschen veranlassen, die Nutzungsdauer ihrer Alltagsgegenstände durch das Reparieren zu verlängern, wie später gezeigt werden wird. Farman argumentiert, dass die Relevanz des Reparierens durch Digitalisierung und mobile Endgeräte sogar noch steige:
„[W]e face distinct and growing repair challenges in the age of mobile software, as objects no longer cohere at the physical level, but are instead spread out among devices, databases, and app downloads such that objects become void of the content they seek to hold“ (Farman 2017, S. 23).
Zwar ist das Reparieren oftmals eine im Alltag vollzogene, unsichtbare Praktik (Jackson 2014, S. 225), wird jedoch durch Repair Cafés öffentlich und damit sichtbar. Durch die Verbreitung von Repair Cafés als Veranstaltungen, in denen Menschen zusammenkommen, um gemeinsam ihre defekten Alltagsgegenstände zu reparieren, erhält das Reparieren derzeit eine zunehmende Popularität (s. Einleitung). Während einige Teilnehmer*innen ehrenamtlich ihre Hilfe bei diesen Veranstaltungen anbieten, suchen andere Hilfe beim Reparieren ihrer defekten Dinge und bringen u. a. Elektrogeräte und hier insbesondere Medientechnologien sowie Küchengeräte, Fahrräder oder Textilien mit. Die Reparatur dieser unterschiedlichen Gegenstände wird oftmals an verschiedenen „Stationen“ angeboten: Schilder kündigen an, welche Alltagsgegenstände die jeweiligen, an den Tischen sitzenden Helfer*innen reparieren können. Die Reparaturveranstaltungen sind kostenlos, weder werden Eintrittsgebühren erhoben noch muss die Reparaturhilfe bezahlt werden.
Die niederländische Stiftung Stichting Repair Café beansprucht für sich, das Konzept der Reparaturcafés 2009 entwickelt zu haben (Stichting Repair Café ohne Datum). Die Vielzahl der Reparaturinitiativen in Deutschland wird von der Stiftung Anstiftung & Ertomis koordiniert (s. Einleitung). Auf ihrer Onlineplattform können sich die einzelnen Reparaturinitiativen nicht nur in ihren Profilen vorstellen und Ansprechpartner*innen benennen, auch zeigt eine interaktive Karte, wo die einzelnen Reparaturinitiativen verortet sind, und des Weiteren ein Kalender, wann entsprechende Veranstaltungen wo stattfinden. Eine Publikation von Mitarbeiter*innen der Anstiftung & Ertomis stellt verschiedene Reparaturprojekte in Deutschland vor (Baier et al. 2016, s. auch Baier 2013). Das Buch trägt den Titel „Die Welt reparieren“ und politisiert das Reparieren sowie die Reparaturveranstaltungen als eine Praktik für eine nachhaltige Gesellschaft (s. Abschn. 4.​5).
Diese sowie auch das Buch des Generaldirektors des Deutschen Museums in München Heckl (2013), der für eine „Kultur der Reparatur“ plädiert, tragen zur Popularität des Reparierens und der Reparaturveranstaltungen bei. Heckl will mit seinem gleichnamigen Buch „nicht nur auf Reparaturbetriebe […] wieder aufmerksam […] machen, sondern ihnen [der*die Leser*in, S. K.] Lust aufs Reparieren und Gestalten […] machen.“ (2013, S. 20) Die Relevanz des Reparierens als Akt gegen die Konsumgesellschaft wird von Bausinger (1983, S. 7) bereits in den 1980er-Jahren unterstrichen, der eine Kultur des Reparierens als Gegensatz zur Wegwerfkultur1 versteht. Er unterstreicht hier die ökonomischen und sozialen Probleme, die einer Wegwerfkultur inhärent sind, während ökologische Probleme, welche aus der Wegwerfkultur resultieren, von ihm (noch) nicht thematisiert werden. Repair Cafés kritisieren diese Mentalität und Praktiken der Wegwerfgesellschaft und wollen für die Praktik des Reparierens werben und somit einen Beitrag zu einer nachhaltigen Gesellschaft leisten (s. Abschn. 4.​2).
Bertling und Leggewie (2016, S. 282 f.) entwickeln ein schematisches Modell einer Reparaturkultur, in der sie zwischen den Ebenen der Reparierbarkeit, Reparaturfähigkeit, Reparaturbereitschaft, Reparaturökonomie und Reparaturfolgen unterscheiden, welche in wissenschaftlichen Studien mit unterschiedlichen Fragestellungen untersucht werden können. Zwar kann die Trennung der verschiedenen Ebenen zu einer wissenschaftlichen Fokussierung verhelfen, doch ist gerade die Interdependenz der verschiedenen Ebenen erkenntnisreich, wie in Kap. 4 dieses Buches gezeigt werden wird.
Repair Cafés sind Forschungsgegenstand in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen. Jackson (2014, S. 226 f.) kritisiert, dass in der Medien- und Technikforschung das Reparieren nicht ausreichend untersucht werde, obwohl die Entwicklung von Medientechnologien permanent mit Momenten des Scheiterns und Rückschritten konfrontiert sei. Er (ebd., S. 227) betont die Relevanz des Reparierens für gesellschaftlichen Wandel, der eben nicht nur durch technologische Innovation hervorgerufen werden würde. Jackson schlägt den Ansatz des „broken world thinking“ (ebd., S. 221) vor, um die Perspektive von Innovationen auf Abnutzung und Verfall zu verschieben. Rosner und Ames (2014) untersuchen in der Designforschung öffentliche Reparaturveranstaltungen in Kalifornien, USA und Paraguay und beschreiben das Reparieren als Aushandlungsprozess über die Nutzungsdauer von Technologien. Die Autorinnen betonen, dass diese weniger durch die Designer*innen oder Entwickler*innen als vielmehr in den jeweiligen Aneignungsprozessen der Nutzenden selbst festgelegt werde (ebd., S. 329; s. auch Rosner und Turner 2015, S. 65). Sie unterstreichen weiter, dass das Reparieren als Alltagshandlung durch materielle, infrastrukturelle, vergeschlechtlichte, politische und sozial-ökonomische Faktoren geprägt (Rosner und Ames 2014, S. 329) und durchaus eine privilegierte Praxis sei: „repair can be a privileged practice, relying on certain kinds of materials (replacement parts, testing equipment) and forms of expertise to be carried out“ (ebd., S. 320).
Öffentliche Reparaturveranstaltungen in Kalifornien bezeichnen Rosner und Turner (2015) als „Theaters of alternative industry“ und beschreiben das Reparieren als eine politische Handlung, durch die in kreativen Wiederaufarbeitungsprozessen nicht nur die Objekte verändert, sondern auch gesellschaftlicher Wandel durch die Akteur*innen verfolgt werden (ebd., S. 64 f.). Wandel und das Politische wird in diesem Zusammenhang v. a. unter Aspekten der Kollektivität und Gleichheit diskutiert, während Fragen der Nachhaltigkeit hier weniger im Zentrum stehen.
Neben der politischen Bedeutung wird das Reparieren auch als künstlerische Praxis (Jackson und Kang 2014) und im Kontext ökonomisch weniger entwickelter Länder untersucht (Jackson et al. 2011; Ahmed et al. 2015; Houston 2014). Die hier im Fokus stehenden Repair Cafés sind jedoch v. a. ein Phänomen „westlicher“ Gesellschaften, wie nicht nur die Darstellung der Initiativen auf der Onlineweltkarte der Stiftung Stichting Repair Café zeigt, da sie u. a. als Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft inszeniert werden (s. Abschn. 4.​5).
Grewe (2017) konzeptionalisiert auf Basis einer Analyse von Repair Cafés in Deutschland das Reparieren als „kulturelle Strategie im Umgang mit Knappheit und Überfluss“. Dafür führt sie eine empirische Studie durch, in der sie Organisator*innen von Repair Cafés befragte, Beobachtungen durchführte und Material der beiden Stiftungen Stichting Repair Café sowie Anstiftung & Ertomis auswertete. Die Perspektive der Helfenden sowie Hilfesuchenden wurden in dieser Studie jedoch nicht berücksichtigt. Auf der Basis dieses Datenmaterials beschreibt Grewe (ebd., S. 171) aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive das Reparieren in Repair Cafés als eine Protestpraxis, die sich gegen geplanten Verschleiß richte und die die Organisierenden und Teilnehmenden ermächtige. Diese Thesen werden auch in meiner Fallstudie aus einer kommunikations- und medienwissenschaftlichen Perspektive thematisiert, wobei sich jedoch anhand meiner Forschungsergebnisse zeigt, dass die Momente des Protests und der Ermächtigung kritisch reflektiert werden müssen, da sich in ihnen auch Widersprüchlichkeiten und Paradoxien finden (s. Abschn. 4.​2). Denn wie anhand des Datenmaterials meiner Studie gezeigt wird, müssen das Handeln sowie die Ziele des Reparierens in Repair Cafés differenzierter betrachtet und kritischer reflektiert werden (s. Abschn. 4.​2).
Grewe (ebd., S. 172 ff.) bezeichnet Repair Cafés als „soziale Orte“, in denen sich eine Gemeinschaft konstituiere. Auch ich komme im Rahmen meiner Fallstudie zu diesem Ergebnis (siehe Abschn. 4.​4), wobei ich hierbei zum einen die Relevanz von Kommunikationsprozessen herausarbeite und zum anderen in Anlehnung an Webers Begriff der Vergemeinschaftung (1922, S. 21) die Bedeutung der gemeinsamen Ziele sowie das Zugehörigkeitsgefühl der Beteiligten betone.
Führte Grewe eine qualitative Studie aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive durch, so analysieren Charter und Keiller (2014) in einer quantitativen Studie, in der 158 Personen in neun Ländern befragt wurden, die Motivationen von Helfer*innen öffentlicher Reparaturveranstaltungen. Zu den drei meist genannten Gründen, warum sich Helfende an Repair Cafés beteiligen, gehören das Ziel der Nachhaltigkeit, der Dienst an der Gemeinschaft sowie der Wunsch, Teil einer Reparaturbewegung zu sein (ebd., S. 5). Charter und Keiller kommen zu dem Ergebnis, dass die freiwilligen Helfer*innen altruistisch handelten und persönlicher Nutzen für sie nicht wichtig sei (ebd., S. 13). Entgegen dieser Ergebnisse zeigt die von mir durchgeführte Studie, dass die Ziele deutlich differenzierter zu betrachten sind. Des Weiteren können durch eine dezidiert kommunikations- und medienwissenschaftliche Perspektive für eben dieses Fach relevante Aspekte des Reparierens von Medientechnologien sowie Aspekte der Repair Cafés herausgearbeitet und an verschiedene Fachdiskurse angeschlossen werden (s. Kap. 4). Dem Reparieren digitaler Medientechnologien kommt in aktuellen digitalen Gesellschaften eine besondere Relevanz zu.

3.1.2 Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien am Beispiel des Fairphones

Ist das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés ein Beispiel dafür, wie sich Menschen Medien aneignen, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen, so ist das zweite Fallbeispiel ein solches für die Aneignung und Produktion von Medientechnologien. Dieses Beispiel ist die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien am Beispiel des Fairphones, einem Smartphone, das unter fairen und nachhaltigen Bedingungen produziert werden soll. Das Fairphone wurde exemplarisch aus den Angeboten fair produzierter Medientechnologien ausgewählt, da es zum einen das wohl bekannteste Produkt im Bereich fairer Medientechnologien ist und eine große mediale Aufmerksamkeit genießt sowie zum anderen die vermutlich verbreitetste faire Medientechnologie darstellt.2
Das Fairphone startete als Projekt der Waag Society (www.​waag.​org) und wird seit der Gründung des Fairphone-Unternehmens von diesem produziert und vertrieben (Fairphone 2015b, S. 1). Die Modelle der ersten Generation kamen 2013 auf den Markt, seit August 2019 wird die dritte Generation des Fairphones verkauft (s. Einleitung). Ziel des Unternehmens ist es, ein reparierbares Smartphone, das unter guten Arbeitsbedingungen mit fair gehandelten Materialien produziert wird, herzustellen (s. Abschn. 4.​2). Mittlerweile kann das Fairphone nicht nur direkt über die Onlineplattform des Unternehmens erworben werden, sondern auch bei ausgewählten Händlern und Telekommunikationsunternehmen.
Digitale Medientechnologien werden bislang selten fair produziert – im Gegenteil. Wie in Abschn. 2.​2.​2 gezeigt wurde, werden sie meist unter menschenunwürdigen und umweltschädlichen Bedingungen produziert. Vereinzelt gibt es seit einigen Jahren Initiativen und Unternehmen, die dies kritisieren und mit den von ihnen entwickelten, produzierten und vertriebenen Produkten versuchen, faire Alternativen auf dem Markt der Medientechnologien zu etablieren. Dabei sind faire Medientechnologien jedoch noch eine Seltenheit auf dem Markt fair und nachhaltig produzierter Güter, und werden auch in der Wissenschaft selten zur Kenntnis genommen.3
Bevor das Forschungsfeld zu fair produzierten Medientechnologien skizziert wird, soll zunächst das Konzept des fairen Handelns und Produzierens erläutert werden. Die Nichtregierungsorganisationen World Fair Trade Organization und Fairtrade Labelling Organizations (2009, S. 6) definieren fairen Handel wie folgt:
„Fairer Handel ist eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht und nach mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel strebt. Durch bessere Handelsbedingungen und die Sicherung sozialer Rechte für benachteiligte ProduzentInnen und ArbeiterInnen – insbesondere in den Ländern des Südens – leistet der Faire Handel einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung. Faire Handelsorganisationen engagieren sich – gemeinsam mit VerbraucherInnen – für die Unterstützung der ProduzentInnen, die Bewusstseinsbildung und die Kampagnenarbeit zur Veränderung der Regeln und der Praxis des konventionellen Welthandels.“
Sie definieren weiter fünf Grundsätze des fairen Handels (ebd., S. 6 f.): 1) Marktzugang für marginalisierte Produzierende, 2) nachhaltige und faire Handelsbeziehungen, 3) Aufbau von Fähigkeiten und Stärkung der Organisationen, 4) Sensibilisierung der Verbraucher*innen und politische Arbeit im Interesse der Produzierenden, 5) fairer Handel als „Sozialvertrag“.
Fairer Handel umfasst neben gerechten Preisen, stabilen Handelsbeziehungen sowie der Vermeidung von Zwischenhändler*innen also auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Anlehnung an die Kernarbeitsnormen der International Labour Organisation und die Einhaltung ökologischer Standards mit dem Ziel einer ökologisch verträglichen Produktion (Hauff und Claus 2012, S. 93 ff.). Damit kann fairer Handel als ein Konzept nachhaltigen Handelns beschrieben werden (ebd.), da er sowohl die ökonomische als auch ökologische und soziale Dimension von Nachhaltigkeit betrifft: Preise und Handel sollen gerechter und stabiler (ökonomische Dimension), Arbeitsbedingungen gerechter (soziale Dimension) und Produktionsprozesse die Umwelt schonender (ökologische Dimension) gestaltet werden.
Um zu gewährleisten, dass die Grundsätze des fairen Handels eingehalten werden, wenn Unternehmen und Initiativen ihre Produkte als „fair“ bezeichnen, vergibt die Nichtregierungsorganisation Fairtrade Labelling Organizations International ein Fairtrade-Siegel, das wahrscheinlich zu den bekanntesten auf dem Markt gehört und auch an das Fairphone vergeben wurde (s. www.​fairtrade.​net).
Die Produktion und Aneignung fair produzierter Medientechnologien ist in der Kommunikations- und Medienwissenschaft kaum untersucht, findet aber in anderen wissenschaftlichen Disziplinen zunehmend Beachtung. Aus der Perspektive der Materialforschung stellen Dießenbacher und Reller (2016, S. 287) fest, dass „eine Bewertung der Fairphone-Anstrengungen in Richtung Fairness und Nachhaltigkeit weder möglich noch sinnvoll“ sei. Sie betrachten das Fairphone aber als einen „Impulsgeber für Nachhaltigkeit in der Smartphonebranche“ (ebd.). In der Designforschung wird das Fairphone als ein Beispiel für partizipatives Design (Velden 2014 und 2018) und als „kritische Designalternative für Nachhaltigkeit“ (Joshi und Pargman 2015) diskutiert, während das Fairphone-Unternehmen in betriebswirtschaftlichen Analysen als „social entrepreneur“ beschrieben wird, das nicht nur zu einer nachhaltigen Gesellschaft beitrage, sondern auch andere Unternehmen unter Druck setze, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen (Lin-Hi und Blumberg 2015; s. auch Akemu et al. 2016). In der Rechtswissenschaft wird das Fairphone-Unternehmen als ein Beispiel dafür genannt, wie Menschenrechtsverletzungen in der Mobilfunkproduktion entgegengewirkt werden könne (Hagemann 2017, S. 67), während eine politikwissenschaftliche Analyse nach der Rolle der niederländischen Regierung für das Fairphone-Projekt fragt und zeigt, dass diese die Fairphone-Initiative u. a. durch die Netzwerkinitiative „Conflict-Free Tin Initiative“ unterstützte (Eynde und Bachus 2016).
Handler und Chang (2015) untersuchen in einer quantitativen Studie in Taiwan die Relevanz der Nachhaltigkeitsattribute des Fairphones bei jungen Mobilfunknutzenden im Alter bis 30 Jahre und kommen zu dem Schluss, dass diese zwar ein Interesse am Fairphone äußern, das Design und die technischen Details für die Nutzenden jedoch wichtiger seien als Nachhaltigkeit (ebd., S. 26). Die Aneignung des Fairphones durch Nutzende wurde auch in der Psychologie untersucht. So versuchen Meier und Mäschig (2016) die Einstellungen der Fairphone-Nutzenden anhand einer automatisierten Analyse der Fairphone-Online-Community zu rekonstruieren. Als Datenmaterial werteten sie hierfür Einträge im Onlineforum des Fairphone-Unternehmens aus. Ihre Ergebnisse zeigen, dass „der größte Teil der Nutzer maximal einen Monat, oft auch nur mit einem Beitrag in der Community aktiv ist“ (ebd., S. 436) und die Nutzenden das Forum überwiegend anwenden, um Hilfe für technische Probleme zu finden (ebd.). Die Autoren weisen darauf hin, dass der Forenbereich besonders interessant für die Diskussion um nachhaltigen Konsum und damit auch die Beweggründe für die Nutzung des Fairphones wäre, für deren Untersuchung aber die von ihnen durchgeführte, automatisierte Analyse wenig erkenntnisreich sei (ebd., S. 437).
Genau hier lag ein Erkenntnisinteresse meiner Studie, in der im Mittelpunkt steht, warum die Hersteller*innen faire Medientechnologien produzieren und die Nutzenden eben diese Medientechnologien erwerben. So wurden im Rahmen der hier präsentierten Studie sowohl die Produktions- als auch die Aneignungsseite des Fairphones untersucht. Dieses Fallbeispiel zeigt, wie auf den Ebenen der Produktion und der Aneignung (hier im Sinne einer bewussten Kaufentscheidung) Menschen versuchen, mit eben der Produktion und der Aneignung von Medientechnologien eine nachhaltige Gesellschaft und ein „gutes Leben“ zu etablieren.

3.1.3 Onlineplattformen und Nachhaltigkeit – das Beispiel Utopia.de

Sind das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés sowie das Produzieren und Aneignen fair gehandelter Medientechnologien am Beispiel des Fairphones Fallbeispiele dafür, was Individuen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen mit Medientechnologien machen, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen, so beschäftigt sich das dritte Fallbeispiel mit Medieninhalten und untersucht diese Fragestellung am Beispiel der Onlineplattform Utopia.de.
Utopia.de ist eine deutschsprachige Onlineplattform, die von der Utopia GmbH mit Sitz in München betrieben wird. Die Utopia AG samt Onlineplattform wurde 2007 von der Unternehmerin Claudia Lange gegründet (Hauck 2010). Der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), welche zu 100 % in Besitz der SPD ist, kommen seit 2014 100 % der Anteile der Utopia GmbH zu (Meyer 2014). Nach dem Selbstverständnis der Utopia GmbH will diese „Millionen Verbraucher informieren und inspirieren, ihr Konsumverhalten und ihren Lebensstil nachhaltig zu verändern.“ (Utopia 2019c) Was Utopia dafür primär macht, ist, über die von ihnen betriebene Onlineplattform Kaufberatung zu geben. D. h., es werden v. a. Informationen über von der Utopia GmbH als nachhaltig eingestufte Produkte (z. B. auch das Fairphone) und Praktiken (z. B. auch das Reparieren) über ein auf der Onlineplattform integriertes Onlinemagazin verbreitet sowie Nutzende der Onlineplattform zum Test dieser Produkte über verschiedene (medienvermittelte) Aktionen eingeladen (s. detaillierter Abschn. 4.​1). In die Plattform integriert sind aber auch Onlineforen, in denen die sogenannten Utopist*innen ihre Meinung über Produkte oder Tipps für nachhaltigen Konsum äußern können (s. Abschn. 4.​4).
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft bildet die Forschung, welche sich mit Internetmedien, in denen Nachhaltigkeit thematisiert wird bzw. über die Menschen zu einer solchen beitragen wollen, ein Nischenthema (s. Abschn. 2.​3). Begreift man Konsumkritik als einen bewussten Akt, mit dem Praktiken und Produkte kritisiert werden, die als nicht nachhaltig bewertet werden, so konnte bereits in Abschn. 2.​2.​3 ein Teil des hier relevanten Forschungsstandes aufgearbeitet werden. Dort wurde deutlich, dass das Forschungsfeld, welches sich mit Konsumkritik beschäftigt, ein Thema der (politikwissenschaftlich orientierten) Kommunikations- und Medienforschung ist und dass nur einige, wenige Studien vorliegen, die analysieren wie Menschen Medien nutzen, um Konsumkritik zu äußern und dass hier ferner v. a. unternehmenskritische Protestkampagnen im Fokus der Forschung stehen.
Wie Nachhaltigkeit in Internetmedien thematisiert wird und welche neuen Möglichkeiten sich durch Internetmedien für Nachhaltigkeitskommunikation ergeben, wurde bereits in Abschn. 2.​1.​2 skizziert. Aufbauend auf diesem skizzierten Forschungsstand sollen im Folgenden noch einige Studien erläutert werden, die explizit die Onlineplattform Utopia.de analysiert haben.
Aus der Perspektive der politischen Kommunikation nehmen Baringhorst und Witterhold (2018) Utopia.de in den Blick. Sie attestieren dieser ein „enormes Unterstützungspotenzial für kritische Verbraucher(innen)“ (Baringhorst und Witterhold 2018, S. 206), arbeiten gleichzeitig heraus, dass sich die auf der Onlineplattform registrierten Mitglieder v. a. nach einem Relaunch der Plattform immer weniger beteiligen können und viele Nutzende inaktiv bleiben (ebd., S. 206 f.).
Aber auch darüber hinaus gilt Utopia.de bei Web 2.0-Nutzer*innen als nicht unumstritten:
„Trotz des Erfolgs und der großen Nachfrage gerät Utopia.de ab und an in die Kritik von Web 2.0 Nutzern. Beispielsweise durch nutzungsbezogene Unstimmigkeiten (Umgang mit kritischen Kommentaren oder Nutzern, mangelnde Transparenz der Betreiber) oder aufgrund der aktuellen Kooperation mit der Firma Henkel“ (Glathe 2010, S. 110).4
Die Onlineplattform Utopia.de wurde als ein drittes Beispiel für Medienpraktiken, die auf eine nachhaltige Gesellschaft und ein „gutes Leben“ zielen, herangezogen, über die die Dimension der Medieninhalte in den Blick genommen werden kann.
Durch die Wahl dieser drei Fallbeispiele wurden also die Dimensionen der Medienproduktion, Medienaneignung und Medieninhalte abgedeckt. In der Analyse der Beispiele wurden v. a. sechs theoretische Dimensionen relevant, die im Folgenden erläutert werden.

3.2 Theoretische Dimensionen

Wurden im vorhergehenden Kapitel die drei Fallbeispiele beschrieben, die für die hier präsentierte Studie untersucht wurden, und der jeweils relevante Forschungsstand skizziert, so werden im Folgenden die theoretischen Dimensionen erarbeitet, welche in der Analyse der Medienpraktiken, die auf eine nachhaltige Gesellschaft und ein „gutes Leben“ zielen, sichtbar wurden. Wie bereits in der Einleitung erläutert zeigt sich in der empirischen Untersuchung der Fallbeispiele, dass sechs kommunikations- und medienwissenschaftlich relevante Dimensionen den untersuchten Medienpraktiken inhärent sind: 1) Medienpraktiken, 2) Materialität, 3) Medienethik, 4) Vergemeinschaftung, 5) politische Partizipation sowie 6) soziale Bewegung. Denn nimmt man die auf eine nachhaltige Gesellschaft und ein „gutes Leben“ abzielenden Medienpraktiken in den Blick, so zeigt sich, dass zunächst im Fokus der Frage steht, was Individuen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen mit Medien machen, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen. Damit stehen Medienpraktiken im Zentrum der Frage. Fokus der untersuchten Medienpraktiken ist (auch) die Materialität digitaler Medientechnologien, die die Akteur*innen bewusst wahrnehmen, reflektieren sowie kritisieren und die sie durch ihre Medienpraktiken verändern wollen. Da die hier untersuchten Medienpraktiken bestimmte Normen und Ziele verfolgen, ist eine medienethische Perspektive in der Analyse der Fallbeispiele ebenso relevant. In der Analyse zeigte sich dann, dass Menschen nicht alleine handeln, sondern innerhalb von (kommunikativen und/oder medienvermittelten) Vergemeinschaftungen oder sich zumindest an solchen orientieren. Des Weiteren zeigt die Analyse, dass die Akteur*innen die Gesellschaft mit ihren Medienpraktiken verändern wollen. Somit steht als vierte Dimension die Frage nach politischer Partizipation im Fokus. Somit ist eine weitere relevante Dimension in der Analyse von Medienpraktiken, die der Vergemeinschaftung. Schließlich ist zu diskutieren, inwiefern es sich bei diesen Vergemeinschaftungen um soziale Bewegungen handelt, durch die die Gesellschaft zu einer nachhaltigeren gestaltet werden soll, nicht zuletzt, da Akteur*innen in den Fallbeispielen versuchen, soziale Bewegungen herzustellen.
Entlang dieser sechs theoretischen Dimensionen, die nicht nur miteinander verknüpft sind, sondern sich z. T. auch überschneiden, werden die empirischen Ergebnisse der hier durchgeführten Studie diskutiert. Gleichzeitig leistet die hier präsentierte vergleichende Studie einen Beitrag zu den Forschungsfeldern, welche sich mit diesen Dimensionen auseinandersetzen, und erweitert die jeweiligen Bereiche nicht nur durch die empirischen Befunde, sondern trägt durch theoretische (Weiter-)Entwicklungen auch zu den theoretischen Konzeptualisierungen in diesen Felder bei. Daher werden im folgenden die genannten Dimensionen erläutert, die zentralen Begriffe definiert und relevante theoretische Ansätze sowie empirische Studien aufgearbeitet.

3.2.1 Medienpraktiken

Stellt man die in diesem Buch zentrale Frage, was Individuen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen mit Medien machen, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen, so wird alleine durch das Verb „machen“ deutlich, dass diese Arbeit im Forschungsfeld der Medienpraktiken zu verorten ist, das untersucht, wie sich Akteur*innen in verschiedenen Kontexten Medien aneignen.
Die kommunikations- und medienwissenschaftliche Praxistheorie basiert auf einem soziologischen Fundament und bezieht sich dabei v. a. auf die Arbeiten von Schatzki und Reckwitz. Schatzki (2012, S. 14) definiert Praktiken: „A practice […] is an open-ended, spatially-temporally dispersed nexus of doings and sayings.“ Er betont damit nicht nur die zeitliche und räumliche Relevanz von Praktiken, sondern auch die Verbindung von Taten und Aussagen.
Reckwitz definiert Praktiken als
„a routinized type of behaviour which consists of several elements, interconnected to one another: forms of bodily activities, forms of mental activities, ,things‘ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge“ (Reckwitz 2003, S. 249 f.).
Praktiken sind also durch Wiederholung gekennzeichnet. In ihnen kommen körperliche mentale Aktivitäten zusammen und sie basieren auf Wissens: Eine Praktik ist ein „Nexus von wissensabhängigen Verhaltensroutinen“ (Reckwitz 2003, S. 291) und ist im Gegensatz zu Handlungen nicht punktuell und individuell, sondern sozial geteilt, routinisiert und durch ein implizites sowie interpretatives Wissen gekennzeichnetes, „sozial ‚verstehbares‘ Bündel von Aktivitäten“ (ebd., S. 289). Praktiken sind charakterisiert durch die „Kollektivität von Verhaltensweisen“ (ebd.). Praktiken sind also keine vereinzelten Handlungen, vielmehr sind sie eine Konstellation von Handlungen verschiedener Personen: „practice is an organised constellation of different people’s activities. A practice is a social phenomenon in the sense that it embraces multiple people“ (Schatzki 2012, S. 13).
Nach dem „practice turn“ (Schatzki et al. 2001) hat sich auch das kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschungsfeld, welches sich mit Medienpraktiken beschäftigt, in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt (für einen Überblick s. z. B. Pentzold 2020 und 2015; Gentzel 2015, S. 15 ff.). Als zentrale Frage formuliert Couldry für das entsprechende kommunikations- und medienwissenschaftliche Feld: „What, quite simply, are people doing in relation to media across a whole range of situations and contexts?“ (Couldry 2004, S. 119) Couldry (2004, S. 117) definiert Medien selbst als Praktik: „media [are, S. K.] the open set of practices relating to, or oriented around, media“. Er argumentiert, dass wir eine praxistheoretische Perspektive einnehmen müssen, um zu verstehen, wie Medien in den sozialen und kulturellen Alltag eingebettet werden (ebd., S. 129). Eine solche Perspektive erlaubt zu untersuchen, wie sich Akteur*innen Medien aneignen und welche Bedeutung sie Medien zuschreiben.
Lünenborg und Raetzsch (2018, S. 14) unterstreichen die Relevanz einer medienpraktischen Perspektive: „Through practice theory, we can understand how negotiations allow different actors – let them be single actors or groups like (emerging) social movements – to participate, articulate themselves and challenge dominant viewpoints.“
Die Medienaneignungsforschung ist ein Feld der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Praxisforschung. Sie untersucht, wie Menschen Medien in ihren Alltag integrieren: „Der Begriff Medienaneignung unterstreicht, dass das Subjekt auch der medialen Umwelt als Sinn gebende und eigentätige Instanz begegnet, die medialen Offerten prüft, in sein Leben integriert oder sich ihnen verweigert.“ (Theunert und Schorb 2010, S. 249) Der Domestizierungsansatz (s. z. B. Hartmann 2013; Röser und Müller 2017) betrachtet dabei die Integration von Medientechnologien in den häuslichen Alltag. In diesem Buch wird jedoch nicht nur diskutiert, wie Individuen Medien(technologien) in ihren Alltag integrieren, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft beizutragen. Vielmehr stehen auch weitere Akteur*innen wie Nichtregierungsorganisationen sowie Unternehmen und ihre Medienpraktiken für Nachhaltigkeit im Fokus.
Burchell, Driessens und Mattoni (2020) unterscheiden zwischen „practicing media“ und „mediating practice“: Während letzteres Konzept sich auf Medienpraktiken bezieht, durch die Akteur*innen Medien in ihren Alltag integrieren (ebd., S. 2780), verweist das erste auf Praktiken, in denen Medien (als Inhalte) hergestellt werden (ebd., S. 2782). Auch wenn diese Differenzierung sinnvoll erscheint, so ist der Begriff des „mediating practice“ etwas irreführend – sind es doch nicht die Medienpraktiken, die vermittelt („mediating“) werden, sondern sind es Medien, auf die sich die Praktiken beziehen.
Eine Differenzierung zwischen Praktiken, in denen Medien als Vermittler fungieren, und solchen, in denen Medien im Fokus der Praktiken selbst stehen, ist daher sinnvoll: Das Konzept des „acting on media“ (Kannengießer und Kubitschko 2017) erfasst die Medienpraktiken sehr unterschiedlicher Akteur*innen, welche Medien in den Fokus ihres Handelns setzen: „The notion of acting on media denotes the efforts of a wide range of actors to take an active part in the molding of media organizations, infrastructures and technologies that are part of the fabric of everyday life“ (ebd., S. 1). Das Konzept „acting on media“ bezieht sich dabei auf Medienpraktiken, in denen Menschen bewusst und aktiv Medien(-technologien) durch ihr Handeln gestalten und damit nicht nur die Medientechnologien selbst transformieren, sondern auch gesellschaftlichen Wandeln hervorbringen (Kannengießer 2020a, S. 178). „Acting on media“ ist dabei oft, wenn auch nicht immer, ein politisches Handeln, in dem die Medien(-technologien) selbst politisiert werden (ebd.). Empirische Fallstudien zeigen, wie soziale Bewegungen (Stephansen 2017), Fangemeinschaften (Reißmann et al. 2017), Kollektive, die sich über soziale Netzwerke bilden (Myers West 2017) und Unternehmen (Möller und von Rimscha 2017) Medien, Medientechnologien und Medienunternehmen in das Zentrum ihres Handelns setzen.
Die Praktiken des „acting on media“ werden in hierarchischen Strukturen und sozialen Machtgefügen5 verfolgt, deren Veränderung diese Medienpraktiken z. T. hervorrufen wollen. „Acting on media, like other forms of political action, is best characterized as a set of practices that are embedded in and at the same time produce constellations of power (related, amongst others, to gender, class, age and education).“ (Kannengießer und Kubitschko 2017, S. 2) Bei der Analyse der Medienpraktiken, welche Medien(-technologien) selbst in den Fokus stellen, sind daher die gesellschaftlichen Kontexte und Machtkonstellationen zu berücksichtigen. Die Fallbeispiele für die Medienproduktion und -aneignung von Medien(-technologien) werden in dieser Arbeit als Beispiele des „acting on media“ verstanden, da beim Reparieren von Medientechnologien einerseits wie auch bei der Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien andererseits die Medienapparate selbst im Fokus des Handelns stehen (s. hierzu Abschn. 4.​1).
Aus der Perspektive der Sozio-Informatik argumentieren Wulf et al. (2018) mit ihrem Konzept des „practice-based computing“ für eine Praxisperspektive im Design von Informationstechnologien. Sie betonen das Wechselspiel von Medientechnologieentwicklung und -aneignung: Medientechnologien seien mit dem Verfahren des „Grounded Designs“ (ebd., S. 23 ff.) unter Einbeziehung der Nutzer*innen zu entwickeln, die die Technologien und ihre Bedeutungen in Aneignungsprozessen verändern (können).
Relevant für die in diesem Buch diskutierten Fallstudien sind auch Medienpraktiken aktivistischer Akteur*innen und sozialer Bewegungen. Mattoni (2012, S. 159) benennt drei Aspekte aktivistischer Medienpraktiken:
„1) both routinised and creative social practices that; 2) include interactions with media objects (such as mobile phones, laptops, pieces of paper) and media subjects (such as journalists, public relations managers, other activists); 3) draw on how media objects and media subjects are perceived and how the media environment is understood and known.“
In der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Praxisforschung im Allgemeinen und in der Analyse der Medienpraktiken sozialer Bewegungen im Besonderen wurde v. a. untersucht, wie sich Akteur*innen sozialer Bewegungen Medien für die Vernetzung und Mobilisierung aneignen (s. hierzu detaillierter Abschn. 3.​2.​6). So argumentiert Milan (2013), dass Aktivist*innen bestimmte Handlungsrepertoires während der Aneignung digitaler Medien entwickeln, die es zu untersuchen gilt. Wie und warum Individuen, Organisationen, Kollektive und damit schließlich auch soziale Bewegungen Medien(-technologien) selbst in den Fokus ihres Handels setzen und nicht nur die Technologien selbst verändern, sondern darüber hinaus auch gesellschaftlichen Wandel hervorbringen wollen, ist hingegen kaum untersucht.
Nicht zuletzt für Medienpraktiken, die Medientechnologien in das Zentrum stellen, ist die Materialität dieser zentral. Doch hebt die soziologische Praxistheorie die Relevanz des Materiellen für jedwede Art von Praktiken hervor und kritisiert „eine grundlegende ‚Entmaterialisierung‘ des Sozialen in vielen Sozial- und Kulturtheorien“ (Reckwitz 2003, S. 291). Reckwitz (ebd.) betont die Materialität von Praktiken, welche er auf den Körper der die Praktiken ausführenden Person bezieht: „Eine Praktik besteht aus bestimmten routinisierten Bewegungen und Aktivitäten des Körpers.“ Gleichzeitig hebt er auch die Relevanz der Materialität von Dingen hervor, welche Teilelemente sozialer Praktiken seien (ebd.). Mit dem Konzept des „acting on media“, wird die Relevanz der Materialität der Medientechnologien für die Medienpraktiken unterstrichen. Da die Materialität der Medientechnologien in den Medienpraktiken relevant wird, die in der hier diskutierten Studie untersucht wurden, soll im Folgenden auch das kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschungsfeld skizziert werden, welches sich mit Materialität auseinandersetzt.

3.2.2 Materialität

Die Relevanz der Materialität von Medientechnologien im Zusammenhang mit digitalen Medien und Nachhaltigkeit wurde bereits in den Ausführungen zu den sozial-ökologischen Effekten der Produktion, Aneignung und Entsorgung digitaler Medientechnologien deutlich (s. Abschn. 2.​2.​2). So weist Starosielski (2014b, S. 2504) in Hinblick auf Datenzentren auf die Materialität der Temperatur digitaler Medientechnologien hin, die Auswirkungen auf die materielle Umgebung der Geräte habe, während Gabrys (2006, S. 160) in ihrer Auseinandersetzung mit elektronischem Müll und im Zusammenhang mit Mülldeponien von kultureller und materieller „Verdauung“ spricht und die materielle Beschaffenheit elektronischer Geräte betont: „Electronics typically are composed of more than 1000 different materials, components that form part of a materials program that is far reaching and span from micro-chip to electronic systems.“ (Gabrys 2011, S. 3; Hervorhebung, S. K.)
Die Auseinandersetzung mit den Medientechnologien selbst und ihrer physischen Beschaffenheit fand lange Zeit am Rande der Kommunikations- und Medienwissenschaft statt (Quandt und von Pape 2010, S. 330). In der Mitte des Faches wurden die Medientechnologien selbst oftmals übersehen, da der Fokus vielmehr auf den Medieninhalten, den die Inhalte produzierenden Institutionen sowie Akteur*innen und den Rezipierenden lag (Gillespie et al. 2014, S. 1). Dabei hatten bereits Innis und McLuhan in den 1950er und 1960er-Jahren auf die Relevanz der Mediengeräte selbst hingewiesen, indem sie den Blick von den Medieninhalten hin zu der Form von Medien verschoben (Innis 1951; McLuhan 1964). Im Anschluss unterstrich Meyrowitz (1986) die Relevanz der Kommunikationstechnologie für soziale Beziehungen und Gesellschaft am Beispiel des Fernsehens.
In der für die hier präsentierte Studie besonders relevanten Aneignungsforschung, wurde die Relevanz der Materialität der Medientechnologien frühzeitig betont. So weist Williams (mit den Kollegen am Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham) als Vertreter der Cultural Studies bereits in den 1970er und 1980er-Jahren die Idee von Medientechnologien als neutrale Kanäle von Botschaften zurück und betont u. a. die prägenden Eigenschaften der Medien auf Kommunikation und Kultur (s. z. B. Williams 1977; siehe hierzu auch Göttlich 2009). Auch im Domestizierungsansatz wird die Bedeutsamkeit der Materialität von Medientechnologien hervorgehoben. So betont Silverstone (1990) in seinem Konzept der doppelten Artikulation, dass die Materialität die Mediennutzung prägt und daher neben den Medieninhalten auch die Objekte in den Blick zu nehmen seien (s. hierzu auch Hartmann 2013, S. 24 und 117).6 Dabei prägt jedoch nicht nur die Materialität der Medientechnologien die Kommunikationsprozesse, die sozialen Beziehungen sowie die Kultur, sondern diese beeinflussen andersherum auch die Materialität der Medientechnologien selbst: „In much of contemporary scholarship, media technologies are no longer treated as things that simply happen to society, but rather as the product of distinct human and institutonal efforts“ (Gillespie et al. 2014, S. 1). So sind Medientechnologien schließlich „kulturelle Güter“ (Jansson 2014, S. 284) die nicht nur aufgrund ihrer Funktionalität, sondern auch bestimmter kultureller Werte genutzt oder abgelehnt werden (ebd., s. hierzu auch Abschn. 3.​2.​4). Jasanoff betont in den Science and Technology Studies: „[T]here can be no machines without humans to make them“ (Jasanoff 2015, S. 3).7
Der Diskurs um die Materialität (digitaler) Medien(-technologien) in der Kommunikations- und Medienwissenschaft drehte und dreht sich vor allem um eine Auseinandersetzung mit den Binaritäten Materialität und Immaterialität, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit (für einen Überblick über das Forschungsfeld, welches sich mit der Materialität der Medientechnologien beschäftigt, s. Gillespie et al. 2014; Lievrouw 2014). So meint Jansson (2014, S. 281), dass die Artefakte in der Lebenswelt der Individuen naturalisiert und die Technologien transparenter werden, je selbstverständlicher sie im Alltag genutzt werden. In seiner „negativen Medientheorie“ behauptet Mersch sogar, dass die Medien „in ihrem Erscheinen selbst verschwinden“ (Mersch ohne Jahr, 3, s. auch Mersch 2006):
„Schon vom Wort her bezeichnen ‚Medien‘ das ‚Mittlere‘, das, was sich dazwischen hält, was freilich im Prozess der Vermittlung selbst untergeht. Keine Vermittlung vermag ihre eigenen Bedingungen, so wenig wie ihre Materialitäten und Strukturen mitzuvermitteln: darin manifestiert sich das genuine Paradox des Medialen.“ (Mersch ohne Jahr, 3)
Mit der Etablierung des Internets und der Entwicklung verschiedener Internetmedien wurde zunehmend die Immaterialität und Virtualität der „neuen“ Medien betont (s. z. B. Chudoba et al. 2005; Blanchette 2011, S. 3). Unter dem Eindruck aktueller Digitalisierungsprozesse wird sogar von einem „Zeitalter der Dematerialisierung“ gesprochen (Magaudda 2011, S. 15). Doch sind digitale Medientechnologien mitnichten immateriell:
„Electronics often appear only as ‚media‘, or as interfaces, apparently lacking in material substance. Yet digital media materialize in distinctive ways – not just as raw matter but also as performances of abundance – often because they are so seemingly immaterial.“ (Gabrys 2011, S. 2; s. auch Gabrys 2015)
Seit dem „material turn“ (Bennett und Joyce 2010) hat sich auch in der Kommunikations- und Medienwissenschaft ein Diskurs etabliert, der die Annahme einer Körperlosigkeit von Medien kritisiert (Geiger 2014, S. 346), die Materialität (digitaler) Technologien betont und sich mit dieser auseinandersetzt (z. B. Parikka 2012; Aakhus et al. 2011; Berry 2012; Gillespie et al. 2014; Parks und Starosielski 2015; Allen-Robertson 2017). In seiner Auseinandersetzung mit Mediatisierung nimmt Jansson (2014, S. 286) die materielle Ausdehnung der Mediatisierung sogar als „Epizentrum“ dieser wahr. Er spricht von der „Unerlässlichkeit des Materiellen“ und betont, dass Mediennutzung an die materielle Existenz und die Affordanzen der Medien gebunden sei (ebd., S. 284). Affordanzen sind die Besonderheiten der jeweiligen Technologien, die eine bestimmte Art und Weise der Nutzung ermöglichen bzw. festlegen (s. z. B. Hutchby 2001).
Die Relevanz der Materialität digitaler Medientechnologien für die Medieninhalte und die -aneignung wird in der aktuellen Kommunikations- und Medienwissenschaft zum einen theoretisch diskutiert, zum anderen empirisch untersucht. Am Beispiel digitalen Geschichtenerzählens arbeiten Couldry (2008) und Bratteteig (2008) die Relevanz des Digitalen für die Inhalte und Praktiken des Geschichtenerzählens heraus. So benennt Couldry vier Merkmale für die Spezifik digitaler Medien, die sowohl die Inhalte der Geschichten als auch die Erzählweisen beeinflussen: der Druck, Text mit Ton, Bewegt- oder Standbild zu kombinieren und Geschichten zu visualisieren; 2) die Anpassung bzw. Verkürzung der Geschichtendauer wegen beschränkter Dateigrößen und/oder verkürzter Aufmerksamkeitsspanne der Internetnutzer*innen; 3) eine Standardisierung der Erzählform aufgrund etablierter Formate und Erwartungshaltungen; 4) die Berücksichtigung der Verbreitung digitaler Geschichten innerhalb unerwünschter Nutzer*innenkreise (Couldry 2008, S. 49; s. hierzu auch Kannengießer 2014a, S. 212 f. und Bozdag und Kannengießer 2019).
Neben solchen theoretischen Konzeptionalisierungen wird die Bedeutung der Materialität digitaler Medientechnologien in den Aneignungsprozessen dieser auch empirisch untersucht. Magaudda (2011) analysiert z. B. in einer qualitativen Studie die Musikaneignung am Beispiel der Nutzung von iPods, externen Festplatten und Vinylplatten und betont, dass die Relevanz der Materialität von Medientechnologien auch bei der Mediennutzung digitaler Apparate nicht abnehme (Magaudda 2011, S. 15).
Inwiefern digitale Medientechnologien Einfluss auf ihre materielle Umwelt haben, wird auch an ihre Materialität bzw. Immaterialität geknüpft: „Digital technologies appear to be green because they seem more immaterial, and because they can make processes more efficient.“ (Gabrys 2015, s. 5; Hervorhebungen S. K.) Dass die Materialität digitaler Medientechnologien negative sozial-ökologische Folgen verursacht, wurde in Abschn. 2.​2.​2 herausgearbeitet. Es ist dieses Bewusstsein um die Materialität digitaler Medientechnologien und die Folgen dieser auf ihre materielle Umgebung, die den in den drei Fallstudien untersuchten Akteur*innen bewusst ist. Somit ist Materialität eine der zentralen theoretischen Dimensionen, die in der Analyse der hier diskutierten Fallbeispiele virulent wurden. Dabei wird hier Materialität zum einen als die tatsächliche Stofflichkeit der Medientechnologien definiert, also als die Stoffe, aus denen die Mediengeräte bestehen; zum anderen wird auf der Basis der hier skizzierten relevanten fachlichen Diskussion die Materialität der Medientechnologien als Manifestationen von Medienaneignungsprozessen verstanden, welche in spezifischen sozial-kulturellen Kontexten zu bestimmten Zeitpunkten stattfinden. Aufgrund dieser Materialisierung von Medienpraktiken manifestieren sich in den Medientechnologien auch die Werte und Normen, welche in den jeweiligen sozial-kulturellen, zeitlich spezifischen Kontexten vorzufinden sind und z. T. auch dominieren. Die Materialität (digitaler) Medientechnologien und die Praktiken, in denen diese angeeignet werden, können daher immer auch mit einer medienethischen Perspektive betrachtet werden, die für die Studie ebenfalls zentral ist.

3.2.3 Medienethik

Den in der hier präsentierten Studie untersuchten Medienpraktiken ist eine normative Dimension inhärent, bewerten die Akteur*innen das „konventionelle“ Handeln mit Medien, das sie kritisieren und für das sie mit ihren Medienpraktiken Alternativen schaffen wollen. Nicolini unterstreicht, dass Praktiken immer eine normative Dimension haben, da es eine richtige und falsche Art und Weise gäbe zu handeln: „there is a right and wrong way of doing things“ (Nicolini 2017, S. 22). Aufgrund dieser normativen Dimension der Medienpraktiken, die im Fokus dieses Buches stehen, ist für die Analyse der Fallbeispiele eine medienethische Perspektive bedeutend. Daher bedarf es hier auch der Skizzierung des kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschungsfeldes, welches sich mit Medienethik beschäftigt, um zentrale, für die Analyse notwendige Begriffe zu definieren.
Averbeck-Lietz (2014, S. 82) unterscheidet zwischen Medienethik und Kommunikationsethik und argumentiert, dass Letztere über Erstere hinausgehe, da sie auch Encounter- und Versammlungsöffentlichkeiten einschließe. Zwar werden in der hier präsentierten Studie mit den Repair Cafés nicht nur medienvermittelte Versammlungsöffentlichkeiten untersucht, sondern auch solche, die sich vis-à-vis konstituieren, dennoch stehen Medienpraktiken und damit auf Medien bezogenes Handeln im Zentrum dieser Arbeit, weswegen sich die folgenden Ausführungen konsequenterweise mit Medienethik befassen. Wenngleich Ess (2009) vor dem Hintergrund der Etablierung digitaler Medien und des Internets von einer digitalen Medienethik spricht und dies bei einer ausschließlichen Beschäftigung mit digitalen Medien sinnvoll wäre, so nutze ich hier weiterhin den Begriff der Medienethik, da in der hier präsentierten Studie auch nicht digitale Medien, wie beispielsweise in der Fallstudie zu Repair Cafés, bedeutend sind.
Medienethische Arbeiten in der Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigen sich mit Moral, Werten und Normen in den Bereichen der Medienproduktion, Medieninhalte und Medienrezeption. Digitale Medien bzw. Internetmedien haben den Forschungsgegenstand der Medienethik verändert. So wird eine „Neuvermessung der Medienethik“ (Prinzing et al. 2015) vorgenommen oder „ethische Herausforderungen im Web 2.0“ (Dabrowski et al. 2014) untersucht. Zunehmend beschäftigen sich gegenwärtige medienethische Perspektiven auf Medieninhalte beispielsweise mit Hasskommentaren in Internetmedien (s. u. a. Hafez 2017) oder Leaking (z. B. Averbeck-Lietz 2014, S. 95 ff.). Eine medienethische Analyse der Medienaneignung von Medientechnologien im Allgemeinen und solchen mit dem Ziel der Nachhaltigkeit und des „guten Lebens“, wie sie für die hier präsentierte Studie vorgenommen wurde, ist hingegen noch nicht vorgenommen worden.
Zu den für diese Arbeit relevanten medienethischen Begriffen gehört auch der der Ethik selbst sowie jener der Moral. Verstehen wir unter Ethik die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Bereich der Moral (Funiok 2002, S. 38) und unter Moral „den in einer bestimmten Gruppierung, Gemeinschaft oder Gesellschaft geltenden Komplex an Wertvorstellungen, Normen und Regeln“ (Rath 2002, S. 59), dann sind die hier untersuchten Medienpraktiken moralische, weil mit ihnen bestimmte Werte verfolgt werden, wie später in der Diskussion der empirischen Ergebnisse gezeigt wird. Unter Moral lassen sich also Handlungsregeln verstehen, die die Ethik betrachtet und bewertet (s. hierzu auch Funiok 2015).
Neben Ethik und Moral ist weiterhin das Begriffspaar der Werte und Normen für die spätere empirische Analyse relevant. „Werte sind also Ziele für individuelle oder soziale Entwicklungen, sie sind (immaterielle) Güter, um die man sich individuell oder gesellschaftlich bemüht.“ (Funiok 2016, S. 322) Normen dagegen sind „konkrete Verhaltensregeln“ (ebd.). Das Verhältnis des Begriffspaares untereinander beschreibt Funiok wie folgt:
„Werte begründen das moralische Handeln – Normen begrenzen und sanktionieren es. Werte haben, verglichen mit Normen, etwas Attraktives, sie gehen – bei aller Verbindlichkeit – mit der Erfahrung von Freiheit, des Bei-sich-Seins, der Eröffnung von Horizonten zusammen. Normen haben demgegenüber etwas Restriktives, Einschränkendes, konkret Festmachendes“ (ebd., S. 324).
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigt sich die Medienethik mit den Normen und Werten, welche in der Produktion von Medieninhalten (v. a. im Journalismus), in den Medieninhalten selbst und bei der Rezeption und Aneignung der Medieninhalte vorzufinden sind.
„Medienethik erhebt, analysiert und reflektiert Wertevorstellungen und Normen auf unterschiedlichen Ebenen: auf der gesellschaftlichen Makroebene (z. B. Gesetzgebung, Medienregulierung), auf der Mesoebene der Organisationen (Medienunternehmen, Dachverbände etc.) sowie auf der Mikroebene der handelnden Individuen (Produzent_innen und Rezipient_innen).“ (Krainer et al. 2016, S. 10)
Mit den in der hier präsentierten Studie untersuchten Medienpraktiken stehen solche auf der Mikro- und Mesoebene im Fokus, da zum einen Medienpraktiken von Individuen untersucht werden (wie den Nutzenden des Fairphones), aber auch solche, die organisiert (wie das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés) oder durch Organisationen bzw. Unternehmen (wie das Fairphone-Unternehmen und die Utopia GmbH) praktiziert werden. Die Makroebene spielt als Rahmen für die untersuchten Medienpraktiken eine Rolle, der die Medienpraktiken prägt bzw. durch diese kritisiert wird.
„Medienethik gilt als Bereichsethik (wie Wirtschaftsethik, Bioethik, Rechtsethik etc.) sowie als angewandte Ethik, insofern sie sich mit konkreten Handlungsbezirken befasst.“ (Krainer et al. 2016, S. 11) Entsprechend des handlungstheoretischen Paradigmas in der Kommunikations- und Medienwissenschaft (s. Abschn. 3.​2.​1), fragt Couldry (2012, S. 189): „How should we act in relation to media, so that we contribute to lives that, both individually and together, we would value on all scales, up to and including the global?“ Es ist eine solche normative und zentrale Frage, die sich auch die Akteur*innen in den Fallstudien stellen und die sie mit ihren Medienpraktiken beantworten wollen.
„Als Angewandte Ethik ist die Kommunikations- und Medienethik eine wissenschaftliche Disziplin, die auf praktische Orientierung und Beurteilung von konkreten Handlungen und Strukturen im Bereich von (öffentlicher) Kommunikation und Medien auf der Basis von Normen unterschiedlicher Art ausgerichtet ist.“ (Filipović 2015a, S. 431)
Medienethik ist somit beides, zum einen Gegenstand kommunikations- und medienwissenschaftlicher Analysen, wie auch die hier untersuchten Medienpraktiken, zum anderen lässt sie sich auf Medienphänomene und Medienpraktiken anwenden, indem diese kritisch bewertet werden.
„Es soll klar werden, dass Ethik eben nicht allein eine Sache der persönlichen Einschätzungen von Individuen ist und etwa nur die Normen des Rechts eine allgemeine Verbindlichkeit haben: In Ihrem [sic!] Urteil über gute (bzw. schlechte) und richtige (bzw. falsche) Handlungen und Strukturen macht die Medienethik als Ethik immer Vernunftgründe geltend, von denen sie erwarten kann, dass diese allgemein nachvollziehbar sind.“ (Filipović 2015b, S. 316)
Die Gründe für das Praktizieren der hier untersuchten Medienpraktiken, wurden daher in der empirischen Studie genauer in den Blick genommen. Dabei stehen bei der Ergebnispräsentation zentrale medienethische Begriffe im Fokus, zu denen vor allem Verantwortung und Gerechtigkeit, aber auch Gemeinwohl, Freiheit, Selbstbestimmung, Transparenz und Würde gehören. Diese für die empirische Analyse relevant werdenden Begriffe, sollen daher im Folgenden kurz aus einer medienethischen Perspektive dargestellt werden.
Verantwortung ist eine (medien-)ethische Schlüsselkategorie (Funiok 2011, S. 63). Der Begriff Verantwortung bezieht sich „auf eine der moralischen Grundfragen des menschlichen Lebens, nämlich die Frage, ob die Folgen unseres Handelns als ethisch akzeptabel gelten können“ (Debatin 2016, S. 68). Genau diese Frage stellen sich die in den Fallbeispielen untersuchten Akteur*innen. Verantwortung ist ein relationaler Begriff: „Jemand (Verantwortungssubjekt) ist für etwas (Verantwortungsgegenstand) vor oder gegenüber jemandem (Adressat bzw. Verantwortungsinstanz) verantwortlich.“ (Werner 2002, S. 523) Aus einer medienhandlungsethischen Perspektive ist daher zu fragen: Was machen Menschen (Verantwortungssubjekt) mit Medien (Verantwortungsgegenstand), sodass die Folgen des Handelns akzeptabel gegenüber anderen (Verantwortungsinstanz) sind? Dieser Frage wird in dem Kapitel, in dem die Analyseergebnisse der empirischen Studie aus einer medienethischen Perspektive diskutiert werden, nachgegangen (Abschn. 4.​3).
Neben Verantwortung zählt vor allem der Begriff der Gerechtigkeit zu den hier relevanten medienethischen Begriffen. Krainer (2018, S. 320) betont, dass es verschiedene medienethische Betrachtungsmöglichkeiten des Gerechtigkeitsbegriffs gebe. Zu diesen gehören auch medien- und kommunikationsrelevante Gerechtigkeiten wie Freiheit in der Informationsbeschaffung und der Meinungsäußerung, aber auch im Zugang zu Medien sowie ein gerechter Besitz medialer Produktionsmittel und eine gleichberechtigte Repräsentation unterschiedlicher Personen oder Meinungen innerhalb der Medien (ebd., S. 320 f.). Wie die Studie zeigt, gibt es jedoch noch weitere medienethische Aspekte von Gerechtigkeit wie z. B. die Frage nach Gerechtigkeit in Produktions- und Entsorgungsprozessen von (digitalen) Medientechnologien, wie sie bereits problematisiert wurden, und wie dies auch die Akteur*innen der Fallstudien tun (s. Abschn. 4.​1).
Eng in Zusammenhang mit Fragen der Gerechtigkeit in Produktions- und Entsorgungsprozessen digitaler Medientechnologien stehen auch Fragen nach dem Begriff der Würde. Bohrmann (2018) diskutiert, inwiefern die Menschenwürde in Medieninhalten verletzt werden kann bzw. durch diese eben nicht zu verletzen ist. Mit Blick auf Bohrmann zeigen die hier diskutierten Fallstudien deutlich, dass die Würde der Menschen a) auch in den Produktions- und Entsorgungsprozessen digitaler Medien verletzt wird bzw. b) nicht verletzt werden sollte, wie es die Akteur*innen in den Fallbeispielen durch ihre Medienpraktiken versuchen (s. Abschn. 4.​1 bis 4.​3). In der neuzeitlichen Philosophie sowie in aktuellen politischen Normen wie den Menschenrechten8 bezieht sich Würde vor allem auf die Autonomie und Selbstbestimmung des Einzelnen (Bohrmann 2018, S. 55; s. hier auch eine Begriffsgeschichte), die einen weiteren, relevanten medienethischen Begriff in dieser Arbeit darstellt.
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft wird Selbstbestimmung meist als informationelle Selbstbestimmung, also als Kontrolle der Menschen über Informationen gedacht (z. B. Heesen 2017). Dabei geht es zum einen um die Kontrolle im Sinne eines Zugangs zu Informationen, zum anderen aber auch über die Kontrolle im Sinne eines Datenschutzes über Informationen der eigenen Person. Die hier diskutierten Fallstudien zeigen, dass Selbstbestimmung medienethisch einerseits in Hinblick auf die Aneignung von Medientechnologien im Sinne eines Verstehens sowie einer Fähigkeit im Umgang mit den Technologien gedacht werden muss; andererseits wird Selbstbestimmung darüber hinaus auch wieder in Hinblick auf die Selbstbestimmung von Menschen, die an den Produktions- und Entsorgungsprozessen von (digitalen) Medientechnologien beteiligt sind, relevant (s. hierzu Abschn. 4.​3).
Damit liegen Fragen der Selbstbestimmung ganz nah bei medienethischen Fragen der Freiheit. Rath betont, dass „Freiheit die Bedingung moralischer Beurteilung überhaupt [ist, S. K.] und damit auch die Voraussetzung für eine ethische Reflexion auf die Prinzipien, die einer Moral zugrunde liegen“ (Rath 2018, S. 193). Geht es in den Fallstudien immer auch um eine moralische Beurteilung der Medienpraktiken, so ist Freiheit daher als eine Voraussetzung für diese Beurteilung zu betrachten. Um Medienpraktiken, Produktions- und Entsorgungsprozesse digitaler Medientechnologien beurteilen zu können, bedarf es an Informationen über diese Prozesse. Damit ist die medienethische Frage der Transparenz tangiert, die im kommunikations- und medienwissenschaftlichen Feld innerhalb der Journalismusforschung diskutiert wird (z. B. Averbeck-Lietz 2014, S. 93 ff.; Meier 2017). Die Studie zeigt jedoch, dass auch die Transparenz mit Blick auf die Produktions- und Entsorgungsprozesse digitaler Medientechnologien bzw. die Forderung und Versuche der konkreten Umsetzung einer solchen medienethisch relevant ist (s. hierzu Abschn. 4.​3). Dabei gilt auch, und soll in der Diskussion der empirischen Ergebnisse der Studie herangezogen werden, was Meier für Transparenz in Hinblick auf Journalismus konstatiert: „Wir können grundsätzlich unterscheiden zwischen Transparenz, die von außen in ein System oder eine Organisation gebracht wird (Fremd-Transparenz), und Transparenz, die von innen aus sich heraus hergestellt wird (Selbst-Transparenz).“ (Meier 2017, S. 225)
Schließlich ist es der Begriff des Gemeinwohls, der ebenfalls in einer medienethischen Perspektive in der Studie relevant wird. Dieser betont, „dass neben individuellen (privaten) auch überindividuelle (gemeinsame, öffentliche) Interessen Maßstäbe des Handelns sein können und sollen“ (Filipović 2017, S. 10). Gemeinwohl ist eine „normative Orientierung“ (ebd.) im Medienhandeln. Filipović (ebd., S. 13 ff.) skizziert kommunikationswissenschaftliche Arbeiten, die sich mit Gemeinwohl und Medien beschäftigen, und macht dabei deutlich, dass Gemeinwohl v. a. in Hinblick auf Medieninhalte diskutiert wird. Die Fallstudien zeigen, dass es bei einer medienethischen Perspektive auf Gemeinwohl eben auch um die Dimension der Medientechnologien bzw. Medienpraktiken gehen kann. Um dies später detaillierter zu erläutern, sind Filipovićs Schlussfolgerungen aus seiner Aufarbeitung der exemplarischen kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten erkenntnisreich:
„Gemeinwohl wird zu einem Leitbild gesellschaftlicher Mitverantwortung im Medienbereich. In dieser Perspektive haben die Akteure die moralische Pflicht (Verantwortung), in ihrem Medienhandeln nicht nur ihre eigenen Interessen zu berücksichtigen, sondern auch immer die der Allgemeinheit.“ (ebd., S. 13)
Hier deutet sich an, dass die verschiedenen medienethischen Begriffe, welche in diesem Kapitel kurz definiert wurden, in einem engen Zusammenhang stehen und entsprechend in der Diskussion der empirischen Ergebnisse als interdependent besprochen werden.
Anhand der hier definierten zentralen medienethischen Begriffe Verantwortung und Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Freiheit, Selbstbestimmung, Transparenz und Würde, werden in Abschn. 4.​3 auch die Werte herausgearbeitet, die in den untersuchten Medienpraktiken zu finden sind, denn welche Medien(-inhalte) wie genutzt werden, hängt von den moralischen und kulturellen Werten in Kombination mit den situativen Konditionen ab (Jansson 2014, S. 288). Denn:
„Werte sind in einer Kultur (oder Subkultur) anerkannt, sie sind teilweise (als tiefliegende Grundannahmen und Werthaltungen wie Akzeptanz, gegenseitiges Vertrauen) nur latent vorhanden, teilweise als Orientierungsrahmen gewusst und in Handlungsregeln erkennbar. Sie beruhen auf Konsens und sind in ständiger Veränderung (Wertewandel). Werte werden in der Sozialisation oder Enkulturation erlernt.“ (Funiok 2016, S. 322)
Wie die Science und Technology Studies betonen, zeigen sich kulturelle Werte und Normen nicht nur in den Medienpraktiken, sondern materialisieren sich in den Medientechnologien selbst. „,Media things‘ are much more than technics. To a significant extent they are also cultural properties that may be appropriated or rejected on the basis of cultural values as much as functional assets“ (Jansson 2014, S. 284, Hervorhebung im Original). In Technologien können sich außerdem technologische und gesellschaftliche Utopien abbilden, wie in diesem Buch am Beispiel des Fairphones diskutiert wird. Jasanoff spricht von sozial-technologischen Imaginationen und meint damit:
„‚collectively held and performed visions of desirable future‘ (or of resistance against the undesirable), and they are also animated by shared understandings of forms of social life and social order attainable through, and supportive of, advances in science and technology. Unlike mere ideas and fashions, sociotechnical imaginaries are collective, durable, capable of being performed; yet they are also temporally situated and culturally pariticular. Moreover, as captured by the adjective ‚sociotechnical‘, these imaginaries are at once products and instruments of the co-production of science, technology, and society in modernity.“ (Jasanoff 2015, S. 28)
Als sozio-technologische Imaginationen manifestieren sich in Medientechnologien also sozial-kulturelle Werte und Normen, die sich durch Medienpraktiken, welche die Medientechnologien hervorbringen, in die Mediengeräte einschreiben. Damit manifestiert sich in den Medientechnologien auch die Frage nach dem „guten Leben“: „Imaginaries, moreover, encode not only visions of what is attainable through science and technology, but also of how life ought, or ought not, be lived; in this respect they express a society‘s shared understandings of good and evil“ (ebd., S. 6).
Mit einer medienethische Perspektive kann also die Frage nach einem „guten Leben“, das Richtige und Falsche in den Blick genommen werden: „In General, ethics is concerned with how one should live one’s life. […] Ethics addresses questions about what is right or wrong, good or bad, fair or unfair“ (Arneson 2007, S. xiii). Inwiefern sich gesellschaftliche Werte in den Medientechnologien selbst manifestieren bzw. in den Medienpraktiken, die sich auf Medien(-technologien) beziehen, wird im Rahmen der für diese Studie untersuchten Fallstudien deutlich und in Abschn. 4.​3 diskutiert.

3.2.4 Vergemeinschaftung

In den Fallstudien wird deutlich, dass Menschen nicht alleine mittels Medien handeln, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen, sondern auch in Kollektiven und Gemeinschaften agieren. Daher ist eine weitere wichtige Dimension in der Analyse der Fallbeispiele, die der Vergemeinschaftung (s. in Hinblick auf die folgenden Ausführungen auch Kannengießer 2014a, S. 41 ff.). Die sozialwissenschaftliche Vergemeinschaftungsforschung geht auf Max Weber zurück, der zwischen Vergesellschaftungen und Vergemeinschaftungen unterscheidet. Vergesellschaftungen definiert er als
„eine soziale Beziehung [...], wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckrational) motiviertem Interessenausgleich oder auf ebenso motivierten Interessenverbindungen beruht. [...] ‚Vergemeinschaftung‘ soll eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns [...] auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht“ (Weber 1972, S. 21).
Für Vergemeinschaftungen ist also neben geteilten Zielen auch das Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder zu ihrer Vergemeinschaftung signifikant und betont des Weiteren bereits begrifflich den Prozesscharakter der Gemeinschaftsbildung.
Hitzler, Honer und Pfadenhauer benennen fünf Merkmale von Vergemeinschaftungen:
„a) die Abgrenzung gegenüber einem wie auch immer gearteten ‚Nicht-Wir‘, b) ein wodurch auch immer entstandenes Zu(sammen)gehörigkeitsgefühl, c) ein wie auch immer geartetes, von den Mitgliedern der Gemeinschaft geteiltes Interesse bzw. Anliegen, d) eine wie auch immer geartete, von den Mitgliedern der Gemeinschaft anerkannte Wertschätzung und schließlich e) irgendwelche, wie auch immer geartete, den Mitgliedern zugängliche Interaktions(zeit)räume“ (Hitzler et al. 2008, S. 10, Hervorhebung im Original).
U. a. durch Individualisierungs- und Globalisierungsprozesse entstanden und entstehen neue Vergemeinschaftungsmuster, die neben die traditionellen Gemeinschaften wie Familie und Nachbarschaft, aber auch Kirchengemeinden, Vereine und Parteien etc. traten. Diese „posttraditionalen Gemeinschaften“ (Hitzler et al. 2008) sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Mitglieder ähnliche Lebensziele verfolgen und ähnliche ästhetische Ausdrucksformen haben (ebd., S. 9). Vergemeinschaftungen werden also nicht aufgelöst, vielmehr betont der Begriff der posttraditionalen Gemeinschaft, „dass der Mensch gewissermaßen sozial bleibt, dass der sozialstrukturelle Wandel also keine ersatzlose Auflösung von Sozialbeziehungen bewirkt, sondern neue Formen von Vergemeinschaftung ermöglicht.“ (Krotz 2008, S. 151 f.)
Während der Mensch in traditionale Gemeinschaften meist hineingeboren wurde, werden die Mitglieder posttraditionalen Vergemeinschaftungen freiwillig Teil dieser bzw. zu ihrer Teilhabe „verführt“ (Hitzler et al. 2008, S. 9 und 12). Im Unterschied zu traditionalen Gemeinschaften wie Familien oder Kirchengemeinden, die eher stabil sind, können posttraditionale Vergemeinschaftungen jedoch zeitweilig sein und in der Intensität variieren (ebd., S. 9). Posttraditionale Vergemeinschaftungen sind außerdem „Kommunikationsgemeinschaften“ (Knoblauch 2008), in denen nicht nur ihre Mitglieder Themen kommunikativ verhandeln (ebd., S. 74), sondern auch die Zugehörigkeit der Mitglieder kommunikativ ausgewiesen wird (ebd., S. 86), was Knoblauch dazu veranlasst, den Begriff der Mitgliedschaft in Hinblick auf diese Vergemeinschaftungen zu hinterfragen (ebd.).
Die Metaprozesse der Individualisierung und Globalisierung sowie Digitalisierung und Datafizierung verändern Vergemeinschaftungsformen maßgeblich. Nach der Etablierung des Internets wurde die Entstehung „virtueller Gemeinschaften“ (z. B. Gläser 2005; van Dijk 2006, S. 166) beobachtet. Diese seien durch medienvermittelte Kommunikation gekennzeichnet und weder orts- und zeitgebunden noch an physische oder materielle Bedingungen geknüpft (van Dijk 2006, S. 166). Dieser Begriffsverwendung wurde aber widersprochen, partizipieren die Beteiligten, welche über Internetmedien Vergemeinschaftungen bilden, einerseits doch leibhaftig an diesen Gemeinschaften und kann die Alltagswelt andererseits nicht einfach von der „virtuellen“ Welt separiert werden (Knoblauch 2008, S. 85; Hepp 2008, S. 132 f.). Dennoch ermöglichen Internetmedien die ortsübergreifende Herstellung von Vergemeinschaftungen, die sich als translokale Vergemeinschaftungen mittels translokaler Kommunikation konstituieren (vgl. Hepp 2011, S. 99). Hepp unterscheidet zwischen translokalen territorialen Vergemeinschaftungen, welche sich auf ein Territorium wie z. B. den Nationalstaat beziehen, und deterritorialen Vergemeinschaftungen, für die ein Territorium bei der Konstituierung irrelevant ist (vgl. Hepp 2011, S. 106 ff.). Als Merkmale deterritorialer Vergemeinschaftungen nennt Hepp: 1) die translokale Vergemeinschaftung lokaler Gruppen, 2) ein translokaler, gemeinsamer Sinnhorizont, der über medienvermittelte Kommunikationsprozesse aufrechterhalten wird und 3) die deterritoriale Erstreckung der Vergemeinschaftung, also das Überschreiten von nationalen und regionalen Grenzen (ebd., S. 133 f.).
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft sind bereits verschiedene translokale deterritoriale Vergemeinschaftungen analysiert worden [s. Kannengießer (2014a) zur translokalen Frauenbewegung, Bozdag (2013) und Suna (2013) zu Diasporagemeinschaften, Hepp et al. 2014 zu Vergemeinschaftungen von Jugendlichen]. Translokale Vergemeinschaftungen sind vorgestellte Gemeinschaften („imagined communities“, Anderson [2006(1983)]), da sich ihre Mitglieder nicht alle untereinander kennen, sie aber gegenseitig in ihrer Vorstellung existieren (ebd., S. 6). Neuere kommunikations- und medienwissenschaftliche Arbeiten (und dazu gehört auch diese Publikation) beschäftigen sich mit kollektiven Akteur*innen und Gemeinschaften, die Medien in das Zentrum ihres Handelns setzen (Kannengießer und Kubitschko 2017, s. Abschn. 3.​2.​1). Die Art und Wiese sowie die Organisationsform dieser Akteur*innen unterscheidet sich und reicht von individuellen Mediennutzenden (Myers West 2017) über Fan-Gemeinschaften (Reißmann et al. 2017) bis hin zu politischen Bewegungen (Stephansen 2017). Die in diesen sehr unterschiedlich organisierten Formen agierenden Akteur*innen schreiben ihrem Medienhandeln dabei oftmals einen Pioniercharakter zu (Kannengießer 2014b) oder werden von anderen als Pioniere wahrgenommen. Entsprechend werden die Vergemeinschaftungen, in denen sich diese Pioniere zusammenfinden, zu „Pioniergemeinschaften“ (Hepp 2016).
Auch in den untersuchten Fallbeispielen werden Aspekte von Vergemeinschaftung relevant, finden sich doch in allen drei Beispielen entweder Vergemeinschaftungen oder zumindest Bemühungen, Vergemeinschaftungen herzustellen. Daher wurde in der Analyse der Fallbeispiele genauer untersucht, inwiefern diese in den Studien vorzufinden sind. Der Gemeinschaftscharakter konsumkritischer Projekte wurde bereits am Beispiel von Guerilla Gärten (Todd 2016) bzw. Gemeinschaftsgärten (Morstein 2018) oder Schnippeldiskos (Betz 2018) analysiert. Grewe (2018) sowie Baringhorst und Witterhold (2018) beschreiben in Anlehnung an Wenger (1998) Repair Cafés (Grewe 2018) und die Onlineplattform Utopia.de (Baringhorst und Witterhold 2018) als „communities of practice“, in denen Menschen ein gemeinsames Anliegen verfolgen. In konsumkritischen Projekten wie z. B. den hier untersuchten Repair Cafés, findet „gemeinschaftlicher Konsum“ (Kannengießer und Weller 2018b, S. 7) statt. Die Relevanz von (medienvermittelter) Kommunikation und digitalen Medien wird in diesen Arbeiten jedoch nicht explizit herausgearbeitet, ist aber Gegenstand der hier diskutierten Studie.
Die in diesem Buch betrachteten Vergemeinschaftungen werden durch die Konsumpraktiken der beteiligten Akteur*innen und ihrer Zuschreibungen zu Konsum konstituiert. Canclini unterstreicht, dass Konsum ein zentrales Moment sei, durch das Menschen Teil bestimmter Gruppen werden: „What groups do we belong to when we participate on a sociality constructed primarily in relation to globalized processes of consumption?“ (Canclini 2003, S. 43). Er beobachtet „international communities of consumers“ (ebd., S. 43 f.), wie das Fernsehpublikum, das bestimmte, international rezipierbare Formate rezipiert. In den hier diskutierten Fallstudien wird untersucht, inwiefern durch den Konsum bestimmter Medieninhalte und Medientechnologien Vergemeinschaftungen entstehen.

3.2.5 Politische Partizipation

Eine weitere theoretische Dimension der hier diskutierten Fallbeispiele ist die der Partizipation. Der Partizipationsbegriff wird im wissenschaftlichen Diskurs heterogen verwendet (s. Carpentier 2011, S. 15 ff.; de Nève und Olteanu 2013, S. 14; Barrett und Brunton-Smith 2014). Der aus dem Lateinischen stammende Begriff meint Teilnahme und wird definiert als freiwillige Handlungen von Bürger*innen, mit denen gesellschaftliche Prozesse beeinflusst und gestaltet werden sollen (de Nève und Olteanu 2013, S. 14). Zu unterscheiden ist Partizipation von Engagement. Während Partizipation eine aktive Teilhabe meint, rekurriert Engagement eher auf Interesse und Aufmerksamkeit (Dahlgren 2009, S. 80 ff.; Barrett und Brunton-Smith 2014, S. 6). Sowohl für den Partizipationsbegriff als auch den des Engagements lassen sich in der Forschung eine Reihe von Adjektiven wie (sub-)politisch, zivilgesellschaftlich u. ä. finden. Der Fokus wird hier auf Partizipation liegen.
Während konventionelle Partizipation traditionell das Wählen meint, sind unkonventionelle Partizipationsformen solche Beteiligungsformen, die nicht institutionell verfasst sind (Kaase 1987, S. 138; s. auch de Nève und Olteanu 2013; Barret und Brunton-Smith 2014, S. 7) und damit subpolitisch, da sie jenseits institutionalisierter Politikfelder stattfinden (Beck 1993, S. 103). Partizipation findet im Alltag v. a. in und über Medien statt (Altheide 1997), die Etablierung von Internetmedien ermöglicht neue Formen subpolitischer Partizipation wie die Meinungsäußerung in Weblogs und Onlineforen oder das Unterzeichnen von Onlinepetitionen. Einige subpolitische bzw. unkonventionelle Partizipationsformen wurden bisher untersucht (s. u. a. Fallstudien in de Nève und Olteanu 2013). Ekman und Amnå (2012, S. 290) bevorzugen den Begriff der extra-parlamentarischen Form politischer Partizipation („extra-parliamentary forms of political participation“). Für die hier diskutierten Formen des konsumkritischen Medienhandelns scheint mir aber gerade das Adjektiv des Unkonventionellen relevant zu sein, da es den subpolitischen Charakter des Aktivismus betont. Politik definiere ich hier im Sinne Arendts (2002 [1958]) „Vita activa“ als „die aktive Teilnahme an der Gestaltung und Regelung menschlicher Gemeinwesen“ (Schubert und Klein 2018, o. S.) und nicht als institutionalisierte Politik. Die hier analysierten Medienpraktiken sind aufgrund des ihnen inhärenten Ziels, Gesellschaft zu gestalten, politische Medienpraktiken.
Die Forschung zu Partizipation und Medien hat eine lange Tradition (s. z. B. Downing 1984; Atton 2002; Bailey et al. 2008; Atkinson 2010; Carpentier 2011, S. 64 ff.). Hier wird zwischen Partizipation in Medien und durch Medien unterschieden (Altheide 1997 und Carpentier 2011, S. 67 ff.): Während erstere die Teilhabe an Medienorganisationen und der Produktion von Medieninhalten meint, umfasst die Partizipation durch Medien die medienvermittelte Teilhabe an Öffentlichkeit und die Möglichkeit der Selbstrepräsentation (Carpentier 2011, S. 67 ff.). Carpentier unterscheidet hier außerdem zwischen einer minimalen und einer maximalen Medienpartizipation, wobei er Zugang und Interaktion als Bedingung der Möglichkeit von Teilhabe nennt (ebd., S. 69).
Durch die Etablierung des Internets hat der Forschungsbereich um Partizipation und Medien eine neue Relevanz erfahren. Gefragt wird nach (neuen) Möglichkeiten und Praktiken der Partizipation und Mobilisierung durch Internetmedien und hier v. a. der Rolle des Web 2.0 und der Onlinenetzwerke (s. u. a. Emmer und Vowe 2004; Emmer 2005; Anduiza 2009; Anduiza et al. 2012; Voss 2014; Serra 2014; Loader et al. 2014; für eine Systematik verschiedener Partizipationsformen über frühe Internetmedien s. Leggewie und Bieber 2003). Auch wird die Relevanz von (Internet-)Medien für Protest untersucht (s. z. B. van de Donk et al. 2004; Mattoni 2012; Baringhorst 2014; Cammaerts 2015; s. Abschn. 3.​2.​6).
Bennett und Segerberg (2012, S. 756) entwickeln mit Blick auf politische Partizipation und das Web 2.0. eine Typologie der „digitally networked action“, in der sie zwischen konnektiven und kollektiven Aktionen unterscheiden, wobei die erstgenannten weniger koordiniert werden als die letztgenannten. Diese Unterscheidung ist auch für die hier präsentierte empirische Studie brauchbar.
Im Beck’schen Sinne des Subpolitischen (s. o.) kann die Partizipation über Internetmedien als „Subaktivismus“ (Bakardjieva 2009) oder „Cyberaktivismus“ (Winter 2010, S. 101) bezeichnet werden, wobei zu betonen ist, dass eine einfache Trennung zwischen Online- und Offlineaktivismus nicht möglich ist, da die politisch Aktiven offline verortet sind und hier ihre Motivation für ein medienvermitteltes Engagement finden. Der Begriff der Medienpartizipation (u. a. Bucy und Gregson 2001) sowie die Unterscheidung zwischen Online- und Offlinepartizipation (z. B. Anduiza 2009) sind somit zu hinterfragen, da das medienvermittelte und das unvermittelte Handeln, wie auch in den hier diskutierten Fallstudien gezeigt wird, verflochten sind.
Während der Corona-Pandemie hat die Relevanz der Onlinepartizipation eine neue Bedeutung erhalten, da aufgrund der Einschränkungen der Versammlungsfreiheiten in vielen Ländern, Aktivist*innen primär Onlinemedien für die Vernetzung, Mobilisierung und Artikulation nutzen (s. Kannengießer 2021a am Beispiel der Fridays for Future Bewegung).
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft werden v. a. öffentliche Formen der politischen Partizipation in und über (Internet-)Medien diskutiert (s. u. und dezidiert Biermann et al. 2014). Dabei gilt der feministische Slogan „das Private ist politisch“ (Hanisch 1969) nicht nur für die Geschlechterpolitik, sondern auch für weitere Formen des subpolitischen Handelns, wie das des Konsumierens. Denn auch die alltäglichen Lebensentscheidungen können politisch sein, wie Giddens (1991, S. 215 ff.) mit dem Begriff „life politics“ konstatiert. Di ein diesem Buch diskutierten konsumkritische Partizipationsformen finden sowohl öffentlich statt oder werden im öffentlichen Raum inszeniert (so z. B. das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés oder in der Meinungsäußerung in Onlineforen), als auch im Privaten als Formen der „life politics“ oder der „Politik mit dem Einkaufswagen“ (Baringhorst 2010b). Zu dieser gehören Buykott- und Boykott-Aktionen, welche den bewussten Kauf bzw. Nicht-Kauf bestimmter Marken oder Produkte bezeichnen (Baringhorst 2010a, S. 12; s. Abschn. 2.​2.​3).
Politisches Handeln muss also nicht immer öffentlich sein, wie es ein traditioneller Politikbegriff nahelegt. Vielmehr wird in den Fallstudien gezeigt, dass neben öffentlicher Partizipation, wie dem Reparieren in Cafés, auch im Privaten stattfindende Praktiken des subpolitischen Engagements vorzufinden sind, wie z. B. der Erwerb fairer Medientechnologien. Denn auch kritischer Konsum ist eine Form politischer Partizipation (Baringhorst und Witterhold 2018, S. 199). In dem Forschungsfeld um Partizipation und Medien werden aber auch die Grenzen der Partizipation sowie Ungleichheiten in Partizipationsprozessen thematisiert (Stegbauer 2012; Kannengießer 2014a), die genauso wie die Paradoxien und Widersprüchlichkeiten in den Medienpraktiken der hier diskutierten Fallbeispiele relevant werden.
Der Zusammenhang zwischen Materialität und Partizipation wird von Marres (2012) in ihrem Konzept der „material participation“ aufgezeigt. In Bezug auf die Akteur-Netzwerk-Theorie betont Marres die Relevanz von Objekten im Moment politischer Partizipation. Sie nimmt eine „device-centered perspective“ (ebd., S. 27 und 133) ein und definiert materielle Partizipation als „a specific mode of engagement, which can be distinguished by the fact that it deliberately deploys its surroundings, […] we then consider material participation as a specific phenomenon, in the enactment of which a range of entities all have roles to play“ (ebd., S. 2). Auch wenn die Materialiät der Medientechnologien für die hier untersuchten Medienpraktiken eine große Bedeutung hat, da die Akteur*innen die Materialität der Geräte reflektieren und sich mit dieser in ihren Praktiken auseinandersetzen, so setze ich doch den Fokus auf die Menschen, die diese Medienpraktiken durchführen. Damit verfolge ich eine „non-media-centric“ Kommunikations- und Medienwissenschaft (Morley 2009), die die Perspektive auf die Akteur*innen und ihre Praktiken und nicht auf die (Medien-)Technologien setzt, deren Relevanz für die Praktiken der Akteur*innen damit jedoch nicht gemindert werden soll – wie die Ergebnisse der hier präsentierten Studie zeigen werden.
Im Diskurs um politische Partizipation weist das Konzept des Citizenship auf die Relevanz der Partizipation(-smöglichkeiten) für die Bürger*innen in Nationalstaaten hin. Dabei wird das Konzept des Citizenship nicht auf die Rechte von Bürger*innen, die ihnen durch staatliche Institutionen eingeräumt werden, reduziert, sondern kann vielmehr als eine soziale und kulturelle Praxis verstanden werden, die ein Gefühl der Zugehörigkeit oder Differenz verursacht (Canclini 2003, S. 20). Ein solcher Ansatz ermöglicht auch die Erfassung und Analyse von Partizipation, welche die Veränderung des politischen Systems zum Ziel hat (ebd., S. 21), bzw. weitere gesellschaftlicher Prozesse, wie sie in der hier präsentierten Studie untersucht werden. Differenziert wird zwischen civil Citizenship, in dem die Partizipation an Wirtschaft als Produzierenden und Konsumierenden erfasst wird, political citizenship, das die Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen fokussiert, social Citizenship, das die Partizipation am Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat meint (Marshall 1992) sowie cultural Citizenship, welches wiederum die kreative und erfolgreiche Teilhabe an einer (National-)Kultur beschreibt (Turner 2001, 12; Hermes und Dahlgren 2006), wobei diese nie homogen oder statisch (Turner 2001, 12), sondern stets heterogen, prozesshaft und transkulturell zu denken ist (Saal 2007; Welsch 2005). Insbesondere das Konzept des cultural Citizenship wird in der Kommunikations- und Medienwissenschaft diskutiert. Dabei wird untersucht, wie sich Bürger*innen Medien für ihre Teilhabe an Gesellschaft und Politik aneignen (z. B. Klaus und Lünenborg 2012). Denn die digital Citizens (Vowe 2014) entwickeln mit den (neuen) digitalen Medien (politische) Kommunikationsroutinen, welche zu einem strukturellen Wandel der politischen Kommunikation führen (ebd., S. 25).
Neben dem cultural wird auch das Konzept des civil Citizenship in den empirischen Fallstudien relevant, versuchen Menschen durch konsumkritisches Medienhandeln doch in der „Konsumkultur“ (Bundeszentrale für Politische Bildung 2009) Muster des Produzierens und Konsumierens zu verändern. Canclini versteht in diesem Zusammenhang Konsum als eine „Übung“ von Citizenship und Konsum damit als politische Handlung, die die Konsumierenden zu Bürger*innen ermächtige (Canclini 2003, S. 45).
Die in diesem Projekt analysierte Praktik des Reparierens als eine konsumkritische Medienpraktik ist dabei ein Beispiel für ein weiteres Konzept von Citizenship, das des do-it-yourself Citizenship (Ratto und Boler 2014b), welches auf die Diversität in den Praktiken der Bürgerrechte hinweist (ebd., s. z. B. Fallstudien in Ratto und Boler 2014a). Dieser Begriff des Citizenship rekurriert auf do-it-yourself Medien (Lankshear und Knobel 2010), mit denen digitale Medien gemeint sind, die Menschen (welche nicht-professionelle Medienproduzierende sind) die Möglichkeit geben, Medieninhalte zu gestalten (ebd., S. 10 f.). Für das Herstellen von Medieninhalten in Internetmedien und die Verschmelzung der Rollen der Produzierenden und Konsumierenden wurde in der Kommunikations- und Medienwissenschaft der Begriff des ProdUsers diskutiert (Bruns 2008 und 2009). Der Begriff des Prosumenten (Toffler 1980) ist in Hinblick auf Medien(-technologien) jedoch differenzierter zu konzeptualisieren, was in der Diskussion der empirischen Ergebnisse in diesem Buch getan wird, da hier eine Forschungslücke besteht. Denn auch beim Reparieren von Medienapparaten wird der Konsumierende zum Produzierenden.
In der bisherigen Forschung werden die unterschiedlichen Konzepte von Citizenship, Partizipation und Engagement v. a. auf die Medieninhalte und hier insbesondere in Hinblick auf Internetmedien untersucht. Diese ermöglichen „kleine Formen der Beteiligung“ (Hepp et al. 2014, S. 232 und 245) wie das Informieren, Kommentieren und Austauschen über soziale Netzwerkseiten, Foren oder Weblogs. Neologismen wie „Clicktivismus“ oder „Mausklickaktionen“ meinen dabei das Klicken auf den „Like-Button“ bei Facebook oder auf den „Sign-Button“ bei Kampagnenorganisationen wie Avaaz oder Campact (u. a. Baringhorst 2014, S. 105), Hashtag-Aktivismus hingegen den Aktivismus, der sich auf den Mikrobloggingdienst Twitter bezieht (Khoja-Moolji 2015), und der negativ konnotierte Begriff des „Slacktivismus“ wertet Beteiligungsformen über das Internet als „Wohlfühl-Aktivismus“ ab (s. u. a. Christensen 2011). Die hier diskutierten Fallbeispiele, welche das Reparieren von (digitalen) Medientechnologien in Repair Cafés sowie die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien untersuchen, zeigen jedoch, dass Menschen auch Medientechnologien selbst in den Fokus ihres partizipativen Handelns stellen, wie bereits in Abschn. 3.​2.​1 argumentiert wurde. Damit richtet sich die Partizipation der Akteur*innen u. a. auf die Materialität der Medientechnologien, die sie kritisch reflektieren und mit ihrem Medienhandeln verändern wollen.

3.2.6 Soziale Bewegungen

Eng im Zusammenhang mit dem Feld der politischen Partizipation, aber auch mit den Dimensionen der Medienpraktiken und Vergemeinschaftung steht das Feld, welches sich mit sozialen Bewegungen und Medien beschäftigt. Im Abschn. 3.​2.​1, das die theoretische Dimension der Medienpraktiken erläutert hat, wurde bereits detailliert auf die Medienpraktiken von Aktivist*innen eingegangen. Diese Erläuterungen weiterführend, wird in diesem Kapitel die theoretische Dimension der sozialen Bewegung beschrieben. So soll hier zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff der sozialen Bewegung zu verstehen ist.
Ullrich postuliert in Bezug auf Neidhardt und Rucht (1993), dass wir in einer „Bewegungsgesellschaft“ leben: „Soziale Bewegungen sind in dieser ein fest etabliertes und weit verbreitetes Phänomen geworden; Proteste gibt es (fast) allerorten und zu (fast) allen Themen.“ (Ullrich 2015, S. 9) Dabei definiert er soziale Bewegungen wie folgt:
„Eine soziale Bewegung ist ein kollektiver Akteur, mithin ein Netzwerk verschiedener anderer Akteure, der auf Basis symbolischer Integration und eines gewissen Zugehörigkeitsgefühls (einer kollektiven Identität) mittels Protests sozialen Wandel erreichen, beschleunigen, verhindern oder umkehren will.“ (Ullrich 2015, S. 9)
Ullrich (ebd., S. 10 ff.) benennt vier Merkmale sozialer Bewegungen: Diese seien gekennzeichnet durch 1) ein Ziel der gesellschaftlichen Veränderung, 2) Protest als Mittel für sozialen Wandel, 3) einen Netzwerkcharakter und 4) eine symbolische Interaktion und ein Zugehörigkeitsgefühl der Akteur*innen. Die geteilten Ziele und das von Ullrich benannte Zugehörigkeitsgefühl weisen darauf hin, dass soziale Bewegungen Vergemeinschaftungen sind (s. auch Hepp 2008, S. 144). Da sich soziale Bewegungen fast immer über Orte hinweg konstituieren, können sie als translokale Vergemeinschaftungen verstanden werden, die abhängig von ihrem Territoriumsbezug auch als translokale deterritoriale Vergemeinschaftungen fungieren (siehe Abschn. 3.​2.​4).
Die genannten Merkmale sozialer Bewegungen werden auch für die Analysen der hier diskutierte Fallstudien herangezogen, da die Akteur*innen nicht (nur) alleine, sondern auch in Kollektiven handeln sowie explizit soziale Bewegungen in den Fallstudien hergestellt werden (sollen). Daher gilt es auch, zu untersuchen, ob wir bei den erforschten Beispielen jeweils mit sozialen Bewegungen konfrontiert sind oder es sich hierbei gar um eine die Fallstudien übergreifende soziale Bewegung handelt.
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft, aber auch in weiteren sozialwissenschaftlichen Disziplinen, werden soziale Bewegungen aus verschiedenen Perspektiven und in Hinblick auf unterschiedliche Aspekte untersucht. Dabei stehen meist einzelne soziale Bewegungen und ihre Medienaneignung oder ihre Repräsentation in unterschiedlichen Medien im Fokus. So wurden z. B. die Medienpraktiken der globalisierungskritischen Bewegung (z. B. Aelst und Walgrave 2004; Hepp und Vogelgesang 2005), der internationalen Frauenbewegung (z. B. Kannengießer 2014a), des Arabischen Frühlings (z. B. Wulf et al. 2013; Breuer et al. 2015), der Indignados (z. B. Castells 2012; Anduiza et al. 2012) sowie der Occupy-Bewegung (z. B. Costanza-Chock 2012; Kavada 2015) untersucht. Auch Umwelt- und Klimabewegungen und die Relevanz von Medien für diese standen wiederholt im Fokus wissenschaftlichen Interesses. Aktuell wird die Fridays-for-Future-Bewegung und der Zusammenhang mit Medien in den Blick genommen (Haunss und Sommer 2020; Rucht und Sommer 2019). Rucht und Sommer (2019, S. 123) attestieren dieser Bewegung eine erfolgreiche „Mobilisierungs- und Medienarbeit“ und beobachten eine „wohlwollende Berichterstattung“.
Diese unterschiedlichen Bewegungen in den Blick nehmenden Studien zeigen, wie sich Akteur*innen sozialer Bewegungen Medien für die (translokale) Vernetzung und Mobilisierung aneignen. Internetmedien bieten für sie dabei neue Möglichkeiten der Artikulation, Vernetzung und Mobilisierung.
Rucht unterscheidet drei verschiedene Formen der Onlinemobilisierung:
„Erstens gibt es Aktivitäten, die ganz auf das Internet beschränkt bleiben. Dazu gehören beispielsweise Netzattacken (hacktivism), die meisten e-Petitionen und solche Proteste, die aufgrund staatlicher Repression nicht auf der Straße, sondern bestenfalls im Netz stattfinden können. Zweitens kann die Online-Mobilisierung vorbereitend, unterstützend und/oder begleitend zu einem als zentral bzw. final angesehenen Online-Protest [sic!, gemeint ist hier offline, S. K.] angelegt sein. In diesem Fall stellt das Netz lediglich eine Ergänzung der herkömmlichen Informationskanäle dar. Drittens kann eine Kampagne so gestaltet werden, dass Online- und Offline-Aktivitäten von Anfang aufeinander abgestimmt und integriert werden.“ (Rucht 2014, S. 120 f.)
Rucht betont verschiedene Vorteile des Internets auch für soziale Bewegungen:
„die geringen Nutzungskosten, vereinfachte Arbeitsläufe (z. B. bei der Versendung von Massenbotschaften), das schier unendliche Fassungsvermögen für Inhalte aller Art, die Kombinationsmöglichkeit von Sprache, unbewegtem und bewegtem Bild, die zu großen Teilen ungefilterten Informationsangebote, die Möglichkeiten der Interaktivität im Sinne einer Kommunikation ‚from many to many‘, das enorme Tempo der Beschaffung und Verteilung von Informationen sowie die potenziell globale Reichweite.“ (Rucht 2014, S. 117)
Sassen bezeichnet das Internet sogar als „Schlüsselmedium“, das einen deterritorial vernetzten Aktivismus ermögliche, da jener „von einer Vielzahl von Standorten ausgeht, aber digital verknüpft lokale Reichweiten überschreitet und oft globale Ausmaße erreicht“ (Sassen 2011, S. 100). Sie beobachtet „die Herausbildung einer neuen Form grenzüberschreitender Politik, tief verwurzelt im Lokalen, aber zugleich digital dicht vernetzt“ (ebd., S. 103). Digitale bzw. Internetmedien spielen für diesen deterritorialen Aktivismus folglich eine zentrale Rolle, denn sie
„erlangen für ortsgebundene und mit lokalen Fragestellungen beschäftigte Aktivisten, die sich mit vergleichbaren Gruppen in anderen Weltteilen verbinden wollen, entscheidende Bedeutung. Es handelt sich dabei um grenzüberschreitende politische Arbeit, die auf der Tatsache basiert, dass sich bestimmte lokale Fragen überall in der Welt stellen.“ (ebd.)
Sassen nennt diese Form von Aktivismus eine „nicht-kosmopolitische Version globaler Politik“ (ebd., S. 100). Ähnlich, wenn auch begrifflich konträr, beobachtet Beck (2003) einen „verwurzelten Kosmopolitismus“, in dem sich Aktivist*innen gleichzeitig lokal und global engagierten (ebd., S. 41, s. hierzu auch Kannengießer 2014a, S. 47 f.).
Dass die translokalen sozialen Bewegungen durch Ungleichheiten geprägt sind, wurde am Beispiel der translokalen Frauenbewegung (Kannengießer 2014a und 2017b) und Fridays for Future (Kannengießer 2021a) herausgearbeitet. Denn Teil der translokalen sozialen Bewegungen oder aktivistischen Netzwerke kann nur werden, wer (regelmäßigen) Zugang zu Internetmedien hat und sich über diese vernetzen und artikulieren kann. Dabei hat die Forschung zur digitalen Kluft gezeigt, dass nicht alleine der technische Zugang zum Internet gewährleistet sein muss, sondern, dass auch weitere Faktoren wie z. B. fehlendes Wissen und Kompetenz im Umgang mit Internetmedien fehlende kognitive Fähigkeiten oder Motivation dazu führen können, dass sich Menschen Internetmedien nicht aneignen (können) (s. z. B. van Dijk 2006; Haseloff 2007; Zillien 2009, s. Fußnote 17).
So muss die Perspektive auf die Relevanz von Internetmedien für soziale Bewegungen aus einer kritischen Perspektive betrachtet werden. Zwar ermöglichen Internetmedien Akteur*innen sozialer Bewegungen neue und andere Formen der Vernetzung, Mobilisierung und Artikulation, doch sind vis-à-vis Kommunikation und Protesthandlungen außerhalb des Internets (die sehr wohl online organisiert werden können) für viele Bewegungen weiterhin zentral.
Über die soeben skizzierten kritischen Merkmale hinaus benennt Rucht (2014, S. 119 f.) weitere Herausforderungen bei der Nutzung des Internets durch soziale Protestbewegungen. Zu diesen gehören neben praktischen Herausforderungen wie einer ressourcenstarken Organisation für z. B. die Pflege von Addresslisten und die Aktualisierung von Websites auch Chat-Kommunikation (ebd.), also auch die zeitintensive Pflege von Profilen auf Onlinenetzwerken oder Mikrobloggingdiensten der Protestakteur*innen. Außerdem eigne sich leicht zugängliche Onlinekommunikation von Protestakteur*innen für Kontrolle und Überwachung durch staatliche Organe sowie durch Gegenbewegungen (ebd., S. 120). Dass Aktivist*innen im Wissen um solche Überwachung diese in ihren Medienpraktiken bewusst nutzen, zeigen Castro Leal et al. (2019) am Beispiel der FARC Guerilla.
Die Akteur*innen der hier diskutierten Fallstudien, nutzen verschiedene Internetmedien für die Artikulation, Mobilisierung und Vernetzung. Inwiefern es sich bei den einzelnen Fallbeispielen um soziale Bewegungen handelt und/oder eine die Fallstudien übergreifende Bewegung zu beobachten ist, wird in Abschn. 4.​6 diskutiert.
Wurden in diesem Teilkapitel die theoretischen Dimensionen erläutert, die in der empirischen Analyse der Fallstudien relevant wurden, so wird im Folgenden das methodische Vorgehen beschrieben, das in der hier diskutierten Studie verfolgt wurde. In der Darstellung der Ergebnisse dieser vergleichenden Studie wird auf die hier aufgearbeiteten theoretischen Dimensionen zurückgegriffen und anhand der empirischen Ergebnisse dieser Studie die jeweiligen Forschungsfelder der Dimensionen auch theoretisch erweitert.

3.3 Forschungsdesign

In den vorherigen Kapiteln wurde der relevante Forschungsstand der in diesem Buch präsentierten empirischen Studie aufgearbeitet, die Fallbeispiele der Studie beschrieben und die für die Fallstudien relevanten interdisziplinären Forschungsfelder skizziert. Im Anschluss wurden die theoretischen Dimensionen erläutert, die in der empirischen Analyse der hier vorgestellten Studie relevant wurden. In diesem Teilkapitel wird nun das Forschungsdesign dargestellt, das in der hier präsentierten empirischen Studie verwendet wurde. Die Beschreibung des methodischen Vorgehens ist dreigeteilt: zunächst wird das Forschungsverfahren der Studie erläutert, in einem weiteren Teilkapitel die Methoden und das Vorgehen der Datenerhebung skizziert sowie in einem dritten Teilkapitel die Prozesse der Datenausweitung und die Integration der drei Teilstudien vorgestellt.

3.3.1 Forschungsverfahren

Vor dem Hintergrund des in der Einleitung beschriebenen Erkenntnisinteresses und des aus der Aufarbeitung des Forschungsstands entwickelten Forschungsdesiderats habe ich, wie bereits in der Einleitung formuliert, eine weit gefasste Fragestellung gewählt: Was machen Individuen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen mit Medien(-technologien), um zu einem „guten Leben“ und einer nachhaltigen Gesellschaft beizutragen? Die Fragestellung wurde für die drei Teilstudien modifiziert, und es wurden jeweils gegenstandsbezogene Unterfragestellungen entwickelt. So wurden für die Studie zum Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés folgende weitere Fragen ausgearbeitet:
  • Wer sind die Akteur*innen, die die Repair Cafés organisieren und in diesen Veranstaltungen Medientechnologien reparieren?
  • Was sind die kommunikativen und Medienpraktiken in den Repair Cafés?
  • Was sind die Ziele der Organisierenden, Helfenden und Teilnehmenden?
  • Welche gesellschaftliche Bedeutung schreiben die Akteur*innen dem Reparieren sowie den Repair Cafés zu?
Für die Studie, die die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien am Beispiel des Fairphones untersuchte, wurden folgende Fragen entwickelt:
  • Wer sind die Akteur*innen, die das Fairphone produzieren/kaufen?
  • Was sind die kommunikativen und Medienpraktiken in dieser Fallstudie?
  • Was sind die Ziele sowohl der Produzierenden als auch der Nutzenden?
  • Welche gesellschaftliche Bedeutung schreiben die Akteur*innen dem Fairphone und ihren Praktiken zu?
Und schließlich wurden für die Studie zur Onlineplattform Utopia.de folgende Fragen formuliert:
  • Wer sind die Akteur*innen, die die Onlineplattform Utopia.de gestalten?
  • Was sind die kommunikativen Handlungen und Medienpraktiken in dieser Fallstudie?
  • Was sind die Themen und Inhalte, die auf der Onlineplattform Utopia.de verhandelt werden?
  • Wie beschreibt sich das Unternehmen Utopia.de selbst und welche Ziele formuliert es?
  • Welche Möglichkeit der Artikulation und Vernetzung haben Nutzende der Onlineplattform auf dieser?
Da es mir u. a. um die Bedeutungskonstruktionen der beteiligten Akteur*innen sowie um die Rekonstruktion ihre Medienpraktiken ging, war eine qualitative Herangehensweise für die Bearbeitung der Fragestellung sinnvoll. Qualitative Forschung „will komplexe soziale Sachverhalte verstehen [und, …] subjektive Deutungsmuster [rekonstruieren]“ (Kruse 2008, S. 17). Daher ist ein qualitativer Zugang für mein Anliegen relevant, da es mir darum ging, zu verstehen, warum die Akteur*innen Medientechnologien reparieren bzw. Repair Cafés organisieren, das Fairphone produzieren oder kaufen und welche Inhalte auf der Onlineplattform Utopia.de verhandelt werden.
Für die qualitative Untersuchung wählte ich das Verfahren der Grounded Theory nach Strauss und Corbin (1996), das mir zum einen erlaubte, offen, aber theoriegeleitet an die drei Fallstudien heranzutreten, diese mit einer jeweiligen Kombination verschiedener qualitativer Methoden zu untersuchen und eine gegenstandsverankerte Theorie zu entwickeln (ebd., S. 8). In theoriegenerierenden Verfahren wie der Grounded Theory sind Theorien „kommunizierbare Aussagenzusammenhänge […], die aus korrekt durchgeführten empirischen Operationen gewonnen werden“ (ebd., S. 75, Hervorhebung im Original). Mithilfe des Verfahrens der Grounded Theory kann die vorliegende Studie einen theoretischen und empirischen Beitrag zur kommunikations- und medienwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung leisten, darüber hinaus aber auch Erkenntnisse für die in den theoretischen Dimensionen dieser Medienpraktiken relevanten Forschungsfelder generieren: für den Bereich der Medienpraktiken und den, der sich mit der Materialität von Medientechnologien beschäftigt, für das Feld der Medienethik und der Vergemeinschaftungs- sowie Partizipationsforschung und für den Bereich, der soziale Bewegungen und (digitale) Medien in den Fokus setzt. Als Schlüsselkategorie entwickelte ich das Konzept der „konsumkritischen Medienpraktiken“ (Kannengießer 2016 und 2020a). Schließlich argumentiere ich in diesem Buch abschließend, dass Nachhaltigkeit in der Kommunikations- und Medienwissenschaft ein Querschnittsthema ist (s. Abschn. 5.​2) und diskutiere die Verantwortung des Faches in Hinblick auf Nachhaltigkeit und ein „gutes Leben“.
Die Fallbeispiele wurden gewählt, um die Bandbreite der Medienpraktiken für eine nachhaltige Gesellschaft abzubilden und zu untersuchen. So ist das Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés ein Beispiel für die Medienaneignungsebene, die Produktion und Aneignung des Fairphones ist entsprechend eines für die Ebenen der Produktion und Aneignung von Medientechnologien, und die Onlineplattform Utopia.de ist ein Beispiel für medienbezogenes Handeln auf der Inhaltsebene, durch das zu einer nachhaltigen Gesellschaft beigetragen werden soll (s. Einleitung).
Für die Durchführung der drei Fallstudien wurden jeweils verschiedene qualitative Methoden kombiniert, die im Folgenden Teilkapitel erläutert werden. Außerdem wird die Wahl der jeweiligen Methoden begründet. Im anschließenden Teilkapitel wird das vergleichende Auswertungsverfahren der Daten erklärt. Denn nicht nur wurden die jeweiligen Daten der Studie in sich ausgewertet, sondern durch ein für alle Studien gemeinsam geltendes Kategorienschema verglichen, um die übergreifende Fragestellung beantworten zu können.
Entsprechend des Vorgehens der Grounded Theory wurde das Datenmaterial in den Fallstudien zyklisch erhoben, d. h. die zunächst erhobenen Daten wurden ausgewertet, um erste Erkenntnisse zu generieren, mit meinem Vorwissen abzugleichen und die Erkenntnisse dann für den Verlauf der weiteren Datenerhebung z. B. im Hinblick auf das Sampling zu nutzen (s. Krotz 2005, S. 167 f.).9 Die einzelnen Fallstudien habe ich abgeschlossen, als jeweils eine „theoretische Sättigung“ (Strauss und Corbin 1996, S. 159) erreicht war und das Datenmaterial also keine neuen Aspekte mehr aufwies.
Zeigen die untersuchten Fallstudien auf der einen Seite zwar exemplarisch, was Individuen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen mit Medien machen, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen und decken sie auf der anderen Seite die Ebenen der Medienproduktion, Medieninhalte und Medienaneignung ab, so besteht dennoch weiterhin Forschungsbedarf in Hinblick auf weitere Medienpraktiken, denen diese Ziele inhärent sind, wie z. B. die Nichtnutzung von Medientechnologien, die nicht untersucht wurden.10

3.3.2 Materialerhebung

In diesem Teilkapitel wird das jeweilige methodische Vorgehen der Datenerhebung in den drei Teilstudien beschrieben.
Für die Fallstudie zum Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés war es aufgrund der Vielzahl entsprechender Initiativen in Deutschland (s. Einleitung) notwendig, einige konkrete Fallbeispiele auszusuchen. Dafür habe ich drei Reparaturcafés ausgewählt, die sich in Hinblick auf das Setting und den Hintergrund der Organisierenden unterscheiden: Eines dieser Repair Cafés wurde von Wissenschaftler*innen der Universität Oldenburg zunächst in einer Kneipe, dann aufgrund einer Kooperation mit dem Stadttheater Oldenburg während der Spielzeit 2014 bis 2016 in einem Gebäude in der Fußgängerzone Oldenburgs organisiert,11 ein zweites von einer Künstlerin in ihrem Atelier im Stadtteil Kreuzberg in Berlin und in Zusammenarbeit mit dem Berliner Verein Kunst-Stoffe e. V.12 abgehalten und das dritte von einer Rentnerin in einem Stadtteilzentrum in der Kleinstadt Garbsen in der Nähe Hannovers veranstaltet. In den Repair Cafés habe ich Fremdbeobachtungen (Flick 2009, S. 282) durchgeführt, um die Handlungen in den Veranstaltungen rekonstruieren sowie diese beschreiben zu können. Dabei handelte es sich um natürliche Beobachtungen, da ich keine künstliche Situation für diesen Forschungszweck herstellte (ebd.) und die Reparaturveranstaltungen auch ohne mein Forschungsvorhaben vorgenommen wurden. Im Repair Café in Oldenburg habe ich aufgrund des wechselnden Veranstaltungsortes zwei Beobachtungen durchgeführt, was u. a. zu Erkenntnissen über die Relevanz des Ortes des jeweiligen Repair Cafés führte (s. hierzu detaillierter Kannengießer 2018c, S. 216 ff.).
Die Beobachtungen erfolgten offen, da ich alle involvierten Personen über mein Vorhaben informierte (vgl. Flick 2009, S. 282). Außerdem habe ich einen Beobachtungsleitfaden (Schöne 2003, o. S.) auf der Basis der oben genannten Forschungsfragen und der Aufarbeitung des Forschungsstands ausgearbeitet, der mir zur Orientierung, Vorbereitung und Sensibilisierung half und um die Aufmerksamkeit auf für das Erkenntnisinteresse relevante Aspekte zu lenken.
In diesem Prozess der Beobachtung war ich mit dem „Problem der begrenzten Perspektive im Beobachten“ (Flick 2009, S. 289) konfrontiert, d. h. ich konnte nicht alle gleichzeitig im Repair Cafés ablaufenden Prozesse im Repair Cafés erfassen. Diese Einschränkung ergab sich nicht nur aus meiner begrenzten Wahrnehmung, sondern auch aus der Situation, dass ich die Interviews mit Organisierenden, Helfenden und Hilfesuchenden der Reparaturveranstaltungen durchführte. Da sich die Abläufe in den Veranstaltungen aber wiederholten, konnte ich die wesentlichen Prozesse während meiner Beobachtungen erfassen.
Neben den Beobachtungen habe ich außerdem qualitative leitfadengestützte Interviews (Kruse 2008, S. 53) mit Organisierenden der Repair Cafés geführt sowie mit Personen, die Hilfe bei der Reparatur von Medientechnologien anboten und solchen, die defekte Mediengeräte zu den Veranstaltungen mitbrachten, um sie dort zu reparieren. Auch mit einem Mitarbeiter sowie einer Mitarbeiterin der Anstiftung & Ertomis, die die Gründung von Repair Cafés in Deutschland unterstützt und ein Netzwerk deutscher Repair Cafés gegründet hat (s. Einleitung und Abschn. 3.​1.​1), habe ich entsprechende Interviews geführt. Diese ermöglichen mir die Perspektive der Akteur*innen zu rekonstruieren und entsprechend der Forschungsfragen ihre Ziele und Bedeutungszuschreibungen herauszuarbeiten. Insgesamt habe ich 40 Interviews erhoben.13 Um zu gewährleisten, dass die für die Beantwortung der oben benannten Forschungsfragen relevanten Aspekte in den Interviews thematisiert wurden, habe ich auf der Basis des Forschungsstands auch für die Interviews einen thematischen Leitfaden entworfen, anhand dessen ich die qualitativen Interviews durchgeführt habe (ebd., S. 33 ff.). In dem Leitfaden deckte ich u. a. die Themen der Ziele, der gesellschaftlichen Bedeutungszuschreibungen an das Reparieren und an das Repair Café sowie weitere Fragen nach den Konsum- und Lebensstilen und den Medienrepertoires der jeweiligen Personen ab. Definieren Hasebrink und Domeyer (2012, S. 758) ein Medienrepertoire als die Gesamtheit der Medien, das der/die Nutzende regelmäßig verwendet, so verstehe ich ein Medienrepertoire hier als die Gesamtheit der Medientechnologien, die der/die Nutzende regelmäßig verwendet. In den Interviews war es mir außerdem wichtig, „hörerorientiert“ und „situativ flexibel“ (ebd., S. 54) zu agieren, also auch auf Aspekte einzugehen, die meine Interviewpartner*innen aufbrachten, aber nicht im Leitfaden zu finden waren. Gleichzeitig konnten jedoch alle wichtigen Themen durch den Leitfaden erfasst und thematisiert werden, sodass die Interviews vergleichbar wurden (vgl. ebd., S. 53).
Die Auswahl der Interviewpersonen erfolgte nach dem theoretischen Sampling (Strauss und Corbin 1996, S. 149 ff.). Ziel dieses war es, möglichst unterschiedliche Interviewpartner*innen zu finden, die sich in ihrem soziodemographischen Hintergrund im Hinblick auf Geschlecht, Klasse, Alter, Bildungshintergrund, Nationalität unterschieden. Alle Interviews wurden mit dem Einverständnis der jeweiligen Befragten digital aufgenommen und transkribiert.
Der Erhebungsprozess war dann abgeschlossen, als eine theoretische Sättigung (s. o.) erreicht war. Diese konnte ich aufgrund des zyklisch durchgeführten Forschungsprozesses (s. Krotz 2005, S. 167 f.) feststellen, da ich die Interviews bereits auswertete, während ich mich noch in der Erhebungsphase befand und die Erkenntnisse wiederum mit meinem Vorwissen abglich.
Des Weiteren habe ich in dieser Fallstudie nicht-teilnehmende Beobachtungen (Flick 2009, S. 282) im Rahmen einer „virtuellen Ethnographie“ (Hine 2000 und 2015) auf der von der Anstiftung & Ertomis betriebenen Onlineplattform www.​reparatur-initiativen.​de durchgeführt, da sie Aufschluss über die mediale Vernetzung der Reparaturinitiativen und die Öffentlichkeitsarbeit der Anstiftung & Ertomis gibt. Ethnographie ist eine Methode, mit der Wissenschaft das Alltagshandeln von Menschen, ihre Sinnkonstruktionen und Lebenswelten untersucht. Sie ermöglicht den Forschenden, durch eine längere und unmittelbare Beobachtung des Forschungsfeldes, soziales Leben zu analysieren (Ayaß 2016, S. 335). In der traditionellen Ethnographie und der Kulturanthropologie wird die Ethnographie vorwiegend genutzt, um andere Kulturen zu erforschen, während die sozialwissenschaftliche Ethnographie „die Kulturen der eigenen Gesellschaft“ (Lüders 1994, S. 390) in den Mittelpunkt rückt. Wenngleich sich ethnographisch Forschende traditionell lange im Feld einer fremden Kultur aufhalten, verfolgt die „fokussierte Ethnographie“ das Ziel, einen besonderen Ausschnitt der (eigenen) Kultur in den Blick zu nehmen (Knoblauch 2001, S. 125). Die „virtuelle Ethnographie“ (Hine 2000 und 2015) als neue(re) Form ethnographischer Forschung untersucht das soziale Leben, welches sich in Internetmedien manifestiert.
Im Gegensatz zu digitalen und computergestützen Methoden, handelt es sich bei virtuellen Methoden um eine „Adaption herkömmlicher sozialwissenschaftlicher Methoden der Datenerhebung […] auf ‚Online-Räume‘“ (Hepp et al. 2021, S. 9 f.). Entsprechend wurde im Rahmen dieser Studie die für die Ethnographie zentrale Methode der Beobachtung auf relevante Onlinemedien übertragen.
Meine Beobachtungen auf der Onlineplattform www.​reparatur-initiativen.​de und dem integrierten Onlineforum ist im Sinne Hines (2015) und Knoblauchs (2001) eine „virtuelle fokussierte Ethnographie“, da ich einen besonderen Ausschnitt der eigenen Kultur in Internetmedien beobachtete und nach Flick (2009, S. 282; s. o.) Fremdbeobachtungen durchführte, die ich protokollierte. Die Beobachtungen im Rahmen der virtuellen Ethnographie fanden punktuell über den Projektzeitraum von Juni 2015 bis November 2019 statt, wobei die Wahl der Zeitpunkte nicht systematisch getroffen wurde.
Um die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologie untersuchen zu können, setzte ich den Fokus auf das Fallbeispiel Fairphone, ein Smartphone, das unter fairen Bedingungen produziert werden soll. Ich wählte das Fallbeispiel des Fairphones aus den sehr wenigen fair produzierten Medientechnologien aus, da es u. a. durch eine breite Medienberichterstattung einen hohen Bekanntheitsgrad hat (s. Einleitung). Um die oben benannten Forschungsfragen verfolgen zu können, kombinierte ich hier die Methoden des qualitativen leitfadengestützten Interviews (Kruse 2008, S. 53) mit einer qualitativen Inhaltsanalyse der englischsprachigen Onlineplattform des Unternehmens Fairphone (www.​fairphone.​com) sowie nicht-teilnehmenden Beobachtungen (Flick 2009, S. 282) im Rahmen einer „virtuellen Ethnographie“ (Hine 2000 und 2015, s. o.) der Profilseiten des Unternehmens auf Facebook, Twitter und Instagram und einer qualitativen Inhaltsanalyse (nach dem Kodierverfahren der Grounded Theory, Strauss und Corbin 1996, S. 39 ff., s. u.) von Interviews, die der Gründer des Fairphone-Unternehmens Bas von Abel in deutschsprachigen Zeitschriften und Zeitungen gegeben hat. Diese verschiedenen Methoden werden im Folgenden beschrieben.
14 qualitative leitfadengestützte Interviews wurden mit Personen geführt, die das Fairphone nutzen. Der dafür entwickelte Leitfaden beinhaltete neben Aspekten wie den Gründen für den Kauf des Fairphones und die Nutzungsweise des Smartphones auch Fragen nach dem weiteren Konsumverhalten und Lebensstil der jeweiligen Personen. Die Interviews wurden ähnlich des oben für die Repair Cafés beschriebenen Vorgehens durchgeführt. Beim theoretischen Sampling der Interviewpersonen war es mir wichtig, Nutzer*innen zu finden, die sich auch hier in ihrem sozial-demographischen Hintergrund in Hinblick auf Alter, Geschlecht, Status und Bildungshintergrund unterschieden. Durch Aufrufe über politische Mailinglisten, einem Studierenden-Onlineportal und der Onlineplattform der Stadt Bremen wie auch über das Schneeballsystem habe ich Interviewpartner*innen gesucht. Die Interviews fanden in Bremen, Berlin und Hamburg statt, die Ortswahl ergab sich neben meiner Verortung in Bremen durch das Schneeballsystem. Bei der Suche zeigte sich, dass ich zwar gleichermaßen Männer und Frauen verschiedener Altersgruppen und variierender Einkommen interviewen konnte, dass diese jedoch alle einen akademischen Hintergrund hatten. Entweder wird hier eine Unzulänglichkeit im Sampling offenbar oder aber es lässt sich vorsichtig vermuten, dass überwiegend Akademiker*innen das Fairphone kaufen und nutzen. Alle Interviews wurden digital aufgenommen und transkribiert.14 Auch in dieser Fallstudie war der Erhebungsprozess im Sinne der Grounded Theory dann abgeschlossen, als eine theoretische Sättigung erreicht war (Strauss und Corbin 1996, S. 159).
Neben den qualitativen Interviews führte ich außerdem eine qualitative Inhaltsanalyse (nach dem Kodierverfahren der Grounded Theory, Strauss und Corbin 1996, S. 39 ff., s. u.) der Webseiten auf der Onlineplattform des Unternehmens Fairphone durch. Welker und Wünsch (2010, S. 496 f.) weisen auf sechs Spezifika und gleichzeitige Herausforderungen hin, die sich bei Onlineanalysen ergeben: 1) Flüchtigkeit und Dynamik der Inhalte, 2) ihre Multimedialität bzw. Multimodalität, 3) Nonlinearität/Hypertextualität, 4) Reaktivität und Personalisierung, 5) Quantität der Inhalte und 6) Digitalisierung/Maschinenlesbarkeit. Diesen Herausforderungen bin ich bei der Analyse der Onlineplattform des Fairphone-Unternehmens insofern begegnet, als dass ausgewählte Webseiten über den Browser Firefox in PDF-Dokumenten am 5. Juli 2016 archiviert wurden. Nach der Erhebung des Onlinedatenmaterials wurde im Auswertungsprozess des Datenmaterials punktuell erneut Material auf der Onlineplattform des Unternehmens bzw. den entsprechenden Profilseiten auf Facebook, Twitter und Instagram erhoben, um bereits formulierte Ergebnisse zu bestätigen oder zu ergänzen. Durch die Archivierung kann ich der Flüchtigkeit der Inhalte begegnen. Eine Herausforderung war jedoch weiterhin die Nonlinearität/Hypertextualität der Inhalte, doch konnte ich hier eine Auswahl treffen und das Datenmaterial insofern eingrenzen, als dass ich mich zum einen auf die Onlineplattform des Unternehmens beschränkte (und keinen die Unternehmensplattform verlassenden Links folgte) und zudem all jene Webseiten der Onlineplattform archivierte, welche für meine oben genannten Fragestellungen interessant waren. Somit konnte ich auch der Herausforderung der Quantität des Datenmaterials begegnen. Durch die Analyse der auf der Onlineplattform veröffentlichten Webseiten konnte ich nicht nur Informationen über das Produkt Fairphone generieren, sondern auch die Ziele des Unternehmens rekonstruieren.
Auf der Onlineplattform des Unternehmens ist außerdem ein Onlineforum für Nutzer*innen integriert, in dem ich entsprechend der virtuellen Ethnographie (Hine 2000 und 2015, s. o.) nicht-teilnehmende Beobachtungen (Flick 2009, S. 282) durchführte, die ich protokollierte. Diese gaben v. a. Aufschluss über die Kommunikation von Forennutzenden untereinander sowie zwischen ihnen und dem Fairphone-Unternehmen. Des Weiteren führte ich im Rahmen einer Beobachtung auf den Profilseiten des Fairphone-Unternehmens auf den Onlineplattformen Facebook, Twitter und Instagram durch. Die Beobachtungen führte ich im Rahmen der Projektlaufzeit zwischen Juni 2016 bis November 2019 punktuell durch, wobei ich die Wahl der Zeitpunkte auch hier nicht systematisch getroffen habe.
Neben den qualitativen Interviews mit Nutzer*innen des Fairphones sowie der Analyse der Onlineangebote des Unternehmens zog ich als weiteres Datenmaterial auch Interviews des Unternehmensgründers Bas van Abel heran, die in verschiedenen deutschsprachigen Zeitschriften und Zeitungen online veröffentlicht wurden. Die Entscheidung für die Wahl dieses Materials erfolgte, da ich auf meine Interviewanfrage an das Unternehmen eine Absage erhielt, mit der Begründung, Interviews würden für Journalist*innen gegeben werden, aber nicht für wissenschaftliche Zwecke. Die Begründung für diese war, dass das Unternehmen zu klein sei, um Interviews für wissenschaftliche Studien zu geben. So recherchierte ich online publizierte Interviews, die Bas van Abel verschiedenen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften gab, um diese auswerten und, neben der Onlineplattform des Unternehmens und von diesen genutzten Internetmedien, auch über diese Interviews die Perspektive des Unternehmens rekonstruieren zu können.
Um die dritte Fallstudie zur Onlineplattform Utopia.de analysieren zu können, wurden ausgewählte Webseiten des Onlinemagazins am 1. Dezember 2016 archiviert. Ich begegnete den oben benannten Herausforderungen einer Onlineanalyse, indem ich auch in dieser Fallstudie eine begrenzte Auswahl des Datenmaterials traf und mich auf solches reduzierte, das im Hinblick auf die oben genannten Fragestellungen relevant war, also neben Inhalten, die die Utopia GmbH und ihre Ziele beschrieben auch solche Inhalte erhob, die sich explizit mit digitalen Medientechnologien auseinandersetzten. Auf einzelne Onlineartikel der Plattform Utopia.de verweise ich in der Ergebnisdarstellung entweder mit dem Namen der*des jeweiligen Autor*in oder, wenn kein Name angegeben ist, auf Utopia.
Auf der Onlineplattform Utopia.de waren neben dem Onlinemagazin auch Onlineforen integriert, deren Inhalte registrierte Nutzer*innen gestalten konnten. In diesen Gruppen führte ich im Rahmen einer virtuellen Ethnographie (Hine 2000 und 2015 s. o.) nicht-teilnehmende Beobachtungen über den Projektzeitraum von Juni 2015 bis November 2019 durch. Dabei ging es mir vor allem darum, zu beobachten, welche Themen in den Onlineforen verhandelt werden. Diese Foren waren zum Zeitpunkt der Manuskriptüberarbeitung für die Veröffentlichung des Buches im Juni 2021 nicht mehr online. Vielmehr werden die Nutzer*innen über die Onlineplattform nun für „Utopia-Community-Gruppen“ zu solchen auf Facebook geführt. Die Ergebnisse der Analyse zur Vernetzung und Vergemeinschaftung der Nutzer*innen von Utopia.de beziehen sich daher z. T. auf Praktiken, welche aufgrund der Modifizierung des Onlineangebots so nicht mehr möglich sind.
Die Kommunikation des Unternehmens und der Nutzer*innen analysierte ich aber auch im Sinne einer virtuellen Ethnographie durch Onlinebeobachtungen in den von der Utopia GmbH bespielten Profilen auf Facebook, Twitter, Instagram und dem YouTube-Kanal des Unternehmens über den Projektzeitraum Juni 2015 bis November 2019.
Durch die Analyse des Onlinemagazins und der Onlineplattform auf der einen sowie der Beobachtungen in den Onlineforen auf der Plattform Utopia.de und den entsprechenden Profilen auf den genannten Onlinenetzwerken auf der anderen Seite, konnte ich die oben genannten Forschungsfragen beantworten, da ich hier Rückschlüsse über die Themen erhielt, die auf Utopia.de verhandelt werden, sowie auch Informationen über die Ziele und Praktiken des Unternehmens sowie der Nutzenden sammeln konnte.
Durch die Triangulation der verschiedenen hier erläuterten Erhebungsmethoden lag mir in den jeweiligen Fallstudien unterschiedliches Datenmaterial in digitaler und archivierter Form vor (s. Tab. 3.1), das computergestützt mit der Software MAXQDA ausgewertet werden konnte. Wie ich bei der Auswertung vorgegangen bin und die drei Fallstudien integrierte, erläutere ich im folgenden Teilkapitel.
Tab. 3.1
Gesamtes Datenmaterial und Erhebungsmethoden
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3.3.3 Materialauswertung und Integration der Fallstudien

Das gesamte Datenmaterial lag mir nach der Erhebung schließlich in Form von Transkripten bzw. anderen kodierbaren Formaten (PDF, JPG) vor. Für die Auswertung wählte ich den dreistufigen Kodierprozess der Grounded Theory (Strauss und Corbin 1996, S. 39 ff.), um theoriegeleitet an das Material herangehen und die Bedeutungen sowie Sinnzuschreibungen der unterschiedlichen Akteur*innen herausarbeiten zu können. Gleichzeitig war es durch die Wahl der Grounded Theory möglich, die verschiedenen Datenmaterialien miteinander zu vergleichen. In dem Auswertungsprozess nach dem dreistufigen Modell von Strauss und Corbin werden die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt (Strauss und Corbin 1996, S. 39). Ich kodierte mithilfe der Software MAXQDA, da ein computergestütztes Vorgehen nicht nur den Kodierprozess erleichtert, sondern auch den Vergleich des Materials ermöglicht. Ziel des Kodierprozesses war es, ein für alle drei Fallstudien gültiges Kategorienschema zu entwickeln. Um dies zu erarbeiten, habe ich zunächst das Datenmaterial der ersten Fallstudie zum Reparieren von Medientechnologien in Repair Cafés ausgewertet. Hier habe ich in einem ersten offenen Kodierschritt induktive Kategorien erstellt und damit „die Daten in einzelne Teile aufgebrochen, gründlich untersucht, auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin verglichen“ (Strauss und Corbin 1996, S. 44). In einem weiteren Schritt des axialen Kodierens habe ich die zunächst ungeordnet vorliegenden Kodes sortiert und in Bezug zueinander gesetzt (ebd., S. 75 ff.). Daran anschließend habe ich im selektiven Kodierprozess Hauptkategorien gebildet, durch die die Daten nochmals sortiert und hierarchisiert werden konnten (ebd., S. 94 ff.). Die Hauptkategorien sind die in Abschn. 3.​2 erläuterten theoretischen Dimensionen, welche sich aus der theoriegeleiteten Analyse des Datenmaterials ergaben: Medienpraktiken, Materialität, Medienethik, Vergemeinschaftung, politische Partizipation und soziale Bewegung. Diese theoretischen Dimensionen bilden die zentralen Momente von Medienpraktiken für Nachhaltigkeit und ein „gutes Leben“. Zu diesen Hauptkategorien sortierte ich Subkategorien, denen ich wiederum Ausprägungen zuordnen konnte.
Das nach der Auswertung des Datenmaterials der ersten Fallstudie vorliegende Kategorienschema nutzte ich, um das Datenmaterial der zweiten Fallstudie, nämlich die Produktion und Aneignung fairer Medientechnologien, am Beispiel des Fairphones auszuwerten. Einige der zuvor gebildeten Kategorien waren hierfür weniger relevant, andere fehlten, sodass ich in diesem Auswertungsprozess weitere Subkategorien induktiv bildete und damit das Kategorienschema ergänzte. Es zeigte sich in dem Prozess jedoch, dass sich viele der Kategorien überschnitten. Das nun ergänzte Kategorienschema zog ich auch für die Auswertung des Datenmaterials der dritten Fallstudie zu Utopia.de heran. Auch hier waren wieder diverse Kategorien weniger relevant, andere wiederum fehlten, so dass ich erneut induktive Kategorien bildete und das Schema um diese ergänzte. Schließlich lag mir ein Kategorienschema vor, das über das gesamte Datenmaterial der drei Fallstudien entwickelt wurde und dieses erfasste.
Als eine nach dem Verfahren der Grounded Theorie zu entwickelnde Schlüsselkategorie, entwarf ich das Konzept der konsumkritischen Medienpraktiken (s. Einleitung). In diesem Konzept können die zentralen Erkenntnisse der Arbeit subsumiert und gleichzeitig pointiert dargestellt werden, wie und warum verschiedene Akteur*innen Medien(-technologien) nutzen, um zu einer nachhaltigen Gesellschaft und einem „guten Leben“ beizutragen (s. detaillierter hierzu Abschn. 4.​2 und 5.​1).
In den folgenden Kapiteln erläutere ich die zentralen Ergebnisse der empirischen Analyse unter Rückgriff auf den Forschungsstand und entlang der sechs theoretischen Dimensionen der Medienpraktiken für Nachhaltigkeit und „gutes Leben“. Dabei wird die Schlüsselkategorie des konsumkritischen Medienhandelns als Querschnittsthema wiederholt aufgegriffen.
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Fußnoten
1
„Der Begriff der Wegwerfgesellschaft bezeichnet die Dominanz einer historisch spezifischen gesellschaftlichen Haltung gegenüber Dingen. Diese ist gekennzeichnet vom Besitz unzähliger Dinge, ihrem Ge- und Verbrauchen, einer Achtlosigkeit im Dingumgang sowie der Bereitschaft, Dinge schnell zu ersetzen und auszutauschen.“ (Heßler 2013, S. 253).
 
2
Ein weiteres Beispiel für fair produzierte Medientechnologien ist die von dem Verein Nager IT e. V. produzierte Fairmouse, eine Computermaus, die unter fairen Bedingungen produziert werden soll (Nager IT 2017; s. hierzu Kannengießer 2016).
 
3
In den Ausführungen von Hauff und Claus zu fair produzierten Gütern kommen Medientechnologien gar nicht vor (s. Hauff und Claus 2012, S. 110 ff.). So zeigt sich, dass sich der Markt an fairen Gütern in den vergangenen Jahren ausdifferenziert hat und auch faire Medientechnologien hinzugekommen sind.
 
4
Die Kritik an Utopia.de belegt Glathe jedoch nicht mit entsprechenden Beispielen aus dem Web 2.0.
 
5
Macht ist hier im Sinne Foucaults (2015[1977]) produktiv, sie ist allen sozialen Beziehungen inhärent und wird durch Handlungen hergestellt.
 
6
Hartmann (2006) erweitert dieses Konzept in das der dreifachen Artikulation und betont, dass auch die Kontexte der Mediennutzung in die Untersuchungen einzubeziehen seien.
 
7
Für einen Überblick über den Diskus um Materialität in den Science and Technology Studies auch in Bezug zur Kommunikations- und Medienwissenschaft s. Lievrouw 2014.
 
8
Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen (1948) besagt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Und auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1949) stellt die Würde des Menschen in Artikel 1, Absatz 1 an vorderste Stelle: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
 
9
Ich danke Anna Schroeder für ihre Unterstützung bei der Erhebung und Auswertung des Datenmaterials.
 
10
Die Nichtnutzung von Medien wurde aus verschiedenen Perspektiven bereits untersucht (z. B. Roitsch 2020; Woodstock 2014; Kaun und Schwarzenegger 2014; Portwood-Stacer 2013), nicht jedoch die Nichtnutzung von Medientechnologien mit dem Ziel der Nachhaltigkeit.
 
11
Seit September 2016 findet das Repair Café im Kunstforum Oldenburgs in Kooperation mit der Werkschule e. V. statt.
 
12
Es gibt eine Vielzahl von Reparaturcafés in Berlin (s. www.​reparatur-initiativen.​de/​). Das Fallbeispiel wurde auch ausgewählt, da es das erste Reparaturcafé Berlins war und mit dem Nachhaltigkeitspreis der Stadt ausgezeichnet wurde (Berlin Online 2013).
 
13
Von allen Interviewpartner*innen liegt eine Zitiererlaubnis vor; in diesem Buch werden die Namen der Interviewpartner*innen zum Schutz der Personen nicht genannt.
 
14
Von allen Interviewpartner*innen liegt eine Zitiererlaubnis vor; in diesem Buch werden die Namen der Interviewpartner*innen zum Schutz der Personen nicht genannt.
 
Metadaten
Titel
Medienpraktiken für eine nachhaltige Gesellschaft und das „gute Leben“ erforschen
verfasst von
Sigrid Kannengießer
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36167-9_3