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11.05.2022 | Metalle | Schwerpunkt | Online-Artikel

Die Neuerfindung von Stahl als grüner Stahl ist herausfordernd

verfasst von: Dieter Beste

5:30 Min. Lesedauer

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Die Reduktion von Eisenoxiden mit Wasserstoff soll den klassischen Hochofenprozess ersetzen mit dem Ziel, den CO2-Ausstoß bei der Stahlherstellung zu reduzieren. Mehrere neue Methoden werden schon erprobt – da sorgt das Wasserstoffplasma-Verfahren für Aufsehen.

Gegenwärtig werden etwa 70 Prozent des weltweit produzierten Eisens durch die Reduktion von Erzen in Hochöfen mit Kohlenmonoxid als Reduktionsmittel gewonnen, wobei ein Eisen-Kohlenstoff-Gemisch entsteht. Dieses Roheisen wird anschließend in Konvertern zu Stahl veredelt, indem der größte Teil des Kohlenstoffs entfernt wird. Großer Nachteil dieser gängigen Praxis ist es allerdings, dass sowohl bei der Reduktion als auch bei der Veredelung enorme Kohlendioxidemissionen entstehen: Bei der Herstellung von einer Tonne Stahl werden zwei Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre ausgestoßen. "Die globale Stahlindustrie ist der größte Einzelverursacher von Treibhausgasen und verantwortlich für 8 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen", bilanziert Dierk Raabe, Direktor am Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE). 

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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

Hydrogen Ironmaking

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Wasserstoff, möglichst hergestellt aus erneuerbaren Quellen, soll deshalb in wenigen Jahren die Stahlproduktion vom Kopf auf die Füße stellen. Die Technologie ist in Grundzügen bekannt, aber bei Weitem nicht ausgereift. Gegenwärtig werden Optionen mit ausreichend hohem Technology Readiness Level (TRL) geprüft und untersucht, berichtet ein Autorenteam der Fraunhofer-Gesellschaft im Buchkapitel "Einsatz von Wasserstofftechnologien in der Industrie". Es geht um den direkten stofflichen Einsatz von Wasserstoff in der Rohstahlproduktion zur Emissionsvermeidung oder die Nutzung des weiterhin entstehenden Kohlendioxids in Verbindung mit Wasserstoff als nachgeschalteten Prozess. Der erste Ansatz beruht auf der Substitution von Kohle als Reduktionsmittel durch Wasserstoff, der neben der chemischen Reduktion des Eisenerzes auch die notwendige Prozesswärme durch Verbrennung liefert – verbunden freilich mit Änderungen in der Prozessführung. Da die Kohlendioxidemission je nach Verfahrensansatz in unterschiedlichem Umfang vermieden werden kann, spricht man in diesem Fall auch von Carbon Direct Avoidance (CDA), erklären die Springer-Autoren. 

In diesem Kontext diskutieren sie zwei Verfahren: Zum einen den direkten Einsatz von Wasserstoff im Hochofen (H2-BF/BOF) – dies ein Verfahren, das bereits modellhaft untersucht wurde. Dabei wird der Wasserstoff im unteren Bereich des Hochofens (BF) eingeblasen, aus dem das flüssige Eisen in einen Konverter (BOF) zur Rohstahlerzeugung überführt wird. Berechnungen ergaben, dass Wasserstoff als Reduktionsmittel an Stelle der Einblaskohle die CO2-Emission für den betrachteten Bilanzraum bei maximaler Ausnutzung von Wasserstoff um 21,4 Prozent verringern kann. Der Haken an der Sache: "Gegenwärtig wird die Bereitstellung von grünem Wasserstoff in der notwendigen Größenordnung aus Kostengründen jedoch als kritisch bewertet", merkt das Autorenteam aus vier Fraunhofer-Instituten an.

Das gilt gleichermaßen für die zweite von den Buchautoren diskutierte Direktreduktion von Eisenerz mit Wasserstoff (H2-DR/EAF). "In den von der Swedish Steel AB (Hybrit) sowie der Salzgitter AG (Salcos) verfolgten Verfahrensansätzen wird das pelletierte Eisenerz mit Wasserstoff in einer autothermen Direktreduktionsanlage reduziert, wobei die Prozesswärme auch durch partielle Verbrennung von Wasserstoff mittels Sauerstoffs aufgebracht wird, der durch die vorgeschaltete Elektrolyse geliefert wird." Die Bezeichnung H2-DR/EAF leitet sich aus dem Einsatz von Wasserstoff in der Direktreduktion (Direct Reduction, DR) ab. Das direktreduzierte Eisen wird anschließend dem Lichtbogenofen (Electric Arc Furnace, EAF) zugeführt. Die Reduktion der Eisenerzpellets mit reinem Wasserstoff wurde den Springer-Autoren zufolge experimentell demonstriert, so dass entsprechende Anlagen technisch realisierbar seien.

Reduzierung von Eisenoxiden mit Wasserstoffplasma

Unterdessen tritt ein weiteres Reduktionsverfahren auf den Plan. Kürzlich berichtete die Voestalpine AG, dass es Wasserstoffplasma für die grüne Stahlproduktion nutzen wolle. Der österreichische Stahl- und Technologiekonzern mit Sitz in Linz sieht sich hierbei in einer weltweiten Führungsposition. In einem speziellen Gleichstromelektrolichtbogenofen erfolgen in der neuen Versuchsanlage in Donawitz mithilfe von Wasserstoffplasma gleichzeitig die Reduktion von Eisenerz und der Schmelzprozess zu Rohstahl. Die Verwendung von grünem Strom und Wasserstoff als Reduktionsmittel bietet den Vorteil, dass lediglich Wasserdampf als Endprodukt entsteht.

"Wir arbeiten mit Hochdruck an neuartigen Verfahren, mit denen der Durchbruch zur Dekarbonisierung der Stahlproduktion an den Standorten Linz und Donawitz gelingen kann", sagt Herbert Eibensteiner, CEO der Voestalpine AG: "Mit unseren beiden Leuchtturmprojekten H2Future und SuSteel nehmen wir eine weltweite Vorreiterrolle in der Branche ein, wenn es darum geht, bisher noch nicht angewandte Technologien bei der Stahlherstellung mit Hilfe von grünem Wasserstoff zu erforschen." Als Projektpartner bei diesem Grundlagenforschungsprojekt fungieren neben der Voestalpine das Metallurgische Kompetenzzentrum K1-MET sowie die Montanuniversität Leoben. SuSteel wird als COMET-Projekt von K1-MET seitens der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG vorerst bis 2023 gefördert.

ERC-Grant für Grundlagenforschung zu grünem Stahl

Man stelle sich vor, welche Auswirkungen es hätte, wenn es der Stahlindustrie gelänge, die Emissionen um 80 Prozent oder noch mehr zu reduzieren, kommentiert Dirk Raabe vom MPIE, der soeben für sein Projekt "ROC" einen mit 2,5 Millionen Euro dotierten Advanced Grant vom Europäischen Forschungsrat (ERC) erhalten hat. Das Akronym ROC steht für "Reducing Iron Oxides without Carbon by using Hydrogen-Plasma". Auch Raabe setzt auf Wasserstoffplasma: ROC basiert auf zwei Ansätzen, und zwar 

  • der Verwendung von Wasserstoff-Plasma anstelle von Kohlenstoff als Reduktionsmittel für Eisenerz, so dass nur Wasser als Nebenprodukt anfällt, und 
  • der Verwendung von moderat reduzierenden elektrischen Lichtbogenöfen, die Reduktion, Schmelzen, Mischen und Entfernen von Verunreinigungen in einem einzigen Prozessschritt kombinieren. 

"Unser Ziel ist es, die physikalischen und chemischen Grundlagen der Reduktionsprozesse bis auf die atomare Skala zu erforschen. Dieses Verständnis wird es uns ermöglichen, die am besten geeigneten Reaktoren und Reduktionsmittel zu finden, um die höchsten Metallausbeuten bei geringstem Wasserstoff- und Energieverbrauch zu erzielen", sagt Raabe und verweist auf die enorme Hebelwirkung der Entwicklungen hin zu grünem Stahl: "Schon kleine Schritte können helfen, gigantische Mengen an Emissionen im schnell wachsenden globalen Metallurgiesektor zu vermeiden, in dem jedes Jahr mehr als 1,8 Milliarden Tonnen Stahl produziert werden." Und: "Dieses Problem lässt sich nicht durch Trial-and-Error lösen. Es erfordert tiefe Einblicke in die zugrundeliegenden Mechanismen, um eine 3.500 Jahre alte Industrie innerhalb weniger Jahre neu zu erfinden".

Nadelöhr grüner Strom und grüner Wasserstoff

Bei der Voestalpine AG hofft man, ab 2027 die bestehende Hochofenroute durch eine Hybrid-Elektrostahlroute teilweise ersetzen zu können. Bis 2050 soll die Verwendung von grünem Wasserstoff im Stahlerzeugungsprozess sukzessive erhöht werden. Aber: "Die Voraussetzung für die Verwirklichung dieser revolutionären Vision ist offensichtlich: Grüner Strom und Wasserstoff müssen in ausreichenden Mengen und zu marktkonformen Preisen zur Verfügung stehen", stellt CEO Eibensteiner klar.


 

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