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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

12. Methode für Studie 2

verfasst von : Maximilian Hettmann

Erschienen in: Motivationale Aspekte mathematischer Lernprozesse

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

wurden Unterrichtsstunden von Studierenden der Experimentalgruppe für eine Annäherung an die Unterrichtsrealität videografiert und ausgewertet. Der zentrale Fokus liegt dabei auf Unterstützungssituationen im Rahmen des Förderunterrichts. Es werden Unterstützungsmuster identifiziert und beschrieben, mit denen solche Unterstützungssituationen klassifiziert werden können.
Zur Beantwortung der in Abschnitt 5.​2 dargestellten Forschungsfrage
Welche Handlungsmuster und Strukturen lassen sich in Unterstützungssituationen bei der Förderung leistungsschwacher Schüler*innen durch angehende Mathematiklehrkräfte identifizieren?
wurden Unterrichtsstunden von Studierenden der Experimentalgruppe für eine Annäherung an die Unterrichtsrealität videografiert und ausgewertet. Der zentrale Fokus liegt dabei auf Unterstützungssituationen im Rahmen des Förderunterrichts. Es werden Unterstützungsmuster identifiziert und beschrieben, mit denen solche Unterstützungssituationen klassifiziert werden können. Über die Identifikation und Analyse der Unterstützungsmuster hinaus soll ein Einblick in weitere mögliche Einflussfaktoren für das Gelingen von Unterstützungssituationen gegeben werden. Von besonderer Bedeutsamkeit für gelungene Unterstützungssituationen erscheinen besonders die Form der Kommunikation und die Materialauswahl (s. Abschnitt 2.​3 und Kapitel 4). Anhand von Fallbeispielen werden Einblicke in die beiden Aspekte ermöglicht und illustriert.
Im folgenden Kapitel wird zuerst das Vorgehen bei der Datenerhebung und -auswertung beschrieben (Abschnitt 12.1) und ein Einblick in den strukturellen Aufbau von Unterstützungssituationen gegeben (Abschnitt 12.2).

12.1 Datenerhebung und -auswertung

12.1.1 Entstehung des Datenkorpus

Im Rahmen des in Kapitel 6 beschriebenen Veranstaltungskonzepts wurden etwa zur Mitte der Förderzeit in den beteiligten Gruppen einer der drei Kooperationsschulen ein bis zwei Förderstunden videografiert. Die Schüler*innengruppen an dieser Kooperationsschule stammen jeweils aus einer Klasse und wurden von ihren Mathematiklehrkräften danach zusammengestellt, dass alle einen Bedarf an zusätzlicher mathematischer Förderung haben und die Schüler*innen sich untereinander kennen und verstehen. Im Förderkonzept der Schule sind sog. Trainingsstunden in den Hauptfächern fest verankert, in denen die Schüler*innen im Klassenverband in selbstständiger Arbeit die Inhalte vertiefen oder nacharbeiten können. Die Schüler*innen der Fördergruppen haben statt an den Trainingsstunden am Förderunterricht teilgenommen. Sie mussten also keine zusätzliche Zeit investieren.
Der Termin für die Videoaufnahme wurde mit den Studierenden abgesprochen und es wurde mit ihnen vereinbart, dass sie die ohnehin geplante Förderstunde durchführen sollen. Die Schüler*innen wurden mit dem Einverständnis ihrer Eltern von ihren Förderlehrer*innen über die Videoaufnahme und entsprechende Hinweise zur Anonymisierung der Daten informiert. Der Forschende (I in Abbildung 12.1) war als nicht-teilnehmender Beobachter zu jedem Zeitpunkt mit im Raum und nahm keinen Einfluss auf die Fördersitzung.
Gefilmt wurde mit zwei Kameras, von denen eine auf die Lehrkräfte (B1 und B2) und die Tafel gerichtet war und die andere auf die Schüler*innen (S1-S6), die entweder in Reihen oder an Gruppentischen saßen (s. Abbildung 12.1). Darüber hinaus wurde mit einem weiteren Audio-Aufnahmegerät auf jedem Gruppentisch versucht, auch leise Interaktionen aufzuzeichnen. Für die weiteren Auswertungsschritte, wie die Transkription, wurden beide Kameraperspektiven in einem Video zusammengeschnitten, sodass für die Transkription und Auswertung stets beide Ansichten präsent waren.

12.1.2 Beschreibung des Datenkorpus

Insgesamt wurden neun Unterrichtsvideos der Länge von 00:46:10 bis 01:01:11 Stunden mit ergänzenden Audioaufnahmen erstellt. In fünf der Unterrichtsstunden fördern zwei Förderlehrer*innen gemeinsam zwischen vier und sechs Schüler*innen mit mathematischem Förderbedarf. In den anderen 2 × 2 Videos fördert jeweils eine Lehrkraft zwischen zwei und vier Schüler*innen in zwei Unterrichtsstunden. In Tabelle 12.1 ist ein Überblick über die Videos gegeben.
Zusätzlich wurden die Planungsunterlagen der Lehrkräfte gesammelt. Diese umfassen einen Dokumentationsbogen (Thema, Ziel, Begründung des Themas, eingesetzte Materialien, Begründung der Material- und Methodenwahl), einen Stundenverlaufsplan und die eingesetzten Materialien, wie Arbeitsblätter oder Spielmaterialien. Da die Studierenden diese für die Erbringung der Studienleistung ohnehin erstellen mussten, hatten sie dadurch keinen Mehraufwand.
Tabelle 12.1
Übersicht über den Datenkorpus
Förder lehrkraft
Anzahl
S*S
Thema der Stunde
Kurzer Verlaufsplan
Länge des Videos
Elif und Johannes
6
Multiplikation im kleinen Einmaleins
• Lehrer*innenvortrag mit Tafelbild zur Multiplikation als wiederholte Addition
• Würfelspiel zum Kleinen Einmaleins
• 10 Minuten Einmaleins-Test
00:52:12
Anna und Sophie
5
Subtraktion mit mehreren
Subtrahenden
• Schnipselspiel (Subtraktionsaufgabe in die richtige Reihenfolge bringen)
• Drei Aufgaben zur schriftlichen Subtraktion mit mehreren Subtrahenden inkl. Vorrechnen an der Tafel
• Mathefußballspiel (in schriftlichen Subtraktionen mit mehreren Subtrahenden müssen Lücken gefüllt werden)
00:56:44
Hanna und Emily
5
Große Zahlen
• Einstiegsspiel: Eckenrechnen
• Arbeit an einer Lerntheke zum Thema Große Zahlen
• Spiel: Zahlen raten (Schüler müssen sich einer bestimmten Zahl immer weiter annähern und bekommen jeweils die Hinweise ‚hoch‘ oder ‚tief‘)
• Reflexions-Runde
00:54:23
Ann-Christin und Jannis
4
Schriftliche
Addition
• Erstellen eines Lernposters zur schriftlichen Addition inkl. Präsentationsphase
• Gemeinsames Besprechen des Übertrags
• Bearbeiten eines ABs zur schriftlichen Addition
• Puzzlespiel zur Addition
• Feedback-Runde
00:53:57
Benjamin und Britta
6
Schriftliche
Multiplikation
• Reflexion der geschriebenen Klassenarbeit
• Basteln eines Buddy-Books (Merkheft) inkl. Eintrag über Addition und Subtraktion
• Unterrichtsgespräch zur Schriftlichen Multiplikation
• Bearbeiten eines Arbeitsblattes zur Schriftlichen Multiplikation
00:46:10
Anika 1
3
Schriftliche
Subtraktion
• Wiederholung der letzten Stunde
• Spiel Magische Zahl (von einer Ausgangszahl müssen immer 7 subtrahiert werden)
• Selbstständiges Arbeiten an Aufgabenblättern
• Memoryspiel zur Subtraktion
00:58:27
Anika 2
4
Division
• Wiederholung der letzten Stunde
• Lehrer*innenvortrag: Teilbarkeiten
• Divisionsspiel (Würfelspiel mit Aufgabenkarten)
• Reflexions-Runde
00:54:06
Lisann 1
2
Halbschriftliche
Division
• Bearbeiten von Arbeitsblättern zum Halbschriftlichen Dividieren
• Unterrichtsgespräch zum Halbschriftlichen Dividieren
• Reflexionsrunde
00:59:19
Lisann 2
3
Kleines
Einmaleins
• Kopfrechenspiel: Einmaleins-Aufgaben würfeln
• Auswendiglernen und Aufsagen von Einmaleins-Reihen
• Dominospiel zum kleinen Einmaleins
01:01:11

12.1.3 Aufbereitung des Datenkorpus

In einem ersten Schritt wurden die Videos der Unterrichtsstunden mithilfe des Transkriptionsprogramms f4 nach Kuckartz (2018) transkribiert, vereinheitlicht und in MAXQDA importiert. Anschließend wurden die Transkripte dem Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. ebd.) folgend in einer initiierenden Textarbeit durchgearbeitet und zusammengefasst.
Als Analyseeinheiten wurden Unterstützungssituationen festgelegt, also vollständige Interaktionen, in denen mindestens eine Lehrkraft mit mindestens einer*m Schüler*in ein oder mehrere Probleme ggf. zergliedert in Teilprobleme bearbeitet (vgl. Abschnitt 12.2). Alle anderen Stellen, z. B. Spielsituationen, in denen keine Probleme auftreten, Reflexionsrunden oder Lehrervorträge ohne Schüler*innenbeteiligung, wurden von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Insgesamt wurden 193 Unterstützungssituationen identifiziert. Dabei ist zu beachten, dass es gemäß des Fokus der Forschungsfrage nur um die von den Lehrkräften ausgehenden Unterstützungsmaßnahmen geht und die von Mitschüler*innen ausgehenden Hilfestellungen ausgeblendet werden.
In einem ersten Kodierprozess des gesamten Materials wurde versucht, deduktiv mittels der in Zech (2002) dargestellten Formen von Hilfestellungen für das Problemlösen1 als Hauptkategorien ganze Unterstützungssituationen zu kodieren. Bei diesem Kodierprozess sind drei Schwierigkeiten aufgetreten. Erstens waren die Kategorien von Zech (2002) für die Analyse realer Unterstützungssituationen nicht konkret genug operationalisiert, zweitens konnten nicht alle Unterstützungssituationen danach beschrieben werden und drittens hat es die Komplexität der Unterstützungssituationen erschwert, jeder Unterstützungssituation eine einzelne Kategorie zuzuordnen.
Als Reaktion auf die aufgetretenen Schwierigkeiten wurde zum einen für den weiteren Kodierprozess ein induktiveres Verfahren angestrebt, um auch offen für neue Kategorien zu sein. Und zum anderen wurden in einem weiteren theoretischen Schritt Unterstützungssituationen im Allgemeinen hinsichtlich ihrer strukturellen Merkmale analysiert und beschrieben (vgl. Abschnitt 12.2). Dadurch ergaben sich Folgen für das weitere Vorgehen:
  • Erstens wurden nicht mehr ganze Unterstützungssituationen, sondern darin enthaltene Unterstützungsmuster kodiert, in denen die Lehrkräfte ihre Schüler*innen auf eine bestimmte Art und Weise unterstützen. Innerhalb einer Unterstützungssituation können somit mehrere Unterstützungsmuster auftreten und kodiert werden.
  • Zweitens wurden die Unterstützungssituationen in den Videos präziser charakterisiert, indem über das Unterstützungsmuster hinaus Anlass, Art des Problems, personeller Rahmen, Lernmaterial und Kommunikationsmuster kodiert wurden.
Die zusätzliche genauere Beschreibung der Unterstützungssituationen und die Analyse der Unterstützungsmuster gestaltete sich vergleichbar zur induktiven Bestimmung von Subkategorien am Material nach Kuckartz (2018, S. 116ff). In mehreren Kodierdurchgängen durch das gesamte Material wurde der im Anhang einsehbare Kodierleitfaden induktiv entwickelt. Zur Überprüfung des Kodierrasters auf Intercoder-Reliabilität wurden von zwei Kodierern2 je ca. 18 % des Materials (entspricht 35 Unterstützungssituationen) kodiert. Als Maß der Übereinstimmung wurde jeweils Cohens Kappa berechnet. Die Kappa-Werte betragen 0,733 und 0,681 und liegen mit Landis und Koch (1977) im Rahmen einer substantiellen Übereinstimmung. Den Abschluss bildete ein letztes Kodieren des gesamten Materials mithilfe des fertigen Kategorienrasters. Die identifizierten Handlungsmuster werden in Abschnitt 13.​2 dargestellt und erläutert.

12.1.4 Darstellung des Kategorienrasters

Tabelle 12.2
Kategorienraster
Kategorie
Kodierregel
Ankerbeispiel
Unterstützung durch Klassenführung
LK sorgt durch Maßnahmen der Klassenführung für Ruhe oder unterbindet Störungen.
Die Maßnahmen können sowohl auf S*S bezogen sein, die selbst zurück zur Arbeit geführt werden sollen oder auf S*S, die andere S*S vom Arbeiten abhalten.
(S4 berechnet die Aufgabe acht mal sieben und ist dabei bereits einmal gescheitert)
B: Was ist denn acht mal sieben, wenn du ganz scharf nach denkst?
S5: Acht mal sieben.
S2: Wenn acht mal acht 64 sind was sind
B1: (unterbricht S2) Psst.
Motivationaler Zuspruch
LK spricht mit den S*S über deren Motivation oder über motivationsbezogene Aspekte, wie Ursachen für gute und schlechte Leistungen, Selbstkonzepte, Umgang mit Misserfolgen oder die Formulierung positiver Erwartungen.
Die Unterstützung kann ein einfacher Zuspruch oder ein Gespräch über motivationale Aspekte sein.
(im Plenum rechnen die Schüler*innen an der Tafel einzeln jeweils eine Spalte von Subtraktionsaufgaben mit mehreren Subtrahenden vor, S2 hat als Einziger noch nicht vorgerechnet)
B1: Eine Aufgabe ist noch übrig. S2 möchtest du es nicht auch einmal versuchen mit den Einern? (S2 nickt) Wir würden dir auch auf jeden Fall helfen und die anderen bestimmt auch. (S2 steht auf und geht zur Tafel) Schaffst du.
Bereitstellung von Informationen über Richtigkeit/Falschheit einer Lösung
LK gibt Rückmeldung über die Richtigkeit oder Falschheit eines Lösungsversuchs eines*r Schüler*in.
Wird die Rückmeldung begründet, indem gesagt wird, wie es richtig wäre oder warum die Lösung falsch ist, gehört die Begründung mit zur Rückmeldung.
(im Plenum rechnen die Schüler*innen an der Tafel einzeln jeweils eine Spalte von Subtraktionsaufgaben mit mehreren Subtrahenden vor, S3 ist an der Reihe)
S3: Drei minus die sieben?
B2: Nicht ganz. Du musst immer die untere von der oberen Zahl abziehen. (...) Also musst du nur quasi rechnen: sieben minus drei.
Informationen über Aufgabenstellung oder Arbeitsauftrag
LK erklärt einen für die S*S unklaren Arbeitsauftrag erneut oder präzisiert ihn ohne inhaltliche Lösungsschritte vorwegzunehmen.
S3: (an B1, die nach S3s Meldung zu ihm kommt) Ich verstehe
das nicht. (zeigt dabei auf sein Aufgabenblatt)
B1: Lesen wir erst einmal die Aufgabe. (4) Hast du dir die Aufgabe durchgelesen? (S3 nickt) Du hast hier ein Brett, so zu sagen, wenn du keine Schere hast und Kleber kannst du dir hier auch Zahlen dranschreiben. Also diese eins bis sechzehn, glaube ich sind das. Kannst du beschriften und dann schreibst du hier dran, wozu eins gehört und wozu zwei gehört und das sind die Puzzleteile. Und diese Puzzleteile gehören jeweils auf diese Felder.
S3: Ach so, ok.
B1: Du musst dann immer das passende dazu finden. Also du kannst gerne auch ausschneiden und dann legen.
S3: Ok.
Strukturgebung und strukturiertes Zerlegen
LK geht mit einzelnen oder mehreren S*S eine Aufgabe Schritt für Schritt durch oder unterstützt ein strukturiertes Durcharbeiten der Aufgabe.
Es reicht, wenn ein folgender Lösungsschritt benannt wird, i.S.v. „Tu als nächstes das“ oder nach einem folgenden Lösungsschritt gefragt wird i.S.v. „Was musst du als nächstes tun?“.
Es wird auch kodiert, wenn die S*S die Struktur vorgeben und die LK die Struktur durch (wiederholte) Rückmeldung bestätigt.
Bei diesem Unterstützungsmuster kann es im besonderen Maße zu Überschneidungen mit anderen Mustern kommen.
(im Plenum rechnen die Schüler*innen an der Tafel einzeln jeweils eine Spalte von Subtraktionsaufgaben mit mehreren Subtrahenden vor, S3 ist an der Reihe)
B1: Was müsstest du denn jetzt als erstes machen?
S3: Die eins und zwei.
B1: Genau, was musst du damit machen?
S3: Plus rechnen.
B1: Genau. Was ist das?
S3: Drei.
B1: Genau.
B2: Und was musst du dann?
Aufmerksamkeitslenkung
LK lenkt die Aufmerksamkeit aller oder einzelner S*S verbal oder nonverbal auf mehr oder weniger bestimmte Aspekte oder Gegenstände.
Die LK kann die Aufmerksamkeit lenken auf:
– die bearbeitete Aufgabe, indem sie diese (wiederholt) benennt oder schriftlich festhält
– Visualisierungen der LK in Form von Gestik oder Tafelanschrieben
– den aktuellen Arbeitsprozess im Sinne einer (erneuten) Aktivierung von Konzentration („Konzentriere dich!“) oder einer Aufforderung aufzupassen („Pass jetzt auf!“) oder nachzudenken („Überleg nochmal!“)
– Aspekte der bearbeiteten Aufgabe, wie vorangegangene Lösungsschritte, aktuell wichtige oder bisher nicht beachtete Stellen in der Aufgabenstellung,
– sonstiges Material
– zurückliegende Bearbeitungsschritte, Aufgaben oder Unterrichtsstunden
Die LK lenkt die Aufmerksamkeit, indem sie auf etwas deutet und hinweist i.S.v. „Schau mal hier“ oder „Denk an…“ oder indem sie eine Frage (oder einen Beobachtungsauftag) stellt i.S.v. „Was fällt dir (hier) auf?“
Es werden über die reine Lenkung der Aufmerksamkeit keine inhaltlichen Hilfen gegeben.
B2: (an S2, die beim Lösen der Aufgabe sieben mal sechs mehrere Zahlen (72, 56, 48, 32, 53) rät) Denk vielleicht noch mal nach und wirf nicht einfach Zahlen in den Raum. Dann ist es vielleicht einfacher. (...) Was war sechs mal acht?
(S6 sucht in einer Zahlenreihe nach Beziehungen zwischen
den Elementen)
S6: Danach habe ich hier jetzt plus gerechnet. Soll ich das
hier denn dann hier hinschreiben. Also, aber ich weiß ja nun nicht hier. (zeigt auf ihrem Blatt)
B1: Ja, dann guck dir die ganze Reihenfolge an und guck was
passiert. (zeigt auf das Blatt)
Thematisierung mathematischer Zusammenhänge / Verfahren / Begriffe (außerhalb der bearbeiteten Aufgabe)
LK thematisiert mathematischer Zusammenhänge / Verfahren / Begriffe, die nicht im direkten Zusammenhang zu den aktuell bearbeiteten Aufgaben stehen oder vertiefend darüber hinausgehen.
S4: (zu B1, die neben ihr am Tisch sitzt) Gab es bei irgendeiner Aufgabe eine Zahl wo man die null zum Beispiel, zum Beispiel die null aufgeschrieben hat und dann irgendeine Zahl zu den Einern kam? Noch nie, oder?
B1: Ne, du rechnest die immer zur nächsthöheren Stelle.
S4: Ja aber ich meine (S4 zeigt nochmal auf dem Blatt, was
sie meint; B1 beugt sich etwas ran), gab es irgendwann mal eine Zahl, die mal hier. (.) Also hierhin kam. Also zu den Einern.
B1: Ne, ne. Das ist nur, manche die schreiben immer den Übertrag unter die eigene Stelle.
S4: Ach so.
Informationen über mögliche Lösungsstrategien
LK stellt S*S Rechenstrategien oder metakognitive Strategien zur Bearbeitung der Aufgabe zur Verfügung. Die Strategie kann durch die LK expliziert und benannt werden oder lediglich implizit angewendet werden.
(S4 muss die Aufgabe sechs mal sieben rechnen und hat bereits die von B1 vorgegebene Aufgabe sechs mal sechs richtig gelöst)
B1: Und 6 mal 7?
S5: 6 dazu.
S6: Einfach plus 6 rechnen.
S5: Du musst nur noch 6 dazurechnen.
B1: (zu S5 und S6) Psst.
S4: Dreizehn?
B1: Nein. Wenn 6 mal 6 36 sind, was sind dann 6 mal 7?
Vorgabe von richtigen / fertigen (Teil-)Lösungen
LK rechnet Lösungsschritte oder ganze Aufgaben vor oder stellt (Teil-)Lösungen auf andere Weise zur Verfügung.
(S4 vergisst beim Bearbeiten der schriftlichen Multiplikationsaufgabe 392 mal 5 den Übertrag)
S4: Fünfundvierzig und da behalte ich die.
B1: Und dann rechnest du da plus eins. also dann sechsundvierzig. Und dann, genau. Und dann behältst du die vier im Kopf, wegen von der sechsundvierzig. Dann rechnest du fünf mal drei, das sind ja fünfzehn. Und da dann die vier zu sind neunzehn.

12.2 Struktureller Aufbau der Unterstützungssituation als Analyseeinheit

Unterstützungssituationen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Lehrkraft mit einzelnen oder mehreren Schüler*innen ggf. über das aktuell genutzte Lernmaterial moderiert in eine Interaktion über ein zu lösendes Problem tritt. Das Problem bzw. der Unterstützungsbedarf kann sich auf inhaltlich mathematische Aspekte, prozessbezogene Kompetenzen sowie Aufgabenstellungen und Arbeitsaufträge beziehen. Die Unterstützungshandlung im speziellen ist dann die kommunikative Bearbeitung des Problems. Die identifizierten Handlungsmuster beschreiben, wie die eigentliche Unterstützungshandlung gestaltet wird. Hierbei sind verschiedene Kommunikationsmuster auf einem Kontinuum zwischen eng geführten und offenen Interaktionen denkbar. Das wohl bekannteste Kommunikationsmuster in Unterstützungshandlungen ist das sog. Trichtermuster als Verengung und zunehmend stärkere Lenkung eines Gesprächs, das von Bauersfeld (1978) beschrieben wurde. Das Trichtermuster ist demnach eine Bewegung auf dem Kontinuum in Richtung enger geführter Kommunikation.
Eingeleitet werden kann die Unterstützungshandlung sowohl von der Lehrkraft, z. B. wenn diese einen Fehler in den Unterlagen der Schüler*innen sieht, als auch von den Schüler*innen selbst, z. B. durch das Stellen einer Frage. Im Anlass der Unterstützungssituation spiegelt sich das Problem wider, welches im Folgenden bearbeitet wird. Jede Unterstützungssituation wird mehr oder weniger klar abgeschlossen. I.d.R. wird die Lehrkraft, nachdem sie von Schüler*innenseite Verstehen signalisiert bekommen hat, die Unterstützungssituation beenden und zu einer*m anderen Schüler*in gehen. Sie kann aber auch im Misserfolg enden, z. B. wenn ein*e Schüler*in die Aufgabe trotz Unterstützung nicht lösen kann. Eine weitere Möglichkeit für den Abschluss einer Unterstützungssituation ist die Ablenkung der Lehrkraft durch einen anderen Reiz, beispielsweise durch eine Unterrichtsstörung oder eine weitere Frage.
Unterstützungssituationen spielen sich im unterrichtlichen Rahmen ab. Dieser konstituiert sich zum einen durch die unterrichtliche Organisationsstruktur, also Organisations- und Sozialform, Offenheit der Lernsituation, Individualisierung der Lernwege etc. und zum anderen durch die von den anwesenden Schüler*innen und Förderlehrkräften konstituierte Lernatmosphäre, die sich durch ein mehr oder weniger lernförderliches Klima auszeichnen kann.
Die Abbildung 12.2 verdeutlicht den strukturellen Aufbau einer prototypischen Unterstützungssituation.
Es ist wichtig zu bemerken, dass es in dieser Arbeit nicht um die Analyse des Erfolgs oder der Qualität einzelner Maßnahmen geht. Es sollen lediglich Handlungsmuster im Rahmen von Unterstützungssituationen identifiziert werden, mit denen die Unterstützungssituationen charakterisiert werden können. Für eine Analyse des Erfolgs der Unterstützungen ist die Datenbasis nicht geeignet. Da im Regelfall die Schüler*innen nach einer Unterstützungssituation still weiterarbeiten, kann über den Erfolg der Hilfestellung keine Aussage getroffen werden. Bei der Analyse der Unterstützungsmuster und der Darstellung der Ergebnisse dazu ist zu beachten, dass diese keine hierarchische Struktur aufweisen. Es gibt keine grundsätzlich besseren oder schlechteren Unterstützungsarten, sondern vielmehr zu einer Situation passende oder nicht passende. Zur Beurteilung der Passung eines Unterstützungsmusters zur Unterstützungssituation ist die Datengrundlage ebenfalls nicht in allen Fällen aussagekräftig genug.
Um einen bestmöglichen Einblick in die Unterstützungssituationen zu bekommen, werden im Folgenden alle beschriebenen Unterstützungshandlungen so gerahmt, dass Anlass und Abschluss der Situation ersichtlich werden, da die Handlungsmuster oft nur im Prozesskontext verständlich sind. Bei der Betrachtung der Unterstützungsmuster ist zu beachten, dass grundsätzlich alle Muster eine motivations- bzw. selbstwirksamkeitsförderliche Wirkung haben können, indem sie den Weg der Schüler*innen zum Erfolgserleben erleichtern. Das Muster motivationaler Zuspruch (s. Tabelle 12.2) ist demnach nur eine Form der motivationalen Unterstützung.
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Fußnoten
1
Da in den Überstützungssituationen nur bedingt mathematisches Problemlösen im engeren Sinne betrieben wird, konnte davon ausgegangen werden, dass die Hilfestellungen nach Zech (2002) nur zum Teil auf die Daten anwendbar sind.
 
2
Jeweils ein*e Vertreter*in der Mathematikdidaktik und der Psychologie der Bildung und Erziehung.
 
Metadaten
Titel
Methode für Studie 2
verfasst von
Maximilian Hettmann
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37180-7_12