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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

11. Zusammenfassende Diskussion Ergebnisse von Studie 1

verfasst von : Maximilian Hettmann

Erschienen in: Motivationale Aspekte mathematischer Lernprozesse

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die Förderung von Motivation ist vor dem Hintergrund der besonderen motivationalen Bedingungen von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen ein wichtiges Element der alltäglichen Tätigkeit von Mathematiklehrkräften. Diese Arbeit leistet einen Beitrag dazu, die hinter motivationsförderlichem Lehrer*innenhandeln stehenden kognitiven und affektiv-motivationalen Dispositionen zu identifizieren und einen Ansatz für deren Förderung zu entwickeln. Auf Basis einer Anforderungsanalyse für die Motivationsförderung von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen in Fördersettings wurde theoriebasiert ein Modell der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern entwickelt und begründet.
Die Förderung von Motivation ist vor dem Hintergrund der besonderen motivationalen Bedingungen von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen (vgl. Abschnitt 2.​2) ein wichtiges Element der alltäglichen Tätigkeit von Mathematiklehrkräften. Diese Arbeit leistet einen Beitrag dazu, die hinter motivationsförderlichem Lehrer*innenhandeln stehenden kognitiven und affektiv-motivationalen Dispositionen zu identifizieren und einen Ansatz für deren Förderung zu entwickeln. Auf Basis einer Anforderungsanalyse für die Motivationsförderung von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen in Fördersettings wurde theoriebasiert ein Modell der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern entwickelt und begründet (s. Abbildung 3.​4). Dieses unterscheidet für Lehrkräfte auf der dispositionalen Ebene drei Kompetenzbereiche: Das Professionswissen und –können, die motivationalen Orientierungen und die Überzeugungen zum Lehren und Lernen (vgl. Abschnitt 3.​3).
Im Bachelor-Studiengang für das Lehramt im Fach Mathematik an der Universität Bielefeld hat sich ein mathematikdidaktisches Veranstaltungskonzept mit integrierter Praxisphase etabliert, das Potential für die Entwicklung der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern hat. Inhaltlich zielte das Konzept auf die fachliche Unterstützung von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen. Im Rahmen des Projekts Biprofessional, das Teil der Bielefelder Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung ist, wurde dieses Veranstaltungskonzept überarbeitet, indem der inhaltliche Schwerpunkt um motivationspsychologische Inhalte zur Förderung der Motivation von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Lernen von Mathematik erweitert wurde (vgl. Kapitel 4; vgl. Hettmann et al. 2019). Dadurch sollte das Potential zur Entwicklung der professionellen Kompetenzen motiviertes Lernen zu fördern erhöht werden.
Ziel der Untersuchung war vor diesem Hintergrund zum einen herauszufinden, inwieweit Facetten dieser professionellen Kompetenz durch ein solches Veranstaltungsformat verändert werden können, und zum anderen zu untersuchen, ob die explizite Thematisierung motivationspsychologischer Inhalte im Rahmen der Veranstaltung einen Einfluss auf diese Entwicklung nimmt. Dazu wurden in einer quantitativen Untersuchung mit einem Prä-Post-Design 44 Studierende (Experimentalgruppe), die an der Veranstaltung mit expliziter Thematisierung motivationspsychologischer Inhalte teilgenommen haben und 23 Studierende (Kontrollgruppe), die die Veranstaltung ohne explizite Thematisierung motivationspsychologischer Inhalte besuchten, befragt.
Inhaltlich fokussierte die Untersuchung auf fünf Aspekte (vgl. Abschnitt 5.​1):
1.
Die unter Abschnitt 3.​3 beschriebenen Facetten der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern (Abschnitt 11.1),
 
2.
die Einschätzung der Studierenden zur jeweils besuchten Veranstaltung (Abschnitt 11.2),
 
3.
motivationsbezogene Konstrukte der von den befragten Studierenden im Rahmen der Veranstaltung unterrichteten Schüler*innen (Abschnitt 11.3)
 
4.
den von den Studierenden selbsteingeschätzten eigenen Lernzuwachs (Abschnitt 11.4) und
 
5.
die von den Studierenden selbsteingeschätzte eigene Umsetzung der in der Veranstaltung vermittelten Methoden in der Praxis (Abschnitt 11.4).
 
Die Auswertungen zu den einzelnen Forschungsfragen wurden entsprechend der Struktur der Daten jeweils mit unterschiedlichen Methoden ausgewertet. Die Zusammenfassung der Ergebnisse gliedert sich aus diesem Grund nach den Forschungsfragen. Dieses Kapitel schließt mit einer kritischen Reflexion der Untersuchung.

11.1 Facetten der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern

Das Erkenntnisinteresse zu den Facetten der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern gliedert sich in zwei Fragestellungen. Zum einen wurde untersucht, inwieweit sich, beide Untersuchungsgruppen zusammengenommen, Veränderungen in den Facetten vor und nach Besuch der Veranstaltung zeigen (F1.1). Die Ergebnisse zu dieser Fragestellung sind in Tabelle 11.1 in der Spalte Haupteffekt zusammengefasst. Zum anderen wurde geprüft, ob sich die Entwicklungen zwischen den beiden Untersuchungsgruppen unterscheiden (F1.2). Die Ergebnisse zu der Einzelbetrachtung der beiden Untersuchungsgruppen finden sich in Tabelle 11.1 in den Spalten Effekt in KG und Effekt in EG. Die Überprüfung auf Interaktionseffekte zwischen den Faktoren Untersuchungsgruppe und Zeit sind in der Spalte Interaktion angegeben. Die jeweiligen Effektstärken können im Abschnitt 10.​1 nachgelesen werden.
Die Hypothesen H1.1 i)-vi) nehmen an, dass sich Veränderungen im Verlauf des Untersuchungszeitraums zeigen. Sie beziehen sich jeweils auf eine bestimmte Facette der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern:
i)
Pädagogisch-psychologisches Wissen
 
ii)
Sicherheit des pädagogisch-psychologischen Wissens
 
iii)
Lehrer*innenselbstwirksamkeit und Selbstwirksamkeit motiviertes Lernen zu fördern
 
iv)
Enthusiasmus für Mathematik
 
v)
Attribution schlechter Schüler*innenleistungen
 
vi)
Bezugsnormorientierung
 
Entsprechend nehmen die Hypothesen H1.2 i)-vii) eine Interaktion der Faktoren Untersuchungsgruppe und Zeit an.
Die Überprüfung der Hypothesen kommt zu den folgenden Ergebnissen (s. Tabelle 11.1): Die Hypothesen H1.1 i) – iii) und v) können aufgrund des jeweils nachgewiesenen Haupteffekts angenommen werden. Lediglich im Enthusiasmus für Mathematik (H1.1 iv)) und in der Bezugsnormorientierung (H1.1 vi)) zeigt sich keine systematische Veränderung über die Zeit. Die Hypothesen H1.2 i), iii) und iv) müssen aufgrund der ausbleibenden Interaktionseffekte abgelehnt werden, allerdings zeigt sich beim pädagogisch-psychologischen Wissen in der Einzelbetrachtung der Gruppen ein Vorteil der Experimentalgruppe. Die Hypothesen zur Sicherheit des pädagogisch-psychologischen Wissens, zur Attribution schlechter Schüler*innenleistungen und zur Bezugsnormorientierung werden angenommen.
Tabelle 11.1
Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie zu den Facetten der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern (+: positiver Effekt, /: kein Effekt, −: negativer Effekt; bei der Interaktion ist jeweils angegeben in welche Richtung er geht und welche Untersuchungsgruppe die entsprechend stärkere Ausprägung aufweist)
 
Haupteffekt
Effekt in KG
Effekt in EG
Interaktion
Pädagogisch-psychologisches Wissen
 + 
/
 + 
/
Sicherheit des Pädagogisch-psychologischen Wissens
 + 
/
 + 
 + (EG)
Lehrer*innenselbstwirksamkeit
 + 
 + 
 + 
/
Selbstwirksamkeit motiviertes Lernen zu fördern
 + 
 + 
 + 
/
Enthusiasmus für Mathematik
/
/
/
/
Attribution schlechter Schüler*innenleistungen auf Probleme im Unterricht
/
Attribution schlechter Schüler*innenleistungen auf mangelnde Begabung
 + 
 + 
/
 + (KG)
Attribution schlechter Schüler*innenleistungen auf mangelnde Anstrengung
 + 
/
 + 
/
Individuelle Bezugsnormorientierung
/
/
 + 
 + (EG)
Soziale Bezugsnormorientierung
/
/
/
/

11.1.1 Pädagogisch-psychologisches Wissen und Sicherheit des Wissens

In der Gesamtschau der Ergebnisse zum pädagogisch-psychologischen Wissen und den Sicherheiten zeigt sich, dass es möglich scheint, Wissensaspekte mit einem der ausgewählten Veranstaltungsformate zu verbessern. Aufgrund einer fehlenden Basisgruppe, die keine vergleichbare Veranstaltung besucht, können diese Effekte nur eingeschränkt auf den Besuch der Veranstaltung zurückgeführt werden, allerdings scheint es vor dem Hintergrund der inhaltsnah formulierten Wissenstestitems und der Ergebnisse zu parallel belegten psychologischen Veranstaltungen1 plausibel hier einen Zusammenhang anzunehmen. Die Ergebnisse deuten damit in eine vergleichbare Richtung, wie die Ergebnisse von König und Seifert (2012b) und Tachtsoglou und König (2017), die den Einfluss der Lehramtsausbildung auf das allgemein-pädagogische Wissen über mehrere Semester hinweg beschrieben haben. Vor dem Hintergrund der Betonung wissensbezogener Aspekte professioneller Kompetenzen (vgl. Baumert und Kunter 2011a; Voss et al. 2015b) ist es ein Erfolg des Projekts ein exemplarisches Veranstaltungsformat beschrieben zu haben, welches es Studierenden ermöglicht sich in dieser Kompetenzfacette zu verbessern. Die Ergänzung inhaltlicher Bausteine zur Motivationsförderung in der Experimentalgruppe scheint einen positiven Einfluss auf die Sicherheit der Studierenden zu haben, mit der sie die Wissenstestitems beantworten2 und zumindest in der Einzelbetrachtung der Untersuchungsgruppen einen Vorteil in der Vermittlung motivationsbezogenen pädagogisch-psychologischen Wissens.
Die Frage danach, inwieweit in diesem Veranstaltungskonzept die Kombination von Theorie und Praxis zu einem verbesserten Wissenszuwachs geführt hat und welche Elemente der Veranstaltung zu den Effekten geführt haben, ist vor dem Hintergrund der Datenlage und der noch nicht hinreichend belastbaren Studienlage zur Wirkung von Praxiserfahrungen auf das pädagogisch-psychologische Wissen (vgl. Voss et al. 2015b) nicht abschließend zu beurteilen.

11.1.2 Motivationale Orientierungen

Die motivationale Orientierung der Studierenden wurde über die Konstrukte Lehrer*innenselbstwirksamkeit, Selbstwirksamkeit motiviertes Lernen zu fördern und Enthusiasmus für Mathematik untersucht. Die Entwicklung der Selbstwirksamkeitswerte ist vor dem Hintergrund der in Abschnitt 3.​3.​3.​1 beschriebenen Wirkungen einer hohen Selbstwirksamkeit auf Schüler*innenvariablen, die Unterrichtsqualität und das Wohlbefinden der Lehrkraft positiv zu bewerten. Eine vergleichbar positive Entwicklung zeigt sich auch bei Strauß et al. (2019), die im Vergleich von Studierenden und Referendar*innen zeigen konnten, dass die Selbstwirksamkeit bei Referendar*innen höher ist. Sie führen dies auf den regelmäßigen Zugang zu den Quellen der Selbstwirksamkeit zurück, wie die Erfahrungen im eigenen Unterricht, sowie stellvertretende Erfahrungen von Mentor*innen und Peers (vgl. ebd.). Ulrich et al. (2020) berichten in ihrem Review zu Effekten des Praxissemesters ebenfalls von einer Selbstwirksamkeitssteigerung. Die zum ersten Messzeitpunkt schon hohen Mittelwerte entsprechen allerdings nicht den Erwartungen einer realistischen Selbsteinschätzung eines*r Noviz*in. Sie könnten auf eine Überschätzung der tatsächlichen Fähigkeiten durch die Studierenden hindeuten, wie sie von Kruger und Dunning (1999) beschrieben wurde. Mögliche Erklärungen für eine solche Überschätzung sind die, durch noch fehlende Praxiserfahrung bedingte, Schwierigkeit die Herausforderungen des Lehrer*innenberufs richtig einschätzen zu können oder vorangegangene vorwiegend positive pädagogische Vorerfahrungen (vgl. Depping et al. 2021). Eine unreflektierte Steigerung der Selbstwirksamkeit ist daher, ohne Betrachtung der jeweiligen Bedingungsfaktoren und tatsächlichen Fähigkeiten, kritisch zu betrachten (vgl. Schwarzer und Jerusalem 2002; Seethaler 2012; Krapp und Ryan 2002). Hohe Selbstwirksamkeitswerte bei noch gering ausgeprägten Fähigkeiten könnten gar keinen Effekt haben (vgl. Schwarzer und Jerusalem 2002) oder die weitere Professionalisierung der Studierenden sogar negativ bedingen, indem sie durch die Selbstüberschätzung zu geringerer Anstrengungsbereitschaft führen (vgl. Breker 2016; Trippel 2012). Eine wichtige Ergänzung zur durchgeführten Studie wäre ein Abgleich der Selbstwirksamkeitsfacetten mit den tatsächlichen Fähigkeiten der Studierenden.
Da beide Gruppen gleichermaßen einen Anstieg verzeichnen, liegt die Vermutung nahe, dass der Zuwachs in den Selbstwirksamkeitsfacetten, bei aller oben bereits thematisierter Einschränkung, eher auf die Erfahrung von begleiteter Praxis zurückzuführen ist als auf unterschiedliche theoretische Inhalte. Darauf deuten auch die Ergebnisse von Seifert und Schaper (2018) hin, die zeigen konnten, dass im Praxissemester das Planen und Durchführen von pädagogischen Handlungssituationen ein Prädiktor für die Veränderung von Selbstwirksamkeitserwartungen ist. Theoriegeleitete Reflexionen der eigenen Unterrichtserfahrungen scheinen eher geringeren Einfluss zu nehmen (vgl. ebd.). Depping et al. (2021) hingegen konnten zeigen, dass die Anzahl der Praxisphasen im Studium kein Prädiktor für die Entwicklung der Selbstwirksamkeit ist. Vermutlich ist eine Voraussetzung für einen Anstieg der Selbstwirksamkeit, dass die Studierenden im Rahmen ihrer Praxisphase zu dem Fazit kommen, dass sie die nötigen Fähigkeiten besitzen, den Anforderungen zu begegnen. Dazu kommen sie eher, wenn die Praxisphase eine Herausforderung darstellt und wenn sie Zugang zu den Quellen der Selbstwirksamkeit haben (vgl. Tschannen-Moran et al. 1998). Der Herausforderungsaspekt scheint in diesem Format gegeben, da die Studierenden in der Regel zum ersten Mal eigenständig unterrichten. In dem hier untersuchten Veranstaltungskonzept konnte der zweite Aspekt durch die zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen von Seiten der Universität und der Schule und die kleinen Fördergruppen unterstützt werden (vgl. Ulrich et al. 2020).
Die hohen Werte im Fachenthusiasmus zum ersten Messzeitpunkt sind aufgrund der positiven Wirkungen auf Merkmale von Lehrperson und Schüler*innen sowie auf die Unterrichtsqualität positiv zu bewerten (vgl. Bleck 2019; Kunter, Frenzel et al. 2011; Mahler et al. 2018). Strauß et al. (2019) und Baumert et al. (2008) berichten ebenfalls von hohen Enthusiasmuswerten für das Fach. Ob die Veranstaltung einen positiven Einfluss auf den Enthusiasmus für das Fach nehmen konnte, kann aufgrund der Deckeneffekte nicht abschließend beantwortet werden. Um diesen Deckeneffekten zu begegnen, sollte zukünftig eine mehrstufigere Skala oder stärker formulierte Items verwendet werden.

11.1.3 Überzeugungen zum Lehren und Lernen

Die motivationsbezogenen Überzeugungen der Studierenden wurden über die Konstrukte Attributionen schlechter Schüler*innenleistungen und die Bezugsnormorientierung untersucht.
Die Studierenden beider Gruppen sehen in der Antizipation vor der eigenen Praxis Probleme des Unterrichts häufiger als Ursache für schlechte Schüler*innenleistungen als später in ihrer eigenen Fördergruppe. Diese Entwicklung kann auf unterschiedliche Weisen interpretiert werden. Zum einen haben Lehrkräfte die Tendenz zur selbstwertdienlichen Ursachenzuschreibung und führen Misserfolge wie schlechte Schüler*innenleistungen eher nicht auf das eigene Handeln zurück (vgl. Jager und Denessen 2015; Burger et al. 1982; Tollefson et al. 1990). Während in der fiktiven Fördergruppe zum ersten Messzeitpunkt eine ebenfalls fiktive Mathematiklehrkraft für die schlechten Schüler*innenleistungen verantwortlich gemacht werden konnte, können die schlechten Schüler*innenleistungen zum zweiten Messzeitpunkt auch auf die eigene potenziell unzureichende Förderpraxis zurückgeführt werden. Die Entwicklung ist demnach zwar erwartungsgemäß, vor dem Hintergrund, dass schlechter Mathematikunterricht als eine Ursache für Schwierigkeiten beim Mathematiklernen identifiziert wurde (vgl. Moser Opitz 2013), ist die Entwicklung jedoch gleichermaßen problematisch. So entlastet der geringere Anteil an Attributionen auf Probleme im Unterricht die Lehrkraft möglicherweise davon Verantwortung für potenziell schlechten Unterricht zu übernehmen und daran zu arbeiten diesen zu verbessern. Zum anderen nimmt die Attribution auf Probleme des Unterrichts aus Sicht der Schüler*innen eine externale Ursache an, welche eher in einem negativen Zusammenhang mit schüler*innenseitigen motivationalen Aspekten steht (vgl. Natale et al. 2009; Upadyaya et al. 2012). Ein Rückgang der Attribution auf Probleme im Unterricht zugunsten der internalen Ursachen kann demnach positiv bewertet werden (vgl. Hsieh 2004; Wang und Hall 2018).
Während die Kontrollgruppe zum zweiten Messzeitpunkt eher Begabungen als Ursache schlechter Schüler*innenleistungen sieht, scheint die Experimentalgruppe eher mangelnde Anstrengung als Ursache zu identifizieren. Die Entwicklung der Experimentalgruppe ist aufgrund der Kontroll- und Änderungsperspektiven, die die Attribution auf die internal variable Ursache Anstrengung eröffnet, als günstiger einzuschätzen. Eine Attribution auf mangelnde Begabung im Kontext schlechter Schüler*innenleistungen ist als problematisch zu charakterisieren, weil sie den Lernenden je nach Stabilität des Begabungskonzepts wenige oder keine Perspektiven eröffnet, etwas an den schlechten Leistungen ändern zu können und somit einen negativen Einfluss auf die Selbstwirksamkeit nehmen kann (Schwarzer und Jerusalem 2002; Wang und Hall 2018). Insgesamt scheint es möglich die Attributionen schlechter Schüler*innenleistungen der Studierenden positiv zu beeinflussen.
Die Entwicklung in der Experimentalgruppe hin zu einer stärkeren Orientierung an der individuellen Bezugsnorm ist wegen der motivationalen Vorteile der individuellen Bezugsnorm (vgl. Abschnitt 3.​3.​4.​1) insbesondere für leistungsschwache Schüler*innen günstig zu bewerten. Diese positive Entwicklung ist vor dem Hintergrund der Studien von Rheinberg (1982b) überraschend. Dieser konnte zeigen, dass sich über die 1,5 Jahre der Ausbildungszeit nur bei wenigen Studierenden ein Wechsel zur individuellen Bezugsnormorientierung nachgewiesen werden konnte. Eine Erklärung für die abweichenden Ergebnisse in dieser Untersuchung könnte sein, dass es Studierenden in Förderkontexten leichter fällt, individuelle Bezugsnormen zu verwenden. Es bleibt zu prüfen, inwieweit die Bewertungen der konstruierten Schüler*innenleistungen für die Praxis handlungsleitend werden und Effekte auf Schüler*innenebene bedingen (vgl. Fischbach et al. 2015).

11.2 Bewertung der Maßnahmen auf Studierendenebene

Die Einschätzungen der Studierenden zu der jeweils besuchten Veranstaltung wurden aufgrund des Zusammenhangs zu Teilnahmebereitschaft, Wissenszuwachs, Änderungen in den Überzeugungen und dem Verhalten der teilnehmenden Studierenden untersucht (vgl. Abschnitt 3.​4). Hier stellte sich die Frage, wie sich die Bewertungen der Studierenden zwischen dem explizit auf Motivationsförderung im Förderkontext zugeschnittenen Veranstaltungskonzept im Vergleich zu dem strukturell ähnlichen Seminar zu den Grundlagen der Diagnose und individuellen Förderung ohne expliziten Anteil motivationspsychologischer Inhalte unterscheiden. Als Kriterien wurden die Anwendbarkeit der Inhalte in der Praxisphase und in der Zukunft, die Darstellung der Inhalte sowie die Nützlichkeit und die Interessantheit der Inhalte erfasst. Es zeigt sich mit einer Ausnahme in allen Bewertungskriterien deutliche Effekte zugunsten der Experimentalgruppe. Die Interessantheit der Inhalte bewerten die Studierenden vergleichbar. Die Hypothese H2 kann bestätigt werden. Diese Ergebnisse auf der Ebene der Reaktionen von teilnehmenden Lehrkräften deuten auf eine Überlegenheit des Veranstaltungskonzepts mit expliziter Vermittlung motivationspsychologischer Inhalte hin (vgl. Lipowsky und Rzejak 2012).

11.3 Effekte auf Schüler*innenebene

Auf Ebene der Schüler*innen stellen sich drei zentrale Forschungsfragen.
  • Erstens wurde danach gefragt wie sich die Ausprägung und Entwicklung in den motivationalen Schüler*innen-Variablen zwischen den Schüler*innen der teilnehmenden Studierenden einerseits und Schüler*innen aus Regelklassen andererseits unterscheidet.
  • Zweitens wurde danach gefragt, inwieweit sich die Entwicklungen der motivationalen Variablen zwischen den Untersuchungsgruppen Kontroll- und Experimentalgruppe unterscheiden.
  • Drittens wird danach gefragt, wie viele der Schüler*innen der drei Untersuchungsgruppen Erfolgserlebnisse im Untersuchungszeitraum berichten.
Tabelle 11.2
Zusammenfassung der Ergebnisse der Schüler*innendaten zu Forschungsfrage 3.1 zu den motivationalen Variablen der Schüler*innen im Vergleich der geförderten Schüler*innen (KG und EG zusammen) und der Regelklassengruppe (es ist jeweils angegeben, in welcher der untersuchten Gruppen die Ausprägung signifikant höher ist; / bedeutet, dass kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen nachgewiesen wurde)
 
Vor der Förderung
Nach der Förderung
Selbstwirksamkeit
RG
RG
Selbstkonzept
RG
/
Anstrengungs-Erfolgs-Überzeugungen
RG
/
Die Ergebnisse zur ersten Forschungsfrage werden in Tabelle 11.2 zusammengefasst. Die Hypothese H3.1 wird zumindest für die Konstrukte Selbstkonzept und Anstrengungs-Erfolgs-Überzeugungen angenommen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass durch die zusätzliche Förderung durch die geschulten Studierenden bestehende Unterschiede hinsichtlich motivationaler Variablen zwischen Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Lernen zum Teil aufgelöst werden können. Die ausbleibenden Veränderungen in der Selbstwirksamkeit überraschen vor dem Hintergrund der expliziten Auslegung des inhaltlichen Veranstaltungskonzepts in der Experimentalgruppe auf das Selbstwirksamkeitskonzept. Ursachen dafür können in einer für die Untersuchung von Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten ungeeigneten Skala sein. Die Schüler*innen könnten sich trotz individueller Verbesserung noch immer nicht in der Lage dazu sehen, den Herausforderungen des Mathematikunterrichts gewachsen zu sein. Dadurch könnte eine Veränderung in den Items der Selbstwirksamkeitsskala ausbleiben. Eine weitere mögliche Ursache ist, dass für einen Effekt einer Lehrveranstaltung bis auf die Ebene der Schüler*innen Intensität und Umfang zu gering gewählt wurden (vgl. Lipowsky und Rzejak 2012). Es scheint vor diesem Hintergrund angemessen, Siefer et al. (2020) folgend, das Selbstwirksamkeitskonstrukt differenzierter und insbesondere gemeinsam mit den tatsächlichen Fähigkeiten zu erheben. Ebenfalls überraschend ist der Anstieg im Selbstkonzept der Schüler*innen in beiden Untersuchungsgruppen vor dem Hintergrund des geringen zeitlichen Anteils der Förderung am alltäglichen (Schul-)leben der Schüler*innen, so wäre es zu erwarten, dass negative soziale Vergleiche im Regelunterricht dazu führen könnten, dass die Effekte der Förderung in den Hintergrund rücken (vgl. Marsh 2005). Der Anstieg im Selbstkonzept könnte auf das regelmäßige Kompetenzerleben, die Kompetenzsteigerung und den Big-Fish-Little-Pond-Effekt im Förderunterricht zurückgeführt werden, welches unter anderem durch niveauangepasste Aufgaben bzw. das geringere Leistungsniveau im Vergleich zur Klassengruppe ermöglicht wird (vgl. Gold 2018). Das inhaltliche Modul zur Individualisierung von Lernwegen wurde in der Veranstaltung in beiden Untersuchungsgruppen explizit geschult. Die Steigerung der mathematischen Kompetenzen könnte dazu führen, dass die Schüler*innen im Vergleich mit der Klassenbezugsgruppe weniger schlecht abschneiden und so das Selbstkonzept gesteigert werden kann (vgl. ebd.).
Tabelle 11.3
Zusammenfassung der Ergebnisse der Schüler*innendaten zu Forschungsfrage 3.2 zum Vergleich der Schüler*innen beider Untersuchungsgruppen (+: positiver Effekt, /: kein Effekt, −: negativer Effekt; bei der Interaktion ist jeweils angegeben in welche Richtung er geht und welche Untersuchungsgruppe die entsprechend stärkere Ausprägung aufweist)
 
Haupt effekt
Effekt in KG
Effekt in EG
Inter aktion
Selbstwirksamkeit
/
/
/
/
Selbstkonzept
 + 
 + 
 + 
/
Anstrengungs-Erfolgs-Überzeugungen
 + 
 + 
/
 + (KG)
Die Ergebnisse zu Forschungsfrage 3.2 werden in Tabelle 11.3 zusammengefasst. Die Hypothese H3.2 nimmt eine unterschiedliche Entwicklung zwischen den beiden Untersuchungsgruppen an und kann demnach nur für die Anstrengungs-Erfolgs-Überzeugungen angenommen werden. Die Ursachen für diesen unerwarteten Zusammenhang sind unklar. Die ansonsten gleichförmige Entwicklung zwischen den beiden Untersuchungsgruppen deutet an, dass die inhaltliche Nähe der Lehrveranstaltungen in der Experimental- und Kontrollgruppe möglicherweise zu hoch ist, um untersuchungsgruppenspezifische Entwicklungen zu bedingen.
Den Abschluss der Auswertungen zu den Schüler*innen-Daten bildet der Vergleich von Häufigkeiten berichteter Erfolgserlebnisse im Rahmen des Untersuchungszeitraums. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Studierenden, die eine explizite Schulung motivationsbezogener Inhalte erhielten, besser dazu in der Lage sind, ihre Förderung so zu gestalten, dass Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Lernen zumindest ein Erfolgserlebnis haben. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund der Quellen für Selbstwirksamkeitserwartungen (vgl. Abschnitt 2.​2.​1) von besonderer Bedeutung. Regelmäßige selbstbewirkte Erfolgserlebnisse sind die zentrale Quelle für Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (vgl. Bandura 1997; Schunk und DiBenedetto 2016). Das Ausbleiben der Entwicklung im Selbstwirksamkeitskonstrukt sind vor diesem Hintergrund nach wie vor überraschend, können aber begründet werden (s. o.).

11.4 Lernerfolge und Nutzung der Methoden in der Praxis

Um die selbstberichteten Lernerfolge zu erfassen, schätzten die Studierenden ihren Lernzuwachs zunächst in sechs motivationsspezifischen Lernbereichen ein und beschrieben anschließend darüberhinausgehende Lernzuwächse. Die Lernerfolge in den motivationsspezifischen Lernbereichen unterscheiden sich nicht zwischen den Untersuchungsgruppen. Sie umfassen verschiedene Aspekte der Planung und Durchführung motivationsförderlichen Unterrichts. Die Betrachtung der wichtigsten Lernzuwächse legt den Fokus der Studierenden auf das Wahrnehmen von Motivationslagen und die Planung von motivationsförderlichem Unterricht offen. Diese Bereiche sind für Studierenden im ersten Praktikum mit großem eigenen Lehranteil angemessen (vgl. Hettmann et al. 2019). Den geringsten Lernzuwachs berichten die Studierenden im Bereich der Nutzung von Motivationstheorien für den Unterricht. Für eine Weiter- und Neuentwicklung vergleichbarer Veranstaltungsformate gilt es zu prüfen, inwieweit die Möglichkeiten zur Nutzung von Motivationstheorien in der Praxis durch die Studierenden noch weiter forciert werden können. Ansätze des Forschenden Lernen könnten hier gewinnbringend sein (vgl. Hettmann et al. 2020; Kleine und Castelli 2017; Wellensiek et al. 2017).
Darüber hinaus berichten die Studierenden weitere Lernzuwächse in den Bereichen Motivationsförderung, Unterrichtsgestaltung, Individualisierung und Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung, eigene Professionalisierung sowie Schüler*innenkognitionen. Die Studierenden führen ihre Lernzuwächse auf die praktischen Erfahrungen in der Förderung der Schüler*innen, die theoretischen Inhalte des Blockseminars, das Reagieren auf Motivationsprobleme und den persönlichen Kontakt zu den Schüler*innen zurück. Aus Sicht der Studierenden werden somit alle Elemente des Veranstaltungskonzepts mehrfach als ursächlich für den Lernerfolg benannt.
Im Rahmen von wöchentlichen Online-Befragungen haben die Studierenden ihre Nutzung der Veranstaltungsinhalte in der Praxis berichtet. Hier zeigt sich, dass die Studierenden die im Blockseminar vermittelten Methoden nach eigener Einschätzung in ihren Förderstunden nutzen. Am häufigsten wurden Attributionales Feedback, Formen Qualitativer Diagnostik und Methoden der individuellen Förderung genutzt. Bei den Methoden der individuellen Förderung dominieren Spiele. Dies spiegelt sich auch in den videografierten Unterrichtsstunden (vgl. Kapitel 12) wider. Die Auswertungen hinsichtlich der Lernerfolge und genutzten Methoden geben einen Einblick in die Schwerpunktsetzung der Teilnehmer*innen und bieten somit einen Ansatzpunkt zur gezielten Weiterentwicklung des Veranstaltungsformats.

11.5 Kritische Reflexion der Untersuchung

Betrachtet man die Ergebnisse über die Forschungsfragen hinweg, lässt sich insbesondere bei den Vergleichen von Kontrollgruppe und Experimentalgruppe beobachten, dass sich nur wenige Interaktionseffekte nachweisen lassen und diese dann meist nur kleine Effektstärken haben. Für dieses Phänomen gibt es zwei Erklärungsansätze. Der erste zielt auf die Kontrollgruppe. Die zum Teil signifikanten Zuwächse in der Kontrollgruppe und die ausbleibenden Interaktionseffekte deuten darauf hin, dass die Veranstaltung in der Kontrollgruppe bereits wichtige Kompetenzfacetten abgedeckt und gefördert hat. Für die reine Ergänzung motivationspsychologischer Inhalte bei sonst vergleichbarer Veranstaltungskonzeption, wie sie die Experimentalgruppe von der Kontrollgruppe unterscheidet, sind die Effekte demnach größtenteils erwartungsgemäß. Der andere Erklärungsansatz zielt auf die Studierendenstichprobe. Für die meisten der Studierenden ist der Förderunterricht die erste Gelegenheit sich selbst in der Rolle einer Lehrkraft wiederzufinden und für eine Gruppe von Schüler*innen gezielt Unterricht zu planen. Es ist denkbar, dass der Großteil ihrer zur Verfügung stehenden Ressourcen für andere Aspekte als die Förderung von Motivation beansprucht werden, wie den Umgang mit Störungen und Konflikten, das Gestalten von Interaktionen mit Schüler*innen, die eigene Körperhaltung oder das Einhalten des Zeitplans. Der zusätzliche Fokus auf die Förderung individueller Motivation könnte eine Überforderung darstellen.
Darüber hinaus sind die zentralen beschränkenden Faktoren dieser Arbeit die Stichprobenauswahl, die zur Verfügung stehende Erhebungszeit und das Fehlen einer Basisgruppe, die nicht eine vergleichbare Veranstaltung besucht. Eine Analyse der Gütekriterien der verwendeten Instrumente wurde bereits in Kapitel 8 durchgeführt.
Die Stichprobe besteht aus nahezu allen Studierenden, die zwischen dem Wintersemester 2016/2017 und dem Sommersemester 2018 die berufsfeldbezogene Praxisstudie in Mathematik am Standort Bielefeld besucht haben. Dabei bildet die erste Kohorte die Kontrollgruppe und die drei darauffolgenden die Experimentalgruppe. Die Stichprobe ist dementsprechend nicht randomisiert und konnte aufgrund des begrenzten Projektzeitrahmens in der Anzahl nicht weiter gesteigert werden. Die Verallgemeinerung der Ergebnisse auf andere Standorte und Studierendengruppen ist demnach nur eingeschränkt möglich (vgl. Bortz und Böring 2006).
Dadurch, dass die Erhebung im Rahmen der Veranstaltungstage durchgeführt wurde, war die zur Verfügung stehende Zeit für die Pre- und Post-Erhebung begrenzt. Dies wirkte sich insbesondere auf die Auswahl und Anzahl der Skalen und Items aus. Insbesondere die Facetten des Fachwissens und Fachdidaktischen Wissens wurden aus diesem Grund ausgespart. Für eine umfangreichere Untersuchung der Kompetenzfacetten, wäre eine Auslagerung der Pre- und Post-Erhebungen nötig gewesen, die sich jedoch gegebenenfalls negativ auf die Teilnehmer*innenmotivation ausgewirkt hätte. Die Integration in die Veranstaltungstage hatte einen weiteren Nachteil. Die Bearbeitung eines kognitiv anspruchsvollen Fragebogens ohne Bearbeitungsfeedback ist aus motivationaler Perspektive und im Hinblick auf etwaige Ermüdung ein ungünstiger Einstieg in ein mehrtägiges Blockseminar.
Eine weitere Grenze der Untersuchung ist das Fehlen einer Basisgruppe auf der Ebene der Studierenden. Eine solche Basisgruppe könnte aus Mathematik-Lehramtsstudierenden im vergleichbaren Semester bestehen mit vergleichbaren mathematikdidaktischen und pädagogisch-psychologischen Vorwissen, welche kein entsprechendes Veranstaltungsformat mit Praxisphase besuchen. Es war aus organisatorischen Gründen nicht möglich eine solche Gruppe zusammenzustellen. Dadurch können die Ergebnisse zur Entwicklung der Studierendengruppe über die Zeit nicht mit einer Basislinie verglichen werden und strenggenommen nicht auf die Intervention zurückgeführt werden. Aufgrund der Bedeutsamkeit der Praxisphasen im Lehramtsstudium wird dieser Zusammenhang ungeachtet dessen bei aller Vorsicht angenommen. Für eine Einschätzung der Nachhaltigkeit der Entwicklungen hätte eine Follow-Up Untersuchung durchgeführt werden können.
Weitere Einschränkungen bestehen in möglichen Messfehlern. Diese können potentiell durch den Wechsel einzelner Dozent*innen oder der sozialen Erwünschtheit einzelner Antworten beispielsweise bei der Bezugsnormorientierung und bei den Selbstberichten zur Nutzung der Methoden aus dem Blockseminar in der Praxis bedingt sein (vgl. Fisher und Katz 2000; Stocké 2004). Weitere mögliche Messfehler sind das Auftreten von Deckeneffekten und der Novizen-Status der Lehramtsstudierenden, wodurch die Studierenden in die Lage gebracht werden, ihre Fähigkeiten in Bereichen einschätzen zu müssen, in denen sie im Zweifelsfall noch gar keine Erfahrungen machen konnten.
Trotz der genannten Einschränkungen leistet diese Studie einen wichtigen Beitrag zur Erforschung professioneller Kompetenzen von Lehrkräften im Bereich der Förderung von individueller Motivation in Förderkontexten. Sie bietet, neben einem anforderungsorientierten Kompetenzmodell und einer umfassenden Erforschung von Kompetenzständen angehender Mathematiklehrkräfte und deren Entwicklung im Rahmen des Besuchs einer Veranstaltung mit Praxisanteil, ein evaluiertes Veranstaltungskonzept zur Förderung von Facetten der KMLF.
Der Fokus auf Förderkontexte lässt sich mit Einschränkungen auf inklusive Settings verallgemeinern. In inklusiven Settings müssen Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen zeitgleich zu einer heterogenen Schüler*innengruppe individuell gefördert werden. Dabei gelten vergleichbare Prinzipien der Motivationsförderung. Allerdings werden beispielsweise aufgrund des höheren Selektionsdrucks und der damit einhergehenden häufigeren Anwendung sozialer Bezugsnormen sowie aufgrund zeitlichen Mangels die Möglichkeiten individueller Förderung eingeschränkt sein. Für die Schüler*innen eröffnen sich durch den vermehrten sozialen Vergleich mehr motivationale Problemfelder beispielsweise in Bezug auf das Selbstkonzept.

11.6 Zwischenfazit

Zusammenfassend deuten die Ergebnisse der quantitativen Studie darauf hin, dass es möglich ist, im Rahmen eines universitären Veranstaltungskonzepts mit Praxisphase, einzelne Facetten der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu verbessern. Insbesondere in den Bereichen pädagogisch-psychologisches Wissen, Lehrer*innenselbstwirksamkeit, Attributionen schlechter Schüler*innenleistungen und Bezugsnormorientierung ließen sich in mindestens einem der untersuchten Veranstaltungsformate positive Veränderungen beobachten. Die Adaption des bestehenden Veranstaltungskonzepts hin zu einer expliziteren Vermittlung motivationstheoretischer Inhalte konnte insbesondere in den Bereichen Sicherheit des Professionswissens, Akzeptanz der Studierenden, Attributionen schlechter Schüler*innenleistungen und Bezugsnormorientierung Vorteile für die Studierenden ermöglichen. Die Studierenden berichten nach beiden Veranstaltungskonzepten erwartete Lernerfolge und führen diese auf die Elemente des Veranstaltungskonzeptes zurück. Außerdem nutzen sie nach Selbstbericht die eingesetzten Methoden in ihrem Förderunterricht.
Auf der Ebene der Schüler*innen zeigten sich differenzierte Ergebnisse. Zum einen zeigen sich vor der Förderung erwartete Unterschiede zwischen Schüler*innen aus Regelklassen und Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen, die von ihren Mathematiklehrkräften für eine Förderung ausgewählt wurden. Die zum ersten Messzeitpunkt gefundenen Unterschiede konnten mit Ausnahme der Selbstwirksamkeit im zeitlichen Rahmen der Förderung aufgelöst werden. Besonders positive Effekte zeigten sich für die Schüler*innen in den Fördergruppen im Selbstkonzept. Die Integration expliziter psychologischer Elemente in das Veranstaltungsformats zeigte auf Ebene der Schüler*innen keine positiven Effekte im Vergleich zum ursprünglichen Veranstaltungskonzept, sondern in einzelnen Facetten eher einen kleinen Nachteil. Für die Schüler*innen der Experimentalgruppe, deren Studierenden das Veranstaltungskonzept mit expliziter Vermittlung motivationspsychologischer Elemente besuchten, konnte jedoch ein Vorteil hinsichtlich der berichteten Erfolgserlebnisse verzeichnet werden. Den Studierenden der Experimentalgruppe scheint es in ihrem Förderunterricht häufiger als den Studierenden der Kontrollgruppe und als praktizierenden Lehrkräften im Regelunterricht zu gelingen, den Schüler*innen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
Die Analyse der quantitativen Fragebogen-Daten eröffnet weitere Fragen, die im Folgenden mit einem Blick in die qualitativen Video-Daten bearbeitet werden. Insbesondere stellen sich die Fragen, wie sich die KMLF in der Praxis zeigt, also wie die Studierenden ihren Unterricht gestalten und mit welchen Handlungen sie ihre Schüler*innen unterstützen und welchen Anforderungen, die über die theoretischen Analysen hinausgehen, die Studierenden tatsächlich gegenüberstehen. Mit dem Fokus auf Unterstützungshandlungen zielen die folgenden Kapitel darauf, diese Fragen zu klären.
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Fußnoten
1
Das Belegen einer parallelen Veranstaltung mit psychologischen Inhalten hatte in dieser Stichprobe keinen Effekt auf die Entwicklung der Wissenstest-Scores. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Lernzuwachs sowohl bei Studierenden ohne psychologische Parallelveranstaltung auftreten als auch bei denen mit Parallelveranstaltung (s. Abschnitt 10.​1.​1).
 
2
Es wurde geprüft, inwieweit die Sicherheit bei der Beantwortung der Items mit einer Verbesserung der Punktescores zusammenhängt, um auszuschließen, dass sich die Sicherheit der Studierenden bei potenziell schlechteren Ergebnissen steigt. Die Korrelationsanalysen zeigen auf, dass bei 14 der 20 Items ein positiver Zusammenhang zwischen der Sicherheit und den Punktescores besteht. In den anderen 6 Items konnte kein Zusammenhang nachgewiesen werden. In der Tendenz sind sich die Studierenden bei besseren Ergebnissen auch sicherer.
 
Metadaten
Titel
Zusammenfassende Diskussion Ergebnisse von Studie 1
verfasst von
Maximilian Hettmann
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37180-7_11