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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Professionelle Kompetenzen, motiviertes Lernen zu fördern

verfasst von : Maximilian Hettmann

Erschienen in: Motivationale Aspekte mathematischer Lernprozesse

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Ein wichtiger Einflussfaktor im Angebots-Nutzungs-Modell (s. S. 11) von Helmke (2017) sind die Merkmale der Lehrperson mit ihrem Wissen, ihren Überzeugungen und ihrem Engagement. Dieser Faktor wirkt sich, vermittelt über das Unterrichtsangebot, auf die Lernaktivitäten der Schüler*innen und somit auf ihre fachlichen und überfachlichen Leistungen sowie erzieherische Aspekte aus. Diese Merkmale der Lehrperson werden als entscheidende Stelle zur Optimierung von Bildungs- und Lernprozessen im schulischen Kontext gesehen.
Ein wichtiger Einflussfaktor im Angebots-Nutzungs-Modell (s. S. 11) von Helmke (2017) sind die Merkmale der Lehrperson mit ihrem Wissen, ihren Überzeugungen und ihrem Engagement. Dieser Faktor wirkt sich, vermittelt über das Unterrichtsangebot, auf die Lernaktivitäten der Schüler*innen und somit auf ihre fachlichen und überfachlichen Leistungen sowie erzieherische Aspekte aus. Diese Merkmale der Lehrperson werden als entscheidende Stelle zur Optimierung von Bildungs- und Lernprozessen im schulischen Kontext gesehen (vgl. Leutner et al. 2013; Hattie 2009). Nicht überraschend ist vor diesem Hintergrund das große Interesse an Personenmerkmalen von Lehrkräften, die qualitätsvollem unterrichtlichen Handeln zugrunde liegen (vgl. Kunter, Baumert et al. 2011; Blömeke, Kaiser, Lehman 2008; Klieme und Leutner 2006; Darling-Hammond und Bransford 2005).
Für die Untersuchung lehrer*innenseitiger unterrichtlicher Zusammenhänge haben sich zahlreiche Forschungsansätze etabliert (vgl. Herzmann und König 2016). Der kompetenztheoretische Ansatz ist wegen seiner Ausrichtung auf die unterrichtlichem Handeln zugrunde liegenden Fähigkeiten von Lehrkräften und seiner prominenten Stellung in der aktuellen Forschung der zentrale theoretische Bezugspunkt dieser Arbeit.
Dieses Kapitel skizziert den kompetenztheoretischen Rahmen dieser Arbeit, indem zunächst der Begriff der professionellen Kompetenz für die Domäne der Lehrer*innenbildung eingeführt wird (Abschnitt 3.1) und unterschiedliche Konzeptualisierungen und Ausgestaltungen dieses Konstrukts vorgestellt werden (Abschnitt 3.2). Im Abschnitt 3.3 wird der zuvor eingeführte Kompetenz-Begriff für das Handlungsfeld der schulischen Förderung von mathematischen Kompetenzen und individueller Motivation konkretisiert und der Begriff der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern (KMLF) entwickelt und ausdifferenziert. Dafür werden Anforderungen an (Förder-)lehrkräfte in diesem Bereich herausgearbeitet und ausformuliert. Aus dieser Anforderungsanalyse werden unterschiedliche Facetten der KMLF abgeleitet. In Abschnitt 3.4 werden aktuelle Forschungsergebnisse zur Förderung von Kompetenzen bei (angehenden) Lehrkräften zusammengestellt. Abschließend werden in Abschnitt 3.5 die Erkenntnisse zusammengefasst und Forschungsdesiderata abgeleitet.

3.1 Professionelle Kompetenz – Begriff und zugrundeliegendes Konstrukt

Die Begrifflichkeit der professionellen Kompetenz wird in der aktuellen Literatur intensiv diskutiert (vgl. Blömeke et al. 2015; König und Seifert 2012b; Baumert und Kunter 2011a). Dabei haben sich für beide Begriffsteile eine Vielzahl von Definitionen und Konzeptualisierungen entwickelt (vgl. Baumert und Kunter 2006). Die beiden Begriffe der Profession und Kompetenz werden daher im Folgenden definiert.
Für den Professionsbegriff stellt Schwarz (2013) heraus, dass sich, trotz Fehlens einer einheitlichen Definition, einige in verschiedenen Ansätzen wiederkehrende Eigenschaften herausstellen lassen, durch die sich Professionen auszeichnen. Radtke (2000) grenzt den Begriff der Profession von denen der Arbeit und des Berufs anhand dreier Aspekte ab, die insbesondere für Professionen relevant sind:
(a)
„Wissenschaftliche Fundierung der Tätigkeit in
 
(b)
gesellschaftlich relevanten, ethisch normierten Bereichen der Gesellschaft, wie Gesundheit, Recht, auch Erziehung und
 
(c)
ein besonders lizensiertes Interventions- und Eingriffsrecht in die Lebenspraxis von Individuen“ (S. 1)
 
Baumert et al. (2011) ergänzen die Verwaltung gesellschaftlicher Güter in den unter (b) benannten Gesellschaftsbereichen und die Verantwortungsübernahme für die den Professionen jeweils zugehörigen Klient*innen. Diese Aufgaben übernehmen Professionelle auf der Basis theoretisch-akademischer Wissensbestände und praktischem im Diskurs validiertem Erfahrungswissen. Das theoretische Wissen strukturiert dabei „den konzeptuellen Rahmen für die Deutung und Ordnung praktischer Erfahrung“ (Baumert et al. 2011, S. 10). Der Lehrer*innenberuf lässt sich anhand dieser Aspekte problemlos als professionalisiert charakterisieren. Er ist in dem Sinne akademisch fundiert, dass er auf den Wissensbeständen der wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen der Fachwissenschaft, der Fachdidaktik und der allgemeinen schul- und lernbezogenen Pädagogik und Psychologie beruht. Mit diesem Wissen verwalten Lehrkräfte die gesellschaftlichen Güter der Bildung und Erziehung. Sie haben dabei durch die zweigeteilte universitäre und praktische Ausbildung und Zertifizierung ein besonderes Interventionsrecht in das Leben ihrer zugehörigen Klient*innen, den Schüler*innen. Schwarz (2013) kommt daher, in Übereinstimmung mit Baumert et al. (2011), zu dem Schluss:
„Der Beruf der Lehrerin oder des Lehrers ist zumindest so weit professionalisiert, dass es gerechtfertigt ist, von professioneller Kompetenz und damit verbunden von einer dazugehörigen professionellen Wissensstruktur als Grundlage für berufliches Handeln von Lehrerinnen oder Lehrern auszugehen.“ (Schwarz, 2013, S. 26)
Diese professionelle Wissensstruktur ist zentraler Teil der Kompetenz von Lehrkräften und findet sich in den meisten Konzeptualisierungen von Lehrer*innenkompetenzen wieder.
Ein vielen aktuellen Studien zugrundeliegender Kompetenzbegriff ist der von Weinert (vgl. Klieme 2004; Baumert und Kunter 2011a; Blömeke, Felbrich, Müller 2008). Nach Weinert (2014)
„versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variable Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ (S. 27 f)
Die beiden zentralen Besonderheiten dieses Kompetenzkonstrukts sind zum einen die, im Gegensatz zu anderen Konstrukten wie der Intelligenz stehende, Veränderbarkeit und Erlernbarkeit der kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie zum anderen die funktionale Bestimmung relevanter Kompetenzaspekte. Diese Bestimmung ist insoweit funktional, dass sie an den zu bewältigenden beruflichen Anforderungen und Funktionen in den entsprechenden beruflichen Bezugssituationen ansetzt und den Fokus auf diejenigen Fähigkeiten und Fertigkeiten legt, die für die Bewältigung beruflicher Probleme und Anforderungen notwendig ist.
Weinert (1999) definiert Kompetenzen in einem Gutachten für die OECD zunächst lediglich als funktionalbestimmte kognitive Fähigkeiten. Mit der oben vorgestellten Definition ergänzt er die Definition zu einem vielschichtigen Konstrukt aus verschiedenen kognitiven und affektiv-motivationalen Komponenten. Kompetenzen umfassen nach dieser Definition neben den kognitiven Ressourcen, wie verschiedenen Wissensfacetten oder Überzeugungen und Werthaltungen, die es einem Individuum ermöglichen, die Anforderungen und Probleme zu bewältigen, auch affektiv-motivationale Dispositionen, wie die Selbstwirksamkeit oder die intrinsischen Motivation, die die Bereitschaft darstellen, die Fähigkeiten zur Problemlösung auch zu nutzen.
Die Definition von Weinert legt den Fokus auf bei Individuen vorhandene Dispositionen zur Bewältigung bestimmter Anforderungen. Kompetenzen sind vor diesem Hintergrund dementsprechend latente Dispositionen, die professionellem Handeln zugrunde liegen. Die zu bewältigenden Praxissituationen und Berufsanforderungen sind dann das Kriterium, an dem die Validität der beschriebenen Faktoren gemessen wird. Das Ziel eines solchen dispositionalen Ansatzes ist es, die einzelnen Facetten der professionellen Kompetenz auszumachen und zu beschreiben, wie die einzelnen Aspekte zusammenhängen (vgl. Hammer 2016; Schwarz 2013). So soll Verhalten unterschiedlich kompetenter Akteure vorhergesagt werden und durch gezielte Interventionen verändert werden. Beispielsweise wird also versucht herauszufinden, welche kognitiven und affektiv-motivationalen Ressourcen eine Lehrkraft benötigt, um Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten im Mathematikunterricht oder in Förderkontexten zu motivieren, und wie diese Ressourcen gezielt gefördert werden können. Blömeke et al. (2015) erweitern diese dispositionale Sicht unter Berücksichtigung behavioraler Ansätze aus der Wirtschaftspsychologie, die zum Ziel haben, möglichst geeignete Kandidat*innen für einen Job zu finden (vgl. Arthur et al. 2003). Hier ist die Performanz das Kriterium für Kompetenz. „Competence is performance in real-world situations“ (Blömeke et al. 2015, S. 6, Hervorhebung im Original). Kompetenz wird vor dem Hintergrund beider Ansätze von Blömeke et al. (2015) als latente Disposition verstanden, die der Performanz im Sinne einer Bewältigung von praktischen situativen Problemen zugrunde liegt. Die Performanz wird dann als Indikator für diese Kompetenz betrachtet. In dieser Arbeit wird der kombinierte Ansatz vertreten.
Bromme (1997) postuliert, dass nicht nur direkte Zusammenhänge zwischen kognitiven und affektiv-motivationalen Aspekten und der Performanz bestehen und fragt nach Mediatoren zwischen diesen Bereichen. Kaiser et al. (2017) nehmen diesen Gedanken wieder auf:
„However, it can reasonably be assumed that this knowledge is not directly transformed into performance, but mediated by cognitive skills more closely related to activities of teachers“ (S. 171).
Auf die Frage nach den Prozessen, die den Übergang zwischen den kognitiven und affektiv-motivationalen Dispositionen hin zum beobachtbaren Verhalten darstellen, stellen Blömeke et al. (2015) eine Modellierung von Kompetenz als Kontinuum vor und führen situationsspezifische Fähigkeiten der Wahrnehmung, Interpretation und Entscheidungsfindung als Mediatoren zwischen die beiden Kompetenzbereiche Disposition und Performanz ein (s. Abbildung 3.1). In diesen Prozessen werden die dispositionalen Faktoren gemeinsam mit situativen Aspekten der Anforderungssituation verarbeitet, strukturiert und miteinander in Beziehung gesetzt. (vgl. Hammer 2016)
Die situationsspezifischen Fähigkeiten können mithilfe der Ansätze des Noticing und des Knowledgebased Reasoning von Sherin und van Es (2009) modelliert werden. Unter Noticing werden die aktiven Prozesse gefasst, die es einer Lehrkraft ermöglichen, die umfangreiche Menge sensorischer Daten, die im Rahmen von komplexen Unterrichtssituationen gesammelt werden, zu verarbeiten (vgl. Sherin et al. 2011). Dabei muss eine Lehrkraft gezielt Beobachtungsfoki auf relevante Aspekte der Situation setzen, wie beispielsweise das mathematische Denken einzelner Schüler*innen oder störende Interaktionen zwischen Schüler*innen und dafür als unwichtiger eingeschätzte vernachlässigen (vgl. Seidel und Stürmer 2014; Sherin und van Es 2009; van Es und Sherin 2002). Die Wahrnehmung wird dabei zum einen durch situative Aspekte und zum anderen durch kognitive Dispositionen gesteuert und vorstrukturiert. In einem zweiten Schritt müssen diese wahrgenommenen Aspekte verarbeitet und interpretiert werden. Dabei werden die beobachteten Elemente miteinander, mit dem eigenen Wissen und vorangegangenen Erfahrungen in Verbindung gebracht (vgl. Sherin et al. 2011). Hierfür führen Sherin und van Es (2009) den Begriff des Knowledgebased Reasoning ein. Seidel und Stürmer (2014) unterscheiden dabei zwischen drei Stufen, die sich in der Qualität der Verarbeitung unterscheiden. Beschreiben ist ein deskriptives Herausstellen und Strukturieren der beobachteten Aspekte einer Lernsituation. Erklärung geht darüber hinaus und setzt beobachtete Aspekte mit theoretischem und praktischem Wissen in Beziehung. Die Vorhersage letztlich ist die Fähigkeit, auf Basis der bisher gemachten Beobachtungen und Analysen die Auswirkungen der Ausgangssituation auf folgende Unterrichtsschritte und das Lernen der Schüler*innen vorherzusagen (vgl. Seidel und Stürmer 2014).
Die beiden Schritte des Noticing und Knowledgebased Reasoning stehen in wechselseitiger Interaktion zueinander. Einerseits wird eine Lehrkraft je nach Wahrnehmung der Situation zu unterschiedlichen Interpretationen dieser kommen und andererseits wird das Interpretieren einer vorangegangen Situation auf eine bestimmte Weise Einfluss auf das zukünftige Sammeln bzw. Vernachlässigen von Informationen dieser Lehrkraft haben (vgl. Sherin und van Es 2009; Sherin et al. 2011). Auf Basis dieser zwei Prozesse werden dann Entscheidungen getroffen, die sich auf das beobachtbare Verhalten der Lehrkraft auswirken (s. Abbildung 3.1).

3.2 Unterschiedliche Konzeptualisierungen professioneller Kompetenzen

In diesem Abschnitt werden Studien vorgestellt, denen unterschiedliche Konzeptualisierungen und Ausgestaltungen professioneller Kompetenzen von Lehrkräften zugrunde liegen. Für eine grobe Sortierung unterscheiden Kaiser et al. (2017) kognitive von situativen Ansätzen. Kognitive Ansätze setzen sich eher mit den kognitiven Aspekten der Kompetenz auseinander und setzen dabei einen Schwerpunkt auf Wissensfacetten. Sie zielen darauf, unterschiedliche kognitive Facetten der professionellen Kompetenz von Lehrkräften zu definieren, ordnen und unterscheiden. Viele der großangelegten Studien zu professionellen Kompetenzen von Lehrkräften wie Mathematics Teaching in the 21st Century (MT21), Learning to Teach Mathematics – Teacher Education and Development Study (TEDS-M) oder Cognitive Activation in the Mathematics Classroom (COACTIV) lassen sich den kognitiven Ansätzen zuordnen1. Einige neuere Studien, wie die TEDS-FU-Studie setzen mehr auf situative Aspekte der Kompetenz und setzen die Theorie des Noticing (vgl. Abschnitt 3.1) an, um den prozessbezogenen Charakter der Kompetenz zu untersuchen.
Der Schwerpunkt des folgenden Abschnitts 3.2 liegt auf den kognitiven Ansätzen, da in dieser Arbeit ein entsprechender Ansatz verfolgt wird. Es soll ein Überblick über die Konzeptualisierungen gegeben werden. Die einzelnen für diese Arbeit relevanten Kompetenzfacetten werden in Abschnitt 3.3 detailliert theoretisch und empirisch begründet.

3.2.1 Cognitive approaches: COACTIV, TEDS-M & MT21

MT21 ist die Vorstudie der zwei Jahre später startenden TEDS-M Studie. Die Studie hat jedoch ein darüber hinausgehendes Erkenntnisinteresse: Am Beispiel von Mathematiklehrkräften sollte im Rahmen einer großangelegten und international vergleichenden Studie das Wissen und die Überzeugungen angehender Lehrkräfte untersucht werden (vgl. Blömeke, Felbrich, Müller 2008). Die 2002 gestartete Studie sah Erhebungen in sechs Ländern mit unterschiedlichen Systemstrukturen vor: Bulgarien, Deutschland, Mexiko, Südkorea, Taiwan und USA. Die wichtigsten Ergebnisse der MT21-Studie sind die zeitgleich zur COACTIV-Studie erstmalige umfassende Konzeptualisierung professioneller Kompetenz von angehenden (Mathematik-)Lehrkräften sowie die Entwicklung zahlreicher Instrumente zur Erfassung der Facetten dieser Kompetenz (vgl. ebd.).
Zur Modellierung des Kompetenzbegriffs nutzt MT21 den unter 3.1 skizzierten Ansatz von Weinert (2014). Für MT21 wurden an diese Definition anknüpfend Anforderungsbereiche der beruflichen Tätigkeit von Mathematiklehrkräften in den sechs teilnehmenden Ländern identifiziert. Tabelle 3.1 gibt einen Überblick über die Anforderungen. Hier wird schnell deutlich, dass nicht alle Facetten einer auf der Basis der komplexen Aufgaben von Lehrkräften definierten Kompetenz in einer Studie erfasst werden können. Der Schwerpunkt wird in MT21 auf die unterrichtlichen Aspekte (A und B) gelegt (vgl. Blömeke, Felbrich, Müller 2008), da der Unterricht die zentrale Aufgabe von Lehrkräften darstellt (vgl. Tenorth 2006).
Tabelle 3.1
Definition beruflicher Anforderungen von Mathematiklehrer*innen in MT21 aus Blömeke, Felbrich, Müller, 2008, S. 18. Die CC-BY 4.0 – Lizenz dieser Publikation bezieht sich nicht auf Tabelle 3.1. Das Copyright unterliegt dem Waxmann-Verlag.
Teacher tasks
Situations
A: Choice of themes, methods; sequencing of learning processes
1. Selecting and justifying content of instruction
2. Designing and evaluating of lessons
B: Assessment of student achievement; counselling of students/parents
1. Diagnosing student achievement, learning processes, misconceptions, preconditions
2. Assessing students
3. Counselling students and parents
4. Dealing with errors, giving feedback
C: Support of students’ social, moral, emotional development
1. Establishing teacher-student relationship
2. Foster the development of morals and values
3. Dealing with student risks
4. Prevention of, coping with discipline problems
D: School development
1. Initiating, facilitating cooperation
2. Understanding of school evaluation
E: Professional ethics
1. Accepting the responsibility of a teacher
Unter diese beiden Aspekte wurden in MT21 vorrangig entsprechende Wissensfacetten gefasst, welche in Anlehnung an Shulman (1987) in folgende drei Bereiche gegliedert werden: mathematisches Fachwissen (content knowledge), mathematikdidaktisches Wissen (pedagogical content knowledge) und erziehungswissenschaftliches Wissen (general pedagogical knowledge). Diese Unterscheidung hat sich in vielen Studien durchgesetzt und findet sich auch in TEDS-M und COACTIV wieder2. Darüber hinaus werden auch einige persönliche Überzeugungen und Werthaltungen (beliefs) untersucht: Darunter epistemologische Überzeugungen, Überzeugungen zum Lehren und Lernen von Mathematik und schul- und professionstheoretische Überzeugungen (vgl. Blömeke, Felbrich, Müller 2008).
Die daran anschließende TEDS-M Studie hat das zentrale Ziel, die Effektivität der Lehrer*innenausbildung zu untersuchen. Sie legt dabei den Fokus auf die Bestimmung professioneller Kompetenzen von angehenden Mathematiklehrkräften und die Reflexion des Einflusses der institutionellen und länderspezifischen Bedingungen. Mit siebzehn teilnehmenden Ländern und ca. 23 000 befragten Lehrkräften in ihrer Ausbildung ist die TEDS-M Studie die aktuell größte Studie in diesem Bereich. (vgl. Kaiser et al. 2017)
Wie in der MT21-Studie, wurde das Unterrichten als zentrale Tätigkeit von Lehrkräften herausgestellt. Auf der Basis von Standards, u. a. der KMK (2004), wurden Kernaufgaben des Lehrer*innenberufs abgeleitet. In Anlehnung an Weinerts Definition von Kompetenz unterscheiden Döhrmann et al. (2012) kognitive und affektiv-motivationale Facetten (s. Abbildung 3.2). Bei den kognitiven Facetten wurden ebenfalls die drei Wissensfacetten nach Shulman (1986) unterschieden. Bei den affektiv-motivationalen Aspekten unterscheiden die Autoren Beliefs über die Mathematik, das Lehren und Lernen von Mathematik und Überzeugungen über eigene Motivation und Selbstregulation. Die Beliefs werden dabei nach Richardson (1996) definiert als stabile Überzeugungen über die Welt, die subjektiv für wahr gehalten werden.
Das zentrale Anliegen der COACTIV-Studie war es zu untersuchen, wie professionelle Kompetenzen von Lehrkräften aufgebaut sind, sich entwickeln und wie sie Einfluss auf die Praxis von Lehrkräften nehmen (vgl. Baumert et al. 2011). Dabei stehen zwei zentrale Fragen im Fokus: Erstens soll auf theoretischer und empirischer Basis untersucht werden, welche Dispositionen Lehrkräfte benötigen, um in ihrem Beruf dauerhaft erfolgreich zu sein. Der Begriff des Berufserfolgs wird dabei mehrdimensional gefasst. Einerseits werden auf Basis von Analysen zentraler Anforderungen an Lehrkräfte schüler*innenseitige Kriterien für den Berufserfolg festgemacht, wie
„einen Unterricht planen, inszenieren und interaktiv gestalten zu können, der in einem stabilen Ordnungsrahmen die Teilnahmemotivation von Schülerinnen und Schülern sichert, zu kognitivem Engagement und zu verständnisvollem, sinnstiftenden Lernen und zum Erwerb zentraler schulischer Kompetenzen führt, das Bewusstsein des eigenen Könnens stärkt und im besten Fall dauerhaftes dispositionales Interesse an der Sache erzeugt“ (Baumert et al. 2011, S. 8)
Andererseits werden auch lehrkraftseitige Kriterien erfasst, wie affektiv-motivationale und selbstregulatorische Fähigkeiten, die es der Lehrkraft ermöglichen
„die Anforderungen der beruflichen Tätigkeit dauerhaft über ein Berufsleben hinweg zu erfüllen und dabei Engagement, Leistungsfähigkeit und Berufszufriedenheit zu bewahren“ (ebd.).
Dabei sollen theoretische Erkenntnisse geordnet und in ein übergreifendes Modell zusammengeführt werden, welches dann empirisch überprüft wird. Zweitens wird danach gefragt, welche Einflussfaktoren sich auf die Facetten der professionellen Kompetenz auswirken.
In der COACTIV-Studie wurden im Rahmen der nationalen Ergänzung der internationalen Vergleichsstudie PISA 2003/2004 diejenigen Lehrer*innen befragt, deren Schüler*innen Teil der entsprechenden PISA-Studie waren. Dadurch wurde es ermöglicht, lehrkraftbezogene Daten über die professionelle Kompetenz mit Daten zu Kompetenzen der Schüler*innen zusammenzubringen. Darüber hinaus wurden Schüler*innen und Lehrkräfte zum Ende der zehnten Jahrgangsstufe erneut befragt, um einen echten Längsschnitt zu erheben. In einer zweiten Studie wurden in COACTIV-R über mehrere Kohorten hinweg Lehramtsanwärter*innen im Vorbereitungsdienst bis zum Übergang in die Berufstätigkeit untersucht. (vgl. Baumert et al. 2011)
Das theoretische Rahmenmodell startet, vergleichbar mit den vorangestellten, ebenfalls bei der zentralen Tätigkeit von Lehrkräften, also dem Unterrichten. Die Studie sieht aber im Gegensatz zu den vorangegangenen Studien gleichermaßen den Erziehungsaspekt bzw. die Erziehungsaufgabe in der Unterrichtstätigkeit verankert und modelliert diese beiden Aufgaben zusammen. Baumert und Kunter (2011a) unterscheiden vier Kompetenzfacetten, die in ihrem Zusammenwirken professionelle Kompetenz ergeben (s. Abbildung 3.3). Beim professionellen Wissen werden vergleichbar zu MT21 und TEDS-M die drei Wissensfacetten nach Shulman (1987) unterschieden. Sie werden allerdings um Beratungswissen und Organisationswissen ergänzt (vgl. Baumert und Kunter 2011a). Darüber hinaus stellen sie die Bereiche Überzeugungen, Werthaltungen und Ziele, Motivationale Orientierung sowie Selbstregulation heraus.
Über die drei Ansätze hinweg lassen sich einige Gemeinsamkeiten bei der Modellierung professioneller Kompetenzen feststellen, von denen insbesondere drei herausgestellt werden sollen. Erstens basieren alle Konzeptualisierungen auf einer Anforderungsanalyse zentraler Tätigkeiten und Herausforderungen von Lehrkräften. Auf der Basis dieser Analysen werden mit dem Fokus auf Kerntätigkeiten des Unterrichtens entsprechende Fähigkeiten identifiziert, die einer erfolgreichen Bewältigung dieser Anforderungen zugrunde liegen. Zweitens legen die vorgestellten Ansätze die Aufmerksamkeit besonders auf Wissensfacetten des Fachwissens, fachdidaktischen Wissens und allgemein-pädagogischen Wissens und legen entsprechende Instrumente zur Untersuchung dieser Facetten vor. Drittens nehmen sie neben den Wissensfacetten weitere Aspekte professioneller Kompetenzen, wie Überzeugungen, motivationale Orientierungen und Selbstregulation auf. Die Ansätze unterscheiden sich darin, wie viele und welche Facetten sie über die rein kognitiven Facetten des Wissens und der Überzeugungen mit aufnehmen.
Im Folgenden wird hauptsächlich auf das Rahmenmodell von COACTIV zurückgegriffen, da es für die Konzeptualisierung der KMLF besonders geeignet erscheint.

3.2.2 Situated approach: TEDS-FU

Die TEDS-FU-Studie setzt als Follow-Up der TEDS-M-Studie den Schwerpunkt auf die verbindenden Prozesse zwischen Disposition und Performanz (s. Abbildung 3.1). Es wird dementsprechend auf die unter 3.1 dargestellte Konzeption des Noticing zurückgegriffen. In TEDS-FU wurden die Zusammenhänge der drei Wissensfacetten Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und allgemein-pädagogisches Wissen mit Facetten der professionellen Wahrnehmung von 171 Sekundarstufenlehrkräften aus der TEDS-M Stichprobe untersucht. Das Besondere an dieser Untersuchung ist der Zugang über Video-Vignetten. Die Lehrkräfte schauen kurze Szenen aus Unterrichtsstunden und reagieren auf die Situation in geschlossenen Ratings und offenen Aufgaben. Dabei wenden sie ihr Wissen auf die videografierten Situationen an (vgl. Kaiser et al. 2015). Für die Auswertung wurden mathematikbezogene und pädagogische Anforderungen differenziert. Korrelationen zwischen den einzelnen Konstrukten deuten mit einer Ausnahme daraufhin, dass mit kognitiven und situativen Ansätzen unterschiedliche Konstrukte gemessen werden können. Lediglich bei dem mathematikbezogenen Noticing und dem allgemein-pädagogischen Wissen wurde ein Zusammenhang nachgewiesen, der auf eine vergleichbare Item-Struktur und stichprobenspezifische Stärken und Schwächen zurückgeführt wird (vgl. Kaiser et al. 2017).

3.3 Konzeptualisierung der professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern

Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln zunächst der Begriff der professionellen Kompetenz diskutiert und definiert wurde (Abschnitt 3.1) und exemplarisch an vier Studien herausgestellt wurde, wie diese sich dem Konstrukt der professionellen Kompetenz von Lehrkräften annähern (Abschnitt 3.2), sollen nun die für diese Arbeit konzeptualisierte professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern (KMLF) dargestellt und theoretisch und empirisch fundiert werden (Abschnitt 3.3.23.3.4). Dazu wurde vom Autor eine Analyse der Anforderungen an Lehrkräfte für das Fördern von Motivation leistungsschwacher Schüler*innen in Fördersettings durchgeführt. Deren Ergebnisse werden dargestellt (Abschnitt 3.3.1).

3.3.1 Anforderungsanalyse

Für die Anforderungsanalyse wurden, unter Berücksichtigung der in Abschnitt 2.​4 zusammengefassten Erkenntnisse zur Förderung mathematischer Leistung und individueller Motivation bei Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten, wichtige Situationen in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Förderunterricht identifiziert und zu Anforderungsbereichen zusammengefasst. Da die Anforderungen im Kontext der Kleingruppenförderung leistungsschwacher Schüler*innen als Teilmenge der Anforderungen der beruflichen Anforderungen von Lehrkräften aufgefasst werden können, konnte die in Tabelle 3.1 (S. 40) dargestellte Definition beruflicher Anforderungen von Lehrkräften von Blömeke, Felbrich, Müller (2008) als Ausgangspunkt genutzt werden.
Die Anforderungen an Lehrkräfte zur Förderung von Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten umfassen mehr als das, was im Folgenden aufgelistet wird und insbesondere auch mehr als empirisch erfasst wurde (vgl. Kapitel 8). Die folgende Liste ist demnach nicht erschöpfend. Beispielsweise gelten die in Tabelle 3.1 geschilderten Anforderungen aus dem Bereich C: Support of students‘ social, moral emotional development ebenfalls in Fördersettings mit leistungsschwachen Schüler*innen, der Umgang mit Disziplinproblemen wird hier jedoch nicht gesondert aufgeführt. Des Weiteren werden nur Anforderungen mit direktem Bezug zur Fördertätigkeit mit aufgenommen, sodass beispielsweise selbstregulative Fähigkeiten vernachlässigt werden.
Bei der Anforderungsanalyse wurden vier zentrale Anforderungen herausgearbeitet, denen die Lehrkräfte bei der Planung und Gestaltung von motivationsförderlichem mathematischem Förderunterricht (vgl. Kapitel 2) gegenüberstehen (s. Tabelle 3.2).
Tabelle 3.2
Anforderungsanalyse für die professionelle Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern
Anforderungen
Situationen
Summative und formative
Diagnostik und Beurteilung von Schüler*innenleistungen sowie Evaluation von Fördermaßnahmen
– Eingangsdiagnose zur Bestimmung des aktuellen Lernstandes / des Vorwissens
– Monitoring von Lernprozessen
– Diagnose von Grund- und Fehlvorstellungen (vgl. Griesel et al. 2019)
– Abschlussdiagnose zur Überprüfung von Lernergebnissen
– Dokumentation und Reflexion von Lernprozessen
Planung und Gestaltung von
Fördermaßnahmen und individualisierten Lernumgebungen
– Erstellen von Förderplänen
– Auswahl relevanter Inhalte und Formulierung von Förderzielen
– Formulierung von Nahzielen
– Gestaltung inhaltlich fokussierter Förderung (vgl. Leuders und Prediger 2016)
– Auswahl von Methoden zur individuellen Förderung
– Auswahl von kognitiv aktivierenden Aufgaben mit angemessener Schwierigkeit
– Konstruktive Unterstützung von Lernprozessen (inhaltlich und motivational)
Gestaltung von Lehrkraft-
Schüler*innen-Interaktionen
– Einnehmen einer positiven Erwartungshaltung
– Etablierung eines positiven Lern- und Fehlerklimas
Feedback
– Umgang mit falschen Schüler*innenlösungen
– (attributionales) Feedback zur Unterstützung günstiger Kausalattributionen
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen werden im Folgenden zentrale dispositionale Aspekte ausgewählt und dargestellt. Der Kompetenzdefinition aus Abschnitt 3.1 folgend und in Anlehnung an das Kompetenzmodell von COACTIV (Abschnitt 3.2.1), lassen sich die dispositionalen Aspekte der KMLF in kognitive Faktoren, wie das Professionswissen und –können einerseits und persönliche Überzeugungen, Werthaltungen und Ziele andererseits sowie in affektiv-motivationale Faktoren ausdifferenzieren. In der folgenden Abbildung 3.4 werden die für diese Untersuchung relevanten Facetten dargestellt.

3.3.2 Wissensaspekte

Der Kompetenzaspekt des Wissens wird in den meisten groß angelegten Studien detailliert theoretisch und empirisch bearbeitet. Diese Studien verarbeiten zahlreiche Vorarbeiten für die Ausdifferenzierung der einzelnen Bereiche des Professionswissens, dabei besonders die Ansätze von Shulman (1986) und Bromme (1997). Shulman (1986) unterscheidet vier zentrale Wissensbereiche: Fachwissen, fachdidaktisches Wissen, allgemeines pädagogisches Wissen und Wissen über das Curriculum des Faches. In einer zweiten Publikation (1987) erweitert er seine Unterscheidung noch um drei weitere Aspekte: Wissen über die Psychologie der Lernenden, Organisationswissen und erziehungsphilosophisches, bildungstheoretisches und bildungshistorisches Wissen. Die Unterscheidung des professionellen Wissens in Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und allgemein-pädagogisches Wissen hat sich nicht nur in den unter 3.2 vorgestellten Studien etabliert, sondern auch beispielsweise in Lipowsky (2006) oder Helmke (2017). Während in MT21 und TEDS-M genau diese drei Wissensbereiche untersucht werden, ergänzen Baumert und Kunter (2011a) für die COACTIV-Studie noch das Organisationswissen nach Shulman (1987) und, vor dem Hintergrund der Diskussion um den Professionalisierungsstatus des Lehrer*innenberufs (vgl. Abschnitt 3.1), das für Professionelle in der Interaktion mit ihren Klienten zentrale Beratungswissen.
Die vorliegende Arbeit folgt der Unterscheidung in die drei zentralen Wissensbereiche und bestätigt die hohe Relevanz aller drei Bereiche für erfolgreiches Handeln in mathematischen Fördersettings, setzt aber den Schwerpunkt entgegen der Fokussierung der Studien MT21, TEDS-M und COACTIV nicht auf die fachbezogenen Komponenten, sondern auf das allgemein-pädagogische Wissen im Bereich der Motivationsförderung. Die Darstellung der Konzeptionen zum Fachwissen und zum fachdidaktischen Wissen fallen dementsprechend mit Verweisen auf entsprechende Arbeiten vergleichsweise kurz aus.

3.3.2.1 Fachwissen und fachdidaktisches Wissen

Das domänenspezifische Fachwissen, also das Wissen der Lehrkraft über die rein fachbezogenen Inhalte der Mathematik, umfasst neben dem Wissen um die zentralen Wissensbestände auch deren untereinander vernetzende Struktur und Organisation. Nach Shulman (1986) umfasst das Fachwissen sowohl das Faktenwissen, also das Wissen, dass etwas so ist, als auch das Begründungswissen, also das Wissen, warum etwas so ist. Auf das Fachwissen wird von einer Lehrkraft an nahezu allen Stellen ihrer Arbeit Bezug genommen. Besonders zentral ist das Fachwissen für die Bereiche der inhaltlichen Unterrichtsvorbereitung, also dem Zusammenstellen und Strukturieren der mathematischen Inhalte und Zusammenhänge, den Umgang mit Schüler*innenfehlern, die Diagnose mathematischer Kompetenzen und die Begleitung von Lernprozessen. Krauss et al. (2011) differenzieren unterschiedliche Ebenen des Fachwissens: Alltagswissen, Wissen um die in der Schule behandelten Inhalte, ein über die schulischen Inhalte hinausgehendes vertieftes Wissen und Universitätswissen. Für die COACTIV-Untersuchung wird auf die dritte Stufe fokussiert (vgl. Baumert und Kunter 2011a).
Für das professionelle Fachwissen wurde bestätigt, dass es einen positiven Einfluss auf das Lernen und die Leistungen der assoziierten Schüler*innen nimmt (vgl. zusf. Baumert und Kunter 2011b; Lipowski, 2006; Wayne und Youngs 2003). Mediiert wird dieser Effekt in der COACTIV-Studie durch die Auswahl kognitiv aktivierender Aufgaben, die curriculare Adaption der Inhalte und durch individuelle Unterstützung der Lernenden (vgl. Baumert und Kunter 2011b). Rowan et al. (1997)3 konnten für eine leistungsschwache Schüler*innenpopulation einen stärkeren Einfluss des Fachwissens der Lehrperson auf die Leistungsentwicklung nachweisen als bei einer leistungsstarken Gruppe. Hinsichtlich der Antezedenzien des Fachwissens lassen sich besonders ein Einfluss der Ausbildung und unterschiedlicher Lerngelegenheiten im Studium nachweisen. Beispielsweise konnten Krauss et al. (2011) zeigen, dass Gymnasiallehrkräfte ein größeres Fachwissen haben als ihre Kolleg*innen an anderen Schulformen. Kleickmann und Anders (2011) wiesen nach, dass sich der hohe Anteil der fachwissenschaftlichen Veranstaltungen positiv mit dem Fachwissen von Gymnasiallehrkräften zusammenhängen.
Neben dem Fachwissen nimmt das fachdidaktische Wissen in der Professionsforschung von Lehrkräften einen prominenten Stellenwert ein. Das fachdidaktische Wissen ist das Wissen über die Vermittlung der mathematischen Inhalte. Shulman (1986) differenziert zwei Teilfacetten des fachdidaktischen Wissens: Zum einen ist fachdidaktisches Wissen Wissen darum, wie man mathematische Inhalte für Schüler*innen zugänglich macht. Darunter fällt das Wissen um gute Beispiele, Erklärungen und Repräsentationen für alle relevanten mathematischen Inhalte. Zum anderen nennt er Wissen über das Lernen von Mathematik und Schüler*innenkognitionen, also beispielsweise die Analyse und Voraussage von Grund- und Fehlvorstellungen oder typischen Fehlern von Schüler*innen. Ergänzt wird diese Auflistung durch Krauss et al. (2011) noch um das Wissen über Aufgaben, da diese im Mathematikunterricht einen zentralen Stellenwert einnehmen (vgl. Baumert und Kunter 2011a). Für das fachdidaktische Wissen lassen sich ebenfalls Studien herausstellen, die einen positiven Zusammenhang zu Schüler*innenleistungen finden. Beispielsweise konnten Hill et al. (2005) nachweisen, dass fachdidaktisches Wissen der Lehrkräfte in einem positiven Zusammenhang mit der mathematischen Leistungsentwicklung von Schüler*innen aus der ersten und dritten Klassenstufe steht.
Einige Studien haben die Zusammenhänge zwischen Fachwissen und fachdidaktischen Wissen untersucht. Dabei konnten zwei zentrale Erkenntnisse gewonnen werden. Zum einen steht fehlendes Fachwissen in einem negativen Zusammenhang mit dem fachdidaktischen Wissen. Es konnte gezeigt werden, dass fehlendes Fachwissen das fachdidaktische Können beispielsweise in Erklärungen und der Auswahl von Repräsentationen mathematischer Inhalte begrenzt (vgl. z. B. Ball 1990; Baumert und Kunter 2011b). Lücken im Fachwissen können nicht durch fachdidaktisches Wissen aufgewogen werden. Zum anderen konnte in unterschiedlichen qualitativen Fallstudien gezeigt werden, dass Fachwissen allein ebenfalls nicht ausreichend ist (vgl. z. B. Eisenhart et al. 1993). Krauss et al. (2008) konnten anhand des COACTIV-Datensatzes zeigen, dass sich das fachdidaktische Wissen positiv auf die latenten Konstrukte kognitive Aktivierung und adaptive Unterstützung auswirkt und diese wiederum in einem positiven Zusammenhang mit der Entwicklung der Schüler*innenleistungen stehen. 39 % der Varianz in der Leistung zwischen den Schulklassen konnte durch das Mediatormodell erklärt werden. Dieses Ergebnis ließ sich trotz hoher Korrelationen zwischen den beiden Wissensbereichen nicht mit dem Fachwissen replizieren. Aus den Studien wird deutlich, dass Lehrkräfte für erfolgreiches Handeln beide Wissensbereiche benötigen. Dabei scheint das fachdidaktische Wissen eine zentralere Rolle einzunehmen und das Fachwissen eher eine notwendige als hinreichende Bedingung zu sein (vgl. Baumert und Kunter 2011b).

3.3.2.2 Allgemeines pädagogisches Wissen

Das allgemein-pädagogische Wissen umfasst vom Fach unabhängiges Wissen über das Lehren und Lernen sowie das Gestalten von Unterricht und sonstiger beruflicher Tätigkeiten von Lehrkräften (vgl. Voss et al. 2015a). Für die Charakterisierung des allgemeinen pädagogischen Wissens wurden von verschiedenen Forschergruppen Analysen der Anforderungsstruktur des Lehrberufs und Tätigkeitsanalysen von Lehrkräften sowie Literaturrecherchen durchgeführt. Die einzelnen Studien kommen dabei zu unterschiedlichen Modellierungen des fachübergreifenden pädagogischen Wissens (Voss et al. 2015a; Hohenstein et al. 2017; König und Blömeke 2009; Kunter et al. 2017; Voss und Kunter 2011). Die Ansätze unterscheiden sich in ihrem Detailgrad, der Strukturierung einzelner Wissensfacetten und der empirischen Herangehensweise. Es wird an dieser Stelle nur die wohl umfassendste aktuelle Studie zum allgemeinen pädagogischen Wissen vorgestellt, die Bilwiss-Studie (vgl. Kunter et al. 2017). Zur Entwicklung eines Modells bildungswissenschaftlichen Wissens wurden in dieser Studie zunächst theoretische Analysen von Lehrbüchern und Studienordnungen durchgeführt, auf deren Basis Expert*innen aus der Universität und den ausbildenden Seminaren die generierten Themen hinsichtlich ihrer Wichtigkeit für den Beruf der Lehrkraft einschätzten. Dazu wurde eine dreistufige Delphi-Studie durchgeführt (vgl. Kunina-Habenicht et al. 2012), die zu folgender Auswahl der Inhalte kommt (in Klammern steht jeweils die als am relevantesten eingeschätzte Facette):
  • Unterricht (Konstruktiver Umgang mit Fehlern),
  • Bildungssystem und Schulorganisation (Neue Steuerung / Educational Governance),
  • Bildungstheorie (Aktuelle Bildungsfragen – bildungsphilosophisch betrachtet),
  • Lehrerberuf (pädagogische Professionalität),
  • Heterogenität und soziale Konflikte (kulturelle Heterogenität),
  • Sozialisationsprozesse (Identitätsentwicklung),
  • Diagnostik und Evaluation (Methoden und Verfahren),
  • Lernprozesse (Lernmotivation) sowie
  • Entwicklungsprozesse (Kognitive Entwicklung).4
Ausgehend von diesen Ergebnissen wurde für die Untersuchung des bildungswissenschaftlichen Wissens von angehenden Lehrkräften ein Test entwickelt, der die sechs Dimensionen Unterrichtsgestaltung, Schulorganisation, Bildungstheorie, Lernen und Entwicklung, Diagnostik und Evaluation sowie Lehrerberuf als Profession umfasst. Es scheint demnach möglich zu sein, eine Einigung hinsichtlich des Curriculums bildungswissenschaftlicher und allgemeiner pädagogischer Inhalte, die für den Lehrer*innenberuf relevant sind, über verschiedene Disziplinen hinweg zu erzielen (vgl. Kunina-Habenicht et al. 2012).
Durch die Zusammenstellungen wichtiger Facetten, ist ein Ordnungsrahmen geschaffen, zum einen für die Auswahl bildungswissenschaftlicher Inhalte in der Lehrer*innenbildung und zum anderen für die Auswahl von Facetten für die Untersuchung von Teilbereichen des allgemein-pädagogischen Wissens, wie es in dieser Studie angestrebt ist.
Obwohl sich die Forschung zu den Auswirkungen des allgemeinen pädagogischen Wissens noch am Anfang befindet (vgl. Kunter et al. 2017), konnten bereits Ergebnisse zur Entwicklung und Bedeutung des allgemeinen pädagogischen Wissens verzeichnet werden. Hinsichtlich der Entwicklung konnten König und Seifert (2012a) im Rahmen der LEK-Studie die Bedeutung der Lehramtsausbildung für den Aufbau und die Erweiterung allgemeinen pädagogischen Wissens nachweisen. Lehramtsstudierende nehmen im Verlauf ihres Studiums deutlich im pädagogischen und bildungswissenschaftlichen Wissen zu. Außerdem konnten Kleickmann und Anders (2011) zeigen, dass Lehrkräfte der nicht-gymnasialen Lehrämter besser in den Tests zum allgemeinen pädagogischen Wissen abschneiden als ihre Kolleg*innen des gymnasialen Lehramts. Sie führen diesen Zusammenhang auf den höheren Umfang bildungswissenschaftlicher Studien in den nicht gymnasialen Lehrämtern zurück. Darüber hinaus ist jedoch noch nicht geklärt, welche Elemente der Lehramtsausbildung zu diesen Effekten führen, insbesondere ist die Wirkung von Praxisphasen noch unklar (vgl. Voss et al. 2015a).
Einige Studien geben Hinweise darauf, dass das allgemeine pädagogische Wissen positive Zusammenhänge mit dem Unterrichtserfolg von Lehrkräften hat. Diese Ergebnisse sind allerdings zum Teil inkonsistent. Beispielsweise stand in der COACTIV-R-Studie das allgemeine pädagogische Wissen im Zusammenhang mit zwei von drei Aspekten der Unterrichtsqualität zwei Jahre nach dem Eintritt in die Lehrtätigkeit (vgl. Voss et al. 2014). In einer Untersuchung mit Lehramtsstudierenden konnten allerdings keine Zusammenhänge zwischen der Unterrichtsqualität in einer Praxisphase mit dem allgemeinen pädagogischen Wissen nachgewiesen werden (vgl. Biermann et al. 2014). Auf der Ebene der Schüler*innen zeigen sich Zusammenhänge allgemein-pädagogischen Wissens der Lehrperson mit motivationalen Variablen und der Leistungsentwicklung von Lernenden (vgl. Brühwiler 2014; Beck 2008). Insgesamt kommen Voss et al. (2015a) zu dem Fazit, dass noch weiterer Bedarf in der Untersuchung der Auswirkungen dieses Wissensbereichs, insbesondere in systematischen längsschnittlichen Designs, besteht.

3.3.2.3 Wissensfacetten in der KMLF

Das Wissen darum, wie man Förderunterricht so gestaltet, dass er mathematische Kompetenzen fördert und gleichermaßen die Motivation der Schüler*innen unterstützt, umfasst verschiedene Facetten aller drei dargestellten Wissensbereiche. Für die in dieser Studie getroffene Auswahl benötigter Wissensfacetten wird zum einen auf die theoretischen Analysen aus Kapitel 2 verwiesen und zum anderen auf die Anforderungsanalyse und Darstellung zu den drei Wissensbereichen in diesem Kapitel. Entlang der Anforderungsanalyse für die Förderung mathematischer Kompetenzen und individueller Motivation (vgl. Kapitel 4) werden die relevantesten Wissensfacetten5 herausgestellt. Über die verschiedenen Anforderungen an Förderlehrkräfte hinweg, werden Aspekte des allgemein-pädagogischen Wissens über die psychologischen Konstrukte, deren unterschiedliche Ausprägungen und Förderung sowie Wissen über Lernschwierigkeiten benötigt. Dieses Wissen setzt sich in der Forschungstradition aus Ansätzen der Mathematikdidaktik zu Schwierigkeiten mit dem Rechnen und der allgemeinen Pädagogik zusammen (vgl. Moser Opitz 2013; Gold 2018), sodass hier die beiden Wissensbereiche des fachdidaktischen und des allgemein-pädagogischen Wissens nicht konsequent getrennt werden können.
Die summative und formative Diagnostik und Beurteilung von Schüler*innenleistungen sowie die Evaluation von Fördermaßnahmen umfasst die Diagnose des aktuellen Leistungsstandes der Schüler*innen mit unterschiedlichen Funktionen. Die Eingangsdiagnose setzt eine Grundlage für die Planung von Fördermaßnahmen, indem das Vorwissen der Schüler*innen erfasst wird, formative Formate dienen dem Monitoring von Lernprozessen und Abschlussdiagnosen können zur Evaluation von Fördermaßnahmen eingesetzt werden. Hinsichtlich des Fachwissens werden hier besonders das Wissen zum diagnostizierten Inhalt und die entsprechenden Vernetzungen zu vorangestellten, angrenzenden oder folgenden inhaltlichen Bereichen benötigt. Hier sind dies besonders die Inhalte der fünften und sechsten Klassenstufe und dabei besonders die Grundrechenarten und die Bruchrechnung mit ihren Erweiterungen in erweiterten Zahlbereichen oder in der Algebra (vgl. Padberg und Benz 2011; Padberg und Wartha 2017). Das fachdidaktische Wissen sollte insbesondere Facetten aus dem Bereich des Wissens über mathematikbezogene Schüler*innenkognitionen wie typische Fehler und Fehlvorstellungen der oben genannten inhaltlichen Bereiche sowie Wissen über den inhaltlichen und diagnostischen Gehalt von Aufgaben umfassen (vgl. z. B. Büchter und Leuders 2016). Außerdem braucht es Teile des allgemein-pädagogischen Wissens aus dem Bereich Diagnostik und Evaluation, z. B. um diagnostische Methoden, Gütekriterien und statistische oder qualitative Auswertungen, sowie aus dem Bereich Unterricht, besonders mit dem Fokus auf allgemeine und fachliche Lernvoraussetzungen und Zielsetzungen (vgl. Kunina-Habenicht et al. 2012). Da über alle Phasen der Förderung stets Leistungen von Schüler*innen motivationsförderlich verarbeitet und eingeordnet werden müssen, wird Wissen um Bezugssysteme des Bewertens, insbesondere um die individuelle Bezugsnormorientierung benötigt (vgl. Rheinberg und Fries 2018).
Die Planung und Gestaltung von Fördermaßnahmen und individualisierten Lernumgebungen umfasst die konkrete Planung von übergreifenden Förderplänen und die Formulierung allgemeiner Förderziele bis hin zur Gestaltung spezifischer Fördermaßnahmen und Formulierung von Nahzielen (vgl. Schwarzer und Jerusalem 2002). Hinsichtlich des Fachwissens werden in diesem Anforderungsbereich die gleichen inhaltlichen Wissensaspekte benötigt wie bei der summativen und formativen Diagnostik und Beurteilung von Schüler*innenleistungen sowie Evaluation von Fördermaßnahmen. In diesem Anforderungsbereich werden insbesondere Facetten des fachdidaktischen Wissens benötigt. Vorrangig das Wissen darum, wie man die mathematischen Inhalte für Schüler*innen zugänglich macht, also Wissen um gute Beispiele, Erklärungen und Repräsentationen, welche Grund- und Fehlvorstellungen und weitere Schüler*innenkognitionen für den Inhalt relevant sind sowie welche Aufgaben dazu geeignet sind, die formulierten Ziele anzugehen (vgl. Padberg und Benz 2011; Padberg und Wartha 2017). Aus dem allgemein-pädagogischen Wissen werden große Teile der Facette Unterricht, wie der Formulierung von transparenten Lernzielen im Sinne von Nahzielen und dem Wissen um die Möglichkeiten der Differenzierung und Individualisierung, benötigt. Außerdem wird Wissen um Kriterien lernwirksamen Unterrichts wie der konstruktiven Unterstützung und kognitiven Aktivierung benötigt (vgl. Kunina-Habenicht et al. 2012).
Bei der Gestaltung von Lehrkraft-Schüler*innen-Interaktionen und dem Feedback stehen primär Prozesse des Sichtbarmachens von positiven Erwartungen der Lehrkraft und von Erfolgen auf Schüler*innenseite sowie die Verarbeitung und Rückmeldung von Erfolg- und Misserfolgssituationen und die damit verbundenen Kausalattributionen im Fokus. Hier ist der inhaltliche Lernprozess der Schülerin / des Schülers bereits abgeschlossen, sodass Fachwissen und fachdidaktisches Wissen eine eher untergeordnete Rolle im Vergleich zu dem allgemein-pädagogischen Wissen einnehmen. Es wird insbesondere Wissen um motivationale Aspekte von Lern- und Entwicklungsprozessen, wie dem Umgang mit Erfolgen und Fehlern, das Dokumentieren und Reflektieren von Lernerfolgen, die Wirkungen von Erwartungen auf das Schüler*innen- und Lehrer*innenhandeln, sowie um Kausalattributionen und (attributionale) Feedbackprozesse benötigt (vgl. Abschnitt 4).

3.3.3 Motivationale Orientierungen

Motivationale Orientierungen sind nach dem Professionswissen und -können der zweite große Aspekt der KMLF. Sie entscheiden, inwieweit die Lehrpersonen ihre vorhandenen Kompetenzen auch zeigen wollen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens erworbener Kompetenzen. In der Forschungsliteratur werden dabei die Lehrer*innenselbstwirksamkeit, die intrinsische Motivation oder Enthusiasmus und das Interesse besprochen.

3.3.3.1 Lehrer*innenselbstwirksamkeit

Der Ansatz der Lehrer*innenselbstwirksamkeit geht auf die Arbeiten von Rotter (1966) zur locus of control theory und Bandura (1977) zur social cognitive theory zurück und beschreibt die bereichsspezifische Ausgestaltung der Selbstwirksamkeit (vgl. Abschnitt 2.​2.​1) von Lehrkräften, Herausforderungen des Berufs zu meistern. Die folgende Definition fokussiert auf die Hauptaufgabe des Lehrer*innenberufs, das Unterrichten als Beeinflussung von Schüler*innenlernen und -leistungen. Sie präzisiert den Herausforderungsaspekt der Selbstwirksamkeit mit dem Fokus auf schwierige oder unmotivierte Schüler*innen.
“Teachers’ belief or conviction that they can influence how well students learn, even those who may be difficult or unmotivated” (Guskey und Passaro 1994, S. 628).
Tschannen-Moran et al. (1998) stellen einen Ansatz vor, der den angenommenen Wirkmechanismus der einzelnen Facetten der Lehrer*innenselbstwirksamkeit in ein zyklisches Modell (s. Abbildung 3.5) integriert. Die Lehrer*innenselbstwirksamkeit resultiert dabei aus der Kombination von Analysen der Aufgabenanforderungen und der eigenen Kompetenzen. Zur Analyse der Aufgabenanforderungen werden Informationen über die (antizipierte) Lehrsituation, unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades und der zur Bewältigung benötigten Ressourcen, bewertet. Darunter fallen beispielsweise Motivation und Leistungsfähigkeit der Schüler*innen oder die organisatorischen und medialen Rahmenbedingungen. Diese Analysen werden dann mit den Informationen über die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten abgeglichen. Die Lehrkraft kann dabei zu dem positiven Ergebnis kommen, dass sie den Anforderungen gewachsen ist (hohe Selbstwirksamkeit) oder zu dem negativen, dass die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten nicht ausreichen, um die Anforderungen zu bewältigen (niedrige Selbstwirksamkeit).
Wie im Folgenden gezeigt wird, hat die Lehrer*innenselbstwirksamkeit Auswirkungen auf zahlreiche andere Konstrukte wie Ziele, Anstrengungsbereitschaft oder Ausdauer, mit der an Aufgaben gearbeitet wird (s. unten). Diese wirken sich wiederum auf die tatsächliche Leistung einer Lehrkraft in einer bestimmten Anforderungssituation aus. Die verarbeiteten Erfahrungen und Informationen, die die Lehrkraft in dieser Situation sammelt, stellen dann die unter 2.​2 beschriebenen Quellen für Wirksamkeitsinformationen dar, die sich je nach Interpretation und Gewichtung auf die Analysen von Aufgabeanforderungen und eigener Kompetenz auswirken.
Die Lehrer*innenselbstwirksamkeit wurde in den vergangenen 40 Jahren unter anderem wegen ihren Zusammenhängen zu zentralen Aspekten der Unterrichtsqualität, Schüler*innenleistungen sowie Lehrer*innengesundheit und der zahlreichen belastbaren Ergebnisse vorangehender Studien beforscht (vgl. Tschannen-Moran et al. 1998; Perera et al. 2019). Die Ergebnisse der Studien werden in Anlehnung an das Review von Zee und Koomen (2016) in die Bereiche Schüler*innenvariablen, Unterrichtsqualität und Wohlbefinden gegliedert (s. Abbildung 3.6).
Für die Schüler*innenvariablen können insbesondere Zusammenhänge der Lehrer*innenselbstwirksamkeit zu akademischen Leistungen und zur Schüler*innenmotivation nachgewiesen werden (vgl. zusf. Zee und Koomen 2016). Für die Leistungen zeigen sich diese Ergebnisse sowohl in der Primarstufe (vgl. Chang 2011) als auch im Sekundarstufenalter (vgl. Chong et al. 2010; Mohamadi und Asadzadeh 2012; Caprara et al. 2006; für den Mathematikunterricht: Chang und Wu 2014). Die Korrelationskoeffizienten für diese Zusammenhänge sind nach Zee und Koomen (2016) mit im Mittel 0,27 eher moderat. Vergleichbare Ergebnisse zeigen sich auch für mathematische Leistungen (vgl. Throndsen und Turmo 2013; Hines 2008). Bei der Schüler*innenmotivation lassen sich ebenfalls in allen Altersstufen Zusammenhänge zwischen der Lehrer*innenselbstwirksamkeit und verschiedenen motivationalen Facetten nachweisen. Für die Primarstufe konnte gezeigt werden, dass Schüler*innen von Lehrer*innen mit hoher Selbstwirksamkeit motivierter und selbstwirksamer hinsichtlich ihrer akademischen Leistungen sind (Reyes et al. 2012; Ross et al. 2001). Bei älteren Schüler*innen wurden höhere Werte in der Schulzufriedenheit, der intrinsischen Motivation, der Anstrengungs- und Lernbereitschaft gemessen sowie bessere Meinungen über ihre Lehrkräfte (vgl. Hardré et al. 2006; Mojavezi und Tamiz 2012; Robertson und Dunsmuir 2013; Jimmieson et al. 2010).
In den Studien zu den Zusammenhängen der Lehrer*innenselbstwirksamkeit mit der Unterrichtsqualität zeigen sich besonders bei berufserfahrenen Lehrkräften positive Einflüsse auf die Nutzung neuer Lehrmethoden und lerner*innenorientierter didaktischer Ansätze (vgl. zusf. Lee et al. 2017). Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass Lehrer*innen mit höherer Selbstwirksamkeit effektiver mit problematischen Verhalten von Schüler*innen umgehen, sich mehr um ihre Schüler*innen mit Lernproblemen kümmern und effektivere Klassenführungsstrategien nutzen. (vgl. Abu-Tineh et al. 2011; Almog und Shechtman 2007; Emmer und Hickman 1991). Lehrkräfte mit höherer Selbstwirksamkeit zeigen eine höhere Bereitschaft, eigene Ziele an die Bedürfnisse der Schüler*innen anzupassen und ein besseres emotionales Klima in der Klasse zu schaffen (vgl. Hardré und Sullivan 2009; Guo et al. 2012).
Für das Wohlbefinden von Lehrkräften lassen sich zahlreiche Studien angeben, die über verschiedene Ausbildungsstufen, unterrichtete Klassen und Länder hinweg robuste Zusammenhänge mit der Lehrer*innenselbstwirksamkeit zeigen. Dabei zeigen selbstwirksamere Lehrkräfte weniger Stress und Burnout sowie geringere emotionale Erschöpfung. Gleichzeit erleben sie ein höheres Erfolgsgefühl und Berufszufriedenheit (vgl. zusf. Zee und Koomen 2016).
Zu den Antezedenzien gehören nach Abschnitt 2.​2.​1 frühere Erfolgserlebnisse sowie stellvertretende Erfahrungen, sprachliche Überzeugung und eigene Emotionen (vgl. Tschannen-Moran et al. 1998). Zu den vorangegangenen Erfolgserfahrungen konnten Lee et al. (2017) in ihrem Review zeigen, dass vorangegangene Lehrerfahrung einen positiven Einfluss auf die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften nimmt, eine lerner*innenorientierte Pädagogik zu nutzen. Tschannen-Moran und Woolfolk Hoy (2007) konnten dies auch für die allgemeine Lehrer*innenselbstwirksamkeit zeigen. Neben diesen Praxiserfahrungen konnten auch verschiedene Lernsituation in Aus- und Fortbildung dazu beitragen, die Selbstwirksamkeit zu steigern (vgl. Lee et al. 2017). Dabei waren Ansätze des Coachings oder Kollaborationen erfolgreich (vgl. O’Connor und Korr 1996; Bruce und Flynn 2013). Stellvertretende Erfahrungen wie das Ansehen von Videos, in denen erfolgreiche Praxis gezeigt wird, verbale Überzeugung sowie positive emotionale Zustände bei beruflichen Tätigkeiten, stehen ebenfalls in einem positiven Zusammenhang mit der Lehrer*innenselbstwirksamkeit (Nuangsaeng et al. 2011; Hagen et al. 1998). Mahler et al. (2017) konnten zeigen, dass sowohl Lehrveranstaltungen als auch Selbststudien Gelegenheiten für den Aufbau von Lehrer*innenselbstwirksamkeit und Enthusiasmus darstellen. Für universitäre Veranstaltungen, die die Selbstwirksamkeit der Studierenden steigern sollen, haben Schwarzer und Warner (2014) einige erfolgreiche Methoden aus der Forschungsliteratur zusammengetragen: Darunter praktische Kurselemente, Gruppenarbeiten, das Herstellen von Praxisbezügen oder Übungen zum Lehren (vgl. ebd., S. 672). Hinsichtlich des Wissens konnten Zusammenhänge der Lehrer*innenselbstwirksamkeit mit den drei Wissensfacetten nachgewiesen werden (vgl. z. B. Mahler et al. 2017). Allerdings sind die Ergebnisse zum Teil inkonsistent (vgl. Lee et al. 2017).
Die vorgestellten Ergebnisse liefern Evidenz für die Angemessenheit der Übernahme der Lehrer*innenselbstwirksamkeit in die Facetten der KMLF.

3.3.3.2 Enthusiasmus

Der Begriff des Enthusiasmus von Lehrkräften versucht die Freude und Begeisterung von Lehrkräften zu fassen, die sie in der Ausführung ihres Berufs oder in der Beschäftigung mit ihrem Fach haben. Die Forschung zum Enthusiasmus geht zurück auf die Ansätzen von Deci und Ryan (2004a) zur Selbstbestimmung und intrinsischen Motivation und Krapp (1999) zur Interessenstheorie. Der Enthusiasmus oder die intrinsische Motivation umschreibt dort positive Erlebensqualitäten in der Auseinandersetzung mit der Tätigkeit oder dem Gegenstand. Für den Enthusiasmusbegriff lassen sich zwei Definitionsansätze differenzieren. Auf der einen Seite wird Enthusiasmus den oben genannten Ansätzen folgend als motivationale Orientierung einer Lehrkraft modelliert, die eine Freude und Begeisterung ausdrückt, sich mit einem Schulfach auseinanderzusetzen (Gegenstandsbezug, vgl. Krapp 2002) oder zu unterrichten (Tätigkeitsbezug, vgl. Rheinberg 1989). Mahler et al. (2018) fassen dies zusammen:
“We define teacher enthusiasm as affective teacher orientation, which comprises the excitement, enjoyment and pleasure associated with both a school-subject and the activity of teaching” (S. 3).
Auf der anderen Seite wird Enthusiasmus, dem Gedanken folgend, dass sich von der Lehrkraft gezeigte Begeisterung auf die Schüler*innen übertragen kann, anhand des Verhaltens von Lehrkräften definiert. Enthusiasmus ist dabei ein bestimmtes Verhalten, das Begeisterung und Freude für die Inhalte und Tätigkeiten ausdrückt. Darunter fallen verbale und nonverbale Verhaltensweisen, wie ein energetischer Unterrichtsstil, das Nutzen von Gestik (vgl. Collins 1978), Humor oder eine empathische Gesprächsführung (vgl. Murray 1983; Patrick et al. 2000). Keller et al. (2016) vereinen beide Ansätze:
„In sum, we define teacher enthusiasm as the conjoined occurrence of positive affective experiences, that is, teaching-related enjoyment, and the behavioral expression of these experiences, that is (mostly nonverbal), behaviors of expressiveness” (S. 751).
Kunter, Frenzel et al. (2011) unterscheiden zwei Dimensionen des Lehrer*innenenthusiasmus: Den Enthusiasmus für das Fach und für die Tätigkeit des Unterrichtens. Diese Dimensionen ließen sich in ihrer Studie empirisch voneinander differenzieren und korrelieren moderat miteinander.
Die Forschungsbefunde zum Lehrer*innenenthusiasmus lassen sich in Anlehnung an Bleck (2019) in Studien zu den Antezedenzien und Wirkungen gliedern (s. Abbildung 3.7). Hier ist zu beachten, dass die Wirkungszusammenhänge noch weitgehend unklar sind. Keller et al. (2016) vermuten, dass die Zusammenhänge auch reziprok sein könnten. Die Aufteilung in Antezedenzien und Wirkungen dient der Übersichtlichkeit und hat keine belastbare empirische Basis.
Hinsichtlich der Merkmale der Lehrperson konnte nachgewiesen werden, dass der Unterrichtsenthusiasmus bei älteren Lehrkräften und bei Lehrkräften mit höherer Berufserfahrung geringer ist als bei ihren jüngeren Kolleg*innen. Beim Fachenthusiasmus zeigen sich diese Effekte nicht (vgl. Kunter 2011; Kunter, Frenzel et al. 2011). Darüber hinaus konnten Kunter, Frenzel et al. (2011) keinen Zusammenhang des Enthusiasmus mit dem Geschlecht nachweisen. Im Rahmen eines Ein-Jahres-Längsschnittes konnte Kunter (2011) zeigen, dass die Enthusiasmuswerte mittelhoch korrelieren. Dieser Effekt zeigte sich bei beiden Dimensionen. Der Enthusiasmus einer Lehrkraft kann demnach als veränderbar, aber über ein Jahr relativ stabil angenommen werden. In verschiedenen Studien konnten Zusammenhänge des Enthusiasmus mit den Selbstwirksamkeitserwartungen, der Berufs- und Lebenszufriedenheit sowie dem Wohlbefinden der Lehrkräfte nachgewiesen werden. Außerdem stehen Burnout-Werte und emotionale Erschöpfung in negativem Zusammenhang. Diese Effekte sind beim Unterrichtsenthusiasmus stärker als beim Fachenthusiasmus (vgl. zusf. Kunter und Holzberger 2014; Kunter, Frenzel et al. 2011).
Die Studien zu situativen Merkmale und zu den Merkmalen der Schüler*innen konnten zeigen, dass Gymnasiallehrkräfte stärker für das Fach und das Unterrichten begeistert sind als Lehrkräfte anderer Schulformen und, dass die Klassengröße keinen Einfluss auf den Unterrichtsenthusiasmus, aber auf den Fachenthusiasmus hat (vgl. Kunter, Frenzel et al. 2011). Kunter, Frenzel et al. (2011) konnten außerdem zeigen, dass der Unterrichtsenthusiasmus in Klassen mit höherer Motivation und Leistung und weniger Disziplinproblemen höher ausgeprägt ist. Sie bestätigen damit die Ergebnisse von Stenlund (1995).
Auf der Seite der Wirkungen zeigen die Ergebnisse zu den Zusammenhängen von Unterrichtsenthusiasmus und der Motivation der Schüler*innen ein einheitlich positives Bild auf (vgl. Kunter, Frenzel et al. 2011; Kunter 2011; Keller et al. 2014; Carmichael et al. 2017). Für den Fachenthusiasmus konnten Carmichael et al. (2017) zeigen, dass dies im Mathematikunterricht nicht uneingeschränkt gilt. Bei den Zusammenhängen mit der Schüler*innenleistung zeigen sich inkonsistente Ergebnisse: Keller et al. (2014) sowie einige weitere Studien konnten zeigen, dass sich der Unterrichtsenthusiasmus von Lehrkräften positiv auf die Leistung von Schüler*innen auswirkt. Allerdings wurden diese Effekte nicht in allen Studien nachgewiesen (vgl. Mahler et al. 2018 und für eine Übersicht Keller et al. 2016).
Es lassen sich darüber hinaus positive Zusammenhänge zwischen Lehrkraftenthusiasmus und der Unterrichtsqualität nachweisen (vgl. Feldman 2007; König 2020). In der COACTIV-Studie konnte eine Korrelation des Unterrichtsenthusiasmus mit allen drei Dimensionen der Unterrichtsqualität (s. Abschnitt 2.​3) nachgewiesen werden. Die Effekte zeigen sich sowohl bei Selbstberichten der Lehrkräfte als auch bei Schüler*innen-Ratings (vgl. Kunter 2011). Feldman (1988) konnte zeigen, dass der Enthusiasmus einer Lehrkraft für Schüler*innen ein wichtiges Kriterium für guten Unterricht ist. Es konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, dass der Enthusiasmus einer Lehrkraft mit der Wahrnehmung des Enthusiasmus durch Schüler*innen zusammenhängt und, dass das Lernklima bei enthusiastischen Lehrkräften unterstützender ist (vgl. Kunter, Frenzel et al. 2011; Patrick et al. 2000).
Insgesamt zeigt sich, dass trotz der noch ausstehenden Untersuchung zu den tatsächlichen Wirkungszusammenhängen das Konstrukt des Enthusiasmus positive Zusammenhänge mit zahlreichen Variablen einer motivierenden fachlichen Förderung aufweist, sodass es angeraten scheint, diese Facette als Teil der KMLF zu modellieren.
Für die Förderung von intrinsischer Motivation und Enthusiasmus geben die Ansätze aus der Forschung zur Selbstbestimmungstheorie (vgl. Deci und Ryan 2004a) eine Orientierung. Demnach scheint es angeraten, die psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit bei Lehrkräften zu befriedigen.

3.3.3.3 Interesse

Das Interessenskonstrukt beschreibt eine Form intrinsischer Motivation und weist daher Ähnlichkeiten zum Enthusiasmuskonstrukt auf. Es werden tätigkeitszentrierte und gegenstandszentrierte Formen der intrinsischen Motivation unterschieden. Die gegenstandszentrierte Form wird mit dem Begriff Interesse benannt. Interesse bezeichnet „eine besondere, durch bestimmte Merkmale herausgehobene Beziehung einer Person zu einem Gegenstand“ (Krapp 2018, S. 287). In dieser Arbeit wird auf das Interesse der Lehrkräfte hinsichtlich des Gegenstandes der Schüler*innenmotivation fokussiert. Interesse umfasst sowohl die positive emotionale Reaktion in der Auseinandersetzung mit dem Interessensgegenstand und den damit verbundenen Wunsch, sich mehr mit dem Gegenstand auseinanderzusetzen als auch die die wertbezogene Valenz, die dem Gegenstand entgegengebracht wird, die eng mit der Identifikation mit dem Gegenstand zusammenhängt (vgl. ebd.).
Die Forschung zu den Effekten von Interesse ist primär auf Schüler*innen fokussiert. So konnten beispielsweise Zusammenhänge zwischen dem Interesse und verschiedenen Indikatoren wie Aufmerksamkeit, Lernprozesse, Kurswahlen und Lernleistungen nachgewiesen werden (vgl. zusf. Schiefele 2009). Bei Lehrkräften konnten Zusammenhänge des Interesses mit Unterrichtsqualität, geringeren Burnout-Werten, sowie Lernzielorientierungen festgestellt werden. Bei den schüler*innenseitigen Effekten des Lehrkraftinteresses konnten insbesondere Zusammenhänge mit der Motivation nachgewiesen werden (vgl. Schiefele und Schaffner 2015; Schiefele et al. 2013).
Das Interesse einer Lehrkraft scheint vor diesem Hintergrund ein relevanter Faktor für motiviertes Lernen von Schüler*innen zu sein und somit eine wichtige Facette der KMLF. Für die Interessensgenese betont Krapp (2018) in Übereinstimmung mit der Förderung von Enthusiasmus die Bedeutsamkeit einer Befriedigung der drei psychologischen Grundbedürfnisse (Deci und Ryan 2004a).

3.3.4 Überzeugungen zum Lehren und Lernen

Neben den Wissensfacetten und motivationalen Orientierungen umfasst das Rahmenmodell der KMLF auch Überzeugungen zum Lehren und Lernen. Der Definition von Richardson (1996) folgend, werden diese Überzeugungen modelliert als
„psychologically held understandings, premises, or propositions about the world that are felt to be true.“ (S. 103)
Für die KMLF sind dies die Bezugsnormorientierung und die Attributionen von Lehrkräften für schlechte Schüler*innenleistungen. Die in COACTIV vorgenommene Trennung transmissiver und konstruktivistischer Überzeugungen wird aufgrund der Schwerpunktsetzung und der Wahl der Konstrukte nicht in die Konzeptualisierung der KMLF aufgenommen (vgl. Voss et al. 2011).

3.3.4.1 Bezugsnormorientierung

Theoretisch geht das Konzept der Bezugsnormorientierung auf Rheinberg (1980) zurück. Für die Bewertung von Leistungen in pädagogischen Kontexten unterscheidet Rheinberg (1980) drei Gütemaßstäbe oder Bezugsnormen, an denen die Leistungen bemessen werden: Die soziale, die individuelle und die sachliche Bezugsnorm. Bei der sozialen Bezugsnorm wird die Leistung mit den Leistungen der restlichen Schüler*innen der Bezugsgruppe, beispielsweise anhand des Durchschnitts, verglichen. Bei der individuellen Bezugsnorm werden Vergleiche mit vorangegangenen Leistungen derselben Schülerin / desselben Schülers angestellt. Eine gute Leistung misst sich hier an der Leistungsverbesserung unabhängig vom Leistungsstand der anderen Schüler*innen. Die sachliche Bezugsnorm vergleicht eine Leistung mit einem zuvor festgelegten Kriterium, das erfüllt werden kann oder nicht (vgl. Rheinberg und Fries 2018; Rheinberg 2014).
Die Bezugsnormorientierung gibt die Antwort auf die Frage nach überdauernden Präferenzen in der Bezugsnorm von Lehrkräften in der Bewertung von Schüler*innenleistungen. Dabei wird eine soziale Bezugsnormorientierung eher mit negativen Effekten assoziiert, während eine individuelle Bezugsnormorientierung mit positiven Effekten zusammenhängt (vgl. Rheinberg und Fries 2018). Zu beachten ist dabei, dass eine reine individuelle Bezugsnormorientierung in der Praxis nicht oder nur selten vorkommt. Vielmehr nutzen Lehrkräfte mit individueller Bezugsnormorientierung in unterschiedlichen Kontexten, wie bei Zeugnisnoten oder Übergangsentscheidungen, auch andere Bezugsnormen (vgl. Rheinberg & Fries, 2018). Die Bezugsnormorientierung wird von Rheinberg (1980) als langfristig überdauernd modelliert. Dafür gibt es auch empirische Belege. Es konnte gezeigt werden, dass Lehrkräfte häufiger eine soziale Bezugsnormorientierung haben und dass diese über die Zeit relativ stabil war (vgl. Rheinberg 1982a; Wilbert und Gerdes 2009; Holder und Kessels 2018). Auf der anderen Seite konnten Krug et al. (2005) zeigen, dass Bezugsnormorientierungen in Motivationstrainings verändert werden können. Außerdem konnten Rheinberg (1980), Lintorf und Buch (2020) sowie Holder und Kessels (2018) die Kontextabhängigkeit der gewählten Bezugsnorm nachweisen: In informellen oder motivationsfördernden Beratungsgesprächen wurden eher individuelle, während bei Übergangsentscheidungen und Selektionsentscheidungen eher soziale Bezugsnormen verwandt wurden.
Hinsichtlich der Antezedenzien haben Mischo und Rheinberg (1995) gezeigt, dass Unterschiede in der Bezugsnormorientierung zum Teil durch den Aspekt der Handlungsleitung von Erziehungszielen der Lehrkräfte erklärt werden können. Dabei sind insbesondere die Erziehungsziele der Förderung von Persönlichkeit und Sozialverhalten sowie eines disziplinierten Unterrichtsverlaufs von Bedeutung. Schöne (2007) weist darauf hin, dass die Antezedenzien von Bezugsnormorientierungen ansonsten kaum untersucht wurden. Dies ist nach wie vor aktuell.
Für die lehrer*innen- und schüler*innenseitigen Effekte der BZNO lassen sich zahlreiche Studien anführen. Bei den lehrer*innenseitigen Effekten lassen sich insbesondere die Bezugsnormen mit verschiedenen Verhaltensweisen und Überzeugungen zusammenbringen: Der primäre Unterschied zwischen den beiden Orientierungen ist der zur Bewertung von Leistungen herangezogene Gütemaßstab. Dieser ist bei der individuellen BZNO der zeitliche Längsschnitt innerhalb einer Schülerin / eines Schülers und bei der sozialen BZNO der zeitliche Querschnitt zwischen den Schüler*innen. Unterschiede in den Kausalattributionen bestehen darin, dass bei der sozialen BZNO vermehrt stabile Ursachen angenommen werden und bei der individuellen BZNO eher variable Ursachen in einem höheren Konkretisierungsgrad angesetzt werden. Die Erwartungen der Lehrkräfte mit individueller BZNO sind spezifisch und am aktuellen Kenntnisstand orientiert, während die Erwartungen von Lehrkräften mit sozialer BZNO eher unspezifisch an generellen Leistungsstand z. B. der gesamten Klasse orientiert sind. Lehrkräfte mit individueller BZNO loben bei positiver Leistungsentwicklung und tadeln bei negativer, während sich Lehrkräfte mit sozialer BZNO eher an der Unter- bzw. Überdurchschnittlichkeit der Leistung orientieren. Hinsichtlich der Unterrichtsführung orientieren sich Lehrkräfte mit individueller BZNO eher an Prinzipien der Individualisierung und optimalen Passung der Inhalte während Lehrkräfte mit sozialer BZNO eher angebotsgleich unterrichten. (vgl. zusf. Rheinberg 2005; Köller 2005)
Die Effekte individueller BZNOen auf motivationale und kognitive Schüler*innenmerkmale sind mit einer Ausnahme6 einheitlich positiv (vgl. zusf. Rheinberg und Krug 2005). Beispielsweise konnten für das akademischen Selbstkonzept positive Zusammenhänge mit der individuellen BZNO festgehalten werden (vgl. Lüdtke und Köller 2002). Dickhäuser et al. (2017) konnten in einer zweijährigen Längsschnittstudie in der fünften und sechsten Jahrgangsstufe eine negative Entwicklung des Selbstkonzepts der Schüler*innen nachweisen. Die negative Entwicklung war bei einer individuellen BZNO der Lehrkraft geringer als bei einer sozialen. Krug und Lecybyl (2005) konnten zeigen, dass sich, unter Anwendung der sozialen Bezugsnorm, die Einschätzung der Lernatmosphäre in einer mehrwöchigen Intervention stetig abnahm, während diese bei Lehrkräften mit individueller BZNO zunächst stieg und dann gleichblieb. Außerdem sind die Schüler*innenleistungen in der Stichprobe zur individuellen Bezugsnorm durchgängig höher als bei der sozialen (vgl. ebd.).
Zusammenfassend ist die BZNO einer Lehrkraft eine relevante Überzeugungsfacette von Lehrkräften mit zahlreichen Bezügen zur Förderung von Mathematikleistungen und individueller Motivation.

3.3.4.2 Attributionen schlechter Schüler*innenleistungen

Das Konzept der Kausalattributionen wurde bereits in Abschnitt 2.​2.​3 erläutert. An dieser Stelle wird auf Attributionen fokussiert, die Lehrkräfte bei der Bewertung von Erfolgen und Misserfolgen ihrer Schüler*innen zugrunde legen. Diese Lehrer*innenattributionen über die Leistungen von Schüler*innen wurden in zahlreichen Studien untersucht. Die Ergebnisse der Studien zeigen auf, dass es bei Lehrkräften bevorzugte Attributionsstile gibt und dass Zusammenhänge der Lehrkraftattributionen für Schüler*innenleistungen mit den Erwartungen und Emotionen der Lehrkräfte sowie mit verschiedenen Schüler*innenmerkmalen bestehen (vgl. zusf. Wang und Hall 2018).
Schlechte Schüler*innenleistungen werden von Lehrkräften eher nicht auf lehrkraftseitige Ursachen attribuiert, sondern internal auf Fähigkeit oder Anstrengung der Schüler*innen bzw. external auf familiäre Einflüsse (vgl. bspw. Burger et al. 1982). Dabei konnten Tollefson et al. (1990) zeigen, dass nur 2 % der befragten Lehrkräfte schlechte Schüler*innenleistungen auf Aspekte der Lehrkraft attribuieren und Jager und Denessen (2015), dass Aspekte des Unterrichts wie Schwierigkeitsgrad oder Unterrichtsqualität eine vergleichsweise untergeordnete Stellung bei der Ursachensuche für schlechte Schüler*innenleistungen einnehmen. Ein gegenläufiger Effekt ist bei den Ursachenzuschreibungen von guten Schüler*innenleistungen zu beobachten. Hier attribuieren Lehrkräfte eher auf ihre eigenen Leistungen, wie die Qualität des eigenen Unterrichts (vgl. Gosling 1994; Yehudah 2002). Es zeigt sich bei Lehrkräften eine Tendenz zur selbstwertdienlichen Ursachenzuschreibung. Erfolge werden sich selbst zugeschrieben, während für Misserfolge andere Ursachen gesucht werden.
Die Erwartungen von Lehrkräften hinsichtlich der Fähigkeiten ihrer Schüler*innen nehmen einen Einfluss auf ihre Ursachenzuschreibungen. Erwartet eine Lehrkraft von einer Schülerin / einem Schüler hohe Fähigkeiten, wird sie im Misserfolgsfall externale und variable Attributionen heranziehen und im Erfolgsfall die individuellen Fähigkeiten der Schülerin / des Schülers. Bei unterstellten niedrigen Fähigkeiten wird Misserfolg auf mangelnde Fähigkeiten und Erfolg auf Anstrengung oder Glück zurückgeführt (vgl. Cooper und Burger 1980; Fennema et al. 1990). Hier konnten Woodcock und Vialle (2010) für Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten zeigen, dass Lehrkräfte bei diesen vergleichsweise niedrigere Kompetenzen wahrnehmen als bei ihren Mitschüler*innen.
Hinsichtlich der mit Attributionen verbundenen Emotionen von Lehrkräften lässt sich zeigen, dass Attributionen von Misserfolg auf geringe Anstrengung eher mit Ärger und Enttäuschung gegenüber den Lernenden verbunden sind und Attributionen auf mangelnde Fähigkeiten mit Mitgefühl, Hilflosigkeit und Schuld (vgl. Butler 1994). Für das Verhalten von Lehrkräften konnte nachgewiesen werden, dass Lehrkräfte, die Misserfolge ihrer Schüler*innen auf mangelnde Fähigkeit attribuieren, ihre Schüler*innen mehr ermutigen und mehr Hilfestellungen anbieten, während im Fall der Attribution auf mangelnde Anstrengung eher Kritik, negatives Feedback und eine geringere Hilfsbereitschaft gezeigt wird (vgl. Tollefson und Chen 1988; Butler 1994).
Hinsichtlich der Konsequenzen auf Seiten der Schüler*innen lassen sich besonders Ergebnisse zur Schüler*innenmotivation herausstellen (vgl. dazu Abschnitt 2.​2.​3). Die Motivation der Schüler*innen hängt positiv mit vermehrten Attributionen auf internale Ursachen, wie Anstrengung und Fähigkeit, zusammen. Werden Erfolge jedoch auf geringe Aufgabenschwierigkeit oder auf die Unterstützung durch die Lehrkraft attribuiert, werden geringere Werte der Motivation gemessen (vgl. Natale et al. 2009). In einer anderen Studie wurde ein Zusammenhang internaler Attributionen mit dem Interesse und der Leistung in Mathematik nachgewiesen (vgl. Upadyaya et al. 2012). Vergleichbare Ergebnisse fanden auch Tõeväli und Kikas (2016), die zeigen konnten, dass Ursachenzuschreibungen von Erfolg auf eine Unterstützung durch die Lehrkraft mit schwächeren Mathematikleistungen und Erfolgsattributionen auf Fähigkeit mit stärkeren Mathematikleistungen zusammenhängen. Es scheint für Schüler*innen von Vorteil zu sein, wenn ihre Lehrkräfte internale Ursachen für die Schüler*innenleistungen annehmen.
Die Attributionen von Lehrkräften hinsichtlich schlechter Schüler*innenleistungen erscheint vor diesem Hintergrund als bedeutsame Überzeugungsfacette der KMLF.

3.4 Förderung professioneller Kompetenzen in Aus- und Fortbildungsformaten

Kunter, Kleickmann et al. (2011) stellen ein Modell der Determinanten und Konsequenzen der professionellen Kompetenz von Lehrkräften auf, das sich vergleichbar mit dem Angebots-Nutzungs-Modell (s. S. 11) mit Antezedenzien und Konsequenzen professioneller Kompetenzen von Lehrkräften auseinandersetzt (s. Abbildung 3.8).
Lehrer*innenausbildungsprogramme oder –fortbildungen bieten dabei Lerngelegenheiten für angehende oder praktizierende Lehrkräfte. Deren Auswirkungen auf die professionelle Kompetenz hängt im besonderen Maße von der Nutzung dieser Lerngelegenheiten ab, welche wiederum von Merkmalen der Lerngelegenheit (z. B. Umfang oder Inhalt), dem institutionellen Rahmen und den persönlichen Voraussetzungen der Lehrkraft beeinflusst wird (s. Abbildung 3.8).
Hinsichtlich der Konsequenzen von Lehrerausbildungsprogrammen und –fortbildungen unterscheiden Lipowsky und Rzejak (2015) Wirkungen auf 4 Ebenen:
1.
Reaktionen der teilnehmenden Lehrkräfte,
 
2.
Lernen der teilnehmenden Lehrkräfte, also Einflüsse auf die professionelle Kompetenz,
 
3.
Veränderungen im unterrichtlichen Handeln der Lehrkräfte, also dem professionellen Verhalten und den Lehrkraftergebnissen sowie
 
4.
Entwicklung der assoziierten Schüler*innen.
 
In den Studien zu den Reaktionen der Lehrkräfte werden insbesondere Einschätzungen der Zufriedenheit mit den Inhalten, der Qualität der Veranstaltung und Materialien, der Relevanz und Nützlichkeit der Inhalte sowie den Fähigkeiten der Fortbildenden erhoben (vgl. Lipowsky und Rzejak 2012; 2014). Dabei zeigt sich, dass eine positive Bewertung von Akzeptanz und Nützlichkeit mit einem hohen Bezug zur Lehrpraxis der teilnehmenden Lehrkräfte zusammenhängt, also inwieweit die Inhalte beispielsweise konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für den Unterricht beinhalten oder Gelegenheiten zum Austausch mit Kolleg*innen bieten (vgl. Jäger und Bodensohn 2007; Smith und Gillespie 2007). Für Nützlichkeits- und Relevanzeinschätzungen konnte nachgewiesen werden, dass diese Zusammenhänge mit Teilnahmebereitschaft, Wissenszuwachs, Änderungen in den Überzeugungen und dem Verhalten von Lehrkräften aufweisen (vgl. Salas und Cannon-Bowers 2001). Für Zufriedenheitsaspekte hingegen zeigen sich keine Zusammenhänge zu den anderen Wirkungsebenen, wie dem Wissenserwerb oder den Auswirkungen auf das berufliche Handeln (Goldschmidt und Phelps 2007; Alliger et al. 1997). Lipowsky und Rzejak (2012) sehen Zufriedenheitsaspekte daher als notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Fortbildung, nicht jedoch als hinreichende.
Für die zweite Ebene, den Auswirkungen auf die professionelle Kompetenz, wurden an den entsprechenden Stellen in Kapitel 3 Studien referiert. Lipowsky und Rzejak (2012) fassen weitere Studien zusammen, die vermuten lassen, dass durch Aus- und Fortbildungsveranstaltungen Aspekte professioneller Kompetenzen gefördert werden können.
Hinsichtlich der dritten Ebene, den Veränderung unterrichtlichen Handelns von Lehrkräften, lässt sich nachweisen, dass Fortbildungen positive Effekte zeigen. Beispielsweise konnten Carpenter et al. (1989) zeigen, dass Lehrer*innen nach einer Fortbildung ihren Schüler*innen häufiger Aufgaben zum Problemlösen stellten und mehr auf die Antworten der Lernenden achteten als Lehrkräfte einer Kontrollgruppe. In weiteren Studien zeigten Wackermann (2008) und Collet (2009), dass sich gemessen an Schüler*innenaussagen die Verständnisorientierung des Unterrichts sowie dessen Klarheit und Strukturiertheit positiv entwickelt hat und konzeptuelle Inhalte aus der Fortbildung angewandt wurden. Desimone et al. (2002) konnten zeigen, dass eine Fortbildung zu effektiven Unterrichtsmethoden dazu führte, dass Lehrkräfte diese auch im Unterricht einsetzten.
Bei der vierten Ebene, den Schüler*innenergebnissen lassen sich für kognitive Aspekte zahlreiche positive Entwicklungen von Lehrer*innenfortbildungen nachweisen. Im Bereich der Mathematik ließen sich positive Lernerfolge in verschiedenen Leistungsbereichen zeigen, beispielsweise in Rechenleistungen, konzeptionellen Verständnis oder Problemlösefähigkeiten (vgl. Carpenter et al. 1989; Cobb et al. 1991). Vergleichbare Ergebnisse zeigen sich auch in anderen Fächern (vgl. zusf. Lipowsky 2010). In motivational-affektiven Bereichen ist die Befundlage uneinheitlich. Während in manchen Studien beispielsweise positive Effekte auf motivationale Variablen nachgewiesen wurden (vgl. Demuth et al. 2005), konnten andere keine nachhaltigen Effekte von Fortbildungen auf affektiv-motivationale Entwicklungen von Schüler*innen nachweisen (vgl. Lipowsky 2010; Fischer 2006).

3.5 Zusammenfassung und Formulierung von Forschungsdesiderata

In den vorangegangenen Abschnitten 3.13.4 wurde zunächst das Konstrukt der professionellen Kompetenz von Lehrkräften theoretisch als latente Disposition charakterisiert, die der Performanz im Sinne einer Bewältigung von praktischen situativen Problemen zugrunde liegt. Die Performanz wird dabei als Indikator für diese Kompetenz betrachtet. Anhand der großangelegten Studien MT21, TEDS-M und COACTIV wurden zentrale Charakteristika empirischer Modellierungen von Lehrer*innenkompetenzen dargestellt. Diese basieren auf einer auf das spezifische Handlungsfeld der professionellen Akteur*innen bezogenen Analyse der typischen und zentralen Anforderungen und umfassen verschiedene Wissens- und Überzeugungsfacetten sowie affektiv-motivationale Aspekte. Mit dem Ziel der Beschreibung wichtiger Dispositionen, die kompetentem Handeln im Kontext motivationsförderlicher mathematischer Förderung zugrunde liegen, wurde auf Basis der aktuellen Lehrer*innenkompetenzforschung ein Modell einer professionellen Kompetenz, motiviertes Lernen zu fördern entwickelt und theoretisch fundiert (s. Abbildung 3.4). Dieses Modell umfasst drei Bereiche: Das Professionswissen und -können mit den Facetten Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und allgemein-pädagogisches Wissen, die Überzeugungen zum Lehren und Lernen mit den Attributionen schlechter Schüler*innenleistungen und der Bezugsnormorientierung, und Motivationale Orientierungen mit den Facetten Selbstwirksamkeitserwartungen, Enthusiasmus und Interesse.
Einzelne der dispositionalen Faktoren sind bereits in den großangelegten Studien MT21, TEDS-M und COACTIV untersucht worden, allerdings mit dem Fokus auf allgemeinem Lehrer*innenhandeln. Über die Kompetenzen, die hinter motivationsförderlichem Handeln im Rahmen mathematischen Förderunterrichts stehen, ist bislang wenig bekannt. Dementsprechend ist bislang unklar, inwieweit solche Motivationsförderkompetenzen ausgebaut werden können und wie (angehende) Lehrkräfte darin angeleitet werden können, motivationsförderlichen Unterricht (vgl. Abschnitt 2.​4) durchzuführen.
Die zentralen Desiderata bestehen vor diesem Hintergrund
(1)
zum einen in der Entwicklung eines Veranstaltungsformats, das sich der Schulung dieser Kompetenz annimmt, und
 
(2)
zum anderen in einer Untersuchung der Entwicklung der KMLF im Rahmen eines solchen Veranstaltungskonzepts zur Förderung dieser Kompetenz.
 
Um diese Desiderata zu bearbeiten, wurde auf Basis von aus der Forschungsliteratur abgeleiteten allgemeinen Prinzipien ein Modell der Förderung von Motivation und mathematischen Kompetenzen bei Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen entwickelt (s. Abbildung 2.​3). Dieses Modell wird im folgenden Kapitel 4 in ein Veranstaltungskonzept umgesetzt. Dieses Veranstaltungskonzept bietet die exemplarisch-konkretisierte Grundlage für die empirische Untersuchung der Entwicklung von Kompetenzfacetten der teilnehmenden angehenden Lehrkräfte. Hier interessieren neben den Veränderungen in den einzelnen Facetten der KMLF insbesondere spezifische Effekte der in Kapitel 4 beschriebenen neu entwickelte Veranstaltung mit expliziten Inhalten zur Förderung der KMLF im Vergleich zu der ursprünglichen Fassung der Veranstaltung (s. Kapitel 611).
Über die dispositionalen Faktoren hinaus umfasst das Modell der KMLF auch das konkrete unterrichtliche Handeln der Lehrkräfte. Für die Förderung von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen erscheinen vor dem Hintergrund der in 2.​3 geschilderten Kriterien der Unterrichtsqualität besonders die Unterstützungshandlungen von Lehrkräften bedeutsam. Über das motivationsförderliche Handeln (angehender) Lehrkräfte in mathematischen Fördersettings ist bislang wenig bekannt. Insbesondere die Fragen nach der Gestaltung von Unterstützungssituationen und typischen Kontextmerkmalen, die die Unterstützungshandlungen beeinflussen, sind bislang weitestgehend ungeklärt. Das zentrale Desiderat besteht demnach darin, einen strukturierten Einblick in die Unterstützungspraxis angehender Mathematiklehrkräfte im Rahmen von motivationsförderlichem mathematischem Förderunterricht zu bekommen (s. Kapitel 1214).
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Fußnoten
1
Bei Zuordnung der genannten Studien zu den kognitiven Ansätzen ist zu beachten, dass keine der genannten Studien einen rein kognitiven Ansatz vertreten, sondern darüber hinaus sowohl affektiv-motivationale als auch teilweise situative Aspekte modellieren. Allerdings liegt der Schwerpunkt der drei Studien auf den kognitiven Wissens- und Überzeugungsfacetten vgl. Kaiser et al. (2017).
 
2
Für eine ausführlichere Darstellung der Wissensfacetten allgemein und in dieser Studie, vgl. Abschnitt 3.3.2.
 
3
Bei dieser Studie ist zu beachten, dass das Fachwissen nur mittels eines Items gemessen wurde. Es ist also fraglich, inwieweit hier tatsächlich das Fachwissen der Lehrkräfte gemessen wurde.
 
4
Für eine umfassende Darstellung der Inhalte s. Kunina-Habenicht et al. (2012).
 
5
Es ist vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen (vgl. bes. 3.2.1) zu beachten, dass hier eine keineswegs erschöpfende Auswahl an Wissensfacetten präsentiert werden kann. Die unterschiedlichen Facetten weisen alle eine unterschiedliche Nähe zur Lehrtätigkeit und so vermutlich auch eine entsprechend unterschiedliche Relevanz für die Förderung mathematischer Kompetenzen und individueller Motivation (vgl. Baumert & Kunter, 2011). Es werden hier also der Anforderungssituation nahe Facetten aufgegriffen und fernere vernachlässigt.
 
6
Fischbach, Brunner, Krauss & Baumert (2015) haben bei der Analyse mittels hierarchisch linearer Modelle in einer großen Stichprobe der COACTIV-Studie nur geringe Effekte und für verschiedene Erhebungsinstrumente und Schulformen inkonsistente Effekte herausgefunden.
 
Metadaten
Titel
Professionelle Kompetenzen, motiviertes Lernen zu fördern
verfasst von
Maximilian Hettmann
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37180-7_3

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