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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

14. Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse zu Studie 2

verfasst von : Maximilian Hettmann

Erschienen in: Motivationale Aspekte mathematischer Lernprozesse

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist die Erforschung professioneller Kompetenzen zur Förderung individueller Motivation in Förderkontexten. Die in Abschnitt 3.1 beschriebene Konzeptualisierung von Kompetenz geht davon aus, dass diese neben den im Rahmen der quantitativen Studie beforschten dispositionalen Faktoren das reale Verhalten in Anforderungssituationen umfasst. Um professionelle Kompetenzen auf der Ebene des konkreten Handelns mit dem Ziel zu erfassen, Ansatzpunkte für Lernangebote zu identifizieren, mit denen Lehrkräfte ihre professionellen Kompetenzen zur Motivationsförderung (weiter-)entwickeln können, muss das professionelle Handeln zunächst beschrieben und hinsichtlich Qualitätskriterien bewertet werden.
Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist die Erforschung professioneller Kompetenzen zur Förderung individueller Motivation in Förderkontexten. Die in Abschnitt 3.​1 beschriebene Konzeptualisierung von Kompetenz geht davon aus, dass diese neben den im Rahmen der quantitativen Studie beforschten dispositionalen Faktoren das reale Verhalten in Anforderungssituationen umfasst. Um professionelle Kompetenzen auf der Ebene des konkreten Handelns mit dem Ziel zu erfassen, Ansatzpunkte für Lernangebote zu identifizieren, mit denen Lehrkräfte ihre professionellen Kompetenzen zur Motivationsförderung (weiter-)entwickeln können, muss das professionelle Handeln zunächst beschrieben und hinsichtlich Qualitätskriterien bewertet werden. Derzeit ist wenig darüber bekannt, wie sich die Praxis individueller mathematischer Förderung konkretisiert. Der qualitative Teil dieser Arbeit zielt auf dieses Desiderat, indem ein IST-Zustand erhoben und beschrieben wird, der sich bei angehenden Lehrkräften im Rahmen individueller Förderungen aufzeigt. Dieser kann als Basis für weitere Untersuchungen genutzt werden, um auf dieser Basis Bewertungs- und Qualitätskriterien sowie Interventionsansätze zu entwickeln.
Um das professionelle Handeln zu erfassen, wurden die teilnehmenden Studierenden einer der Kooperationsschulen bei der Förderung von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen videografiert. Die Videos der Unterrichtsstunden wurden transkribiert und mittels eines an Kuckartz (2018) orientierten qualitativ-inhaltsanalytischen Auswertungsverfahrens (s. Abschnitt 12.​1.​3) ausgewertet. Zur Reduzierung der Komplexität der Unterrichtsstunden und aufgrund der Bedeutsamkeit konstruktiver Unterstützung für den Erfolg und die Qualität von (Förder-)Unterricht, wurde der Fokus auf Unterstützungssituationen gelegt. Insbesondere für die Förderung von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen wurde die Unterstützungsqualität als zentrales Kriterium identifiziert (vgl. Abschnitt 2.​3).
Das Forschungsinteresse umfasst eine strukturierte Beschreibung der Fördermaßnahmen, die angehende Mathematiklehrkräfte ergreifen, um ihre Schüler*innen beim Mathematiklernen zu unterstützen. Um diesen IST-Zustand der Unterstützungshandlungen in den videografierten Unterrichtsstunden zu beschreiben, werden Handlungsmuster und Strukturen in den Unterstützungssituationen identifiziert und klassifiziert.
Die insgesamt 193 Unterstützungssituationen wurden hinsichtlich der Dimensionen Anlass der Unterstützungssituation, personaler Rahmen, Art des Problems und Art der Unterstützung analysiert. Dabei zeigte sich hinsichtlich der ersten Dimension, dass in den gefilmten Förderstunden lehrer*innenseitige Anlässe gegenüber den schüler*innenseitigen dominieren. Das Eingehen einer Unterstützungssituation geht vorwiegend von der Lehrkraft aus. Hier zeigt sich vermutlich ein struktureller Unterschied zu Unterstützungen im Regelunterricht auf, die häufiger durch die Meldung von Schüler*innen zustande kommen dürften. Personell finden die Unterstützungssituationen zum größten Anteil in Eins-zu-Eins-Situationen statt, allerdings wird auch häufig in Plenumssituationen unterstützt. Die Art des Problems ist vorwiegend inhaltlich-mathematisch und seltener bezogen auf die Unterrichtsstruktur oder die Aufgabenstellung, nur an wenigen Stellen werden prozessorientierte Probleme bearbeitet. Die Ergebnisse der ersten drei Dimensionen sind entsprechend des Settings der mathematischen Kleingruppenförderung erwartungsgemäß und spiegeln Erfahrungen aus früheren Hospitationen wider.
Die Untersuchung hinsichtlich der Art der Unterstützung ist das Kernstück der Analyse. Sie erbrachte 9 Unterstützungsmuster, die die Studierenden im Rahmen der videografierten Unterrichtsstunden zeigten. Bei der Identifikation der Unterstützungsmuster zeigte sich, dass die Studierenden ganz verschiedene Wege der Unterstützung ihrer Schüler*innen gehen und verschiedene Arten der Unterstützung miteinander kombinieren können. Mithilfe der Unterstützungsmuster ist es möglich, dieses komplexe Gefüge zu strukturieren und zu beschreiben. Die Muster bieten dabei einen theoretischen und empirischen Ordnungsrahmen für wiederkehrende Handlungsmuster in Unterstützungssituationen. Die Unterstützungsmuster stehen dabei auch in Zusammenhang mit zahlreichen Qualitätskriterien von Unterricht.
Unterstützung durch Klassenführung, also das Managen nicht lernbezogener Tätigkeiten durch die Lehrkraft, kann einen positiven Einfluss auf den Anteil der Lernzeit nehmen, welchem eine hohe Relevanz für effektives schulisches Lernen zugeschrieben wird (vgl. Brophy 2006; Seidel und Shavelson 2007). Die videografierten Lehrkräfte erreichen dies durch verbale und nonverbale Cues und Ermahnungen. Durch die strukturellen Gegebenheiten von Unterstützungssituationen, welche nach einem Problem auftreten und dieses bearbeiten, wird in den Unterstützungsmustern nur der reaktive Aspekt der Klassenführung berücksichtigt. Für eine effektivere Klassenführung gilt es, die reaktiven Elemente durch Prävention, beispielsweise durch Regeln und Rituale, den Aufbau einer konstruktiven Beziehung oder eine interessante und strukturierte Unterrichtsgestaltung, zu ergänzen (vgl. Bear 2014; Lenske und Mayr 2015). Diese Aspekte können, beispielsweise im Verweis auf vereinbarte Regeln, auch im Rahmen von Unterstützungssituationen umgesetzt werden, sie sind strukturell jedoch eher einem unterstützenden Setting zuzuordnen als einer unterstützenden Problembearbeitung. Eine Besonderheit dieses Unterstützungsmusters ist, dass die Unterstützung gegebenenfalls auch das Verhalten der Mitschüler*innen direkt betrifft. Die*der gerade aktive Schüler*in ist nicht in allen Fällen Ziel der Unterstützungsmaßnahme, sondern wird oft indirekt über die Ansprache der Mitschüler*innen unterstützt. Die durch das Einfordern von Ruhe entstehende Exponiertheit der*s aktiven Schüler*in könnte, insbesondere in Situationen im Plenum, einen zur Intention gegenläufigen Effekt haben, indem der durch das Verbot zur Nebenbeschäftigung erhöhte soziale Druck einen negativen Einfluss auf die Konzentration nimmt.
Der motivationale Zuspruch beschreibt Unterstützungssituationen, in denen die Lehrkraft den Schüler*innen positiven Zuspruch gibt und motivationale Aspekte des Lernens direkt anspricht. Die Studierenden formulieren beispielsweise positive Erwartungen, thematisieren negative Selbstkonzepte und erinnern an vorangegangene Erfolge. Sie beziehen sich damit auf die motivationalen Bezugstheorien der Selbstwirksamkeit und des Selbstkonzepts und nutzen die Wirkungen von Erwartungseffekten (vgl. Bandura 1997; Madon et al. 2001; Shavelson et al. 1976). Die Bedeutsamkeit dieses Unterstützungsmusters ist gerade vor dem Hintergrund der besonderen Bedingungen von Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen groß (vgl. Abschnitt 2.​2.​4). Die Wirksamkeit allerdings ist, isoliert betrachtet, vermutlich eher schwach. So positioniert Bandura (1997) die Überredung bei den Quellen der Selbstwirksamkeit hinsichtlich der Auswirkungen auf die Selbstwirksamkeit auf einem der hinteren Plätze. Die Wirksamkeit kann jedoch gesteigert werden, wenn sie an Settings geknüpft wird, in denen die Schüler*innen Möglichkeiten bekommen, ihre eigenen Fähigkeiten zu erfahren und zu zeigen. Kompetenzbezogene und selbstbewirkte Erfolgserlebnisse haben einen positiven Einfluss sowohl auf die Selbstwirksamkeit als auch das Selbstkonzept (vgl. Marsh 2005; Schwarzer und Jerusalem 2002). Diese Settings gestalten sich durch adaptive Gestaltung der Arbeitsaufträge, das Bewusstmachen von Erfolgen und individuelle Unterstützung bei der Erreichung der Ziele (vgl. Abschnitt 2.​3). In diesen Settings ist der motivationale Zuspruch oft an andere Unterstützungs- und Unterrichtssituationen gekoppelt. Eine erfolgreiche Unterstützungshandlung berücksichtigt neben dem inhaltlich unterstützenden Aspekt auch die motivationale Komponente. Die vergleichsweise geringe Anzahl gefundener Stellen zum motivationalen Zuspruch deuten darauf hin, dass die Studierenden die psychologischen Bezugstheorien noch nicht in der Praxis nutzen. Dies liegt möglicherweise daran, dass sie in der besonderen Situation der ersten größeren Praxiserfahrungen andere Schwerpunkte als die Förderung der Motivation legen oder die Konzepte noch nicht ausreichend verinnerlicht haben.
Das Unterstützungsmuster Informationen über Aufgabenstellung oder Arbeitsauftrag umfasst Erklärungshandlungen zur Aufgabenstellung und die Beantwortung von Fragen dazu. In einem klar strukturierten Unterrichtssetting mit verständlichen Aufgabenstellungen und Arbeitsaufträgen ist dieses Unterstützungsmuster nur im Ausnahmefall nötig. Ein häufiges Auftreten dieses Musters impliziert unklare oder nicht adaptive Aufgabenstellungen. Die Häufigkeit des Auftretens bei den Studierenden ist aufgrund ihres Novizen-Status erwartungsgemäß. Ziel ist es die Aufgabenstellungen so auszuwählen und zu formulieren, dass sie auch ohne zusätzliche Erklärung verstanden werden, also die Auftretenshäufigkeit dieses Musters zu minimieren.
Bei der Bereitstellung von Informationen über Richtigkeit/Falschheit einer Lösung werden zwei Unterstützungsmuster unterschieden. Zum einen einfache Rückmeldungen über die Richtigkeit oder Falschheit einer Lösung und zum anderen ausführlichere Begründungen und Erklärungen zur Lösung. Diese Unterscheidung findet sich auch bei Kunter und Trautwein (2013) und Lipowsky (2015). Letzterer betont die leistungsförderliche Wirkung der ausführlicheren Rückmeldung mit zusätzlichen Informationen zu Lern- und Lösungsstrategien oder zur Selbstregulation. Die einfache Rückmeldung zeigt eher keinen Effekt. Dieses Unterstützungsmuster ist das mit großem Abstand am häufigsten kodierte Muster. Es scheint im Kontext der Förderung von besonderer Bedeutung für die Studierenden zu sein. Hier ist es als problematisch einzuschätzen, dass der einfachen Rückmeldung mit 465 kodierten Stellen keine motivations- und leistungsförderliche Wirkung auf die Schüler*innen zugeschrieben werden kann (vgl. Lipowsky 2015). Eine Besonderheit dieses Musters ist, dass es erst in der Reaktion auf einen bereits abgeschlossenen oder zumindest gestarteten Lösungsversuch auftritt. Es unterstützt also nicht den Lösungsprozess selbst, sondern regt im Fall der negativen Rückmeldung nach Abschluss eines ersten Lösungsprozesses einen Neuen an oder schließt den Lösungsprozess im Fall der positiven Rückmeldung ab. Um die motivationsförderliche Wirkung dieses Unterstützungsmusters zu steigern, ist insbesondere im Fall der Rückmeldung der Falschheit einer Lösung zu beachten, dass dies für betroffene Schüler*innen in der Regel einen Misserfolg darstellt und dieser angemessen verarbeitet werden sollte. Die Attributionstheorie betont vor diesem Hintergrund die Wichtigkeit der Ursachenzuschreibung auf internal variable Ursachenfaktoren, wie verwendete Lern- und Lösungsstrategien, da diese Attribution Schüler*innen Kontroll- und Änderungsperspektiven aufzeigt (vgl. Graham und Taylor 2016; Weiner 2010). Prediger und Wittmann (2009) sowie Oser und Spychiger (2005) geben einen Überblick über Maßnahmen eines lernwirksamen Umgangs mit Fehlern und zur Etablierung eines fehlerfreundlichen Lernklimas.
Das Unterstützungsmuster Aufmerksamkeitslenkung umfasst zahlreiche Situationen, in denen die Schüler*innen in der Problembearbeitung über Wiederholung oder Visualisierung kognitiv entlastet werden, die verlorene Aufmerksamkeit der Schüler*innen wieder eingefangen wird oder die Aufmerksamkeit auf hilfreiche Aspekte gelenkt wird. Bei der Strukturgebung und dem strukturierten Zerlegen werden die Schüler*innen entweder schrittweise durch ein Problem geleitet oder ein Problem wird neu strukturiert bzw. in Teilprobleme zerlegt.
Die beiden Unterstützungsmuster finden sich in der Literatur zum Scaffolding wieder (s. Abschnitt 2.​3; vgl. Puntambekar und Hubscher 2005; Simons und Klein 2007). In den Maßnahmen wird bei der Problembearbeitung für die Schüler*innen ein Gerüst aus Hilfestellungen errichtet, sodass sie das Problem mit den Hilfen eigenständig lösen können. Das Gerüst kann abgebaut werden, wenn die Schüler*innen in der Lage sind, vergleichbare Probleme auch ohne Hilfestellung zu lösen. Die Hilfestellungen bestehen in diesen Unterstützungsmustern darin, Struktur und Zieltransparenz zu erhöhen oder bereits vorhandene Ressourcen wie das Vorwissen aufzuzeigen. Es konnte nachgewiesen werden, dass Unterstützungsmaßnahmen dieser strukturierenden Art positiv mit Leistungsvariablen und motivationalen Aspekten zusammenhängen und, dass diese Unterstützungsform besonders für Schüler*innen mit geringen Vorkenntnissen vorteilhaft ist (vgl. Gold 2016; Rakoczy et al. 2007). Die Unterstützungsmuster der Aufmerksamkeitslenkung und Strukturgebung unterscheiden sich besonders im Ausmaß, mit dem die Studierenden in den Lösungsprozess der Schüler*innen eingreifen und Teillösungsschritte übernehmen (vgl. Abschnitt 13.​4.​1; Fallbeispiele 1 und 2). Um im Einzelfall zu unterscheiden, welches Maß an strukturierender Unterstützung für Schüler*innen angemessen ist, benötigt die Lehrkraft ein hohes Maß an diagnostischen Kompetenzen. Diese Unterstützungsmuster sind auf Ebene der Studierenden daher voraussetzungsreich.
Die Thematisierung mathematischer Zusammenhänge / Verfahren / Begriffe (außerhalb der bearbeiteten Aufgabe) umfasst Erklärungen und Verweise auf hilfreiches mathematisches Wissen, das nicht explizit mit der Bearbeitung des Problems in Verbindung steht. Der Rückgriff auf das mathematische Hintergrundwissen wird nur an vereinzelten Stellen von den Studierenden eingesetzt, was nicht verwunderlich ist, weil Unterstützungssituationen durch ein Problem veranlasst werden, das in der Regel eine konkrete Aufgabenstellung umfasst. Die Hilfestellung wird dann ebenfalls eher auf die Aufgabe bezogen sein als davon losgelöst.
Das Unterstützungsmuster Informationen über mögliche Lösungsstrategien beschreibt Unterstützungssituationen, in denen die Studierenden ihren Schüler*innen eine Lösungsstrategie zur Bearbeitung der Aufgabe explizit nennen oder sie implizit verwenden. Die Wichtigkeit von Lösungsstrategien für das Mathematiklernen wurde an verschiedenen Stellen betont (vgl. Hess 2016; Moser Opitz 2013). Außerdem wurde aufgezeigt, dass Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen oft unzureichende Strategien ausgebildet haben (vgl. van der Weijden et al. 2018; van’t Noordende et al. 2016; Moser Opitz 2013). Die Studierenden verweisen auf bereits eingeführte Strategien wie Anika in Unterstützungssituation 22 oder verwenden möglicherweise unbewusst Strategien, ohne diese zu thematisieren (s. Unterstützungssituation 23 in Abschnitt 13.​2). Für die Vermittlung von Rechenstrategien scheint der direkte Verweis angemessen. Eine wichtige Beobachtung ist, dass die Studierenden nicht nur gewinnbringende Strategien anwenden (s. Fallbeispiel 3; Szene 1 in Abschnitt 13.​4.​2).
Das letzte Unterstützungsmuster ist die Vorgabe von richtigen / fertigen (Teil-) Lösungen. Hier übernehmen die Studierenden einen Teil der Lösung oder die gesamte Lösung der Aufgabe. In der Regel demonstrieren sie den Schüler*innen einen richtigen Lösungsweg, nachdem diese die Aufgabe nicht eigenständig bewältigen konnten oder einen Fehler gemacht haben. Auf der einen Seite übernehmen die Studierenden in diesem Unterstützungsmuster die eigenständige Bearbeitung der Problemstellungen. Den Schüler*innen wird somit die Möglichkeit genommen, einen selbstbewirkten Erfolg in der Aufgabe zu verzeichnen. Dies wäre sowohl für den Lernerfolg als auch die Selbstwirksamkeit günstig. Eines der anderen Unterstützungsmuster wäre vor diesem Hintergrund angemessener. Ist die Vorgabe von richtigen Teillösungen die einzige Alternative zur Unterstützung der Schüler*innen, weil die Schüler*innen die Lösung der Aufgabe nicht selbst finden können, kann dies als Indikator für nicht adaptives Material angesehen werden. Auf der anderen Seite kann dieses Unterstützungsmuster produktiv genutzt werden, indem, vergleichbar zur Arbeit mit Lösungsbeispielen, Lösungswege und Problemlösungen modelliert werden, an bereits vorhandene Lösungsverfahren erinnert wird oder eigene Lösungen mit der Musterlösung kontrolliert werden (vgl. Salle 2015).
Die Analyse der Fallbeispiele zum Einfluss der Kommunikation zeigte auf, dass die Kommunikation zwischen den Studierenden und ihren Schüler*innen ein unterschiedliches Maß an Lenkung bzw. Offenheit aufweist. An zwei Fallbeispielen wurde aufgezeigt, dass sich das Kommunikationsmuster innerhalb einer Unterstützungssituation verändern kann. Im ersten Fallbeispiel wurde deutlich, wie sich die Interaktion zwischen Förderlehrraft und Schüler trichterförmig verengt und somit von einer eher offenen Form in eine stark gelenkte Kommunikation übergeht. Im anderen Fallbeispiel konnte gezeigt werden, wie sich die Lenkung bzw. Offenheit auf den Lösungsprozess der Schüler*innen auswirkt. Während der Schüler im ersten Fallbeispiel lediglich reaktiv auf die geschlossenen Fragen antwortet und es fraglich ist, ob er eine vergleichbare Aufgabe selbstständig lösen könnte und sich selbst als Urheber der Leistung sieht, übernimmt die Schülerin im zweiten Fallbeispiel auch Teile des Lösungsweges selbstständig. In der Gegenüberstellung der beiden Fallbeispiele kann gezeigt werden, dass strukturierende Unterstützungsmuster nicht zwangsläufig in Form einer starken Lenkung genutzt werden. Beide Studierenden strukturieren den Lösungsweg und führen ihre Schüler*innen durch die Aufgabe, tun dies jedoch in unterschiedlichen Graden der Lenkung.
Die Untersuchung von Kommunikationsmustern ist nur bei Unterstützungssituationen sinnvoll, in denen die Studierenden auch über längere Passagen mit ihren Schüler*innen interagieren. Ein Großteil der Unterstützungssituationen ist allerdings sehr kurz und lässt sich eher als Instruktion bezeichnen, in denen die Lehrkraft den Schüler*innen sagt, was zu tun ist oder eine Hilfestellung anbietet. Ein typisches Muster ist das Stellen einer Frage durch Schüler*innen und das direkte Geben einer Antwort durch die Lehrkraft. Anschließend ist die Interaktion häufig beendet. Die Datenbasis für längere Interaktionen zwischen einzelnen Schüler*innen und der Lehrkraft ist eher klein. Die Interpretation wird darüber hinaus dadurch erschwert, dass oft weitere Schüler*innen an einem Gespräch teilnehmen und die Lehrkraft-Schüler*innen-Interaktion beeinflussen. Für eine vertiefte Untersuchung der Kommunikation in Förderkontexten ist eine breitere Datenbasis wünschenswert.
Die Wichtigkeit adaptiven Lernmaterials zur Herstellung einer optimalen Passung von Anforderung und Schüler*innenfähigkeiten wurde an verschiedenen Stellen dieser Arbeit für die Motivation und Leistung von Schüler*innen begründet (s. Abschnitt 2.​3). Zur Beurteilung, inwieweit das Lernmaterial adaptiv an das Fähigkeitsniveau der Schüler*innen angepasst ist, benötigt es, über die Beobachtung während der Aufgabenbearbeitung hinaus, verlässliche Leistungsdaten der Schüler*innen und eine Anforderungsanalyse der Aufgaben. Da in dieser Studie kein Zugriff auf die Leistungsdaten der Schüler*innen möglich war, wurde in den drei Szenen des dritten Fallbeispiels versucht, anhand der Beobachtungen exemplarisch darzustellen, wie sich nicht adaptives Material auf das Lernen der Schüler*innen in den Förderstunden auswirken kann. Hier wurde insbesondere die Problematik der gleichzeitigen Über- und Unterforderung einzelner Schüler*innen aufgrund fehlender optimaler Herausforderungen herausgestellt.
Die Analyse der Fallbeispiele hat eher illustrierenden Charakter und kann keine tiefergehenden Informationen über die Kommunikation und Adaptivität des Lernmaterials in den beobachteten Förderstunden geben. Sie ermöglicht jedoch einen Einblick in mögliche Probleme der Kleingruppenförderung und gibt einen Ansatzpunkt für weitere Forschungsvorhaben. Beispielsweise zeigt sie über die systematisch erfassten und berichteten Ergebnisse hinausgehend, dass einzelne Studierende noch Schwierigkeiten haben, die im Veranstaltungskonzept diskutierten Inhalte anzuwenden. Hier gilt es zu überlegen, welche Konsequenzen sich aus dieser Tatsache für das Veranstaltungskonzept und den theoretischen Hinterbau ergeben. Die bisherigen Ausführungen und Analysen deuten darauf hin, dass die theoretische Basis des Modells der Förderung von mathematischen Kompetenzen und Motivation (s. Abbildung 2.​3) geeignet scheint, um im Rahmen mathematischen Förderunterrichts motivationsförderlich zu agieren. Für das Lehrkonzept könnte eine zunehmende Fokussierung auf konkrete Unterstützungsmaßnahmen für prototypische Fördersituationen, wie beispielsweise den Umgang mit Misserfolgen oder geäußerter niedriger Selbstwirksamkeit, i. S. v. ‚ich kann das doch eh nicht‘, produktiv und vorentlastend sein. Gegebenenfalls könnte eine Reduktion der Inhalte bei gleichzeitiger Vertiefung und Übung der anderen Inhalte dazu führen, dass die Studierenden in der herausfordernden Situation erster unterrichtlicher Versuche die neuen Erkenntnisse aus der Veranstaltung eher für sich nutzbar machen können, statt mit der Fülle an neuen Erfahrungen und Wissensbeständen potenziell überfordert zu werden.
Darüber hinaus lassen sich weitere Grenzen der Untersuchung herausstellen: Die Analyse der Unterstützungssituationen wurde auf der Basis von neun Förderstunden durchgeführt, in denen sieben Studierendentandems ihre Schüler*innen fördern. Auch wenn die Anzahl der Unterstützungssituationen mit fast 200 hinreichend groß für eine Analyse war, zeigte sich an einzelnen Stellen die Abhängigkeit des Vorkommens von Unterstützungsmustern von methodischen und inhaltlichen Entscheidungen. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass sich noch weitere Unterstützungsmuster identifizieren oder sich Unterstützungsmuster noch weiter ausdifferenzieren lassen, wenn eine größere Stichprobe verwendet würde. Es ist demnach wünschenswert, weitere praxisnahe Untersuchungen wie diese anzuschließen. Diese Studie bietet einen Ansatzpunkt für die Beforschung von Unterstützungssituationen in Förderkontexten und gibt einen strukturellen Rahmen, der weitere Analysen erleichtern kann. Eine mithilfe des verwendeten Untersuchungsdesigns nicht zu umgehende Problematik ist, dass der Erfolg der Unterstützungsmaßnahmen an vielen Stellen nicht einzuschätzen ist, weil das Weiterkommen der Schüler*innen aufgrund des fehlenden Einblicks in ihre Unterlagen nicht Teil der Analyse war. Für eine Untersuchung der Unterstützungsqualität wäre die Überprüfung des Erfolgs von Unterstützungsmaßnahmen grundlegend.
Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf inklusiven Mathematikunterricht ist nur zum Teil möglich. Auf der einen Seite ist es auch im Regelunterricht eine zentrale Aufgabe von Lehrkräften, ihre Schüler*innen beim Lernen zu unterstützen. Dies gilt im besonderen Maße für die Schüler*innen mit Schwierigkeiten beim Lernen. Allerdings haben Lehrkräfte im inklusiven Mathematikunterricht deutlich mehr Schüler*innen und somit nur begrenzte Zeit, sich mit einzelnen Schüler*innen auseinanderzusetzen. Dies kann einen Einfluss auf das Vorkommen von Unterstützungssituationen nehmen. Im Förderunterricht könnte es aufgrund des Fokus auf Nacharbeitung unverstandener Inhalte häufiger zu Unterstützungssituationen kommen als im Regelunterricht, in dem neue Inhalte erarbeitet werden und daher vermehrt Unterrichtsgespräche und entdeckende oder kooperative Unterrichtsformen eingesetzt werden. Die Unterstützungsanfragen werden im Regelunterricht voraussichtlich häufiger von den Schüler*innen ausgehen und weniger durch das Beobachten von Fehlern durch die Lehrkraft. Im Regelunterricht werden Unterstützungen oft einem größeren Teil der Klasse zugänglich gemacht, beispielsweise durch die Besprechung von Aufgaben im Plenum. Die Art der Unterstützung in Form der Unterstützungsmuster könnte sich nach einzelnen Anpassungen übertragen lassen. Sie stellen ein Repertoire der Unterstützungsmöglichkeiten auch für Lehrkräfte im Regelklassenunterricht dar.
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Metadaten
Titel
Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse zu Studie 2
verfasst von
Maximilian Hettmann
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37180-7_14

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