Unser derzeitiges Managementverständnis krankt an der weitgehend isolierten Betrachtung miteinander vemetzter Probleme und ihrer arbeitsteiligen Zuordnung an Spezialisten. Dies gilt nicht nur für die Einordnung des Organisatorischen in den Gesamtzusammenhang des Managements, sondern auch für die Art der organisatorischen Gestaltung selbst. Das Leitmotto für unsere traditionelle Entwicklung wurde in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts durch den Schöpfer der „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ — Friedrich Winslow Taylor — treffend formuliert:
„Was man unterscheiden kann, das soll man scheiden“.
Normatives und strategisches Management einerseits und das operative Management andererseits bilden gleichsam die beiden Seiten einer Medaille. Auf Konzeptionen fußend sind erstere auf die Rahmengestaltung ausgerichtet, in denen sich der operative Vollzug des situativen Führungsgeschehens im „day to day business“vollzieht. Während dem Normativen und Strategischen eher eine Gestaltungsfunktion zukommt, ist es Aufgabe des operativen Managements, lenkend in die Unternehmungsentwicklung einzugreifen.
Systeme erlangen Ganzheitlichkeit durch die Integration ihrer Elemente über die Gestal¬tung wechselseitiger Beziehungen. Dabei betont die Integration eine „spezifische Form der Verknüpfung von Elementen zum Ganzen eines Systems“(Lehmann = Integration = S. 769), die dadurch gekennzeichnet ist, „daß die Veränderung eines Elementes aufgrund der wechselseitigen Beziehung auch die übrigen Elemente beeinflußt“(Grochla = Unternehmungsorganisation = S. 16).
Im Gesamtkonzept eines integrierten Managements lassen sich damit für diese Schrift die beiden wesentlichen Dimensionen der Strukturierung und des Verhaltens betrachten, die letztlich beide auf Zustands- und Lage-Veränderungen von realen und nominalen Objekten durch Aktivitäten ausgerichtet sind. Damit lassen sich aufbauend auf dieses einführende Kapitel A als Grundgliederung dieser Schrift unterscheiden.
Knut Bleicher
Die Gestaltung von Organisationsstrukturen und Managementsystemen
Die Unternehmungsverfassung läßt sich als Grundsatzentscheidung über die gestaltete Ordnung der Unternehmung verstehen. Sie steht dabei in enger Bindung zur gesamtge-sellschaftlichen Ordnung. Abhängig von den Rechtsformen der Unternehmung ist die Unternehmungsverfassung selbst als Summe von Rechtsnormen zu sehen, die in der für die Unternehmung relevanten Gesetzgebung schriftlich verankert sind. Im verbleibenden Autonomieraum konkretisiert sie diese durch ihre eigene Unternehmungsverfassung. Quasi als „Gmndgesetz“der Unternehmung definiert sie mit ihren konstitutiven Rahmenregelungen Gestaltungsräume und -grenzen und legt damit einen generell zu respektierenden Verhaltensrahmen nach innen wie nach außen fest.
Eine Strukturierung betrieblicher Zusammenhänge kann in vielfältiger Weise — einzelfallspezifisch „ad hoc“ als Improvisation — oder generell für sich wiederholende Fälle aufgrund planender Vorabüberlegungen erfolgen. Wird im letzten Fall dem Integrations gebot der Berücksichtigung gegenseitig vernetzter Zusammenhänge entsprochen, ist der Begriff der Organisation zu verwenden.
Organisationsformen stellen Gestaltungsalternativen der Organisation für eine direkte, unmittelbare Zusammenarbeit von Mitgliedern und Teilnehmern eines Systems (unmittelbare Kooperationseinheiten) dar. Ihre Verteilungs- und Arbeitsbeziehungen werden einstufig geregelt. Organisationsformen lassen sich auf allen Ebenen des Systems betrachten. Die allgemeinen Kriterien der Bildung und Unterscheidung von Organisationsformen werden deshalb zunächst vorgestellt, bevor auf einzelne Formen näher eingegangen wird.
Die strukturelle Gestaltung organisatorischer Subsysteme benötigt genauso ein modellhaftes Konzept, wie die des Gesamtsystems der Unternehmung. Partialmodelle der Organisation drücken diesen Tatbestand auf der Bereichsebene über die Art ihrer Gliederung und Leitung aus.
Organisationsmodelle geben das Muster der Systemdifferenzierung und Systemintegration für die gesamte Unternehmung (Totalmodelle) oder für ihre wesentlichen Teile an, die mehrere unmittelbare, formengebundene Kooperationseinheiten umspannen (Partial-modelle). Dabei kann zwischen eindimensionalen und mehrdimensionalen Organisationsmodellen unterschieden werden. Die grundsätzliche Mehrdimensionalität organisatorischer Beziehungen wird bei eindimensionalen Organisationsmodellen dadurch vereinfacht, daß bei der Systemdifferenzierung auf jeder Stufe der Aufbauhierarchie nach einem wesentlichen Gliederungskriterium vorgegangen wird. Damit ergibt sich eine (sukzessive) Abfolge hierarchischer Gliederungsstufen, die der unterschiedlichen Bedeutung einzelner Aspekte des Unternehmungsgeschehens für die Systemintegration gerecht werden will. Es entsteht eine ranghierarchisch abgestufte, die Verteilungsbeziehungen betonende, relativ steile Aufbaupyramide der Organisation. Mehrdimensionale Organisationsmodelle lassen grundsätzlich die Möglichkeit zu, gleichzeitig (simultan) nach mehreren wesentlichen Gliederungskriterien vorzugehen. Dabei wird eine prinzipielle Gleichrangigkeit der Bedeutung mehrerer Aspekte für die Systemintegration unterstellt. Es entsteht eine eher systemorientierte, die Arbeitsbeziehungen betonende, relativ flache Aufbaupyramide der Organisation.
Auf der Suche nach Möglichkeiten, ein „self containment“ organisatorischer Einheiten bei wachsender Größe und Komplexität von Unternehmungen herzustellen, ist die Konzernorganisation vermehrt in den Blickpunkt des Gestaltungsinteresses gerückt. In den meisten Fällen muß davon ausgegangen werden, daß auch im Rahmen einer Konzemorganisation starke Interdependenzen zwischen verrichtungsgebundenen Zentralbereichen und den Objekt- und Regionalbereichen inform von Tochtergesellschaften bestehen, die einer weitgehenden Autonomie Grenzen setzen. Nach anfänglichen Darstellungen der Praxis der Organisation durch den Arbeitskreis Dr. Krähe der Schmalenbach Gesellschaft (Krähe = Konzernorganisation =; s.a. Albrecht = Organisationsstruktur =; Blohm = Organisationsprobleme =; Hardach = Konzernorganisation =; Pausenberger = Konzerne =; Schneider = Organisation =; Weidemann = Konzernleitung =) ist die Managementpraxis offensichtlich zur Auffassung gelangt, daß in einer rechtlichen Ausgliederung von Subsystemen in Form von Tochtergesellschaften im Rahmen einer Konzernentwicklung eine näher zu prüfende Alternative zur Gewinnung organisatorischer Flexibilität zu sehen ist (Bleicher = Gedanken = S. 245 ff.).
Bei der Wahl zwischen unterschiedlichen Formen und Modellen der Organisation ist eine wesentliche Dimension zu berücksichtigen, die das erfolgsorientierte Verhalten von Führungskräften innerhalb der organisatorischen Struktur betrifft: Die mit den Formen und Modellen der Organisation verbundene unterschiedliche Ausrichtung der Ergebnisverantwortung.
Knut Bleicher
Organisationskulturen und Entwicklung des Problemlösungsverhaltens
Strukturellen Ansätzen der Organisationsgestaltung ist der Vorwurf gemacht worden, daß sie hoch-komplexe Probleme weitgehend technokratisch zu lösen versuchen und damit den spezifischen Anforderungen des Charakters von Unternehmungen als soziale Systeme nur bedingt gerecht werden. Die Suche nach kritischen Erfolgsfaktoren hat zudem enthüllt, daß neben den lenkenden Eingriffen durch „harte“ökonomische Gestaltungs- faktoren, wie Strategien, Strukturen und Systemen, „weiche“Faktoren hinzutreten müssen (Peters/Waterman = Excellence =, Ouchi = Theory Ζ =, Pascale/Athos = Art =), die sich in der sozialen Dimension einer Unternehmung entwickeln, wie Selbstverständnis, Spezialkenntnisse, Stil und Stammpersonal. Diese sozialen Faktoren, die sich in der Unternehmungsgeschichte entwickeln und nur bedingt der willentlichen Lenkung und Gestaltung durch das Management unterliegen (vgl. Ulrich = Management =) werden, soweit sie normativen Charakter tragen, unter der Bezeichnung Unternehmungskultur zusammengefaßt.
Organisationskulturen schaffen evolutorisch aus der Vergangenheit heraus ein Wert- und Normengefüge, welches das Verhalten im Rahmen gestalteter Organisationsstrukturen und bei deren Veränderung trägt. Eine Unternehmung kann sich mit dem erreichten Stand der Entwicklung einer Kultur fatalistisch zufriedengeben oder aber versuchen, über deren gezielte und bewußte Beeinflussung Rahmenbedingungen für deren Veränderung zu schaffen. Dabei kann es äußerst fruchtbar sein, von der Annahme auszugehen, daß jede Entwicklung einer Unternehmung nicht nur das Ergebnis unternehmungspolitischer, strategisch-programmatischer und -struktureller Maßnahmen ist, sondern auch und vor allem die Folge eines Wirkens des menschlichen Entdeckergeistes, Problembewußtseins und Beurteilungsvermögens, wie der Initiative, Entscheidungsfreude und der Realisierungskraft der Mitarbeiter.
Knut Bleicher
Die Integration von Strukturen und Kulturen in der Unternehmungsentwicklung
Der in Kapitel A kurz skizzierte Zusammenhang eines integrierten Managements hat bereits auf die konstitutive Bedeutung der normativen Dimension aufmerksam gemacht. Von der Unternehmungspolitik sind Missionen zu formulieren, die in der strategischen Dimension über Programme, Managementstrukturen und -systeme wie das Problemverhalten konkretisiert und in der operativen Dimension vollzogen werden. Im thematischen Zusammenhang dieser Schrift ist dabei vor allem der Integrationszusammenhang der strategischen Dimension in der Wechselbezüglichkeit von strategischen Programmen, den verfassungsdeterminierten Strukturen und Systemen wie dem kulturgeprägten Problemverhalten durch das Management interessant (vgl. Abbildung D I 1).
Die Dynamik der Unternehmungsentwicklung produziert unterschiedliche Konstellationen für eine unternehmungspolitisch notwendige Integration von Strategien, Strukturen und des kulturgeprägten Problemverhaltens. Gelingt die Integration nicht, ergeben sich krisenhafte Gefährdungen der Überlebens- und weiteren Entwicklungsfähigkeit der Unternehmung.
Zwei Entwicklungslinien scheinen in diesem Zusammenhang von Bedeutung zu sein: Die Professionalisiemng des Organisationsbemfes und seine fachlich-inhaltliche Ausrichtung. Jeder Berufszweig, hat er sich einmal durchgesetzt, wird durch eine Professionalisierung stabilisierend geprägt. Darin mag man zunächst positive Merkmale erkennen, wie sie E. Overmann beschrieben hat (McEwan = Professionalizing = S. 55):
breiter Hintergrund der Ausbildung
einheitlicher Satz spezialisierten Wissens
Prüfung zum Nachweis der Beherrschung des Gebietes
Vertretung durch Berufsvereinigung und Verbände
Eine Professionalisiemng birgt jedoch die Gefahr in sich, daß die Perspektive durch eben diese aufgezählten bemfsstabilisierenden Faktoren verengt wird. Für den Organisator handelt es sich dabei vor allem um die Gefahr, daß er sich als Träger bestimmter Metho-denkenntnisse zum Bewahrer eines als bürokratisch zu kennzeichnenden Systems ent-wickelt: Er findet seinen bemflichen Erfolg in der Perfektioniemng von Regeln, deren Sinn für andere Betroffene weitgehend ins Dunkel gerückt ist.
Nun ist die Bürokratie zweifellos zu einem Kennzeichen unserer Zeit geworden, und durchgreifende und realistische Alternativen zu ihrer Bewältigung sind rar. Warum also nicht bei den Konstrukteuren der Bürokratie, bei den Organisatoren anfangen? Dabei ist diese Frage entscheidend für die weitere Entwicklung des Organisatorenbemfes: Wenn die Organisatoren nicht selbst das Heft der Entbürokratisierung in die Hand nehmen, können sie leicht zur Zielscheibe und zum Opfer gerade dieser Bestrebungen werden.
Die Spannweite in der Art des Organisierens reicht von der „Bombenwurf-Strategie“ — wie sie Werner Kirsch u. a. (= Wandel =) einmal kennzeichnete, von Organsationsanweisungen, die eine Organisationsabteilung ohne nähere Konsultation der Betroffenen mit „Absegnung“durch die Leitung herausgibt, bis zur autonomen Arbeitsgruppe, die selbst ihre Probleme definiert und sich selbst organisiert. In letzterem Sinne hat die Organisationsentwicklung (OE) als partizipativkooperatives (Re-)Organisationsverfahren während der jüngeren Vergangenheit viel von sich reden gemacht. Anzeichen einer Professionalisiemng, wie die Gründung eigener Verbände sind auch hier erkennbar. Als Leitidee kann hierbei die Aussage dienen: „Wenn es nicht möglich ist, aufgrund empirischer Forschung zu beschreiben, wie Organisationen konkret aussehen, die Motivation, Zufriedenheit und Selbstverwirklichung herbeiführen, vielleicht kann man dann wenigstens die Organisationsmitglieder in die Lage versetzen, ihre Probleme selbst zu erkennen, selbst interpersonelle Beziehungen experimentell zu erproben und selbst organisationale Bedingungen zu schaffen, die ihren Bedürfnissen angemessen sind“(Kieser/ Kubicek = Organisationstheorien =).
Hinter der generellen Abwendung von „Bombenwurf-Strategien“ der Organisation verbirgt sich etwas viel Prinzipielleres als die aktuelle Hinwendung zu Konzepten einer subsidiären Organisationsentwicklung in Gruppen andeuten mag. Friedrich A. von Hayek hat uns frühzeitig auf die beschränkte Steuerbarkeit hoch-komplexer Systeme und die Rolle sich selbst-bildender „spontaner“Ordnungen aufmerksam gemacht: „Je komplexer die angestrebte Ordnung ist, desto größer ist der Teil der gesonderten Handlungen, der durch Umstände bestimmt werden muß, die denjenigen nicht bekannt sind, die das Ganze leiten, und desto abhängiger ist die Regulierung des Ganzen von Regeln statt von spezifischen Befehlen“(= Recht = S. 74). Damit beruht die Zusammenarbeit in jedem sozialen System „sowohl auf spontaner Ordnung als auch auf bewußter Organisation. Es gibt keinen Zweifel, daß für viele begrenzte Aufgaben die Organisation das wirksamste Verfahren erfolgreicher Koordination ist, weil sie uns befähigt, die sich ergebende Ordnung viel vollständiger unseren Wünschen anzupassen, während dort, wo wir uns infolge der Komplexität der zu berücksichtigenden Umstände auf Kräfte verlassen müssen, die eine spontane Ordnung herbeiführen, unsere Macht über die besonderen Inhalte dieser Ordnung notwendig beschränkt ist“(v. Hayek = Recht = S. 69). Ordnung entsteht im sozialen Kontext „nicht allein durch bewußt gestaltete Aktivitäten von Führungskräften. Trotzdem weisen diese Systeme jeweils in mehr oder weniger starkem Masse Ordnung auf, das heißt, das System ist durch Regelmäßigkeiten gekennzeichnet, die es uns als geordnet oder als Anordnung erscheinen lassen“(Probst/Scheuss = Ordnung = S. 483).
Der Erfolg von Wettbewerbern wird in Zukunft, in der das Wachstum nicht mehr genügen dürfte, um alle Strukturschwächen zudecken zu können, zu einem guten Teil vom Wirken kenntnisreicher Organisatoren abhängen. Hierzu wird es jedoch notwendig sein, daß die Wirtschaftspraxis die Chance erkennt, die sich ihr über eine qualifizierte Ausbildung von Organisatoren an Hochschulen und anderen Weiterbildungsinstitutionen eröffnet.