5.1 Diskussion der angewandten Methodik
Die angewandte Methodik wurde im Verfahren entwickelt und im Prozess immer wieder angepasst. Eine Musterlösung für den Umgang mit und die Bewältigung von Zielkonflikten der Nachhaltigkeit ergibt sich aus dem Verfahren nicht. Es konnten jedoch Erfahrungswerte herausgearbeitet werden, die auch Kritik am Vorgehen beinhalten.
Als besonders lohnend haben sich die am Anfang durchgeführten umfangreichen Bestandsaufnahmen herausgestellt. Die Herausforderung, Menschen breit einzubinden und zu erreichen, zeigte sich in beiden Kommunen als nicht einfach. Die persönliche Ansprache durch die Bürgermeister und die kommunalen Vertreter*innen war daher ein wichtiger Aspekt. Die Interviews mit der Verwaltung (vgl. Abschn.
4.2.2) und Workshops mit Einwohner*innen, Verwaltung/Politik und Jugendlichen (vgl. Abschn.
4.2.3) sowie die Befragungen der Expert*innen (vgl. Abschn.
4.3.1) haben alle Dimensionen der Zielkonflikte aufgezeigt. Besonders wertvoll war die regelmäßige Anreicherung mit neuen Informationen zur Erweiterung der jeweiligen Wissensbasis.
Es erwies sich als hilfreich, Expert*innen von außerhalb der kommunalen Entscheidungsgremien referieren zu lassen. In den Kommunen herrscht meist schon ein sehr langer Diskurs zu dem entsprechenden Zielkonflikt. Damit sich die Diskussion nicht weiterhin „im Kreise“ dreht und neue Perspektiven eröffnet werden können, ist ein regelmäßiger Input externen Wissens wichtig.
Der Einstieg in die Delphi-Runden gestaltete sich über die aus dem lokalen Wissen abgeleiteten Thesen als eher unvorteilhaft (vgl. Abschn.
4.3). Zwar lieferten die Begründungen der Expert*innen zu den Thesen wichtige Informationen, Ergänzungen zum regionalen Wissen und erste Lösungsansätze, doch erscheint der Umweg über die Thesen als zu kompliziert. Die Inhalte in Form von Thesen zu abstrahieren und daraus Kernthesen zu formulieren, hat nach Ansicht des Forschungsverbundes die Aussagen zu sehr eingeengt, und v. a. kostete die Verallgemeinerung der Aussagen zu viel Energie in der Auswertung und war in der Einschätzung bei der Bearbeitung durch den Forschungsverbund fehleranfällig. Die Thesen wurden auf Basis des regionalen Wissens erstellt, aber nicht direkt von den lokalen Akteur*innen formuliert. Ein Fragebogen mit halb-standardisierten Fragen an die Expert*innen, der gezielt nach Entwicklungsmöglichkeiten und Lösungsansätzen fragt, könnte hier schneller zu Ergebnissen und verwertbaren Aussagen führen.
Sehr positiv zu bewerten ist die Verwendung von Szenarien zur Formulierung von Lösungsansätzen (vgl. Abschn.
4.3.1). Sie ermöglicht ein Denken
out of the box und eröffnete viele neue Perspektiven. Der kreative Prozess des Entwerfens mehrerer Zukünfte und die Auseinandersetzung mit den Megatrends brachten den Akteur*innen viel Freude, neue Perspektiven und Fragen zur Bewertung von Möglichkeiten und zudem Ergebnisse, von denen sie teilweise selbst überrascht waren. Die Entwicklung von Szenarien hat neue Ideen und Lösungswege aufgezeigt und die Akteur*innen animiert, die zukünftige Entwicklung im Auge zu behalten und so ein nachhaltiges Handeln zu implementieren. Die Workshops und die Entwicklung von Szenarien haben insbesondere die Haltungen der Akteur*innen beeinflusst.
Das ZiKATo (vgl. Abschn.
4.3.2) hilft dem Erkenntnisgewinn der beteiligten Akteur*innen – ebenfalls in Bezug auf die Haltungen – mehr als dem tatsächlichen Informationsgewinn über Möglichkeiten von konkreten lokalen Handlungsansätzen. Dies lag im vorliegenden Fall aber v. a. an der Art der Zielkonflikte, da die beeinflussenden Gesetzesvorgaben auf übergeordneter Ebene erarbeitet wurden. Dementsprechend zeigten auch die Ergebnisse, dass viele der Handlungsmöglichkeiten nicht in der Hand kommunaler Akteur*innen liegen, sondern eher auf anderen Ebenen. Dies war für die Akteur*innen frustrierend, wies aber auch darauf hin, in welche Richtung Handlungsmöglichkeiten bestehen, z. B. sich politisch auf Landesebene zu engagieren oder als Handlungsansätze z. B. die eigene Haltung in den Blick zu nehmen. Zudem zeigte der Prozess des Ausfüllens des ZiKATos die Komplexität des Zielkonfliktes auf. Die aufzuwendende Zeit (ca. eine Stunde) wurde von einigen aber kritisch bewertet.
Im Forschungsvorhaben LAZIK N2030 ist durch die geschaffene Transparenz der Zielkonflikte und deren Wechselwirkungen deutlich geworden, wie komplex die Entwicklung von Lösungsansätzen für Zielkonflikte der Nachhaltigkeit ist. Das Aufzeigen vieler Perspektiven auf den jeweiligen Zielkonflikt machte die Komplexität der Konflikte und die Art, wie diese im System vernetzt sind, sichtbar. Die Akteur*inne nerkannten es als große Herausforderung, dass mehrere solcher Zielkonflikte der Nachhaltigkeit, die alle komplex sind, in einer Kommune zu bewältigen sind.
Wichtig war in der Begleitung der beiden Kommunen der intensive Austausch aller Verbundpartner*innen und der externen Beobachterin. Die externe Beobachterin stellte eine Perspektive 2. Ordnung dar. Sie war im Prozess selbst nicht beteiligt, nahm z. T. jedoch als Beobachterin an Veranstaltungen oder auch an Verbundsitzungen teil, um den sog. blinden Fleck des Forschungsvorhabens aufzulösen.
Dieses Vorgehen erleichterte es, die Komplexität des Vorhabens möglichst breit zu erfassen, denn nicht selten spiegelten sich zu lösende Konfliktsituationen in den Diskussionen der Verbundpartner*innen wider. Die externe Beobachterin konnte hier eine sehr wichtige und notwendige Funktion der externen Perspektive übernehmen, die der Forschungsverbund selbst wiederum für die Kommunen einnahm.
5.2 Voraussetzungen für einen nachhaltige Umsetzung von Lösungsansätzen und Fazit
Die Identifizierung und Umsetzung geeigneter Lösungsansätze steht am Ende des Prozesses. Lösungen sollten dabei langfristig und tragfähig sein. Auch wenn geeignete Lösungsansätze gefunden werden, ist eine nachhaltige Umsetzung in den Kommunen eine herausfordernde Aufgabe. Es erfordert im Anschluss an den hier skizzierten Prozess sowohl eine entsprechende Prozessentwicklung, ein darauf angepasstes Management sowie vorher die politischen Beschlüsse, die neuen Ansätze aufzugreifen und neue Wege gehen zu wollen.
Die Komplexität der Problemlagen sowie mangelnde zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen in den Kommunalverwaltungen und der doch sehr unterschiedliche Wissensstand in der Bevölkerung sind hierbei wohl die größten Hürden. Die Lösung von Zielkonflikten der Nachhaltigkeit gehört zudem nicht zu den Pflichtaufgaben der Kommunen, weshalb die Ressourcenfrage prioritär ist. Daraus lässt sich ableiten, dass ein Umdenken bezogen auf die Priorisierung von Aufgaben in den Kommunen dringend erforderlich ist, wenn die Transformation gelingen soll. Dies ist deshalb besonders dringend, weil sich wissenschaftliche Aussagen mehren, dass die Menschheit in ausgewählten Handlungsfeldern (z. B. Wasser, Klimaschutz, Biodiversität) sogenannte Points of no return, die sogenannten Kipppunkte, erreicht (vgl. z. B. Hüttmann
2019). Kommunen können diese Aufgaben nicht allein schultern. Zielkonflikte der Nachhaltigkeit entstehen durch gesetzte Ziele von übergeordneten politischen Ebenen. Daher ist die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Behörden und Akteur*innen, der Politik verschiedener Ebenen (Kommune, Kreis, Land, Bund) und den Verwaltungen von großer Bedeutung.
Die Handlungsoptionen der Kommunen gestalten sich je nach Zielkonflikt unterschiedlich. Auch wenn nach dem in Abschn.
2.3 beschriebenen Subsidiaritätsprinzip viele Kompetenzen auf kommunaler Ebene liegen, gibt es Aufgaben, die auf Landes- oder Bundesebene geregelt werden. Hierbei handelt es sich um öffentliche Belange, die in der Verhältnismäßigkeit der Bearbeitungsmöglichkeiten und überregionalen Relevanz die kommunale Ebene übersteigen. So verhält es sich auch im Konflikt um den Wolf in der Samtgemeinde Barnstorf. Der Umgang mit der Rückkehr von Wolfsrudeln nach Deutschland wird im Bundesnaturschutzgesetz (§ 45a BNatSchG) geregelt. Der Bürgermeister sieht sich mit den unterschiedlichen Interessen sowie Ängsten und Sorgen (vgl. Abschn.
3.2) konfrontiert. Ziel im Projektablauf ist es nicht, eine Gesetzesänderung auf den übergeordneten Ebenen zu erwirken, sondern vor allem die Akzeptanz und die Bereitschaft (veränderte Haltungen) zu wecken, Lösungsansätze für den Umgang im Zusammenleben mit dem Wolf vor Ort zu finden und zu fixieren.
Kommunen benötigen Lösungen, die weitgehend unabhängig von Gesetzesänderungen auf Bundes- und Landesebene sind. Da sich die Entwicklungen auf den verschiedenen Ebenen jedoch wechselseitig bedingen, ist es für die Akteur*innen wichtig zu erkennen, welche Einflussmöglichkeiten es für sie über mehrere politische Ebenen gibt. Kommunalpolitik und -verwaltung müssen Rahmenbedingungen regelmäßig prüfen und die Bereitschaft für Anpassung und neue Lösungsansätze zeigen. Langfristige und nachhaltige Strategien sind auch bei tagespolitischen Entscheidungen und Haushaltsberatungen in den Blick zu nehmen. Hierbei geht es auch darum, Denkräume zu erweitern und Möglichkeiten zu schaffen, sich mit Fragenstellungen wie Zielkonflikten der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und den dazugehörigen Diskussionen ausreichend Raum in politischen Gremien und Ratssitzungen zu geben. Wichtig sind eine Kommunikation auf Augenhöhe zwischen politischen Vertreter*innen untereinander und auch mit den Einwohner*innen und Expert*innen sowie eine unvoreingenommene Diskussion von Lösungsansätzen und deren Alternativen. Kommunikation kann die Haltungen der Menschen verändern und damit auch neue Potenziale für Lösungen bereitstellen. Der Diskurs über Zielkonflikte der Nachhaltigkeit und deren Lösung muss parallel zur politischen Entscheidung auch in der Gesellschaft verstärkt werden.
Durch die Heterogenität der Kommunen und Zielkonflikte ist davon auszugehen, dass es keine One-fits-all-Lösung für alle Kommunen in Deutschland geben kann. Eine Entwicklungspfadabhängigkeit durch die jeweilige geschichtlich unterschiedliche Entwicklung und die unterschiedlichen Kulturen beeinflussen Veränderungsprozesse und die Auseinandersetzung mit Lösungsansätzen für Zielkonflikte der Nachhaltigkeit.
Im Projektvorhaben LAZIK N2030 wurden die zu lösenden Konfliktsituationen und Fragestellungen von den Kommunen vorgegeben. Die Samtgemeinde Barnstorf und die Stadt Sandersdorf-Brehna fungierten nicht nur als Reallabore, sondern die kommunalen Akteur*innen wurden direkt als Verbundpartner*innen eingebunden. Die direkte und frühe Einbindung der Verwaltung und Politik als Entscheidungs- und Umsetzungsinstanzen inklusive des hier vorhandenen impliziten Wissens hat sich als wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz und Beteiligung im Projekt erwiesen.
Das z. T. implizite Wissen, welches als vorliegendes Erfahrungswissen die Menschen vor Ort haben, zu heben, zu managen, vor allem kollaborativ zu entwickeln und dabei in Lernprozesse einzusteigen, erfordert umfangreiche Denk- und Diskussionsprozesse mit entsprechenden Methoden, zudem Geduld und die Bereitschaft sich auf neues Wissen einzulassen. Eine Voraussetzung im Prozess der Lösungsentwicklung für Zielkonflikte der Nachhaltigkeit ist es, den Beteiligten mit Informationen ihre Wissensstände zu vergrößern, wobei das Erfahrungswissen der Menschen vor Ort als möglichst gleichwertig zum im Prozess verwendeten Experten*innenwissen für die Zukunftsentwicklung zu betrachten und in den Gesamtprozess einzuspeisen ist.
Die Bereitschaft, zukunfts- und risikoorientiert zu handeln und die Möglichkeit, Fehlentscheidungen treffen zu können, in das Denken einzubeziehen, sind wichtig, um Lösungsansätze für nachhaltige Entwicklung zu finden. Häufig fehlt es im kommunalen Handlungsfeld an solchen ganzheitlichen und Fehlentscheidungen tolerierenden Betrachtungsweisen und Haltungen. Dann bleiben Lösungsansätze unerkannt.
5.3 Handlungsempfehlungen und Ausblick
Es besteht weiterhin Forschungsbedarf hinsichtlich der Zielkonflikte der Nachhaltigkeit. Die Methodik wurde bisher nur exemplarisch in zwei Kommunen angewendet und ist deshalb nicht uneingeschränkt übertragbar. Wie beschrieben hängt das Vorgehen zur Lösung von Zielkonflikten stark von der Ausgangssituation (v. a. dem vorhandenen Nachhaltigkeitsbewusstsein) in der jeweiligen Kommune ab. Die Autor*innen empfehlen hier einen Blick auf die Website des Projektes:
www.nachhaltigkeit-toolbox.de. Es werden die im Forschungsvorhaben erprobten Instrumente und Verfahren sowie die gewonnenen Erkenntnisse über Herausforderungen und Lösungsansätze in der Praxis dargestellt.
Der Umgang mit und das Handeln in dilemmatischen Situationen wird zukünftig an Bedeutung gewinnen. Das Thema Nachhaltigkeit und der damit in Verbindung stehende Umgang mit Komplexität, Entscheidungen in schwierigen Situationen und Konfliktlösungen müssen nicht nur in der Schule als Pflichtfach aufgenommen werden, sondern auch in Politik und Verwaltung sowie in den mit kommunalem Handeln verbundenen partizipativen und öffentlichkeitswirksamen Prozessen und Kommunikationsstrategien (bspw. durch Fortbildungen oder entsprechende Öffentlichkeitsarbeit) verankert werden. Zudem ist es wichtig, sich in entsprechende Netzwerke einzubringen, um auch von Erfahrungen anderer Kommunen zu lernen bzw. sich in den kommunalen Austausch zu begeben.
Der kommunenübergreifende Austausch führte zu neuen Perspektiven, gemeinsamen Erkenntnissen, zu neuen Haltungen von Einwohner*innen in den Kommunen bzw. auch von Mitarbeitenden in den Verwaltungen und zu intensiven Diskussionen über den Weg und die nächsten Schritte sowohl im Vorhaben als auch in den Kommunen. Immer wieder zeigte sich, wie wichtig der inter- und transdisziplinäre Austausch im Rahmen der Transformation ist. Dies betraf kommunales, lokales Erfahrungswissen, Ermutigungswissen, Wissen über unterschiedliche Lösungsansätze, wissenschaftliche Perspektiven und Fachwissen, welches zusammengetragen und zu neuen Lösungsansätzen verdichtet wurde.
Die Kraft der Diskussionen über Lösungen mag die trennende Kraft von Diskussionen über Konflikte bei weitem übersteigen, wenn die Notwendigkeit der Lösungsfindung nicht mehr zu Diskussion steht.