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06.09.2023 | Recruiting | Interview | Online-Artikel

"Auswahlverfahren müssen möglichst treffsicher sein"

verfasst von: Andrea Amerland

4:30 Min. Lesedauer

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Eignungsdiagnostische Interviews sind eine wichtige Säule im Recruiting, um wirklich den passendsten Kandidaten auszuwählen. Allerdings müssen sie dazu gewissen Standards folgen. Worauf Personalabteilugen achten sollten, wissen die Expertinnen Maren Hiltmann und Susanne Schulte.
 

Welche Vorteile bieten eignungsdiagnostische Interviews in Zeiten des Fachkräftemangels?

Susanne Schulte: Eignungsdiagnostische Interviews haben eine große Bedeutung in der Personalauswahl und – entwicklung. Sie sind bei Bewerbenden ebenso wie bei Arbeitgebenden gut akzeptiert und liefern laut der neuesten Metastudie von Sackett und Kollegen aus dem letzten Jahr sehr gute Vorhersagen, vorausgesetzt die Qualitätsanforderungen werden eingehalten. Mit genau diesen Qualitätsanforderungen beschäftigte sich unsere Arbeitsgruppe seit 2017 über vier Jahre lang, um aktualisierte Standards für Interviews zu erarbeiten. Um die Breite und Tiefe inklusive der praktischen Anwendung der Erkenntnisse allen Interessierten zugänglich zu machen, haben wir uns für dieses Buchformat entschieden.

Empfehlung der Redaktion

2023 | Buch

Eignungsdiagnostische Interviews

Standards der professionellen Interviewführung

Eignungsdiagnostische Interviews sind ein wesentliches Instrument, wenn es darum geht, die Eignung oder das Potenzial von Personen zu bestimmen. 

Wie gehen Personalabteilungen, die erstmals auf diese Methodik bei der Personalauswahl setzen wollen, am besten vor?

Susanne Schulte: Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, sollten die Personalabteilungen versuchen, die Systematik eines strukturierten Interviews zu verstehen. Diese setzt bei der Bestimmung der Anforderungen an, entwickelt daraus das Anforderungsprofil und dieses wiederum spiegelt sich in der Stellenausschreibung wieder. Die Überlegung, wie sich die gesuchten Anforderungskriterien am besten identifizieren lassen, führt dann direkt zum passenden Auswahlinstrument. Dabei lässt sich das Interview gut um eine Übung, ein Test, eine Präsentation oder ein Rollenübung erweitern. Die Interviewführung muss ebenso wie die Beobachtung und Beurteilung geübt werden. Zu empfehlen ist hier eine grundlegende Qualifikation der Akteure.

Heute verstärken Organisationen häufig als erstes das Personalmarketing. Dies führt in der Regel auch zu mehr eingehenden Bewerbungen, was jedoch kein Garant für eine adäquate Stellenbesetzung ist. Weil sich Bewerberkohorten verändert haben, erhalten Arbeitgeber mehr Bewerbungen, die nicht so gut auf das gesuchte Profil passen oder von Bewerbenden, die nur den Markt testen. Deshalb müssen auch in Zeiten des Fachkräftemangels Auswahlverfahren möglichst treffsicher sein. Diesen Zusammenhang haben übrigens schon 1939 die Forscher Taylor und Russel in einer Formel festgehalten.

Unternehmen holen sich oft externe Unterstützung. Wie kann man dabei gute von unseriösen Anbietern unterscheiden?

Maren Hiltmann: Der größte Vorteil externer Unterstützung dürfte darin liegen, dass professionelle Eignungsdiagnostiker den gesamten Prozess kennen und moderieren können - von der Auftragsklärung bis zur erfolgreichen Ergebniskommunikation und das dafür notwendige Fachwissen mitbringen. Anbieter sollten Kenntnisse nachweisen können über die Qualifikation der Berater oder über Zertifizierungen (zum Beispiel Personenlizenzen der DIN 33430). Skepsis ist angebracht, wenn ein Vorgehen von der Stange vorgeschlagen wird oder ungeprüft vorhandene Konzepte und Tools eingesetzt werden sollen.

Eignungsdiagnostik kommt öfter bei der Besetzung von Positionen im Top-Management zum Einsatz. Unterscheiden sich eignungsdiagnostische Interviews für diese Zielgruppe von denen für andere Positionen?

Maren Hiltmann: Interviews werden in allen Zielgruppen geführt, leider noch zu oft ohne Fundierung. Interviews sind nur dann aussagekräftig, wenn sie auf die Anforderungen der Zielgruppe, die Zielposition und auf die Fragestellung angepasst sind, strukturiert durchgeführt und systematisch ausgewertet werden. Es macht also einen Unterschied, ob ich ein Interview zur Auswahl oder Potenzialanalyse einsetze - ob Auszubildende, Fachkräfte, Trainees, Führungskräfte im mittleren oder oberen Management interviewt werden und um welche konkrete Stelle genau es geht. Aus den unterschiedlichen Stellenanforderungen leiten sich die Themen für die verschiedenen Interviewfragen ab und auch die Wahl einer zielführenden Fragetechnik kann sich je nach Zielgruppe unterscheiden. Die Grundlogik jedoch, was ein gutes Interviewverfahren ausmacht, ist immer gleich. Wo Unterschiede relevant sind, darauf geht das Buch ein, vermittelt aber vor allem das Gemeinsame, das alle Interviews für eine gute Aussagekraft brauchen.

Sie thematisieren in Ihrem Buch auch Faking und Impression Management in Bewerbungsgesprächen als Problem. Welche Möglichkeiten bieten eignungsdiagnostische Interviews an dieser Stelle?

Maren Hiltmann: Wenn Menschen ihre Schokoladenseite zeigen, nennen wir das Impression Management. Das Ganze kippt, wenn bewusst gelogen wird. Dann sprechen wir von Faking. Und dies passiert häufiger als man denkt. Die Ursachen können in der Persönlichkeit des Interviewten oder in der Günstigkeit der Auswahlsituation liegen. Um den Effekten von Faking entgegen zu wirken, kann insbesondere ein qualitativ hochwertiges Interview mit tätigkeitsrelevanten Fragen empfohlen werden. Allgemein hilft ein hoher Strukturierungsgrad, um unerwünschte Effekte auf beiden Seiten zu mindern - wie eben beispielsweise Faking oder auch unbewusste Stereotype bei den Beobachtenden.

Die Personalauswahl wird immer digitaler. Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Kandidatenauswahl und wo stößt sie gegebenenfalls an Grenzen?

Susanne Schulte: Dies ist ein Forschungsgebiet, auf dem wir noch lange neue Entwicklungen erwarten. Während Bewerbermanagementprogramme schon lange den operativen Prozess der Kandidatenauswahl erfolgreich unterstützen, wird auch die Auswahldiagnostik selbst immer digitaler. Dies ist an vielen Stellen hilfreich, jedoch noch nicht immer zielführend. Wenn Diagnostiker und Programmierer gemeinsam Tools entwickeln, birgt dies große Chancen. Bedeutsam ist, dass neue Ansätze kritisch beleuchtet und in Studien geprüft werden. Daher sind Verfahren, die mit einem geheimen Algorithmus arbeiten, aus diagnostischer wie auch juristischer Sicht derzeit nicht akzeptabel.

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