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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

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Zusammenfassung

Reale Subjektivierung von Lohnarbeit geschieht dort wo Ansprüche und Entsprechungen aufeinandertreffen – sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite. Der Strukturwandel in der Arbeitswelt bedingt an vielen Stellen das Einbringen subjektiver Potenziale in den Lohnarbeitskontext. Oft kommen die Arbeitssubjekte diesen Anforderungen nach. Welche Potenziale genau eingebracht werden ist jedoch uneindeutig und ob dies immer freiwillig geschieht oder andere strukturelle oder persönliche Gründe dazu führen, ist zumindest zu hinterfragen. Ideologisierte Subjektivität scheint zumindest auf der Ebene der Akzeptanz entgrenzter und subjektivierter Bedingungen auch eine Rolle spielen zu können. Die postfordistische Arbeitsorganisation erfordert ebenfalls viele verschiedenen Arten von Subjektivität – welche Arten in welchem Ausmaß ist empirisch allerdings auch hier noch nicht festzustellen. Ob die Arbeitssubjekte diesen Anforderungen immer entsprechen oder ihnen gar stets in einer passiven Opferrolle nachkommen, ist in Anbetracht empirisch zu beobachtender Widerstandsbewegungen ebenfalls fraglich. In Bezug auf die Einforderungsthese der Arbeitssubjektivierung scheint es so, dass sich v. a. höher- und hochqualifizierte Arbeitnehmer mit ausreichender, existenzieller Absicherung eine solche Anspruchshaltung auch ‚leisten‘ können. Die ideologisierte Subjektivierung, die auch die größten, weil subtilen Selbstausbeutungstendenzen beinhaltet, ist am schwierigsten, wenn nicht sogar unmöglich empirisch festzustellen. In der AIS muss dafür v. a. eine Verschränkung mit anderen Forschuungsdisziplinen stattfinden.

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Fußnoten
1
Einen Anstieg dieser Tätigkeiten sieht Reckwitz übrigens auch durch die Entstehung der neuen Mittelklasse selbst begünstigt, da diese die Erledigung ‚profaner‘ Tätigkeiten nun von einer neuen „Service Class“ ausführen lasse (Reckwitz, 2021, S. 279), die damit die „Ermöglichungs- und Hintergrundstruktur für den kulturellen Konsum“ (ebd., S. 124) biete. In die gleiche Richtung argumentiert auch der Soziologe Oliver Nachtwey, wenn er im Interview mit der ZEIT konstatiert: „Die Mittelschicht braucht Dienstboten“ (Baurmann, 2021). Kern und Schumann (1985 [1970]) stellten ebenfalls bereits in den 1970er Jahren eine ‚Polarisierung‘ der Arbeitstätigkeiten fest, deren Ursache sie aber eher in der zunehmenden Technisierung sahen. Diese führe neben der Schaffung von immer höher qualifizierten Tätigkeiten einerseits auch vermehrt zu inhalts- und anforderungsarmer, kurzzyklischer Restarbeit andererseits, die sich nicht effizient automatisieren ließe. Mittelqualifizierte Arbeit würde insgesamt hingegen abnehmen.
 
2
Den klassenbildenden Unterscheid zwischen neuer Mittel- und Unterklasse stellt lt. Reckwitz allerdings nicht der formale Bildungsgrad oder das Einkommen, sondern das sog. „kulturelle Kapital“ dar (ebd., S. 280). Dieses erweist sich v. a. in sozialen Beziehungen als nützlich und bringt somit Subjektivität mit sich, die am spätmodernen Arbeitsmarkt entscheidend ist (s. a. Assessment-Center → S. 67). Die neue Mittelklasse verfüge über hohes kulturelles Kapital.
Die fordistische Mittelschichtsgesellschaft mit ihren formalen Bildungstiteln versprach bei messbar guter Leistung zur Verbesserung der (Fach-)Arbeitskraft Chancengleichheit und Schichtdurchlässigkeit. Wer sich genug anstrenge und z. B. fleißig lerne, der schaffe den sozialen Aufstieg.
Wenn es heute aber darum geht, die auf dem postfordistischen Arbeitsmarkt hoch nachgefragten subjektiven Potenziale – also auch kulturelles Kapitel – zu ‚erlernen‘ bzw. sich „im Sinne einer Selbstoptimierung“ (ebd., S. 222) anzueignen, relativiert sich ein solches Aufstiegsversprechen: Pfeiffer (2004) betont, dass man sich diese Art von Arbeitsvermögen nämlich im gesamten Lebenskontext aneigne. Auch Baethge meint: „hoch nachgefragte kognitive Kompetenzen“ erlerne man v. a. individuell „in langen vorberuflichen Lernprozessen“ (1991, S. 269).
Bildungsprogramme wie ‚Lebenslanges Lernen‘ betonen deshalb die Notwendigkeit die eigenen Fähigkeiten stetig selbstständig weiterzuentwickeln. Ziel sei es die eigene ‚Employability‘ zu erhalten – die Fähigkeit und Bereitschaft wechselnde Beschäftigungsverhältnisse einzugehen (Minssen, 2019, S. 23). Dies wird auch politisch fokussiert: Im Jahr 2000 beschloss der Europäische Rat (2000) die sog. Lissabon-Strategie, die zum Ziel hatte die EU innerhalb von 10 Jahren zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Im Beschlussdokument heißt es zur Qualifikation der Beschäftigten: Es solle „festgelegt werden, welche neuen Grundfertigkeiten durch lebenslanges Lernen zu vermitteln sind: IT-Fertigkeiten, Fremdsprachen, technologische Kultur, Unternehmergeist und soziale Fähigkeiten“ (ebd. Pkt. 15, Hervorh. nicht i. O.). Weiter werde der Europäische Rat und die Kommission dazu aufgefordert die „Beschäftigungsfähigkeit“ (ebd. Pkt. 29) – also Employability – zu fördern.
Bei solchen Forderungen werde nun aber häufig übersehen, dass manche Fähigkeiten, wie z. B. kritische Distanz, Argumentationsfähigkeit oder die „Überwindung vertrauter Deutungsmuster und ihre Transformation“ (Arnold, 1999, S. 3) durch selbstgesteuerte ‚Bildung‘ gar nicht erreichbar seien. Mit Bezug auf Bourdieu weist Reckwitz darauf hin, dass kulturelles Kapital vielmehr einfach vom Herkunftsmilieu abhinge (ebd., S. 214) und sich innerhalb dieses auch implizit reproduziere.
Wenn arbeitsmarktentscheidende Subjektivität in einer Arbeitsgesellschaft vom Herkunftsmilieu abhängt und kaum selbstständig erlernbar ist, werden die sozialen Schichten undurchlässiger und das Aufstiegsversprechen kann nicht mehr eingelöst werden. Das soziale Schichtmodell wird somit zum Klassenmodell und soziale Ungleichheit über subjektive Persönlichkeitseigenschaften manifestiert: „Mangelnde habituelle und subjektive Anpassung und Selbstreflexion können Prozesse der Exklusion befördern und die sozialpsychologischen Rückkopplungen von Exklusions- und Scheiternserfahrungen befestigen schnell die Exklusion“ (Voswinkel, 2012, S. 311).
 
3
Es scheint, dass sie dadurch zwar die potenziellen Risiken und Gefahren einer subjektivierten Arbeitswelt zu spüren bekämen, aber nicht von ihren chancenreichen Selbstentfaltungspotenzialen profitieren könnten.
 
Metadaten
Titel
Reichweite
verfasst von
Friederike Glaubitz
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40806-0_7

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