Wie bereits erwähnt, kann die Umsetzung nachhaltiger Energieeffizienzmaßnahmen Aktivitäten zur Verringerung des Energieverbrauchs auf der Nachfrageseite, aber auch die Implementierung von Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz der bestehenden Systeme umfassen (Lun et al.
2020). Die vorherigen Abschnitte erläuterten die technologische Perspektive zur Steigerung der Energieverbrauchseffizienz. Dieser Abschnitt nimmt die Reduzierung des Verbrauchs auf der Nachfrageseite in den Blick. Schließlich deuten verschiedene wissenschaftlichen und praktischen Studien darauf hin (z. B. Masoso und Grobler
2010; Großklos
2016; Green with IT
2020; Lorenz et al.
2021), dass die Implementierung technologischer Lösungen alleine nur einen Bruchteil der potenziellen Einsparungen erreichen können, wenn sie (1) keine breite Nutzerakzeptanz erfahren und (2) nicht mit einer Verhaltensänderung auf Seite der Verbrauchenden einhergeht. Vor diesem Hintergrund bemüht sich der SECAI-Ansatz, sowohl eine breite Akzeptanz als auch nachhaltige Verhaltensänderungen bei den Bewohnenden zu erreichen.
3.3.1 Schaffung von Akzeptanz und Vertrauen
Um eine breite Akzeptanz von und Vertrauen in den SECAI-Ansatz zu sichern, berücksichtigt dieser, dass die Nutzerpräferenzen hinsichtlich der vorherrschenden Temperatur sehr heterogen und kontextabhängig sein können. Beispielsweise können abhängig von Aktivitäten der Nutzenden, Alter sowie kulturellem Hintergrund 20 °C als zu warm oder zu kalt empfunden werden. Vor diesem Hintergrund kann die Lösung von SECAI keine „one-size-fits-all-Lösung“ sein, da sonst die Bewohnerakzeptanz schnell verloren geht und die Lösung Subgruppen diskriminieren könnte. Die Vermeidung von Diskriminierung ist ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung von KI-Systemen (Kortum et al.
2022a) und nimmt im SECAI-Ansatz eine zentrale Rolle ein.
Um der Vielfalt der Bewohnenden und der Heterogenität des Wärmeempfindens und den Wärmevorlieben der Nutzenden Rechnung zu tragen, sieht SECAI vor, dass Nutzende optional nach dem Prinzip „human-in-the-loop“ (HITL) mit dem System interagieren können. Dabei sollen die Nutzenden Input an dem System liefern, aber auch Feedback und Informationen vom System erhalten. Im Kern sieht das HITL-Prinzip vor, dass Menschen und Maschinen zusammenarbeiten, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen. Im Rahmen des SECAI-Ansatzes können Bewohnende die Entscheidungen des Systems regulieren, Fehlanpassungen gegensteuern und so das Heizverhalten an das Wohlbefinden bzw. die jeweiligen Anforderungen anpassen. Das System soll wiederrum aus diesen Eingriffen in Form von direktem oder indirektem Feedback lernen können und sich weiter optimieren. Ebenfalls soll es sich durch Input hinsichtlich der präferierten Heizleistung in bestimmten Räumen selbstlernend justieren, um den Komforterwartungen der Nutzenden zu entsprechen. Dieses Lernverhalten verläuft iterativ über die Zeit, sodass immer weniger Eingriffe der Bewohnenden in das System erforderlich sind.
Obwohl eine Interaktion zwischen Nutzenden und System verschiedene Vorteile bringen kann (z. B. die Einbeziehung von Nutzerpräferenzen der Bewohnenden sowie die Steigerung der Qualität von Prognosen und Optimierungen), so soll diese Interaktion nicht notwendigerweise erforderlich sein. Das System soll auch ohne direkten Input der Nutzenden die Heizungssteuerung optimieren können. Dadurch stellen wir sicher, dass das System inklusiv ist und Vorteile für alle Nutzenden bringen kann, ungeachtet dessen Alter oder technologische Affinität.
Wohl wissend, dass die Akzeptanz des Systems nicht nur durch dessen Funktionalität bestimmt wird, sondern auch durch andere Faktoren wie z. B. Benutzerfreundlichkeit und Bedeutung für das tägliche Leben der Menschen, werden die Nutzende auch eng bei der Erhebung von Anforderungen an dem System eingebunden. Damit soll nicht nur ansprechende und intuitive Interaktionen zwischen Mensch und Maschine geschaffen werden, sondern auch Wege gefunden werden, um nachhaltige Verhaltensänderungen der Bewohnenden anzustoßen. Studien bekräftigen, dass Verhaltensänderungen ein ähnlich hohes Energiesparpotenzial wie technische Lösungen haben (z. B., Masoso und Grobler
2010).
3.3.2 Nachhaltige Verhaltensänderung durch passende Anreizmechanismen
Verhaltensänderungen haben großes Potenzial den CO
2-Verbrauch zu reduzieren, da Individuen aufgrund von Unwissenheit oder kognitiver Verzerrungen
1 dazu neigen Energie zu verschwenden. Nicht immer liegen die für ein energiesparsames Heizverhalten optimalen Temperaturbereiche im anfänglichen Wohlfühlbereich der Mietenden. Wenn diese es bspw. gewohnt sind, sich im Winter bei 25° in ihrer Wohnung im T‑Shirt aufzuhalten, werden sie nicht von allein die Temperatur auf 21° herunterregulieren. Analog kommt es vor, dass Nutzende, die aktiv im Haus unterwegs sind, die normalerweise als angenehm empfundene Temperatur punktuell als zu warm empfinden. So wird, anstatt den Pulli auszuziehen, schnell das Fenster geöffnet, um die Temperatur im Raum zu reduzieren. Dieses Verhalten führt zu Energieverschwendung, denn ohne eine Regulierung des Thermostats wird die kalte Luft, die durch das offene Fenster eintritt, dazu führen, dass die Heizung sofort wieder aktiviert wird. Diese zwei Beispiele illustrieren, wie die Bewohnende unbewusst Energie verschwenden. Daher bedarf es gezielter Anreize die Mietenden dazu bewegen, energieeffizientere Entscheidungen im Alltag zu treffen.
Auf Einzelpersonen ausgerichtete Anreize wurden in verschiedenen Forschungsumgebungen angewandt, darunter Konsumverhalten (z. B. Berger et al.
2020), nutzergenerierte Inhalte (z. B. Burtch et al.
2018) oder Online Social Sharing (z. B. Huang et al.
2019). Generell können individualspezifische Anreize finanzieller oder nicht-finanzieller Natur, positiv oder negativ ausgerichtet sein. Finanzielle Maßnahmen beruhen auf dem ökonomischen Prinzip, dass Individuen nutzenorientiert sind (Burtch et al.
2018). Die Prospect-Theorie legt nahe, dass Individuen einen Verlust höher bewerten als einen gleichwertigen Gewinn (Weinmann et al.
2016). Während der Grundgedanke finanzieller Anreize darin besteht, Einzelnen einen zusätzlichen Nutzen zu verschaffen, der zu einem bestimmten Verhalten motivieren könnte, beruhen Fehlanreize auf der Verlustaversion des Einzelnen.
Ähnlich wie finanzielle Anreize können auch nicht-finanzielle Anreize Individuen durch Belohnung oder Bestrafung zu einem bestimmten Verhalten motivieren. Sie bieten Einzelnen jedoch keinen wirtschaftlichen Nutzen, sondern andere Arten von Vorteilen, wie etwa eine Verbesserung des Selbstbildes. Somit beruhen auch nicht-finanzielle Anreize auf dem ökonomischen Prinzip des Nutzens, der das Verhalten des Einzelnen bestimmt (Simon
1955).
Eine andere Art von Anreizen, die auf individueller Ebene wirken, sind die sogenannten „Nudges“. Dabei handelt es sich um autonomieerhaltende Ansätze, die den Einzelnen in eine bestimmte Richtung lenken, aber immer noch die Freiheit lassen, eine von vielen verschiedenen Optionen zu wählen (Sunstein
2014). Der primäre Mechanismus, durch den Nudging das Verhalten Einzelner beeinflusst, besteht darin, die Wahlalternativen so zu gestalten, dass diese sich letztendlich wie gewünscht verhalten (Weinmann et al.
2016). Nudges sollen eine bessere Entscheidungsfindung unterstützen oder bestimmte Verhaltensweisen auslösen, die zu einem besseren Leben führen (Thaler und Sunstein
2003). In unserem Kontext geht es darum Bewohnende zu motivieren, ihr Verhalten und ihre Entscheidungen so zu ändern, dass Energieeinsparungen erreicht werden können.
Grundsätzlich kann das Nudging online und offline erfolgen. In unserem Kontext aber werden die oben genannten Anreize über die digitale Benutzeroberflächen des SECAI-Systems administriert. Die Verwendung von Gestaltungselementen in Benutzeroberflächen, die das Verhalten von Menschen in digitalen Entscheidungsumgebungen steuern, wird als
Digital Nudging bezeichnet (Weinmann et al.
2016). So kann beispielsweise ein User Interface für Mietende aufzeigen, welche Kleidungswahl in der Wohnung welche Energieersparnisse liefert. Diese Effekte können bspw. direkt in monetären Einheiten dargestellt werden, um so die Mietenden die Effekte bestimmter Entscheidungen aufzuzeigen.
Solche Anreizmechanismen können helfen, dass Mietende sich bewusst für ökologisch günstigere Alternativen entscheiden, ohne ihre Entscheidungsfreiheit und Autonomie einzuschränken. Dies hilft bei der Vermeidung von sogenannten Rebound-Effekten. Rebound-Effekte beschreiben das Phänomen, dass obwohl technologische Lösungen oder Änderungen im Verhalten darauf abzielen, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, diese in der Realität möglicherweise zu unerwarteten und sogar gegenteiligen Auswirkungen führen.
Beim Design passender Anreize zur Verhaltensänderung im Kontext von nachhaltigem Heizen sollte beachtet werden, dass Heizen ein halbjährlicher wiederkehrender Prozess ist. Durch die temporale Verschiebung der Heizperioden können die positiven Verhaltensweisen, die in einer Heizperiode erlernt wurden, in der nächsten Heizperiode wieder vergessen sein. Abhängig vom Individuum vergessen manche Bewohnende mehr, manche weniger, manche gar nicht. Deshalb ist es besonders wichtig Anreize zu entwickeln, die personalisiert sind (auch hinsichtlich Erinnerung und Reinforcement von positiven Verhaltensweisen). Schließlich können Anreize, abhängig von verschiedenen Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmalen, Einstellung zu Klimawandel oder Technologieaffinität für einzelne Individuen ungeeignet sein, um nachhaltig wirkende Verhaltensänderungen zu erwirken. Wenn beispielsweise die empfohlenen Maßnahmen zu sehr von den gewohnten Mustern einer Person abweichen, kann diese Person im besten Fall gar nicht und im schlimmsten Fall mit Rebound-Effekten auf die jeweiligen Anreize reagieren. Für die erfolgreiche Realisierung des SECAI-Ansatzes gilt es daher, geeignete Anreizmechanismen zu finden und zu evaluieren, um eine möglichst hohe Akzeptanz in der Umsetzung sowie nachhaltige Verhaltensänderungen zu erreichen.