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08.12.2016 | Behavioral Finance | Kolumne | Online-Artikel

Was Neurofinance mit uns macht

verfasst von: Prof. Dr. Christian Rieck

4 Min. Lesedauer

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Unser Gehirn arbeitet analog, und das ist keine gute Voraussetzung für Finanzaufgaben. Deshalb ist der Computer eine so hilfreiche Ergänzung, meint Professor Christian Rieck. Aber gilt das auch für künstliche Intelligenz?

Die Hardwareausstattung der Menschen ist das, was man in der Nerdszene als "underpowered" bezeichnen würde. Wir haben schlichtweg zu wenig Speicher- und Rechenkapazität, um zum Beispiel sehr große Zahlen im Detail dazustellen. Um trotzdem damit umgehen zu können, wenden wir einen einfachen Trick an und ändern einfach die Rechengenauigkeit. Nämlich je nach der absoluten Größe der Zahlen, mit denen wir gerade umgehen.

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Von der natürlichen über die künstliche zur Superintelligenz?

Die klassische KI‐Forschung orientiert sich an den Leistungsmöglichkeiten eines programmgesteuerten Computers, der nach der Churchschen These im Prinzip mit einer Turingmaschine äquivalent ist. Nach dem Mooreschen Gesetz wurden damit bis heute gigantische Rechen‐ und Speicherkapazitäten erreicht, die erst die KI‐Leistungen z. B. des Supercomputers WATSON ermöglichten.

Das lässt sich mit einem einfachen Experiment zeigen: Nehmen Sie zum Beispiel folgende Frage: Sie wollen einen Radiowecker kaufen, der in einem Supermarkt um die Ecke 30 Euro kostet. In diesem Augenblick bekommen Sie einen Prospekt in die Hand und sehen, dass der gleiche Wecker bei einem anderen Geschäft im Sonderangebot ist und dort fünf Euro weniger kostet. Das andere Geschäft ist aber 15 Minuten entfernt. Gehen Sie trotzdem hin? Nehmen Sie nun die gleiche Situation. Jetzt geht es aber nicht um einen Radiowecker, sondern um einen Großfernseher für 3.000 Euro, den es in dem anderen Geschäft für 2.995 Euro gibt. Gehen Sie dort hin? Stellt man diese Fragen an Probanden, dann sind signifikant mehr Personen bereit, beim Radiowecker den Weg auf sich zu nehmen, als beim Großbildschirm, obwohl die Ersparnis in beiden Fällen gleich hoch ist. 

Wie wir bei Finanzentscheidungen agieren

Dieses Verhalten ist die Folge unseres Datenkompressionsmechanismus. Dieser verlangt, dass die Ersparnis einen bestimmten Prozentsatz überschreiten muss, bevor wir ihn als lohnend erachten. Mathematisch betrachtet, arbeiten wir nicht mit den Original-Zahlenwerten, sondern mit deren Logarithmen. Das ist in den meisten natürlichen Situationen sehr clever. Übertragen auf den Finanzsektor führt es uns aber bei Finanzproblemen oft in die falsche Richtung. Es gibt sehr viele solcher Artefakte.

  • Wir behandeln zum Beispiel Verluste systematisch anders als Gewinne. Nicht nur, dass uns die Verluste mehr schmerzen, sie machen uns auch risikofreudig, wo wir normalerweise risikoscheu sind.
  • Wir lassen uns bei Schätzungen von vollkommen irrelevanten Größen beeinflussen, wie unserer eigenen Telefonnummer.
  • Wir werden panisch, wenn wir kurzfristige Schwankungen sehen und merken nicht, dass wir dadurch langfristig viel Geld verlieren.

Dies alles sind Folgen des Aufbaus unserer zentralen Recheneinheit im Gehirn, die für alles Mögliche optimiert ist, nur nicht für Finanzentscheidungen. Diese Fehler sind durch jahrzehntelange Forschung unter dem Begriff Behavioral Finance bestens dokumentiert, und inzwischen verstehen wir auch, wie die Prozesse im Gehirn physiologisch ablaufen, wofür sich der Name Neurofinance eingebürgert hat. Nur eines können wir nicht: intuitiv richtig handeln, selbst wenn wir die Fehler ganz genau kennen. Davor schützt uns auch unser Taschenrechner nicht. Deshalb ändern selbst Investmentprofis panisch ihre Strategie, wenn es auf den Märkten rauer als erwartet zugeht. Und Kleinanleger sind ohnehin dafür bekannt, dass sie am liebsten bei hohen Kursen kaufen und bei niedrigen verkaufen, allerdings ohne es richtig zu merken. Viele Assetklassen sind deshalb so beliebt, weil sie mit unseren psychologischen Defiziten besonders gut umgehen, nicht weil sie herausragende Renditen erwirtschaftet haben. Ein schönes Beispiel dafür sind Immobilien oder viele Versicherungsprodukte.

Was künstliche Intelligenz leisten kann

An dieser Stelle wird die künstliche Intelligenz ein- bzw. angreifen. Künstliche Intelligenz bei der Beratung hat – entgegen einer weitverbreiteten Vermutung – nicht die Aufgabe, die Zukunft vorherzusehen und damit eine bessere Portfolio-Performance abzuliefern. Sondern ihre Aufgabe besteht darin, Finanzentscheidungen so zu gestalten, dass wir besser mit ihnen leben können. Das kann zum Beispiel so geschehen, dass unsere freundlichen künstlichen Anlageintelligenzen in bestimmten Phasen aus Risikoanlagen herausgehen, selbst dann, wenn uns das im Erwartungswert Rendite kostet. Aber es bringt uns, dass wir besser schlafen und nicht versehentlich ganz aus dem Risiko aussteigen oder vergessen wieder einzusteigen.
Kurzum: Die eigentliche Aufgabe von Anlagerobotern wird künftig sein, uns vor uns selbst zu schützen. Genau wie es ein guter menschlicher Vermögensverwalter auch machen sollte. Nur dass der Roboter an keiner Stelle den typischen Fehlern unterliegt, die in den Menschenhirnen einprogrammiert sind. Denn der Roboter ist keine Vielzweckwaffe, sondern für genau diesen einen Zweck optimiert. Genau deshalb ist er in Vermögensfragen die viel bessere Ergänzung, als ein Mensch es jemals sein könnte. 

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