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21.10.2015 | Innovationsmanagement | Interview | Online-Artikel

"Industrie 4.0 hat ein Bekanntheits- und Verständnisproblem"

verfasst von: Andrea Amerland

5 Min. Lesedauer

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Deutschlands Manager müssen umdenken. Nur so können sie Digitalisierung und Industrie 4.0 meistern, so die Springer-Autoren Thomas Becker und Carsten Knop im Interview. Doch derzeit betreten viele digital noch unbekanntes Terrain.

Springer für Professionals: Studien zeigen, das deutsche Arbeitnehmer und Führungskräfte mit den Begriffen Digitalisierung und Industrie 4.0 wenig anfangen können und sich durch den digitalen Wandel überfordert fühlen. Hat man vergessen, die Mitarbeiter in der digitalen Transformation mitzunehmen?

Thomas Becker: Wir müssen zwischen einer möglichen Überforderung durch ständige Erreichbarkeit und der digitalen Transformation unterscheiden. Auch die Führungskräfte stehen hier noch am Anfang. Da man nicht auf Erfahrungen der Vergangenheit zurückgreifen kann, wird das Thema Digitalisierung oft mit IT-Begriffen wie Big Data, Analytics oder Cloud gleichgesetzt. Thomas Becker, Mitherausgeber, leitet aus den Beiträgen unseres Buches "Digitales Neuland" drei Empfehlungen für eine erfolgreiche digitale Transformation ab: "Die technologische Infrastruktur muss zwingend gegeben sein. Zudem ist es für die einzelnen Marktteilnehmer unabdingbar, eine Analyse zu starten, welche disruptiven Geschäftsmodelle das Unternehmen morgen gefährden können. Last but not least liegt eine Herausforderung darin, andere Managertypen zu gewinnen, die in der Lage sind, künftige Geschäftsmodelle zu bewerten, aufzubauen und zu verantworten."

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Unser Wohlstand hängt von der Digitalisierung ab, sagt Angela Merkel. Aber gibt es genügend Fachkräfte und Führungskräfte, um Industrie 4.0 und das Internet der Dinge bewältigen zu können?

Thomas Becker: Die Digitalisierung hat und wird auch in Zukunft zweifelsfrei neue Berufsbilder entstehen lassen. Das Thema bezieht sich auf alle Unternehmensbereiche und organisatorischen Ebenen – beginnend mit dem Aufsichtsrat, über den Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführung und alle darunterliegenden Managementebenen. Es entstehen neue Berufsbilder, wie der Chief Digital Officer, der Chief Analytics Officer oder der Chief Digital Marketing Officer. Unternehmen stehen in Deutschland noch immer am Beginn des Umbaus. Jetzt gilt es, die jeweiligen Unternehmensbereiche auf allen Ebenen auf Industrie 4.0 vorzubereiten. Wir erleben schon bald einen 'war for talent'; das heißt, die Nachfrage nach digital ausgebildeten Managern und Mitarbeitern wird weitaus größer sein als das Angebot.

Welchen Typ Manager braucht die Digitalisierung?

Thomas Becker: Der neue Managertyp, der erfolgreich digitale Transformation verantwortet und umsetzt, vereint in sich Persönlichkeitsmerkmale und Managementfähigkeiten, die sich eindeutig von denen eines klassischen General Managers abheben. Er muss in einer anderen Liga spielen, da er scheinbar gegensätzliche Führungsansätze in sich vereinen und flexibel nutzen können muss, um wirklich die Transformation anzuführen. Höchste Ausprägungen bezüglich Intellekt, Durchsetzungsstärke, Führung, Aggressivität – im positiven Sinne – und Empathie muss er in einer Art 'Kür' miteinander verknüpfen. Üblicherweise zeigen sich diese nur in Einzelaspekten von Führungskräften. Er ist damit ein richtungsweisender Hybrid aus sich zum Teil widersprechenden Merkmalen. Manager mit stark ausgeprägter Digitalkompetenz sind also fundamental andere Persönlichkeiten und bringen ein anderes Skill Set in ihre jeweilige Organisation ein. Daher sprechen wir heute neben der Bedeutung des IQ und des EQ auch von der Wichtigkeit des DQ (Digital Quotient).

Bei Industrie 4.0-Projekten soll es an Software-Entwicklungs-Methodik mangeln. Es wird viel Planung in die Maschine, aber nicht in die Software gesteckt. Hat Industrie 4.0 in Deutschland ein Qualitätsproblem?

Carsten Knop: Nein, von einem Qualitätsproblem möchte ich nicht sprechen. Industrie 4.0 hat ein Bekanntheits- und Verständnisproblem, das beginnt und endet bei den wichtigen technischen Fragen rund um die Standardsetzung. Der Punkt klingt in den Ohren eines Laien sehr langweilig, letztlich entscheidet er aber über alles. Wie greifen die verschiedenen Wertschöpfungsketten in der digitalen Welt ineinander, wie werden die Daten übergeben, wer soll die Standards bestimmen? Gremien, in Deutschland, internationale Organisationen, der Markt? Hinzu kommt, dass die Übertragungsgeschwindigkeit in den deutschen Telekommunikationsnetzen nicht hoch genug ist. Wenn es darum geht, mithilfe des Netzes ein Unternehmen in Echtzeit zu führen, wozu die Softwareprogramme und ihre Datenbanken inzwischen in der Lage wären, liegt in der Kommunikations-Infrastruktur in Deutschland viel zu viel im Argen. Hier gibt es tatsächlich ein Qualitätsproblem.

Der Transformationsprozess ist die eine Sache – die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle eine andere. Kann die vorwiegend mittelständische deutsche Industrie bei Innovationen mit der internationalen Konkurrenz mithalten?

Carsten Knop: Selbstverständlich kann sie das, wenn sie die Chance ergreift, die in der Digitalisierung steckt. Gerade hier geht es nämlich nicht um Größe, sondern darum, welche Geschäftsmodelle man daraus entwickelt, dass man nicht nur vertikal im eigenen Unternehmen Zugriff auf alle Daten hat, sondern eben auch horizontal über die Grenzen der eigenen Branche hinweg. In diesem Punkt allerdings haben fast alle Unternehmen in Deutschland noch Nachholbedarf, gleichgültig, ob es sich um einen Weltkonzern oder ein mittelständisches Unternehmen handelt. Anders formuliert: Auch ein kleiner Handwerksbetrieb kann vom Wandel der Wirtschaft hin zur Industrie 4.0 profitieren. Er muss nur die richtige Idee haben.

Welche Rolle spielen digitale Kundendaten, also Big Data, für Erfolg und Entwicklung von Smart Services und digitalen Geschäftsmodellen?

Carsten Knop: Sie sind die Grundlage, der Anfang von allem. Ohne eine möglichst umfassende Datenerhebung, nach Möglichkeit in Echtzeit, wird es nicht gehen. Das wirft natürlich Fragen rund um das Thema Datenschutz auf und muss deshalb entsprechend sensibel angegangen werden. Grundsätzlich gilt, dass die Kunden stets selbst entscheiden können müssen, ob sie Daten preisgeben wollen oder nicht. Das nennt man dann 'opt-in'. Hinzu kommt, dass man jederzeit darüber Auskunft bekommen muss, welche Daten beim Unternehmen gespeichert sind, bis hin zur Möglichkeit der Löschung. Dass das Unternehmen dann so gut schützen muss, wie es nur geht, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

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