Skip to main content

10.04.2013 | Medien | Interview | Online-Artikel

"Verlage befinden sich in einem kritischen Lock-in"

verfasst von: Andrea Amerland

4:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Verlage haben ihre Krise mit verursacht und die Gratismentalität im Web befördert. Wenn sie mit Paid Content in der digitalen Welt überleben wollen, müssen sie endlich handeln, so Wasko Rothmann von der Viadrina im Interview.

Springer für Professionals: Die Zeitungsbranche befindet sich in einer Krise. Print stirbt, heißt es. Sie haben in einer sozialwissenschaftlichen Studie analysiert, wie sich die überregionalen Qualitätszeitungen bisher durch die Krise bewegt haben. Sie sprechen dabei von einer kritischen Pfadabhängigkeit. Was heißt das?

Dr. Wasko Rothmann: Kurz gesagt heißt das, dass Verlage mit strategischen Mustern arbeiten, die ihre Erfolgsgeschichte inzwischen hinter sich haben. Im Kern geht es dabei um das Traditionsmodell der Zeitung, mit einem strategischen Werbemarktfokus zugunsten von Reichweite und Markenstärke den Preis für Leser möglichst niedrig zu halten. Die ursprünglichen Erfolgsvoraussetzungen dieses Modells haben sich seit 2001 stark verändert. Dennoch basieren die meisten der durchaus kreativen Innovationen der Branche auf diesem Modell und konnten die Situation für den Qualitätsjournalismus so nicht wesentlich verbessern. Gleichzeitig nehmen die Verlage kaum Alternativen für grundlegende Veränderungen wahr – sie befinden sich in einem kritischen Lock-in.

Zeitungen wird oft vorgeworfen, die Chancen der Digitalisierung nicht erkannt und genutzt zu haben. Kommt Ihre Studie auch zu diesem Ergebnis?

Zunächst muss man klar anerkennen, dass die Verlage zuletzt alles andere als untätig waren. Alle in der Studie betrachteten Qualitätszeitungen sind mit teils sehr innovativen Angeboten in der digitalen Welt vertreten.
Und doch sind sogar die Verlage selbst der Meinung, dass sie große Chancen der Digitalisierung verpasst haben. Dabei wird hauptsächlich auf eine Phase vor 2001 verwiesen und beklagt, man sei anfänglich zu passiv gewesen, habe etwa das Potenzial von digitalen Rubrikenmärkten – wie Stellen- oder Immobilienplattformen – nicht früh genug erkannt. Doch hierin liegt nicht die vertane Chance des Qualitätsjournalismus. Immobilienscout, Monster.de & Co. investieren aus gutem Grund nicht in Journalismus, denn Rubrikenmärkte funktionieren im Internet auch sehr gut ohne kostspielige journalistische Marken.

Diese Studie verweist auf einen anderen Punkt: Im Printkontext waren die Verlage aufgrund hoher Produktionskosten (Papier, Druck und Vertrieb) stets darauf angewiesen, die Zeitung für den Leser "zu subventionieren“. Im Digitalen fällt ein Großteil dieser Kosten nicht an. Würden Leser heute einen ähnlichen Betrag für digitalen Qualitätsjournalismus bezahlen, wie um 2000 für die gedruckte Zeitung, so wäre dadurch ein großer Teil der Kosten gedeckt und das journalistische Angebot kaum mehr abhängig von den turbulenten Entwicklungen des Werbemarktes. Die vertane Chance liegt also eher darin, die günstigen technologischen Entwicklungen nicht dazu genutzt zu haben, digitale Qualitätsprodukte zu entwickeln, die sich hauptsächlich über den Leser refinanzieren.

Es geht also vor allem um strategische und unternehmerische Fehler, die Verlage in die Krise geführt haben?

Es gibt viele Studien, die zeigen, dass auch journalistisch im Zuge der Digitalisierung nicht alles optimal gelaufen ist. In dieser Untersuchung wird aber insbesondere deutlich, dass auf der journalistischen Seite nicht die alleinige Verantwortung für das bisherige Scheitern des digitalen Qualitätsjournalismus liegt. In Verlagen entscheiden hauptsächlich Manager und nicht Journalisten über die Budgets sowie die Nutzung und Erschließung von Erlösquellen. Der Hauptfehler in Bezug auf den täglichen Qualitätsjournalismus liegt unternehmerisch gesehen darin, dass man sich seit Beginn der Krise fast ausschließlich darauf konzentriert hat, digitale Anzeigenmärkte aufzubauen oder zurück zu gewinnen. Dafür war man letztlich bereit, ein Qualitätsprodukt an die Leser zu verschenken. Hierbei hat man einerseits in Kauf genommen, dass die Qualität sinkt, wenn in Krisenzeiten die Anzeigenerlöse wegbrechen – ein Paradox, denn in Krisenzeiten steigt eigentlich das Bedürfnis der Menschen nach fundierter Einordnung. Andererseits hat man die Leser daran gewöhnt, journalistische Produkte gratis zu nutzen. Die sogenannte "Gratiskultur“, die Verlage heute monieren, haben sie weitestgehend selbst erschaffen und befeuern sie noch immer, denn Verlage verstehen sich jenseits der Redaktion traditionsgemäß als Unternehmen, die auf Werbemärkten agieren. Gesellschaftliche Qualitätsbedürfnisse sind also in gewisser Hinsicht aus dem strategischen Blick der Verlage geraten.

Ihre Prognose: Hat Qualitätsjournalismus im digitalen Kostenlos-Zeitalter noch eine Chance?

Haben wir den Anspruch, eine Wissensgesellschaft zu sein, kann es zumindest den Qualitätsjournalismus im Digitalen nicht gratis geben. Ob es ein Kostenlos-Zeitalter bleibt, entscheiden die Verlage jedoch selbst mit. Niemand kann erwarten, dass Leser Zahlungsbereitschaft für Produkte entwickeln, die ihnen die Verlage bereitwillig gratis anbieten. Dass durchaus Spielraum für digitale Lesererlöse, also Paid Content, besteht, dessen Entwicklung jedoch am dominanten Werbemarktinteresse der Verlage scheitert, kann die Studie aufzeigen. Wo Anzeigenprodukte und Journalismus zu Print-Hochzeiten von einander profitiert und ein gemeinsames Produktkonzept ergeben haben, benötigen Verlage im Digitalen getrennte Konzepte für beides. Täglicher Qualitätsjournalismus, der diese Bezeichnung auch verdient, wird nur dann eine Chance haben, wenn die Verlage ihren strategischen Fokus für journalistische Produkte stärker auf den Lesermarkt richten, dazu wieder beginnen in die eigentliche Differenzierungsleistung "Qualität“ zu investieren und diese digital konsequent zu verkaufen. Mit den vorhandenen Managementstrukturen waren solche Ansätze bisher jedoch kaum zielführend diskutierbar. Verlage haben durchaus das Potenzial, ihren Qualitätsjournalismus zu retten. Doch die Art, wie z.B. die Paid-Content-Debatte bislang geführt wurde, lässt begründbare Zweifel aufkommen, ob sie das tatsächlich wollen.

Lesen Sie auch:

Die Zeitung ist tot. Lag lebe die Zeitung
Zeitungssterben: Letzte Chance Tablet?

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen