Die Pfründe der privaten Krankenversicherer sind gesichert. Nach einem Jahrzehnt Rechtsstreit hat das Bundessozialgericht die als Wahltarife deklarierten Zusatzversicherungen gesetzlicher Krankenkassen für unzulässig erklärt.
Zusatzversicherungen bleiben das angestammte Metier von Privatversicherern. Im endgültigen Entscheid des Bundessozialgerichts (BSG) Kassel ist es gesetzlichen Krankenkassen am konkreten Exempel der AOK Rheinland/Hamburg untersagt, freiwillige Zusatzleistungen anzubieten, die in Konkurrenz zu den Angeboten der Privatversicherer stehen. In einem weiteren Urteil untersagt das Gericht der AOK darüber hinaus, Vergünstigungen bei bestimmten privaten "Vorteilspartnern" anzubieten.
Gesetzliche wildern im Revier der Privatversicherer
Demnach haben Unternehmen der privaten Krankenversicherung Anspruch darauf, "dass gesetzliche Krankenkassen das Bewerben und Anbieten von in ihrer Satzung geregelten Wahltarifen für Gestaltungsleistungen wie besonderen Auslandskrankenschutz unterlassen, soweit sie dadurch ohne gesetzliche Ermächtigung ihren Tätigkeitskreis erweitern […]."
"Indem der Gesetzgeber selektiv und abschließend den Krankenkassen ermöglicht, zusätzliche freiwillige Leistungen in ihren Satzungen vorzusehen, schützt er zugleich die Unternehmen der Privaten Krankenversicherung vor anderen, nicht von ihm autorisierten Marktzutritten", heißt es in der Begründung. So ermächtige die gesetzliche Ermächtigung zum Wahltarif 'Kostenerstattung' nicht zu einer Ausdehnung des Leistungskatalogs, sondern lediglich zu einem Wahltarif mit einer höheren Kostenerstattung. Wahltarife für Zahngesundheit und häusliche Krankenpflege beispielsweise müssten als Leistungserweiterungen für alle Versicherten einer Krankenkasse möglich sein, die den allgemeinen Beitrag abgegolten haben. Springer-Autor Ron Müller bekräftigt in seiner Erörterung "Einheitskrankenkasse — gangbarer Weg für die gesetzliche Krankenversicherung?" (Seite 513)
Es bleiben damit Wahltarife als dritte Option. Doch auch diese sind nicht durchweg positiv zu bewerten. Befürworter sehen in ihnen eine Chance zur Verbesserung des Gesundheitssystems. Kritiker hingegen (und diese kommen aus allen politischen Lagern und auch von Vertretern der gesetzlichen Krankenversicherungen) sehen das Solidaritätsprinzip systematisch untergraben und zeigen Haushaltsrisiken auf."
Private KV begrüßt die Entscheidung
Im Zuge des sogenannten GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes hatte die AOK Rheinland/Hamburg ihre Wahltarife 2007 eingeführt. Im Leistungsspektrum enthalten waren Tarife mit Kostenerstattung für eine Krankenbehandlung im Ausland, für Zuzahlungen sowie Ein- oder Zweibettzimmer im Krankenhaus, Zahnersatz und Zahnvorsorgeleistungen, kieferorthopädische Leistungen, Brillen sowie für ergänzende Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Bis 2018 waren rund 500.000 Versicherte in einem oder mehreren dieser Wahltarife versichert. Derweil hatten die privaten Versichungsunternehmen dennoch wenig Grund zur Klage. Für das Jahr 2018 zählte der Verband der Privaten Krankenversicherer (PKV) beispielsweise 343.000 neue Zahnzusatzversicherungen. Dies entspricht einem Plus von 2,2 Prozent auf gut 16 Millionen private Zusatzversicherungen.
Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV), äußert sich erfreut über das abschließende Gerichtsurteil. Er bezeichnet die strittigen Wahltarife als "systemfremd in der GKV und ein Übergriff in den funktionierenden privatwirtschaftlichen Zusatzversicherungsmarkt." Für Reuther schütze die Entscheidung auch Verbraucherinteressen. Krankenkassen könnten einen Wahltarif jederzeit schließen, wodurch für die GKV-Versicherten der entsprechende Versicherungsschutz ersatzlos entfalle. Dies sei bei einer PKV-Zusatzversicherung nicht möglich.