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16.12.2013 | Wasserwirtschaft | Interview | Online-Artikel

Arzneimittel im Trinkwasser

verfasst von: Günter Knackfuß

5:30 Min. Lesedauer

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Im Leitungswasser werden immer wieder Reste von Arzneimitteln gefunden. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft setzt sich für ein verpflichtendes Sammelsystem für Altmedikamente ein. Wir sprachen mit Martin Weyand, Mitglied der Geschäftsführung.

Im Leitungswasser werden immer wieder Reste von Antibiotika, Schmerzmitteln und Hormonen gefunden. Doch Medikamente sind notwendig und finden sich in fast jedem Haushalt. Das Problem: Bis zu 70 % eines eingenommenen Medikaments scheidet der Mensch wieder aus – und alte Arzneimittel werden häufig einfach in der Toilette entsorgt. Das führt zur Belastung des Trinkwassers. Der BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft setzt sich für ein verpflichtendes Sammelsystem für Altmedikamente ein.

Springer für Professionals: Wie gelangen die Medikamentenreste ins Leitungswasser?

Martin Weyand:

Laut Umweltbundesamt geben die Spuren von Arzneimittelresten, die in deutschen Trinkwässern gefunden werden, aufgrund ihrer extrem geringen Konzentrationen heute keinen Anlass zur Besorgnis. Um die hohe Qualität des Trinkwassers auch für die Zukunft zu sichern, muss aber das Verursacher- und Vorsorgeprinzip gestärkt werden. Einige nützliche Produkte, die für unser Leben unverzichtbar scheinen, haben mitunter unerwünschte Nebenwirkungen. Dies gilt ganz besonders für Arzneimittel. Viele Arzneimittel sind im Wasser gut löslich und gleichzeitig langlebig in der Umwelt. Sie können deshalb als Spurenstoffe gerade in Wasserkreisläufen sehr lange verharren. Arzneimittel und ihre Abbauprodukte verlassen unseren Körper auf natürliche Weise, einige passieren die Kläranlagen und gelangen so in die Oberflächengewässer. Auch von Feldern, auf die mit Tierarzneimitteln belasteter Wirtschaftsdünger ausgebracht wird, können ebenfalls Arzneimittelspuren in das Grundwasser gelangen. Verglichen mit den im Handel zirkulierenden Mengen sind die Konzentrationen allerdings sehr gering und geben keinen Anlass zur gesundheitlichen Besorgnis.

Warum können viele Kläranlagen keine Medikamentenrückstände eliminieren?

Spurenstoffe aus dem Wasser wieder zu entfernen, ist technisch und energetisch sehr aufwändig. Deshalb sind Maßnahmen seitens aller Beteiligten zur vorsorglichen Minderung der Einträge dieser Stoffe in die Umwelt weiterhin notwendig.
Die Einträge von Pharmaka müssen in erster Linie an der Quelle vermieden und nicht aufwändig in Kläranlagen herausgeholt werden. Hier werden die Abwasserentsorger und Wasserversorger leider immer noch als eine Art Reparaturbetrieb angesehen: Sie sollen die Probleme von Wasser-Verunreinigungen lösen, für die sie nicht verantwortlich sind. Stattdessen muss auf Grundlage des Verursacher- und Vorsorgeprinzips an der Quelle der Belastungen angesetzt werden. Bisher wird die pharmazeutische Industrie in Deutschland weder bei der Entsorgung von Altmedikamenten noch bei Schäden an der Umwelt, die durch Arzneimitteleinträge entstehen, in Verantwortung genommen. Der BDEW setzt sich daher für ein verpflichtendes Sammelsystem für Altmedikamente ein. Das Bewusstsein für diese Problematik ist in den vergangen Jahren leider zurückgegangen. Wir halten es auch für notwendig, dass man bei Röntgenkontrastmitteln und Arzneimitteln Maßnahmen bei Indirekteinleitern - wie zum Beispiel den Krankenhäusern und Spezialkliniken - durchführt. Notwendig ist darüber hinaus eine umfassende Umweltrisikobewertung für Human- und Tierarzneimittel mit einer direkten Rückkopplung zur Zulassung.

UBA-Forscher haben bislang 23 Arzneiwirkstoffe im Trinkwasser nachgewiesen. Wie schädlich sind diese Reststoffe?

Durch die immer weiter verfeinerten Messtechniken können heute kleinste Stoffspuren ohne gesundheitliche Relevanz gemessen werden. Dies war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Arzneimittelwirkstoffe sind derzeit aber kein Problem im Trinkwasser. Gleichzeit ist es so, dass der Arzneimittelabsatz und -verbrauch in Deutschland kontinuierlich steigt. Umso wichtiger ist die Umsetzung eines qualifizierten Rücknahmesystems.

Welche Maßnahmen sollten deshalb eingeleitet werden?

Die neue Bundesregierung sollte es sich zu ihrer Aufgabe machen, die in Deutschland sehr hohe Trinkwasserqualität auch für die Zukunft sicherzustellen. Deshalb ist eines unserer zentralen Anliegen eine gesetzliche Regelung zur fachgerechten Entsorgung von Altmedikamenten. Wir fordern eine verpflichtende Einführung eines bundesweit einheitlichen Sammel- beziehungsweise Rücknahmesystems für Altmedikamente. Dabei sollte die Rücknahme von Altmedikamenten so leicht wie möglich gemacht werden. Zudem ist eine Verankerung der fachgerechten Entsorgung im Arzneimittelgesetz mit Produktverantwortung der Hersteller und damit die Umsetzung europäischen Rechts erforderlich. Bis 2009 bestand bereits ein bundeseinheitliches Sammelsystem für Altmedikamente. Dieser Ansatz sollte reanimiert und ausgebaut werden, so dass eine echte bundeseinheitliche Regelung möglich ist. Nur so kann der Gefahr einer Gewässerverunreinigung durch Medikamente vorgebeugt werden.

Gibt es bereits Verfahren und Beispiele, um die Arzneireste zu entfernen?

Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg testen zum Beispiel bereits Verfahren, um Brauchwasser optimal von Spurenstoffen wie Arzneimitteln zu befreien. Es geht dabei unter anderem um eine gezielte Filterung mit Aktivkohle oder einen beschleunigten Abbau langlebiger Stoffe durch Ozon. Klar ist aber: Selbst mit einer weiteren Reinigungsstufe wäre es technisch nicht möglich, alle Stoffe herauszufiltern. Bei einer solchen weiteren Reinigungsstufe, zum Beispiel beim Verfahren einer Ozonierung, könnten zudem neue Abbaustoffe entstehen, die dann in die Gewässer gelangen würden. Deshalb setzt sich der BDEW so vehement für das Verursacher- und Vorsorgeprinzip ein.

Wie ist eigentlich die Gesetzeslage bzgl. des Umgangs mit Medikamentenresten im Wasser?

Die deutsche Trinkwasserverordnung gehört zu den weltweit strengsten Gesetzeswerken für ein Lebensmittel. Die darin enthaltenen Grenz- und Richtwerte gewährleisten, dass das Trinkwasser ohne gesundheitliche Risiken in unbegrenzter Menge ein Leben lang getrunken werden kann. Diese Vorgaben gelten auch für Medikamente. Ein zuverlässiges und belastbares Analyseergebnis ist unerlässlich. Die Trinkwasserverordnung schreibt vor, dass Entnahme und Messung nur durch ein akkreditiertes Labor bzw. akkreditierte Personen erfolgten darf. Die Befundbewertung erfolgt durch Gesundheitsbehörden mit unabhängig anerkannten Fachleuten. Oberstes Ziel des BDEW ist die Erhaltung der hohen Trinkwasserqualität und des umfassenden Gewässerschutzes. Daher gilt: Vorsorge beim Gewässerschutz statt Reparatur im Wasserwerk oder in der Kläranlage. Ziel ist, den Eintrag von Arzneimittelwirkstoffen in Gewässer so weit wie möglich zu vermeiden.

Wie beurteilen sie die Problemlage in der Europäischen Union?

Im Rahmen des "Blueprint Water" hat die Europäische Kommission Ende 2012 den aktuellen Stand der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in den Mitgliedstaaten zusammengefasst. Hier sind große Defizite zu erkennen: Bei etwa 15 Prozent der Oberflächenwasserkörper in der EU wird der ökologische Zustand und bei etwa 40 Prozent der chemische Zustand als "unbekannt" gemeldet. In einigen Mitgliedstaaten gilt dies sogar für über 50 Prozent der Wasserkörper. Als gravierendste Probleme für die Gewässer werden die hydromorphologische Belastung, die Verschmutzung und die Übernutzung genannt. Aus über 90 Prozent der Bewirtschaftungspläne geht laut Europäischer Kommission zudem hervor, dass die Landwirtschaft ein erheblicher Belastungsfaktor für die Einzugsgebiete ist, unter anderem aufgrund diffuser oder punktueller Verschmutzung durch organische Substanzen, Düngemittel, Pestizide und hydromorphologische Auswirkungen.

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