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22.04.2022 | Steuerrecht | Nachricht | Online-Artikel

Tübingen kämpft um Verpackungssteuer

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly, Hans-Ulrich Dietz

3:30 Min. Lesedauer

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Der Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg hat Ende März die Tübinger Steuer auf Einwegverpackungen in der Gastronomie gekippt. Die Stadt betrachtet den Fall nicht als abschließend geklärt und prüft die Revision.

Mit ihrem Vorstoß wollte die baden-württembergische Universitätsstadt nicht nur Einnahmen für den städtischen Haushalt generieren, sondern auch die fortschreitende Vermüllung durch die im öffentlichen Raum entsorgten "To go"-Verpackungen reduzieren. Die Hoffnung von Verwaltung und Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne): Die Gastronomen geben mittelfristig Mehrwegsystemen den Vorzug.

Die Tübinger Satzung sieht vor, dass die Endverkäufer, die die Speisen zum Sofortverzehr oder zum Mitnehmen ausgeben, für jede Einwegverpackung und -Geschirrteil 50 Cent berappen müssen, für jedes Einwegbesteck-Set 20 Cent. Ziel ist es, den Mehrbetrag auf die Endkunden umzulegen oder auf Mehrweg umzustellen.

Steuerlast trägt verkaufender Gastronom

Gegen diese Verpackungssteuersatzung strengte die Tübinger Frenchise-Nehmerin der Fast-Food-Kette "McDonald's" eine sogenannte Normenkontrollklage an und erhielt von den Mannheimer Richtern recht. Die Klägerin berief sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998. Das stellte seinerzeit fest, dass eine von der Stadt Kassel 1991 eingeführte Verpackungsteuer auf Einwegverpackungen gegen das damals geltende Abfallrecht des Bundes verstieß. 

Zudem verletze die Tübinger Verpackungsteuer ihre Berufsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetzt, trug die Betreiberin vor. Sie könne die Steuer nicht an die Kunden weitergeben, da diese entsprechende Preissteigerungen nicht akzeptieren und dann zu einem anderen Restaurant der Kette etwa im benachbarten Reutlingen ausweichen würden.

VGH moniert fehlende Kompetenz

Die Richter des Verwaltungsgerichtshofes (VGH) stellten in ihrer Entscheidung (Aktenzeichen: 2 S 3814/20) fest, dass der Stadt "bereits die Kompetenz zur Einführung der Verpackungsteuer fehlt". Diese sei nach ihrem Tatbestand nicht auf Verpackungen für Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle begrenzt, wie die Kasseler Verpackungsteuer, sondern erfasse auch den Verkauf der Produkte zum Mitnehmen. Damit sei normativ der Bezug für örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern nach Art. 105 Abs. 2 a Grundgesetz nicht ausreichend sichergestellt. Ob Konsum und Verbrauch der Verpackung im Gemeindegebiet stattfänden, sei nicht gewährleistet. 

Eine Einführung nicht örtlicher Verbrauchsteuern sei durch das Grundgesetz ausgeschlossen und stehe ihrer Ausgestaltung als Lenkungssteuer in Widerspruch zum aktuellen Abfallrecht des Bundes. Detaillierte Vorgaben mit dem Zielg der Vermeidung und Verwertung der Verpackungsabfälle einschließlich der Einwegverpackungen habe der Bundesgesetzgeber bereits getroffen. Diese regelten bereits alle rechtlichen Instrumente und deren Umfang. Zusatzregelungen durch den kommunalen Gesetzgeber seien daher ausgeschlossen. Auch den "Vorrang der Abfallvermeidung" ließ das Gericht nicht gelten. Auch wenn diese mit der bisherigen Bundesregelung nicht (ausreichend) erreicht worden sein sollte, berechtigten "etwaige Versäumnisse" bei der rechtlichen Nachjustierung Kommunen nicht dazu, in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. 

Gefahr wahrheitswidriger Erklärungen der Verbraucher

Als ineffizient bewerteten die Richter außerdem den Begriff der Einzelmahlzeit mit einer Steuerobergrenze von 1,50 Euro. Dies sei nicht ausreichend vollzugsfähig und verstoße damit gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Der steuerpflichtige Endverkäufer müsse sich dabei allein auf die freiwilligen Angaben des Konsumenten verlassen. "Bei größeren Sammelbestellungen spreche bei lebensnaher Betrachtung alles für ein Vollzugsdefizit im Hinblick auf die Gefahr wahrheitswidriger Erklärungen der Konsumenten", heißt es in den Urteilsgründen. Hier liege die Gefahr wahrheitswidriger Erklärungen der Verbraucher auf der Hand.

Oberbürgermeister Palmer zeigte sich enttäuscht über die gerichtliche Niederlage. Die Steuer habe in der Praxis funktioniert. "Überall in Tübingen breitet sich Mehrweg aus, die Stadt wird sauberer, die große Mehrheit der Menschen ist zufrieden. Bundesweit ist es genau umgekehrt: Mehrweg wird verdrängt, die Wegwerfkultur setzt sich durch", äußerte er sich im ARD-Sender SWR. 

Tübingen prüft eine Revision

Ob die Stadt mit einer Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gegen das Urteil vorgeht, wird der Gemeinderat nun zügig entscheiden müssen. Denn diese ist nur innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils möglich. Palmer zufolge spreche allerdings viel dafür, dass die grundsätzlichen Fragen abschließend geklärt werden müssten. Die Verpackungssteuer in Tübingen bleibt weiterhin in Kraft, bis die Gemeinde entweder das VGH-Urteil akzeptiert oder eine Entscheidung des BVerwG vorliegt.

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