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Erschienen in: Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft 9-10/2022

Open Access 05.07.2022 | Originalarbeit

Stollenspeicher für Ausleitungskraftwerke

verfasst von: DI Dr. Wolfgang Richter, Univ.-Prof. DI Dr. Gerald Zenz

Erschienen in: Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft | Ausgabe 9-10/2022

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Zusammenfassung

Eine hydraulische Optimierung von Ausleitungskraftwerken mit Triebwasserstollen bietet sowohl wirtschaftliche, als auch ökologische Vorteile hinsichtlich Schwall-Sunk-Ausgleich, durch Auslegung als Speicherstollen mit differentiellen Wasserschlössern. Dies erhöht die Flexibilität und ermöglicht die Speicherbewirtschaftung des Triebwasserstollens.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einleitung

Ausleitungskraftwerke in Stollen werden derzeit sowohl als Neubauprojekte als auch als Ersatzkraftwerksbauten im Zuge von Erneuerungen projektiert und gebaut. Der Transport des Triebwassers in Stollen bietet insbesondere die Möglichkeit, Untertage zu gehen, um dadurch sowohl ökonomische als auch ökologische Vorteile zu nutzen, wie das Erhalten von Schutzzonen und die Verminderung von Schwall-Sunk-Erscheinungen. Beispielsweise wurden für das Wasserkraftprojekt Romanche-Gavet (97 MW, 560 GWh/a) in einem Flussabschnitt 6 altgediente Kraftwerke und 5 Stauräume durch ein Ausleitungskraftwerk ersetzt. Mit dem derzeit in Bau befindlichen Kraftwerksprojekt Obervellach II wird ein Ersatz einer altgedienten Kraftwerkskette im Kärntner Mölltal erzielt, welches zudem einen Stollenspeicher im Nebenschluss des Hauptstollens aufweist. Das Wasserkraftwerk Stanzertal wird mit einem 4,6 km langen Speicherstollen im Hauptschluss betrieben, welcher eine Energieverlagerung auf Spitzenzeiten ermöglicht. (Tab. 1).
Tab. 1
Übersicht Untertage-Speicher von Wasserkraftwerksanlagen
Kraftwerk
Untertage-Speicher
Volumen
Leistung, RAV der Gesamtanlage
Ausbau–durchfluss
Innertkirchen (CH)
Speicherstollen und Schwall-Sunk-Ausgleichsbecken kombiniert im UW
60.000 m3
20.000 m3
390 MW, 720 GWh
64,0 m3/s
Fieschertal (CH)
Speicherstollen OW
64.000 m3
64 MW, 144 GWh
15,0 m3/s
PSKW Nassfeld,
Böckstein (AUT)
Speicherkaverne, im UW PSKW
175.000 m3
31,5 MW, 50 GWh
45 MW, 111 GWh
11,6 m3/s
Obervellach II (AUT)
Speicherstollen OW und Schwall-Sunk-Ausgleichsbecken UW
60.000 m3
60.000 m3
38 MW, 125 GWh
9,0 m3/s
Salvesenbach (AUT)
Speicherstollen
10.000 m3
17 GWh/a
1,0 m3/s
Stanzertal (AUT)
Speicherstollen OW
51.000 m3
13,5 MW, 52,2 GWh
12,0 m3/s
St. Anton (ITA)
Speicherstollen als Schwall-Sunk-Ausgleich im UW
95.000 m3
90 MW, 300 GWh
18,0 m3/s
Starkenbach (AUT)
Speicherstollen
4700 m3
17,8 GWh
0,85 m3/s
Das KW St. Anton bei Bozen wurde mit einem 95.000 m3 fassenden Speicherstollen im Unterwasser (UW) für den Schwall-Sunk-Ausgleich erneuert. Im Zuge des Ausbaus des KW Innertkirchen 1 wurde das Unterwasser mit einem Speicherstollen und einem Ausgleichsbecken ausgerüstet, um eine Schwall-Sunk-Verbesserung der Hasliaare zu erzielen (Müller 2016).
Triebwasserstollen für mittlere Fallhöhen und hohe Ausbaudurchflüsse weisen oft größere Längen und notwendigerweise große Fließquerschnitte auf. Diese bieten dadurch auch ein großes Wasservolumen an.
Traditionell ist die hydraulische Nutzung der Stollen meist rein auf den Transport von Wasser aus dem Stauraum zum Wasserschloss und dann über den Druckschacht zu den Turbinen vorgesehen. Bei Wasserkraftwerken mit großen Speichern ist der Volumenanteil des Stollens sehr gering und erfüllt eine reine Transportfunktion. Da der Stollen ein hydraulisches Drucksystem bildet, erfolgen Änderungen des Durchflusses aufgrund der schnellen Druckwellenausbreitung sehr rasch, mit den dazugehörigen Ausgleichsschwingungen im Wasserschloss.
Die Zusatznutzung des Triebwasserwegs als Speicherraum für Kurzzeitspeicherung wie Tagesspeicher oder Schwall-Sunk-Ausgleich kann das nutzbare Wasservolumen je nach Anlage signifikant erhöhen und gerade in alpinen Einzugsgebieten die Betriebsweise einer Kraftwerksanlage sehr flexibel gestalten. Bei kleinen oder mittleren Ausleitungskraftwerken kann ein angepasster Betrieb auf die Stromnachfrage durch die Zwischenspeicherung im Stollen durchgeführt werden. In Kombination mit den Anforderungen des Ausgleichs von Schwall und Sunk im Fluss sowie der Restwasserstrecke bietet das Vorhalten des Volumens Vorteile für den Betrieb.
Durch den Einsatz von Bypässen mit Energiedissipatoren um die Maschinen können zudem die Leistungsregelung der Maschinen und der Wasserdurchsatz entkoppelt werden und Volumen aus dem Oberwasser auch als Sunkausgleich verwendet werden. Regelbare Energiedissipatoren werden derzeit an der TU Graz untersucht, um stabile Regelkreisläufe gewährleisten zu können.

2 Stollenspeicherkonzept

Neben der Ausbauwassermenge und der Fallhöhe entscheidet die Speicherbarkeit von Wasser über eine effiziente Nutzbarkeit der erneuerbaren Energie aus Wasserkraftanlagen. Das Speicherbecken als großer Wasserspeicher kann in manchen Fällen sinnvoll durch die hydraulische Speichernutzung des Transportstollens ergänzt werden. Stollensysteme kommen insbesondere bei Speicherkraftwerken, Ausleitungskraftwerken oder Pumpspeicherkraftwerken vor. Bei kleinen oder mittleren Ausleitungskraftwerken kann ein angepasster Betrieb auf die Stromnachfrage durch die Zwischenspeicherung im Stollen durchgeführt werden. Bei neuen Kraftwerken oder Revitalisierungen werden zudem höhere Anforderungen an den Schwall-Sunk-Ausgleich gestellt. Diese können für die dämpfende Wirkung zum Teil oder auch ganz in den Stollen verlegt werden. Dies ermöglicht eine flexible Beteiligung für Netzregelleistungen bei höherer ökologischer Vertretbarkeit. Bei Pumpspeicherkraftwerken überwiegt üblicherweise die Kapazität der Speicherseen, wobei diese insbesondere bei ausreichend großen Unterwasserbecken auch Spitzstrom ohne Schwall-Sunk-Belastung liefern können und somit generell eine ideale Speicher- und Lastausgleichstechnologie für die Energiewende darstellen.
Die Kombination von Stollenspeicher im OW und Ausgleichsbecken im UW ermöglicht bei Ausleitungskraftwerken zudem eine Leistungssteigerung der Maschinen über die Ausbauwassermenge hinaus, um die Speichervolumina zu Spitzenstromzeiten oder zu Zeiten des Niedrigwassers ohne negative Einflüsse auf die Flussläufe betreiben zu können. Auch kann somit eventuellen Schwebstoffakkumulationen in Speicherstollen im Nebenschluss durch tägliches Entleeren zu Zeiten großen Zuflusses begegnet werden.

2.1 Ausleitungskraftwerk mit Bypass und Energieumwandler

Durch die Kombination eines Stollenspeichers mit einem Bypass, welcher einen Energiedissipator beinhaltet, ergeben sich flexible Betriebsmöglichkeiten für den Schwall-Sunk-Ausgleich über das Wasservolumen im Ausleitungsstollen. Ein adäquates Bypass-system ermöglicht hierbei die Entkopplung des leistungsgesteuerten Maschinenbetriebs und des Wasserdurchflusses. Dies ermöglicht steile Leistungsgradienten der Maschinen und flache Durchflussgradienten, um gerade den Anforderungen des Sunkausgleichs gerecht zu werden.
Abb. 1 zeigt einen schematischen Schnitt durch ein Ausleitungskraftwerk mit Stollenspeicher im Oberwasser, einem Stollenspeicherwasserschloss und einem Energieumwandler in der Kraftkaverne. Der Stollen ist im Entleerungszustand dargestellt. Ein Regelorgan nach dem Einlaufdüker ermöglicht eine unabhängige Steuerung des Speichervolumens. Der Düker gewährleistet, dass die Entlüftung des Speicherstollens durch den Entlüftungsschacht und nicht durch das Einlaufbauwerk geschieht. Durch die Nutzung des Energiedissipators kann ein mögliches Ausgleichsbecken in der Größe optimiert werden, da für diesen Fall Speicherwasser aus dem Oberwasser auch bei Abregelung der Turbinen gefördert werden kann. Insbesondere kann durch die Vorhaltung des Sunkausgleichs im Stollen der Pegel im Ausgleichsbecken tiefer sein und somit eine höhere Energieerzeugung gewährleistet werden, was bei Mitteldruckanlagen mit hohem Durchfluss relevant ist. Der Energiedissipator im Bypass der Turbine ermöglicht, dass das Sunkausgleichsvolumen im Oberwasserstollen vorgehalten werden kann. Der dargestellte Dissipator entspricht dem Druckregler der Turbinen des KW Tonstad (960 MW) in Norwegen, welche erfolgreich zur Druckstoßminderung eingesetzt werden. Dissipatoren oder Druckregler wurden vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in vielen Kraftwerken mit Francisturbinen gebaut. Druckregler in Österreich sind etwa im KW Rodundwerk I und im PSKW Limberg I (Tauernkraftwerke A.G. 1955) in Betrieb. Mögliche weitere Ausführungen eines Regelorgans im Bypass sind modifizierte Kegelstrahlventile und Ringkolbenschieber.

3 Hydraulische Anforderungen

Durch den Betrieb als Speicherstollen wechselt das hydraulische Abflussverhalten des Stollens vom reinen Druck- zu einem Freispiegelstollen und umgekehrt. Somit ändern sich die Anforderungen an die Auslegung und die Dimensionierung des Wasserschlosses. Der Triebwasserweg muss daher dafür ausgelegt sein, den Abfluss zwischen Druckabfluss und Freispiegelabfluss sicher zu gewährleisten. Diese Randbedingungen sowie eine erforderliche Entlüftung vor dem Einlaufbauwerk beeinflussen die Auslegung des Wasserschlosses und die nötige Neigung des Triebwasserwegs. Eine Entlüftung im Stollen verhindert etwaige Ausblasungen der Luft beim Zuschlagen des Stollens. Eine ideale Neigung des Stollenspeichers kann anlagenspezifisch ermittelt werden. Eine möglichst flache Neigung ermöglicht auch bei Teilfüllung hohe Fallhöhen, daher kann die Neigung im Bereich von 0,1 bis 0,2 % liegen (Widmann et al. 2015). Allerdings können auch geringere Neigungen im Bereich der Gradiente der Energielinie zielführend sein.

3.1 Anforderungen an das Wasserschloss

Ein Wasserschloss zur hydraulischen Trennung des Triebwasserwegs ist bei Stollensystemen ab einer gewissen Stollenlänge notwendig, um die Regelbarkeit der Turbinen zu gewährleisten (Thoma 1910). Damit das Wasserschloss durch selbstständige Regelungsvorgänge keine Resonanzerscheinungen aufweist, muss dieses einen ausreichend großen horizontalen Querschnitt aufweisen, welcher bei Volumenänderungen durch Schaltvorgänge mit leistungsbeeinflussenden Druckänderungen interagiert. Besonders bei großen Durchflüssen und mittleren Fallhöhen erfordert das Stabilitätskriterium für den Wasserschlossschacht einen sehr großen Querschnitt. Dieses Kriterium wird üblicherweise nach Thoma (Thoma 1910; Jaeger 1949) oder Svee (Svee 1972; Leknes 2016) berechnet. Ein flacher Wasserschlossstollen mit den geneigt angeordneten Wasserschloss-Kammern im Fallhöhenbereich des Kraftwerks weist sehr große Querschnitte auf, welche somit das Stabilitätskriterium für die ausreichende Regelfähigkeit erfüllen und zudem Wasser speichern. Da die Reibungsverluste im Druckschacht, welche sich ungünstig auf die Stabilität auswirken, in der Betrachtung von Thoma nicht berücksichtigt werden, wird dieser mit einem Sicherheitsfaktor multipliziert. Es werden Werte von 1,5 [–] bis 1,8 [–] vorgeschlagen (Jaeger 1958). Genauere Berechnungen des erforderlichen Querschnitts können mittels Berechnungsformeln von Svee (1972) bzw. Leknes (2016) oder mit 1D-numerischen Stabilitätsberechnungen durchgeführt werden. Günstig auf die Stabilität wirken kurze Druckschächte und Betriebsbereiche, in denen die Gradiente des Wirkungsgrads der Turbinen ansteigt (vor dem Optimalwert des Wirkungsgrads). Eine absteigende Wirkungsgradgradiente der Turbinen (nach dem Scheitelpunkt bei Überlast) wirkt ungünstig auf den erforderlichen Stabilitätsquerschnitt. Gerade für Ausleitungskraftwerke mit geringen oder mittleren Fallhöhen kann somit der üblicherweise verwendete Sicherheitsfaktor von 1,5 [–] für den Stabilitätsquerschnitt vermindert werden.
Das Wasserschloss vermindert zudem die Druckstoßbelastung auf den Druckstollen und ermöglicht schnelles Anfahren und Abschalten der Turbinen, wobei die Trägheit der Wassermassen im Stollen durch das Wasservolumen im Wasserschloss überbrückt wird. Das Wasser im Triebwasserweg wird durch die Wasserspiegel- und damit Druckdifferenz zwischen Wasserschloss und Reservoir beschleunigt.
Es muss sowohl das Anfahren ohne Abreißen der Wassersäule gewährleistet sein, als auch das Abschalten ohne Überlaufen des Wasserschlosses. Gerade für die Anforderung des Anfahrens ergibt sich für Stollenspeicher-Wasserschlösser eine veränderte Bedingung verglichen mit sonst üblichen Hochdrucksystemen. Hier darf und soll der Stollen einen Freispiegelabfluss aufweisen. Allerdings darf die Wassersäule nicht abreißen, daher muss die Unterkammer des Wasserschlosses dafür ausgelegt und tief positioniert werden. Es ist wichtig, dass der Druckstollenquerschnitt vor dem Übergang in den Druckschacht aufgeweitet wird, um die variierenden Abflussgeschwindigkeiten ausgleichen zu können, ohne dass es zu einem Abreißen des Durchflusses kommt.
Die spezifische Darstellung eines möglichen Stollenspeicher-Wasserschlosses aus einer 3D-CFD-Simulation im Entleerungszustand (Abb. 2) zeigt eine tiefliegende Unterkammer, wo der freie Wasserspiegel beim Abschwingen bis in den Stollen ohne Abreißen absinken kann. Aufgrund der Stollenneigung und des Wasserschlosses können auch beliebige Zwischenschaltvorgänge ermöglicht werden.
Die differentiale Schachtanordnung ermöglicht im Fall des Abschaltens oder Notschlusses, dass die kinetische Energie im Stollen und im Wasserschloss durch das Aufschwingen über den Überlauf und die Differentialdrossel gedämpft wird. Die Überlaufhöhe bildet somit das Druckmaximum für die Massenschwingung. Eine Differentialkammer ist direkt nach der Unterkammer getrennt durch die Differentialdrossel vorgesehen. Die beiden Kammern sind als geneigte Stollen vorgesehen, wobei sich diese am erforderlichen Volumen aus der Massenschwingung und dem Stabilitätskriterium orientieren. Bautechnisch können somit beide Kammern vom selben Zugang aufgefahren werden. Die tiefe Differentialkammer verringert deutlich die Dynamik des Zurückfließens von Wasser aus dem Wasserschloss zum Becken im Fall des Abschaltens. Die Drossel ist notwendig, um beim Abschalten das Wasser aus der Unterkammer möglichst zurückzuhalten. Die Drosselung ist auf einen optimalen Durchmesser zu dimensionieren, wobei genügend Luft in der Oberkammer bleibt, um für den Fall des Abschaltens Volumen vorzuhalten. Mehrere konstruktive Ausführungen eines Stollenspeicherwasserschlosses sind denkbar.
Da ein vertikaler Wasserschlossschacht ungedrosselt und direkt am Übergang zum Druckschacht angeschlossen ist, weist die Konstruktion eine ideale Druckstoßreflektion auf. Diese ergibt sich, da der Schacht unbeeinflusst von der Unterkammer sehr geringe Trägheitswerte aufweist und somit physikalisch rasch auf Druckstöße reagieren kann. Diese Ausführung kann auch wegfallen, wenn nachgewiesen wird, dass der Druckstoß ausreichend durch den aufgeweiteten Stollen abgemindert werden kann und die Belüftung der Unterkammer gewährleistet ist. Da der aufgeweitete Stollen geringere Trägheitskoeffizienten aufweist, wirkt dieser günstig. Abb. 3 zeigt eine liegende Differentialdrossel mit geringerem Verlustbeiwert beim Ausfließen gegenüber dem Füllen.

3.2 1D-numerische Simulation

Die Hydraulik von Druckstollensystemen kann effizient mittels 1D-numerischer Simulation untersucht werden. Dabei werden die transienten Vorgänge wie Massenschwingung und Druckstoßvorgänge berechnet und die Triebwasserwege sowie insbesondere das Wasserschloss für den instationären Betrieb ausgelegt. Um den Freispiegelabfluss im Stollen zweckmäßig zu modellieren, sind adäquate 1D-numerische Simulationen zielführend einsetzbar, wobei auf die Wirkung der Luft im Besonderen Acht zu geben ist. Anhand einer Abschlussarbeit am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TU Graz wurde die Hydraulik eines Stollenspeichers eines mittelgroßen Wasserkraftwerks studiert. Es wurde die 1D-numerische Simulationssoftwarte Wanda V4.2 (Deltares 2013) für diese Fragestellungen evaluiert (Wechtitsch 2014).
Im Wasserbaulabor der TU Graz konnten durch hybride Modellversuche (Numerik und physikalische Versuche) anhand großer Wasserschlossmodelle die 1D-numerischen Simulationen kalibriert werden (Richter et al. 2013). Bei Wasserschlössern, insbesondere in den Unterkammern, treten Strömungsübergänge von Druckströmungen auf Freispiegelabflüsse auf. Die Erfahrungen des hydraulischen Verhaltens der Unterkammern werden sowohl auf die Hydraulik des Stollens wie die Auslegung von Speicherstollen-Wasserschlössern übertragen.

3.3 Fallstudie Stollenspeicher mit Speicherwasserschloss

Anhand einer Fallstudie werden 1D-Simulationen durchgeführt. Es werden Lastfälle für das Anfahren und das Abschalten sowie Stabilitätssimulationen evaluiert. Druckstollen weisen üblicherweise große Fließquerschnitte und hohe Reynoldszahlen auf. Bei Rückrechnungen von bestehenden Fließverlusten in Triebwasserwegen werden in Österreich für gewöhnlich Stricklerbeiwerte ermittelt. Für die transienten 1D-numerische Berechnungen werden diese Rauigkeitswerte in äquivalenter Sandrauigkeit umgerechnet. Der Stricklerbeiwert von glatten Betonstollen wurde von den Messungen des Druckstollens des Lünerseewerks umgerechnet von Di 3,05 m, KST = 85 m1/3/s auf KS = 0,276 mm (Buchegger 1961). Aufgrund der Vernachlässigung der Reynoldszahl im Strickleransatz vermindert sich der Stricklerbeiwert bei gleicher Rauigkeit für größere Druckstollenquerschnitte. Die Kraftwerksdimensionen für die Fallstudie werden folgendermaßen definiert:
  • Bruttofallhöhe: 64 m
  • Ausbauwassermenge: 130 m3/s
  • Speicherstollenlänge: 13.700 m, D = 7,2 m, KST = 80 m1/3/s
  • Brutto-Stollenvolumen: 557.800 m3
  • Ausbauleistung: 66 MW
  • Druckschacht: L = 80 m, D = 6 m, KST = 110 m1/3/s
Aufgrund der Fallhöhe und des relativ hohen Durchflusses im Stollen ergibt sich ein erforderlicher Stabilitätsquerschnitt für das Wasserschloss zu 888 m2 mit einem Sicherheitsfaktor von 1,5 [−].
Abb. 4 zeigt die Auswertung für das Nutzvolumen der Fallstudie in Abhängigkeit von der Neigung. Es wird zwischen Entleerung bei Ausbauwassermenge (QA) und abgestufter Entleerung QA, QA/2 und QA/4 unterschieden. Bei Entleerungsbetrieb mit QA reißt die Wassersäule ab einem Punkt ab, wobei Entleerungsgrade von 50–65 % erreicht werden. Bei gestaffelter Entleerung, wie diese auch für einen Sunkausgleich realistisch sind, können je Neigung zwischen 90 % und knapp 100 % erreicht werden. Das Reibungsgefälle bei Druckabfluss beträgt 0,74 ‰, was eine minimale konstruktive Neigungsvorgabe sein kann.
Somit ist es je nach Anlage möglich, sowohl einen Teil des Speicherstollens für einen flexiblen Kraftwerksbetrieb und einen Teil für den Sunkausgleich vorzuhalten.

3.4 Auslegungskriterien Speicherwasserschloss

Für die hydraulische Dimensionierung eines Speicherstollen-Wasserschlosses sind folgende Teile mittels transienter Simulationen auszulegen:
  • Unterkammer auf den ungünstigsten Öffnungsschaltfall, bzw. einen Resonanzschaltfall im Speicherstollenbetrieb, sodass ein Abreißen der Wassersäule vermieden wird.
  • Oberkammer bzw. Schrägschacht auf den ungünstigsten Abschalt-Lastfall in Zusammenhang mit der Drosseldimensionierung, damit es zu keinem Überlaufen kommt.
  • Die horizontale Wasseroberfläche in den Wasserschloss Kammern wird in einer Stabilitätsanalyse auf das Stabilitätskriterium ausgelegt.
Durch die flache Ausführung weisen Speicherstollen, insbesondere bei Ausleitungskraftwerken, geringe Innendrücke auf. Bei Anordnung eines Speicherstollen-Wasserschlosses mit Differenzialeffekt werden nur kurz höhere Drücke generiert. Daher kann für spezifische Stollensituationen und bei guten geologischen Voraussetzungen eine unausgekleidete Stollenvariante sowohl hydraulische (Stabilität und Volumen), konstruktive und wirtschaftliche Vorteile bieten.
Die Drossel generiert einen Differenzialeffekt. Da die Unterkammer sich in der Höhe mit dem Stollen überlappt, kann bei entsprechender Auslegung ein Anfahren bis zum Erreichen eines Freispiegelabflusses im Stollen zugelassen werden. Insbesondere ermöglicht eine flache Unterkammer auch eine erhöhte Flexibilität im Betrieb mit Freispiegelabfluss hinsichtlich zyklischer Schaltvorgänge.
3D-numerische Strömungssimulationen und/oder physikalische Modellversuche werden empfohlen, um ein konkretes Design hydraulisch hinsichtlich transienter Effekte von Befüll- und Entleerungsvorgängen, sowie das Verhalten der Luft zu untersuchen. Zudem ermöglichen 1D-numerische Stabilitätssimulationen eine wirtschaftliche Auslegung des horizontalen Wasserschlossquerschnitts.

4 Diskussion

Für den Kraftwerksbau in Zeiten der Klimakrise sind insbesondere die Ressourceneffizienz und die Energieerzeugung im Vergleich mit dem Energieeinsatz für den Bau und Betrieb zu betrachten. Da flache, hochliegende Druckstollen, welche als Speicherstollen konzipiert werden, anlagenbedingt auch einem geringen maximalen Innendruck ausgesetzt sind, können zudem geotechnisch optimierte Anforderungen an die Auskleidung gelegt werden. Somit können in tragfestem Gebirge unter Berücksichtigung des Walch’schen Kriteriums auch unausgekleidete Druckstollen zielführend konzipiert werden. Für die hydraulische Auslegung kann es sich zudem bei Ausleitungskraftwerken mit definiertem Einlaufpegel anbieten, den Druckstollen für Normalabfluss im Freispiegelbetrieb auszulegen.

5 Zusammenfassung

Ausleitungskraftwerke mit Triebwasserstollen können bei optimierter hydraulischer Auslegung als Speicherstollen mit differentiellen Wasserschlössern durch Erhöhung der Flexibilität und Ermöglichung der Speicherbewirtschaftung sowohl wirtschaftliche, als auch ökologische Vorteile hinsichtlich Schwall-Sunk-Ausgleich bieten.
Ein Speicherstollen-Wasserschloss, welches primär aus einer flachen Unterkammer mit nötigem Volumen besteht, ermöglicht zudem eine flexible hydraulische Nutzung des Stollenvolumens. 1D-numerische Berechnungen zeigen, dass ein zweckmäßig ausgelegtes Wasserschloss diese Funktion erfüllen kann. Dadurch kann der Freispiegelabfluss im Stollen unabhängig von den Schaltzyklen erfolgen. Zusätzlich können durch den Einsatz von Energiedissipatoren die Leistungsregelung der Maschinen und der Durchfluss durchs Krafthaus entkoppelt werden. Dies ermöglicht, dass auch oberwasserseitiges Stollenvolumen zum Sunkausgleich herangezogen werden kann. Simulationen zeigen, dass bei abgestufter Durchflussmenge und optimierter Neigung bis nahezu 100 % des Stollenvolumens nutzbar sind.
Aktuelle Forschungen zu Dissipatoren im Regelbetrieb sind allerdings notwendig, um einerseits die Dauerhaftigkeit und andererseits die flexible Regelfähigkeit der Gesamtanlage sicher bewerkstelligen zu können. Zudem können Dissipatoren bei entsprechender Auslegung eine Minderung der Druckstoßbelastung erzielen. Spezifische Untersuchungen mittels 3D-numerischer hydraulischer Simulationen sowie physikalische Modellversuche erlauben eine möglichst wirtschaftliche und bautechnisch zweckmäßige Stollenspeicher- und Wasserschlossauslegung.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
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Metadaten
Titel
Stollenspeicher für Ausleitungskraftwerke
verfasst von
DI Dr. Wolfgang Richter
Univ.-Prof. DI Dr. Gerald Zenz
Publikationsdatum
05.07.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft / Ausgabe 9-10/2022
Print ISSN: 0945-358X
Elektronische ISSN: 1613-7566
DOI
https://doi.org/10.1007/s00506-022-00879-0

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