Um quantitative Aussagen über die potenzielle Verteilung von Nanomaterialien in der Umwelt tätigen zu können, müssen zuerst deren Einsatz- bzw. Produktinhaltsmengen abgeschätzt werden. Hierbei ist anzumerken, dass für die ausgewählten Szenarien keine österreichspezifischen Marktanalysen hinsichtlich Produktionsmengen sowie Marktanteilen vorlagen. Aus diesem Grund wurden für die Hochrechnung der eingesetzten Mengen vorwiegend Daten (über chemische Zusammensetzung, Inhaltsmenge etc.) aus wissenschaftlichen Publikationen und – so vorhanden – teilweise aus Produktbroschüren herangezogen. Hinsichtlich „Szenario 1“ wird geschätzt, dass der Marktanteil für Sonnencremen mit anorganischen Inhaltsstoffen (z. B. Nano-TiO
2) ca. 20 % am Gesamtmarkt beträgt (Davis et al.
2010). In einer Studie von Lorenz et al. (
2011) wird davon ausgegangen, dass pro Anwendung ca. 8 g Sonnencreme aufgetragen werden. Mit den weiteren Annahmen, dass 40 % der mitteleuropäischen bzw. der österreichischen Bevölkerung für 20 Tage im Jahr Sonnencreme auftragen (Lorenz et al.
2011) und der Stoffgehalt an Nano-TiO
2 in Sonnencremen ca. 2 bis 15 % beträgt (Davis et al.
2010), wurde ein jährlicher Verbrauch von ca. 5.450 bis 40.840 kg Nano-TiO
2 für Österreich berechnet. Somit konnte für die Materialflussanalyse der niedrigere Verbrauchswert als Inputmenge für das „Minimum-“ und der höhere Berechnungswert für das „Maximum-Szenario S1“ herangezogen werden. Hierbei ist anzumerken, dass diese hohe Schwankungsbreite die Unsicherheiten einer solchen Materialflussanalyse widerspiegelt. Im Rahmen des „Szenarios S2“ wurde angenommen, dass 1 kg Wandfarbe ca. 6 mg Nano-Ag enthält (Kaegi et al.
2010). ExpertInnen schätzen, dass in Österreich jährlich ca. 45.000 t Wandfarben vertrieben werden, wobei der Marktanteil an Nanomaterial-haltigen Wandfarben derzeit bei geschätzt 0,2 % liegt. Unter Berücksichtigung der Anzahl an österreichischen Herstellern solcher Wandfarben (mindestens 1 bis maximal 5 Hersteller) konnte für Österreich eine Inputmenge von ca. 0,6 bis 3,1 kg Nano-Ag pro Jahr in Wandfarben berechnet werden. Auffallend ist, dass im Vergleich zu Nano-TiO
2 in Sonnenschutzcremen die Einsatzmenge von Nano-Ag in Wandfarben um ein Vielfaches niedriger ist, vermutlich auch deshalb, da im Gegensatz zu Kosmetika für die Produktkategorie Baustoffe keine Produktkennzeichnungspflicht für inkludierte Nanomaterialien besteht. Basierend auf einer Studie von Boldrin et al. (
2014) zum weltweiten Aufkommen von CNT-haltigen Tennisschlägern konnte für das „Szenario S3“ eine Inputmenge von ca. 0,5 bis 1,4 kg CNTs pro Jahr für Österreich abgeschätzt werden. Für „Szenario 4“ sowie „Szenario 5“ konnten keine relevanten wissenschaftlichen Studien gefunden werden, sondern es musste, sofern vorhanden, auf Herstellerangaben (Befragungen) sowie im Internet veröffentlichte Marktumfragen zu Nanoprodukten und Produktbroschüren zurückgegriffen werden. Des Weiteren wurden die getroffenen Annahmen durch eingeholte ExpertInnenmeinungen gestützt (NanoMia
2015). Unter zusätzlicher Verwendung von Daten der
STATISTIK AUSTRIA für das Bezugsjahr 2014 wurden so erste, vereinfachte Mengenabschätzungen von Nanomaterialien auf Produktebene dargestellt. So wurde z. B. der österreichweite Jahresverbrauch an Nano-SiO
2 in Autoversiegelungen anhand der Anzahl zugelassener Autos – wobei geschätzte 10 % der FahrzeugbesitzerInnen solche Lackschutze verwenden – und anhand eines Marktanteils für selbstreinigende, Nanomaterial-basierte Oberflächen von ca. 3 % abgeschätzt („Szenario 4“). Auf ähnliche Weise wurde der Jahresverbrauch an Nano-Ag in Putzlappen („Szenario 5“) abgeschätzt, wobei die Anzahl an österreichischen Haushalten zur Hochrechnung herangezogen wurde. Mittels solcher Vereinfachungen war es letztendlich möglich, für „Szenario 4“ eine Inputmenge von ca. 120 bis 1.200 kg Nano-SiO
2 für Autoversiegelungen sowie für „Szenario 5“ eine Inputmenge von ca. 0,01 bis 0,04 kg Nano-Ag pro Jahr für Putztücher zu berechnen. Alle Annahmen und Berechnungsschritte, die für diese Materialflussanalysen notwendig waren, werden im Endbericht des Projektes „NanoMia“ (
2015) genauer erläutert. Beim letzten „Szenario S6“ stellte sich im Zuge der Recherchen heraus, dass Quantenpunkte laut Herstellerangaben und wissenschaftlichen Publikationen bereits in hochauflösenden Bildschirmen eingesetzt werden, der derzeitige Stand des Wissens bzw. die verfügbare Datenlage aber keine Abschätzung von eingesetzten Mengen zulässt. Dieses Nanoprodukt ist daher ein Beispiel dafür, dass ein systematischer Informationsmangel hinsichtlich der Produktinhaltsstoffe dazu führt, dass potenzielle Umweltauswirkungen bzw. deren Umwelteintrag derzeit nicht eingeschätzt werden können.
Somit konnten nur für „Szenario S 1 bis S 5“ die österreichweiten Verbrauchsmengen abgeschätzt werden. Diese wurden als Inputmengen für die gegenständlichen Materialflussanalysen herangezogen, um nachfolgende Materialflüsse sowohl für die Nutzungs- als auch Entsorgungsphase berechnen zu können. Diese Produktlebenszyklusphasen stellten die Systemgrenze der Materialflussanalyse dar (Bezugsjahr 2014); die Produktionsphase wurde aufgrund der nicht verfügbaren Grundlagendaten nicht berücksichtigt. System-Outputmengen, wie der Export von Nanoprodukten, konnten aufgrund der Datenlage nicht abgeschätzt werden. Des Weiteren war es aufgrund fehlender Informationen nicht möglich, die genaue Nutzungsdauer der jeweiligen Nanoprodukte zu berücksichtigen. Zur Vereinfachung wurde somit angenommen, dass diese Produkte auch im selben Jahr (d. h. in 2014) entsorgt wurden. Senken für die Nutzungsphase – d. h. jene Nanomaterialmengen, die während der Nutzungsdauer in der Produktmatrix verbleiben – konnten aus diesem Grund ebenfalls nicht abgeschätzt werden. Um marktdynamische Prozesse, zeitliche Veränderungen sowie Produktnutzungsdauern entsprechend zu berücksichtigen, könnten für zukünftige Studien sogenannte dynamische Materialflussanalysen angewendet werden (insofern eine fundierte Datengrundlage dies ermöglicht).