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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Übergangsrituale und ihre Formen und Funktionen in der westlichen Gegenwartsgesellschaft

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel geht es um Übergangsrituale und ihre Formen und Funktionen in der westlichen Gegenwartsgesellschaft. Zunächst wird die kulturelle Bedeutung von Ritualen aufgezeigt und Elemente benannt, die für eine erfolgreiche Ritualdurchführung wesentlich sind. Anschließend werden die Besonderheiten von Übergangsritualen zur Unterstützung bei der Bewältigung von Übergängen an Beispielen näher beleuchtet.

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Fußnoten
1
Näheres zu Interaktionsritualen siehe Goffman 1967.
 
2
Harth dagegen sieht die Wiederholung von Ritualen darin begründet, dass ihre integrative Wirkung flüchtig „und daher durch Wiederholung dauernd zu erneuern[..]“ sei (2004: 108).
 
3
Vielfach zeigt sich die Abgrenzung gegenüber Alltagsritualen in der graduellen Differenzierung von einzelnen Ritualelementen, die stärker oder schwächer ausgeprägt sein können (Jungaberle et al. 2006: 21): Rituale „unterscheiden sich vom Alltagverhalten durch die Intensität, in der diese Eigenschaften auftreten“ (ebd.: 23).
 
4
Vgl. dazu Joas‘ Ausführungen zur Erfahrung des Heiligen (Joas 2019) und meine anschließenden Überlegungen in Abschnitt 8.​3.​4.
 
5
Csikszentmihalyi bezeichnet mit flow „the wholistic sensation present when we act with total involvement“ (1975: 43), die man neben spielerischen und kreativen Tätigkeiten auch bei kollektiven Ritualen erfahren kann (ebd.: 44). Wesentliche Elemente, um eine flow-Erfahrung machen zu können sind dabei a) die Verschmelzung von Handeln und Bewusstsein (was laut Csikszentmihalyi nur eintreten kann, wenn wir eine Tätigkeit als machbar, also weder über- noch unterfordernd erleben), was durch klar etablierte Verhaltensregeln – so wie in Ritualen – unterstützt werden kann (ebd.: 44 f.); b) die Konzentration oder Fokussierung auf einen eingeschränkten Stimulus-Bereich (ebd.: 47 f.); c) Selbstvergessenheit (ebd.: 49 ff.), bei der die Abgrenzung der eigenen Identität in Vergessenheit gerät (ebd.: 41); d) Kontrolle zu haben über das eigene Handeln und die Umwelt (ebd.: 50 ff.), e) eindeutige Handlungsanweisungen, die klare, unzweideutige Rückmeldungen auf diese Handlungen bieten (ebd.: 52 f.) und f) die Selbstgenügsamkeit des eigenen Tuns, also keine außerhalb des flow-Erlebnisses liegenden Ziele oder Belohnungen (ebd.: 53 f.). Diese Voraussetzungen können zu einer Transzendenz der Grenzen des eigenen Selbsts und einer psychischen Integration mit „metapersonal systems“ führen (ebd.: 41).
 
6
Auf Gluckman (1962) und V. Turner zurückgreifend stellt Strecker fest, „daß in vielen Fällen das rituelle Verhalten dort auftritt, wo die soziale Struktur besonders ausgeprägte Widersprüche zeigt. […] Das Ritual hat hier, nach Turner, die Aufgabe, die Unzulänglichkeiten der sozialen Struktur auszugleichen“ (1998: 66).
 
7
Die offensichtliche Wirkungskraft der NS-Rituale wird auch an der starken Bekämpfung von Ritualen durch die 1968er Generation erkennbar„als leeren und bestehende Herrschaftsverhältnisse stabilisierenden Formalismus“ (Fischedick 2004: 11). Fischedick sieht darin einen „wichtigen Befreiungsprozess“: „Rituale wurden verdächtigt, das selbständige Denken zu blockieren und die Menschen einzulullen“ (ebd.: 11).
 
8
vgl. Kapitel 2, Fußnote 15.
 
9
Hier kann Coaching oder auch Supervision einen geeigneten Rahmen zur persönlichen Klärung bieten, wie bestimmte Funktionen ausgefüllt werden können (vgl. für den akademischen Bereich das Fallbeispiel in Abschnitt 8.​2.​1).
 
10
Die vielfach verbreitete Angst vor dem „bösen Blick“ geht laut Beitl auf die „Furcht vor dem neidischen Lobeswort, vor dem – wenn auch unbewußt – neidischen Blick“ zurück (1942: 77), dem „das Böse“ genommen werde durch „Abwehrworte“ wie „Toi, Toi, Toi“, womit durch das Geräusch des Ausspuckens dessen Zauberabwehr ausgedrückt wird (ebd.: 78) oder „wenn das gefährliche Lob durch eine Schmähung wettgemacht wird“, wie wir es heute noch im Ausdruck „Hals- und Beinbruch“ finden (ebd.: 79).
 
11
Gerade die Schutz- und Abwehrrituale betreffend finden sich viele Elemente, die offenbar weltweit vorkommen (oder –kamen): Dazu gehört die reinigende Wirkung des Salzes (vgl. Abschnitt 4.6; z. B. Beitl 1942: 82 u. 134), mit dem auch Neugeborene oft abgerieben werden, das Wickeln eines roten Bandes um den Arm des Säuglings (z. B. van Gennep 2005: 61; Samter 1911: 188) oder der Mutter (Beitl 1942: 136) sowie die schützende Wirkung der Kleidung des Vaters bzw. des Mannes für die Wöchnerin, mit der evtl. Dämonen von Kind und/oder Mutter abgelenkt werden sollen (z. B. ebd.: 138; van Gennep 2005: 62).
 
12
So schreibt beispielsweise Richards über den Prozess des Abstillens bei den südlichen Bantu: „The ritual and magic acts often performed on this occasion are usually recorded in detail as typical rites des passages in the child’s ceremonial life“ (2004: 48; Herv. i. Orig.). Auch im Wörterbuch der deutschen Volkskunde hat „entwöhnen“ einen eigenen Eintrag, in dem darauf verwiesen wird, dass „die E. einer der starken Einschnitte in der Entwicklung des → Kindes [ist], der als Übergang (→ Initiation) geschützt werden muss“ (1974: 177), konkret wird jedoch nur ein Bezug zu den Mondphasen hergestellt (ebd.: 177) und – auch unter dem Eintrag „Kind(er)“ – werden keinerlei Schutz-, Abwehr- oder Trennungsrituale konkret benannt, obwohl das Abstillen als „Einschnitt[.] im gegenseitigen Verhältnis [von Mutter und Kind, Anm. A. P.] und zugleich in der Entwicklung des K., wie sie Glaube und Brauch sehen“, benannt wird (ebd.: 442) und als „bedeutungsvoll[e]“ Stufe (Initiation) gesehen wird, die „im Glauben und Brauch aller Völker behütet [wird] mit symbolischen u. magischen Vorkehrungen und umgeben mit fröhlicher Gemeinschaftsfeier“ (ebd.: 443).
 
13
Wie auch bei späteren Übergangsritualen im Leben soll durch die neuen Kleider der „neue Stand“ angezeigt werden (z. B. Geiger 1936: 107).
 
14
Für manche ist der „Eintritt ins Erwachsenenalter“ auch mit der Führerscheinprüfung verbunden.
 
15
Burckhardt-Seebass kommt allerdings zu dem Schluss, dass die Konfirmation als Initiationsfeier „keine Vorläufer in der christlichen Kirche (von einigen Aufnahmeriten spätmittelalterlicher Sekten vielleicht abgesehen)“ habe und „[w]eder Firmung noch Erstkommunion, beide im Kindesalter gefeiert, [..] in der alten römischen Kirche diese Bedeutung“ hatten (1975: 206). Nur Erasmus habe die „Idee eines Initiationsritus“ als einziger vertreten, und erst die durch Bucer bekannte Konfirmationsform könne „nicht nur als öffentliche Tauferneuerung, Glaubens- und Wissensprüfung und Admission, sondern auch als eine Art Weihe zum Erwachsenenleben verstanden werden“ (ebd.: 206).
 
16
Diese kirchlichen Rechte bezogen sich vor allem auf das Recht auf Patenschaft und eine Leichenrede (Burckhardt-Seebass 1975: 205).
 
17
Die Einführung der Reifeprüfung erfolgte erst über vier Jahrhunderte nach der Gründung der ersten Universitäten (Wolter 1987: 43 f.). Davor war „ein formalisiertes Reglement“ als Zugangsberechtigung zur Universität unbekannt oder „allenfalls rudimentär“ vorhanden (ebd.: 44) und nicht an nachzuweisende schulische Vorbildung geknüpft, sondern an ständische, geschlechtsspezifische, religiöse und finanzielle Voraussetzungen (Wolter 1997: 21). Und auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Hochschulzugang nicht generell an das Reifezeugnis gebunden, weil dies „als unzulässiger (,despotischer‘, wie es in einer Quelle heißt) staatlicher Eingriff in die bürgerliche Freiheit der Väter betrachtet [wurde], über den Bildungsweg ihrer Söhne frei entscheiden zu können“ (ebd.: 31; vgl. auch Wolter 1987: 97).
 
18
Entsprechend sind „Fruchtbarkeitssegen“ Bestandteil von Hochzeitsbräuchen (z. B. Dunker 1930: 81).
 
19
2019 9 % der Befragten aus Gesamtdeutschland – gegenüber 2018 um 3 % gestiegen.
 
20
Remberg weist darauf hin, dass sich „[z]um Polterabend […] keine spezifische Literatur [findet] (außer im skandinavischen Raum)“ (1995: 113). Obwohl der Brauch bereits seit dem 16. Jahrhundert verbreitet ist (Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974: 649) als „brautabend, der durch schmaus, tanz und allerlei scherz gefeierte vorabend einer hochzeit“ (Grimm u. Grimm 1889: Spalte 1989– durchgängige Kleinschreibung im Original), habe auch ich von Wörterbüchern und Rembergs – allerdings sehr unvollständigem – Kapitel abgesehen nur eine wissenschaftliche Quelle (Dunker 1930) dazu gefunden neben bestenfalls populärwissenschaftliche Quellen. Und auch Dunker stellt fest: „Merkwürdigerweise sind uns Polterabendsitten aus älterer Zeit – dem 16. und 17. Jhd. – nicht berichtet, obgleich man wegen des damit verknüpften Aberglaubens vermuten möchte, daß sie aus früherer Zeit stammen“ (1930: 77). Im Hinblick auf die weite Verbreitung und nach wie vor beliebte Tradition wäre eine Schließung dieser erstaunlichen Forschungslücke wünschenswert.
 
21
durchgängige Kleinschreibung im Original.
 
22
Möglicherweise spielt dabei „der Gedanke, daß die zerbrochenen Töpfe ein Opfer für die Geister sind“, eine Rolle (Samter 1911: 60).
 
23
Den gleichen Zweck hat auch das heute noch vielfach übliche gemeinsame Durchsägen eines Stück Holzes nach Verlassen des Standesamts, „um zu beweisen, daß es [das Paar, Anm. A. P.] arbeiten könne und treu zusammenhalten wolle“ (Geiger 1936: 115).
 
24
Der Kreis mit seiner nach außen schützenden Wirkung und „Inbesitznahme [..] durch K[reis]ziehung“ wird in Form des Ringes „Glücksamulett schlechthin“ (Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974: 474). Der Ring „ist das Zeichen der Bindung und der Ewigkeit“ (ebd.: 675). Der Verlobungsring wurde zunächst Vater oder ältestem Bruder der Braut „als Zeichen des [Ehe-]Vertrages (urspr. des Kaufes)“ gegeben (ebd.: 675). Erst mit Zunahme der Bedeutung einer kirchlichen Eheschließung im Mittelalter wurden Eheringe und Ringtausch Brauch (ebd.: 675).
 
25
Schömbucher-Kusterer weist für die „Habilitationsabschlussvorlesung“ darauf hin, dass diese statt eines Antritts eher „den Übergang von einem liminalen Zustand in einen anderen“ markiere (2006: 17).
 
26
Meyer weist zu Recht darauf hin, dass sich die Studien zu Organisationseintritt und Integration neuer Mitarbeiter*innen fast ausschließlich auf „hochgebildete[s] Personal“ beziehen und daher offen bleibe, ob „die Wirkung von Persönlichkeits- und Organisationsfaktoren auch bei weniger gebildeten Einsteigern und damit bei ,schlechteren‘ jobs gelten“ (2010: 255).
 
27
Moser et al. sehen „die Kernidee all dieser Überlegungen darin, dass den Neulingen eine anerkannte Rolle zunächst verwehrt wird“ (2018: 45). Dies ist m. E. bei den meisten Einstellungen und insbesondere Onboarding-Strategien jedoch nicht der Fall.
 
28
Salz als „Gegenstand allgemeiner Verehrung“ (Schleiden 2012: 73) wurde bereits in der Antike Bestandteil jeden Opfers, das so „ein Bund mit der Gottheit“ wurde (ebd.: 74). Da „in diesem Sinne auch jede Mahlzeit ein Opfer, ein Gottesdienst“ ist – Schleiden verweist in diesem Zusammenhang auch auf das christliche Tischgebet – „gewann das Salzgefäß (salinum) auf der Tafel eine Heiligkeit“ und wurde (zumindest bei den Römern) als Altargefäß gesehen (ebd.: 75). Die Bedeutung des Salzes zeigt sich in späteren Zeiten auch in der kunstvollen Gestaltung von Salzgefäßen, exemplarisch bei Bernini oder der Darstellung eines Salzfasses im Stundenbuch des Herzogs von Berry.
 
29
So diente Salz auch als Heilmittel, was man auch an den lateinischen Ableitungen salus (=Heil) und salubritas (=Gesundheit) von sal (=Salz) erkennen kann (Schivelbusch 1995: 13).
 
30
Dazu gehören in vielen Kulturen Selbstmorde, aber auch Todesfälle bei der Geburt oder im Wochenbett (Beispiele für konkrete Rituale bei Todesfällen im Wochenbett siehe Beitl 1942: 144 ff.).
 
31
Was zum Essen gereicht wird, variiert regional; verbreitet ist Streuselkuchen (oder auch anderer einfacher Blechkuchen, der oft von den Nachbarn gebacken und mitgebracht wird), aber auch belegte Brötchen, (einfache) Suppen, manchmal das Lieblingsessen der Verstorbenen.
 
Metadaten
Titel
Übergangsrituale und ihre Formen und Funktionen in der westlichen Gegenwartsgesellschaft
verfasst von
Antje Pfab
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36065-8_4