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19.10.2015 | Umwelt | Interview | Online-Artikel

Hat Climate Engineering eine realistische Chance?

verfasst von: Günter Knackfuß

5 Min. Lesedauer

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Mit seiner aktuellen EU-Metastudie EuTRACE zum Climate Engineering ist ein internationales Forscherteam zu überraschenden Resultaten gelangt. Wir sprachen mit Projektkoordinator Prof. Mark G. Lawrence.

Springer für Professionals: Welche Techniken für ein gezieltes Eingreifen in das Klima werden zurzeit wissenschaftlich diskutiert?

Mark G. Lawrence: Die Techniken für ein gezieltes Eingreifen in das Klima lassen sich in zwei Hauptarten unterscheiden: Jene, die Treibhausgase, vor allem 2, aus der Atmosphäre entfernen würden, und solche, welche die Erde gezielt abkühlen würden, indem sie mehr Sonnenlicht zurück ins All reflektieren lassen. Innerhalb dieser beiden Gruppen gibt es jeweils ein breites Spektrum sehr unterschiedlicher Methoden. Wichtige Beispiele, die zur Treibhausgasentfernung diskutiert werden, sind: die Aufforstung und die Kombination von Bioenergie mit dem Auffangen und Speichern von CO2, die Produktion von großen Mengen Biokohle, die dann mit Böden vermischt wird, die Düngung der Ozeane mit Eisen, um Planktonwachstum anzukurbeln sowie die direkte chemische Entfernung von CO2 aus der Luft.
Zentrale Beispiele, die als Techniken zur stärkeren Reflexion des Sonnenlichts diskutiert werden, sind das Einbringen von Partikeln in die mittlere Atmosphäre (ca. 20 km Höhe), das Einbringen von Partikeln in maritime Kumuluswolken (ca. 1 km Höhe) oder das Erhellen von Oberflächen, wie z.B. Wüsten oder Agrarflächen. Eine verwandte Idee ist, die Menge an Zirruswolken, die erwärmend wirken, zu reduzieren.

Wo liegen die Schlüsselfragen, die aufgrund ihrer aktuellen Studie perspektivisch zu beantworten sind?

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In unserer  EuTRACE (European Transdisciplinary Assessment of Climate Engineering)-Studie haben wir der Gruppierung und Auflistung der wissenschaftlich bislang ungeklärten Fragen ein ganzes Kapitel gewidmet. Wir haben in den letzten paar Jahrzehnten viel verstanden und gelernt, jedoch gibt es noch so viel mehr, was wir noch wissen müssten, bevor solche Techniken überhaupt verantwortungsbewusst eingesetzt oder auch endgültig abgeschrieben werden könnten. Einige Beispiele:

  • Wären die einzelnen Techniken überhaupt technisch realisierbar, vor allem in dem großen Maßstab, damit sie eine kühlende Wirkung auf das globale Klima haben könnten?

  • Welche regionalen Unterschiede in den Wirkungen wären zu erwarten?

  • Welchen Nebenwirkungen, Risiken sowie unbekannte Folgen würden durch den Einsatz der einzelnen Techniken ausgelöst? Welche ethischen Bedenken müssen bei jeder Technik geklärt und beachtet werden?

  • Wie können effektive Governance- und Regulierungsmechanismen entwickelt werden?

Blickrichtung Ökonomie – welche Aspekte haben die Experten diesbezüglich betrachtet?

Der Einsatz von Climate Engineering Techniken hätte weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen. Ökonomen teilen diese in verschiedene Arten, wie Einsatzkosten: die Ausgaben, die für die Entwicklung und den großskaligen und langfristigen Einsatz einer Technik benötigt würden; Preisauswirkungen: welche Änderungen in anderen Sektoren man durch den Einsatz einer Technik erwarten würde, z.B. erhörte Lebensmittelpreise durch den Einsatz von großen Mengen Biomasse für die Energieproduktion; die gesamten sozialen Kosten, also die Summe aller Kosten, d.h. Einsatzkosten und Preisauswirkungen zusammen, plus eine ganze Reihe anderer ökonomischer Auswirkungen wie etwa Änderungen in der Bereitschaft, in erneuerbare Energien zu investieren.
All diese Kosten sind nicht zwangsläufig negativ: man muss auch die Vorteile gegenrechnen, beispielsweise könnten sich weniger Ausgaben in anderen Bereichen ergeben als Folge reduzierter globaler Erwärmung. Aufgrund dieser Komplexität steht die weltweite Forschungsgemeinschaft noch am Anfang der Aufgabe, ein tieferes Verständnis zu den ökonomischen Kosten zu entwickeln.

 

Welche Schlussfolgerungen zieht ihre Analyse hinsichtlich Politik und Partizipation?

Die unter dem Begriff "Climate Engineering" diskutierten gezielten Eingriffe in das Klima sind kein Ersatz für die Verminderung von Kohlendioxidemissionen und für die Umsetzung von Anpassungsstrategien angesichts der negativen Folgen des Klimawandels, lautet das Ergebnis unserer EuTRACE Studie. Generell ist offen, ob die gesellschaftlichen und ökologischen Folgen, die mit einzelnen Techniken verbunden sind, als Preis für eine Minderung der globalen Erwärmung akzeptiert würden und wie diese Akzeptanz oder Ablehnung demokratisch ermittelt werden sollte. Die EuTRACE Studie betont deshalb auch, wie wichtig es ist, die Öffentlichkeit stärker in die Debatte über Climate Engineering einzubeziehen. Sie regt zudem an, dass EU-Staaten eine gemeinsame Position zu verschiedenen Techniken oder allgemeinen Aspekten des Climate Engineerings entwickeln könnten, insbesondere wenn diese in Einklang mit der hohen Bedeutung gebracht würde, die das EU-Primärrecht dem Umweltschutz beimisst.

Wie werden die Auswirkungen von Climate Engineering-Techniken auf die Sicherheit für den Menschen beurteilt?

Da zurzeit keine der Techniken in einem globalen Maßstab eingesetzt wird, sind alle Auswirkungen nur erwartete oder berechnete Auswirkungen. Dabei ist klar, dass die Auswirkungen auf die Sicherheit sich je nach Technik sehr stark unterscheiden würden. Techniken, die beispielsweise Biomasse einsetzen, haben vor allem mögliche Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit und die Nahrungsversorgung. Andere Techniken, die beispielsweise eine globale Abkühlung erzeugen würden (wie das Einbringen von Aerosolpartikeln in der Stratosphäre), könnten Auswirkung auf die internationale Sicherheit haben, da Konflikte darüber entstehen könnten, wie weit man bildlich gesprochen am "globalen Thermostat" drehen kann und vor allem: wer dies entscheiden darf. Bisher können Forscher solche allgemeinen Aussagen zwar machen, jedoch eine konkrete Einschätzung, welche Auswirkungen je nach eingesetzter Technik zu welchem Grad zu erwarten sein wird, ist derzeit nicht möglich.

Wann hat der Einsatz von Geoengineering eine Chance im Interesse des Klimaschutzes?

Climate Engineering Techniken haben das Potenzial, als partielle Gegenmaßnahme zum Klimawandel in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts und in fernerer Zukunft zu wirken. Aber es wäre unklug zu erwarten, dass Climate Engineering in der Klimapolitik des nächsten Jahrzehnts, wahrscheinlich sogar der nächsten Jahrzehnte, eine Rolle spielen wird. Immerhin hält das EuTRACE Konsortium es für wertvoll, Climate Engineering weiterhin zu erforschen, um sein Potenzial als partielle Gegenmaßnahme zum Klimawandel in fernerer Zukunft auszuloten und natürlich um zu verstehen, welche gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Einsatz von Climate Engineering hätte.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Autor, für Springer für Professionals.

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