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Open Access 2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

Warum Wettbewerbspolitik auch die Privatsphäre berücksichtigen muss

verfasst von : Aline Blankertz

Erschienen in: Selbstbestimmung, Privatheit und Datenschutz

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Europäische und deutsche Gesetzgeber:innen und Behörden sind sich einig, dass sie die negativen Folgen von Marktkonzentration begrenzen wollen. Doch inwieweit wirkt sich fehlender Wettbewerb auf den Schutz der Privatsphäre aus? Im Kontext des Facebook-Verfahrens werden v. a. zwei verschiedene Ansätze beleuchtet – einerseits, inwiefern Konzentration den Umfang der gesammelten bzw. genutzten Daten beeinflusst, und andererseits, wie Konzentration sich auf die Verhandlungsposition der Nutzer:innen auswirkt. Dieser Beitrag zeigt auf, dass der erste Ansatz nur spärlich empirisch gestützt ist, während der zweite weiterer konzeptioneller Ausarbeitung bedarf. Im Anschluss wird untersucht, inwieweit nicht nur Marktkonzentration, sondern fehlende Befähigung von Verbraucher:innen dazu führt, dass es keinen wirksamen Wettbewerb um besseren Datenschutz gibt. Beide Teile schließen mit politischen Handlungsempfehlungen ab.
Die Privatsphäre von Individuen ist ein Thema für Datenschutzbehörden – so wird vielfach argumentiert, um zu begründen, wer für die Untersuchung der oftmals hochgradig bedenklichen Datenpraktiken von digitalen Plattformen zuständig sei.1 Doch es häufen sich Konstellationen, in denen Datenschutz- und Wettbewerbsbedenken miteinander verknüpft scheinen. Beispielsweise befasst sich der Facebook-Fall2 des Bundeskartellamtes mit der Frage, ob und inwieweit Datenpraktiken der Plattform einen Missbrauch von Marktmacht darstellen. Allerdings gibt es bisher keinen Konsens darüber, inwiefern das Vorliegen von Marktmacht den Schutz der Privatsphäre beeinflusst, und welche weiteren Faktoren neben der Marktkonzentration die Intensität des Wettbewerbs um den Parameter Datenschutz treiben.
Dieses Kapitel befasst sich mit den Auswirkungen, die (fehlender) Wettbewerb auf die Privatsphäre hat insbesondere in den im Facebook-Verfahren untersuchten Zusammenhängen. Zunächst geht es um die Fragen, in Abschn. 1, inwieweit sich Wettbewerb auf die Privatsphäre auswirkt und, in Abschn. 1.1, ob es sich dabei um Auswirkungen auf den Umfang der gesammelten bzw. genutzten Daten handelt, oder, in Abschn. 1.2, ob es Auswirkungen auf die Verhandlungsposition der Nutzer:innen gibt, und in Abschn. 1.3, welche Gegenmaßnahmen zu erwägen sind. In Abschn. 2 wird die Frage beleuchtet, auf welche Faktoren neben der Marktkonzentration der wenig effektive Wettbewerb um besseren Datenschutz zurückzuführen ist und, erneut, welche Gegenmaßnahmen sinnvoll erscheinen.

1 Wann der Schutz der Privatsphäre auch vom Wettbewerb abhängt

Behörden befassen sich, wenn auch zögerlich, mit dem Einfluss von Wettbewerb auf Datenschutz. Der erste Fall, der sich ausdrücklich mit wettbewerbswidrigen Auswirkungen auf den Datenschutz befasst, ist der des deutschen Bundeskartellamtes gegen Facebook. In diesem argumentiert die Behörde, dass die Auferlegung schlechter Datenschutzbestimmungen einen Missbrauch von Marktmacht darstellt. Dieses Verfahren begann 2016, seither gab es weitere Fälle, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Wettbewerb und Datenschutz befassen. Beispielsweise hat die geplante Übernahme von Fitbit, einem Hersteller von Smartwatches und Fitness-Trackern, durch Google Bedenken über die Zusammenführung sensibler Gesundheitsdaten mit vorhandenen Google-Profilen aufgeworfen.3 Auch bei Praktiken von Apple wird geprüft, ob es zulässig ist, dass bestimmte personenbezogene Daten nicht weitergegeben werden, während sie für eigene Dienste verwendet werden.4
Sechs mögliche Zusammenhänge, über die der Wettbewerb die Privatsphäre beeinflussen kann, sind in Tab. 1 zusammengefasst. Sie stellen Hypothesen dar, durch die weniger Wettbewerb die Privatsphäre entweder auf unterschiedliche Weise beeinträchtigen (Zusammenhänge 1 bis 5) oder sie sogar fördern könnte (Zusammenhang 6). Die Tabelle fasst auch die verfügbare Evidenz dafür zusammen, ob und inwieweit sich die hypothetischen Auswirkungen tatsächlich auf Märkten beobachten lassen.
Tab. 1
Übersicht über die Zusammenhänge, über die Wettbewerb die Privatsphäre beeinflusst
 
Zusammenhang
Evidenz
1
Wenn weniger Wettbewerb herrscht, können Unternehmen mehr personenbezogene Daten sammeln
Begrenzter Zusammenhang in App-Märkten [29] und vorläufige Belege eines Zusammenhangs in Werbemärkten [13]
2
Wenn weniger Wettbewerb herrscht, haben Verbraucher:innen weniger Wahlfreiheit in Bezug auf die Privatsphäre [20, 25]
Konzeptionelles Argument, offene Frage für die Wettbewerbsbehörden: Was ist der Maßstab für die Feststellung wettbewerbswidrigen Verhaltens und die Wiederherstellung der Wahlfreiheit?
3
Wenn Unternehmen fusionieren, können Unternehmen mehr Daten sammeln und verwenden [3]
Offensichtlich und Angelegenheit für Wettbewerbsbehörden, wenn die Privatsphäre ein relevanter Wettbewerbsfaktor ist
4
Personenbezogene Daten in den Händen marktbeherrschender Unternehmen verursachen mehr Schaden
Keine basierend auf den (theoretischen) Beweisen für die Auswirkungen der Preispersonalisierung: kein Zusammenhang zwischen Marktmacht und negativen Ergebnissen für Verbraucher:innen [41]
5
Wenn weniger Wettbewerb herrscht, können Unternehmen den Wettbewerb um die Privatsphäre untergraben [27]
Bisher beschränkt auf die Lesbarkeit von Datenschutzbestimmungen, die mit zunehmender Unternehmensgröße abnimmt
6
Marktmächtige Unternehmen können sich quasi-regulatorische Befugnisse über personenbezogene Daten aneignen, die den Wettbewerb behindern [1, 7, 32]
Wettbewerbsschäden erwiesen, unklar, ob es Vorteile für die Privatsphäre gibt
Quelle: Stiftung Neue Verantwortung
In diesem Beitrag liegt der Fokus auf den Hypothesen 1 und 2, die im Facebook-Fall relevant sind und sich der Frage annähern, ob Marktkonzentration das Verhalten des Unternehmens beeinflusst (Hypothese 1) und/oder die Beziehung zu anderen Marktteilnehmenden (Hypothese 2).5

1.1 Hypothese 1: Wenn weniger Wettbewerb herrscht, können Unternehmen mehr personenbezogene Daten sammeln

Können Unternehmen, die weniger Wettbewerb ausgesetzt sind, mehr personenbezogene Daten sammeln und somit weniger Privatsphäre gewähren? Diese Frage stellt sich im Facebook-Verfahren. Das Bundeskartellamt argumentiert, dass der Mangel an alternativen sozialen Netzwerken die Verbraucher:innen dazu zwänge, Datenschutzbestimmungen zu akzeptieren, die dieselben Verbraucher:innen ablehnen würden, wenn es Wettbewerb im Markt der sozialen Netzwerke gäbe. Der Bundesgerichtshof schlussfolgert aus den vom Bundeskartellamt vorgelegten Daten über Nutzer:innenpräferenzen, dass sich durch mehr Wettbewerb Angebote mit weniger eingreifenden Datenpraktiken hätten herausbilden können.6 Allerdings ist die Frage nicht prinzipiell auf Facebook beschränkt. Wenn weniger Wettbewerb problematische Datenpraktiken eher ermöglicht, sind Bedenken auch in anderen stark konzentrierten digitalen Märkten, von Suchmaschinen bis hin zu App-Stores, gerechtfertigt.
Unterschiedliche Argumente stehen im Raum zur Frage, ob marktmächtige Unternehmen mehr oder sensiblere Daten sammeln. Einige argumentieren, dass Unternehmen unabhängig von ihrer Marktstellung ähnlichen Anreizen und Zwängen ausgesetzt sind, innerhalb der gesetzlichen Grenzen so viele Daten wie möglich zu erheben. Dies erleichtere die Monetarisierung und wird von Verbraucher:innen kaum bei der Auswahl ihrer Produkte berücksichtigt.7 Andere argumentieren, dass Marktmacht es den Unternehmen ermögliche, aggressivere Datenpraktiken zu betreiben.8 Prinzipiell solle der Wettbewerbsdruck die Unternehmen veranlassen, die Preise zu senken und/oder ihre Datenschutzbestimmungen zu verbessern, um die Nachfrage nach ihren Produkten zu steigern.
Die konkreteste Anwendung dieser Argumente erfolgt im Facebook-Verfahren. Nach einer dreijährigen Untersuchung gab das Bundeskartellamt Anfang 2019 bekannt, dass Facebook gegen die DSGVO verstoßen und damit seine marktbeherrschende Stellung missbraucht habe. Der Marktmachtmissbrauch bestehe darin, dass Facebook Nutzer:innen missbräuchliche Bedingungen auferlegt habe, die sie nicht ablehnen konnten, wenn sie die Plattform nutzen wollten. Diese unfairen Bedingungen ermöglichten es Facebook, Daten über Nutzer:innen aus verschiedenen Quellen über die eigene Plattform hinaus zu sammeln, einschließlich den übernommenen Netzwerken WhatsApp und Instagram sowie Websites von Drittanbietern, die „Gefällt mir“ oder „Teilen“-Buttons enthielten oder die Analysedienste von Facebook nutzten. Nach Angaben des Bundeskartellamtes erlitten die Verbraucher einen Kontrollverlust über ihre Daten, der durch die Verletzung verschiedener Grundsätze der DSGVO durch Facebook verursacht wurde. Das Bundeskartellamt argumentierte, dass die Verbraucher weder eine gültige Einwilligung in dem nötigen Umfang gegeben hätten,9 noch hätten sie zu erwarten, so umfassend überwacht zu werden.10 Das Bundeskartellamt erlegte Facebook deshalb die Verpflichtung auf, die freiwillige Zustimmung der Nutzer zur Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Quellen einzuholen, was faktisch eine „interne Entflechtung“ der Daten erfordert.11
Wie in Abb. 1 zusammengefasst, setzte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf das Urteil aus, weil das OLG befand, dass das Bundeskartellamt keine ausreichenden Beweise dafür vorgelegt habe, dass das angeblich missbräuchliche Verhalten – der Verstoß gegen die DSGVO- durch die Marktbeherrschung von Facebook ermöglicht worden sei.12 Das Bundeskartellamt legte gegen die Aussetzung Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein, der die Entscheidung des Bundeskartellamtes wieder einsetzte. Der BGH befand, dass die Aussetzung nicht gerechtfertigt war, verlagerte aber auch den Schwerpunkt der Untersuchung von der Frage, ob ein DSGVO-Verstoß einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstellt, auf die Frage, ob möglicherweise Behinderung von Wettbewerbern auf Werbemärkten vorgelegen haben und ob die Praktiken von Facebook die Wahlfreiheit der Verbraucher:innen unangemessen eingeschränkt haben.

1.1.1 Evidenz

Im Prinzip können diese Hypothesen empirisch getestet werden: Sammeln Unternehmen in einem Wettbewerbsumfeld weniger Daten und/oder weniger sensible Daten als marktbeherrschende Unternehmen? Ein erster Ansatzpunkt ist die Fallstudie Facebook selbst. Manche stellen dar, wie mit der zunehmenden Marktmacht von Facebook die Plattform immer weniger um die Privatsphäre der Nutzer besorgt sei.13 Allerdings zeichnen die verfügbaren Daten ein komplexeres Bild: Abb. 2 veranschaulicht die Entwicklung der Datenschutzeinstellungen der Plattform, gemessen durch unabhängige Forschung, und die Entwicklung ihrer Marktbedeutung, approximiert durch die Anzahl der Nutzer:innen. Es wird deutlich, dass Datenschutz und Wettbewerb nicht, wie oft angenommen, direkt miteinander verknüpft sind, sodass weniger Wettbewerb automatisch zu schlechter geschützter Privatsphäre führe. So besserte sich der Datenschutz deutlich nach dem ersten Tiefpunkt zu Beginn 2009, um dann zwischen 2010 und 2014 stetig abzufallen. Doch ab 2015 gab es trotz weiter steigender Nutzer:innenzahlen eine deutliche Besserung. Weitere Faktoren wie öffentliche Aufmerksamkeit auf den Datenschutz und rechtliche Vorgaben sind mindestens genauso relevant für die Qualität von Datenschutzbestimmungen.
Abgesehen vom Fall Facebook ist die empirische Evidenz für die Auswirkung der Marktkonzentration auf den Datenschutz sehr begrenzt. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Unternehmen in stärker konzentrierten Anwendungsmärkten mehr personenbezogene Daten erheben als Unternehmen in weniger konzentrierten Märkten. Der Zusammenhang ist jedoch gering, sodass ein Unternehmen mit Marktmacht etwa 1–2 % mehr Datentypen sammelt als eines ohne.14 Betrachtet man eine schrittweise Veränderung des Wettbewerbsumfelds bei Apps, die durch die Einführung neuer App-Kategorien im Android Play Store ausgelöst wurde, steigt der Zusammenhang auf 4–6 %, bleibt aber weiterhin begrenzt.15
Weitere, wenn auch keine die Kausalität offenlegende Evidenz hat die britische Competition and Markets Authority (CMA) in einer umfassenden Studie über Online-Werbung gesammelt. Darin stellt sie Folgendes fest:16
[w]enn es mehr Auswahl für die Verbraucher gäbe, dann könnte es Spielraum für mehr Wettbewerb zwischen den Plattformen geben, da die Plattformen aktiver konkurrieren müssten, um die Verbraucher von den Vorteilen personalisierter Werbung zu überzeugen. Es gäbe auch Spielraum für andere Plattformen, die auf der Grundlage alternativer Geschäftsmodelle um die Verbraucher konkurrieren und verschiedene Optionen in Bezug auf die Wahl des Datenschutzes und die von ihnen angebotenen Dienste anbieten.
Diese Argumentation stützt sich weitgehend auf die qualitativen Ergebnisse, einschließlich ihrer Komplexität und der Wahrnehmung der Verbraucher:innen, „dass sie keine andere Wahl hatten, als sich trotz Bedenken für Dienste anzumelden“.17 Bei der Bewertung der plattformübergreifenden Datenpraktiken stellt die CMA fest, dass Google und Facebook Zugang zu wesentlich mehr Daten haben als andere Plattformen, die Daten sammeln; siehe Abb. 3.
Darüber hinaus sind Google und Facebook die einzigen Plattformen, die der Studie zufolge noch mehr Daten über Drittquellen als über nutzerorientierte Dienste und Produkte sammeln. Obwohl aus diesen Ergebnissen nicht auf einen kausalen Effekt der Konzentration auf die Datenerhebungspraktiken geschlossen werden kann, sind die Ergebnisse mit der Existenz eines solchen Effekts vereinbar.
Für ein besseres Verständnis der Wirkungsweise des Mechanismus z. B. auf verschiedenen Märkten sind weitere Studien erforderlich, die Marktkonzentration und Umfang der Datenerfassung empirisch untersuchen. Bei der Durchführung dieser Art von Studien ist bei der umgekehrten Kausalität besondere Vorsicht geboten. So könnte z. B. eine positive Korrelation zwischen Datenerlaubnissen und Konzentration auch durch die zunehmende Monetarisierung datenintensiver Anwendungen bedingt sein, die es ihnen wiederum ermöglichen könnte, mehr in die Verbesserung ihres Produkts zu investieren.

1.2 Hypothese 2: Wenn weniger Wettbewerb herrscht, haben Verbraucher:innen weniger Wahlfreiheit in Bezug auf die Privatsphäre

Haben Verbraucher:innen weniger Wahlfreiheit beim Datenschutz, wenn sie es mit einem Unternehmen zu tun haben, das nur wenige bzw. schwache Wettbewerber hat? Auch diese Frage stellte sich im Facebook-Verfahren spätestens seit dem Urteil des BGH. Die Antwort liegt auf der Hand: Weniger Wettbewerb bedeutet weniger Auswahl. Die Herausforderung besteht allerdings darin, klar zu konzeptualisieren, wann der Mangel an Wahlmöglichkeiten auch einen wettbewerbspolitischen Schaden darstellt. Konkret stellen das Bundeskartellamt18 und der BGH19 im Fall Facebook fest, dass die mangelnde Wahlfreiheit gegenüber einem marktbeherrschenden Unternehmen die informationelle Selbstbestimmung gefährdet und einen ausbeuterischen Missbrauch der Nutzer:innen darstellt. Wie bereits im vorigen Abschnitt ausgeführt, dürfte diese Feststellung auch für andere konzentrierte Märkte neben Facebook von hoher Relevanz sein.
Die Konzeptualisierung von Wahlfreiheit im Kontext von Privatsphäre und Wettbewerb baut auf dem Konzept der informationellen Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Optionen als Triebkraft des Wettbewerbs auf. Dies bedeutet, dass ein Mangel an Alternativen das Verhalten eines Unternehmens schon allein deshalb problematisch machen kann, weil das Unternehmen marktbeherrschend ist – selbst wenn sich sein Verhalten nicht systematisch von dem kleinerer Unternehmen unterscheidet (d. h. selbst dann, wenn der Zusammenhang aus dem vorherigen Abschnitt nicht gegeben ist). Insbesondere kann eine starke Marktstellung die Wahlfreiheit von Verbraucher:innen in Bezug auf den Datenschutz untergraben, weil diese der Möglichkeit beraubt werden, den Anbieter zu wechseln, um andere Datenschutzbestimmungen zu erhalten, und den Markt nur ganz „verlassen“ können.

1.2.1 Evidenz

Um diesen Zusammenhang auf die tatsächlichen Märkte anwendbar zu machen, ist es wichtig zu definieren, was es für ein Unternehmen bedeutet, ausreichende Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Datenschutzes zu bieten, die dann das Mindestmaß an Wahlfreiheit gewährleisten. Erst dann ist klar, ob ein Unternehmen Schritte einleiten bzw. Aufsichtsbehörden eingreifen müssen, um die Wahlfreiheit zu erhöhen. Es ist z. B. nicht plausibel, dass marktmächtige Unternehmen mit hohen Datenschutzstandards verpflichtet werden sollten, den Verbrauchern mehr Wahlmöglichkeiten zu bieten, um mehr Daten zu teilen. Konkret sollte z. B. ein kostenpflichtiger Dienst nicht dazu verpflichtet werden, eine datenintensivere Variante ohne Bezahlung anzubieten.
Erstens ist ein Referenzpunkt nötig, um zu definieren, wann der Wettbewerb keine ausreichende Auswahl mehr bietet, sodass eine zusätzliche Prüfung der Datenschutzpraktiken erforderlich sei. Ein Ansatzpunkt könnte Marktmacht sein, ein etabliertes Konzept im Wettbewerbsrecht, allerdings sollte es möglicherweise verknüpfen mit der „Tracking-Intensität“ verknüpft werden. Denn einige Unternehmen können „Datenmacht“ erlangen, bevor sie die Schwelle zur Marktbeherrschung erreicht haben, während andere Unternehmen Marktmacht haben können, ohne nennenswert personenbezogene Daten zu erheben. Obwohl die Definition einer relevanten Schwelle nicht einfach ist, zeigen die aktuellen Diskussionen über Sonderregeln für Unternehmen mit Gatekeeper-Macht20 oder marktübergreifender Bedeutung21, dass es möglich ist, neue Konzepte zu entwickeln, die der Dynamik digitaler Märkte besser gerecht werden als etablierte Begriffe.
Zweitens ist es nötig zu definieren, welche Anforderungen das Verhalten dieser Firmen erfüllen muss, um eine ausreichende Wahlfreiheit zu bieten. Im Fall Facebook stellt der BGH fest, dass es eine wettbewerbswidrige Beschränkung der Wahlfreiheit darstellt, wenn Verbraucher:innen keine Wahl haben, ob sie eine Personalisierung auf der Grundlage von nur auf facebook.com oder auch von anderen Domains erhobenen Daten wünschen.22 Implizit scheint in dieser Feststellung die Vorstellung enthalten, dass die Einwilligung der Verbraucher zur Legitimierung der Verarbeitung durch die Unternehmen nicht so freiwillig ist, wie sie sein sollte, um echte Wahlfreiheit zu ermöglichen. Andere schlagen vor, die Einwilligung als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von Daten durch datenmächtige Unternehmen aufzugeben, und meinen, dass „das Vorhandensein von Marktmacht im Sinne des Wettbewerbsrechts als Indikator dafür dienen kann, dass die Gültigkeit der Einwilligung als legitimer Grund für die Verarbeitung personenbezogener Daten infrage gestellt wird“.23 Ein ähnliches Argument wurde auch vom Europäischen Datenschutzbeauftragten vorgebracht.24
Es scheint angemessen, Wahlfreiheit gegenüber Firmen mit Datenmacht als zusätzliche Anforderung zur Einholung der Einwilligung zu konzipieren. Dieser Ansatz würde es Wettbewerbs- und Datenschutzbehörden ermöglichen, zu prüfen, ob solche Anforderungen erfüllt sind. Die Wahlfreiheit sollte die Verbraucher:innen in die Lage versetzen, klare Entscheidungen zu treffen. Wenn Unternehmen beispielsweise Nutzer:innen die Möglichkeit geben, die Datenschutzeinstellungen an ihre Präferenzen anzupassen (wobei alle Daten mit Ausnahme der für die Bereitstellung eines Dienstes erforderlichen Daten optional sind), profitieren Verbraucher:innen von der Datenschutzbestimmung, die ihren Präferenzen am besten entspricht.

1.3 Handlungsoptionen

Es wird deutlich, dass ein Effekt von Marktkonzentration auf die Datenpraktiken eines Unternehmens nur unzureichend empirische untersucht und gestützt ist. Das konzeptionelle Argument, dass Verbraucher:innen weniger Wahlfreiheit haben, ist prinzipiell plausibel, erfordert allerdings eine weitere Ausarbeitung. Daraus lassen sich eine Reihe von Handlungsempfehlungen ableiten.

1.3.1 Mehr empirische Forschung

Es gibt nur begrenzte empirische Belege dafür, ob Unternehmen weniger personenbezogene Daten erheben, wenn sie einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt sind, und mit der derzeit verfügbaren Datenmenge sind Belege nur schwer zu erhalten. Wissenschaftler:innen sollten verstärkt untersuchen, ob Unternehmen mit Marktmacht mehr oder sensiblere Daten sammeln als Unternehmen ohne Marktmacht. Diese Untersuchung ist nur möglich, wenn Zugang zu wesentlich mehr Daten über die Praktiken der Plattformen besteht. Behörden und statistische Ämter sollten digitale Plattformen verpflichten, mehr Daten auszutauschen, um eine systematische Analyse ihrer Auswirkungen auf die Privatsphäre zu ermöglichen.25

1.3.2 Austausch zwischen Wettbewerbs- und Datenschutzaufsicht

Datenschutz- und Wettbewerbsexpert:innen sollten gemeinsam den Begriff der Wahlfreiheit stärker ausarbeiten. Da sie ein gemeinsames Ziel der Wettbewerbs- und Datenschutzpolitik ist, ist es wichtig, zu einem klareren gemeinsamen Verständnis dessen zu gelangen, was es für ein Unternehmen bedeutet, Wahlfreiheit in Bezug auf den Datenschutz anzubieten. Dies erfordert die Einbeziehung von Datenschutz- und Wettbewerbsexpert:innen, zum Beispiel auf der Grundlage der Vorstellung, dass der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts auch breitere soziale Auswirkungen von Märkten einschließen sollte,26 sowie einen kooperativen Ansatz zwischen den Behörden.27

1.3.3 Sicherstellung der Wahlfreiheit

Aufbauend auf einem klareren Begriff der Wahlfreiheit können Mechanismen entwickelt werden, die gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen eine Wahlfreiheit gewährleisten. Diese Wahlfreiheit sollte eine Alternative darstellen zu der aktuellen Einwilligung in zahlreiche Datensammelpraktiken eines einzelnen Anbieters. Stattdessen können zusätzliche Anforderungen an marktbeherrschende Unternehmen, die sich auf die Einwilligung als rechtliche Grundlage für die Datenverarbeitung stützen, formuliert werden. Dies wäre Ausdruck der besonderen Verantwortung mächtiger Unternehmen, dafür zu sorgen, dass die Nutzer:innen bei Entscheidungen über ihre Privatsphäre weiterhin Wahlfreiheit haben. Es gibt verschiedene Optionen:
  • Einbeziehung der Verbraucher:innen in die Entwicklung von Datenschutzbestimmungen: Dies würde einen Teil der Last der Einwilligung in ein früheres Stadium verlagern, in dem den Verbraucher:innen ein wirklicher Einfluss auf das Ergebnis gegeben werden müsste. Facebook versuchte in der Vergangenheit demokratische Entscheidungsfindung bezüglich der Verwendung persönlicher Daten, gab diese Praxis jedoch auf. Alternativen oder Ergänzungen können Formen der Zustimmung der Gemeinschaft sein, z. B. durch die Einbeziehung von Ethikkommissionen, Bürgerjurys, Umfragen oder offene Diskussionen über die Bewertung legitimer Interessen28 oder auch bestehende Repräsentanten wie Verbraucherzentralen.
  • Entflechtung der Einwilligung und Entflechtung von Daten: Wie das Bundeskartellamt von Facebook verlangte, könnten marktbeherrschende Unternehmen verpflichtet werden, eine detailliertere Einwilligung der Verbraucher:innen einzuholen. Konkret könnte dies bedeuten, dass Verbraucher:innen die Möglichkeit eingeräumt wird, nur die Daten weiterzugeben, die für die Erbringung eines Dienstes erforderlich sind, wobei die aus anderen Quellen erhobenen Daten optional sind. Dieser Ansatz erfreut sich nicht nur bei Datenschutz, sondern auch bei Wettbewerbsökonom:innen zunehmender Beliebtheit.29 Dabei ist es jedoch wichtig, eine Intervention so zu gestalten, dass die bekannten Probleme der Einwilligung der DSGVO vermieden werden. So kann die DSGVO die Konzentration verstärken, und die Zustimmung kann von großen und etablierten Unternehmen leichter eingeholt werden, weil sie dazu neigen, größere Marktsegmente zu bedienen,30 und weil Verbraucher:innen aufgrund der Bekanntheit großer Unternehmen weniger auf deren Datenpraktiken reagieren.31
Jede dieser Optionen ist mit geltendem Recht kompatibel und würde eine Verbesserung gegenüber dem Status Quo darstellen. Besonders effektiv werden die Maßnahmen allerdings in Verknüpfung miteinander, also z. B. bessere Kennzahlen, die sowohl von Datenschutz- als auch von Wettbewerbsbehörden konsistent angewandt würden.

2 Was für einen Wettbewerb um verbraucher:innenfreundlichere Datenschutzbestimmungen fehlt

Die Betrachtung der zwei Zusammenhänge zeigt, dass das Fehlen von Wettbewerb den Schutz der Privatsphäre beeinträchtigen kann und dass dies v. a. bei einer Beschränkung der Wahlfreiheit problematisch ist. Allerdings ist Marktkonzentration nicht der einzige Grund für problematische Datenschutzpraktiken. Auch auf stärker wettbewerblichen Märkten gibt es kaum datenschutzfreundliche Angebote, die mit datenintensiven Diensten konkurrieren. Gleichzeitig äußern Verbraucher:innen konsequent und in zunehmendem Maße Sorgen über die weit verbreitete Datenerfassung. Warum versuchen Unternehmen nicht, sich stärker über besseren Datenschutz von ihren Wettbewerbern zu differenzieren?
Es gibt strukturelle Hindernisse für einen stärkeren Wettbewerb um besseren Datenschutz. Diese liegen sowohl auf der Seite der Verbraucher:innen als auch auf der der Unternehmen. Trotz den in der DSGVO festgeschriebenen Datenrechten ist es für Verbraucher:innen immer noch völlig unpraktikabel, umfassend Transparenz und Kontrolle darüber zu erhalten, was mit den oft sehr detaillierten Profilen über sie geschieht. Die Komplexität der Datenmärkte, auf denen personenbezogene Daten gehandelt werden, führt dazu, dass Verbraucher:innen erhebliche Anstrengungen unternehmen müssten, um die Auswirkungen ihrer Einwilligung in selbst eine einzelne Datenschutzbestimmung zu verstehen. Selbst wenn sie diese im Einzelfall auf sich nähmen, hätten sie nur dann Aussicht auf erfolgreichen Schutz ihrer Privatsphäre, wenn sie es bei der Vielzahl solcher Bestimmungen tun, die sich auf sie auswirken.

2.1 Hürden für Verbraucher:innen

Dass Verbraucher:innen vor dieser Komplexität oft resignieren, kann nicht als Beleg dafür gesehen werden, dass sie ihrer Privatsphäre keinen hohen Wert beimessen. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, überhaupt aussagekräftige Datenpunkte für diesen Wert zu generieren. Es gibt mindestens drei Umstände, die dies verkomplizieren:
  • Privatsphäre und Datenschutz sind von Natur aus komplexer und kontextabhängiger als andere Merkmale von Produkten. Das führt zu inkonsistenteren Entscheidungen, als in anderen Kontexten der Fall ist.32
  • Verbraucher:innen haben das Vertrauen verloren und fühlen sich machtlos, wenn es darum geht, wirksame Datenschutzentscheidungen zu treffen, da die Märkte für personenbezogene Daten sehr intransparent sind, Unternehmen ihre Versprechen in Bezug auf Datenschutz leicht brechen können und es immer wieder zu Datenschutzskandalen kommt.
  • (Einige) Unternehmen machen es Verbraucher:innenn absichtlich schwer, wirksame Datenschutzentscheidungen zu treffen, indem sie die ersten beiden Punkte verstärken, z. B. indem sie unnötig obskure Sprache oder sog. Dark Patterns verwenden.
Im Ergebnis sind Verbraucher:innen vielen Datenpraktiken geradezu ausgeliefert. Selbst in relativ einfachen Kontexten zeigen Experimente, dass Verbraucher:innen Schwierigkeiten haben, Entscheidungen zu treffen, die tatsächlich ihren Präferenzen entsprechen, und dass diese Präferenzen kontextabhängig sind.33

2.2 Hürden für Unternehmen

Auf der Seite der Unternehmen gibt es einen Zielkonflikt zwischen Datenschutz und Monetarisierung, der sie oft davon abhält, datenschutzfreundlichere Produkte anzubieten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn datenschutzfreundliche Anbieter im Wettbewerb stehen mit etablierten Unternehmen, die eine aggressive Monetarisierung persönlicher Daten verfolgen, insbesondere durch gezielte Werbung (und/oder andere Formen der Personalisierung, wie z. B. personalisierte Empfehlungen). Datenschutzfreundliche Anbieter müssen ein Geschäftsmodell finden, das trotz einer geringeren Rentabilität pro Nutzer:in kommerziell tragfähig ist.
Diese Abwägung zwischen Datenschutz und Monetarisierung gilt für kleine und große Unternehmen gleichermaßen, wobei er prinzipiell besonders herausfordernd ist für Unternehmen, die sich gegen etablierte Datenhändler durchsetzen wollen. Start-ups, die wachsen wollen, entscheiden sich oft gegen Tracking und Werbung, zumindest anfänglich, und sind auf andere Monetarisierungsquellen wie externe Finanzierung angewiesen. Aber auch Facebook wies 2018 nach den Enthüllungen von Cambridge Analytica darauf hin, dass „die Produktentwicklung, bei der die Privatsphäre an erster Stelle steht“, „einen gewissen Einfluss auf das Umsatzwachstum“ habe.34
Zwar können bestimmte Geschäftsmodelle bei geringerer Rentabilität immer noch kommerziell tragfähig sein, doch stehen sie Einschränkungen gegenüber, die für Firmen mit aggressiver Monetarisierung nicht gelten. Wenn zum Beispiel über eine Auktion bestimmt wird, welche Suchmaschinen in einem Menü erscheinen, das die Verbraucher bei der Konfiguration neuer Geräte und Browser sehen, ist es unwahrscheinlich, dass datenschutzfreundliche Suchmaschinen erscheinen.35 Stattdessen werden Auktionen wahrscheinlich den Wettbewerb zwischen Anbietern, die personenbezogene Daten aggressiv monetarisieren, verschärfen, da sie es sich leisten können, bei einer solchen Auktion mehr für die Akquise weiterer Nutzer:innen auszugeben. Dabei gibt es gerade im Zusammenhang mit Suchmaschinen recht zuverlässig eine Nachfrage nach besserem Schutz der Privatsphäre – rund 30 % der Verbraucher:innen aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich, den USA und Australien gaben an, dass eine Suchmaschine, die auf die Erhebung personenbezogener Daten über Suchanfragen verzichtet, sie dazu motivieren würde, die Suchmaschine zu wechseln, als zweitwichtigster Faktor nach der Qualität der Ergebnisse.36
Neben fehlendem Wettbewerb tragen also weitere Faktoren marktübergreifend dazu bei, dass kaum effektiver Wettbewerb um den Parameter Datenschutz entsteht. Verbraucher:innen fehlen Transparenz und Kontrolle, während Unternehmen sich aus kommerziellen Motiven für eine stärkere Datennutzung entscheiden.

2.3 Handlungsoptionen

Welche Schritte sind sinnvoll, um diese Hürden für einen wirksameren Wettbewerb um besseren Datenschutz abzubauen? Es gibt eine Bandbreite an Maßnahmen, die es Verbraucher:innen einfacher machen sollen, effektivere Entscheidungen über ihre Privatsphäre zu treffen, und zugleich Unternehmen Anreize setzen können, einen besseren Schutz der Privatsphäre anzubieten.

2.3.1 Mehr Transparenz

Die DSGVO enthält bereits zahlreiche Klauseln, mit denen mehr Transparenz bei Datenschutzbestimmungen durchgesetzt werden kann. Es ist beispielsweise die Möglichkeit vorgesehen, standardisierte Klauseln,37 maschinenlesbare Datenschutzsymbole38 und Zertifizierungen zu entwickeln.39 Jede Maßnahme für sich hätte vermutlich nur begrenzte Auswirkungen, doch eine Kombination könnte einen ersten Schritt zur Erleichterung des Verständnisses und des Vergleichs von Datenschutzbestimmungen darstellen. Sie bringen Herausforderungen mit sich, wie z. B. die Schwierigkeit, die Komplexität auf eine Art und Weise zu reduzieren, die nicht irreführend oder anfällig für Unterminierung durch Firmen ist. Möglicherweise könnten sie auch auf Datenschutzmetriken für Expert:innen aufbauen (s. o.).40 Transparenz kann ein geeigneterer Weg sein, die Privatsphäre zu stärken, statt (nur) auf strengere Vorschriften zurückzugreifen.41

2.3.2 Mehr Portabilität

Eine Stärkung der Datenportabilität über das Niveau der DSGVO, Artikel 20, hinaus kann Verbraucher:innen mehr Kontrolle darüber zu geben, wie Daten über sie verwendet werden und einen nutzer:innenzentrierten Wettbewerb anzuregen. Die Datenportabilität sollte in Echtzeit erfolgen, ein breites Spektrum von Daten umfassen (wie z. B. bestimmte Arten inferierter Daten) und Nutzer:innen sollten in der Lage sein, Daten direkt zwischen Plattformen zu portieren. Damit kann datenbedingte Wechselträgheit überwunden werden z. B. für Empfehlungssysteme oder Standorthistorie in Kartenapps. Es ist möglich, dass eine Ausgestaltung der Portabilität an markt- bzw. sektorspezifische Gegebenheiten angepasst werden muss, um ein ausreichendes Maß an Mitsprache für Verbraucher:innen sicherzustellen; dies kann auf einem Spektrum passieren, das von Datenportabilität bis zur Protokoll- und Dateninteroperabilität reicht.42 Ein möglicher Ansatz besteht darin, über den geplanten Digital Services Act zunächst große Plattformen zu einer Echtzeitportabilität zu verpflichten, um v. a. die Wechselhürden hin zu kleineren Wettbewerbern zu verringern.43

2.3.3 Neue Dateninstitutionen/Datentreuhänder

Um langfristig Verbraucher:innen zu entlasten, während gleichzeitig Wettbewerb um besseren Datenschutz zu stärken, bedarf es weitergehender Veränderungen in der Datenökonomie. Ein möglicher Ansatz hierfür können neue Dateninstitutionen sein, insbesondere Datentreuhänder.44 Eine Form kollektiven Verhandelns über die Bedingungen von Datenaustausch von Individuen und Unternehmen könnte Verbraucher:inneninteressen deutlich effektiver durchsetzen, als es mit aktuellen Datenrechten unter der DSGVO möglich ist, und könnte mehr Unternehmen Zugang gewährleisten, als momentan der Fall ist. Hierzu sind weitere konzeptionelle Arbeit und praktische Erprobung nötig, bevor solche Modelle sich zu realistischen Alternativen auf digitalen Märkten entwickeln können.
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Fußnoten
1
Siehe Körber, T. (2018) [30], „‚Ist Wissen Marktmacht?‘ Überlegungen zum Verhältnis von Datenschutz, ‚Datenmacht‘ und Kartellrecht – Teil 1“.
 
2
Bundeskartellamt (2019) [10], Beschluss des Bundeskartellamts zu B6-22/16 (Facebook).
 
3
Siehe z. B. Bria, Francesca et al. (2020) [8], „Europe must not rush Google-Fitbit deal“, Politico, 23. Juli, und Kemp, K. (2020b) [28], „Every step you take: why Google’s plan to buy Fitbit has the ACCC’s pulse racing“, The Conversation, 23. Juni.
 
4
Albergotti, Reed (2020) [1], „Calls grow for European regulators to investigate Apple, accused of bullying smaller rivals“, The Washington Post, 28. Mai.
 
5
Für eine vollständige Analyse siehe Blankertz, Aline (2020b) [5], „How competition impacts privacy. And why competition authorities should care“.
 
6
Bundesgerichtshof (2020) [9], Beschluss zu KVR 69/19, 23. Juni, Para 86.
 
7
Siehe z. B. Körber (2018) [30], op. cit., und Information Technology und Innovation Foundation (2018) [26], Response to „The intersection between privacy, big data and competition, Data as a dimension of competition, and/or as an impediment to entry into or expansion within a relevant market“.
 
8
Siehe Bundesgerichtshof (2020) [9], op. cit. und Kemp (2020a) [27], op. cit.
 
9
Bundeskartellamt (2019) [10], op. cit., Para 639.
 
10
Ebd., Para 848.
 
11
Zeit (2019) [43], „Kartellamt bremst Facebook beim Sammlen von Nutzerdaten“, 7. Februar.
 
12
Oberlandesgericht Düsseldorf (2019) [36], Beschluss zu Vi-Kart 1/19 (V), 26. August.
 
13
Siehe z. B. Srinivasan, D. (2019) [39], „The Antitrust Case Against Facebook: A Monopolist’s Journey Towards Pervasive Surveillance in Spite of Consumers’ Preference for Privacy“.
 
14
Kesler et al. (2019) [29], op. cit.
 
15
Ergebnisse von App-Märkten sollten mit Vorsicht auf andere Märkte übertragen werden. Die Überforderung der Nutzer:innen durch eine hohe Anzahl von Apps könnte das sog. Privatheitsparadox verstärken, siehe z. B. Savage, S. J., und D. M. Waldman (2015) [37], „Privacy tradeoffs in smartphone applications“.
 
16
Competition and Markets Authority (2020) [13], „Online platforms and digital advertising. Market study final report“, Para 4.121. Eigene Übersetzung.
 
17
Ebd., Para 4.117. Eigene Übersetzung.
 
18
Bundeskartellamt (2019) [10], op. cit., Para 876.
 
19
Bundesgerichtshof (2020) [9], op. cit., Para 103.
 
20
Europäische Kommission (2020a) [21], „Digital Services Act package – ex ante regulatory instrument of very large online platforms acting as gatekeepers: open public consultation“ und Europäische Kommission (2020b) [22], „Single Market – new complementary tool to strengthen competition enforcement: open public consultation“.
 
21
Siehe Furman, Jason et al. (2019) [24], „Unlocking digital competition“ und Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020) [11], „Gesetzentwurf: Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0“, Artikel 19a.
 
22
Bundesgerichtshof (2020) [9], op. cit., Para 58.
 
23
Graef et al. (2018) [25], op. cit., 207.
 
24
EDPS (2014) [20], op. cit., 35.
 
25
Expert Group for the Observatory on the Online Platform Economy (2020) [23], „Progress Report Expert Group for the Observatory on the Online Platform Economy Work stream on Measurement & Economic Indicators“.
 
26
Lianos, Ioannis (2018) [33], „Polycentric Competition Law“.
 
27
Binns und Bietti (2020) [3], op. cit.
 
28
Tennison, Jeni (2017) [40], „Community consent“, 17 Januar.
 
29
Condorelli, Daniele und Jorge Padilla (2019) [14], „Data-Driven Predatory Entry with Privacy-Policy Tying“.
 
30
Campbell et al. (2015) [12], „Privacy regulation and market structure“.
 
31
Verbraucher:innen laden allgemein weniger Apps herunter, wenn diese mehr sensible Datenpunkte anfordern; dieser Zusammenhang besteht allerdings nicht für Apps von bekannten Marken. Siehe Kummer, Michael und Patrick Schulte (2019) [31], „When Private Information Settles the Bill: Money and Privacy in Google’s Market for Smartphone Applications“.
 
32
Siehe Winegar, Angela G. und Cass R. Sunstein (2019) [42], „How much is data privacy worth? A preliminary investigation“.
 
33
Ein signifikanter Anteil der Testpersonen gibt an, dass ihre gewählten Datenschutzeinstellungen nicht ihren eigentlichen Wünschen entsprechen, siehe Nouwens, Midas et al. (2020) [35], „Dark Patterns after the GDPR: Scraping Consent Pop-Ups and Demonstrating Their Influence“.
 
34
The Motley Fool (2018) [34], „Facebook, Inc. (FB) Q2 2018 Earnings Conference Call Transcript“. Eigene Übersetzung.
 
35
DuckDuckGo Blog (2020a) [18], „Search Preference Menus: No Auctions Please“.
 
36
DuckDuckGo Blog (2020b) [19], „Search Preference Menu Immediately Increases Google Competitors’ Market Share by 300–800 %“, https://​spreadprivacy.​com/​search-engine-preference-menu/​.
 
37
Artikel 28 und 46 DSGVO.
 
38
Artikel 12 DSGVO.
 
39
Artikel 93 DSGVO.
 
40
Die zentrale Zielgruppe für diese Kennzahlen sollten Expert:innen sein, da Verbraucher:innen oft andere Kennzahlen und Formate benötigen, um die Bedeutung für ihre Privatsphäre zu verstehen. Siehe z. B. Ben-Shahar, Omri und Adam Chilton (2016) [2], „Simplification of privacy disclosures: an experimental test“ und Conpolicy (2018) [15], „Wege zur besseren Informiertheit. Verhaltenswissenschaftliche Ergebnisse zur Wirksamkeit des OnePager-Ansatzes und weiterer Lösungsansätze im Datenschutz“.
 
41
Ökonomische Modelle zeigen, dass Transparenz zu besseren Marktergebnissen führt al sein vorgeschriebenes Maß an Datennutzung, siehe de Cornière, Alexandre und Taylor, Greg (2020) [17], „Data and Competition: a General Framework with Applications to Mergers, Market Structure, and Privacy Policy“.
 
42
Crémer, J. et al. (2019) [16], „Competition Policy for the Digital Era“.
 
43
Siehe Europäische Kommission (2020a) [21], op. cit., und Blankertz, A. und Julian Jaursch (2020) [6], „Beitrag zur Konsultation der Europäischen Kommission zum Digital Services Act (DSA)“.
 
44
Blankertz, Aline (2020a) [4], „Designing Data Trusts. Why We Need to Test Consumer Data Trusts Now“.
 
Literatur
35.
Zurück zum Zitat Nouwens, Midas, Liccardi, I., Veale, M., Karger, D., Kagal, L.: Dark patterns after the GDPR: scraping consent pop-ups and demonstrating their influence. In: Proceedings of the 2020 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (2020). https://doi.org/10.1145/3313831.3376321 Nouwens, Midas, Liccardi, I., Veale, M., Karger, D., Kagal, L.: Dark patterns after the GDPR: scraping consent pop-ups and demonstrating their influence. In: Proceedings of the 2020 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (2020). https://​doi.​org/​10.​1145/​3313831.​3376321
38.
Zurück zum Zitat Shore, J., Steinman, J.: „Did You Really Agree to That? The Evolution of Facebook’s Privacy Policy“, Technology Science (2015). Shore, J., Steinman, J.: „Did You Really Agree to That? The Evolution of Facebook’s Privacy Policy“, Technology Science (2015).
39.
Zurück zum Zitat Srinivasan, D.: The antitrust case against Facebook: a monopolist’s journey towards pervasive surveillance in spite of consumers’ preference for privacy. Berkeley Bus. Law J. 16(1), 39–101 (2019) Srinivasan, D.: The antitrust case against Facebook: a monopolist’s journey towards pervasive surveillance in spite of consumers’ preference for privacy. Berkeley Bus. Law J. 16(1), 39–101 (2019)
Metadaten
Titel
Warum Wettbewerbspolitik auch die Privatsphäre berücksichtigen muss
verfasst von
Aline Blankertz
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-33306-5_2