verfasst von: Prof. Dr. Klaus Watzka, Hochschullehrer für Personalmanagement an der Ernst-Abbe-Hochschule/Jena
Jeder Arbeitgeber wünscht sich gewissenhafte Mitarbeiter. Zwar weist dieses Persönlichkeitsmerkmal überwiegend Vorteile auf, aber es gibt auch Risiken. Was Unternehmen im Hinblick auf diese Eigenschaft beachten sollten.
Alltagspsychologisch ist das Persönlichkeitsmerkmal Gewissenhaftigkeit in Unternehmen höchst positiv konnotiert. Es findet oft Anwendung als Kriterium bei Stellenausschreibungen, wird in Einstellungsinterviews und Assessment Center (ACs) geprüft, in Arbeitszeugnissen bescheinigt und in Leistungsbeurteilungen bewertet. Doch wie lässt sich Gewissenhaftigkeit psychologisch exakt beschreiben?
Diese Eigenschaft ist Bestandteil der sogenannten 'Big Five', der wichtigsten Taxonomie von Persönlichkeitsfaktoren. Über fünf Merkmale lässt sich die Unterschiedlichkeit von Menschen in kompakter Weise beschreiben. Geordnet nach dem Akronym OCEAN sind dies:
- Openness (= Offenheit)
- Conscientiousness (= Gewissenhaftigkeit)
- Extraversion (= Extraversion)
- Agreeableness (= Verträglichkeit)
- Neuroticism (= Neurotizismus; Emotionale Stabilität)
Diese Persönlichkeitsdomänen werden für eine differenziertere Beschreibung und Messung noch in jeweils sechs Facetten untereilt. Bei Gewissenhaftigkeit sind dies:
- Kompetenzvertrauen
- Ordnungsliebe
- Pflichtbewusstsein
- Leistungsstreben
- Selbstdisziplin
- Besonnenheit
Positive Wirkungen der Gewissenhaftigkeit
Empirisch sind die Big-Five samt ihrer Auswirkungen sehr gut erforscht. Es zeigt sich, dass Gewissenhaftigkeit signifikante Korrelationen mit unternehmerisch relevanten Zielgrößen aufweist und wichtige Erklärungsbeiträge zu personalwirtschaftlich relevanten Phänomenen liefern kann. Zunächst zu einigen ausgewählten positiven Wirkungen:
Arbeitsleistung: In zahlreichen Studien erwies sich Gewissenhaftigkeit innerhalb der Big Five mit Abstand als bester Prädiktor für die individuelle Leistung im Beruf. Dies gilt über verschiedene Berufsgruppen, Länder und unterschiedliche Ansätze für Leistung hinweg. Analog zeigt dieses Merkmal auch hohe Prognosekraft für die Leistung von Auszubildenden, Studierenden und Schülern.
Motivation: Gewissenhafte Mitarbeiter zeigen stärkeres Arbeitsengagement, intensiveren Ehrgeiz und können auch bei Routineaufgaben ihre kognitive Anstrengungsbereitschaft hochhalten. Prokrastinationstendenzen zeigen sie kaum.
Zufriedenheit: Gewissenhafte Mitarbeiter weisen ein höheres Maß an Arbeits- und allgemeiner Lebenszufriedenheit auf. Sie gehen bei Anforderungen planvoller vor, erreichen ihre Ziele, haben die Dinge im Griff und realisieren daher für sich ein höheres Level an extrinsischen und intrinsischen Belohnungen. In Summe haben sie damit weniger Veränderungsdruck, weisen eine stärkere Bindung an die Organisation und damit eine niedrigere Fluktuationstendenz auf.
Krankheitsbedingte Fehlzeiten: Diese fallen bei gewissenhaften Mitarbeiter niedriger aus. Wichtige Einflussfaktoren sind dabei eine nachgewiesene gesündere Lebensführung, aber auch eine größere Disziplin für die Einhaltung unfallverhütender Sicherheitsvorschriften bei der Arbeit. Aufgrund ihres Pflichtbewusstseins tendieren sie generell weniger zu Absentismus.
Kontraproduktives Arbeitsverhalten (KAV): Das Phänomen ist äußerst facettenreich. Es reicht vom schweren Bilanzbetrug, Korruption, Diebstählen, Sabotage, über rücksichtslosen Umgang mit Betriebsmitteln, Arbeitszeitmanipulation, Informationsmissbrauch, sexuelle Übergriffigkeiten, absichtlicher Minderleistung, bis hin zu Verstößen gegen Sicherheitsvorschriften. Auch Suchtmittelmissbrauch, unangemessenem Verbalverhalten gegenüber Kollegen oder Cyberloafing (privates Surfen während der Arbeitszeit) zählen dazu. Innerhalb der Big Five ist Gewissenhaftigkeit das Persönlichkeitsmerkmal, das am höchsten negativ mit KAV korreliert ist.
Schattenseiten gewissenhafter Mitarbeiter
Detail- und Perfektionsorientierung: Mitarbeiter schöpfen ihr potenzielles Leistungsoptimum nicht aus. Eine zu große Besonnenheit und die damit einhergehenden längeren Abwägungsprozesse vor Entscheidungen können mit einer starren Regeltreue aus Pflichtbewusstsein dazu führen, dass Schnelligkeit und Flexibilität im Handeln verloren gehen. Insbesondere in Unternehmen, die VUKA-Rahmenbedingungen (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) ausgesetzt sind, fehlt es an der nötigen Agilität.
Innovation und Wandel: Gewissenhafte Mitarbeiter vermeiden wegen ihrer Ordnungsliebe und Besonnenheit sowie der damit einhergehenden starken Bindung an Strukturen und Regeln tendenziell Situationen, die von hohem Risiko und Unsicherheit geprägt sind. Zur Verteidigung von Strukturen können sich auch Änderungswiderstände zeigen. Für Innovationsorientierung sind das alles suboptimale Voraussetzungen.
Betriebsklima: Problematisch ist, wenn gewissenhafte Mitarbeiter an ihr soziales Umfeld die gleichen hohen Maßstäbe in puncto Leistungsorientierung, Arbeitseinsatz und Sorgfalt legen wie an sich selbst. Möglicherweise blenden Sie auch wegen einer zu starken Fixierung auf ihre Aufgaben die innerbetriebliche Pflege von Sozialbeziehungen zu stark aus.
Mit Gewissenhaftigkeit richtig umgehen
Eine maximale Gewissenhaftigkeit von Mitarbeitern nach dem Motto "Viel hilft viel" anzustreben, wäre naiv. Es gibt Übersteigerungsgefahren. Als Situationsfaktoren für ein ideales Niveau an Gewissenhaftigkeit ist immer die konkrete Arbeitsaufgabe, Branche und Organisationskultur im Auge zu behalten.
Das Gewissenhaftigkeitslevel festzustellen, sollte ein Standardmodul in der Personalauswahl sein. Zur Messung bieten sich gut validierte psychologische Testverfahren an (etwa NEO-PI-R, NEO-FFI, BFI, RBFP). Denkbar ist, die Bewerbungsunterlagen spezifisch zu analysieren, gezielte Fragen im Bewerberinterview über die Technik des situativen oder des verhaltensorientierten Interviews oder auch der Einsatz speziell zugeschnittener Assessment-Center-Module.
Mitarbeiter sollten das eigene Big-Five-Profil kennen und für seine Auswirkungen auf ihr eigenes Arbeits- und Leistungsverhalten samt seiner Abstrahleffekte auf die Kollegen sensibel sein. Dies kann über Coaching- und Trainingsmaßnahmen oder Beurteilungs- und Feedbackprozesse sichergestellt werden.
Bei Personaleinsatzentscheidungen ist sorgfältig zu prüfen, für welche Aufgaben und Unternehmensbereiche ein Mitarbeiter mit einem bestimmten Gewissenhaftigkeitsniveau geeignet ist und für welche eher nicht. Überall dort, wo relativ stabile Rahmenbedingungen und planbare Aufgaben existieren, und wo es stark auf die präzise Einhaltung von Vorgaben und Regeln ankommt, sind ausgeprägt gewissenhafte Mitarbeiter erforderlich. Überall dort, wo komplexe und sich schnell verändernde Bedingungen existieren, die hohe Agilität erfordern, kann eine stark ausgeprägte Gewissenhaftigkeit zum Leistungshemmnis werden.