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2000 | Buch

Berlin: Metropole zwischen Boom und Krise

verfasst von: Stefan Krätke, Renate Borst

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung: Die Metropolregion im Zeichen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturbrüche
Zusammenfassung
In Berlin ist die Hoffnung verbreitet, daß die Stadt künftig im Kreise der europäischen Metropolen wieder eine bedeutende Rolle spielen werde. Ein Wald von Baukränen und neue glitzernde Immobilien-Fassaden werden gern als Symbol einer gelungenen Aufwertung Berlins im Kreise der führenden Standortzentren der Bundesrepublik angesehen. Doch bietet die wirtschaftliche Entwicklung Berlins seit 1990 keinen Anlaß zur Euphorie: Die einstige Industriemetropole Berlin ist von einem massiven Arbeitsplatzverlust in Ost- und West-Berlin betroffen. Dabei hat die Stadt von 1989–1998 rund 270000 Industriearbeitsplätze verloren: Während die Berliner Industrie 1989 noch ca. 400000 Beschäftigte hatte, waren es 1998 nur noch ca. 130000 — ein Arbeitsplatzverlust von 67%.1 Heute ist sogar der Industriebesatz der sog Finanzmetropole Frankfurt-Main etwa doppelt so hoch wie in Berlin. Auch die in Berlin zu verzeichnenden Arbeitsplatzzuwächse bei verschiedenen Dienstleistungszweigen konnten den Verlust bei weitem nicht kompensieren. Betrachtet man die Erwerbstätigen insgesamt (d.h. nicht nur die abhängig Beschäftigten, sondern auch die Selbständigen und Beamten), so hat sich die Gesamtzahl der Erwerbstätigen in Berlin von 1,792 Mio im Jahre 1989 bis auf 1,410 Mio im Jahre 1998 um 21% verringert.2 Zwischen 1991 und 1998 hat Berlin zwar rund 73000 Einwohner verloren, doch ging im gleichen Zeitraum die Zahl der Erwerbstätigen um 257000 zurück. Die Wachstumsraten der Berliner Wirtschaft lagen zwischen 1992 und 1999 deutlich unter dem Bundesdurchschnitt,3 die offiziell registrierte Arbeitslosenquote lag Anfang 1998 bei 17%, zu Beginn des Jahres 1999 bei 16,4%. So ist die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt in den 90er Jahren vor allem durch eine Beschäftigungskrise gekennzeichnet, die nicht zuletzt auf die sozialräumliche Entwicklung durchschlägt. Die Perspektiven des „Wirtschaftsstandorts“ Berlin sind heute keineswegs klar oder gar eindeutig positiv einzuschätzen.
Stefan Krätke, Renate Borst
Kapitel 1. Berlin auf dem Weg zur Dienstleistungsmetropole ? Wirtschaftsstruktur und Beschäftigungsentwicklung in den 90er Jahren
Zusammenfassung
Die aktuelle Situation Berlins ist auf der einen Seite vom Hauptstadt-Bauboom und großen Erwartungen hinsichtlich der Formierung einer europäischen Metropole geprägt, auf der anderen Seite durch Massenarbeitslosigkeit und Erscheinungen sozialer Polarisierung gekennzeichnet. Der Umbruch seit 1990 hat, was die wirtschaftliche Entwicklung Berlins angeht, viele überzogene Erwartungen unerfüllt gelassen, und eher die kritischen Erwartungen einer Entwicklung zur sozial polarisierten Metropole22 bestätigt, wie neuere Untersuchungen zur sozial-räumlichen Struktur Berlins erkennen lassen.23 Die Perspektiven des Wirtschaftsstandorts Berlin innerhalb des bundesdeutschen Regionalsystems sind heute angesichts eines fortschreitenden Arbeitsplatzabbaus in „modernen“ wie auch in traditionellen Produktionszweigen und im Bereich der Kulturökonomie keineswegs eindeutig positiv einzuschätzen. Nichtsdestoweniger bildet die Berliner Region in Ostdeutschland neben Dresden und Leipzig einen bedeutenden Entwicklungspol, und es werden nach wie vor große Erwartungen in die Übernahme der Hauptstadtfunktionen und einen Umbau der Stadt zur „Dienstleistungsmetropole“ gesetzt.24
Stefan Krätke, Renate Borst
Kapitel 2. Wem gehört die Hauptstadt ? Kontrollkapazität und interregionale Kapitalverflechtungen des Berliner Unternehmenssektors
Zusammenfassung
Berlin möchte gern zu den führenden Metropolregionen der Bundesrepublik (und darüberhinaus des europäischen Wirtschaftsraumes) gehören. Im Kontext des Stadt-Marketing ist die Rede von der Metropole Berlin Synonym für die Vision einer hervorragenden Position im Kreise der konkurrierenden Standortzentren Deutschlands und Europas. Stadtforscher bevorzugen demgegenüber eine relativ nüchterne Verwendung des Metropolenbegriffs, da wir es in den europäischen Ländern (bei wenigen Ausnahmen) mit poly-zentrischen Städtesystemen zu tun haben, in denen sich „Metropolenfunktionen“ auf mehrere großstädtische Agglomerationsräume verteilen, von denen keine eine klare Dominanz erreicht. Eine Wirtschafts-Metropole müßte einen hohen Grad an “Zentralität” vorweisen: dies bezieht sich auf die im jeweiligen Städtesystem erreichte Stellung als strategisches Wirtschaftszentrum (Sitz von Steuerungszentren des Unternehmens- und Finanzsektors). Im Kontext der Debatte um sog. “Global Cities”, die als Metropolen des Weltmarktes fungieren,93 hat ein weiteres Kriterium an Gewicht gewonnen, das aber nur selten empirisch gefasst wird:94 Metropole ist eine Stadt, die einen hohen Grad der Internationalisierung ihrer Wirtschaftsaktivitäten erreicht hat (was ihre Rolle als strategisches Wirtschaftszentrum stärkt und räumlich erweitert). Berlin gehört nach Einwohnerzahlen und nach seiner Funktion als Regierungssitz zweifellos zu den europäischen Metropolen.
Stefan Krätke, Renate Borst
Kapitel 3. Die Metropole als Produktionsraum: Innerstädtische Agglomerationen der Industrie und Kulturproduktion
Zusammenfassung
Metropolregionen sind als Wirtschaftsräume zu betrachten, in denen sich verschiedene Teilökonomien mit unterschiedlichen wirtschaftlichen und räumlichen Organisationsformen lokalisieren, partiell überschneiden, und zusammen einen hochverdichteten Agglomerationsraum konstituieren. In Berlin werden nach wie vor große Erwartungen in einen Umbau der Stadt zur Dienstleistungsmetropole gesetzt.111 In diesem Kapitel wird die Vision von der Dienstleistungsmetropole mittels empirischer Betrachtung von Standortmustern problematisiert und herausgearbeitet, daß Berlin in seinem heutigen wirtschafts-räumlichen Gefüge als Standort komplexer Produktionsaktivitäten mit teilweise zukunftsfähigen räumlichen Organisationsformen zu charakterisieren ist.
Stefan Krätke, Renate Borst
Kapitel 4. Metropole im Wellenbad: Das Immobiliengeschäft in Berlin in den 90er Jahren
Zusammenfassung
Der Immobilienmarkt spielt eine aktive Rolle bei der Strukturierung des Stadtraumes hinsichtlich Art und Intensität der Nutzungen. Er hat maßgebenden Einfluß auf die Herausbildung des städtischen Standortgefüges. In Berlin hat sich nach der Vereinigung beider Stadthälften ein verändertes Standortgefüge ausgebildet. Insbesondere im östlichen Stadtzentrum ist eine „neue City“ als Büro- und Geschäftszentrum entstanden.
Stefan Krätke, Renate Borst
Kapitel 5. Der Wohnungsmarkt in Berlin: Wohnen im Überfluß?
Zusammenfassung
Die sozialräumliche Struktur einer Stadt wird in entscheidendem Maße über den Wohnungsmarkt vermittelt. Der Wohnungsmarkt gehört jedoch zu den Märkten, die seit Anfang des Jahrhunderts im hohen Maße von verschiedenen Formen der Staatsintervention bestimmt werden. Die existentielle Bedeutung der Wohnung für die Lebensgestaltung, die Nichtersetzbarkeit durch andere Güter und die Funktionsunfähigkeit einer rein marktförmig organisierten Wohnungsversorgung dort, wo es um die Bereitstellung von quantitativ und qualitativ angemessenem Wohnraum zu tragbaren Kosten183 für Haushalte mit niedrigen Einkommen geht, begründen diese staatlichen Eingriffe. Gleichwohl ist in der Bundesrepublik der Wohnungsmarkt primär marktwirtschaftlich organisiert. Der Bau und die Bewirtschaftung von Wohnungen wird von privatwirtschaftlichen Trägern nach Renditegesichtspunkten vorgenommen. Auch bei der Herstellung und Verteilung von Wohnraum sind Marktmechanismen nicht außer Kraft gesetzt. So ist für die Versorgung der einzelnen Haushalte mit Wohnraum (wie bei Märkten allgemein üblich) nicht der vorhandene Bedarf, sondern die Zahlungsfähigkeit entscheidend. Ferner ist die Preisbildung auf dem Wohnungsmarkt auch unter den Bedingungen mietrechtlicher Regelungen durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf den verschiedenen Teilmärkten stark beeinflußt. Durch staatliche Maßnahmen zur Förderung des Neubaus von Wohnungen und Eingriffe in die Vertrags- und Preisgestaltung bei vorhandenem Wohnraum sowie durch die Gewährung individueller Mietbeihilfen für Bevölkerungsgruppen mit verringerten „Marktzugangschancen“ ist jedoch der Markt in vielfältiger Weise reguliert.
Stefan Krätke, Renate Borst
Kapitel 6. Die vielfach geteilte Stadt Berlin: Sozialräumliche Disparitäten und ihre Veränderung in den 90er Jahren
Zusammenfassung
Die soziale Entwicklung der Stadt Berlin ist in den 90er Jahren durch eine rasant wachsende Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger gekennzeichnet. Die Zahl der Arbeitslosen (im Jahresdurchschnitt) wuchs von rund 180000 im Jahre 1991 bis auf 273000 im Jahre 1998 an, wobei die Arbeitslosenquote von 10,6% auf 17,9% (Anfang 1998) anstieg. Dabei wurde Berlin 1996 in der „Rangfolge“ der Großstädte 1996 nur von Dortmund, Duisburg und Rostock übertroffen, während Hamburg, Frankfurt-Main und München auf den unteren Rängen lagen.333
Stefan Krätke, Renate Borst
Zusammenfassung: Die Metropole Berlin im Umbruch
Zusammenfassung
Berlin ist in den 90er Jahren durch einen tiefgreifenden Prozeß wirtschaftlicher, sozialer und räumlicher Strukturveränderungen geprägt. Dabei ist die sozio-ökonomische Entwicklung von einer anhaltenden Beschäftigungskrise und einer Vertiefung sozialräumlicher Spaltungen bestimmt. Eine weitverbreitete Interpretation des wirtschaftlichen Strukturwandels in Berlin charakterisiert die gegenwärtigen regionalökonomischen Veränderungen als einen Prozeß der Strukturanpassung an die Verhältnisse westdeutscher Metropolregionen. Diese Denkfigur gründet sich auf veraltete und gemessen am heutigen Erkenntnisstand der Stadt- und Regionalforschung unhaltbar vereinfachende Vorstellungen der ökonomischen Struktur von Metropolregionen. Großstädte und Metropolregionen sind empirisch durch ganz erhebliche Abweichungen in ihren wirtschaftlichen Spezialisierungs-Profilen, regionalökonomischen Organisationsformen und Innovationskapazitäten charakterisiert. Sobald man den simplen statistischen Dualismus von „Industrie“ und „Dienstleistungen“ hinter sich läßt und eine aussagekräftigere Gliederung der Teilökonomien einer Metropolregion zugrundelegt, wird die These der Strukturanpassung unhaltbar, was für Berlin im Vergleich zu anderen Metropolregionen der Bundesrepublik anhand des Vergleichs der Beschäftigungsentwicklung in Teilsektoren und der Spezialisierungs-Profile der Regionalökonomie belegt wurde. Auch die Entwicklung der Umland-zone Berlins wird mit einer Strukturanpassungsthese nur unzureichend erfasst: Dem Beschäftigungszuwachs im sog. Speckgürtel steht ein mehr als dreimal so großer Beschäftigungsverlust der Kernstadt gegenüber. Darüber-hinaus hat die Umlandzone seit 1996 wieder eine rückläufige Gesamtbeschäftigung. Dies bedeutet, daß der vermeintliche Wachstumsmotor der Gesamtregion, der Speckgürtel, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre faktisch „abgespeckt“ wurde. Die Rede von einem Suburbanisierungsschub in der Berliner Region ist hinsichtlich der Arbeitsplätze irreführend. Wer die Beschäftigungsverluste der Kernstadt als ein Problem der Suburbanisierung betrachtet, pflegt die beruhigende Illusion einer „normalen“ Entwicklung.
Stefan Krätke, Renate Borst
Backmatter
Metadaten
Titel
Berlin: Metropole zwischen Boom und Krise
verfasst von
Stefan Krätke
Renate Borst
Copyright-Jahr
2000
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-09364-0
Print ISBN
978-3-8100-2393-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-09364-0