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2016 | Buch

Biochemie und Molekularbiologie

Eine Einführung in 40 Lerneinheiten

verfasst von: Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Diese Einführung in die Biochemie und Molekularbiologie ist für alle geschrieben, die sich für die molekularen Aspekte der Lebensvorgänge interessieren, insbesondere für Studierende der Medizin und der Naturwissenschaften, denen die Biochemie als Grundlagenwissenschaft dient. Die 40 kurzen Kapitel können weitgehend unabhängig voneinander benutzt werden. Mit seinem hohen Bildanteil setzt das Buch auf visuelles Lernen. Zu jedem Kapitel gibt es eine ausführliche, kommentierte Linksammlung, die u.a. Bildmaterial, Animationen, Datenbanken sowie Merksätze und Kontrollfragen enthält. Die Inhalte der Website können über QR-Codes im Buch, aber auch über die Webadresse abgerufen werden. Das Lehrbuch basiert auf dem 2005 von den Autoren veröffentlichten Titel Biochemie. Der Text ist korrigiert, ergänzt und gestrafft worden.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Die Moleküle des Lebens

Frontmatter
1. Biomoleküle und ihre Wechselwirkungen

Das Leben ist im Wasser entstanden, und Wasser ist der quantitativ wichtigste Bestandteil aller Lebewesen. Wasser ist das Lösungsmittel, in welchem die molekularen Lebensvorgänge ablaufen. Die Trockensubstanz der Zellen besteht vorwiegend aus biologischen Makromolekülen (ausnahmslos Polymere aus einfachen Bausteinen: Proteine, Nucleinsäuren, Oligo- und Polysaccharide) und Lipiden; niedermolekulare Verbindungen und anorganische Ionen bilden einen wesentlich geringeren Anteil. Das Zusammenspiel der Biomoleküle wird in erster Linie durch nichtkovalente Wechselwirkungen und hydrophobe Effekte vermittelt. Nucleinsäuren sind die Träger der genetischen Information; Proteine sind die molekularen Maschinen, welche den Phänotyp, das Erscheinungsbild der Organismen, erstellen und in Gang halten. Ein hochkomplexes regulatorisches Netzwerk steuert die mannigfaltigen Lebensvorgänge. Die Lebewesen sind thermodynamisch offene Systeme, die nicht im Gleichgewicht mit ihrer Umgebung stehen. Sie beziehen Energie von außen, um ihre hohe innere Ordnung herzustellen und zu erhalten. Die molekularen Grundzüge einfacher Bakterien und menschlicher Zellen sind einander bemerkenswert ähnlich.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
2. Kovalente Struktur der Proteine

Im Jahr 1838 fand Gerardus Mulder N-haltige Stoffe, die in den Geweben quantitativ vorherrschten, und gab diesen den Namen “Proteine“ (griech. proteion, die erste Stelle). Die Bezeichnung ist auch im qualitativen Sinn gerechtfertigt: Proteine sind die wichtigsten und vielfältigsten Struktur- und Funktionsträger der Zelle.Proteine sind unverzweigte Polymere aus 20 verschiedenen L-Aminosäuren (das achirale Glycin mitgezählt), die durch Peptidbindungen miteinander verknüpft sind. Die Nucleotidsequenz der DNA bestimmt die Abfolge der Aminosäurereste längs der Polypeptidkette; die Aminosäuresequenz bestimmt ihrerseits die räumliche Struktur des Proteins. Die meisten Polypeptidketten, die in der Zelle synthetisiert werden, besitzen einige hundert Aminosäurereste und eine Molekülmasse zwischen 10 und 100 kDa. Viele Proteine bestehen aus mehreren Polypeptidketten (Untereinheiten), die durch nichtkovalente Wechselwirkungen zusammengehalten werden. Die ersten gründlichen Untersuchungen von Proteinen wurden an Hühnereiweiß durchgeführt; Proteine werden deshalb im Deutschen auch als Eiweiße bezeichnet.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
3. Raumstruktur der Proteine

Proteine sind dreidimensionale Gebilde. Sie sind nur in ihrer genau definierten gefalteten Form, der nativen Konformation, biologisch aktiv. Die Faltung der Polypeptidkette erfolgt durch spontane Selbstorganisation. Die 3D-Struktur kann durch Röntgen-Kristallanalyse oder anhand der magnetischen Kernresonanz (NMR) bestimmt werden. Die in Proteinen erkennbaren strukturellen Muster sind periodische Sekundärstrukturen (α-Helix, β-Faltblatt), die aperiodische Tertiärstruktur (räumliche Organisation der gesamten Polypeptidkette) und die Quartärstruktur (Aufbau aus Untereinheiten). Globuläre Proteine haben eine mizellenartige Struktur (innen hydrophob, außen hydrophil) und sind daher gut wasserlöslich, Faserproteine sind dagegen wasserunlösliche Assoziate. Die Genabschnitte für Proteinfaltungseinheiten (Domänen) sind während der Evolution in manchen Fällen verdoppelt worden und haben nach Rekombination sowie Mutation zu Proteinen mit neuen Eigenschaften geführt. Strukturelle Komplementarität zwischen der Bindungsstelle von Proteinen und deren Bindungspartnern (Liganden) wie RNA, DNA, anderen Proteinen sowie niedermolekularen Verbindungen liegt der hohen Spezifität der biologischen Wechselwirkungen zugrunde. Molekulare Chaperone wirken der Fehlfaltung von Proteinen entgegen. Aggregierende fehlgefaltete Proteine liegen manchen neurodegenerativen Krankheiten zugrunde.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
4. Enzyme

Enzyme sind katalytisch wirksame Proteine. Die Stoffwechselwege in den Zellen setzen sich aus vielen verschiedenen Einzelschritten zusammen, von denen jeder durch ein besonderes Enzym katalysiert wird. Ohne Enzyme laufen die allermeisten biochemischen Reaktionen unmessbar langsam ab. Eine Zelle von Escherichia coli enthält etwa 1000 verschiedene Enzyme, eukaryontische Zellen ein Vielfaches davon. Enzyme beschleunigen die Einstellung des Gleichgewichts zwischen Substrat und Produkt, ohne die Lage des Gleichgewichts zu verändern. Enzyme zeigen hohe Substrat- und Reaktionsspezifität. Ein Enzym wird durch die Reaktion nicht verbraucht, es durchläuft einen Kreisprozess, aus dem es unverändert hervorgeht. Enzyme wurden früher auch als Fermente bezeichnet (Fermentum lat., das Agens, welches die alkoholische Gärung auslöst).Proteinseitenketten und prosthetische Gruppen (Coenzyme und Metallionen) binden das Substrat an die aktive Stelle des Enzyms; ihre Wechselwirkungen mit dem Substrat führen dazu, dass das Substrat innerhalb von Millisekunden in das Produkt übergeführt wird. Die Michaelis-Menten-Gleichung beschreibt die Abhängigkeit der Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion von der Substratkonzentration (Sättigungskurve). Die Reaktionsgeschwindigkeits-Temperatur (RGT)-Regel gilt auch für Enzymreaktionen.Allosterische Regulationsmechanismen und kovalente Modifikationen steuern den Stoffwechsel und verknüpfen ihn mit vielen weiteren zellulären Vorgängen zu einem regulatorischen Netzwerk.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
5. Polysaccharide und Oligosaccharide

Der weitaus größte Teil der in Organismen vorkommenden Kohlenhydrate sind Glykane (Polysaccharide und Oligosaccharide). Diese Polymere bestehen aus glykosidisch verbundenen Monosacchariden und Monosaccharidderivaten und haben, im Gegensatz zu Proteinen oder Nucleinsäuren, keine genau definierte Molekülmasse. Homoglykane bestehen aus nur einer Art von Monosaccharid, Heteroglykane dagegen aus zwei oder mehr verschiedenartigen Bausteinen.Reservehomoglykane wie Stärke oder Glykogen sind intrazelluläre, α-1,4-verknüpfte Glucosepolymere und dienen als Energiereserve der Zelle oder des Gesamtorganismus. Strukturhomoglykane wie Cellulose (β-1,4-Glucosepolymer) oder Chitin erfüllen strukturelle Funktionen außerhalb der Zelle.Heteroglykane enthalten außer Glucose und Galactose auch anionische Zuckerderivate. Glykoproteine (Zucker << Protein) und Proteoglykane/Peptidoglykane (Protein/Peptid << Glykosaminoglykane) finden sich an der Zelloberfläche und sind wichtig für die Zell-Zell-Erkennung. Proteoglykane der extrazellulären Matrix sind verantwortlich für die viskoelastischen Eigenschaften der Grundsubstanz des Binde- und Stützgewebes. Ein Peptidoglykan, das Riesenmolekül Murein, bildet die Grundstruktur der bakteriellen Zellwand.

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6. Lipide und biologische Membranen

Lipide sind wasserunlösliche Verbindungen, welche sich durch apolare Lösungsmittel wie Chloroform, Ether oder Benzol aus Gewebehomogenaten extrahieren lassen. Entsprechend dieser Definition, die keinerlei Strukturmerkmale anführt, sind die Lipide eine strukturell heterogene Gruppe von Biomolekülen. Außer ihren Löslichkeitseigenschaften ist ihnen gemeinsam, dass sie aus aktivierter Essigsäure (Acetyl-CoA) synthetisiert werden. Zu den Lipiden zählt man die Fette (Neutralfette) und die Lipoide (fettähnliche Substanzen). Ihre Funktionen sind vielfältig: Bestandteil biologischer Membranen, intrazelluläre Energiereserve, extrazelluläre Transportform chemischer Energie, Schutzmantel an Oberflächen; zudem sind einige Vitamine und Hormone den Lipiden zuzuzählen.Grundsätzlich sind alle biologischen Membranen gleich gebaut: Eine durchgehende Lipiddoppelschicht wirkt als passive Barriere und darin eingelagerte oder angelagerte Proteine erfüllen die aktiven Membranfunktionen (Stofftransport durch die Membran, transmembranäre Weiterleitung chemischer und physikalischer Signale, durch Membranpotenziale getriebene Prozesse sowie Verankerung des Cytoskeletts). Plasmamembranen tragen an ihrer Oberfläche zudem Kohlenhydrate, die wichtig sind zur Zell-Zell-Erkennung.

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7. Nucleinsäuren

Die Desoxyribonucleinsäure (Deoxyribonucleic acid, DNA) ist die Trägerin struktureller und regulatorischer genetischer Information. Basische Proteine, die Histone, verpacken die langen DNA-Doppelhelices der Eukaryonten in die Chromosomen. Ribonucleinsäuren (Ribonucleic acids, RNAs) setzen zusammen mit den Aminoacyl-tRNA-Synthetasen die genetische Information der DNA in die Struktur von Proteinen um und sind zudem an der Regulation dieses Vorgangs, der Genexpression, beteiligt.Die Aufklärung der molekularen Mechanismen der Vererbung und der Umsetzung des Gens ins Phän (das körperliche Merkmal) ist einer der eindrücklichsten Erfolge der modernen Naturwissenschaft und hat vor einem halben Jahrhundert das weite Gebiet der Molekulargenetik eröffnet. Die in der Folge geschaffenen experimentellen Möglichkeiten haben zu bahnbrechenden Fortschritten in der Biologie und der Medizin geführt.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit

Molekulare Genetik

Frontmatter
8. Replikation, Reparatur und Rekombination der DNA

Die Verdoppelung der DNA ist Voraussetzung für die mitotische Zellteilung: Für die beiden Tochterzellen wird je eine identische Kopie der DNA bereitgestellt. Die DNA-Biosynthese verläuft in drei Phasen: Initiation, Elongation und Termination. Die Weitergabe der genetischen Information beruht auf spezifischer Basenpaarung. Die DNA wird semikonservativ repliziert, die DNA-Doppelhelices der Tochtergeneration bestehen aus je einem der beiden Elternstränge und einem neusynthetisierten komplementären Tochterstrang. Der Multiprotein-Replikationskomplex produziert gleichzeitig die zwei neuen gegenläufigen Tochterstränge. Der eine Tochterstrang wird kontinuierlich durch Anknüpfen eines Nucleotids nach dem anderen an das 3’-OH-Ende verlängert. Der andere Tochterstrang wird ebenfalls in 5‘-3‘- Richtung, jedoch stückweise, synthetisiert (Okazaki-Fragmente). Die Replikationsmaschinerie überprüft die Komplementarität der neusynthetisierten Stränge und korrigiert allenfalls auftretende Fehler. Die hohe Präzision des Replikationsvorgangs zusammen mit hochwirksamen Reparatursystemen garantiert, dass in einer Säugerzelle im Durchschnitt pro Replikationsrunde nur etwa ein Fehler pro 109 replizierte Basen eingeführt wird. Die DNA-Reparatursysteme stabilisieren das Genom und wirken den Alterungsprozessen und der Tumorentstehung entgegen.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
9. Transkription: Biosynthese der RNA

Bei der Transkription wird die Nucleotidsequenz des DNA-Matrizenstrangs (-Strangs) eines Gens durch Basenpaarung in einen in 5’→ 3’-Richtung synthetisierten RNA-Einzelstrang umgeschrieben. Die Sequenz der RNA ist damit identisch (außer U statt T) mit der Sequenz des codierenden +Strangs der DNA. Die Synthese aller RNA-Typen wird durch DNA-abhängige RNA-Polymerasen katalysiert. Die Genauigkeit ist geringer als bei der DNA-Replikation; ein Korrekturlesen findet nicht statt. Etwa 3/4 des menschlichen Genoms werden transkribiert; die ≈ 21 000 proteincodierenden Gene entsprechen 2% des Genoms.Bei der Replikation wird stets das gesamte Chromosom kopiert. Bei der Transkription wird hingegen in einer gegebenen Zelle jeweils nur eine Auswahl von Genen transkribiert: Neben dem Startsignal (dem A- und T-reichen Promotor) und dem Stopp-Signal erkennt die RNA-Synthesemaschinerie auch regulatorische Sequenzen der DNA und ermöglicht damit die individuell regulierte Transkription der einzelnen Gene.Die primären Transkriptionsprodukte werden bei Eukaryonten vielfältig verändert. Diese Reifung (Processingder RNA) verläuft bei den verschiedenen RNA-Typen in unterschiedlicher Weise. Bei der mRNA werden beide Enden modifiziert und nichtcodierende Abschnitte (Introns) herausgeschnitten (Spleißen, Splicing).

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
10. Translation: Übersetzung des Gens ins Phän

Die Übersetzung der Nucleotidsequenz der DNA in die Aminosäuresequenz der Proteine beruht auf dem genetischen Code. Die Entzifferung des genetischen Codes bestätigte, dass die Nucleotidsequenz der DNA die Aminosäuresequenz der Proteine bestimmt.Die Dolmetschermoleküle, welche die Nucleotidsprache der Gene mit 4 verschiedenen Buchstaben in die Aminosäuresprache der Proteine mit 20 Buchstaben übersetzen, sind die tRNAs zusammen mit den Aminoacyl-tRNA-Synthetasen, welche die tRNAs mit der zugehörigen Aminosäure aufladen. Die Ribosomen sind die molekularen Maschinen, welche Aminosäuren unter Verbrauch von ATP und GTP zu Polypeptiden zusammensetzen. Sie bestehen aus rRNA und Proteinen. Die mRNA, als einzelsträngige, dem + Strang entsprechende Arbeitskopie der DNA, steuert die Ribosomen und bestimmt die Aminosäuresequenz des Translationsprodukts.

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11. Regulation der Genexpression

In Eukaryonten dient die Mehrzahl der Gene (RNA-Gene) zur Produktion regulatorisch oder katalytisch aktiver RNA; ein kleinerer Anteil (Protein-Gene) liefert mRNA zur Proteinsynthese. Das Proteom (Gesamtheit der Proteine) variiert je nach Zelltyp; in einer gegebenen Zelle werden nur ≈ 5% aller Protein-Gene exprimiert. Die allermeisten Gene werden über die Frequenz des Transkriptionsstarts gesteuert.Bei Prokaryonten enthält ein Operon mehrere hintereinander gereihte Gene, welche miteinander reguliert und auf das gleiche mRNA-Molekül transkribiert werden. Das Chromatin der Eukaryonten ist im Grundzustand stillgelegt, die weit verstreuten Gene werden individuell aktiviert: Die Gene besitzen verschiedene Promotoren und zusätzliche genspezifische regulatorische DNA-Abschnitte, darunter auch die weitab vom Promotor liegenden Enhancer und Silencer. Zudem wird die Halbwertszeit der mRNA individuell reguliert. Die Genregulation bei vielzelligen Eukaryonten umfasst einen komplexen qualitativen Aspekt: Wie entwickeln sich aus einer Eizelle die so vielfältig spezialisierten Zellen, die doch alle das gleiche Genom haben? Und wie werden bei Zellteilungen die zelltypischen Merkmale an die Tochterzellen weitergegeben? Diese epigenetische Vererbung, die Weitergabe von Merkmalen, welche nicht in der Basenabfolge der DNA festgelegt sind, kommt zustande durch Methylierung der DNA, Modifikation gewisser Histone und RNA-Interferenz (RNAi).

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
12. Plasmide, Viren, Viroide und Prionen

Das Genom eines Organismus enthält viele konservierte DNA-Segmente, die durch Viren oder Plasmide innerhalb eines Chromosoms aber auch zwischen Chromosomen verlagert werden können (Transposition). Diese mobilen genetischen Elemente (Transposons) können während der Phylogenese und der Ontogenese an andere Orte im Genom verschoben werden. Das menschliche Genom enthält eine Vielzahl von Transposons, die oft in mehrfachen Kopien vorkommen. Kurze Insertionssequenzen im Transposon und der Akzeptorregion bestimmen das Woher und Wohin des Austauschs; Rekombinationsenzyme erkennen diese spezifischen Nucleotidsequenzen und katalysieren die nötigen Bindungswechsel.Die Integration und Entfernung mobiler DNA-Segmente wurden zuerst bei der Infektion von Bakterien durch Bakteriophagen beobachtet. Am einfachsten lässt sich die genetische Rekombination anhand bakterieller Antibiotika-Resistenzfaktoren in Plasmiden darstellen.Viren bestehen aus Nucleinsäuren (dsDNA, ssDNA, dsRNA oder ssRNA) und 1-200 verschiedenen Proteinen (Hüllproteine und Enzyme); gewisse Viren besitzen zudem eine Lipiddoppelmembran.Viroide und Prionen sind pathogene infektiöse Makromoleküle und bestehen aus nackter zirkulärer ssRNA bzw. aus dem Prionprotein in fehlgefalteter Konformation. Viroide verursachen Krankheiten von Kulturpflanzen, Prionen führen bei Mensch, anderen Säugern und auch bei Hefe zu Proteinfehlfaltungskrankheiten.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit

Stoffwechsel

Frontmatter
13. Grundsätzliches zum Stoffwechsel

Die hunderte bis tausende chemischer Reaktionen, die in einer Zelle und in einem vielzelligen Organismus ablaufen, werden in ihrer Gesamtheit als Stoffwechsel (Metabolismus) bezeichnet. Der Stoffwechsel dient zwei Zwecken: Gewinnung chemischer Energie sowie Auf- und Abbau der Bestandteile des Organismus. Jedes Lebewesen entspricht einer Insel hoher Ordnung (niedriger Entropie) inmitten eines chemischen Chaos. Für Aufbau und Erhaltung des hohen Ordnungsgrades muss Energie von außen (Sonnenlicht bei phototrophen Organismen; Nährstoffe bei chemotrophen Organismen) zugeführt und in eine von den Zellen verwendbare Form (ATP) übergeführt werden. Dabei wird Wärme frei.Jede Einzelreaktion des Stoffwechsels wird durch ein spezifisches Enzym katalysiert. Dank der Reaktions- und Substratspezifität der Enzyme verläuft der metabolische Fluss der Materie in den geordneten Bahnen des Stoffwechselnetzwerks. Komplexe regulatorische Netzwerke, welche die katalytische Aktivität einzelner Schlüsselenzyme steuern, passen den Stoffdurchsatz durch die verschiedenen Stoffwechselwege den jeweiligen Erfordernissen der Zelle und des Organismus an. In diesem Teil des Lehrbuchs geht es darum, die Bedeutung der wichtigsten Stoffwechselwege für das Leben der Zelle bzw. des Gesamtorganismus aufzuzeigen

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
14. Glykolyse und Citratzyklus

Für die meisten Gewebe ist Glucose neben Fettsäuren der wichtigste Energielieferant. Wenn genügend O2 vorhanden ist, wird Glucose durch die Reaktionskette der Glykolyse (griech., Abbau von Zucker) im Cytosol zu Pyruvat (Anion der Brenztraubensäure, pyruvic acid) und darauf durch den Pyruvatdehydrogenase-Multienzymkomplex in den Mitochondrien zu Acetyl-CoA (aktivierte Essigsäure) und CO2 abgebaut (aerobe Glykolyse). Acetyl-CoA wird weiter über den Citrat-Zyklus oxidativ zu CO 2 abgebaut. Die Oxidation der entstehenden Reduktionsäquivalente (NADH und FADH2) durch O2 in der Atmungskette ist gekoppelt mit der Synthese von ATP. Diese „oxidative Phosphorylierung“ ist der Hauptlieferant von ATP in eukaryontischen Zellen (etwa 30 mol ATP/Mol Glucose).Zellen können Glucose auch ohne Koppelung mit O2-abhängigen Oxidationsvorgängen zur Gewinnung von ATP nutzen (anaerobe Glykolyse). Bei der Milchsäuregärung wird Glucose nichtoxidativ über Pyruvat zu Lactat (Anion der Milchsäure) abgebaut. Bei Mensch und höheren Tieren wird Glucose nur unter bestimmten Bedingungen auf diese Weise abgebaut: in den Erythrocyten, die keine Mitochondrien besitzen, und in der Muskulatur, wenn bei hoher Leistung der O2-Nachschub nicht mehr ausreicht. Bei der alkoholischen Gärung der Hefe wird Pyruvat anaerob zu Ethanol und CO2 abgebaut. Der anaerobe Abbau von 1 mol Glucose zu Lactat oder Ethanol liefert nur 2 mol ATP.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
15. ATP-Synthese in Mitochondrien

Im Citratzyklus und bei der Fettsäureoxidation entstehen NADH und enzymgebundenes FADH2, die in einer stark exergonischen Reaktion Sauerstoff zu Wasser reduzieren können:NADH + H+ + ½ O2 → NAD+ + H2OFADH2 + ½ O2 → FAD + H2ODie enzymkatalysierte Übertragung der Elektronen von NADH und FADH2 auf O2 verläuft über die mehrstufige, in der inneren Mitochondrienmembran ablaufende Atmungskette. In der damit gekoppelten oxidativen Phosphorylierung wird die bei diesen Redoxreaktionen frei werdende Energie (∆G0’= -219 kJ/mol) für die Synthese von ATP aus ADP und Pi genutzt. Die freiwerdende Energie entspricht derjenigen der Knallgasreaktion, die sehr rasch und daher mit Knall abläuft!H2 + ½ O2 → H2O  ∆G0’= -242 kJ/molEine Reihe hintereinander geschalteter Elektronenüberträger (Flavoproteine, FeS-Zentren, Ubichinon und Cytochrome transferiert die Elektronen von NADH oder FADH2 auf O2. Mit der dabei freigesetzten Energie werden H+-Ionen aus der Matrix in den Intermembranalraum der Mitochondrien gepumpt: Die H+-Konzentration außerhalb der inneren Membran wird höher als in der Matrix. Das Zurückfließen von H+ in Richtung des Konzentrationsgefälles ist gekoppelt mit der Synthese von ATP durch die ATP-Synthase der inneren Mitochondrienmembran (chemiosmotischer Mechanismus der oxidativen Phosphorylierung: 3 mol ATP/ mol NADH): Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle! Gewisse Giftstoffe, z.B. Cyanid, blockieren den Elektronentransport und damit die ATP-Synthese.

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16. Gluconeogenese, Glykogen, Disaccharide und Pentosephosphatweg

Woher kommt die Glucose, welche der Zelle über Glykolyse, Citratzyklus und oxidative Phosphorylierung die Synthese von ATP ermöglicht? Glucose wird bei Mensch und Tier entweder mit der Nahrung in Form von Stärke und Disacchariden zugeführt oder durch Abbau des Reservekohlenhydrats Glykogen erhalten. Sind diese Quellen erschöpft, wird Glucose aus Nichtkohlenhydrat-Vorläufern synthetisiert (Gluconeogenese).Der Pentosephosphatweg, ein alternativer Abbauweg für Glucose, versorgt den Organismus mit NADPH und Pentosen: Die Zelle benötigt NADPH als Reduktionsmittel für reduktive Synthesen (z.B. von Fettsäuren aus Acetyl-CoA) und Pentosen als Bausteine von Nucleotiden und Nucleinsäuren. In NADP+ ist der Adenosinrest von NAD+ in der 2’-Stellung phosphoryliert. NADP+ wird wie NAD+ durch ein Hydridion (H-) reversibel zu NADPH reduziert.

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17. Stoffwechsel der Fettsäuren und Lipide

Die Fettsäuren sind Bausteine der Triacylglycerole im Reservefett und der polaren Lipide in den Membranen. Freie Fettsäuren sind eine Transportform chemischer Energie; das Fettgewebe versorgt damit die Muskulatur und weitere Organe. Die biologischen Fettsäuren sind unverzweigt und besitzen meist eine gerade Anzahl von C-Atomen, häufig sind C16- und C18-Fettsäuren; etwa die Hälfte der Fettsäuren ist ungesättigt mit 1 bis 3 cis-Doppelbindungen. Die Fettsäuren werden in den Mitochondrien durch β-Oxidation schrittweise zu Acetyl-CoA abgebaut. Die Synthese der Fettsäuren aus Acetyl-CoA läuft im Cytosol ab und entspricht formal einer Umkehr der β-Oxidation; als Reduktionsmittel dient, wie meist bei reduktiven Biosynthesen, NADPH.Die Ketonkörper (Hauptvertreter β-Hydroxybutyrat) werden in der Leber vermehrt gebildet, wenn im Hungerzustand durch verstärkten Fettsäureabbau mehr Acetyl-CoA anfällt, als der Citratzyklus aufnehmen kann. Die wasserlöslichen Ketonkörper gelangen von der Leber zu peripheren Organen, die sie zur Energiegewinnung abbauen.Die Lipide sind durch ihre Löslichkeit in organischen Lösungsmitteln definiert und daher nicht nur strukturell, sondern auch funktionell sehr vielfältig: Triacylglycerole dienen als Hauptreserve chemischer Energie, polare Lipide und Cholesterol sind Membranbestandteile, und Cholesterol ist zudem Vorstufe für Steroidhormone, Vitamin D und Gallensäuren.

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18. Stoffwechsel der Proteine und Aminosäuren

Der Abbau von Nahrungsproteinen und körpereigenen Proteinen speist den Aminosäuren-Pool des Organismus. Überschüssige Aminosäuren können nicht wie Glucose und Fettsäuren als Reserve angelegt werden; sie werden zur Energiegewinnung abgebaut oder zu anderen Energieträgern umgebaut. Die körpereigenen Proteine werden fortwährend umgesetzt (beim Menschen 1-2 % des Gesamtproteins pro Tag). Der Abbau erfolgt in spezialisierten, vom Rest der Zelle abgeschotteten Räumen: Die membranumschlossenen Lysosomen besorgen den generellen, nichtselektiven Abbau, und im Innern großer Proteinabbaumaschinen, der Proteasomen, findet der Ubiquitin-kontrollierte, ATP verbrauchende Abbau schadhafter Proteine statt.Viele Enzyme des Aminosäurestoffwechsels benötigen Pyridoxal-5’-phosphat, ein Vitamin B6-Derivat, als prosthetische Gruppe. Die Phenylketonurie ist der häufigste der zahlreichen genetischen Enzymdefekte im Aminosäurestoffwechsel.Aminosäuren sind nicht nur die Bausteine von Peptiden und Proteinen sondern auch Ausgangssubstanzen zur Synthese mannigfaltiger niedermolekularer stickstoffhaltiger Verbindungen mit wichtigen Funktionen: biogene Amine, Polyamine, weitere Signalmoleküle und gewisse Hormone, Stickstoffmonoxid (NO), Kreatin und Porphyrine.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
19. Stoffwechsel der Purin- und Pyrimidinnucleotide

Alle Gewebe synthetisieren dauernd Ribonucleotide als Bausteine der RNA. Desoxyribonucleotide werden in geringerer Menge benötigt, da DNA nur vor der Zellteilung und zu Reparaturzwecken synthetisiert wird. Die Zellen in Darmmucosa, Haut und Knochenmark erneuern sich fortlaufend, hingegen teilen sich die Zellen in Gehirn, Muskulatur, Knochen und Knorpel nur selten.Purin- und Pyrimidinnucleotide werden entweder aus kleineren Vorstufen de novo synthetisiert oder aus Purinbasen und Pyrimidinnucleosiden, welche vom Nucleinsäurenabbau stammen, wieder aufgebaut (Wiederverwertungsweg, Salvage pathway).Inhibitoren diverser Schritte der Purin- und Pyrimidinsynthese werden als Bakteriostatika oder Zytostatika eingesetzt: Sulfonamide hemmen die Synthese der Folsäure in Bakterien; das Zytostatikum Fluorouracil wird zu Fluoro-dUMP umgesetzt, welches die Thymidylat-Synthase hemmt; Folsäureantagonisten hemmen die Dihydrofolat-Reduktase und werden als Bakteriostatika und Zytostatika verwendet.Überschüssige Nucleotide werden abgebaut. Die Ribose wird als Ribosephosphat freigesetzt; die Pyrimidinbasen werden zu Ammoniak und CO2 abgebaut, während die Purinbasen je nach Spezies als Harnsäure oder Allantoin im Urin ausgeschieden werden. Die schlecht wasserlösliche Harnsäure und ihr Natriumsalz (Natriumurat) fallen bei höheren Konzentrationen leicht aus: Harnsteine und Gicht (Ablagerung von Natriumuratkristallen in gewissen Geweben) können die Folgen sein.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
20. Photosynthese

Phototrophe Organismen (Pflanzen, Algen, Cyanobakterien) benutzen Lichtenergie, um aus CO2 und H2O Kohlenhydrate aufzubauen. Von dieser Syntheseleistung abhängig sind auch die chemotrophen Organismen, die auf organische Nährstoffe angewiesen sind. Die Photosynthese liefert zudem Luftsauerstoff für die oxidative Phosphorylierung. Die Photosynthese liefert Glucose entsprechend der Nettogleichung6 CO2 + 6 H2O $$\xrightarrow{\text{Lichtenergie}}$$ C6 H12O6 + 6 O2; ΔG°’ = 2820 kJmol-1.Bilanzmäßig wird CO2 durch Wasser zu Kohlenhydrat reduziert; Lichtenergie ermöglicht den photosynthetisierenden Zellen, das hierzu benötigte NADPH und ATP bereitzustellen.Chlorophyll, ein grüner Tetrapyrrol-Farbstoff ähnlich dem Häm, jedoch mit Mg2+ als Zentralion, ermöglicht den phototrophen Organismen, die zur Synthese von NADPH und ATP notwendige Energie aus dem Sonnenlicht einzufangen. In den Lichtreaktionen der Photosynthese werden H2O-Moleküle in Elektronen, Protonen und Sauerstoffatome zerlegt und die Elektronen durch Lichtenergie auf ein Energieniveau (mit stark negativem Redoxpotenzial) angehoben, das ausreicht, um NADP+ zu reduzieren. NADPH ist ein genügend starkes Reduktionsmittel, um CO2 durch Reduktion an einem organischen Akzeptor zu fixieren. Diese CO 2 -Assimilierung in den Dunkelreaktionen ist lichtunabhängig; die Reaktionen entsprechen zum Teil den nichtoxidativen Abschnitten des Pentosephosphatwegs.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
21. Besonderheiten des Stoffwechsels von Pflanzen und Bakterien

Pflanzen beziehen Energie aus dem Sonnenlicht und nehmen sämtliche Baustoffe in anorganischer Form auf: Kohlenstoff als CO2, Stickstoff als Nitrat oder Ammoniak und Schwefel als Sulfat: Pflanzen sind photoautotroph.Die Photosynthese in Pflanzen, Algen und Cyanobakterien versorgt alle anderen Lebewesen mit organisch gebundenem Kohlenstoff. Bodenbakterien assimilieren N2 aus der Luft, und Pflanzen assimilieren NO3- und NH4+ aus dem Boden, wodurch sie die Biosphäre mit organisch fixiertem Stickstoff versorgen. Dasselbe gilt für die Assimilation von Schwefel aus SO42- durch Bakterien und Pflanzen. Stickstoff und Schwefel werden zu NH3 bzw. H2S reduziert und danach in Aminosäuren und weitere N- und S-haltige Verbindungen eingebaut.Pflanzen transportieren Kohlenhydrat zumeist in Form von Saccharose und speichern chemische Energie in Form von Stärke und Triacylglycerol. Im Unterschied zu Mensch und Tier synthetisieren Pflanzen Speicherproteine als Aminosäurereserve. Der Sekundärstoffwechsel der Pflanzen produziert äußerst vielfältige Verbindungen als Schutz gegen Fraß und mikrobielle Pathogene. Zahlreiche sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe werden als Medikamente verwendet. Die Phytohormone regulieren fast ausschließlich Wachstum und Entwicklung der Pflanze und nur in seltenen Fällen den Stoffwechsel.Bakterien weisen zahlreiche Stoffwechselwege auf, die weder bei Tieren noch Pflanzen vorkommen, und ihnen erlauben, unter verschiedensten Bedingungen zu wachsen.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit

Molekulare Zellbiologie

Frontmatter
22. Zellkompartimente und Proteinsortierung

Eukaryontische Zellen sind durch symbiontische Vereinigung prokaryontischer Zellen entstanden. Im Laufe der Evolution sind die meisten Gene der endosymbiontischen Vorläufer von Mitochondrien, Chloroplasten und anderen Plastiden ins Genom der Wirtszelle übertragen worden, so dass nun die entsprechenden Proteine im Cytosol synthetisiert werden und von dort in die Organellen importiert werden müssen. In eukaryontischen Zellen werden außer Mitochondrien und Chloroplasten diverse andere Organellen und auch Membranen mit spezifischen Proteinen ausgestattet. Diese nichtcytosolischen Proteine werden bei ihrer Synthese mit einem Kennzeichen, einer Adresse, ausgestattet, die ihren Bestimmungsort festlegt. Die Adressen sind kurze lineare Signalsequenzen, räumlich strukturierte Signale in größeren gefalteten Regionen des Proteins oder posttranslational übertragene Strukturen.Die Zielerkennungssequenz befindet sich i.d.R. am NH2-Terminus; sie erscheint daher bei der Synthese des Proteins zuerst an der Oberfläche des Ribosoms und bestimmt den weiteren Weg des Proteins. Je nach Protein kann die Verschiebung durch die entsprechende Membran schon während der Synthese in Gang kommen (cotranslationale Translokation durch ER-Membran für intrazellulären Vesikeltransport) oder erst nach deren Abschluss stattfinden (posttranslationale Translokation in Mitochondrien, Plastiden u.a.m.). Eine Signalpeptidase entfernt das NH2-terminale Signalpeptid bei seinem Erscheinen im Lumen der Mitochondrien oder Plastiden bzw. des ER.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
23. Cytoskelett und molekulare Motoren

Das Cytoskelett, ein intrazelluläres Proteingerüst, ist verantwortlich für Form, mechanische Festigkeit und räumliche Organisation der Zelle. Es besteht aus großen teils linearen, teils vernetzten Proteinassoziaten aus wenigen Typen von Untereinheiten: Actinfilamente und Intermediärfilamente sind langgestreckte Polymere aus jeweils einem Typ von Untereinheit, während Mikrotubuli aus Heterodimeren von α- und β-Tubulin aufgebaut sind. Alle drei Filamenttypen können aus Tausenden von Untereinheiten bestehen und die ganze Zelle durchziehen. Sie können nach Bedarf, d.h. auf entsprechende Signale, durch Anlagern weiterer Einheiten sich verlängern oder sich durch Depolymerisierung verkürzen. Im Cytoskelett sind sie zu einem dynamischen Gesamtsystem verbunden. Zusammen mit ATP-getriebenen Motorproteinen ist das Cytoskelett auch verantwortlich für Formveränderungen der Zelle und für intrazelluläre Bewegungen: Motorproteine transportieren zusammen mit Actinfilamenten und Mikrotubuli Proteine, Organellen und Vesikel an deren Zielorte in der Zelle.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
24. Zellzyklus; Kontrolle von Zellwachstum und Zelltod

Durch Zellteilung entsteht aus einer befruchteten Eizelle ein erwachsener Mensch mit ≈ 1014 Zellen. Da während der Morphogenese gewisse Zellen kontrolliert absterben, werden wesentlich mehr als 1014 Zellen gebildet, bis ein Mensch zur vollen Größe ausgewachsen ist. Auch nachher finden weiterhin Zellteilungen statt: Die Teilung von Stammzellen liefert Ersatz für abgestorbene Zellen; der Zellnachschub ist besonders intensiv in Geweben mit hohem Zellumsatz, wie Epidermis, Darmschleimhaut oder blutbildendem Knochenmark. Die meisten differenzierten Zellen eines adulten Organismus teilen sich jedoch nicht mehr; Wachstumsfaktoren und andere Einwirkungen können jedoch den Ruhezustand pluripotenter Stammzellen beenden und sie erneut zur Teilung bringen, z.B. bei der Wundheilung.Eine lebende Zelle hat drei Möglichkeiten: Sie kann ruhen, in den Zellzyklus eintreten oder sterben. Der Zelltod wird eingeleitet, wenn die Zelle nicht mehr gebraucht wird oder schädigend wirkt, indem sie sich z.B. am falschen Ort befindet oder durch Mutationen die Wachstumskontrolle verloren hat. Nie ist es ein einzelner Faktor, welcher das Überleben einer Zelle kontrolliert, sondern immer ein Regulationsnetzwerk, das zahlreiche Pro- und Kontra-Signale integriert. Fällt die Entscheidung auf Zelltod, wird wenn möglich der Vorgang des kontrollierten Zelltods (Apoptose) eingeleitet: Die Makromoleküle der Zelle werden einem regulierten Programm gemäß abgebaut und resorbiert.

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25. Zelladhäsion, Zellkontakte und extrazelluläre Matrix

Die meisten Zellen höherer Organismen arbeiten als Team in Geweben und Organen zusammen. Die Zellen stehen dort in Kontakt mit der extrazellulären Matrix (Extracellular matrix ECM), einem komplexen Geflecht sezernierter Faserproteine und Glykane sowie daran gebundener Proteine der Signalübermittlung. Die ECM hält die Zellen und die Gewebe zusammen. Direkte Zell-Zell-Wechselwirkungen stabilisieren die Gewebe zusätzlich; die zellinternen Netze der Intermediärfilamente und Actinfilamente wirken dabei mit den Zell-Zell-Kontakten zusammen. Zelloberflächenproteine besitzen Bindungsstellen für die verschiedenen Komponenten der ECM. Viele Zellen neigen außerhalb ihrer gewohnten Umgebung, d.h. ohne Verankerung in der ECM, zur Apoptose.Pflanzliche Zellwände sind eine besondere Form der ECM, welche jede einzelne Zelle umschließt und stabilisiert. Die pflanzlichen Zellwände gaben ursprünglich den Anlass zur Beschreibung der Cellulae (lat. Kämmerchen), die sich in Lichtmikroskopen gut darstellen lassen und in gewissen Fällen sogar von bloßem Auge sichtbar sind.

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26. Stoffaustausch durch Membranen

Biologische Membranen begrenzen Zellen und deren Kompartimente. Sie sind aufgrund ihrer Lipiddoppelschicht zwar durchlässig für kleine hydrophobe Moleküle (z.B. O2 und CO2) und kleine ungeladene Moleküle (H2O, Harnstoff, Ethanol) aber kaum permeabel für Ionen und größere hydrophile Moleküle. Die relative Undurchlässigkeit biologischer Membranen ermöglicht den Zellen, in einer chemisch andersartig zusammengesetzten Umgebung zu leben. Hierbei müssen jedoch bestimmte Stoffe selektiv durch Membranen transportiert werden: Nährstoffe werden aufgenommen, Stoffwechselendprodukte werden ausgeschieden; gewisse Stoffwechselreaktionen laufen nur in einem bestimmten Zellkompartiment ab, und ihre Produkte werden selektiv in andere Kompartimente weitergeleitet.Jede zelluläre Membran enthält viele verschiedene Transportproteine; Membrantransporter sind spezifisch für ihr bestimmtes Transportsubstrat. Aktiver Membrantransport häuft unter Energieaufwand Moleküle und Ionen in einem Kompartiment an. Passiver Transport entspricht einer erleichterten (katalysierten) Diffusion, er erfolgt vom Kompartiment mit der höheren Konzentration ins Kompartiment mit der niedrigeren Konzentration.

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27. Rezeptoren und Signaltransduktion

Einzeller reagieren auf gewisse Stoffe in ihrer Umgebung, sie können z.B. Lockstoffe einer anderen Zelle wahrnehmen und sich darauf zu bewegen (Chemotaxis); sie benötigen jedoch keine hoch entwickelte Signalübermittlung. Jede Zelle eines mehrzelligen Organismus hat hingegen als Teil eines größeren Ganzen zu wirken. Die Ausbildung dieses komplexen Organisationszustands während der Ontogenese und dessen Aufrechterhaltung im adulten Organismus verlangen entsprechend komplexe Systeme der Signalübermittlung. Als Mittel zur interzellulären Kommunikation sezernieren die Zellen spezialisierte Botenstoffe. Diese Signalmoleküle (Hormone und Mediatoren) binden an spezifische Rezeptoren, d.h. Transmembranproteine oder seltener intrazelluläre Proteine der Zielzellen. Die Wechselwirkung mit dem Signalstoff führt zu einer Konformationsänderung des Rezeptorproteins, die im Zellinnern über Signalkaskaden von Enzymaktivierungen und sekundären Botenstoffen (Second messengers) die spezifische Reaktion der Zielzelle auslöst. Intensität, Dauer und Ort der Signale bestimmen die Reaktionen der Zielzelle. Die intrazelluläre Signaltransduktion wird am treffendsten als ein regulatorisches Netzwerk in Raum und Zeit beschrieben, das bestimmte zelluläre Vorgänge durch jeweilige Integration zahlreicher positiver und negativer Signale steuert. Auf ähnliche Weise, wie ein regulatorisches Netzwerk jede einzelne Zelle kontrolliert, steuern übergeordnete Signalnetzwerke den Gesamtorganismus.

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Molekulare Physiologie

Frontmatter
28. Hormone und Mediatoren

Hormone dienen, zusammen mit den Wachstumsfaktoren, zur extrazellulären Signalübermittlung. Die strukturell heterogenen Hormone werden in spezialisierten Drüsen oder Einzelzellen gebildet und ins Blut oder die interstitielle Flüssigkeit sezerniert (innere Sekretion). Über den Blut- oder Lymphkreislauf gelangen sie zu ihren Zielzellen (endokrine Signalübermittlung), binden dort an ihre spezifischen Rezeptoren und bringen deren Signaltransduktion in Gang.Glanduläre Hormone sind die klassischen Hormone aus spezialisierten Hormondrüsen; aglanduläre Hormone werden von spezialisierten Einzelzellen abgegeben, dazu gehören die neurosekretorischen Hormone aus Nervenzellen. Gewebehormone oder Mediatoren haben wegen ihres raschen Abbaus nur lokale Wirkung. Die hormonal regulierten Funktionseinheiten sind Zellen, Gewebe oder Organe. Hormone koordinieren deren Zusammenspiel, insbesondere regulieren sie die Stoffwechselleistungen bestimmter Organe. Die hierarchisch am höchsten gestellten Hormondrüsen liegen im Gehirn und kontrollieren periphere Hormondrüsen und andere Effektororgane. Die hormonale Signalübermittlung ist wesentlich langsamer als die neuronale Übermittlung.Die Pheromone und Autoinducers übermitteln chemische Signale zwischen den Individuen einer Spezies, insbesondere bei gewissen Bakterien und Insekten dienen sie als Erkennungs- bzw. Sexuallockstoffe. Pflanzen verfügen über besondere Phytohormone.

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29. Neurotransmitter; Photo-, Geruchs- und Geschmacksrezeptoren; Chemotaxis bei Eukaryonten

Neuronen geben eine Alles-oder-nichts-Reaktion: Nach Verrechnung aller einkommenden aktivierenden und hemmenden Signale wird entweder ein Signal (Aktionspotenzial) weitergegeben oder es wird kein Signal weitergegeben. Die Fortleitung des Aktionspotenzials entlang des Axons ist ein elektrischer Vorgang, an dem spannungsgesteuerte Na+- und K+- Kanäle beteiligt sind. Das Aktionspotenzial kann jedoch den synaptischen Spalt nicht durchqueren. Die allermeisten Synapsen sind chemische Synapsen: Das ankommende Aktionspotenzial führt zur Ausschüttung eines Überträgerstoffs (Neurotransmitters) in den synaptischen Spalt. Das Binden des Neurotransmitters an seinen Rezeptor in der postsynaptischen Membran bewirkt deren Depolarisierung, die ein Aktionspotenzial auslösen kann. Der Transmitter wird innert Millisekunden enzymatisch inaktiviert oder vom präsynaptischen Neuron und von Gliazellen aufgenommen.In den Photorezeptoren des Auges genügt ein Photon, um die cis→trans-Isomerisierung eines Retinalmoleküls zu induzieren. Retinal ist die prosthetische Gruppe des Sehpurpurs (Rhodopsin), deren Isomerisierung über eine Konformationsänderung des Rhodopsins und ein G-Protein die Signalkaskade der Lichtperzeption in Gang setzt.Die Geruchsrezeptoren des Riechepithels der Nase sowie die Bitter-, Süß- und Umami- Geschmacksrezeptoren der Zunge sind ebenfalls G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Die Geschmacksqualitäten salzig und sauer werden über Ionenkanäle registriert.

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30. Bewegungsapparat: Muskeln, Bindegewebe und Knochen

Alle Bewegungsarten von Tieren beruhen auf der Entwicklung von Zugkräften durch Muskeln. Die Muskulatur der Vertebraten ist besonders wirkungsvoll, indem sie mit einem beweglichen Endoskelett zusammenarbeitet. Zum Bewegungsapparat gehören daher auch passive Teile: Knochen, Gelenke mit ihren Bändern und Sehnen, die Knochen und Muskeln verbinden. Tiere besitzen aber auch Muskeln, die ohne Beteiligung eines Skeletts chemische Energie in mechanische Arbeit umsetzen. Diese Muskeln (Herzmuskel und glatte Muskulatur von Darm, Blutgefäßen und anderen Hohlorganen) erfüllen unwillkürliche Funktionen und werden durch das vegetative Nervensystem gesteuert. Alle Muskeltypen kontrahieren sich jedoch aufgrund ähnlicher molekularer Mechanismen.Das entscheidende strukturelle Merkmal der Muskeln ist die regelmäßige Anordnung der dünnen Actinfilamente und der dickeren Myosinfilamente, die parallel ineinander hineinragen. Das Myosinfilament besteht aus hunderten von Myosinmolekülen. Bei der Muskelkontraktion hangeln sich die Myosinköpfchen unter ATP-Verbrauch an den benachbarten Actinfilamenten vorwärts. Durch die summierte Kraftentwicklung der vielen sich längs der Actinfilamente bewegenden Myosinköpfchen verschieben sich die Myosin- und Actinfilamente weiter ineinander, woraus sich die Zugkraft des Muskels ergibt.

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31. Enzymatische Schutzmechanismen

Neben Hitzeschockproteinen, DNA-Reparaturmechanismen und dem Immunsystem schützen weitere, enzymvermittelte Schutzmechanismen den Körper gegen schädigende physikalische und chemische Einwirkungen.Bei Blutgefäßverletzungen minimieren Gefäßkonstriktion und Blutgerinnung den Blutverlust. Die Auslösung der Gerinnung und deren zeitliche und örtliche Begrenzung werden streng kontrolliert. Die Fibrinolyse löst allfällige intravasale Gerinnsel proteolytisch auf.Biotransformationsreaktionen wandeln nicht ausscheidbare apolare Verbindungen um in wasserlösliche, mit Urin oder Galle ausscheidbare Substanzen. Enzyme im glatten ER der Leber transformieren körperfremde Substanzen sowie schlecht wasserlösliche körpereigene Verbindungen (z.B. Steroidhormone): In Phase 1 werden reaktive Hydroxylgruppen in die inerten Substrate eingeführt; in Phase 2 dienen die neu eingeführten Gruppen zur Konjugation mit gut wasserlöslichen Verbindungen wie Glucuronat.Aerobier haben Abwehrmechanismen gegen reaktive Sauerstoffderivate (Reactive oxygen species ROS) entwickelt. Wenig reaktives O2 wird bei unvollständiger Reduktion gefährlich: z.B. O2 + e– → O2$$\bar{\cdot}$$ (Superoxidradikal). Radikalkettenreaktionen können Biomoleküle beschädigen. Ein Zusammenhang von Radikalreaktionen mit krankhaften Vorgängen und Alterungsvorgängen ist anzunehmen. Besondere Enzymsysteme wandeln ROS in ungefährliche Verbindungen um; Radikalfänger wie z.B. die Vitamine C und E fangen Radikale ab.

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32. Immunsystem

Alle Lebewesen haben Schutzsysteme gegen pathogene fremde Agenzien und Organismen entwickelt. Prokaryonten wehren sich gegen Virusbefall mit Zellwänden und Restriktionsenzymen, die fremde DNA spalten. Die Abwehr mehrzelliger Organismen beruht teilweise auf ähnlichen Barrieren: Haut bei Tieren und Zellwände bei Pflanzen bieten Schutz gegen außen; Fremd-RNA wird ebenfalls abgebaut. Vertebraten setzen zudem das Immunsystem zur Abwehr von Viren sowie fremder und auch körpereigener pathogener Zellen ein.Die angeborene Immunabwehr beruht auf unspezifischen Abwehrmechanismen, die unabhängig von einem vorangehenden Kontakt mit dem pathogenen Agens jederzeit und sofort wirksam sind. Bestimmte im Blut zirkulierende Zellen des Immunsystems (Granulozyten u.a.m.) und das Komplementsystem im Blut eliminieren eingedrungene Bakterien durch Phagocytose oder Lyse.Die erworbene, adaptive Immunantwort richtet sich spezifisch gegen jedes als körperfremd erkannte Agens. Bei der durch Proteine in den Körperflüssigkeiten vermittelten humoralen Immunantwort erkennen spezifische Immunzellen das Pathogen als körperfremd, darauf vermehren sie sich und produzieren spezifische Antikörper; bei der zellulären Immunantwort werden infizierte, beschädigte oder transformierte Zellen durch spezialisierte Zellen des Immunsystems als körperfremd erkannt und eliminiert. Die adaptiven Immunreaktionen werden durch Zellen der angeborenen Abwehr nach Kontakt mit einem pathogenen Agens ausgelöst.

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33. Stoffaufnahme und Ausscheidung

Heterotrophe Organismen wie Mensch und Tier stehen in regem Stoffaustausch mit ihrer Umgebung. Die Hauptnährstoffe Kohlenhydrat, Eiweiß und Fett werden im Magendarmtrakt hydrolytisch in ihre niedermolekularen, resorbierbaren Bausteine zerlegt. Beim oxidativen Abbau der Brennstoffe in den Zellen ist Sauerstoff der finale Elektronenakzeptor. O2 wird in den Lungen aufgenommen und durch das Hämoglobin der Erythrozyten den Geweben zugeführt; das Hämoglobintetramer ist dank der Kooperativität seiner 4 O2-Bindungsstellen hierfür hervorragend geeignet. O2 und CO2 diffundieren frei durch alle Membranen. CO2 wird im Blut hauptsächlich als Hydrogencarbonat HCO3− zu den Lungen transportiert, die CO2 abatmen. Die anderen Stoffwechselendprodukte werden mit dem Urin ausgeschieden, einige auch durch die Leber mit der Galle.Die Niere ist das Hauptorgan zur Aufrechterhaltung eines konstanten ″‍Milieu intérieur‍″. Flüssigkeitskompartimente, deren Volumen, Ionenzusammensetzung, pH-Wert und bei homoiothermen Spezies sogar deren Temperatur konstant gehalten wird, waren eine Voraussetzung für die Zellspezialisierung in Vielzellern. Der Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt des Körpers wird in diesem Sinne reguliert: Die Hormone Vasopressin und Aldosteron kontrollieren die Ausscheidung von Wasser bzw. Elektrolytionen durch die Nieren; verschiedene Puffersysteme, sowie Nieren und Lungen sorgen für einen konstanten pH-Wert der Körperflüssigkeiten.

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34. Organstoffwechsel und Lipidtransport im Blut

Die Spezialisierung der Organe bei Mensch und höheren Tieren ist nur möglich dank des Blutkreislaufs, der alle Organe miteinander verbindet. Die Transportgüter sind Blutgase (O 2 und CO 2 ), molekulare Bausteine, Energieträger, Ausscheidungsprodukte und zudem Hormone, die zusammen mit dem Nervensystem den gesamten Organismus regulatorisch vernetzen.Die Leber als zentrales Stoffwechselorgan gleicht zusammen mit dem Fettgewebe die Fluktuationen in der Nährstoffzufuhr aus und sorgt für eine der Stoffwechselsituation angemessene Versorgung der Organe mit Brenn- und Baustoffen. Bei den Energieträgern Glucose, Fettsäuren und Ketonkörpern wird die Richtung und das Ausmaß des Transports sowohl vom Angebot aus Darm und Leber als auch vom Bedarf der Gewebe bestimmt. Bei den Aminosäuren, den wichtigsten Baustoffen, findet ein Rücktransport von Aminosäuren zur Leber nur im Hungerzustand statt, wenn die Muskeln Proteine abbauen zugunsten der in der Leber ablaufenden Gluconeogenese aus Aminosäuren. Bei der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) nehmen die Muskel- und Fettzellen infolge Insulinmangels oder defekter Insulinrezeptoren nur wenig oder gar keine Glucose auf; der Stoffwechsel entspricht weitgehend einem Hungerzustand.Der Transport wasserlöslicher Stoffe (Glucose, Ketonkörper und Aminosäuren) im Blut benötigt keine besonderen Transportvehikel. Hingegen sind die wasserunlöslichen Lipide (Triacylglycerole, Cholesterol und Fettsäuren) auf besondere Transportproteine (Lipoproteine bzw. Serumalbumin) angewiesen.

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35. Biochemische Aspekte der menschlichen Ernährung

Unterernährung (ungenügende Zufuhr von Brennstoffen), Fehlernährung (ungenügende Zufuhr von Proteinen und essenziellen Nahrungsbestandteilen) und Überernährung (übermäßige Zufuhr von Brennstoffen) grassieren in verschiedenen Regionen der Erde und verursachen etliche der medizinischen Probleme unserer Zeit. Es gibt keine gesundheitsfördernden Maßnahmen, die wirkungsvoller und kostengünstiger sind als eine adäquate Ernährungsweise.Eine ausreichende Ernährung liefert genügend Brennstoffe zur Energiegewinnung; die Hauptnährstoffe Kohlenhydrat, Triacylglycerol und Protein können sich hierbei nach Maßgabe ihres Energiegehalts gegenseitig vertreten. Außerdem ist genügend Protein zuzuführen, um den Körper im Stickstoffgleichgewicht zu halten; aus dem Aminosäurenpool geht dauernd reduzierter Stickstoff, hauptsächlich in Form von Harnstoff, verloren. Zu einer angemessenen Ernährung gehören auch genügend essenzielle Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren, Vitamine und anorganische Körperkomponenten (Elektrolytionen, Mineralstoffe und Spurenelemente). Mangelnde Zufuhr eines essenziellen Nahrungsbestandteils führt in manchen Fällen zu einer Mangelkrankheit mit spezifischen Symptomen.

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36. Zelldifferenzierung, Regeneration und Altern; Systembiologie und Synthetische Biologie

Aus einer totipotenten befruchteten Eizelle entwickeln sich sämtliche Gewebe und Organe eines Organismus. Das Entwicklungspotenzial der Zellen verringert sich während der Differenzierung durch epigenetische Mechanismen: Zum Beispiel entstehen aus einem Hepatozyten nur noch weitere Leberparenchymzellen. Zellen auf Zwischenstufen der Differenzierung werden als pluripotente Stammzellen bezeichnet, falls sie sich noch zu verschiedenen Zelltypen (z.B. von Leukocyten) entwickeln können.Alterungsvorgänge äußern sich auf vielfältige Art; sie führen zu verminderter Leistungsfähigkeit von Organellen, Zellen und Organen. Spontanmutationen und ROS (Reactive oxygen species, Nebenprodukte der Atmungskette in den Mitochondrien) scheinen die Hauptursachen der Alterungsvorgänge zu sein.Die Systembiologie versucht, gewisse Vorgänge in Organismen gesamtheitlich zu verstehen. Die Resultate verschiedener Hochdurchsatztechniken (z.B. zur Erfassung von Stoffwechsel, Signaltransduktion oder Genaktivierung) werden kombiniert und die Vernetzungen dieser Vorgänge im Organismus aufgeklärt. Systembiologische Ansätze in der medizinischen Diagnostik erlauben eine besser fundierte personalisierte Therapie.Die Synthetische Biologie entwickelt neue Organismen, die nicht in der Natur vorkommen, d.h. Zellen mit neu eingeführten Genen oder sogar neuem vollsynthetischem Genom. Sie eröffnet neue Wege zur industriellen Synthese nutzbarer Stoffe und hat das Potenzial, große anstehende Probleme wie Nährstoff- und Energiemangel zu lösen.

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Methoden

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37. Trennverfahren und allgemeine Analysemethoden

Zur Analyse biochemischer Vorgänge müssen oft Zellbestandteile voneinander getrennt werden. Die Biomoleküle unterscheiden sich in Struktur, Größe, Ladung und Affinität zu Bindungspartnern (Liganden) und ermöglichen damit ihre Auftrennung. Ein besonderes Problem besteht darin, dass viele Biomoleküle Polymere aus einer sehr beschränkten Anzahl von Bausteinen sind: Zwei DNA-Stücke von 30 bp, deren Sequenzen sich in einem einzigen Nucleotid unterscheiden, sind schwierig voneinander zu trennen. Zwei Moleküle von gleicher Größe und Ladung können sich sogar nur in der Sequenz der Bausteine unterscheiden. Auch die niedrige Konzentration von Biomolekülen kann ein Problem darstellen: Meist kommen nur eine oder zwei Kopien eines DNA-Moleküls in einer Zelle vor. Erst in den letzten Jahrzehnten sind effiziente Amplifizierungs- und Trennmethoden für Makromoleküle entwickelt worden. Dieses Kapitel stellt die wichtigsten Trenn- und allgemeinen Analyseverfahren vor.

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38. Proteinanalytik

Die kovalente Struktur von Proteinen einschließlich allfälliger posttranslationaler Modifikationen lässt sich mit chemischen und biochemischen Methoden ermitteln. Röntgenkristallanalyse, magnetische Kernresonanz (Nuclear magnetic resonance NMR) und hochauflösende Elektronenmikroskopie erlauben, die Raumstruktur biologischer Makromoleküle aufzuklären. Proteine erfüllen ihre Funktion, indem sie mit anderen Molekülen (Proteinen, anderen Makromolekülen und niedermolekularen Verbindungen) oder mit Ionen Komplexe bilden. Physikalische Verfahren gestatten, solche molekularen Wechselwirkungen qualitativ und quantitativ zu erfassen.

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39. Gentechnik

Die kommerzielle Verfügbarkeit von Enzymen, welche DNA und RNA kopieren bzw. modifizieren, sowie von chemisch synthetisierten Genstücken (bis etwa 200 Nucleotide) erlaubt, genetisches Material nahezu beliebig zu manipulieren. Experimentelle Transfektion bringt DNA oder RNA ins Zellinnere: Bei der Elektroporation macht ein Elektroschock die Membran der Empfängerzelle kurzzeitig permeabel; bei der chemischen Transfektion (bei Bakterien oft als Transformation bezeichnet) bringen zelleigene Transportsysteme die Nucleinsäuren in die Zellen.Fremde DNA oder RNA, welche in eine Zelle gelangt, wird im Rahmen der Abwehr gegen fremdes genetisches Material meist rasch abgebaut. Falls jedoch besondere Erkennungssequenzen auf den Nucleinsäuren vorliegen, wird die DNA als extrachromosomales Element beibehalten und auch repliziert, z.B. als Plasmid oder als artifizielles Chromosom. Unter Umständen bauen Rekombinationsenzyme die DNA in ein bestehendes Chromosom ein. Chemisch synthetisierte Gene haben sich nach Transfer in eine Zelle oder auch in einen tierischen Organismus als genetisch aktiv erwiesen. Kürzlich wurde sogar ein komplettes synthetisches mikrobielles Genom in eine Bakterienzelle eingebracht, deren Phänotyp nach Zerstörung des eigenen Genoms vom neuen Genom bestimmt wurde. Bei transgenen Pflanzen und Tieren (Genetisch modifizierte Organismen, GMO) sind einzelne Gene verändert oder deletiert (Knock-outOrganismen).

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40. Genomik, Proteomik, Bioinformatik, Datenbanken

Hochdurchsatzverfahren zur Analyse von DNA und Proteinen erlauben, neuartige biologische und medizinische Fragestellungen experimentell anzugehen (Systembiologie; Gendiagnostik, personalisierte Therapie).Datenbanken mit Einzelnucleotidpolymorphismen (Single nucleotide polymorphisms SNP) repräsentieren die Diversität der Sequenz des menschlichen Genoms in verschiedenen Individuen. Bestimmte Muster von SNP, welche mit Krankheiten assoziiert sind, dienen als prädiktive Biomarker.Viele cDNA-Banken, Genbanken, Blots aller Art, Mikroarrays und histologische Gewebeschnitte sind heute kommerziell erhältlich und können mit Sonden (DNA- oder RNA-Sonden zur in-vitro Hybridisierung, Antikörpern zur Identifizierung von Proteinen) analysiert werden. Die Mikrochiptechnik erlaubt, die mRNAs, d.h. den Expressionsgrad aller Gene in einer Zelle oder einem Gewebe, zu erfassen. Mit Mikrochip-fixierten Antikörpern lässt sich das Vorkommen bestimmter Proteine ebenfalls quantitativ bestimmen.Die Gesamtheit des genetischen Materials einer Zelle oder eines Organismus (Gene und nichtcodierende DNA mit regulatorischer und unbekannter Funktion) wird als Genom, dessen Erforschung als Genomik bezeichnet. Analog wird die Gesamtheit der exprimierten Proteine als Proteom bezeichnet, und die Proteomik identifiziert, quantifiziert und charakterisiert die Proteine.Über das Internet sind zahlreiche Genom- und Proteom-Datenbanken wie auch Literaturdatenbanken frei zugänglich.

Philipp Christen, Rolf Jaussi, Roger Benoit
Backmatter
Metadaten
Titel
Biochemie und Molekularbiologie
verfasst von
Philipp Christen
Rolf Jaussi
Roger Benoit
Copyright-Jahr
2016
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-46430-4
Print ISBN
978-3-662-46429-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-46430-4