2004 | OriginalPaper | Buchkapitel
Biochemisches Verhalten anorganischer Radionuklide: Strahlenbelastung und medizinischer Nutzen
verfasst von : Prof. Dr. phil. nat. Wolfgang Kaim, Brigitte Schwederski, Ph. D.
Erschienen in: Bioanorganische Chemie
Verlag: Vieweg+Teubner Verlag
Enthalten in: Professional Book Archive
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Unabhängig von den Folgen menschlicher Tätigkeit müssen Organismen nicht nur mit als “toxisch” eingestuften Elementen und deren Verbindungen, sondern auch mit natürlich vorkommenden radioaktiven Isotopen und der von ihnen ausgehenden Strahlung koexistieren. Alle Formen energiereicher ionisierender Strahlung (α-, β-, γ-, Röntgen- und Neutronenstrahlung) können zum Bruch chemischer Bindungen führen, wobei entweder direkt oder auch mittelbar, etwa über das aus dem Hauptbestandteil H2O von Organismen mit Strahlung entstehende Hydroxylradikal •OH, eine Schädigung von Enzymen und von genetischem Material möglich ist (Schulte-Frohlinde). Auch hier werden die schon beim Abbau von “oxidativem Streß” erwähnten organismuseigenen Abfang- und Reparaturmechanismen (Kap. 16.8) bis zu einem gewissen Grade wirksam. Kupfer-Komplexe, insbesondere die auch anderen therapeutischen Zwecken dienende Superoxid-Dismutase (vgl. Kap. 10.5; Sorenson) oder Schwefelverbindungen wie etwa Cystein oder Cysteamin (= 2-Mercaptoethylamin H2N—CH2—CH2—SH) können dazu beitragen, biologische Strahlenschäden bei vorheriger Verabreichung durch Radikal-Abfang und rasche Einelektronen-Reduktion ionisierter Spezies zu mindern. Weitere therapeutische Maßnahmen bei drohender Inkorporierung radioaktiver Elemente bestehen im Zurückdrängen der Aufnahme durch Sättigung körpereigener Speicher mit nicht-radioaktivem Material (→ “Iod-Tabletten”) sowie in der gezielten Komplexierung und Ausscheidung (Sr, Pu). Vom unwissend sorglosen Umgang mit radioaktivem Material in der Frühzeit der Kernchemie (Macklis) über die großtechnische Kernwaffenproduktion und -anwendung bis hin zu den höchst detailliert verfolgten globalen Auswirkungen des Reaktorunfalls in Tschemobyl im Frühjahr 1986 (Herrmann) hat die Sensibilität der Öffentlichkeit stark zugenommen, was inzwischen auch erhebliche Konsequenzen für den Umgang mit diagnostisch und therapeutisch nützlichen Radionukliden hat.