Naturfaserverstärkte Kunststoffe werden bislang fast ausschließlich in Fahrzeuginnenräumen eingesetzt. Zwei Projekte zeigen nun, dass sie sich auch als Werkstoff für hochbelastete Karosseriestrukturen eignen.
An Stahl und Aluminium führte im Karosseriebau die längste Zeit kein Weg vorbei. Erst seit wenigen Jahren drängt mit CFK ein drittes Material in die Domäne hochbelastbarer Werkstoffe vor, die Fahrwerk und Antrieb zuverlässig tragen und Insassen im Crashfall bestmöglich schützen können – und sich dabei, mal mehr mal weniger, wirtschaftlich fertigen lassen. Unabhängig voneinander haben zuletzt jedoch zwei Forscherteams daran gearbeitet, auch naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) für den Karosseriebau zu qualifizieren; ein Werkstoff, der im Automobilbau zwar nicht unbekannt, für sicherheitsrelevante und lasttragende Strukturen bislang jedoch ungeeignet schien.
Dabei könnte diese neue Entwicklung nur die logische Fortsetzung eines Trends sein, der bereits seit über zehn Jahren anhält. Durchschnittlich 3,6 Kilogramm Naturfasern aus Flachs, Hanf oder Baumwolle stecken in einem Fahrzeug aus deutscher Herstellung, in Armaturenbrettern, Sitzpolstern, Türverkleidungen oder Hutablagen, wie die Autoren um Jayakrishna Kandasamy im Kapitel Natural Fiber Composite for Structural Applications erläutern. Getrieben durch die europäische, und insbesondere die deutsche Industrie hat sich die Produktion von Naturfasern für den Automobilmarkt von 90.000 Tonnen im Jahr 2010 innerhalb von zehn Jahren auf heute 350.000 Tonnen fast vervierfacht.
Ökologischer Vorteil und schwierige Verarbeitung
Zugute kommt den Naturfasern neben ihrem niedrigen Preis der ökologische Vorteil. Beispielsweise liegt die erforderliche Energie für die Herstellung von Flachsfasern um den Faktor zwanzig unter der für Carbon- oder Glasfasern. Wie ihre synthetischen Pendants lassen sich Naturfasern nach ihrer Entsorgung zwar nicht ohne Weiteres recyceln, allerdings problemlos thermisch verwerten.
Als Werkstoff für lasttragende Strukturen haben NFK bislang hingegen keine Rolle gespielt. Die mechanischen Eigenschaften naturfaserverstärkter Kunststoffe sind CFK oder GFK schlichtweg unterlegen. Zudem ist die Fertigung von NFK-Bauteilen aufwendig. Probleme bereiten allen voran hohe Temperaturen in der Verarbeitung und die Feuchtigkeitsaufnahme der Fasern. Bei Temperaturen von über 200 Grad Celsius zersetzen sich die meisten Naturfasern rasch, wie Jan Diemert, Kevin Moser und Carolin Schäfer im Kapitel Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen (S. 485) des Buchs Polymer Engineering 1 erläutern: Die physikalischen Eigenschaften und die Oberflächenstruktur verschlechtern sich, die Fasern verfärben sich und beginnen zu riechen. Zudem enthalten Naturfasern im Anlieferungszustand häufig größere Mengen an Feuchtigkeit, die vor oder während der Verarbeitung entfernt werden muss.
NFK-Verarbeitung im RTM-Verfahren
Trotz dieser Herausforderungen ist es Porsche Motorsport, dem Fraunhofer WKI und der Hochschule Hannover, unter Mitwirkung vom Bauteillieferanten gelungen, einen serientauglichen Prozess für die Fertigung von Karosseriekomponenten aus NFK zu entwickeln. Beispielhaft umgesetzt haben sie das Verfahren erstmals an der Fahrzeugtür des Porsche-Modells Cayman GT4 Clubsport, das im Motorsport zum Einsatz kommt. Die eigentlich für die Tür verwendeten Carbonfasern haben die Wissenschaftler durch Flachsfasern ersetzt. Die eigentlich für die Tür verwendeten Carbonfasern wurde von den Projektpartnern und ihren Zulieferern durch Flachsfasern ersetzt, wie Ole Hansen, Nicola Ganter, Nico Becker im Artikel Naturfaserverstärkte Kunststoffe als Baustein einer nachhaltigen Mobilität? für die ATZproduktion 3-4/2020 erläutern. Hansen zufolge werden dabei die technischen Anforderungen der Tür erfüllt und es wird ein ökologischer Vorteil bei geringfügigem Bauteilmehrgewicht von weniger als 10 % gegenüber dem Einsatz von CFK erzielt.
Die Türen wurden im Auftrag der Projektpartner, Porsche und Fraunhofer WKI im Harzinjektionsverfahren (Resin Transfer Molding, RTM), dem industrieübliche Herstellungsverfahren für vergleichbare Bauteile aus Faserverbundwerkstoffen, beim Zulieferer gefertigt. Dabei wir ein Kniff angewendet: Es wird die Wärme der beheizten Kavität gezielt zum Trocknen der Naturfasern genutzt. Dabei stellen sie sicher, dass die Fasern unabhängig vom Umgebungsklima stets mit derselben Feuchte verarbeitet werden, ohne dabei die Prozesszeit zu verlängern. Für die Drapierung des Flachsgewebes muss anschließend zwar etwas mehr Kraft im Vergleich zu Carbon- oder Glasgeweben aufgebracht werden, dennoch lässt sich das Naturfasergewebe leichter handhaben, unter anderem weil Drapierfehler vergleichsweise selten auftreten. Wie das substituierte Carbongewebe wird auch das Flachsfasergewebe im weiteren RTM-Prozess in eine Epoxidharzmatrix eingebettet und in Form gebracht. Inzwischen haben die Projektpartner noch weitere Karosseriebauteile aus NFK für den Sportwagen gefertigt. In einem Folgeprojekt sollen künftig auch biobasierte Harzsysteme zum Einsatz kommen und der Bioanteil der Bauteile auf mindestens 85 Prozent erhöht werden.
Monocoque und Crashelemente aus NFK
Noch weiter treiben Wissenschaftler der Hochschule Trier den Einsatz von NFK in der Fahrzeugkarosserie. Im Projekt proTRon Evolution fertigen sie Monocoque, Außenhaut- und Verkleidungsteile sowie Crashelemente eines elektrisch angetriebenen Kleinfahrzeugs aus flachsfaserverstärkten Verbundwerkstoffen. Vorwiegend setzen die Wissenschaftler dabei auf die Sandwichbauweise, außenliegende Teile werden zudem mit Gittern aus Flachsgarn, sogenannte powerRibs der Firma Bcomp, verstärkt. Wellenförmige Crashelemente im Frontbereich sowie an Seiten und Heck verfügen im Vergleich zu Stahlcrashboxen über eine doppelt so hohe spezifische Energieaufnahme, wie die Autoren um Hartmut Zoppke im Artikel Leichtbau-Pkw mit naturfaserverstärktem Monocoque in der ATZ 7-8/2020 schreiben. Insgesamt wiegt das Fahrzeug einschließlich der Antriebsbatterie für eine Reichweite von 100 Kilometern 550 Kilogramm. Nach Angaben der Wissenschaftler genügt es den Crashanforderungen der Fahrzeugklasse M1 der Europäischen Gemeinschaft.
Bis Fahrzeuge mit naturfaserverstärkten Karosserien im Autohaus angeboten werden, dürften aber noch ein paar Jahre vergehen. Zwar haben beide Forscherteams ihre Entwicklung auf eine mögliche Serienfertigung hin ausgelegt, trotzdem halten sie abschließend fest, dass die Herstellkosten heute noch nicht wettbewerbsfähig sind.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Beitrags wurden nur das Fraunhofer WKI und die Hochschule Hannover als Entwickler der NFK-Fahrzeugtüren genannt. Projektpartner waren jedoch auch Porsche Motorsport sowie Bauteillieferanten. Weiterhin wurde die nicht zutreffende Aussage, dass die Projektpartner weitere NFK-Karosserieteile für den Sportwagen gefertigt hätten, entfernt. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen.
Nach Rücksprache mit den Projektpartnern wurde zudem die Information aufgenommen, dass die NFK-Tür ein geringfügiges Bauteilmehrgewicht von weniger als 10 % gegenüber dem Einsatz von CFK aufweist. In einer früherer Version war mit Bezug auf den verlinkten ATZproduktion-Artikel davon die Rede, dass beide Bauteile gleich schwer seien.