Skip to main content

2004 | Buch

Krieg als Medienereignis II

Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert

verfasst von: Martin Löffelholz

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
Krisen- und Kriegskommunikation als Forschungsfeld
Trends, Themen und Theorien eines hoch relevanten, aber gering systematisierten Teilgebietes der Kommunikationswissenschaft
Zusammenfassung
Nach dem Zerfall des sowjetisch dominierten Systems zentralistisch-autoritärer Regime entstanden in den neunziger Jahren vielerorts Hoffnungen auf ein friedlicheres Zusammenleben der Völker. Mit den Sezessionskonflikten auf dem Gebiet der früheren UdSSR, den Kriegen auf dem Balkan, den Luftangriffen der Nato im Kosovo (1999), den Anschlägen auf Pentagon und World Trade Centre (2001) sowie der gewaltsamen Beseitigung der Taliban-Herrschaft in Afghanistan (2001) und des Regimes von Saddam Hussein im Irak (2003) wurde jedoch deutlich: Im 21. Jahrhundert mag ein Dritter Weltkrieg unwahrscheinlicher geworden sein, ein Zeitalter weltweiten Friedens steht dennoch nicht bevor. Die Erforschung der Bedingungen, Strukturen und Leistungen von Krisen- und Kriegskommunikation bleibt daher eine zentrale Aufgabe der Kommunikationswissenschaft und angrenzender Disziplinen. Angesichts neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen — wie nicht zuletzt dem Strukturwandel der Beziehungen von Politik, Militär und Öffentlichkeit — ist davon auszugehen, dass die Relevanz dieses Forschungsfeldes sogar zunehmen wird.
Martin Löffelholz

Die Entwicklung der Krisenkommunikation

Frontmatter
Massenmedien und Massenkrieg
Historische Annäherungen an eine unfriedliche Symbiose
Zusammenfassung
Nach dem verlorenen Vietnamkrieg hatte in den Reihen der US-Militärs über zwei Jahrzehnte lang die Maxime gegolten, Journalisten möglichst von den Kriegsschauplätzen fernzuhalten. So wurden die Kriege in Panama 1989, am Persischen Golf 1991 und im Kosovo 1999 weitgehend ohne journalistische Augenzeugen geführt. Nachdem diese Vorgehensweise zunehmend Kritik herausgefordert hat, erhoffte sich das Militär im Irak-Krieg 2003 mit einer gänzlich anderen Medienstrategie mehr Erfolg: dem „embedding“ von Kriegsberichterstattern in bestimmte, häufig auch frontnahe Truppeneinheiten. Auf diese Weise wurden die Medien mit packenden Bildern versorgt, die allerdings wenig analytisch und meist sogar wenig informativ waren. Durch Liveberichte von der Front wurde der kommunikative Raum besetzt, noch bevor sachliche Information, gegnerische Meldungen oder gar kritische Stimmen ihn füllen konnten.
Thomas Dominikowski
Die Privatisierung der Kriegspropaganda
Öffentlichkeitsarbeit in Kriegszeiten von der Revolution 1776 bis zum Irak-Krieg 2003
Zusammenfassung
Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, soll auf eine sich insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges herauskristallisierende Tendenz bei der Kommunikation in Kriegszeiten hingewiesen werden, nämlich die Privatisierung der Kriegs- und damit auch der Gräuelpropaganda.1 PR-Firmen haben für kriegsführende Staaten gearbeitet bzw. durch den Aufbau von Feindbildern bei der Vorbereitung von Kriegen mitgewirkt. Anhand von Beispielen soll demonstriert werden, dass sich die Grenzen zwischen staatlicher und „privater“ Kommunikation in Kriegszeiten immer mehr verwischen. Unter Propaganda bzw. Public Relations werden dabei die Bemühungen verstanden, die Öffentlichkeit durch die Selbstdarstellung von Interessen zu beeinflussen und damit auch Interessen durchsetzen zu wollen. Hierzu gehört auch, den Gegner als Feindbild aufzubauen. Wenn Lasswell (1942: 106) Propaganda als die Manipulation von Symbolen definiert, um Einstellungen bezüglich kontroverser Themen zu beeinflussen, dann ist der Begriff Propaganda ohne weiteres ersetzbar durch PR.2
Michael Kunczik
„Humanitäre Intervention“ und „Krieg gegen den Terror“
Das Verhalten der Medien vom Kosovo bis zum Irak
Zusammenfassung
Als der britische Premierminister Tony Blair im Februar 2003 um die Unterstützung für einen Krieg gegen den Irak warb, appellierte er an jedermann, sich an den Kosovo-Konflikt zu erinnern. Gleichwohl schien es, als hätten dies alle schon getan: Die frühere Ministerin Joan Ruddock zum Beispiel erklärte, das Eingreifen im Kosovo sei gerechtfertigt gewesen (vgl. Independent on Sunday, 02.02.2003), ein weiterer früherer Minister, Chris Smith, verkündete: „Ich habe die Maßnahmen, die wir im Kosovo trafen, unterstützt [...] [Blair] war mutig, fest entschlossen und er hatte recht.“ (Independent 06.02.2003)
Philip Hammond

Journalistische Kommunikation im Krieg

Frontmatter
Zwischen Selbstbehauptung und Vereinnahmung
Strukturen und Funktion journalistischer Krisenkommunikation
Zusammenfassung
Stellen wir uns vor, es gibt Krieg und niemand geht hin, um darüber zu berichten. Genauso unwahrscheinlich ist, dass im Krieg nur die Waffen sprechen und Politiker, Militärs und Öffentlichkeit schweigen. Moderne Kriege sind in so umfassendem Sinn durch Kommunikation geprägt, dass bewaffnete Konflikte längst auch von einem kaum minder intensiven Information Warfare begleitet werden (vgl. Khalilzad & White 1999; Arquilla & Ronfeld 1997). Damit riskiert der Krisenjournalismus nolens volens, sich zeitweilig oder auf längere Sicht von den Interessen der Kriegsbeteiligten vereinnahmen zu lassen. Das Ausmaß des Risikos hängt hierbei jedoch davon ab, inwiefern es dem Krisenjournalismus gelingt, die journalistischen Eigenwerte gegen den Versuch der Vereinnahmung zu behaupten.
Alexander Görke
Selbstorganisation, Nicht-Linearität, Viabilität
Eine konstruktivistisch-sozialsystemische Perspektive auf Kriegsberichterstattung
Zusammenfassung
Die Politsatire „Wag the Dog“ handelt von der Erfindung eines Krieges: Um die Öffentlichkeit kurz vor den Wahlen von der Sex-Affäre des Präsidenten abzulenken, inszeniert die amerikanische Führung eine militärische Konfrontation nach allen Regeln Hollywood-erprobter Dramaturgie und professioneller Public Relations. Die Aufmerksamkeitskriterien von Medien und Menschen werden geschickt instrumentalisiert, „Kriegsereignisse“ im Studio produziert, große Emotionen arrangiert sowie vereinzelte Rückschläge neutralisiert. Derart in Szene gesetzt erobert der Krieg gegen das ferne Albanien die öffentliche Agenda im Sturm und erfüllt seinen Zweck — obwohl er gar nicht stattfindet.
Jan Staiger
Journalisten zwischen Friedensdienst und Kampfeinsatz
Interventionismus im Kriegsjournalismus aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive
Zusammenfassung
Als im Januar 1999 auf den indonesischen Molukken-Inseln die ersten Unruhen ausbrachen, war die ‚Suara Maluku‘ („Stimme der Molukken“) die einzige Tageszeitung, die in der Provinzhauptstadt Ambon erschien. Christen und Muslime hatten bis zu diesem Zeitpunkt Seite an Seite gemeinsam ihren journalistischen Alltag verrichtet. Der beginnende Bürgerkrieg sollte alles verändern.1
Thomas Hanitzsch

Militärische Kommunikation im Krieg

Frontmatter
Öffentlichkeit als Teil des Schlachtfeldes
Grundlagen der Kriegskommunikation aus militärischer Perspektive
Zusammenfassung
Dass die Medienberichterstattung ein wichtiger militärischer Faktor ist, hätte während der Nato-Luftoperationen gegen Jugoslawien im Jahr 1999 eigentlich bereits zum Allgemeingut der Akteure gehören müssen. Dennoch stellte sich die Nato erst im Laufe des Konfliktes auf diese Erkenntnis ein. Erfahrene Medienberater aus Großbritannien und den USA waren ihr dabei behilflich (vgl. Beham 2000: 221). Bundesregierung und Bundeswehr-Führung dagegen traten Journalisten und Öffentlichkeit mit den routinemäßigen Informationsmaßnahmen (Pressekonferenzen, Broschüren) gegenüber, ergänzt um eher spontane Aktionen des Bundesministers der Verteidigung. Einen besonderen Plan für ein Informationsmanagement während dieses ersten Krieges des Bündnisses gab es weder in der Nato noch im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) bzw. in der Bundeswehr. Mittierweile zogen alle Beteiligten die Lehren aus den kommunikativen Abläufen (vgl. Shea 2000: 215). Die US-Streitkräfte haben im Irak-Krieg ein breit gestreutes Spektrum von Information Operations eingesetzt, zu dem auch die Maßnahmen mit gezielter Wirkung auf die Öffentlichkeit gehören.
Hans-Joachim Reeb
Strategisches Informationsmanagement
Informations- und Öffentlichkeitsarbeit aus militärischer Perspektive
Zusammenfassung
Nach dem Wegfall der Bedrohung durch den Warschauer Pakt schien die Welt einer friedlichen Zukunft entgegenzusehen. Doch die Wirklichkeit zerstörte diese Illusion. Plötzlich waren nicht mehr Musik und Sex die Spitzenreiter in den Internetsuchmaschinen. Das Interesse am Irak-Krieg 2003 und nicht zuletzt die „Köpfung“ des Nick Berg im Irak des Jahres 2004 übertrafen die sonstigen „Platzhirsche“: „War sells.“ Das haben auch die Medienunternehmen verstanden. Die medial aufbereitete Berichterstattung ist aus einem heutigen Konflikt nicht mehr weg zu denken. Diese Tatsache hat zwangsläufig Implikationen auf die militärische Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. Wer den „Öffentlichkeitskrieg“ zu Hause verliert, der gefährdet die erfolgreiche Durchführung des Auftrages im Ausland.
Walter Jertz, Carsten Bockstette
Information Operations
Die Weiterentwicklung US-militärischer Strategien zur Instrumentalisierung der Medien
Zusammenfassung
Am 19. Januar 2003 schrieb die ‚Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung‘ auf ihrer Politikseite: „Der neue Krieg. In den vergangenen Jahren hat Amerika seine Armee umgekrempelt. Informations-Netzwerke sollen zur entscheidenden Waffe werden.“ (Inacker 2003) Tatsächlich berichteten die Medien im Laufe des folgenden Irak-Krieges immer wieder von technischen Neuerungen in der amerikanischen Kriegsführung. Dabei reichte das beschriebene Spektrum von der Digitalisierung des Schlachtfeldes, der Informationsüberlegenheit amerikanischer Soldaten, dem Einsatz „intelligenter Raketen“ oder unbemannter, ferngelenkter Aufklärungsflugzeuge bis hin zu Hacker-Angriffen sowohl auf irakische Internet-Seiten als auch auf US-Homepages. Gleichzeitig war die Rede von einer Manipulation der Massenmedien durch das US-Militär, indem Informationen zensiert und Journalisten unter strenger Beobachtung „eingebettet“ wurden.
Carsten Schlüter

Politik, Vernetzung und Militainment

Frontmatter
Das Fernsehen und die politische Deutung der Ereignisse am 11. September
Oder: Die Kriegserklärung des Gerhard Schröder
Zusammenfassung
Gerhard Schröder hat niemandem den Krieg erklärt, aber in der Wahl der Formulierung des Kernsatzes seiner Erklärung am Abend des 11. September 2001 hat er eine gewissermaßen autoritative politische Bestätigung des Interpretationsmusters der Terroranschläge in den USA vorgenommen, welches die großen deutschen Fernsehsender im Laufe des Nachmittags verbreitet hatten („Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt“). Dieses Interpretationsmuster hat bei der deutschen Bevölkerung in den darauf folgenden Wochen in erheblichem Maße zur bereitwilligen Akzeptanz des militärischen Vorgehens der USA in Afghanistan beigetragen. Ob die Formulierung von Schröders Erklärung einer politisch-strategischen Überlegung entstammte oder vornehmlich Produkt der vorhergehenden massenmedialen Konstruktion war, kann hier nicht abschließend entschieden werden. Doch sowohl die übereinstimmende Begrifflichkeit („Kriegserklärung“) von Medien-Interpretation und Kanzlerwort als auch die spätere klare Ablehnung des US-geführten Irak-Krieges durch den deutschen Bundeskanzler legen den Schluss nahe, dass die massenmediale Berichterstattung von erheblichem Einfluss auf die regierungsamtliche Erklärung zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 war. Daraus ergibt sich die Fragestellung dieses Beitrags nach den Mustern und Eigenlogiken einer Fernsehberichterstattung, die dem Kanzler einer rot-grünen Regierung den „Krieg“ in den Mund legt.1
Christoph Weller
Internet und Krieg
Informationsrisiken und Aufmerksamkeitsökonomie in der vernetzten Kriegskommunikation
Zusammenfassung
Ein Sieger des Golfkrieges von 1991 stand schnell fest: CNN hatte für mehr als zwei Wochen die Nachrichtenlage beherrscht und dadurch den Mythos vom CNN-Krieg sowie den CNN-Effekt geschaffen (vgl. Robinson 2002; Stech 1994). Prämiert wurde dieser Sieg nicht nur durch eine gewinnträchtige Erhöhung der Einschaltquoten, sondern auch durch das Lob des damaligen US-Präsidenten, er habe durch CNN mehr erfahren als durch die CIA (vgl. Carruthers 2000: 199). Wer aber ist der Sieger des „ersten wahren Krieg des Informationszeitalters“ — wie die ‚New York Times‛ (20.04.2003) den Irak-Krieg von 2003 bezeichnete? War es das Fernsehen, das den „most televised war in history“ (New York Times 20.04.2002) präsentierte — oder das Internet, als „die einzige Quelle authentischer Information“,1 die laut ‚Guardian‛ (10.03.2003) eine „Schlüsselrolle in diesem Krieg spielen soll“ oder gar das Mobiltelefon, mit dem Hörer und Zuschauer weltweit erstmals massenhaft SMS an die Rundfunkanstalten schickten (vgl. Guardian 28.03.2003) und das auch den Kriegsreportern als zentrales Übertragungsmedium diente?
Hans-Jürgen Bucher
Militainment als „banaler“ Militarismus
Auf dem Weg zu einer Militarisierung der politischen Kultur?
Zusammenfassung
Eindrucksvoll lassen „Die letzten Tagen der Menschheit“ uns wissen, dass Beschreibung und mediale Adaption des Krieges Traditionen aufweisen, die — mit Karl Kraus kritisch — auch als Mittel der Kriegsführung verstanden werden können. Während der Analyse des Verhältnisses von Journalismus und Militär, insbesondere in Kriegszeiten, in den vergangenen Jahren zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt wurde, sind Felder der Kooperation von Militär und (Unterhaltungs-)Kultur nur ansatzweise analysiert worden. Gerade hier sind jedoch langfristig wirksame Entwicklungslinien zu beobachten, die auch in „Friedenszeiten“ zu Kooperationen militärischer Institutionen mit Software-, Medien- oder Unterhaltungsindustrie führen und damit möglicherweise zu einer weit über den journalistischen Bereich hinausweisenden Veränderung politischer Kultur beitragen.
Fabian Virchow, Tanja Thomas
Backmatter
Metadaten
Titel
Krieg als Medienereignis II
verfasst von
Martin Löffelholz
Copyright-Jahr
2004
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-90833-9
Print ISBN
978-3-531-13997-5
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-90833-9