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2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Der systematische Ertrag des Postdemokratiediskurses

verfasst von : Dr. Claudia Ritzi

Erschienen in: Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Im Anschluss an die Darstellung der theoretischen Grundlagen im vorherigen Kapitel stellt sich nun die Frage nach der Bewertung des systematischen Ertrages des Postdemokratie-Diskurses. Diese erscheint im Fall der Postdemokratie besonders relevant, da der Begriff und die damit verbundenen theoretischen Konzepte – vor allem die Arbeiten von Colin Crouch – in der Literatur mehrfach scharf kritisiert wurden. So bemängelt beispielsweise Ingolfur Blühdorn, dass fast alle Ausführungen zur Postdemokratie „uneingeschränkt an den traditionellen Normen der Demokratie“ (Blühdorn Vorgänge 2010, S. 51, ; vgl. auch Blühdorn, Demokratie! Welche Demokratie? Postdemokratie kritisch hinterfragt, 2012) festhielten und somit nicht dazu in der Lage seien, eine angemessene Bewertung des aktuellen Zustands von Demokratie am Beginn des 21. Jahrhunderts vorzulegen. Dirk Jörke kritisiert die geringe Trennschärfe des postdemokratischen Begriffsverständnisses im politikwissenschaftlichen Diskurs, die er nicht zuletzt auf seine verschiedenen Entstehungs- und Verwendungskontexte und deren mangelhafte Integration zurückführt. Die Unangebundenheit der verschiedenen postdemokratischen Konzepte führt nach seiner Ansicht zu einer geringen theoretischen Stringenz und Kohärenz des Diskurses (Jörke Vorgänge 2010 S. 19 ff.). Laut Jan-Werner Müller taugt die Postdemokratie deshalb auch bestenfalls als „Warnbegriff“ (Müller, Neue Zürcher Zeitung, 2012). Ähnlich bemängelt Walter Reese-Schäfer (Politische Theorie der Gegenwart in achtzehn Modellen, 2012, S. 221) mit Blick auf Crouchs Arbeiten zum Begriff der Postdemokratie, dass „seine Vorschläge und Konsequenzen so ambivalent wie die Lage selbst“ blieben. Emanuel Richter geht noch weiter, indem er die Verwendung des Terms Postdemokratie als vorwiegend „polemisch“ kritisiert. Postdemokratie werde in erster Linie als „Reizbegriff“ gebraucht, und weise daher nur einen geringen explanatorischen Wert auf (Richter, Forschungsjournal NSB, 2006, S. 23).

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Fußnoten
1
An dieser Stelle wird auf die Wiedergabe von Kritik fokussiert, die sich auf den postdemokratischen Diskurs als Ganzen bezieht, da ja in den autorenzentrierten Darstellungen konkrete Kritikpunkte bereits genannt wurden.
 
2
Im Kontext des empirisch-analytischen Paradigmas könnte man hierzu ergänzend auch noch die Generierung neuer Datenbestände nennen, diese Aufgabe zählt jedoch nur in einem weiten Sinne zur Aufgabe der Theoriebildung, die zwar durchaus in vielen Fällen empirische Forschung anleiten und aus ihren Ergebnissen lernen möchte, die sich im Kern jedoch nicht mit der Datenerhebung befasst/befassen muss (vgl. Thompson 2008). Die mangelnde Orientierung an existierenden Datenbeständen kann vor diesem Hintergrund also ebenso als Manko kritisiert werden wie theoretische Konzepte und Modelle, die nicht oder nur mangelhaft mit Blick auf die empirische Forschung spezifiziert werden (können). Die Tatsache, dass ein Autor selbst nicht empirisch geforscht hat, ist aus theoretischer Perspektive hingegen kaum problematisch.
 
3
Lediglich die „Analyse politischer Ideen“, die ebenfalls von Münkler und Llanque als Aufgabe des politischen Theoretikers bzw. der politischen Ideengeschichte beschrieben wird, weist eine zwingende Bindung an historische Dokumente und Gegenstände auf. Jedenfalls, wenn man wie Münkler unter „Ideen“ in Anlehnung an Meinecke „Verdichtungen“ politischer Vorstellungen versteht, deren Einfluss auf politische Akteure rückblickend rekonstruiert werden kann (vgl. Meinecke 1976, S. 116; Münkler 2006, S. 114 ff.).
 
4
Auch Sheldon Wolin (2004, S. 23) teilt dieses Verständnis theoretischer Innovation, allerdings formuliert er es etwas vorsichtiger: „By viewing common political experience from a slightly different angle than the prevailing one, by framing an old question in a novel way, by rebelling against the conservative tendencies of thought and language, particular thinkers have helped to unfasten established ways of thought and to thrust on their contemporaries and posterity the necessity of rethinking political experience.“
 
5
Die Begriffe ‚Mediendemokratie‘ und ‚Mediokratie‘ werden in der Kommunikationswissenschaft weitgehend synonym gebraucht (vgl. Sarcinelli 2003; Donges i. E.). Aus Gründen der Einfachheit und besseren Lesbarkeit wird hier außerhalb von Zitaten im Folgenden lediglich von ‚Mediokratie‘ gesprochen. Dieser, wesentlich von Thomas Meyer (2001) geprägte, Begriff wird hier bevorzugt, da er den zentralen Kritikpunkt der Arbeiten zu diesem Thema, nämlich die Substitution der Macht eines handlungsfähigen, reflektierten Demos durch eine zunehmende Medienmacht, deutlicher kennzeichnet als es beim Begriff der ‚Mediendemokratie‘ der Fall ist.
 
6
Eine Ausnahme hierbei stellt die Arbeit von Andreas Dörner zum „Politainment“ dar, der die integrierende, mobilisierende und wertstiftende Funktion der Präsentation politischer Informationen im Modus der Unterhaltung betont und zu dem Schluss kommt, dass Wandlungsprozesse in der massenmedialen Berichterstattung vor dem Hintergrund demokratischer Normen wie Inklusion und Partizipation auch als Fortschritt interpretiert werden können (Dörner 2001).
 
7
Oder in der Definition von Robert W. McChesney (2011 [1999], S. 7): „Der Neoliberalismus ist das vorherrschende Paradigma der politischen Ökonomie unserer Zeit – es bezieht sich auf die Politik und die Prozesse, mittels derer es einer relativ kleinen Gruppe von Kapitaleignern gelingt, zum Zwecke persönlicher Profitmaximierung möglichst wenige Bereich des gesellschaftlichen Lebens zu kontrollieren.“
 
8
Die Annahme der Hegemonie des Neoliberalismus, die von allen drei postdemokratischen Autoren geteilt und ihn ihren Werken nicht oder kaum kritisch hinterfragt wird, ist in der Literatur jenseits des Postdemokratie-Diskurses jedoch umstritten. So argumentiert beispielsweise Demirovic (2008, S. 18 ff.), dass man derzeit nicht von einer neoliberalen Hegemonie sprechen könnte, da keine ausreichende Kompromissbereitschaft der „bürgerlichen Klasse“ gegeben sei, wie sie im Falle einer Hegemonialisierung jedoch vorliegen müsste.
 
9
Diese, maßgeblich von Robert Keohane (1984) entwickelte, Theorie ist sogar eng mit dem so genannten „neoliberalen Institutionalismus“ verbunden und zählt somit zu jenen Theorien, die den Einflussgewinn des Neoliberalismus unterstützt haben.
 
10
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die von Demirovic im Zitat angesprochene „bürgerliche Klasse“ in heutigen Gesellschaften nicht mit der „herrschenden“ Klasse gleichgesetzt werden kann. Wie nicht zuletzt Habermas (1990 [1962]) gezeigt hat, ging mit der Demokratisierung auch ein Bedeutungs- und Funktionswandel des Bürgertums einher. Für eine umfassende Erörterung der Relevanz von Diskursen für die Entstehung von Hegemonie im 20. Jahrhundert – die im Anschluss u. a. an Gramscis Theorie erfolgt – siehe außerdem auch Nonhoff (2006).
 
11
Während Crouch und Rancière ausschließlich die innenpolitischen Konsequenzen einer solchen kulturellen Hegemonie des neoliberalen Denkens diskutieren, erweitert Wolin den Blick um Fragen der Außenpolitik. Eine solche Perspektive entspricht zunächst dem Erkenntnisinteresse und (zumindest teilweise) der Vorgehensweise des „Neo-Gramscianismus“, einer Theorieströmung, die „die gramscianische Hegemoniekonzeption für die Analyse des globalen Kapitalismus fruchtbar macht“ (Bieling und Dreppe 1996, S. 730; vgl. auch Opratko und Prausmüller 2011; Cox 2011) und so Handlungen und Machtverhältnisse im weltpolitischen Kontext erklären will. So hat beispielsweise Stephen Gill (2003) untersucht, inwiefern die Trilaterale Kommission in ihrer Selbstdarstellung und Kommunikation die Hegemonie des Neoliberalismus befördert hat. Vor diesem theoretischen Hintergrund kann man an Wolins Arbeit allerdings auch kritisieren, dass er in seiner außenpolitischen Analyse einen Schwerpunkt auf militärische Auseinandersetzungen legt, was der neo-gramsicanischen Perspektive – trotz des geteilten Interesses an Deutungsprozessen – nicht entspricht. Denn die (neo-)gramscianische Perspektive sucht Hegemonie nicht nur als Dominanz eines ökonomisch und/oder militärisch mächtigen Nationalstaats zu verstehen, sondern auch als Folge konsensualer Modi transnationaler Vergesellschaftung.
 
12
Nicht zuletzt spielen für Rancière neben kommunizierten Aktivitäten auch tatsächliche Handlungen eine wichtige Rolle für demokratische Politik.
 
13
Eine alternative lexikalische Definition hat Dieter Nohlen (2010, S. 833 f.) vorgelegt: „Postdemokratie, mehr als ein Begriff: eine Chiffre für jene als kritisch angesehenen politischen Erscheinungen, die im Zuge des Neo-Liberalismus, der Globalisierung, der Individualisierung und des Wandels der Öffentlichkeit beobachtet werden können und den als essentiell angesehenendemokratische Formen der Demokratie in der Moderne nicht mehr entsprechen.“ An diesem Stichwort ist jedoch zu kritisieren, dass es den Postdemokratie-Diskurs im Folgenden in einer für ein Lexikon unangemessen erscheinenden Manier als „eine[n] weiter[en] der geradezu zyklisch unternommenen Versuche“ bezeichnet, die Entwicklung der Demokratie in Verbindung mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen zu bringen, der den „typischen Eindruck“ erwecke, dass es sich um eine Rückbildung von Demokratie handelt.
 
14
Wie Hubertus Buchstein und Rainer Schmalz-Bruns in ihrem Nachwort zu der deutschen Ausgabe von Benjamin Barbers „Starker Demokratie“ treffend bemerken, gehört Krisenrhetorik zum Standardrepertoire vor allem linker Gesellschaftsdiagnosen im 20. Jahrhundert, so dass ein umfassender Überblick die Grenzen dieser Arbeit bei Weitem sprengen müsste (Buchstein und Schmalz-Bruns 2004; zur Vielzahl demokratietheoretischer Krisendiagnose nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vgl. auch Kaase und Newton 2002).
 
15
Wozu anzumerken ist, dass sich Kritiker der Theorie der Massengesellschaft darüber einig sind, dass die empirische Qualität von Kornhaus Darlegungen weitaus geringer ist als die theoretische Qualität seiner Überlegungen. Entsprechend fiel das Urteil der meisten Rezensionen aus: Während sich alle Rezensenten einig darüber waren, dass „The Politics of Mass Society“ zu den wichtigsten bis dato publizierten Bücher der politischen Verhaltensforschung zählte, bemängelten sie fast ebenso durch die Bank die mangelhafte empirische Fundierung von Kornhausers Thesen (vgl. Deutsch 1961; Schulze 1960; Deininger 1960; Parsons 1960; Wrong 1960).
 
16
Die Relevanz intermediärer Organisationen hatte rund 50 Jahre zuvor bereits Émile Durkheim in „Über die Teilung der sozialen Arbeit“ (Durkheim 1986 [1902]) herausgestellt, der vor diesem Hintergrund als ein Wegbereiter der Theorie der Massengesellschaft betrachtet werden kann (vgl. Thomson 2005, S. 421 f.).
 
17
Die Offenheit kann laut Kornhauser durch „the extend to which members of the society participate in the selection of elites“ gemessen werden (Kornhauser 2008, S. 40).
 
18
Die Verfügbarkeit kann laut Kornhauser durch „the extend to which members of the society lack attachments to independent groups“ gemessen werden (Kornhauser 2008, S. 40).
 
19
Auch hierin mag man – nicht zuletzt mit Blick auf ähnliche Aussagen Schumpeters, wonach der Wille des Volkes ein fabrizierter Wille ist, also „das Erzeugnis und nicht die Triebkraft des politischen Prozesses“ (Schumpeter 1950, S. 418) – einen Beleg für elitistische Tendenzen in Kornhausers Werk sehen.
 
20
Mit dieser Darstellung folgt Kornhauser wohl in erster Linie seiner persönlichen Wahrnehmung der typischen Einstellungen demokratischer politischer Eliten in westlichen Demokratien. Jackmanns (1972) einige Jahre später präsentierte empirische Studie zu den Einstellungen politischer Eliten zu bestimmten demokratischen Werten und Grundlagen zeigte jedoch auf, dass man in Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges de facto nicht von einer ausgeprägten Demokratiefreundlichkeit der politischen Eliten im Vergleich zu anderen Bürgern ausgehen konnte.
 
21
Vgl. hierzu für ähnliche Überlegungen auch Michael Walzers, mittlerweile schon als klassisch zu bezeichnende, Ausführungen über die „vier Mobilitäten“, die in den USA zu „unsettlement“ geführt hätten: die „geographische Mobilität“ (bedingt durch häufigeren Wohnortwechsel), die „soziale Mobilität“ (da immer weniger Menschen ihren Eltern in sozialem Status oder Berufswahl folgen), die „Ehemobilität“ (aufgrund steigender Trennungs- und Scheidungsraten) und die „politische Mobilität“ (hierfür ist vor allem die schwächere Bindungskraft politischer Parteien, Verbände etc. verantwortlich) (Walzer 1993, S. 164 ff.).
 
22
Da William Kornhauser sich nach der Publikation der Theorie der Massengesellschaft und in Folge der Studentenbewegungen der 1960er Jahre in seinen politischen Ansichten radikalisierte und von seinen Kollegen distanzierte, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es nur wenig Kooperation zwischen ihm und Sheldon Wolin gab (vgl. www.​universityofcali​fornia.​edu/​senate/​inmemoriam/​williamkornhause​r.​htm [31. 08. 2011]).
 
23
Kaase und Newton (2002, S. 21 ff.) unterscheiden zwei „Versionen“ der Krise des Spätkapitalismus: Während sie Autoren wie Offe und O’Connor der „ökonomischen Version“ zurechnen, die vorwiegend die wirtschaftlichen Zielkonflikte thematisiere, bezeichnen sie Habermas als einen Vertreter der „politischen Version“, dessen Arbeit vor allem auf die widerstreitenden politischen Zielkonflikte eingehe. Aufgrund der engen Verflochtenheit ökonomischer und politischer Aspekte in den Werken aller drei Autoren wird an dieser Stelle jedoch auf eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Spielarten der Theorie verzichtet, die nach Einschätzung der Autorin zu einer zu einseitigen Rekonstruktion der Arbeiten von Habermas und Offe führen würde.
 
24
Die hier zitierten Aufsätze wurden in zwei Sammelbänden herausgegeben, die jeweils den Titel „Strukturprobleme des kapitalistischen Staates“ (1975; 2006) tragen. Zur besseren Verortung der Texte und weil in der Ausgabe von 2006 einige Aufsätze ausgetauscht wurden, werden im Folgenden in eckigen Klammern jene Jahreszahlen genannt, in denen der Text, aus dem das Zitat entstammt, erstmals publiziert wurde. Zudem ist anzumerken, dass die Ausgabe von 1975 bereits die 3. Aufl. der Aufsatzsammlung ist, die erstmals 1972 erschien.
 
25
Die Arbeiten von Jürgen Habermas tun dies jedoch in einer kritischen Art und Weise (er rechnete z. B. Anfang der 1970er Jahre nicht mehr mit einem Zusammenbruch des Kapitalismus), so dass er zum Zeitpunkt der Publikation der „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“ (1973) als isoliert innerhalb der deutschen Linken galt. Zudem wurde Habermas von marxistischen Theoretikern als „Reformist“ kritisiert, der nicht den Umsturz des bestehenden Systems, sondern „lediglich“ seine Reformierung forderte (vgl. Frankel/Habermas 1974, S. 37 f., 53 f.).
 
26
Zur Begriffsgeschichte des „Spätkapitalismus“ vgl. König (1979).
 
27
Für ausführliche Darstellungen der Unterschiede zwischen „liberalem Kapitalismus“ und „Spätkapitalismus“ vgl. u. a. Habermas 1973, S. 50ff; Frankel/Habermas 1974, S. 50 f.; Offe 1975 [1971], S. 7 ff.
 
28
Mit dieser Kritik knüpft Offe an Otto Kirchheimers Arbeiten zum Wandel des westeuropäischen Parteiensystems an, in denen dieser die These von der Herausbildung von „Allerweltsparteien“ formuliert hat (Kirchheimer 1965).
 
29
Noch deutlicher als in den „Legitimationsproblemen des Spätkapitalismus“ formuliert Habermas seine Krisenbefürchtungen in einem Interview mit Boris Frankel: „I think that a crisis theory is no longer applicable only in one sense, namely, that we have a theory of economic crisis which allows us to predict that there must be – in a middle range perspective – a breakdown of capitalism. I don’t think so. But I think that there might be crises because of other reasons; for instance, a legitimation crisis […]“ (Frankel und Habermas 1974, S. 53). Nichtsdestotrotz betont er in demselben Interview, dass er sich selbst als einen Marxisten betrachtet (ebd: 57).
 
30
Hier bezieht sich Habermas auf das von Marx im 3. Band des Kapitals formulierte „Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate“. Demnach ist der kapitalistischen Wirtschaftsform im industriellen Zeitalter eine Tendenz zur Verringerung der Profitrate im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt inhärent, da Lohnarbeit vermehrt aus dem zunehmend maschinell bestimmten Produktionsprozess verdrängt werde. Dieses Gesetz begründet dabei laut Marx nicht nur die langfristige Fehlentwicklung des kapitalistischen Systems, sondern verursacht auch periodisch wiederkehrende Krisen.
 
31
Vgl. hierzu auch das Böckenförde-Theorem (Böckenförde 1976, S. 60).
 
32
Ausführliche Überlegungen zu den normativen Idealen der Demokratie finden sich in „Faktizität und Geltung“ sowie in weiteren Schriften zur deliberativen Demokratietheorie.
 
33
Anhand des von Offe angeführten Vergleichs der Anspruchshaltung von Legehennen mit jener von Bürgern in spätkapitalistischen Demokratien lässt sich an dieser Stelle der Unterschied zwischen der Krisendiagnose der Kritischen Theoretiker und jener des Unregierbarkeitsdiskurses verdeutlichen: „One could compare a chicken living in the natural environment of a farm to a chicken being raised in the technologically advanced environment of a modern chicken factory. It is clear that the latter, deprived of the opportunity to practice its instincts which lead it to control and adapt to its physical environment, becomes dependent upon all kinds of support systems. […] It would be absurd to speak here of any increased needs as constituting ‚rising expectations‘ […] whereas it is obvious that they result from utter helplessness and dependency. And so do most of the physical and social needs that people under highly urbanized socially and economically insecure conditions of life address to the welfare state.“ (Offe 1980, S. 7) Auch Habermas und Offe erkennen das Faktum der steigenden Staatsausgaben an und identifizieren es als Gefahr für die demokratische Stabilität, zugleich führen sie es auf gänzlich andere (im kapitalistischen Wirtschaftssystem angelegte) Ursachen zurück als es bei den Unregierbarkeitstheoretikern der Fall ist und ziehen entsprechend auch andere Konsequenzen.
 
34
Samuel Brittan (1975, S. 131 f.) identifiziert unter diesen Großbritannien als den am stärksten vom „overload“ betroffenen Staat, da die steigenden Ansprüche der Bürger hier mit einem geringen Wirtschaftswachstum und mit einer hohen Inflationsrate zusammenträfen. Anthony Birch stimmt ihm mit Blick auf das Britische System zu und sieht außerdem in den stagnierenden Staatsausgaben der USA einen wichtigen Belege für die Aussagen von Crozier et al. (1984, S. 148 ff., 137 f.).
 
35
Die politische Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise könnte eine solche Entwicklung provozieren, derzeit kann eine solche Entwicklung jedoch nicht fundiert bewertet werden.
 
36
Um genau zu sein, müsste Verdrossenheit im deutschen Sprachgebrauch aus der wiederholten Enttäuschung bezüglich der Erfüllung einer konkreten Erwartungshaltung durch ein oder mehrere Gegenüber resultieren und nicht (nur) aus der unspezifischen, rückblickenden Unzufriedenheit mit der Leistung eines oder mehrerer anderer. In dieser engen Definition wurde sie bislang jedoch nicht empirisch überprüft. Stattdessen bezeichnet ‚Politikverdrossenheit‘ meist allgemein eine negative Einstellung der Bürger in Bezug auf politische Aktivitäten und Strukturen, die sich unter Umständen in Desinteresse an und Ablehnung von Politik, ihrer Institutionen und politischem Handeln äußert (vgl. Gaiser et al. 2000).
 
37
Auch Hay fasst sowohl Veränderungen im Partizipationsverhalten als auch gewandelte Einstellungen der Bürger gegenüber Politik unter dem Begriff der Politikverdrossenheit (vgl. Hay 2007, S. 12), da seine Analyse allerdings zwischen diesen differenziert, erscheint seine Vorgehensweise jedoch weniger problematisch als die anderer Autoren.
 
38
Rund zehn Jahre zuvor haben Fuchs/Klingemann in einem Sammelband das Verhältnis zwischen den Bürgern und dem Staat untersucht und kommen zu dem weniger pessimistischen Schluss dass „the postulated fundamental change in the citizen’s relationship with the state largely did not occur. And since such a change is a prerequisite for any challenge to representative democracy, this finding does not support the general challenge hypothesis“ (Fuchs und Klingemann 1995, S. 429, Anm. im Original). Mit Blick auf die Entwicklung der Nutzung nicht-institutionalisierter Partizipationsformen und der Identifikation mit den politischen Parteien beobachten sie jedoch ebenfalls einen negativen Trend, den sie als „erosion in the legitimacy“ bezeichnen. Gleichzeitig bleibe die Unterstützung der Regimeform „Demokratie“ jedoch hoch (Fuchs/Klingemann 1995, S. 431 ff.). Norris und Klingemann (Norris 1999, 2011; Klingemann 1999) sprechen angesichts der Befürwortung demokratischer Werte und Normen und der gleichzeitigen zunehmend negativen Bewertung der bestehenden demokratischen Institutionen und Strukturen nicht von Politikverdrossenheit, sondern von einem Erstarken der „critical citizens“ am Ende des 20. Jahrhunderts.
 
39
Die Begriffe der „Mediokratie“, „Mediendemokratie“ und vereinzelt auch „Telekratie“ werden häufig synonym verwendet. Im Folgenden wird überwiegend auf den Begriff der „Mediokratie“ zurückgegriffen, da dieser meist im Kontext von Krisendiagnosen gebraucht wird, während „Mediendemokratie“ gelegentlich auch als wertfreier analytischer Begriff in der Literatur erscheint (vgl. Pfetsch/Marcinkowski 2009, S. 11 ff.). Zudem soll zusätzlich darauf hingewiesen werden, dass die folgenden Ausführungen sich vorwiegend auf kritische oder empirisch-analytische Perspektiven dieser Forschungen beziehen und nicht um affirmative Perspektiven wie beispielsweise jene von Dörner (2001).
 
40
Wenngleich, wie Pfetsch und Adam zu Recht hervorheben, Massenmedien auch in ihrer Funktion als Vermittler oder Forum Züge von Akteuren aufweisen und die Dichotomie Forum versus Akteur folglich als Kontinuum verstanden werden muss, auf dem der Aktivitäts- und Autonomiegrad der Medien abgebildet werden kann (Pfetsch und Adam 2008, S. 11).
 
41
Wobei Frank Marcinkowski auch mehrere Arbeiten aus der neoinstitutionalistischen Perspektive verfasst hat und daher nicht eindeutig einer der drei theoretischen Strömungen zugeordnet werden kann (vgl. bspw. Marcinkowski 2007).
 
42
Interessant erscheint hierbei auch, dass diese Ergebnisse weitgehend unabhängig von der Organisationsstruktur des Mediensystems zu sein scheinen, da entsprechende Effekte ebenso für privatwirtschaftliche als auch für öffentlich-rechtliche Mediensysteme nachgewiesen wurden (vgl. Bennett 2009, S. 96 ff.).
 
43
Im deutschen spiegelt sich dieser neoliberale Einfluss besonders deutlich im Begriff der „Ich-AG“ wieder, der im Zuge der Hartz II-Reform im Jahr 2003 (also zu Zeiten der rot-grünen Koalition) entwickelt wurde.
 
44
Das Transkript dieser Vorlesung erschien erstmals in der Aufsatzsammlung „Politik der Wahrheit“ (Rancière 1996b).
 
45
Eine der ausführlichsten Studien hierzu hat David Harvey (2007 [2005]) in „A Brief History of Neoliberalism“ vorgelegt, in dem er anhand einer Vielzahl von Beispielen das Aufstreben des Neoliberalismus aufzeigt und analysiert. Auf eine genaue und falsifizierbare Definition des Begriffs der Hegemonie und eine entsprechende empirische Überprüfung verzichtet er jedoch und konstatiert stattdessen bereits auf Seite 2: „Neoliberalism has, in short, become hegemonic as a mode of discourse. It has pervasive effects on ways of thought to the point where it has become incorporated into the common-sense way many of us interpret, live in, and understand the world.“
 
46
Auch wenn sich Nozicks Vorstellungen von einer legitimen Minimalstaatlichkeit deutlich von Buchanans Konzept des „protective“ und „productive states“ unterscheiden, gelten beide als frühe Vertreter des politischen Neoliberalismus. Es verbindet sie ihr Streben danach, die Macht des Staates (wieder) zu beschränken und die Tatsache, dass sie wichtige Stichwortgeber für die neoliberale Staatskritik wurden.
 
47
In diesem Sinne können beispielsweise auch Patemans Forderung nach mehr Demokratie (Pateman 1970) und Youngs Argumentation für eine Stärkung der Repräsentation von ökonomisch und sozial unterprivilegierten Gruppen (Young 1990, 2000) als Kritik am Neoliberalismus gewertet werden – wenngleich sie selbst diesen Begriff in ihren entsprechenden Arbeiten (noch) nicht verwenden. Eine wertvolle Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus hat darüber hinaus auch Wendy Brown (2003, 2006, 2011) geleistet (vgl. auch Abschn. 3.2.5).
 
48
Auch Noam Chomsky hat mit „Profit over People“ (2011 [1999]) eine einflussreiche Kritik an dem neoliberalen Einfluss in der modernen Gesellschaft vorgelegt, die allerdings aufgrund ihrer ersten Publikation im Jahr 1999 nicht zu den Quellen der postdemokratischen Kritik gezählt werden kann.
 
49
In diesem Sinne würde der Postdemokratie-Diskurs an die Errungenschaften feministischer Forschung anschließen, die schon seit Jahren Wert auf die Unterscheidung zwischen formaler und faktischer Gleichheit legt (vgl. Ritzi 2012). Trotz dieser Gemeinsamkeit wurde der Postdemokratie-Diskurs aus feministischer Perspektive kritisiert: So merkt Birgit Sauer an, dass es aus sich der Frauen „wahre Demokratie“ im Sinne des Verständnisse v. a. von Colin Crouch nie gegeben habe, da sie stets unter Ungleichheit gelitten hätten (Sauer 2011).
 
50
Zumal Blühdorns (2012) Vorschlag, die „Erschöpfung des demokratischen Projektes“ zu akzeptieren und angesichts dieser Situation nicht eine Re-Demokratisierung anzustreben, sondern eine „simulative Demokratie“ zu etablieren, aus normativer Perspektive ausgesprochen problematisch erscheint. Die „simulative Demokratie“ soll effiziente Formen des „Managements“ bereitstellen, die es erlauben, „gleichzeitig demokratische Selbstbeschreibungen aufrechtzuerhalten und eine längst nicht mehr demokratische Agenda der Entpolitisierung, der Ungleichheit und der Exklusion zu verfolgen“ (ebd.).
 
51
Crouch hingegen hat in der Vergangenheit empirsche Studien vorgelegt (vgl. bspw. Crouch 1999a, 2008c; Crouch et al. 2009), verzichtet bislang im Kontext seiner Arbeiten zur Postdemokratie darauf.
 
Metadaten
Titel
Der systematische Ertrag des Postdemokratiediskurses
verfasst von
Dr. Claudia Ritzi
Copyright-Jahr
2014
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-01469-8_3