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2014 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit

verfasst von : Dr. Claudia Ritzi

Erschienen in: Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die Ausführungen in den vorherigen Kapiteln haben verdeutlicht, dass die politische Öffentlichkeit eine zentrale Kategorie in der empirischen Untersuchung der postdemokratischen Krisendiagnose sein sollte. Schließlich führen jene Verfallsprozesse, die von Crouch, Rancière und Wolin als typisch für postdemokratische Entwicklungen beschrieben werden, gemäß der erörterten Krisendiagnosen nicht (jedenfalls nicht in erster Linie) zu Veränderungen der institutionellen Struktur politischer Systeme, sondern, vermittelt über eine Hegemonie neoliberaler Argumentationsformen zu Verschiebungen politischen Einflusses und politischer Entscheidungsmacht, die an den demokratischen Institutionen vorbei wirksam werden kann. Ein solcher Prozess muss – anders kann kulturelle Hegemonie im Sinne Gramscis bzw. Deutungsmacht in der Terminologie Vorländers nicht wirksam werden – entweder mit direkten Auswirkungen auf die öffentlichen Diskurse in einer politischen Gemeinschaft einhergehen (der zum Beispiel durch die zunehmende Relevanz neoliberaler Argumente sichtbar wird) oder zumindest indirekte Auswirkungen auf die Struktur öffentlicher Kommunikation haben (bspw. ist anzunehmen, dass sich veränderte gesellschaftliche Machtstrukturen in der Öffentlichkeit in einer Verschiebung der Sprecherrollen unter den verschiedenen Akteursgruppen widerspiegeln würden).

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Fußnoten
1
Besonders deutlich wird diese ‚Inspiration’ im Werk von Sheldon Wolin (vgl. v. a. Wolin 1977, 1990, 1993).
 
2
Wie Bernhard Peters aufzeigt, ist die mangelnde Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit auch ein typisches Merkmal anderer gesellschaftstheoretischer Ansätze und Forschungen im 20. Jahrhundert. Während kritische Ansätze ab den 1970er Jahren zwar eine Verfallsdiagnose von Öffentlichkeit aufgezeigt haben, diese aber meist nur mangelhaft empirisch zu belegen suchten, liegen aus den Jahren zuvor viele Arbeiten vor, die eine aufgeklärte Öffentlichkeit schlicht als ein „Phantom“ (Lippmann 1925) bezeichnen und die aus der Unmöglichkeit einer umfassenden Verwirklichung des Idealbilds einer aufgeklärt-diskursiven Öffentlichkeit folgern, dass eine normative Konzeption von Öffentlichkeit für die politische Theoriebildung generell verzichtbar sein müsse. Jürgen Gerhards führt dieses Forschungsdesiderat unter anderem auf die Etablierung der Massenkommunikationsforschung als eigenständige Disziplin zurück: Die sozialwissenschaftliche Ausdifferenzierung habe zu einer weitgehenden Indifferenz anderer (Teil-)Disziplinen gegenüber der Öffentlichkeit und den Massenmedien geführt (Gerhards 1994, S. 77; vgl. auch Marcinkowski 2002, S. 85 f.; Sarcinelli 2011, S. 19 f., 30). Auch Simone Chambers (2009, S. 331) beklagt, dass moderne Forschungen stärker auf „mini-publics“ als auf „mass democracy itself“ fokussiert sind. Vor allem im Kontext der deliberativen Demokratietheorie würden Wahlkampagnen und andere Elemente der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung aus den Augen verloren, während elitäre Kleingruppen detailliert erforscht würden.
 
3
Zwar ist Öffentlichkeit normativ, jedoch nicht empirisch oder prinzipiell an die Demokratie gebunden. Öffentlichkeit gibt es auch in autokratischen Systemen, in diesen unterliegt sie jedoch häufig starken Restriktionen und/oder Manipulationen. Auch in undemokratischen Systemen kann Öffentlichkeit zur Akzeptanz bzw. Anerkennung von Legitimität eines politischen Systems beitragen.
 
4
Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Dichotomie öffentlich/privat vgl. die Aufsätze in den Sammelbänden „Die Grenzen des Privaten“ (Seubert und Niesen 2010), v. a. den einleitenden Artikel von Sandra Seubert (2010), und „Habermas and the Public Sphere“ von Calhoun (1993).
 
5
Wobei zu diesen Handlungen auch die Publikation bzw. Rezeption von Informationen in den Massenmedien zählen kann.
 
6
Bereits hier wird deutlich, dass trotz aller Verschiedenheiten eine gewisse Nähe zwischen radikaldemokratischen und republikanischen Ansätzen hinsichtlich der funktionalen Bestimmung politischer Öffentlichkeit und der Verortung des Individuums in derselben besteht. Im Folgenden wird dieser ‚republikanische Kern’ der radikaldemokratischen Theorieansätze noch weiter zu thematisieren sein, da er ein wichtiges Bindeglied zwischen dem diskursiven und dem Politisierungsmodell von Öffentlichkeit darstellt.
 
7
Eine andere Unterteilung haben Marx Ferree et al. (2002b) vorgelegt: Sie differenzieren zwischen vier Öffentlichkeitsmodellen: dem repräsentativ-liberalen, dem partizipatorisch-liberalen, dem diskursiven und dem „constructionist“ Modell. Wie im Folgenden ersichtlich wird, ist die hier vorgenommene Ausdifferenzierung vor allem zweier liberaler Modelle vor dem Hintergrund des Postdemokratie-Diskurses nur wenig ertragreich. Zudem bemerken die Autoren selbst, dass die Trennlinie zwischen partizipatorisch-liberalen und diskursiven Theorien ausgesprochen unscharf ist (ebd.: 300). Aus diesem Grund wird hier mit der einfacheren Differenzierung zwischen zwei Modellen gearbeitet und diese um ein drittes Modell erweitert, das die bestehenden Modelle um eine spezifisch radikaldemokratische Perspektive erweitert und dass eine gewisse Nähe zu dem von Marx Ferree et al. beschriebenen „constructionist“ Modell aufweist, wenngleich es auf einen engeren Kreis demokratietheoretischer Grundlagen Bezug nimmt.
 
8
Für eine vergleichbare Position siehe auch Rawls’ Ausführungen über die liberale „Methode der Vermeidung“ (Rawls 1993, S. 45), die auf der Einsicht gründe, dass sich über Fragen des „guten Lebens“ in westlichen Demokratien keine Einigkeit erzielen lässt.
 
9
Diese Überlegungen stehen in engem Zusammenhang zu Rawls’ Überzeugung, dass es „burdens of judgement“ gibt, die darin begründet sind, dass Menschen sich in ihren religiösen, philosophischen und moralischen Urteilen notwendig unterscheiden. Fragen, die sich auf diese Themen beziehen, schließt er daher aus dem Kreis der konsensual zu lösenden (öffentlichen) Probleme aus. Die damit verbundene Argumentation in „Political Liberalism“ (Rawls 1993) ist jedoch zu komplex und zu weit zu dem hier diskutierten Gegenstand entfernt, um an dieser Stelle detailliert wiedergegeben zu werden.
 
10
Eine Gefährdung der Demokratie ist aus liberaler Sicht also gegeben, wenn Monopolisierungstendenzen in der Öffentlichkeit dazu führen, dass die Meinungsvielfalt (vor allem in lokalen Öffentlichkeiten) nicht mehr gewährleistet ist (vgl. Pfetsch 2006, S. 233 ff.). Aufgrund der hohen Wertschätzung der individuellen Freiheit und des freien Marktes auch mit Blick auf die Öffentlichkeit, setzt liberale Kritik hierbei jedoch in der Regel erst dann an, wenn ein Monopol zu entstehen droht. Im Allgemeinen fällt die liberale Kritik an Konzentrationsprozessen im Medienmarkt jedoch vergleichsweise mild aus und hat – und dies ist für die vorliegende Studie besonders wichtig – nur sehr wenig Bezug zu Diskursinhalten oder -strukturen.
 
11
Neben Habermas und Peters ließen sich auch einige Ansätze zeitgenössischer republikanischer Theoretiker unter das Diskursmodell fassen. Diese Nähe resultiert einerseits aus dem „republikanischen Clou“ (Richter 2012, S. 171; vgl. auch Richter 2004, S. 49 ff.) der deliberativen Demokratie, der darin liegt, dass auch sie möglichst alle Bürger in den politischen Prozess einbeziehen und ihnen durch die Teilhabe am öffentlichen Bereich die Möglichkeit zur politischen Selbstbestimmung eröffnen möchte. Zudem trägt die „partizipative Stoßrichtung“ (ebd.) der Arbeiten von Autoren wie Michelman, Sunstein und Pettit zum engen Zusammenhang mancher deliberativer und republikanischer Überlegungen bei. Das gilt vor allem für jene Arbeiten, die nach David Held zum „developmental republicanism“ gezählt werden können (vgl. Held 1996; Richter 2012). Hier ist die Nähe zur deliberativen Theorie jedoch z. T. so groß, dass eine gesonderte Erläuterung des republikanischen Öffentlichkeitsbegriffs nicht zielführend erscheint, zudem ist der republikanische Diskurs so vielfältig, dass es schwerlich möglich erscheint, daraus ein republikanisches Modell von Öffentlichkeit zu extrahieren. Deshalb wird hier auf die Diskussion eines eigenständigen republikanischen Modells verzichtet. Dennoch wird im Folgenden durchaus noch auf den Republikanismus einzugehen sein, wenn die Verbindungen des deliberativen Öffentlichkeitsmodells zur radikalen Demokratietheorie aufgezeigt und erklärt werden (vgl. Abschn. 4.2).
 
12
Für einen knappen Überblick über die Bedingungen für das Vorliegen von Deliberation bei Habermas vgl. auch Landwehr (2012, S. 360, 362).
 
13
Peters Begriff der „öffentlichen Kultur“ weist große Ähnlichkeit auf zu Habermas Begriff der „Lebenswelt“ auf, wobei Peters sich jedoch hier nur auf die kulturellen Aspekte derselben bezieht.
 
14
Die Differenzierung zwischen ‚post-marxistischen’ und ‚radikaldemokratischen’ Ansätzen bleibt an vielen Stellen unklar. Wie Heil et al. (2011, S. 7) treffend darlegen, können viele der einschlägigen Theoretiker (zu denen u. a. Ernesto Laclau, Chantal Mouffe, Jacques Rancière und Jacques Derrida zählen) ebenso gut als radikaldemokratisch wie als postmarxistisch bezeichnet werden, lediglich die eigene Verortung bzw. die Nähe zum Marxismus mag eine Differenzierung erlauben. Um hier keine Verwirrung zu stiften oder irreführende Zuschreibungen zu treffen, wird im Folgenden meist im Plural gesprochen und auf beide Bezeichnungen referiert. Wo lediglich der Verweis auf die radikale Demokratietheorie erfolgt, geschieht dies aus Gründen der Vereinfachung und hat keine inhaltliche Bedeutung. Die in diesem Abschnitt zusammengefassten Ansätze sind vielmehr alle durch die folgenden Merkmale verbunden: Sie begreifen Demokratie als eine Aufgabe, die niemals vollendet werden kann, sie streben nach einer Politik größtmöglicher Inklusivität und sie kritisieren die Verkürzung von Politik auf Verwaltung. Oder in den Worten von Heil und Hetzel (2006, S. 8): „Theorien radikaler Demokratie erheben das vermeintlich Selbstverständlichste, die Demokratisierung von politischen und ökonomischen Entscheidungsstrukturen, zum Programm. Sie erkennen, dass die einfache, aber ernst gemeinte Forderung nach Demokratisierung vor dem Hintergrund der […] globalen Entwicklung nicht anders als revolutionär erscheinen kann.“
 
15
Zur Nähe der radikaldemokratischen Ansätze zur Diskurstheorie vgl. auch Nonhoff (2006, S. 8 ff.).
 
16
Aufschlussreich hierzu ist u. a. Pierre Rosanvallons Kritik an der formalen Gleichheit: Deren Einfluss verschleiere, dass Politik heute kein Spiegel einer „natürlichen“ Gesellschaft mehr sein kann, weil das Volk in der Moderne zu einer unbestimmten Abstraktion geworden sei. Die Demokratie befinde sich deshalb in einer „Repräsentationskrise“ (Rosanvallon 2001, 2008; für eine kurze Einführung vgl. auch Weymans 2004).
 
17
Für das ökonomische Paradigma gilt das in besonderem Maße, da die ökonomischen Leitbegriffe Gewinn und Effizienz zur Identifikation eindeutiger Handlungspräferenzen beitragen (zumindest sofern Einigkeit über die Rahmenbedingungen wie Risikoeinschätzung etc. besteht).
 
18
Sowohl für McChesney als auch für Herman und Chomsky ist eine zunehmende Ausrichtung der Leistungen von Medienkonzernen an ökonomischen Zielsetzungen grundsätzlich nicht mit der Erfüllung jener Aufgaben vereinbar, die den Medien in Demokratien obliegen.
 
19
Crouch räumt hier jedoch ein, dass dies nicht für alle Marktsegmente gilt. Es gebe durchaus auch im Mediensektor Zeitungen und Programme, die auf Menschen mit höherer Bildung zugeschnitten sind, die komplexe Argumentationen ohne große geistige Anstrengung aufnehmen können. Bei Nachrichten, „die für ein Massenpublikum produziert werden, handelt es sich [jedoch, C.R.] um eine sehr spezielle Ware, angesichts ihres vergänglichen Charakters sind sie in der Regel nicht besonders seriös und komplex“ (Crouch 2008a, S. 64).
 
20
Eine solche indirekte Messung kann für andere Forschungsgegenstände, nicht zuletzt aufgrund der einfacheren Möglichkeiten zur Datenerhebung, durchaus angemessen sein. Mit Blick auf die Frage nach neoliberaler Hegemonie wäre sie jedoch unzureichend, da diese unmittelbar auf Inhalte der Öffentlichkeit zielt. Zudem ist zu konstatieren, dass Konzentrationsprozesse auf dem Medienmarkt – also Untersuchungen der Produktionsstrukturen von Öffentlichkeit – in deskriptiver wie auch in normativer Hinsicht bereits weitaus besser erforscht sind, als es mit Blick auf die Diskursstruktur von Öffentlichkeit der Fall ist (vgl. u. a. Hachmeister und Rager 2005; Doyle 2002; Baker 2007; McChesney 2008; Herman und Chomsky 2002).
 
21
Da das dort beschriebene Modell politisierender Öffentlichkeit u. a. im Rekurs auf Jacques Rancières Arbeiten entwickelt wurde, sind Übereinstimmungen zwischen dieser Dimensionen und den von Rancière im Postdemokratie-Diskurs genannten Anforderungen an Öffentlichkeit determiniert. Diese Übereinstimmung sollte dennoch keinem Tautologie-Verdacht unterliegen, da es im hiesigen Kontext nicht darum geht, die postdemokratischen Arbeiten etablierten Modellen zuzuordnen, sondern mit ihrer Hilfe eine positive Rekonstruktion der postdemokratischen Konzeption von Öffentlichkeit vorzunehmen.
 
22
Die Bedeutung, die er den Intellektuellen zuspricht, sollte dabei (ähnlich wie es bei Kornhauser der Fall ist) auch hier nicht als Elitismus missverstanden werden (vgl. Abschn. 2.​3, 3.​2.​1). Vielmehr sind auch sie Indizien dafür, dass Wolin nach anspruchsvollen Inhalten öffentlicher Kommunikation strebt. Die akademische Elite ist nach seiner Auffassung nicht nur in besonderer Weise dazu verpflichtet, diese in die Öffentlichkeit einzuspeisen, sondern hat sich in der Vergangenheit (vor dem postdemokratischen Zeitalter) auch als dazu befähigt erwiesen, indem sie häufig und in einer nicht an ihren Eigeninteressen orientierten Art und Weise am politischen Dialog teilgenommen hat (vgl. u. a. Wolin 2008, S. 39 f., S. 182 f.).
 
23
Unter anderem räumt Habermas ein, die bürgerliche Öffentlichkeit im „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ überstilisiert und die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die öffentliche politische Kommunikation unterschätzt zu haben (vgl. Habermas 1990, S. 21 ff.).
 
24
Als Beispiel für eine solche Veränderung kann der familienpolitische Diskurs betrachtet werden, in dem unter anderem das Ziel der besseren Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zunehmend weniger eine Frage der Gerechtigkeit als der sinnvollen Nutzung ökonomischer Ressourcen betrachtet wird (vgl. Ritzi/Kaufmann i. E.). Weitere Beispiele zu Ökonomisierung öffentlichen Denkens und Handelns führt Michael Sandel (2012) in „What Money Can’t Buy“ an.
 
25
Zu Paradoxa als Merkmal postdemokratischer Gesellschaften vergleiche auch Blühdorn 2012.
 
26
Crouch selbst hält entsprechend – trotz vielfältiger Kritik – an dem Begriff der Postdemokratie fest. Als Begründung hierfür gibt er an, dass er die Unmöglichkeit einer „inhaltslosen Politik“ auch angesichts der Existenz demokratischer Institutionen betonen möchte: „I think it is important to speak about post-democracy rather than the decline of democracy. We live in a period when a lot of democratic institutions are stronger than they were in the past; transparency, accountability, or the protection of basic rights. But the energy of the political system has left the democratic arena and has gone to deals between political and economic elites. Democracy is strengthened, but politics is emptied of content“ (Crouch 2012).
 
27
Eine solche Vorgehensweise lässt sich nur im Kontext eines Öffentlichkeitsverständnisses vertreten, das Diskursstrukturen zum zentralen Signum der Demokratiehaftigkeit erklärt. Dass die weitgehende Indifferenz der post- und/oder radikaldemokratischen Theoretiker, vor allem von Rancière, gegenüber Institutionen und v. a. auch (Grund- bzw. Menschen-) Rechten normativ problematisch ist, wurde in der Literatur hinlänglich kritisiert (vgl. Jörke 2006; Niederberger 2006). Hinzu kommt, dass zumindest Crouch demokratische Rechte als notwendige – wenngleich nicht hinreichende – Bedingung von Demokratie ansieht und folglich auch von demokratischer Öffentlichkeit. Einem Untersuchungsdesign, das nur seinen Öffentlichkeitsbegriff untersucht, sollte die Gewährleistung von Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit entsprechend hinzugefügt werden; empfehlenswert erscheint dabei die Vorgehensweise, die für das Demokratiebarometer genutzt wurde: Hier wird an verschiedenen Stellen zwischen „verfassten Regeln“ und „Verfassungswirklichkeit“ differenziert (vgl. Bühlmann et al. 2012). Für das hier vorgelegte Untersuchungsdesign erscheint die Exklusion der rechtlichen Dimension, die wegen der Vereinbarkeit der drei theoretischen Ansätze notwendig ist, auch inhaltlich akzeptabel: Schließlich zielt das zu entwickelnde Analyseschema auf die Messung von der Postdemokratisierung von Öffentlichkeit, es setzt die Existenz demokratischer Rechte und Institutionalisierungsformen also voraus.
 
28
Eine entsprechende Benamsung wäre auch hier möglich gewesen, da im Postdemokratie-Diskurs jedoch besonderer Wert auf die Gleichheit (die auch als die Ursache des demokratietheoretischen Strebens nach Inklusion gewertet werden kann) gelegt wird, soll dies hier bei der Benennung des Attributs beibehalten werden.
 
29
So weit dies möglich ist, werden im Folgenden auch bereits die jeweiligen Messlevels angegeben (also die konkreten Code-Werte), an manchen Stellen müssen diese jedoch im Zuge der Datenerhebung oder mit Hilfe von Vorstudien ermittelt werden, so dass an dieser Stelle noch keine genauen Skalen angegeben werden können.
 
30
Ein Anknüpfungspunkt der postdemokratischen Ansätze an Freedom House könnte in der Messung von Korruption liegen, die zu den Kernkompetenzen der Freedom House-Gruppe zählt. Da sich Korruption jedoch in aller Regel nicht in der Diskursstruktur widerspiegelt, wird sie hier nicht weiter beachtet.
 
31
In besonderer Weise gilt dies für die von Lord und Tamvaki (2011) entwickelte Version des DQI, die auf Analysen des Europäischen Parlaments ausgerichtet ist. Sie ist so stark an den Spezifika parlamentarischer Deliberation orientiert, dass sie hier trotz ihrer Aktualität nicht aufschlussreich erscheint und deshalb nicht weiter diskutiert wird.
 
32
Ob man besser die Anteile eines Subjektakteurs an einem Diskurs in einem bestimmten Zeitfenster oder in einem Diskursausschnitt (wie beispielsweise einem Zeitungsartikel) erfasst, ist eine schwierige Entscheidung. Ein zeitlicher Diskursausschnitt über verschiedene Beiträge hinweg erscheint einerseits adäquater, da diskursive Qualität auch das Ergebnis einer auf verschiedene Beiträge verteilten Publizität sein kann, andererseits ist die Relation zum direkten Kontext ebenfalls ein Maß für Zugangsgleichheit. Hier wird deshalb empfohlen beide Maße zu erheben und additiv zu einem Indikator zu verknüpfen.
 
33
Bächtiger et al. (2010, S. 199) beziehen sich auf ähnliche Indikatoren, um das Vorhandensein von Respekt in Diskursen zu erfassen. Ihre Skala (abwertende Äußerungen = 0, neutrale Äußerungen = 1, expliziter Respekt gegenüber Gegenargumenten = 2, Zustimmung zu Gegenargumenten = 4) erscheint jedoch problematisch, da sie asymmetrisch und nicht linear ist.
 
34
Alternativ könnte man auch die Operationalisierung von Holzinger (2001, 2005) übernehmen, die jedoch auf die Interaktion angewiesen ist.
 
35
In der Kommunikationswissenschaft wird darüber hinaus häufig „Negativismus“ der Berichterstattung als Indiz für Boulevardisierungsprozesse untersucht. Da weder Crouch noch Wolin jedoch auf dieses Merkmal eingehen, bleibt es in diesem Konzept außen vor.
 
36
Sollten auch andere als die massenmedial vermittelten Teile von Öffentlichkeit erfasst werden, sollte der Boulevardisierungsindex entfallen.
 
37
Wie u. a. Beckert und Riehm (2013) zeigen, wird diese Leitfunktion überregionaler Tageszeitungen auch durch die Online-Öffentlichkeit bislang (noch) nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Eine Analyse von Online-Kommunikation erscheint zum Test der postdemokratischen Hypothesen darüber hinaus auch deshalb nicht geboten, weil das Internet noch nicht lange genug etabliert ist.
 
38
Für aktuelle Aspekte der Untersuchung könnte eine Ergänzung von Online-Inhalten jedoch sinnvoll sein.
 
39
Da Sozialwissenschaftler in den 1960er Jahren noch fast gar nicht in den hier untersuchten Medien zu Wort kamen, hat sich die Zahl ihrer Nennungen in besonderem Maße erhöht: sie stieg um mehr als das Zwanzigfache (ebd.).
 
40
Zum „Guerilla-Marketing“, dessen Bezeichnung auf die von Che Guevara beschriebene „Guerilla-Taktik“ Bezug nimmt, werden nach Hutter und Hoffmann verschiedenste kommunikationspolitische Instrumente gerechnet, „die darauf abzielen, mit vergleichsweise geringen Kosten bei einer möglichst großen Anzahl von Personen einen Überraschungseffekt zu erzielen, um so einen sehr hohen Guerilla-Effekt (Verhältnis von Werbenutzen und -kosten) zu erzielen“ (Hutter und Hoffmann 2011, S. 124).
 
41
Unter einer Sentiment-Analyse versteht man in der Computerlinguistik „a systematic, computer-based analysis of written text or speech excerpts, for extracting the attitude of the author or speaker about a specific topic“ (Ahmad 2011, S. 2).
 
42
Studien zur Untersuchung der Nachrichtenselektion bzw. zum Verhalten von „Gatekeepern“ basieren in der Regel – entsprechend der berühmten Studie von David Manning White (1950) – auf Befragungen, die mit den Journalisten im Anschluss an ihre Auswahlentscheidungen geführt werden. Dabei konnte mehrfach und über einen längeren Zeitraum hinweg belegt werden, dass persönliche Vorlieben oder politische Überzeugungen der Journalisten nur sehr wenig Einfluss auf ihre Selektionsentscheidungen haben. Vielmehr ist die Selektionsentscheidung professionellen Routinen und Produktionszwängen unterworfen (vgl. Schulz 2002, 353 ff.).
 
43
Zwischen Frames und Argumenten besteht zwar in der Praxis durchaus eine gewisse Nähe, weshalb Framing-Analysen häufig auch als Substitut für Argumentationsanalysen genutzt oder genannt werden. Aus theoretischer Perspektive handelt es sich bei Frames und Argumenten allerdings um unterschiedliche Konstrukte, weshalb eine differenzierte Analyse sinnvoll erscheint.
 
44
Die am stärksten von den Kanzlerkandidaten dominierte Bundestagswahlberichterstattung fand nach den Ergebnissen von Wilke und Reinemann im Jahr 1962 statt, als Willi Brandt gegen den amtierenden Kanzler Konrad Adenauer kandidierte und der Bau der Berliner Mauer das zentrale Thema des Wahlkampfes darstellte.
 
Metadaten
Titel
Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit
verfasst von
Dr. Claudia Ritzi
Copyright-Jahr
2014
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-01469-8_4